Berg- und Seefahrten (1923)

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Ekel Italiens. Doch tat uns die Wärme seines Kaminfeuers und seines schlechten Kaffess noch dieser Schneepartie sehr wohl, und mein Gefährte bewirtete mich noch dazu mit schöner Leberwurst, mit der ihn seine Mutter in Kassel bepackt hatte; wogegen ich ihn mit Mutterchens trefflichem Quittenlikör, der mich auf dieser ganzen sibirischen Tour lebenswarm erhalten hatte, erquicken konnte. In Airolo wurden wir nun wieder aus unseren niedlichen kleinen offenen Schlittchen, die wir auf dieser Fahrt ordentlich liebgewonnen hatten, in das Coupé eines großen, gedeckten Postschlittens umgepackt, mit welchem wir die weitere Fahrt bis Bellinzona ohne besondere Erlebnisse vollendeten. Mein Gefährte hatte zwar seinen beiden Pistolen schußfertig in den Brusttaschen und ich meine beiden Dolchmesser ebenfalls Kampfbereit, da die Post auf dieser berüchtigten Strecke von tessinesischen Bravis zuweilen angefallen worden ist; indes hatten wir keine Gelegenheit, sie anzuwenden, und waren auch bald, von der Anstrengung ermüdet, fest eingeschlafen. Von der Gegend konnten wir bei dem schwachen Schimmer des Schnees nur wenig sehen, da Mondschein fehlte. Sie soll sehr schön sein. Um 1 1/2 Uhr früh waren wir in Bellinzona, wo sich mein Gefährte nach herzlichem Abschied von mir trennte, um nach Mailand zu reisen. Ich fuhr nach Magadino weiter, wo ich um 6 Uhr das Dampfschiff bestieg, das mich in vier Stunden über den Lago Maggiore nach Arone führte. Die prachtvollen Uebergebirge des Sees waren dicht mit Schnee bedeckt, der an den nördlichen Gestaden bis zum Wasser hinabstieg. Die ganze Fahrt war überaus schön. Die Sonne ging am wolkenlosen Himmel prachtvoll auf, nachdem sie über die obersten Schneespitzen im Westen einen herrlichen morgenroten Schleier geworfen hatte. Die Abwechslung der Landschaftsbilder, die schon im Sommer diesen See so reizend macht, war doppelt schön und interessant durch den Kontrast der schneebedeckten Gebirgskrone mit der üppigen südlichen Vegetation, deren Spuren (Oliven, Granaten, Zypressen, Aloen usw.) selbst jetzt überall an ihrem Fuß sichtbar waren. So bildete diese herrliche Fahrt einen würdigen Abschluß dieses merkwürdigen Gotthardübergangs, den ich zu den interessantesten Touren zähle, die ich je gemacht habe. Gefahr, Kosten und Mühe wurden durch die überaus herrlichen Naturgenüsse weit aufgewogen.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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