Oscar Hertwig:
Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus

Dritter Teil. A. II.

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II. Wege und Ziele der positiven Auslese.

Nachdem ich auf Grund vieler Schriften ein Bild von den Ansichten der sozialen Darwinianer über das Wirken der negativen Selektion in der menschlichen Gesellschaft, über ihre Wünsche und Bestrebungen auf diesem Feld in kurzen Umrissen gegeben habe, gehe ich zur Besprechung der positiven Auslese über. Hier bietet sich eine doppelte Aufgabe dar. Einmal sollen in der menschlichen Gesellschaft die Tüchtigen durch geeignete Maßregeln erkannt und in jeder möglichen Weise gefördert werden, so daß die ihnen schon angeborene Tüchtigkeit im Kampf ums Dasein noch mehr zur Geltung kommt. Damit allein ist aber die Bahn für den Rassenfortschritt noch nicht freigemacht. Es müssen auch Verhältnisse geschaffen werden, daß nur die Tüchtigen sich in entsprechend reichem Maße fortpflanzen, damit ihre Vorzüge in ihren Nachkommen durch viele Generationen hindurch erhalten bleiben. Also hat die Auslese vor allen Dingen auch im Hinblick auf die Fortpflanzung der Auserwählten zu erfolgen: die Fortpflanzung muß im Dienste der Rassenhygiene eine Zuchtwahl sein. Denn wie DARWIN die außerordentliche Übervermehrung der Lebewesen zu einer der wichtigsten Grundlagen für seine Schlußfolgerungen macht, so muß auch der zielbewußte Rassenhygieniker eine genügend starke Volksvermehrung als unerläßliche Vorbedingung für seine Rassenpolitik verlangen, damit auch nach dem Ausjäteprozeß der Untauglichen noch ein ausreichend großes Auslesematerial für die weitere kräftige Entwicklung eines Volkes zurückbleibt. Er tritt hierdurch zu den Lehren des Malthusianismus in direkten Gegensatz. Er muß eine starke Volksvermehrung, die TILLE einmal sogar als den einzigen Fortschrittshebel bezeichnet (1895, l. c. S. 185> auch im Interesse des Daseinskampfes zwischen den einzelnen Völkern anstreben. Denn nur diejenigen Rassen haben am meisten Aussicht im großen Daseinskampf als Sieger zu bestehen, welche nicht nur die Tüchtigsten sind, sondern sich auch am raschesten vermehren, damit sie die anderen verdrängen und die Welt allmählich mit ihrem Samen erfüllen.

So etwa läßt sich das Programm für die positive Auslese zusammenfassen. In ihren Vorschlägen zur Erreichung des Ziels trennen sich aber gleich die Vertreter des sozialen Darwinismus in zwei Gruppen. Die eine Gruppe glaubt die Aufgabe unter Beibehaltung der monogamen Geschlechtsordnung, wie sie bei den meisten Kulturvölkern besteht, erreichen zu können. Nur muß fortan die staatliche Bevölkerungspolitik nicht nur eine "quantitative", auf eine bloß zahlenmäßige Vermehrung des Nachwuchses gerichtete sein, sondern eine "qualitative" werden (SCHALLMAYER). Für sie hat GALTON die Bezeichnung "Nationaleugenik" gebraucht. In ihr sieht SCHALLMAYER die weitaus wertvollste Folge des Darwinismus (1910, l. c. S. IX).

