Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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182 9. Die verschiebenden Kräfte.

nur um eine vorläufige Mitteilung handelt (die angekündigte endgültige ist leider noch immer nicht erschienen), so scheint es doch sehr wahrscheinlich zu sein, daß die am deutlichsten erkennbare allgemeine Bewegung der Kontinente, ihre Westwanderung, sich aus den Anziehungswirkungen der Sonne und des Mondes auf die zähflüssige Erde erklären läßt.

Schweydar ist aber der Ansicht, daß auch die aus den Schweremessungen zu schließenden Abweichungen der Erdfigur vom Rotationsellipsoid Anlaß zu Fließbewegungen im Sima und damit auch zu Kontinentverschiebungen geben können: „Man kann aber auch eine Strömung des Simas, wenigstens in früheren Epochen, vermuten. Helmert hat in seiner letzten Arbeit aus der Schwerkraftverteilung auf der Erdoberfläche gefolgert, daß die Erde ein dreiachsiges Ellipsoid ist; der Äquator bildet eine Ellipse. Die Differenz der Achsen dieser Ellipse beträgt nur 230m; die große Achse schneidet die Erdoberfläche in 17° westl. Länge (Atlantischer Ozean), die kleine Achse in 73° östl. Länge (Indischer Ozean). Nach den Theorien von Laplace und Clairaut, über die wir in der Geodäsie nicht hinausgekommen sind, wird die Erde wie eine Flüssigkeit gebaut betrachtet, d. h. der Druck in der festen Erde (abgesehen von der Erdrinde) wird von der Natur des hydrostatischen Druckes angenommen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist das Helmertsche Ergebnis unverständlich. Die hydrostatisch gebaute Erde kann bei ihrer Abplattung und Rotationsgeschwindigkeit kein dreiachsiges Ellipsoid sein. Man könnte nun annehmen, daß die Abweichung von einem Rotationsellipsoid durch die Kontinente hervorgerufen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Ich habe die Rechnung unter der Voraussetzung, daß die Kontinente schwimmend gelagert sind und die oben angeführte Dicke [200 km; Dichtedifferenz zwischen Sial und Sima 0,034 (Wasser == 1)] haben, durchgeführt und gefunden, daß die Verteilung der Kontinente und Meere eine Abweichung der mathematischen Erdgestalt von einem Rotationsellipsoid hervorruft, die bedeutend kleiner ist als die von Helmert gefundene. Außerdem liegen die Achsen der äquatorialen Ellipse völlig anders als bei Helmert; die große Achse fällt in den Indischen Ozean. Es müssen also größere Teile der Erde Abweichungen von dem hydrostatischen Bau haben."

„Nach meiner Rechnung kann das Helmertsche Ergebnis erklärt werden, wenn eine 200 km dicke Simaschicht unter dem Atlantischen Ozean um 0,01 dichter ist als unter dem Indischen Ozean. Ein solcher


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003