Natürliche Schöpfungsgeschichte

Achter Vortrag

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Achter Vortrag.

Vererbung und Fortpflanzung.

(Siehe Inhaltsverzeichniß...)

Meine Herren! Als die formbildende Naturkraft, welche die verschiedenen Gestalten der Thier- und Pflanzenarten erzeugt, haben Sie in dem letzten Vortrage nach Darwin's Theorie die natürliche Züchtung kennen gelernt. Wir verstanden unter diesem Ausdruck die allgemeine Wechselwirkung, welche im Kampfe um das Dasein zwischen der Erblichkeit und der Veränderlichkeit der Organismen stattfindet; zwischen zwei physiologischen Functionen, welche allen Thieren und Pflanzen eigenthümlich sind, und welche sich auf andere Lebensthätigkeiten, auf die Functionen der Fortpflanzung und Ernährung zurückführen lassen. Alle die verschiedenen Formen der Organismen, welche man gewöhnlich geneigt ist, als Producte einer zweckmäßig thätigen Schöpferkraft anzusehen, konnten wir nach jener Züchtungstheorie auffassen als die nothwendigen Producte der zwecklos wirkenden natürlichen Züchtung, der unbewußten Wechselwirkung zwischen jenen beiden Eigenschaften der Veränderlichkeit und der Erblichkeit. Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche diesen Lebenseigenschaften der Organismen demgemäß zukommt, müssen wir zunächst dieselben etwas näher in das Auge fassen, und wir wollen uns heute mit der Erblichkeit und der Vererbung beschäftigen (Gen. Morph. II., 170-191).

Genau genommen müssen wir unterscheiden zwischen der Erblichkeit und der Vererbung. Die Erblichkeit (Atavismus) ist die Vererbungskraft, die Fähigkeit der Organismen, ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen durch die Fortpflanzung zu übertragen. Die Vererbung (Hereditas) dagegen bezeichnet die wirkliche Ausübung dieser Fähigkeit, die thatsächlich stattfindende Uebertragung.

Erblichkeit und Vererbung sind so allgemeine, alltägliche Erscheinungen, daß die meisten Menschen dieselben überhaupt nicht beachten, und daß die wenigsten geneigt sind, besondere Reflexionen über den Werth und die Bedeutung dieser Lebenserscheinungen auzustellen. Man findet es allgemein ganz natürlich und selbstverständlich, daß jeder Organismus seines Gleichen erzeugt, und daß die Kinder den Eltern im Ganzen wie im Einzelnen ähnlich sind. Gewöhnlich pflegt man die Erblichkeit nur in jenen Fällen hervorzuheben und zu besprechen, wo sie eine besondere Eigenthümlichkeit betrifft, die an einem menschlichen Individuum, ohne ererbt zu sein, zum ersten Male auftrat und von diesem auf seine Nachkommen übertragen wurde. In besonders auffallendem Grade zeigt sich so die Vererbung bei bestimmten Krankheiten und bei ganz ungewöhnlichen und unregelmäßigen (monströsen) Abweichungen von der gewöhnlichen Körperbildung.

Unter diesen Fällen von Vererbung monströser Abänderungen sind besonders lehrreich diejenigen, welche eine abnorme Vermehrung oder Verminderung der Fünfzahl der menschlichen Finger und Zehen betreffen. Es kommen nicht selten menschliche Familien vor, in denen mehrere Generationen hindurch 6 Finger an jeder Hand oder 6 Zehen an jedem Fuße beobachtet werden. Seltener sind die Beispiele von Siebenzahl oder von Vierzahl der Finger und Zehen, die ebenfalls Generationen hindurch vererbt wird. In diesen Fällen geht die ungewöhnliche Bildung immer zuerst von einem einzigen Individuum aus, welches aus unbekannten Ursachen mit einem Ueberschuß über die gewöhnliche Fünfzahl der Finger und Zehen geboren wird und diesen durch Vererbung auf einen Theil seiner Nachkommen überträgt. In einer und derselben Familie kann man die Sechszahl der Finger und Zehen durch drei, vier und mehr Generationen hindurch verfolgen. In einer spanischen Familie waren nicht weniger als 40 Individuen durch diese Ueberzahl ausgezeichnet. In allen Fällen ist die Vererbung der sechsten überzähligen Zehe oder des sechsten Fingers nicht bleibend und durchgreifend, weil die sechsfingerigen Menschen sich immer wieder fünffingerigen vermischen. Würde eine sechsfingerige Familie sich in reiner Inzucht fortpflanzen, würden sechsfingerige Männer immer nur sechsfingerige Frauen heirathen, so würde durch Fixierung dieses Characters eine besondere sechsfingerige Menschenart entstehen. Da aber die sechsfingerigen Männer immer fünffingerige Frauen heirathen, und umgekehrt, so zeigt ihre Nachkommenschaft meistens sehr gemischte Zahlenverhältnisse und schlägt schließlich nach Verlauf einiger Generationen wieder in die normale Fünfzahl zurück. So können z. B. von 8 Kindern eines sechsfingerigen Vaters und einer fünffingerigen Mutter 3 Kinder an allen Händen und Füßen 6 Finger und 6 Zehen haben, 3 Kinder auf der einen Seite 5, auf der andern 6, und zwei Kinder überall die gewöhnliche Fünfzahl. In einer spanischen Familie hatten sämmtliche Kinder bis auf das Jüngste an Händen und Füßen die Sechszahl; nur das Jüngste hatte überall fünf Finger und Zehen, und der sechsfingerige Vater des Kindes wollte dieses letzte daher nicht als das seinige anerkennen.

Sehr auffallend zeigt sich ferner die Vererbungskraft in der Bildung und Färbung der menschlichen Haut und Haare. Es ist allbekannt, wie genau in vielen menschlichen Familien eine eigenthümliche Beschaffenheit des Hautsystems, z. B. eine besonders weiche oder spröde Haut, eine Besondere Ueppigkeit des Haarwuchses, eine besondere Farbe und Größe der Augen u. s. w. viele Generationen hindurch forterbt. Ebenso werden locale Auswüchse und Flecke der Haut, sogenannte Muttermaale, Leberflecke und andere Pigmentanhäufungen, die an bestimmten Stellen vorkommen, gar nicht selten mehrere Generationen hindurch so genau vererbt, daß sie bei den Nachkommen an den selben Stellen sich zeigen, an denen sie bei den Eltern vorhanden waren. Besonders berühmt geworden sind die Stachelschweinmenschen aus der Familie Lambert, welche im vorigen Jahrhundert in London lebte. Edward Lambert, der 1717 geboren wurde, zeichnete sich durch eine ganz ungewöhnliche und monströse Bildung der Haut aus. Der ganze Körper war mit einer zolldicken hornartigen Kruste bedeckt, welche sich in form zahlreicher stachelförmiger und schuppenförmiger Fortsätze (bis über einen Zoll lang) erhob. Diese monströse Bildung der Oberhaut oder Epidermis vererbte Lambert auf seine Söhne und Enkeln, aber nicht auf die Enkelinnen. Die Uebertragung blieb also hier in der männlichen Linie, wie es auch sonst oft der Fall ist. Ebenso vererbt sich übermäßige Fettentwicklung an gewissen Körperstellen oft nur innerhalb der weiblichen Linie. Wie genau sich die charakteristische Gesichtsbildung erblich überträgt , braucht wohl kaum erinnert zu werden; bald bleibt dieselbe innerhalb der männlichen, bald innerhalb der weiblichen Linie; bald vermischt sie sich in beiden Linien.