Zur Erreichung ihrer Aufgabe verlangt die Nationaleugenik, daß die Eheschließungen von Staats wegen strenger reguliert werden. Auf der einen Seite ist durch Eheverbote zu wirken. So sind alle Verbrechernaturen, alle erblich Belasteten oder an chronischen Krankheiten, wie Tuberkulose, Syphilis usw. Leidenden, überhaupt alle auch in anderer Weise Minderwertigen von der Ehe und überhaupt von der Fortpflanzung auszuschließen. Auf der anderen Seite soll gleichzeitig die reichlichere Vermehrung der sozial Tüchtigen durch staatliche Maßnahmen direkt gefördert werden. Es soll sich eine vernünftige Sexualethik auf der Grundlage der DARWIN'schen Auslesetheorie ausbilden; rassendienstliche Gesichtspunkte sollen bei Eheschließungen hauptsächlich den Ausschlag geben. So wird, um ein Beispiel für die hier vorliegenden Bestrebungen anzuführen, von einer Seite vorgeschlagen, den Rassenwert der Männer und Frauen sowohl nach ihren Leistungen als auch nach ihren erbbiographischen Feststellungen über ihre Vorfahren staatlich zu ermitteln; ferner die Mütter aus dem Gesamteinkommen zu honorieren, je höher der Vater des Kindes staatlich bewertet ist; endlich entsprechend dieser Einschätzung auch die Kinderzahl zu bemessen, für welche der Staat einen Beitrag zu leisten hätte. Durch eine derartige Fortpflanzungsauslese würde dann, wie SCHALLMAYER (1910, l. c. S. 422) zuversichtlich hofft, "die soziale Leistungsfähigkeit der Bevölkerung auch durch ein Steigen ihres Begabungsniveaus, infolge der vorwiegenden Fortpflanzung der sozial Tüchtigeren, sich vergrößern". Daher könne es "einen verheißungsvolleren und zuverlässigeren Weg zum Glück der künftigen Menschheit kaum geben als den, welchen die rassendienstliche Ethik weist" (l. c. S.444).

Indem ich es unterlasse, auf andere Vorschläge, die unter Beibehaltung der Einehe noch gemacht worden sind, näher einzugehen, wende ich mich zu den Vertretern der zweiten Gruppe. In ihr ist der Professor der Philosophie an der Prager Universität, CHR. VON EHRENFELS (1907, l. c.) der konsequenteste, aber zugleich auch der radikalste. Er hält das Ziel der Rasseneugenik auf dem Wege der monogamen Sexualordnung, welche ihm überhaupt aus mehrfachen Gründen verwerflich erscheint, für unausführbar. Daher will er sie durch gesetzliche Einführung der Polygamie ersetzt wissen. Denn nach seiner Meinung läßt sich nur durch stärkere Ausnutzung der männlichen Zeugungskraft, des "virilen Faktors bei der Fortpflanzung", wie er sich ausdrückt, eine erfolgreiche, natürliche Zuchtwahl treiben (l. c. S. 70).

Wie v. EHRENFELS mit Recht geltend macht, besteht vom theoretischen Standpunkt aus ein ganz ungeheurer Unterschied in dem Grade der Vermehrungsfähigkeit zwischen dem weiblichen und dem männlichem Geschlecht beim Menschen und bei den Säugetieren. Denn während beim Menschen die Frau jährlich nur 1 Kind und auch nur für eine relativ kurz bemessene Periode ihres Lebens zur Welt bringen kann, ist die Vaterschaft des Mannes demgegenüber einer fast unbegrenzten Steigerung fähig. Ist doch die Zahl der Samenfäden, die ein einziger Mann während der zeugungsfähigen Jahre hervorbringt, so groß, daß sie LODE auf Grund von Zählungen auf 340 Billionen veranschlagt hat. Solche Samenmenge würde daher bei rein mathematischer Betrachtung vollständig genügen, um die Eier aller Frauen eines Staates zur Entwicklung zu bringen (1907 l. c. S. 630). Infolgedessen kann man auch unter den Männern eine sehr scharfe Auslese halten und einen sehr großen Prozentsatz minderwertiger von der Fortpflanzung ausschließen, ohne dadurch die Zahl der Geburten in einem Staat irgendwie zu verringern. Nur muß Vielweiberei die allein sanktionierte Form der Ehe in einem solchen Staate sein, der sich nach den Regeln wissenschaftlicher Tierzucht aufbaut. Dann könnte allerdings ebensogut wie ein einziges Weibchen im Bienen und Ameisenstaat das gesamte weibliche Fortpflanzungsgeschäft besorgt, ein einziger Mann das gesamte männliche im Menschenstaat, wenigstens der Theorie nach, besorgen (v. EHRENFELS 1907 II, S. 817). Soweit den männlichen Faktor für die natürliche Selektion auszunutzen, hält zwar v. EHRENFELS für überflüssig; immerhin ist er der Ansicht, daß zur Erreichung guter Zuchtergebnisse in kurzer Zeit die Auslese beim männlichen Geschlecht gegenüber dem weiblichen um mindestens das 30fache hinaufgetrieben werden muß (S. 630).

