Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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8. Grundsätzliches über Kontinentverschiebungen usw. 157

Oberfläche aus nötig wären, so daß uns der Internationale Breitendienst doch nur eine Annäherung an die absolute Polwanderung liefern kann. Genau würde sich die letztere nur dann ergeben, wenn die Stationen des Breitendienstes ihre gegenseitige Lage nicht durch Kontinentverschiebung veränderten. Daß sie dies aber tatsächlich tun, scheint aus dem von Schumann [220] hervorgehobenen Umstand hervorzugehen, daß sich bei der Ableitung der Polbahn Restfehler ergeben, die wegen ihres systematischen Charakters nicht als Beobachtungsfehler gedeutet werden können, deren Herkunft aber zunächst nicht ersichtlich ist.

Es ist meines Erachtens von großer Wichtigkeit, die Polwanderungen in der angegebenen Weise als oberflächliche zu definieren und auf diese Weise die Streitfrage, ob sie durch Verschiebung der Kruste über ihre Unterlage oder durch innere Achsenverlagerung entstehen, von der Feststellung ihrer Realität zu trennen. In der bisherigen Literatur ist das nicht geschehen, und die Folge davon sind Unklarheit und Verwirrung. Bisher werden Polwanderungen von den Geologen empirisch nachgewiesen (bzw. die heutige Polwanderung von den Geodäten aus den Breitenbestimmungen abgeleitet), manche Geophysiker bestreiten aus theoretischen Gründen ihre Möglichkeit, und eine dritte Klasse von Autoren macht den Vermittlungsvorschlag, sie bestünden nicht in inneren Achsenverlagerungen, sondern nur in Drehungen der Kruste über ihre Unterlage. Um aus den Unklarheiten herauszukommen, ist eine strengere Begriffsbildung nötig, und der erste Schritt dazu ist der, daß wir Polwanderungen als oberflächliche definieren; solche oberflächlichen Polwanderungen sind sowohl für die geologische Vorzeit wie für die Gegenwart nachgewiesen, und es hat also keinen Sinn, über ihre Möglichkeit zu diskutieren.

Unter Krustenwanderung und Krustendrehung wollen wir Bewegungen der Erdkruste relativ zu ihrer Unterlage verstehen. Das Wort Kruste enthält ja den Gegensatz zum Innern der Erde, so daß diese Definition eine naturgemäße ist. Anzeichen für solche Krustenwanderung über die Unterlage haben wir mannigfacher Art, doch gestatten diese Anzeichen nur eine Beurteilung der Verschiebungsrichtung, aber nicht der Größe.

Zunächst haben wir zahlreiche Anzeichen für eine Gesamt-krustendrehung, die nach Westen gerichtet ist, also um eine mit der Rotationsachse übereinstimmende Achse vor sich geht. Hierher gehört die Erscheinung, daß kleine Schollen relativ zu großen nach


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003