Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)

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1. Geschichtliche Vorbemerkungen.

von großen horizontalen Relativverschiebungen der Kontinente vorkommen. Die Kontinente -- deren Schelfe er allerdings nicht mit berücksichtigt -- erleiden nach ihm nicht nur Verschiebungen, sondern auch Deformationen; sie wandern sämtlich nach Westen, gezogen durch die Flutkräfte der Sonne im zähflüssigen Erdkörper (was auch E. H. L. Schwarz [7] annimmt). Aber die Ozeane sind auch bei ihm versunkene Kontinente, und über die sogenannten geographischen Homologien und andere Probleme des Erdantlitzes äußert er phantastische Vorstellungen, die wir übergehen. Ebenso wie der Verfasser ist auch Pickering von der Kongruenz der südatlantischen Küsten ausgegangen in einer Arbeit [8], in der er die Vermutung ausspricht, Amerika sei von Europa-Afrika abgerissen und um die Breite des Atlantik fortgezogen worden. Er hat aber nicht beachtet, daß man in der geologischen Geschichte dieser beiden Kontinente tatsächlich einen früheren Zusammenhang bis zur Kreidezeit anzunehmen genötigt ist, und so verlegte er diesen Zusammenhang in eine graue Vorzeit und dachte sich das Abreißen verbunden mit der von G. H. Darwin angenommenen einstmaligen Abschleuderung der Mondmasse von der Erde, deren Spur er noch im pazifischen Becken zu sehen meinte.

Mantovani [86] hat 1909 in einem kurzen Artikel Ideen über Kontinentverschiebungen geäußert und durch Kärtchen erläutert, die zwar zum Teil von den meinigen abweichen, an einigen Stellen aber, wie z. B. in bezug auf die ehemalige Gruppierung der Südkontinente um Südafrika, erstaunlich damit übereinstimmen. Brieflich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß Coxworthy in einem nach 1890 erschienenen Buch die Hypothese ausgesprochen haben soll, die heutigen Kontinente seien die zerrissenen Teile einer ehemals zusammenhängenden Masse [9]. Selbst hatte ich keine Gelegenheit, dies Buch einzusehen.

Große Ähnlichkeit mit meinen eigenen Ideen fand ich auch in einer 1910 erschienenen Arbeit von F. B. Taylor [10], in welcher dieser für die Tertiärzeit nicht unbedeutende horizontale Verschiebungen einzelner Kontinente annimmt, die er dann mit den großen tertiären Faltensystemen in Zusammenhang bringt. Für die 'Lostrennung Grönlands von Nordamerika kommt er z. B. zu praktisch den gleichen Vorstellungen wie ich. Beim Atlantik nimmt er an, daß nur ein Teil seiner Breite durch Fortziehen der amerikanischen Schollen entstanden sei, während der Rest abgesunken sei und die mittelatlantische Bodenschwelle darstelle. Auch diese

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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen, Bearbeitung und OCR durch Kurt Stüber, Oktober 2003.
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© Kurt Stueber, 2003