Es ist von vornherein klar, daß die Einführung der Vielweiberei als staatlich allein berechtigte Form der Ehe die weittragendsten Folgen für den ganzen Aufbau der Gesellschaft und für ihre Moral nach sich ziehen würde. Besonders gilt dies in zweifacher Hinsicht: Erstens würde die Stellung des Vaters zu seinen mit vielen Frauen gezeugten Kindern von Grund aus geändert werden. Eine Lebensgemeinschaft mit ihnen würde ausgeschlossen sein. Alle Besitz- und Erbschaftsverhältnisse würden andere werden. An Stelle des jetzt herrschenden Vaterrechts würde sich ein Mutterrecht ausbilden müssen. Zweitens erhebt sich die Frage, was mit den von der Fortpflanzung ausgeschlossenen Männern und Frauen werden soll, deren Zahl auf der einen Seite übergroß, auf der anderen nur gering ist. Sie werden von EHRENFELS auf den unfruchtbaren oder präventiven Geschlechtsverkehr untereinander verwiesen; es wird deshalb "eine offenkundige, soziale Legitimierung der Hetären mit ethisch und ästhetisch befriedigender Ausbildung des hetäristischen Sexualgenusses" als notwendige staatliche Maßregel verlangt. "Denn nur so", heißt es in der Begründung -"kann die Überzahl der von der Zeugung auszuschließenden Männer mit der anzustrebenden neuen Ordnung versöhnt werden" (1907, l. c. S. 822.)

Wie NIETZSCHE eine vollständige Umwertung der Ethik, so fordert VON EHRENFELS eine solche der Sexualordnung. Zwar hält er es selbst "für kaum möglich, sich mit ernster Miene in Verhältnisse hineinzudenken, welche alles Hergebrachte auf den Kopf stellen würden" (1907, l. c. S. 817). Trotzdem sieht er hierin das einzige Heilmittel für die weitere Entwicklung der weißen Rasse, deren gegenwärtige Kultur er in den schwärzesten Farben ausmalt. Indem er sich den schon auf S. 53 erwähnten Schriftstellern anreiht, nennt er die durch unsere monogame Sexualordnung hervorgetriebene Kultur eine Treibhausblüte, welche den Wurzelstock erschöpft, aus dem sie hervorsprießt. Sie untergrabe die Gesundheit der Volksstämme, in denen sie herrscht, - langsam - merklich erst im Laufe der Generationen - aber sicher und unausbleiblich (1907I, l. c. S. 32). Durch eine mehr als tausendjährige Herrschaft der Unnatur seien wir Abendländer in unseren Fortpflanzungstrieben und sexualen Instinkten korrumpiert worden und hätten das rassenhygienisch Verderbliche und Verwerfliche mit unseren Begriffen von ideal und menschenwürdig identifiziert (1907II, S. 616). Bei Fortdauer solcher Zustände würde die Kulturwelt aus einem "kränklichen Geschlecht von impotenten Flachköpfen konstituiert werden, welches die großen Erfindungen und Entdeckungen seiner Vorfahren zu nichts anderem zu verwenden wüßte, als um ein kümmerliches Dasein zu fristen" (1907I, l. c. S. 37). "Ohne Schaffung einer neuen lebenstüchtigen Sexualmoral sei der Untergang der weißen Rasse im Konkurrenzkampf des Lebens nur eine Frage der Zeit", (1907II, S. 812). Hingewiesen wird auf die drohende mongolische Gefahr von Japanern und Chinesen und prophezeit, daß wenn nicht bald die neue Ordnung eingeführt werde, "der gelbe Mann mit seiner im innersten Kern gesund gebliebenen Sexualmoral das Erbe der degenerierten weißen Rasse antreten werde" (1917I, S. 75). Das empfohlene Heilmittel aber wird als ein sicher wirkendes gepriesen, da die moderne Deszendenzlehre für dasselbe nicht nur den Anlaß geboten, sondern auch die gedankliche Grundlage geliefert habe (l. c. S.40). Bestehe doch das Wesen der natürlichen Zuchtwahl darin, daß die minderwertigen Individuen von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden, die höherwertigen dagegen sich um desto zahlreicher fortpflanzen (S. 70). "Die Anerkennung des Waltens der natürlichen Zuchtwahl sei daher der erste Schritt in dem Beweisverfahren" (1907II, l. c. S. 617).

