"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

153. Brief

Portofino, 21 September 1880.




Liebste Agnes! Als ich vor 7 Jahren im Roten Meere Gouverneur eines ägyptischen Kriegsschiffes war, mit 1210 Mann Bedienung, kam ich mir wie ein verzauberter Fischer vor, der plötzlich König geworden ist. Jetzt wiederholt sich diese wunderbare Metamorphose, nur daß ich diesmal vom simplen Professor zum mächtigen englischen Lord promoviert bin (just wie der alte Kesselflicker im Vorspiel zur "Widerspenstigen Zähmung")! Denke Dir nur, daß ich seit vorgestern unumschränkter Herrscher des herrlichen Schlosses und Porkes von Portofino bin, des wunderbar schönen Paradisfleckchens, das Du vor drei Jahren von Rapalla aus besuchtest!

Diese überraschende Metamorphose machte sich folgendermaßen: Nachdem ich Donnerstag, 16. September, mittags wohlbehalten in Genua eingetroffen war, besuchte ich Freitag morgen meine alten Freunde und Bekannten in Genua . . . Bei Doria, der seit 2 Jahren verheiratet ist, fand ich Prof. Peters aus Berlin und verlebte zwei sehr heitere Diners und Soupers in diesem fürstlichen Hause. Ich war ziemlich entschlossen, am Samtagabend nach der Insel Maddalena (in der Bonifacius-Straße) zu gehen, und wollte eben das Billett nehmen, als der englische Generalkonsul Montague-Brown mich aufsuchte und in der liebenswürdigsten Weise bat, einen Monat auf seinem Schloß in Portofino zuzubringen. Du erinnerst dich, daß ich im Oktober 1877, als ich mit Dir von Rapallo aus die Schöne Boot-Exkursion nach Portofino machte, auf den Berg hinaufstieg, wo das Schloß steht (während Du unten im Boote bliebst). Ich fand damals nur Frau Konsul Brown vor, die mich einlud, mit dir wiederzukommen. Allein das damalige Unwohlsein hinderte den versprochenen Besuch. Jetzt ist die arme Mrs. Brown seit 1/2 Jahren in Genua krank . . . Infolgedessen steht das Schlößchen ganz leer, und der Konsul kann nur auf einzelne Tage hinauskommen. Vorgestern morgen fuhr ich mit ihm per Bahn in 2 Stunden nach Santa Margherita und von da in einem reizenden Segel-Kutter in 1/2 Stunde hierhier. Er installierte mich hierselbst und stellte die Herrlichkeiten in liebenswürdigster Weise zu meiner freien Disposition. Ich bin demnach jetzt "Conte di Portofino" und verfüge über das reizende Schlößchen nebst Park und Bedienung von 6-12 Leuten - 1 Gärtner nebst Familie, 2 alten Frauen, 1 Leibdiener, 2 Bootsleuten -, ferner über 1 Segelboot und 2 kleine Boote, dann unten am Hafen über ein neues Häuschen mit 6 Zimmern, in denen ich mein Laboratorium aufgeschlagen habe. Die alte Köchin (die schon 40 Jahre im Hause des Konsuls dient) bereitet mir 3mal täglich die herrlichsten Mahlzeiten; dazwischen ein wundervolles Seebad und abends eine reizende Promenade. Kurz, ich lebe wie im Paradiese und bedaure nur, daß Ihr Lieben nicht hier seid, und besonders Du, mein geliebtes Dornröschen . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999