Sehr lehrreich und allbekannt sind ferner die Vererbungserscheinungen pathologischer Zustände, besonders der menschlichen Krankheitsformen. Es sind insbesondere bekanntlich Krankheiten der Athmungsorgane und des Nervensystems, welche sich sehr leicht erblich übertragen. Sehr häufig tritt plötzlich in einer sonst gesunden Familie eine derselben bisher unbekannte Erkrankung auf; sie wird erworben durch äußere Ursachen, durch krankmachende Lebensbedingungen. Diese Krankheit, welche bei einem einzelnen Individuum durch äußere Ursachen bewirkt wurde, pflanzt sich von diesem auf seine Nachkommen fort, und diese haben nun alle oder zum Theil an derselben Krankheit zu leiden. Bei Lungenkrankheiten, z. b. Schwindsucht, ist dieses traurige Verhältniß der Erblichkeit allbekannt, ebenso bei Leberkrankheiten, bei Geisteskrankheiten. Diese letzteren sind von ganz besonderem Inderesse. Ebenso wie besondere Characterzüge des Menschen, Stolz, Ehrgeiz, Dummheit, Leichtsinn u. s. w. streng durch Vererbung auf die Nachkommenschaft übertragen werden, so gilt das auch von den besonderen, abnormen Aeußerungen der Seelenthätigkeit, welche man als fixe Ideen, Schwermuth, Blödsinn und überhaupt als Geisteskrankheiten bezeichnet. Es zeigt sich hier deutlich und unwiderleglich, daß die Seele des Menschen, ebenso wie die Seele der Thiere, eine rein mechanische Thätigkeit, eine physiologische Bewegungserscheinung der Gehirntheilchen ist, und daß sie mit ihrem Substrate, ebenso wie jede andere Körpereigenschaft, durch die Fortpflanzung materiell übertragen, vererbt wird.

Diese äußerst wichtige und unleugbare Thatsache erregt, wenn man sie ausspricht, gewöhnlich großes Aergerniß, und doch wird sie eigentlich stillschweigend allgemein anerkannt. Denn worauf beruhen die Vorstellungen von der "Erbsünde", der "Erbweisheit", dem "Erbadel" u. s. w. Anders, als auf der Ueberzeugung, daß die menschliche Geistesbeschaffenheit durch die Fortpflanzung - also durch einen rein materiellen Vorgang! - körperlich von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird? - Die Anerkennung dieser großen Bedeutung der Erblichkeit äußert sich in einer Menge von menschlichen Einrichtungen, wie z. B. in der Kasteneintheilung vieler Völker in Kriegerkasten, Priesterkasten, Arbeiterkasten u s. w. Offenbar beruht ursprünglich die Einrichtung solcher Kasten auf der Vorstellung von der hohen Wichtigkeit erblicher Vorzüge, welche gewissen Familien beiwohnten, und von denen man voraussetzte, daß sie immer wieder von den Eltern auf die Nachkommen übertragen werden würden. Die Einrichtung des erblichen Adels und der erblichen Monarchie ist zweifelohne auf die Vorstellung einer solchen Vererbung zurückzuführen. Allerdings sind es leider nicht nur die Tugenden, sondern auch die Laster, welche vererbt werden, und wenn Sie in der Weltgeschichte die verschiedenen Individuen der einzelnen Dynastien vergleichen, so werden Sie zwar überall eine große Anzahl von Beweisen für die Erblichkeit auffinden können, aber weniger für die Erblichkeit der Tugenden, als der entgegengesetzten Eigenschaften. Denken Sie z. B. nur an die römischen Kaiser, an die Julier und die Claudier, oder an die Bourbonen in Frankreich, Spanien und Italien!

In der That dürfte kaum irgendwo eine solche Fülle von schlagenden Beweisen für die merkwürdige Vererbung der feinsten körperlichen und geistigen Züge gefunden werden, als in der Geschichte der regierenden Häuser in den erblichen Monarchien. Ganz gesonders gilt dies mit Bezug auf die vorher erwähnten Geisteskrankheiten. Gerade in den regierenden Familien sind Geisteskrankheiten in ungewöhnlichem Maße erblich. Schon der berühmte Irrenarzt Esquirol wies nach, daß das Verhältniß der Geisteskranken in den regierenden Häusern gegenüber denjenigen in der gewöhnlichen Bevölkerung sich verhält, wie 60 : 1, d. h. daß Geisteskrankheit in den bevorzugten Familien der reigerenden Häuser sechzig mal so häufig vorkommt, als in der gewöhnlichen Menschheit. Würde eine gleiche genaue Statistik auch für den erblichen Adel durchgeführt, so dürfte sich leicht herausstellen, daß auch dieser ein ungleich größeres Contingent von Geisteskranken stellt, als die gemeine, nichtadelige Menschheit. Diese Erscheinung wird uns kaum mehr wundern, wenn wir bedenken, welchen Nachtheil sich diese privilegierten Kasten selbst durch ihre unnatürliche einseitige Erziehung und durch ihre künstliche Absperrung von der übrigen Menschheit zufügen. Es werden dadurch manche dunkle Schattenseiten der menschlichen Natur besonders entwickelt, gleichsam künstlich gezüchtet, und pflanzen sich nun nach den Vererbungsgesetzen mit immer verstärkter Kraft und Einseitigkeit durch die Reihe der Generationen fort.