Meine Darstellung der verschiedenartigen Bestrebungen, welche unter sich zwar tiefergehender Widersprüche nicht entbehren, nach ihrem gemeinsamen Ursprung aber als sozialer Darwinismus von mir zusammengefaßt worden sind, beschließe ich mit einem Auszug aus einer "rassenhygienischen Utopie" mit welchem Namen PLOETZ ein von ihm entworfenes Zukunftsbild vom "idealen Rassenprozeß" bezeichnet. Ich bediene mich hierbei, hier und da mit einigen Abkürzungen, der eigenen Worte des Verfassers:

Die Erzeugung guter Kinder "wird nicht irgendeinem Zufall . . . überlassen, sondern geregelt nach den Grundsätzen, die die Wissenschaft für Zeit und sonstige Bedingungen aufgestellt hat. Die zur Durchführung notwendigen Kenntnisse und Mittel der Präventivpraxis werden durch die Gesellschaft allen vermittelt und zugänglich gemacht. . ." "Stellt es sich trotz aller Vorsorge heraus, daß das Neugeborene ein schwächliches oder mißgestaltetes Kind ist, so wird ihm von dem Ärztekollegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet, sagen wir durch eine kleine Dose Morphium." "Dieses Ausmerzen der Neugeborenen würde, bei Zwillingen so gut wie immer und prinzipiell bei allen Kindern vollzogen werden, die nach der sechsten Geburt oder nach dem 45. Jahr der Mutter, bzw. dem 50. Jahr des Vaters überhaupt noch - entgegen einem gesetzlichen Verbot - geboren werden."

Bei der Erziehung ist ein starker Sinn für Rassenwohl zu erwecken. Beim Abschluß derselben wird eine Prüfung vorgenommen, unter deren Zensuren auch die Bestimmung sich findet, ob kein oder nur ein Kind oder zwei, drei oder mehr Kinder in der Ehe gezeugt werden dürfen, die eventuell eingegangen wird. "Während der Ehe, welche ganz schwächlichen oder defekten Individuen nicht gestattet ist, reguliert sich die Zahl der Kinder, die man dem Paare erlaubt, nach dem Durchschnitt der beiden Zahlen, die jedem der Eltern (bei der Rassenprüfung) erteilt waren."

