Berg- und Seefahrten (1923)

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höher ist) mit einem 4600 Fuß langen Tunnel, durch den wir 5 Minuten herauf fuhren. Außerdem zählte ich noch 15 Tunnels, darunter 6 größere. Einige sind seitlich durch Luken durchbrochen, durch welche Licht hereinfällt und von denen jede einzelne ein ganz reizendes Bild einer kleinen, in sich geschlossenen Alpenlandschaft gibt. Auch die Brücken und Viadukte, oft 2-3 Bögen Etages übereinander, sind ganz großartig und ziehen sich stellenweis kühn an senkrecht abstürzenden Felswänden hin, während sie an anderen Stellen ganz Täler und tiefe Schluchten überspringen.

Die Umgebungslandschaft trägt überall den erhabenen Hochgebirgscharakter: tiefeingeschnittene Täler und scharfgezackte Kuppen, nackte Felsen und dunklebewaldete Bergabhänge, lieblichgrüne Wiesengründe und in ihnen, wie Silberfäden hindurchziehend, klare Bäche. Belebt wird das Ganze durch die überall zerstreuten Sennhütten und die weißen, schmucken Dörfer, durch die frühere Fahrstraße, deren kaum minder kühne Windungen man auf die überraschendste Weise bald-, bald unterhalb der Eisenbahn sich hinziehen sieht, durch neue Schlösser und alte Ruinen, die auf den Gipfeln steiler Felsen in das tiefe Tal hinunterschauen. Den größten Reiz gewähren aber die kühnen Windungen der Bahn selbst, die man in der überraschendsten Mannigfaltigkeit bald hinter, bald vor, bald tief unter, bald hoch über sich erblickt. Die Krümmungen, die das äußerst schwierige Terrain bedingt, sind ungemein stark und die Bahn geht dieselbe Wegstrecke ungefähr viermal hin und zurück, ohne viel zwischen dem Tälerlabyrinth weiter zu kommen. Von Adlitzgraben nach Klamm und von Eichberg nach Gloggnitz kann man auf direktem Weg bequem in derselben Zeit zu Fuß hinübergehen, während welcher der Zug in weitem Bogen um mehrere Berge herum dahinfährt. In Eichberg sieht man Gloggnitz 540 Fuß tiefer zu seinen Füßen liegen, kaum mehr als eine halbe Stunde entfernt, muß aber, um diesen bedeutenden Abfall allmählich sich zu senken, noch um den weiten Abhang des ganzen Gotschakogels herumfahren. Ganz reizend ist der Anblick des Schwarzautals und seiner Mündung in die weite Leitha-Ebene, wenn der Zug bei der letzten Biegung nach Osten aus den Bergen hervortritt, die letzten langgestreckten Felsrücken beiderseits zurücktreten und zwischen beiden die lachende, grüne Fläche vortritt, während im Rücken die Schneegipfel der Alpen über das schwärzliche Grün der föhrenumwachsenen Berggehänge herüberschimmern. Nur ungern und mit der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen nahmen wir von ihnen Abschied und eilten von Gloggnitz aus auf den Flügeln der weit schnelleren Flächenlokomotive in drei Stunden der Kaiserstadt zu, deren Staub und Städtedunst uns nach dem frischen Genuß der freien Gebirgsluft doppelt drückend wurde. Um 5 Uhr nachmittag trafen wir auf dem Südbahnhof ein und brachten unsere Pflanzenschätze sogleich in Sicherheit.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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