Wie sich in der Generationsfolge mancher Dynastien, z. b. der sächsisch-thüringischen Fürsten, der Medicäer, die edle Vorliebe für die höchsten menschlichen Thätigkeiten, für Wissenschaft und Kunst, und in Folge dessen die schönste Lichtseite der menschlichen Natur, humaner Eifer für Freiheit, Wohlstand und Bildung des ganzen Volkes durch viele Generationen erblich überträgt und erhält, wie dagegen in vielen anderen Dynastien Jahrhunderte hindurch eine besondere Neigung für das Kriegshandwerk, für Unterdrückung der menschlichen Freiheit und für andere rohe Gewalthätigkeiten vererbt wird, ist aus der Völkergeschichte Ihnen hinreichend bekannt. Ebenso vererben sich in manchen Familien viele Generationen hindurch ganz bestimmte Fähigkeiten für einzelne Geistesthätigkeiten, z. B. Mathematik, Dichtkunst, Tonkunst, bildende Kunst, Medicin, Naturforschung, Philosophie u. s. w. In der Familie Bach hat es nicht weniger als 22 hervorragende musikalische Talente gegeben. Natürlich beruht die Vererbung solcher Geisteseigenthümlichkeiten, wie die Vererbung der Geisteseigenschaften überhaupt, auf dem matierellen Vorgang der Zeugung. Es ist hier die Lebenserscheinung, die Kraftäußerung unmittelbar (wie überall in der Natur) verbunden mit bestimmten Mischungsverhältnissen des Stoffes, und die Mischung des Stoffes ist es, welche bei der Zeugung übertragen wird.

Bevor wir nun die verschiedenen und zum Theil sehr interessanten und bedeutenden Gesetze der Vererbung näher untersuchen, wollen wir über die eigentliche Natur dieses Vorganges uns verständigen. Man pflegt vielfach die Erblichkeitserscheinungen als etwas ganz Räthselhaftes anzusehen, als eigenthümliche Vorgänge, welche durch die Naturwissenschaft nicht ergründet, in ihren Ursachen und eigentlichem Wesen nicht erfaßt werden könnten. Man pflegt gerade hier sehr allgemein übernatürliche Einwirkungen anzunehmen. Es läßt sich aber schon jetzt, bei dem heutigen Zustande der Physiologie, mit vollkommner Sicherheit nachweisen, daß alle Erblichkeitserscheinungen durchaus natürliche Vorgänge sind, daß sie durch mechanische Ursachen bewirkt werden, und daß sie auf materiellen Bewegungserscheinungen im Körper der Organismen beruhen, welche wir als Theilerscheinungen der Fortpflanzung betrachten können. Alle Erblichkeitserscheinungen und Vererbungsgesetze lassen auf die die materiellen Vorgänge der Fortpflanzung zurückführen.

Jeder einzelne Organismus, jedes lebendige Individuum verdankt sein Dasein entweder einem Acte der elternlosen Zeugung oder Urzeugung (Generatio spontanea, Archigonia) oder einem Acte der elterlichen Zeugung oder Fortpflanzung (Generatio parentalis, Tocogonia). Auf die Urzeugung oder Archigonie werden wir in einem späteren Vortrage zurückkommen. Jetzt haben wir uns nur mit der Fortpflanzung oder Tocogonie zu beschäftigen, deren nähere Betrachtung für das Verständniß der Vererbung von der größten Wichtigkeit ist. Die Meisten von Ihnen werden von den Fortpflanzungserscheinungen wahrscheinlich nur diejenigen kennen, welche Sie allgemein bei den höheren Pflanzen und Thieren beobachten, die Vorgänge der geschlechtlichen Fortpflanzung oder der Amphigonie. Viel weniger allgemein bekannt sind die Vorgänge der ungeschlechtlichen Fortpflanzung oder Monogonie. Gerade diese sind aber bei weitem mehr als die vorhergehenden geeignet, ein erklärendes Licht auf die Natur der mit der Fortpflanzung zusammenhängenden Vererbung zu werfen.

Aus diesem Grunde ersuche ich Sie, jetzt zunächst bloß die Erscheinungen der ungeschlechtlichen oder monogonen Fortpflanzung (Monogonia) in das Auge zu fassen. Diese tritt in mannichfach verschiedener Form auf, als Selbsttheilung, Knospenbildung und Keimzellen- oder Sporenbildung (Gen. Morph. II., 36 - 58). Am lehrreichsten ist es hier, zunächst die Fortpflanzung bei den einfachsten Organismen zu betrachten, welche wir kennen, und auf welche wir später bei der Frage nach der Urzeugung zurückommen müssen. Diese allereinfachsten uns bis jetzt bekannten, und zugleich die denkbar einfachsten Organismen sind die Moneren: sehr kleine lebendige Körperchen, welche eigentlich streng genommen den Namen des Organismus gar nicht verdienen. Denn die Bezeichnung "Organismus" für die lebendigen Wesen beruht auf der Vorstellung, daß jeder belebte Naturkörper aus Organen zusammengesetzt ist, aus verschiedenartigen Theilen, die als Werkzeuge, ähnlich den verschiedenen Theilen einer künstlichen Maschine, in einander greifen und zusammenwirken, um die Thätigkeit des Ganzen hervorzubringen. Nun haben wir aber in den Moneren während der letzten Jahre Organismen kennen gelernt, welche in der That nicht aus Organen zusammengesetzt sind, sondern ganz und gar aus einer structurlosen, einfachen, gleichartigen Materie bestehen. (Vergl. Fig. 1. auf S. 144). Der ganze Körper dieser Moneren ist zeitlebens weiter Nichts, als ein formloses bewegliches Schleimklümpchen, das aus einer eiweißartigen Kohlenstoffverbindung besteht. Einfachere, unvollkommnere Organismen sind gar nicht denkbar. Die Moneren leben zum Theil im Süßwasser (Protamoeba, Protomonas, Vampyrella), zum Theil im Meere (Protogenes, Protomyxa, Myxastrum) 15). Im Ruhezustande erscheint jedes Moner als ein kleines Schleimkügelchen, für das unbewaffnete Auge nicht sichtbar oder eben sichtbar, höchstens von der Größe eines Stecknadelkopfes. Wenn das Moner sich bewegt, bilden sich an der Oberfläche der kleinen Schleimkugel formlose fingerartige Fortsätze oder sehr feine strahlende Fäden, sogenannte Scheinfüße oder Pseudopodien. Diese Scheinfüße sind einfache, unmittelbare Fortsetzungen der eiweißartigen schleimigen Masse, aus der der ganze Körper besteht. Bei der stärksten Vergrößerung, mit unseren schärfsten Instrumenten untersucht, stellt der gesammte Körper der Moneren immer nur eine strukturlose, vollkommen gleichartige Masse dar. Wir sind nicht im Stande, verschiedenartige Theile in demselben wahrzunehmen, und wir können den directen Beweis für die absolute Einfachheit der festflüssigen Eiweißmasse dadurch führen, daß wir die Nahrungsaufnahme der Moneren verfolgen. Wenn kleine Körperchen, die zur Ernährung derselben tauglich sind, z. B. kleine Theilchen von zerstörten organischen Körpern, oder mikroskopische Pflänzchen und Infusionsthierchen, zufällig in Berührung mit den Moneren kommen, so bleiben sie an der klebrigen Oberfläche des festflüssigen Schleimklümpchens hängen, erzeugen hier einen Reiz, welcher stärkeren Zufluß der schleimigen Körpermasse zur Folge hat, und werden endlich ganz von dieser umschlossen; oder sie werden durch Verschiebungen der Eiweißtheilchen des Monerenkörpers in diesen hineingezogen und dort verdaut, durch einfache Diffusion (Endosmose) ausgesogen. Ebenso einfach wie die Ernährung, ist die Fortpflanzung dieser Urwesen, die man eigentlich weder Thiere noch Pflanzen nennen kann. Alle Moneren pflanzen sich nur auf dem ungeschlechtlichen Wege fort, durch Monogonie; und zwar im einfachsten Falle durch diejenige Art der Monogonie, welche wir an die Spitze der verschiedenen Fortpflanzungsformen stellen, durch Selbsttheilung. Wenn ein solches Klümpchen, z. B. eine Protamoeba oder ein Protogenes, eine gewisse Größe durch Aufnahme fremder Eiweißmaterie erhalten hat, so zerfällt es in zwei Stücke; es bildet sich eine Einschnürung, welche ringförmig herumgeht, und schließlich zur Trennung der beiden Hälften führt. (Vergl. Fig. 1 auf nächster Seite). Jede Hälfte rundet sich alsbald ab und erscheint nun als ein selbständiges Individuum, welches das einfache Spiel der Lebenserscheinungen, Ernährung und Fortpflanzung, von Neuen beginnt. Bei anderen Moneren (Vampyrella) zerfällt der Körper bei der Fortpflanzung nicht in zwei, sondern in vier gleiche Stücke, und bei noch anderen (Protomonas, Protomyxa, Myxastrum) sogleich in eine große Anzahl von kleinen Schleimkügelchen, deren jedes durch einfaches Wachsthum dem elterlichen Körper wieder gleich wird. Es zeigt sich hier deutlich, daß der Vorgang der Fortpflanzung weiter Nichts ist, als ein Wachsthum des Organismus über sein individuelles Maaß hinaus.

