Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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122 Der Abzug der Schwarzen.

Phascolarctus cinereus, herannahte. Um diese Zeit schoß ich das erste trächtige Weibchen und konzentrierte nunmehr, wo jede Arbeit in den immer höher werdenden Flüssen unmöglich wurde, meine Tätigkeit auf die Gewinnung einer möglichst vollständigen Entwicklungsreihe dieses interessanten Beuteltieres.

Die Beutelbären am Burnett, von den Schwarzen »Gulla« genannt (in dem Eingeborenen-Dialekt im Süden des Erdteils heißt er Koala, und diesen Namen findet man in vielen naturgeschichtlichen Lehrbüchern als »einheimischen« angegeben), sind ausschließlich Baumtiere. Ihre Nahrung besteht aus den Blättern der Eucalypten; auf die Erde begeben sie sich nur, um von einem Baum zum ändern zu gelangen, wozu sie häufig genug gezwungen sind, weil die Bäume im australischen Busch weit voneinander entfernt stehen. Während sich die ändern Baumbeutler, Trichosurus, Pseudochirus und Petaurus, tagüber in hohlen Baumlöchern versteckt halten, in die sie sich flüchten, sobald sie sich verfolgt sehen, macht Phascolarctus von derartigen Verstecken keinen Gebrauch. Er ist wohl zu kräftig und wehrhaft, um den Angriff der Raubvögel oder der räuberischen Beutelmarder (Dasyurus) fürchten zu müssen, und wohl auch zu groß, um leicht ein passendes Versteck zu finden. Er verbirgt sich, wenn er nicht äst, einfach im Astwerk und ist, solange er sich unbeweglich hält, bei seiner unscheinbaren grauen Färbung auch gar nicht leicht zu sehen. Übrigens ist er keineswegs ausschließlich ein Nachttier; sehr häufig sah ich ihn bei Tage in den Eucalyptusbäumen herumklettern , wobei er die an den Flußufern stehenden blue gum zu bevorzugen scheint. Denn ich fand ihn fast nur in der Nähe der Flußufer oder auf den Bäumen an den Rändern stehender Gewässer.

Zur Brunstzeit schreien die Männchen mit weit schallenden schluchzenden Lauten, meistens abends und nachts, zuweilen aber auch am hellen Tage. Die Brunstzeit beginnt am Burnett Ende Oktober, für die frühesten Exemplare. Erst Mitte bis Ende November fand ich aber die Mehrzahl der Weibchen trächtig. Es scheint durchweg nur jedesmal ein Junges erzeugt zu werden, das nach kurzer Tragezeit in sehr unentwickeltem Zustande geboren wird und seine weitere Entwicklung nun im Beutel, fest angesaugt an die Zitze, durchmacht. Dieses Junge trägt die Mutter ein ganzes Jahr lang mit sich herum, bis sie im nächsten Jahre wieder trächtig wird. Wenn es einige Monate alt ist, wird ihm der Beutel zu dauerndem Aufenthalt zu klein, und es beginnt neben der Muttermilch auch andre Nahrung zu nehmen. Es wird dann von der Mutter auf dem Rücken herumgeschleppt, kehrt aber anfangs noch jedesmal, wenn Gefahr droht, in den Beutel zurück.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003