Berg- und Seefahrten (1923)

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Kraft, als durch die Mühe der sehr geübten und kräftigen Schneeschaufler emporgebracht, welche mit den Postillionen um die Wette hinaufschoben. Die armen Pferde hatte genug zu tun, ihren eigenen Kadaver hinaufzuschaffen, und nicht besser erging es uns selbst, da wir, dieser Art zu gehen gänzlich ungewohnt, unbehilflich hinter dem Schlitten herkeuchten und jedesmal, wenn wir nur einen Schritt breit über die schon betretene Bahn hinaustraten, bis an die Hüften mit den ganzen Beinen in dem Schnee versanken. Dies war das Unangenehmste der ganzen Tour, da die Beine durch diese mächtige Wärmeentziehung trotz ihrer vielfachen Hülle bald ganz erstarrt waren, während der Oberkörper, übermäßig durch die Anstrengung erhitzt, schwitzte. Zwei Stunden mühevollsten Kletterns und Herausarbeitens aus dem 5 Fuß tiefen Schnee vergingen so, ehe wir nur ein verhältnismäßig kleines Stück Weg zurückgelegt hatten und usn in unseren kleinen Schlittchen, in deren Rück- und Vorsitz wir beide abwechselten, wieder einpacken konnten. Stellenweise mußte auch durch eine kleine Lawine erst ein Hohlweg gegraben werden oder eine größere im Bogen umfahren werden. Glücklicherweise war das Wetter ziemlich heiter, und stellenweise trat sogar die Sonne aus den weißen Schneewolken hervor und warf auf die weiten weißen Felder einen so blendenden Schimmer, daß wir lauter bunte Farbenringe vor dem Auge sahen und ich meine grüne Gletscherbrille, die im Koffer lag, schmerzlich vermißte.

Kaum hatten wir die schlimmsten Stellen, wo die meisten Lawinen stürzen, hinter uns, als auch das "Guxen" schon wieder anfing und heftiger Schneesturm bald alles in undurchsichtiges, trübes Helldunkel hüllte. Bald dienten nur noch die Telegraphenstangen in der endlosen Schneewüste, in der man keine zehn Schritt weit sehen konnte, als Führer, und wir konnten wirklich von Glück sagen, als wir nach sechs Stunden schwerster Arbeit (wozu man im Sommer zweieinhalb braucht!) ohne Verlust die HÖhe des Passes und bald darauf das Hospiz mit dem Albergo del S. Gottardo erreicht hatten. Es ist dies ein sehr einfaches und dürftig eingerichtetes, hölzernes Schutzhaus mit steinernem Unterbau, in welchem wir zwar alles voll Rauch, aber keine Wärme fanden; doch bekamen wir wenigstens eine heiße, obwohl sehr wasserreiche Brotsuppe, über welche wir, wie über ein Stückchen Schinken und Brot, mit wahrem Heißhunger herfielen. Letzterer war hoffentlich der teuerste, den ich je genießen werden: er kostete 20 Silbergroschen!

Unter diesen Umständen war die Aussicht, hier zu übernachten, keineswegs reizend, und wir hätten sehr gewünscht, weiter zu kommen, wenn es nur möglich gewesen wäre. So langer aber die seit 2 Ragen vermißte Post von drüben (aus Italien) nicht angekommen war, war es rein unmöglich, hinüber zu kommen. Da wurde plötzlich auch dieser Wunsch erfüllt. Die lautlose Öde wurde durch ein leises Klingeln unterbrochen, und bald fuhr ein Zug von 10 kleinen Schlitten vor. Der Eintritt der beschneiten und verfrorenen Gestalten aus Italien machte sich recht komisch und es


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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