Die einfache Fortpflanzungsweise der Moneren durch Selbsttheilung ist eigentlich die allgemeinste und weitest verbreitete von allen verschiedenen Fortpflanzungsarten; denn durch denselben einfachen Prozeß der Theilung pflanzen sich auch die Zellen fort, diejenigen einfachen organischen Individuuen, welche in sehr großer Zahl den Körper der allermeisten Organismen, den menschlichen Körper nicht ausgenommen, zusammensetzen. Abgesehen von den Organismen niedersten Ranges, welche noch nicht einmal den Formwerth einer Zelle haben (Moneren), oder zeitlebens eine einfache Zelle darstellen (viele Protisten und einzellige Pflanzen), ist der Körper jedes organischen Individuums aus einer großen Anzahl von Zellen zusammengesetzt.

{Fig. 1. Fortpflanzung eines einfachsten Organismus, eines Moneres, durch Selbsttheilung. A. Das ganze Moner, eine Protamoeba, B. Dieselbe zerfällt durch eine mittlere Einschnürung in zwei Hälften. C. Jede der beiden Hälften hat sich von der andern getrennt und stellt nun ein selbstständiges Individuum dar.}

Jede organische Zelle ist bis zu einen gewissen Grade ein selbstständiger Organismus, ein sogenannter "Elementarorganismus" oder ein "Individuum erster Ordnung". Jeder höhere Organismus ist gewissermaßen eine Gesellschaft oder ein Staat von solchen vielgestaltigen, durch Arbeitstheilung mannichfaltig ausgebildeten Elementarindividuen. Ursprünglich ist jede organische Zelle auch nur ein einfaches Schleimklümpchen, gleich einem Moner, jedoch von diesem dadurch verschieden, daß die gleichartige Eiweißmasse in zwei verschiedene Bestandtheile sich gesondert hat: ein inneres festeres Eiweißkörperchen, den Zellenkern (Nucleus), und einen äußeren, weicheren Eiweißkörper, den Zellstoff (Protoplasma). Außerdem bilden viele Zellen späterhin noch einen dritten (jedoch häufig fehlenden) Formbestandtheil, indem sie sich einkapseln, eine äußere Hülle oder Zellhaut (Membrana) ausschwitzen. Alle übrigen Formbestandtheile, die sonst noch an den Zellen vorkommen, sind von untergeordneter Bedeutung und interessiren uns hier weiter nicht.

Ursprünglich ist auch jeder mehrzellige Organismus eine einfache Zelle, und er wird erst dadurch mehrzellig, daß jene Zelle sich durch Theilung fortpflanzt, und daß die so entstehenden neuen Zellenindividuen beisammen bleiben und durch Arbeitstheilung eine Gemeinde oder einen Staat bilden. Die Formen und Lebenserscheinungen aller mehrzelligen Organismen sind lediglich die Wirkung oder der Ausdruck der gesammten Formen und Lebenserscheinungen aller einzelnen sie zusammensetzenden Zellen. Das Ei, aus welchem sich die meisten Thiere entwickeln, ist eine einfache Zelle, ebenso das sogenannte Keimbläschen oder Embryobläschen, aus welchem sich die meisten Pflanzen entwickeln.

{Fig. 2. Fortpflanzung eines einzelligen Organismus, einer Amoeba, durch Selbsttheilung. A. die eingekapselte Amoeba, eine einfache kugelige Zelle, bestehend aus einem Protoplasmaklumpen (b), welcher einen Kern (a) einschließt, und von einer Zellhaut oder Kapsel umgeben ist. B. Die freie Amoeba, welche die Cyste oder Zellhaut gesprengt und verlassen hat. C. Dieselbe beginnt sich zu theilen, indem ihr Kern in zwei Kerne zerfällt und der Zellstoff zwischen beiden sich einschnürt. D. Die Theilung ist vollendet, indem auch der Zellstoff vollständig in zwei Hälften zerfallen ist (Da und Db). }

Die einzelligen Organismen, d. h. diejenigen, welche zeitlebens den Formwerth einer einzigen Zelle beibehalten, z. b. die Amoeben (Fig. 2), pflanzen sich in der Regel auf die einfachste Weise durch Theilung fort. Dieser Prozeß unterscheidet sich von der vorher bei den Moneren beschriebenen Selbsttheilung nur dadurch, daß zunächst der festere Zellkern (Nucleus) duch Einschnürung in zwei Hälften zerfällt. Die beiden jungen Kerne entfernen sich von einander und wirken nun wie zwei verschiedene Anziehungspunkte auf die umgebende weichere Eiweißmasse, den Zellstoff (Protoplasma). Dadurch zerfällt schließlich auch dieser in zwei Hälften, und es sind nun zwei neue Zellen vorhanden, welche der Mutterzelle gleich sind. War die Zelle von einer Membran umgeben, so theilt sich diese entweder nicht, wie bei der Eifurchung (Fig. 3, 4), oder sie folgt passiv der activen Einschnürung des Protoplasma, oder es wird von jeder jungen Zelle eine neue Haut ausgeschwitzt.

