Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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100 6. Paläontologische und biologische Argumente.

bildung die Tatsachen der Geologie und der Geophysik mitverwerten, denn sonst droht auch ihm ein nutzloses Irregehen. Es ist nicht unnütz, dies zu betonen. Denn soweit ich sehen kann, steht heute ein großer Teil der Biologen auf dem Standpunkt, daß es gleichgültig sei, ob man versunkene Zwischenkontinente oder Kontinentverschiebungen annimmt. Und dies ist verkehrt. Auch der Biologe kann, ohne fremden Meinungen blind zu glauben, selbst einsehen, daß die Erdrinde aus leichterem Material bestehen muß als das Erdinnere, und daß folglich, wenn die Tiefseeböden abgesunkene Kontinente wären und also das leichte Rindenmaterial in gleicher Mächtigkeit besäßen wie die Kontinente, die Schweremessungen auf den Ozeanen das Fehlen der Anziehung einer 4 bis 5 km mächtigen Gesteinsschicht anzeigen müßten. Und sie müssen selbst imstande sein, aus der Tatsache, daß dies nicht der Fall ist, vielmehr auf den Ozeanen etwa Normalschwere herrscht, den Schluß zu ziehen: also ist die Annahme versunkener Zwischenkontinente auf Schelfgebiete und überhaupt flache Meeresteile zu beschränken, aber für die großen Tiefseebecken auszuschalten. Nur bei solcher Fühlung mit den Nachbarwissenschaften kann die Lehre von der einstigen und heutigen Verbreitung der Organismen auf der Erde ihr reiches Tatsachenmaterial mit vollem Gewicht zur Ermittlung der Wahrheit in die Waagschale werfen.

Ich habe diese grundsätzlichen Erörterungen vorausgeschickt, weil sie mir in der biologischen Literatur über die Verschiebungstheorie bisher oft nicht genügend berücksichtigt zu sein scheinen, und zwar auch da, wo die betreffenden Verfasser zu einem günstigen Urteil über die Verschiebungstheorie kommen, v. Ubisch [117, 227], Eckhardt [119], Colosi [118], de Beaufort [123] u. a. haben zusammenfassende Referate über die Stellung der Biologie zur Verschiebungstheorie geschrieben, wobei sie dieser im allgemeinen zustimmen, aber fast immer ohne den angeführten Gesichtspunkten genügend Rechnung zu tragen. Und so ist es nicht verwunderlich, daß" auch Fälle vorkommen, wie der von Ökland [116] oder v. Ihering [122], wo der erstere für den Nordatlantik, der zweite für den Südatlantik bei einer Prüfung der Verschiebungstheorie zu dem Schluß kommen, daß sie jedenfalls nicht besser sei als die der versunkenen Zwischenkontinente, oder letztere sogar vorzuziehen sei. Die Fragestellung ist eben verkehrt. Es handelt sich im Bereich der Tiefseebecken nicht darum, ob die Verschiebungstheorie oder die Theorie der versunkenen Zwischenkontinente vorzuziehen ist,


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003