"Erbrecht - ausgenommen für Andenken und Konsumgüter - existiert nicht, da die Möglichkeit vorliegt, daß im wirtschaftlichen Wettkampf vortreffliche Eltern in ihren Nachkommen entarten und diese nun durch ererbtes Vermögen einen Schutz genießen würden. Jedes Individuum betritt den ökonomischen Kampfplatz mit keiner anderen ungleichen Ausrüstung als seinen Fähigkeiten; im übrigen wird jedem ein gleicher Anteil an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln gewährt." "Wer sich dann in dem ökonomischen Kampf als schwach erweist und sich nicht erhalten kann, verfällt der Armut mit ihren ausjätenden Schrecken. Armenunterstützung darf nur minimal sein und nur an Leute verabfolgt werden, die keinen Einfluß mehr auf die Brutpflege haben. Solche und andere "humane Gefühlsduseleien" wie Pflege der Kranken, der Blinden, Taubstummen, überhaupt aller Schwachen, hindern oder verzögern nur die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl. - Besonders für Dinge wie Krankheits- und Arbeitslosenversicherung, wie die Hilfe des Arztes, hauptsächlich des Geburtshelfers, wird der strenge Rassenhygieniker nur ein mißbilligendes Achselzucken haben. Der Kampf ums Dasein muß in seiner vollen Schärfe erhalten bleiben, wenn wir uns rasch vervollkommnen sollen, das bleibt sein Diktum - . . ." "Bei solchem oder ähnlichem Gewährenlassen der natürlichen Zuchtwahl, die in unserem Beispiel noch durch eine künstliche verstärkt ist, wäre eine rasche Vervollkommnung der Rasse zu erwarten" (1895, l. c. S. 144-147).

Die hier von PLOETZ vorgetragene "rassenhygienische Utopie" ist gewiß von allgemeinerem Interesse, da sie uns ein zusammenhängendes, ungefähres Bild von der Nutzanwendung der Lehren DARWIN's auf die menschliche Gesellschaft gibt. Aber was hier noch als Utopie ausgemalt ist, wird in Einzelheiten auch schon in diesem oder jenem Land zuweilen zu verwirklichen gesucht In welcher Weise, das mögen vier Beispiele zeigen.

1. Schon in mehreren Staaten der United States, in Indiana, in Oregon, Konnektikut, Kalifornien und auch in New York sind Sondergesetze erlassen worden, daß in Gefängnissen und Bewahrungsanstalten von Geisteskranken und Minderwertigen Operationen zur Verhinderung von Nachkommenschaft (Vasektomie) an den männlichen Insassen von Chirurgen vorgenommen werden können, nachdem ein Komitee von Sachverständigen und Verwaltungsmitgliedern ein solches Verfahren als gerechtfertigt anerkannt hat. Hiernach ist das Unfruchtbarmachen durch Vasektomie (chirurgische Sterilisation) als Strafe rechtszulässig "zum Schutz der Öffentlichkeit gegen eine entartete Nachkommenschaft". Doch bemerkt G. VON HOFFMANN (1913, l. c.), der in einer kleinen Schrift über Rassenhygiene den Wortlaut dieser Lokalgesetze mitteilt, daß sie zurzeit noch vom amerikanischen Volk als Gesamtheit fast allgemein verurteilt werden und mehr die persönlichen Erfolge einzelner Ärzte und Anstaltsleiter sind, ja daß sogar im Staate Konnektikut die Ausführung der Operationen wegen der feindseligen Haltung der Öffentlichkeit unterbleiben mußte. Nach einer neueren Mitteilung von HOFFMANN (1916) scheint indessen diese Bewegung zur Hebung der Rasse doch weitere Fortschritte gemacht zu haben. Denn "es hat ein zur Untersuchung der Frage eingesetzter Ausschuß ernstlich empfohlen, allmählich ein Zehntel der gesamten Bevölkerung der Vereinigten Staaten als zu Minderwertigen gehörend unfruchtbar zu machen und auf diese Weise den Teil des Volkes, welcher der Öffentlichkeit zur Last fällt und niemandem Vorteil bietet, auf schmerzlose Weise auszumerzen." "Unfruchtbarmachung gilt in Amerika nicht als Strafe, sondern als Heil- und Schutzmittel des Staates, wie etwa die Unterbringung in einer öffentlichen Heilanstalt" (1916, l. c. S. 24).

