"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

22. Brief

Tiroler Reise, Herbst 1868.




Freitag, 21. August, wanderte ich morgens früh um 4 1/2 Uhr aus Jena, bepackt mit zwei Reisetaschen von zusammen 40 Pfund Gewicht. Indes drückten mich diese nicht so sehr wie die Korrekturbogen der "Natürlichen Schöpfungsgeschichte", die mir in den letzten Tagen das Leben noch recht sauer gemacht haben. Glücklicherweise hatte sich die seit sechs Wochen herrschende furchtbare Gluthitze gerade zwei Tage vorher abgekühlt, und so ging die Wanderung in der kühlen Morgenfrische rüstig vorwärts. Um 7 Uhr war in bereits auf dem Bahnhof in Apolda und fuhr 1/2 Stunde später in 2 1/2 Stunden nach Eisennach. Hier wanderte ich zunächst in das Mariental, dann in das Annatal und die Drachenschlucht und von da auf die Wartburg. Gerade vor einem Jahr, an demselben Vormittage (21. August), hatte ich dieselbe Wanderung mit Agnes in umgekehrter Richtung angestellt. Das Wetter war heute, wie vorm Jahre, sehr schön, und die ganze Wanderung sehr erfrischend. Die Wiesen waren allerdings infolge der enormen Hitze fast verdorrt. Um 3 Uhr fuhr ich aus Eisenach und war um 6 Uhr in Koburg. Beim Aussteigen stieß ich auf Allmers, der gerade weiterreisen wollte, nun aber die Nacht doch in Koburg blieb. Er war mit zwei alten Hellebarden bewaffnet, welcher er aus der Rüstkammer des Koburger Schlosses gekauft hatte. Wir machten zusammen einen Spaziergang auf dem Festungsberg.

Sonnabend (22. August) früh 7 Uhr fuhren wir von Koburg in 5 Stunden nach Nürnberg (ebenso wie vor einem Jahr um dieselbe Zeit). Um 12 Uhr hier angelangt, nahmen wir Quartier in der "Himmelsleiter", einer alten berühmten Studendenkneipe. Um 2 Uhr wanderten wir um den Stadtgraben herum nach dem Germanischen Museum und dann durch die Straßen der altertümlichen Stadt mit ihren prächtigen Kirchenbauten, Giebelhäusern usw. Die alte Burg machte sich heute, in eigentümlicher violetter Beleuchtung, sehr malerisch und erinnerte mich lebhaft an den Besuch im vorigen Jahre! Abends waren wir mit Dr. von Eil, einem Konservator und Gelehrten des Germanischen Museums, zusammen, einem sehr netten, feinen und gescheiten Manne, den Allmers von früher kannte.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999