Ganz ebenso wie die selbstständigen einzelligen Organismen, z. B. Amoeba (Fig. 2), pflanzen sich nun auch die unselbstständigen Zellen fort, welche in Gemeinden oder Staaten vereinigt bleiben und so den Körper der höheren Organismen zusammensetzen. Ebenso vermehren sich auch durch einfache Theilung die Zellen, welche als Eier den meisten Thieren, als Embryobläschen den meisten Pflanzen den Ursprung geben. Wenn sich nun aus einem Ei ein Thier, z. B. ein Säugethier (Fig. 3, 4) entwickelt,

{Fig. 3. Ei eines Säugethiers (eine einfache Zelle). a Kernkörperchen oder Nucleolus (sogenannter Keimfleck des Eies); b Kern oder Nucleus (sogenanntes Keimbläschen des Eies); c Zellstoff oder Protoplasma (sogenannter Dotter des Eies); d Zellhaut oder Membrana (Dotterhaut des Eies, beim Säugethier wegen ihrer Durchsichtigkeit Membrana pellucida genannt.}

{Fig. 4. Erster Beginn der Entwickelung des Säugethiereies, sogenannte "Eifurchung" (Fortpflanzung der Eizelle durch wiederholte Selbsttheilung). Fig. 4 A. Das Ei zerfällt durch Bildung der ersten Furche in zwei Zellen. Fig. 4 B. Diese zerfallen durch Halbirung in 4 Zellen. Fig 4 C. Diese letzteren sind in 8 Zellen zerfallen. Fig. 4 D. Durch fortgesetzte Theilung ist ein kugeliger Haufen von zahlreichen Zellen entstanden.}

so beginnt diesr Entwickelungsprozeß stets damit, daß die einfache Eizelle (Fig. 3) durch fortgesetzte Selbsttheilung einen Zellenhaufen bildet (Fig. 4). Die äußere Hülle oder Zellhaut des kugeligen Eies bleibt ungetheilt. Zuerst zerfällt der Zellenkern des Eies (das sogenannte Keimbläschen) durch Selbsttheilung in zwei Kerne, dann folgt der Zellstoff (der Dotter des Eies) nach (Fig. 4 A). In gleicher Weise zerfallen durch die fortgesetzte Selbsttheilung die zwei Zellen in vier (Fig. 4 B), diese in acht (Fig. 4 C), in sechzehn, zweiundreißig u. s. w., und es entsteht schließlich ein kugeliger Haufe von sehr zahlreichen kleinen Zellen (Fig. 4 D), die nun durch weitere Vermehrung und ungleichartige Ausbildung (Arbeitstheilung) allmählich den zusammengesetzten mehrzelligen Organismus aufbauen. Jeder von uns hat im Beginne seiner individuellen Entwickelung denselben, in Fig. 4 dargestellten Prozeß durchgemacht. Das in Fig. 3 abgebildete Säugethierei und die in Fig. 4 dargestellte Entwickelung desselben könnte eben so gut vom Menschen, als vom Affen, vom Hunde oder irgend einem anderen placentalen Säugethier herrühren.

Wenn Sie nun zunächst nur diese einfachste Form der Fortpflanzung, die Selbsttheilung betrachten, so werden Sie es gewiß nicht wunderbar finden, daß die Theilproducte des ursprünglichen Organismus dieselben Eigenschaften besitzen, wie das elterliche Individuum. Sie sind ja Theilhälften des elterlichen Organismus, und da die Materie, der Stoff in beiden Hälften derselbe ist, da die beiden jungen Individuen gleich viel und gleich beschaffene Materie von dem elterlichen Individuum überkommen haben, so finden Sie es gewiß natürlich, daß auch die Lebenserscheinungen, die physiologischen Eigenschaften in den beiden Kindern dieselben sind. In der That sind in jeder Beziehung, sowohl hinsichtlich ihrer Form und ihres Stoffes, als hinsichtlich ihrer Lebenserscheinungen, die beiden Tochterzellen (wenigstens im Anfang) nicht von einander und von der Mutterzelle zu unterscheiden. Sie haben von ihr die gleiche Natur geerbt.

Nun findet sich aber dieselbe einfache Fortpflanzung durch Theilung nicht bloß bei den einfachen Zellen, sondern auch bei höher stehenden mehrzelligen Organismen, z. B. bei den Korallenthieren. Viele derselben, welche schon einen höheren Grad von Zusammensetzung und Organisation zeigen, pflanzen sich dennoch einfach durch Theilung fort. Hier zerfällt der ganze Organismus mit allen seinen Organen in zwei gleich Hälften, sobald er durch Wachsthum ein gewisses Maß der Größe erreicht hat. Jede Hälfte ergänzt sich alsbald wieder durch Wachsthum zu einem vollständigen Individuum. Auch hier finden Sie es gewiß selbstverständlich, daß die beiden Theilproducte die Eigenschaften des elterlichen Organismus theilen, da sie ja selbst Substanzhälften desselben sind. Die Vererbung aller Eigenschaften der ursprünglichen Koralle auf ihre beiden, durch Wachsthum sich ergänzenden Hälften, hat gewiß nichts Befremdendes.

An die Fortpflanzung durch Theilung schließt sich zunächst die Fortpflanzung durch Knospenbildung an. Diese Art der Monogonie ist außerordentlich weit verbreitet. Sie findet sich sowohl bei den einfachen Zellen (obwohl seltener), als auch bei den aus vielen Zellen zusammengesetzten höheren Organismen. Ganz allgemein verbreitet ist die Knospenbildung im Pflanzenreich, seltener im Thierreich. Jedoch kommt sie auch hier in dem Stamme der Pflanzenthiere, insbesondere bei den Korallen und bei einem großen Theile der Hydromedusen sehr häufig vor, ferner auch bei einem Theile der Würmer (Plattwürmern, Ringelwürmern, Moosthieren und Mantelthieren). Alle verzweigten Thierstöcke, welche auch äußerlich den verzweigten Pflanzenstöcken so ähnlich sind, entstehen gleich diesen durch Knospenbildung.

