Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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160 8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw.

Gebirge, durch welches letzteres nahezu isostatisch kompensiert ist. „Man kann hier nur zu der bereits von manchen Geophysikern und von Heim ausgesprochenen Auffassung kommen, daß nicht Lockerung das Defizit bewirkte, sondern daß durch die Faltung die oberen, relativ leichten Teile der Erdrinde gewaltig verdickt sind, und daß dieser Wulst während seiner Entstehung in die plastische Unterlage einsank. Das Faltengebirge wuchs nicht nur in die Höhe, sondern durch sein Gewicht auch in die Tiefe: dem Faltenhochgang steht, wie sich Heim dafür ausdrückt, ein noch größerer Faltentiefgang gegenüber." Wir können also in der Karte geradezu die angenäherte Topographie der Unterseite der Sialrinde erblicken; unter den Alpen, wo die Schwereanomalie den größten negativen Wert erreicht, senkt sich auch die Unterseite der Sialrinde am tiefsten in das Sima hinab.

Aber auf was es uns hier ankommt, ist ein genauer Vergleich der Lage dieser unterirdischen Massenwülste relativ zur Lage der Gebirge, zu dessen Durchführung wir den Leser bitten, einen Atlas zur Hand zu nehmen. Man wird dabei leicht feststellen, daß das Schweredefizit systematisch nach Nordosten verschoben ist.

Diese auffallende Tatsache besagt also, daß die unterirdischen Massenwülste sämtlich mehr oder weniger nach Nordosten umgekippt und verfahren sind. Dies deutet aber mit Bestimmtheit auf eine Bewegung der europäischen Kontinentalscholle relativ zum darunterliegenden Sima nach Südwesten, bei der ihre nach unten gerichteten Hervorragungen im Sima durch Reibung festgehalten werden. Hätten wir derartige Karten der Schwerestörung für die ganze Erde, so könnten wir jedenfalls überall da, wo es junge Schollen-verdickungen gibt, die Bewegungsrichtung relativ zum darunterliegenden Sima feststellen. Es ist dies, wie es scheint, die einzige direkte Methode, die Krustenwanderung festzustellen. Bei Europa geht sie nach Südwesten, hat also eine Komponente nach Westen, die der Gesamtkrustendrehung nach Westen entsprechen dürfte, und eine nach Süden, einer Krustenwanderung zum Äquator entsprechend.

Wir wollen nun versuchen, die Frage zu beantworten, ob die oberflächlichen Polwanderungen durch Verschiebungen der Kruste über ihre Unterlage erzeugt werden können.

Dabei könnte es sich offenbar nur um eine Gesamtkrustendrehung handeln, und zwar um eine von der Rotationsachse stark


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003