10. Abschnitt: Andenquertäler nörlich Lima.

Lima (1 Million Einwohner) macht auf den, der von den Anden kommt einen großen Eindruck. Es ist eine prächtige Hauptstadt fast westlichen Stils, aber doch mit dem großen Reiz der Fremde. Moderne Hochhäuser, schöne alte Architekturen, weite Parks und Plätze und südliches Leben prägen diese Stadt, in der die Hälfte des Jahres strahlende Sonne herrscht. In der anderen Hälfte allerdings herrscht der dichte Nebel, die Garua. Der Vorort Miraflores mit den modernen Wohnbauten und blütenübersäten Gärten, gegen den Strand des Pazifiks gelegen, schien uns das Schönste, das wir bisher gesehen hatten. Sogar etwas Südseezauber klang an, wenn man den Wellenreitern im Waikikiklub zusah. Aber Lima war nicht Peru. Wer das andere Peru der Anden kennengelernt hatte, musste das Missverhältnis zu der Vernachlässigung allenthalben im Lande und zu den unglaublichen wirtschaftlichen und sozialen Zuständen dort stark empfinden.

Wir machten in der Deutschen Botschaft unseren Besuch und wurden wie stets freundlich empfangen. Unsere Wünsche nach Heimsendung wichtigen Materials per Luftkurier konnte Legationsrat Dr. Schmid erfüllen, und er versprach seine Hilfe bei der Einfuhrgenehmigung unseres Wagens, die zum Verkauf erforderlich war.

In Miraflores unterhält die Humboldtstiftung mit Unterstützung der peruanischen Regierung ein Haus, das zum Wohnen und Arbeiten für deutsche Wissenschaftler bestimmt ist. Leiter des Humboldthauses ist der Zoologe Dozent Dr. H.W. Koepke, der mit seiner Frau Maria, einer Ornithologin, an der Universität in Lima tätig ist. Rührend waren beide mit Rat und Tat um uns bemüht. Dies Haus mit seinen großen Sälen zum Arbeiten, einer kleinen Laboreinrichtung und der angenehmen persönlichen Atmosphäre ist für die in Lima zeitweise tätigen oder durchreisenden Wissenschaftler von größtem Nutzen. Nicht zu unterschätzen ist auch die persönliche Hilfe, die das Ehepaar Koepke durch seine Verbindung mit Regierungsstellen gibt.

Wir suchten den Botaniker Professor Ferreyra im naturwissenschaftlichen Museum auf und studierten die Exikkate von Solanum, Phaseolus, Lupinus und Lycopersicum im dortigen Herbar.

Es war unser Plan, einige Quertäler nörlich Lima zu durchsuchen. Nachdem der Wagen wieder instand gesetzt worden war, machten wir zunächst eine Exkursion in das Tal des Rio Chillon.

Nach Durchquerung der Küstenwüste trafen wir auf eine der vielen Flußoasen, die durch ihre Mais- und Zuckerrohrpflanzungen für die Westküste von so großer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Dann ging es in das Tal hinauf. Es begann mit einer xerophytischen Formation von Kakteen- und Tillandsien, die mit einigen Lycopersicumarten untermischt waren. Sehr stattlich war der fünfrippige Kaktus Neoraimondia rosiflora. Mit dem Ansteiger der Straße wurde der Charakter immer mehr mesophytisch und bei Canta, unserem Endpunkt in 2900m Höhe, traten Elemente der Bergmatten auf. Auf dieser Exkursion trafen wir wieder auf Lycopersicum. Dr. Rimpau hatte schon auf der Fahrt nach Huancayo durch das Rimactal nach Lima Lycopersicum glandulosum gefunden, eine Art, die auf das Rimactal beschränkt ist. Hier im Tal des Rio Chillon gab es noch L. pimpinellifolium, L. peruvianum ssp. commutatum und das 2.50m hoch werdende L. hirsutum. Es lehnt sich gern auf große Gebüsche und hat grüne fast wollig behaarte Früchte. Es ist eine Charakterart der oberen Talstufen.

Die einzige Solanumart, die wir antrafen, war S. medians in der Umgebung von Canta, eine Tuberosa, die auch der Lomaformation eigentümlich ist. Durch uns wurde diese Art, die sonst nur in der Küstenloma gefunden wurde, nun zum ersten Mal auch im Gebirge in einer durchaus hygrophytischen Formation festgestellt. Nachdem nun schon drei von den sechs Lomaarten (ausser S. medians noch S. weberbaueri und S. maglia) sowohl in der Küstenloma wie in hygrophytischen Gebirgsformationen gefunden worden sind, muß man wohl schließen, daß diese Arten rezent vom Gebirge, wo die Serie Tuberosa unstreitig ihre Hauptverbreitung besitzt in die Küstenwüste gewandert sind. S. maglia ist diploid. Chromosomengeographisch ist es interessant, daß an der Küste, also einem Sekundärstandort, auch triploide Formen von S. maglia vorkommen. S. medians hat an der Küste diploide und triploide Rassen, und eine andere Lomaart, S. wittmackii, ebenfalls an der Küste, diploide und tetraploide Rassen.