Die Fortpflanzung durch Knospenbildung (Gemmatio) unterscheidet sich von der Fortpflanzung durch Theilung wesentlich dadurch, daß die beiden, durch Knospung neu erzeugten Organismen nicht von gleichem Alter, und daher anfänglich auch nicht von gleichem Werthe sind, wie es bei der Theilung der Fall ist. Bei der letzteren können wir offenbar keines der beiden neu erzeugten Individuen als das elterliche, als das erzeugende ansehen, weil beide ja gleichen Antheil an der Zusammensetzung des ursprünglichen, elterlichen Individuums haben. Wenn dagegen ein Organismus eine Knospe treibt, so ist die letztere das Kind des ersteren. Beide Individuen sind von ungleichem Alter und daher zunächst auch von ungleicher Größe und ungleichem Formwerth. Wenn z. b. eine Zelle durch Knospenbildung sich fortpflanzt, so sehen wir nicht, daß die Zelle in zwei gleiche Hälften zerfällt, sondern es bildet sich an einer Stelle eine Hervorragung, welche größer und größer wird, und welche sich mehr oder weniger von der elterlichen Zelle absondert und nun selbstständig wächst. Ebenso bemerken wir bei der Knospenbildung einer Pflanze oder eines Thieres, daß an einer Stelle des ausgebildeten Individuums eine kleine locale Wucherung entsteht, welche größer und größer wird, und ebenfalls durch selbstständiges Wachsthum sich mehr oder weniger von dem elterlichen Organismus absondert. Die Knospe kann, nachdem sie eine gewisse Größe erlangt hat, entweder vollkommen von dem Elternindividuum sich ablösen, oder sie kann mit diesem im Zusammenhang bleiben und einen Stock bilden, dabei aber doch ganz selbstständig weiter leben. Während das Wachsthum, welches die Fortpflanzung einleitet, bei der Theilung ein totales ist und den ganzen Körper betrifft, ist dasselbe dagegen bei der Knospenbildung ein partielles und betrifft nur einen Theil des elterlichen Organismus. Aber auch hier werden Sie es wieder sehr natürlich finden, daß die Knospe, das erzeugte Individuum, welches mit dem elterlichen Organismus so lange im unmittelbarsten Zusammenhang steht und aus diesem hervorgeht, dieselben Eigenschaften zeigt, wie der letztere. Denn auch die Knospe ist ursprünglich ein Theil des Leibes, von dem sie erzeugt wurde, und Sie können sich nicht darüber wundern, daß dieselbe die ursprünglich eingeschlagene Bildungsrichtung verfolgt und alle wesentlichen Eigenschaften durch Vererbung von dem Elternindividuum überkömmt.

An die Knospenbildung schließt sich unmittelbar eine dritte Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung an, diejenige durch Keimknospenbildung (Polysporogonia). Bei niederen, unvollkommenen Organismen, unter den Thieren insbesondere bei den Pflanzenthieren und Würmern, finden Sie sehr häufig, daß im Innern eines aus vielen Zellen zusammengesetzten Individuums eine kleine Zellengruppe von den umgebenden Zellen sich absondert, und daß diese kleine isolirte Zellengruppe allmählich zu einem Individuum heranwächst, welches dem elterlichen ähnlich wird, und früher oder später aus diesem heraustritt. So entstehen z. B. im Körper der Saugwürmer (Trematoden) oft zahlreiche, aus vielen Zellen zusammengesetzte Körperchen, Keimknospen oder Polysporen, welche sich schon frühzeitig ganz von dem Elternkörper absondern und diesen verlassen, nachdem sie einen gewissen Grad selbstständiger Ausbildung erriecht haben. Auch hier vererben sich die specifischen Eigenschaften des zeugenden Individuums auf die Keimknospen, obwohl diese sich viel früher absondern und selbstständig wachsen, als es bei den Knospen der Fall ist.

Offenbar ist die Keimknospenbildung von der echten Knospenbildung nur wenig verschieden. Andrerseits aber berührt sie sich mit einer vierten Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, welche beinahe schon zur geschlechtlichen Zeugung hinüberführt, nämlich mit der Keimzellenbildung (Monosporogonia), welche auch auf schlechtweg die Sporenbildung (Sporogonia) genannt wird. Hier ist es nicht mehr eine Zellengruppe, sondern eine einzelne Zelle, welche sich im Innern des zeugenden Organismus von den umgebenden Zellen absondert, und sich erst weiter entwickelt, nachdem sie aus jenem ausgetreten ist. Nachdem diese Keimzelle oder Monospore (gewöhnlich kurz Spore genannt) das Elternindividuum verlassen hat, vermehrt sie sich durch Theilung und bildet so einen vielzelligen Organismus, welcher durch Wachsthum und allmähliche Ausbildung die erblichen Eigenschaften des elterlichen Organismus erlangt. So geschieht es sehr allgemein bei den niederen Pflanzen (Kryptogamen).

Obwohl die Keimzellenbildung der Keimknospenbildung sehr nah steht, entfernt sie sich doch offenbar von dieser, wie von den vorher angeführten anderen Formen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung sehr wesentlich dadurch, daß nur ein ganz kleiner Theil des zeugenden Organismus die Fortpflanzung und somit auch die Vererbung vermittelt. Bei der Selbsttheilung, wo der ganze Organismus in zwei Hälften zerfällt, bei der Knospenbildung und Keimknospenbildung, wo ein ansehnlicher und bereits mehr oder minder entwickelter Körpertheil von dem zeugenden Individuum sich absondert, finden wir es sehr begreiflich, daß Formen und Lebenserscheinungen in dem zeugenden und dem erzeugten Organismus dieselben sind. Viel schwieriger ist es schon bei der Keimzellenbildung zu begreifen, wie dieser ganz kleine, ganz unentwickelte Körpertheil, diese einzelne Zelle, nicht bloß gewisse elterliche Eigenschaften unmittelbar mit in ihre selbstständige Existenz hinübernimmt, sondern auch nach ihrer Trennung vom elterlichen Individuum sich zu einen mehrzelligen Körper entwickelt, und in diesem die Formen und die Lebenserscheinungen des ursprünglichen, zeugenden Organismus wieder zu Tage treten läßt. Diese letzte Form der monogenen Fortpflanzung, die Keimzellen- oder Sporenbildung, führt uns hierdurch bereits unmittelbar zu dem am schwierigsten zu erklärenden Form der Fortpflanzung, zu geschlechtlichen Zeugung, hinüber.

Die geschlechtliche (amphigone oder sexuelle) Zeugung (Amphigonia) ist die gewöhnliche Fortpflanzungsart bei allen höheren Thieren und Pflanzen. Offenbar hat sich dieselbe erst sehr spät im Verlaufe der Erdgeschichte aus der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, und zwar zunächst aus der Keimzellenbildung entwickelt. In den frühesten Perioden der organischen Erdgeschichte pflanzten sich alle Organismen nur auf ungeschlechtlichen Wege fort, wie es gegenwärtig noch zahlreiche niedere Organismen thun, insbesondere diejenigen, welche auf der niedrigsten Stufe der Organisation stehen, welche man weder als Thiere noch als Pflanzen mit vollem Rechte betrachten kann, und welche man daher am besten als Urwesen oder Protisten aus dem Thier- und Pflanzenreich ausscheidet. Allein bei den höheren Thieren und Pflanzen erfolgt gegenwärtig die Vermehrung der Individuen in der Regel auf dem Wege der geschlechtlichen Fortpflanzung, und bei der Wichtigkeit dieser hervorragenden Erscheinung müssen wir dieselbe hier näher in's Auge fassen.

