"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

225. Brief

Düsseldorf, 9. August 1902.




Liebste Agnes! Meine Ferienreise ist bis jetzt gut verlaufen. Montag (4. 8.) fuhr ich in 10 Stunden direkt bis Essen. Dort nahm mich Assessor Korn in Empfang (Adjutant bei Krupp) und fuhr mich durch die rußige Fabrikstadt Essen in 1/2 Stunde nach dem "Hügel", der herrlichen, ganz im Wald und Park gelegenen Besitzung von Krupp. Ich erhielt im Schloß ein fürstliches großes Zimmer mit herrlicher Aussicht. Der Empfang bei Herrn und Frau Krupp war äußerst freundlich, der ganze Aufenthalt - trotz großer Eleganz - sehr angenehm und komfortabel. Nur die Masse der überall wimmelnden eleganten Dienerschaft war mir ängstlich. Außerdem taglich ein Dutzend der verschiedenartigsten Gäste - das wäre was für Dich, mein liebes Röschen! -, Minister Thiele und Frau, Staatssekretär von Richthofen und Sohn, Gesandte aus Spanien, der Türkei etc., Geschäftsfreunde aller Art. Mahlzeiten gemeinsam in einem großen Saal: 8 1/2-9 1/2 Frühstück, 1-2 Mittag, 5-5 1/2 Fivo-oŽ-Clock-Tee, 7 1/2-10 Uhr großes Diner (feierlich!). Küche fürstlich. Abends Konzert von 3 Neapolitaner Musikanten . . . Mehrere fremde Gäste waren mir zu Ehren eingeladen. Schön waren die Spaziergänge in dem herrlichen Park, mit hohen Buchen, sehr üppigen Farnkräutern, Brombeeren etc. Dienstag 5. August, führte mich Herr Korn in den Werkstätten und Arbeiter- Kolonien von Krupp in Essen herum - großartig! Ich sah große Panzer- Platten walzen, Schienen fabrizieren, Bessemer Gußstahl gießen etc. (6 Stunden brauchten wir zum Durchgehen! . . . Abends große Gala-Tafel bei Krupp, 40 Personen). Mittwoch fuhr ich (in Equipage von Krupp) vom Hügel nach Mühlheim an der Ruhr und verbrachte 6 angenehme Plauderstunden mit meinem alten Freunde (seit 60 Jahren) Ludwig Finsterbusch, jetzt 71 Jahre, pensionierter Direktor der Höheren Töchterschule in M. Fahrt durch das hübsche Ruhrtal (mit waldigen Ufern) sehr schön, trotz starken Gewitters. Donnerstag arbeitete ich mit Herrn Krupp in seinem Zoologischen Museum (überall musterhafte Ordnung!). Nachmittag Spaziergang mit K. und K.; Freitag vom "Hügel" in 1 Stunde nach Düsseldorf; Bahnhofshotel schlecht und teuer. Ausstellung von 11 vormittags bis 10 abends besucht. Sehr großartig, schön arrangiert . . . Industrie-Objekte I. Ranges. In der Kunst-Ausstellung, die mich mehr interessierte, viele schlechte Bilder, wenig Hervorragendes, unglaubliche moderne Schmieragen und Klecksereien. - Mittwoch abend war ich bei Krupp 3 Stunden mit Rottenburg zusammen, der von Köln herübergekommen war . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999