Berg- und Seefahrten (1923)

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von breiten Einschollen überdacht, und die kleineren Wasserfälle hängen, ganz gefroren, wie prächtige, blaugrüne Stalaktiten von den hohen Felswänden herab. Ganz eigentümlich stehen in der allgemeinen Schneedecke die zahlreichen, kleinen, braunen Häuschen isoliert da; und auch die großen überall zerstreuten Felsblöcke gewähren dem Auge in dem blendenden Weiß der Schneedecke einen Anhaltspunkt.

Schon der Anblick dieser Hochalpen im Winter hätte alle Mühen und Kosten dieser Route allein aufgewogen, da sie das Bild, das ich mir von den Alpen bei längerem Besuche erworben, in sehr wesentlicher Weise vorvollständigte. Außerdem kam aber noch mancherlei speziell Interessantes hinzu. Diese Fahrt war die erste dieser Reise, die meine alte Reiselust in etwas wieder wachrief und befriedigte.

Schon in Altdorf hatte uns der Posthalter gesagt, daß der Übergang sehr schwierig sein würde, da die Posten von drüben seit 2 Tagen wegen starken Schneefalls ausgeblieben seien. Bald sollten wir erfahren, wie bedeutend er gewesen. Schon am Fuße des mächtigen Bristenstocks, wo die eigentliche Gotthardstraße steiler und steiler beginnt, hatte der bis dahin 2-3 Fuß tiefe Schnee eine Dicke von vier Fuß erreicht, so daß das Pferd, das bis dahin ziemlich rasch auf der schon befahrenen Schlittenbahn vorausgeeilt war, langsam gehen mußte. Kaum waren wir eine Stunde über Wasen hinaus, als es plötzlich vor einem Schneeberg stillstand, an dem die Straße plötzlich wie abgeschnitten aufzuhören schien. Wir hatten als Inhaber des Coupés das stärkste Pferd vor unser kleines Fuhrwerk erhalten, welches zugleich für die übrigen den Weg erst ebnen mußte. Hinter uns folgten die fünf anderen Schlitten, und zuletzt ein größerer zweispänniger Bagagaschlitten mit dem Kondukteur. Wir ließen diese herankommen, und es ergab sich, daß wir vor einer frisch herabgestürzten Lawine standen, die den heute früh erst frisch geschaufelten Weg bereits wieder verschüttet hatte. Wir mußten versuchen, uns erst wieder hindurchzuarbeiten, so gut es ging. Zuerst mußten die Passagiere absteigen, den mächtigen Schneehaufen erklettern und durch Stampfen mit den Füßen denselben so fest zu trampeln suchen, daß die Pferde hinüber konnten. Nachdem die Straße ziemlich geebnet schien, wurde mit unserem ersten Schlitten der Versuch gemacht, ihn hinüber zu bringen, was denn auch mit vieler MÜhe gelang. Schlimmer erging es dem zweiten, dessen Pferd nach den ersten Versuchen seitlich auswich und mit dem ganzen Körper in dem lockeren Schnee versank, so daß nur noch Kopf, Hals und ein Teil des Rückens herausschauten. Beim Versuch, es herauszutreiben, geriet es nur noch tiefer hinein, und zuletzt mußten sämtliche Passagiere sich vorspannen, um das arme Tier, welches ganz im Schnee versunken war, herauszuziehen. Noch schlimmer erging es dem fünften Schlitten, der bei der höchsten Schneekante umstürzte und sich ganz überschlug. Zum Glück hielt jedoch das Pferd fest; er enthielt auch nur Bagage. In der Art mußten wir uns noch ein paarmal durch die


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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