Während bei allen vorhin erwähnten Hauptformen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, bei der Theilung, Knospenbildung, Keimknospenbildung und Keimzellenbildung, die abgesonderte Zelle oder Zellengruppe für sich allein im Stande war, sich zu einem neuen Individuum auszubilden, so muß dieselbe dagegen bei der geschlechtlichen Fortpflanzung erst durch einen anderen Zeugungsstoff befruchtet werden. Der befruchtende männliche Samen muß sich erst mit der weiblichen Keimzelle, dem Ei, vermischen, ehe sich dieses zu einem neuen Individuum entwickeln kann. Diese beiden verschiedenen Zeugungsstoffe, der männliche Samen und das weibliche Ei, werden entweder von einem und demselben Individuum erzeugt (Hermaphroditismus) oder von zwei verschiedenen Individuen (Genochorismus) (Gen. Morph. II. 58-59).

Die einfachere Form der geschlechtlichen Fortpflanzung ist die Zwitterbildung (Hermaphroditismus). Sie findet sich bei der großen Mehrzahl der Pflanzen, aber nur bei einer großen Minderzahl der Thiere, z. B. bei den Gartenschnecken, Blutegeln, Regenwürmern und vielen anderen Würmern. Jedes einzelne Individuum erzeugt als Zwitter (Hermaphroditus) in sich beiderlei Geschlechtsstoffe, Eier und Samen. Bei den meisten höheren Pflanzen enthält jede Blüthe sowohl die männlichen Organe (Staubfäden und Staubbeutel) als die weiblichen Organe (Griffel und Fruchtknoten). Jede Gartenschnecke erzeugt an einer Stelle ihrer Geschlechtsdrüse Eier, an einer andern Samen. Viele Zwitter können sich selbst befruchten; bei anderen dagegen ist eine Copulation und gegenseitige Befruchtung zweier Zwitter nothwendig, um die Eier zur Entwickelung zu veranlassen. Dieser letztere Fall ist offenbar schon der Uebergang zur Geschlechtstrennung.

Die Geschlechtstrennung (Gonochorismus), die verwickeltere von beiden Arten der geschlechtlichen Zeugung, hat sich offenbar erst in einer viel späteren Zeit der organischen Erdgeschichte aus der Zwitterbildung entwickelt. Sie ist gegenwärtig die allgemeine Fortpflanzungsart der höheren Thiere, findet sich dagegen nur bei einer geringeren Anzahl von Pflanzen (z. B. manchen Wasserpflanzen, Hydrocharis, Vallisneria) und Bäumen (Weiden, Pappeln). Jedes organische Indivuduum als Nichtzwitter (Gonochoristus) erzeugt in sich nur einen von beiden Zeugungsstofen, entweder männlichen oder weiblichen. Die weiblichen Individuen bilden bei den Thieren Eier, bei den Pflanzen den Eiern entsprechende Zellen (Embryobläschen bei den Phanerogamen, Archegoniumcentralzellen bei den höheren Kryptogamen). Die männlichen Individuen sondern bei den Thieren den befruchtenden Samen (Sperma) ab, bei den Pflanzen dem Sperma entsprechende Körperchen (Pollenkörner oder Blüthenstaub bei den Phanerogamen, bei den Kryptogamen ein Sperma, welches gleich demjenigen der meisten Thiere aus lebhaft beweglichen, in einer Flüssigkeit schwimmenden Fäden besteht).

Eine interssante Uebergangsform von der geschlechtlichen Zeugung zur der (dieser nächststehenden) ungeschlechtlichen Keimzellenbildung bietet die sogenannte jungfräuliche Zeugung (Parthenogenesis) dar, welche bei den Insecten in neuerer Zeit vielfach beobachtet worden ist. Hier werden Keimzellen, die sonst den Eizellen ganz ähnlich erscheinen und ebenso gebildet werden, fähig, zu neuen Individuen sich zu entwickeln, ohne des befruchtenden Samens zu bedürfen. Die merkwürdigsten und lehrreichsten von den verschiedenen parthenogenetischen Erscheinungen bieten uns diejenigen Fälle, in denen dieselben Keimzellen, je nachdem sie befruchtet werden oder nicht, verschiedene Individuen erzeugen. Bei unseren gewöhnlichen Honigbienen entsteht aus den Eiern der Königin ein männliches Individuum, wenn das Ei nicht befruchtet wird, ein weibliches, wenn das Ei befruchtet wird, eine Erscheinung, die schon dem Aristoteles bekannt gewesen zu sein scheint, die aber neuerdings erst wieder vollkommen festgestellt wurde. Es zeigt sich hier deutlich, daß in der That eine tiefe Kluft zwischen geschlechtlicher und geschlechtsloser Zeugung nicht existirt, daß beide Formen vielmehr unmittelbar zusammenhängen. Offenbar ist die geschlechtliche Zeugung, die als ein so wunderbarer, räthselhafter Vorgang erscheint, erst in sehr später Zeit aus gewissen Formen der ungeschlechtlichen Zeugung hervorgegangen. Wenn wir aber bei der letzteren die Vererbung als eine nothwendige Theilerscheinung der Fortpflanzung betrachten müssen, so werden wir das auch bei der ersteren können.

