Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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4. Geophysikalische Argumente. 57

zähflüssig, so tritt die kleine Periode erst bei dem Wert 1018 auf, dagegen bei 1013, wenn nur die Schicht zwischen 120 und 600 km Tiefe als zähflüssig vorausgesetzt wird. Da die Rechnung nur für konstante Dichte im Erdkörper ausgeführt werden konnte, kann das Resultat nur als eine erste Orientierung betrachtet werden. Bei späterer Gelegenheit hat Schweydar einmal den Wert 1019 benutzt unter der Annahme, daß nur die Schicht zwischen 100 und 1600 km Tiefe fluid ist.

Schweydar ist ein Verfechter der hohen Werte für die Zähigkeit. Dennoch kommt er selbst zu dem Ergebnis: „Immerhin muß es als möglich bezeichnet werden, daß die Kontinente unter der Einwirkung der Polfluchtkraft eine nach dem Äquator gerichtete Verschiebung erleiden" [40]. Über diese Polfluchtkraft und die Rechnung, die zu diesem Ergebnis führt, wird später das Nötige gesagt werden.

Noch höhere Werte des Zähigkeitskoeffizienten, nämlich 1021 in der Schicht, wo er am kleinsten ist, hat Jef f reys [53] angenommen. Soweit mir bekannt, ist dies die extremste Annahme.

Andererseits erheben sich aber in neuester Zeit Stimmen, die gerade erstaunlich kleine Zähigkeitskoeffizienten, wenn auch nur in einer relativ dünnen Schicht, annehmen. So geht Meyermann [64,65] von der auf astronomischem Wege neuerdings nachgewiesenen Tatsache einer Ungleichförmigkeit der Erdrotation aus: „1700 z. B. befand sich jeder Punkt der Erdoberfläche etwa 15 Sekunden östlich, 1800 etwa ebensoviel westlich, 1900 etwa 10 Sekunden östlich und 1924 über 20 Sekunden westlich des ihm auf einer gleichmäßig rotierenden Erde zukommenden Ortes. Da es ausgeschlossen ist, daß die Erde als ganze derartige Schwankungen ausführt, sehe ich in diesen einen Beweis dafür, daß die Erdkruste gegenüber dem Kern eine Westdrift besitzt... Wächst die Reibung, so wird die Westdrift geringer. .. Nimmt die Reibung ab, so bewegt sich umgekehrt die Erdoberfläche gegenüber der hypothetischen Erde nach Westen." Sowohl in den Elementen des Erdmagnetismus wie auch in der Schwankung der Tageslänge trete eine Periode von 270 Jahren auf; hieraus schließt Meyermann auf einen vollen Umlauf der Kruste in der erstaunlich kurzen Zeit von 270 Jahren und kommt demgemäß, wenn die Fluidität auf eine Zone von 10 km Dicke beschränkt ist, auf einen Reibungskoeffizienten in dieser Schicht von nur etwa 103 (21 mal dickflüssiger als Glycerin bei 0°). Es muß aber vorläufig dahingestellt bleiben, ob seine Deutung


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003