"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

179. Brief

Tremezze, 3. Oktober 1891.




Geliebte Herzensfrau! Nachdem die öden, einsamen Wochen des monotonen Badelebens in Baden-Baden glücklich überstanden sind, fange ich hier im herrlichen ultramontanen Süden endlich an, wieder aufzuleben und etwas neuen Lebensmut zu fassen, der infolge der zweimonatigen (!) Rheumatismus-Leiden gar sehr gesunken war. Die Kur von 27 Bädern (20 Wildbädern und 7 Dampfbädern) scheint aber doch geholfen zu haben, wenn auch leichte Gelenkschmerzen in beiden Füßen noch bisweilen fühlbar sind.

Ich verließ Baden Montag . . . und fuhr auf der schönen Schwarzwaldbahn (über Triberg, Singen) in 8 Stunden nach Zürich, wo ich übernachtete. Dienstag, an unseres lieben Walters 23. Geburtstag, bei herrlichstem Sonnenschein die schöne Fahrt über den Gotthard in 8 Stunden bis Chiasso. Hier Zollrevision an der ital. Grenze. Dann in 1/4 Stunde nach Como, Stadt und Dom besehen, kleiner Spaziergang an dem herrlichen See am W.-Ufer aufwärts. Mittwoch mittags in 2 Stunden per Dampfschiff nach dem schönen Tremezzo, wo ich in dem einizigen Albergo Bazzoni gutes und billiges Unterkommen fand. Von meinem (4 Treppen hohen) Zimmerchen herrliche Aussicht auf den See (Bellagio und San Giovanni gerade gegenüber). Freundliche Wirtsleute. Gesellschaft meistens Deutsche: Bei der Table d´hôte 16 Damen (Berlin!) und 4 Herren, außerdem ein paar Italiener und 2 Engländerinnen. Ich bleibe hier 4-5 Tage. Abend 1. Oktober bei schönstem Wetter den ganezn Tag in der prachtvollen Villa Carlotta (10 Minuten von meinem Hotel), die dem Herzog von Meiningen gehört, und wo Eggelings einmal gewohnt haben. Jetzt ist dort Oberst von Schleinitz (aus Koblenz) zu Besuch, den wir einmal bei Eggelings zu Tische sahen. Er war sehr liebenswürdig und führte mich selbst ein paar Stunden in dem herrlichen Park umher: Üppigste südliche Vegetation! Ich malte mein erstes Aquarell seit einem Jahre. Am 2. Oktober schöne Exkursion nach Bellagio (per Dampfboot 1/4 Stunde), zu Fuß nach San Giovanni, Gorla und Civenna. Tüchtige Fußwanderung von fast 4 Stunden (die erste seit 2 Monaten). Sie ist mir gut bekommen. Prächtige wilde Schlucht des Perlo-Baches, Mühlen- Ruine. 2 Aquarelle. Heute, Samstag, dickes Regenwetter (nach Sturm und Gewitter). Ich sitze den ganzen Tag, schreibe, male und ruhe mich aus! Bene!





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999