Berg- und Seefahrten (1923)

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ein neuer runder Wasserspiegel abzuschließen, dessen Ufer rings von den verschiedenst gestalteten Felszacken eingeschlossen waren, mit deren schroffen Wildheit die freundlichen Hütten auf den Matten an deren Fuß in schönem Kontrast standen. Dabei hatte die Erinnerung an alle die klassischen, durch "Wilhelm Tell" berühmt gewordenen Orte einen doppelten Reiz; die Hohle Gasse, Geßlers Zwingburg, Küßnacht, Gersau, Bauen, das Rütli, die Tellsplatte zogen nacheinandern vorüber.

Um 9 Uhr legten wir in Flüelen an, wo ich mit Herrn von Ditfurth das Coupé der Diligence bestieg. Diese Coupés der Schweizer Postwagen sind äußerst komfortabel, bequem und geräumig, wie ein kleiner Salon, vorn mit fünf Fenstern nebeneinander im Halbkreis, so daß man nach beiden Seiten und nach vorn die schönste Aussicht hat. Leider dauerte das Vergnügen hier nicht lange, da wir schon nach einer Stunde (in Amsteg) diesen komfortablen Aufenthalt, aus dem wir die herrliche Alpenlandschaft in der schönsten Art betrachten konnten, mit einem engen, großen Postschlitten vertauschen mußten, in dessen Coupé wir beide kaum Platz hatten. Doch dauerte auch dieses nicht lange, da wir schon auf der nächsten Station in eine Karawane von sechs Schlitten gesondert gepackt wurden. Diese Schlittchen sind sehr einfach und wesentlich auf die verschiedenen Zufälle berechnet, denen man auf einer Alpenreise mit starkem Schneefall ausgesetzt ist. Sie gleichen den kleinen Schlitten, in denen man bei uns die Kinder spazieren fährt. Vorn sowohl als hinten hat gerade je eine Person Platz, die ihre beiden Beinpaare nur mit großer Mühe unterbringen können. Vorgespannt wird vor jeden Schlitten nur ein Pferd, welches den gewohnten Weg ohne Postillion, selbst führend, zurücklegt. Diese äußerst leichten Fuhrwerkchen haben den Vorteil, daß man an den schlimmsten Stellen leicht über diese hinwegtragen sowie bei einer etwaigen Schneeverschüttung sich leicht wieder herausarbeiten kann. Dabei geht das Pferd, wenn die schneebahn gut ist, einen sehr schnellen Trab sowohl bergauf als bergab. Ferner kann man sich nach allen Seiten frei umsehen, da bloß die Füße im Schlitten stecken.

Wir hatten uns beide in unserem Schlittchen bald recht behaglich zurecht gesetzt und sahen uns, ganz in Pelz und Tücher bis über die Ohren warm eingepackt, die wundervolle Winterpracht der Schneewelt recht nach Herzenslust an. Eine solche Alpenlandschaft im Schneekleid ist wirklich ein ganz eigenes, unvergleichliches Naturwunder, das man selbst genossen haben muß, um einen ordentlichen Begriff davon zu haben. Die weiten, fleckenlosen, schimmernden Schneefelder, abwechselnd mit den bunten, nackten Wänden der steilen Felsen und dem weißgesprengelten Graugrün der Tannenwälder, verleihen der ganzen Landschaft einen feierlichen Schimmer, einen festlichen Glanz, der durch die Totenstille weit und breit noch gehoben wird. Nur von den großeren Sturzbächen und Wasserfällen bleibt ein Teil noch ungefroren und unterbricht durch sein lautes Murmeln die eintönige Stille. Aber auch der Rand von diesen ist


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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