Zwei Lupinus spec., daneben Oxalis, Peperomia und Tradescantia für die Untersuchungen von Herrn Diers waren ein weiteres Ergebnis. Besonders überrascht wurden wir durch eine schöne Orchidee, die einen Hyazinthen ähnlichen Blütenstand aus rot-weissen Einzelblüten besaß (Porphyrostachis pilifera).

Auf der Rückfahrt hatte der Wagen zwei Reifenpannen kurz hintereinander. Wir hatten keine Wahl und mußten ihn stehen lassen. Ein vorbeikommender Kombi nahm uns mit nach Lima. Am nächsten Tag fuhr Dr. Rimpau mit dem Wagen einer Reparaturwerkstätte zurück, um den Reifen zu wechseln und unseren Dodge heim zu holen.

Die nächste Exkursion von Lima aus unternahmen wir ins Tal des Rio Santa zwischen der schwarzen und weißen Kordillere. Die Straße führt durch das Quertal des Rio Fortaleza, von wo über die Lagune von Conococha das Längstal des Rio Santa erreicht wird.

Die Vegetationsstufen sind im Quertal die gleichen wie im Tal des Rio Chillon. Auffallend sind die an den Felswänden herabhängenden Kakteen Haagocereus acranthus var. fortalezensis. Hier fanden wir auch zum ersten Mal Lupinus paniculatus, das ein bis 3 m hohes kleines Bäumchen bildet. Von Solanum sammelten wir zwischen 2500 und 2900 m vier Nummern. Die Formen waren uns sämtlich unbekannt und passen auf keine Diagnose. Eine Art hatte 1 m Wuchslänge. Einige Lycopersicum pimpinellifolium und peruvianum vervollständigten die Sammlung.

Wagenreparatur

Kurz vor Huaraz muckte der Wagen und war nicht zum Weiterfahren zu bewegen. Es war inzwischen dunkel geworden. Wir waren froh, daß uns ein Wagen nach Huaraz mitnahm. Am nächsten Morgen wurde unser Dodge in eine Werkstatt geschleppt. Die Instandsetzung dauerte einen halben Tag. Diese Schwierigkeiten mit dem Wagen begannen jetzt häufiger zu werden. Angesichts des Straßenzustands auf den dreimonatigen Fahrten durch die Anden ist das nicht ungewöhnlich, zudem der Wagen beim Kauf bereits 60000 km gefahren war. Die Rückfahrt nach Lima traten wir durch das Tal des Rio Casma an. Hier war die Ausbeute ein Lycopersicum hirsutum und mehrere Lupinen, dazu Tillandsia spec. etc.

In Lima suchte uns der Archäologe Prof. Herxheimer auf, mit dem wir interessante Diskussionen über die Landwirtschaft in den altperuanischen Küstenkulturen hatten. Er führte uns auch durch das Archäologische Museum.

Inzwischen war Herr Diers eingetroffen, der bisher mit Standquartier Cochabamba gesammelt hatte. Auch er hatte Erfolg gehabt und war ohne größere gesundheitliche Störungen geblieben.

Jetzt galt es, das Material zu sichten, zu ordnen und zu verpacken, sowie die Angelegenheit des Wagenverkaufs zu regeln, denn der letzte Abschnitt der Expedition in den nordperuanischen Anden sollte per Flugzeug und mit einem von der landwirtschaftlichen Station in Piura entliehenen Wagen zurückgelegt werden. Der Staatssekretär für Landwirtschaft, Señor Salce hatte uns auf Ansuchen Prof. Rudorfs bereits ein empfehlendes Schriftstück für die Behörden während unserer Reisen in Peru ausgestellt. Er verwandte sich auch weiter für uns, indem er telephonisch in Piura einen Wagen für unsere Exkursion beorderte.

Der Wagenverkauf erwies sich als sehr schwierig. Die Deutsche Botschaft übernahm es, zunächst eine Einfuhrbewilligung zu erwirken, da der Wagen bisher nur auf Carnet de passage, d. h. mit der Verpflichtung, ihn wieder aus Peru auszuführen, gelaufen war. Diese Bewilligung zu erlangen, nahm Wochen in Anspruch. Auch die notwendigen Reparaturen brauchten ihre Zeit, so daß mit einem Verkauf des Wagens durch Dr. Rimpau oder mich keinesfalls zu rechnen war. Herr Diers wurde gebeten, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Aber auch sein Abreisetermin lag zu früh, um alles erledigen zu können. Inzwischen konnte er aber verkauft werden.