"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

70. Brief

Nauheim, den 1. August 1871.




Lieber Ernst! Zwar hast Du mich mit einem viel zu kurzen Briefchen abgefertigt, dennoch darf ich Dich nicht zur Strafe wieder lange warten lassen, da Du sonst leicht erzürnt bist. Deshalb erfahre, daß es uns beiden ziemlich gut geht . . . Dir scheint es ja recht gut zu gehen, Du führst ein sehr vergnügliches Leben, wirst von einem zum anderen gebeten. Nicht wahr, es ist hübsch, ein freier Mann zu sein und nicht solch lästiges Anhängsel von Frau zu haben, da wird man überall viel lieber gesehen und oft eingeladen zu leckeren Bissen; diese letzteren dinge kenne ich kaum mehr, unser Essen ist sehr einfach und eintönig und doch teuer genug, ich werde täglich dünner von der mangelhaften Kost und nähe meine Kleider enger, Du scheinst mir gut von Deinem Clärchen gefüttert zu werden, wenn sie Dich nur nicht zu sehr verwöhnt! Heute hat die Gute wieder geschrieben, auch von Marie bekam ich einen lieben Brief, nur von dem Liebsten keinen, was immer schwer vermißt wird . . . Schreibe mir doch mehr von den Kindern, z. B. wie Lisbeth jetzt ißt, ob sie zunimmt usw. usw., tausenderlei gibt es, was uns höchlich interessiert. Schreibe doch ausführlicher, denke, wie lange wir von jedem Brief zehren müssen! An Deine Mutter habe ich gestern geschrieben, ich muß doch mal fragen, wie´s den Alten geht. Du schreibt keine Silbe davon.

Daß Gerhardt nach Würzburg geht, wird Dir wieder etwas in den Gliedern liegen, und Wien wird sich wieder in vorteilhafterem Lichte zeigen, ich kann mir denken, daß Dir´s oft noch im Kopf herumgeht. Folgt der Würzburger nicht einem Ruf nach Wien? Du erzähltest mir, glaube ich, davon? Grüße die Gegenbaur recht von mir, kommt jemand zu ihrer Pflege? Schreibe mir doch davon, nichts erfährt man ordentlich von Euch beiden, und doch interessiert mich so vieles! Wer war der Fremde, mit dem Du auswärts aßest? Ach Gott, alles muß man abfragen! . . . Warum bekommt Lisbeth keine Eier mehr, die waren doch immer gut für sie? Ade! Deine treue Agnes.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999