2. Das zweite Beispiel ist ein im Jahre 1906 gefaßter Beschluß der amerikanischen Bundesregierung, einen wissenschaftlichen Ausschuß zu berufen mit der Aufgabe, das Problem der Vervollkommnung der Erbanlagen, zu studieren. Der Beschluß wurde, wie uns SCHALLMAYER (1910 l. c. S. 38S) berichtet, veranlaßt durch eine lebhafte Agitation in der amerikanischen Presse, an welcher sich auch der hervorragende, in der Wissenschaft wohlbekannte Pflanzenzüchter L. BURBANK beteiligte. Dieser war der Überzeugung, "daß sich durch geeignete Kreuzungen zwischen den 50 verschiedenen Nationalitäten der Vereinigten Staaten bei guter Auslese eine neue Menschenrasse erzielen ließe, die gesünder, kräftiger und überhaupt vollkommener wäre als alle anderen".

3. Wie ich ebenfalls dem Buch von SGHALLMAYER entnehme, "soll im südöstlichen Rußland der Großgrundbesitzer RASCHATNIKOW seit Jahrzehnten das Ziel verfolgen, auf seinen Gütern einen gesunden und schönen Menschenschlag zu züchten, indem er nur Leute von tadelloser Gesundheit und Schönheit dort dulde und nach Züchtergrundsätzen Ehen unter ihnen stifte".

4. Auch aus Deutschland läßt sich ein Beispiel anführen: es ist der seit einer Reihe von Jahren bestehende Mittgartbund, der als ein Weg zur Erneuerung der germanischen Rasse empfohlen wird. Ihr Leiter Dr. HENTSCHEL (1907, l. c. S. 9) beruft sich auch auf die Bedeutung der Auslese in der Biologie bei der Entwicklung der Lebensformen und auf die Sozialanthropologie, die gleichfalls die Auslese als den gestaltenden Faktor im Menschenreiche anerkannt habe. Um nun dieser Erkenntnis zu praktischer Durchführung zu verhelfen und "rassische Zucht auf menschliche Formenkreise anzuwenden", ist eine ländliche Siedelung "Mittgart" vom Bunde ins Leben gerufen und mit einer durch Auslese gewonnenen Zahl von 1000 Frauen und 100 Männern bevölkert worden. Die Auslese erfolgt, wie in der Programmschrift des Bundes (1911, l. c. S. 23) mitgeteilt wird, "durch Sachverständige unter Berücksichtigung somatischer und gesundheitlicher Momente". Bei den Männern wird der für eine Elitetruppe gültige Maßstab der Heeresverwaltung mit einer Ausleseziffer von 1 : 4 oder 1 : 6 festgehalten, dagegen werden geringere Ansprüche an das weibliche Geschlecht teils wegen der zu überwindenden, Vorurteile, teils wegen ihrer zehnmal so großen Zahl gestellt. Daher wird im Mittgartkreis die Ehe zwischen je einem Manne und einer Frau auch nur zu vorübergehender Angehörigkeit vor dem Gemeinderat geschlossen und sie gilt als von selbst gelöst, sobald die Gattin sich als Mutter fühlt. Auch ermöglicht sich die Trennung um so leichter, als Mann und Frau von Anfang an keinen gemeinsamen Hausstand führen. Durch dieses Verfahren ist die Zuchtwahl auf eine Art polygame Grundlage gestellt, insofern "der Zuchtkreis auf eine Minderheit auserlesener Männer beschränkt wird, deren Zeugungskraft zur vollen Auswirkung gelangt" (Programmschrift, l. c. S. 21). Vom züchterischen Standpunkt aus sei dies aber erforderlich, damit "alle Kinder von einem möglichst engen Kreis der tüchtigsten Männer erzeugt würden"

(1. c. S. 27).


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Erstellt am 6. August 2001 von Kurt Stüber.