"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

235. Brief

Levanto, 9. April 1907.




Liebste Agnes! Eben erhalte ich Deinen Brief vom 5. April, der bis hierher 4 Tage gegangen ist! Ich bin sehr froh, von Deiner zunehmenden Besserung zu hören, und daß Dir das ruhige Stilleben in meinem Studierzimmer gut bekommt . . . Hoffentlich kommt nun endlich der ersehnte Frühling und damit mehr Wärme, blauer Himmel und Blumen im Garten. Ich hoffe sicher, wenn ich (in 14-16 Tagen) zurückkehre, Dich wieder ganz wohl zu finden. Verliere nur den Mut nicht und denke, daß Du schon viel Schlimmeres glücklich überwunden hast!

Meine Riviera-Reise ist diesmal sehr winterlich verlaufen. Dieser Winter ist auch hier ausnehmend kalt. Jetzt, am 9. April, ist die Vegetation hier so weit, wie vor 3 Jahren in Rapallo Ende Februar! Die Feigenbäume (die sonst Anfang März ausschlagen) haben noch kein grünes Blatt, ebenso die Weinstöcke und Platanen. Auch die Blumenfülle ist sehr dürftig. Das Thermometer zeigt nachts immer 6-8 Grad, mittags 12-14 Grad. Höher geht es nicht. Dabei scharfer kalter Wind. Es würde Dir höchst unbehaglich sein. Keine Heizung möglich. So hier, so in Genua, so in Spezia (wohin ich gestern eine Exkursion machte und an unsere hübsche Segelfahrt nach Porto Venere dachte). Alle Reisenden klagen über den unendlichen und unbehaglichen Winter. Ich habe wenigstens den einen Zweck erreicht, nach der endlosen und aufreibenden Unruhe der letzten 3 Monate endlich einmal Ruhe und Einsamkeit in der schönen Natur zu genießen und mich des blauen altvertrauten Mittelmeeres zu freuen. 50 Jahre sind dahin, seit ich es (September 1856) in Nizza zum ersten Male sah. Levanto, in dem ich heute 8 Tage incognito als Prof. Schmidt sitze, ist sehr einsam, wenig besucht, ähnlich im Charakter wie Rapallo . . . die Küste wild und malerisch, hohe Berge, Olivenhaine. Ich male und wandere fleißig und bin froh, die Post auf einige Wochen los zu sein. Morgen will ich nun nach der Riviera ponente übersiedeln und hoffe, in der Nähe von Genua einen wärmeren und behaglicheren Ort zu finden. Von dort schreibe ich Dir in den nächsten Tagen . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999