Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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38 Erste Erfahrungen im Busch.

Größe des bekannten amerikanischen Waschbären und demselben entfernt ähnlich, aber viel plumper. Bemerkenswert ist die Verkümmerung des Schwanzes, die ihn von den meisten ändern Beuteltieren unterscheidet und bei einem Baumtier besonders auffallend ist. Beobachtet man aber die langsamen bedächtigen Bewegungen des Tieres, sieht man, wie es beim Klettern nur immer der fortlaufenden Straße, das heißt den Verzweigungen der Äste folgt und sich an sie mit seinen scharfen, kräftigen Krallen anklammert, niemals aber frei von Ast zu Ast springt, so wird einem klar, daß es des Schwanzes nicht bedarf, der bei temperamentvolleren Baumtieren als Balancier-und Schwungapparat beim Springen und Hinüberschwingen von Ast zu Ast dient. In dieser Beziehung erinnert Phascolarctos an die Faultiere und wird auch von einigen als australisches Faultier bezeichnet. Natürlich hat er seinem anatomischen Bau nach weder mit Bären, Waschbären oder Faultieren etwas zu tun; er ist ein echtes Beuteltier wie die Känguruhs und Beuteldachse, so wenig er auch diesen Verwandten ähneln mag.

Mein Schuß verwundete das Tier; im Fallen gelang es ihm aber, mit den Vorderpfoten einen starken Ast zu ergreifen und seinen Sturz aufzuhalten. So hing es eine Weile frei an den Vorderfüßen und versuchte vergeblich die Hinterfüße nachzuziehen und sich ganz auf den Ast zu schwingen. Da ich jeden Augenblick erwartete, es würde herabfallen, zögerte ich einen zweiten Schuß abzugeben. Frank unterrichtete mich aber über die Lebenszähigkeit und Kraft dieser Tiere und sagte mir, sie könnten verwundet in dieser Stellung viele Stunden sich festhalten, ehe sie vor Erschöpfung und Schwäche herabfielen. Mein zweiter Schrotschuß verwundete den Kopf und den linken Vorderlauf. Eine Weile hing das Tier noch allein am rechten Vorderlauf, dann stürzte es schwer herab und starb wenige Minuten darauf. Es war ein starkes vollausgewachsenes Weibchen, das ein etwa halbjähriges Junges von 20 cm Länge auf dem Rücken trug. Das arme Tierchen klammerte sich mit seinen scharfen Krallen an seine tote Mutter an und wollte sich durchaus nicht losreißen lassen. Ich dachte daran, es mit in mein zu errichtendes Lager zu nehmen und dort großzuziehen. Am nächsten Morgen aber fand ich, daß es nachts den erkalteten Körper seiner Mutter verlassen hatte und entwichen war.

Am Nachmittag dieses Tages kam Dahlke mit den Pferden und einer geborgten Dray zurück. Der Übergang über den Creek mit der leeren Dray bereitete keine Schwierigkeiten, bald war das gesamte Gepäck wieder aufgeladen, und als wir uns am Abend zur


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003