In allen verschiedenen Fällen der Fortpflanzung ist das Wesentliche dieses Vorganges immer die Ablösung eines Theiles des elterlichen Organismus und die Befähigung desselben zur individuellen, selbstständigen Existenz. In allen Fällen dürfen wir daher von vornherein schon erwarten, daß die kindlichen Individuen, die ja, wie man sich ausdrückt, Fleisch und Bein der Eltern sind, zugleich immer dieselben Lebenserscheinungen und Formeigenschaften erlangen werden, welche die elterlichen Individuen besitzen. Immer ist es nur eine größere oder geringere Quantität der elterlichen Materie, welche auf das kindliche Individuum übergeht. Mit der Materie werden aber auch deren Lebenseigenschaften übertragen, welche sich dann in ihrer Form äußern. Wenn Sie sich die angeführte Kette von verschiedenen Fortpflanzungsformen in ihrem Zusammenhange vor Augen stellen, so verliert die Vererbung durch geschlechtliche Zeugung sehr Viel von dem Räthselhaften und Wunderbaren, das sie auf den ersten Blick für den Laien besitzt. Es erscheint anfänglich höchst wunderbar, daß bei der geschlechtlichen Fortpflanzung des Menschen, wie aller höheren Thiere, das kleine Ei, eine für das bloße Auge oft kaum sichtbare Zelle (Beim Menschen und den anderen Säugethieren nur von 1/10 Linie Durchmesser) im Stande ist, alle Eigenschaften des mütterlichen Organismus auf den kindlichen zu übertragen; und nicht weniger räthselhaft muß es erscheinen, daß zugleich die wesentlichen Eigenschaften des väterichen Organismus auf den kindlichen übertragen werden vermittelst des männlichen Sperma, welches die Eizelle befruchtete, vermittelst einer schleimigen Masse, in der unendliche feine Eiweißfäden, die Samenfäden, sich umherbewegen. Sobald Sie aber jene zusammenhängende Stufenleiter der verschiedenen Fortpflanzungsarten vergleichen, bei welcher der kindliche Organismus als überschüssiges Wachsthumsproduct des Elternindividuums sich immer mehr von ersterem absondert, und immer frühzeitiger die selbstständige Laufbahn betritt; sobald Sie zugleich erwägen, daß auch das Wachsthum und die Ausbildung jedes höheren Organismus bloß auf der Vermehrung der ihn zusammensetzenden Zellen, auf der einfachen Fortpflanzung durch Theilung beruht, so wird es Ihnen klar, daß alle diese merkwürdigen Vorgänge in eine Reihe gehören, und daß überall die Uebertragung eines Theiles der elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus einzig und allein die Ursache der Vererbung, die mechanische Ursache der Uebertragung auch der Formen und Lebenserscheinungen vom zeugenden auf den erzeugten Organismus ist.

Das Leben jedes organischen Individuums ist Nichts weiter, als eine zusammenhängende Kette von sehr verwickelten materiellen Bewegungserscheinungen. Die specifisch bestimmte Richtung dieser gleichartigen, anhaltenden, immanenten Lebensbewegung wird in jedem Organismus durch die materielle Beschaffenheit, durch die chemische Mischung des eiweißartigen Zeugungsstoffes bedingt, welcher ihm den Ursprung gab. Bei dem Menschen, wie bei den höheren Thieren, welche geschlechtlich sich fortpflanzen, beginnt die individuelle Lebensbewegung in dem Momente, in welchem die Eizelle von den Samenfäden des Sperma befruchtet wird, in welchem beide Zeugungsstoffe sich thatsächlich vermischen, und hier wird nun die Richtung der Lebensbewegung durch die specifische, oder richtiger individuelle Beschaffenheit sowohl des Samens als des Eies bestimmt. Ueber die rein mechanische, materielle Natur dieses Vorganges kann kein Zweifel sein. Aber staunend und bewundernd müssen wir hier vor der unendlichen, für uns unfaßbaren Feinheit der eiweißartigen Materie still stehen. Staunen müssen wir über die unleugbare Thatsache, daß die einfache Eizelle der Mutter, der einzige Samenfaden des Vaters die individuelle Lebensbewegung dieser beiden Individuen so genau auf das Kind überträgt, daß nachher die feinsten körperlichen und geistigen Eigenthümlichkeiten der beiden Eltern an diesem wieder zum Vorschein kommen.

Hier stehen wir vor einer mechanischen Naturercheinung, von welcher Virchow, der geistreiche Begründer der "Cellularpathologie", mit vollem Rechte sagt: "Wenn der Naturforscher dem Gebrauche der Geschichtschreiber und Kanzelredner zu folgen liebte, ungeheure und in ihrer Art einzige Erschienungen mit den hohlen Gepränge schwerer und tönender Worte zu überziehen, so wäre hier der Ort dazu; denn wir sind an eines der großen Mysterien der thierischen Natur getreten, welche die Stellung des Thieres gegenüber der ganzen übrigen Erscheinungswelt enthalten. Die Frage von der Zellenbildung, die Frage von der Erregung anhaltender gleichartige Bewegung, endlich die Fragen von der Selbstständigkeit des Nervensystems und der Seele - das sind die großen Aufgaben, an denen der Menschengeist seine Kraft mißt. Die Beziehung des Mannes und des Weibes zur Eizelle zu erkennen, heißt fast so viel, als alle jene Mysterien lösen. Die Entstehung und Entwickelung der Eizelle im mütterlichen Körper, die Uebertragung körperlicher und geistiger Eigenthümlichkeiten des Vaters durch den Samen auf dieselbe, berühren alle Fragen, welche der Menschengeist je über des Menschen Sein aufgeworfen hat12)." Und, fügen wir hinzu, sie lösen diese höchsten Fragen mittelst der Descendenztheorie in rein mechanischem, rein monistischen Sinne!

Daß also auch bei der geschlechtlichen Fortpflanzung des Menschen und aller höheren Organismen die Vererbung, ein rein mechanischer Vorgang, unmittelbar durch den materiellen Zusammenhang des zeugenden und des gezeugten Organismus bedingt ist, ebenso wie bei der einfachsten ungeschlechtlichen Fortpflanzung der niederen Organismen, darüber kann kein Zweifel mehr sein. Doch will ich Sie bei dieser Gelegenheit sogleich auf einen wichtigen Unterschied aufmerksam machen, welchen die Vererbung bei der geschlechtlichen und bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung darbietet. Es ist eine längst bekannte Thatsache, daß die individuellen Eigenthümlichkeiten des zeugenden Organismus viel genauer durch die ungeschlechtliche als durch geschlechtliche Fortpflanzung auf das erzeugte Individuum übertragen werden. Die Gärtner machen von dieser Thatsache schon lange vielfach Gebrauch. Wenn z. B. in einem Garten zufällig ein einzelnes Individuum von einer Baumart, welche sonst steife, aufrecht stehende Aeste und Zweige trägt, herabhängende Zweige bekömmt, so kann der Gärtner in der Regel diese Eigenthümlichkeit nicht durch geschlechtliche, sondern nur durch ungeschlechtliche Fortpflanzung vererben. Die von einem solchen Trauerbaum abgeschnittenen Zweige, als Stecklinge gepflanzt, bilden späterhin Bäume, welche ebenfalls hängende Aeste haben, wie z. B. die Trauerweiden, Trauerbuchen. Samenpflanzen dagegen, welche man aus den Samen eines solches Trauerbaumes zieht, erhalten in der Regel wieder die ursprüngliche, steife und aufrechte Zweigform der Voreltern. In sehr auffallender Weise kann man dasselbe auch an den sogenannten "Blutbäumen" wahrnehmen, d. h. Spielarten von Bäumen, welche sich durch rothe oder rothbraune Farbe der Blätter auszeichnen. Abkömmlinge von solchen Blutbäumen (z. B. Blutbuchen), welche man durch ungeschlechtliche Fortpflanzung, durch Stecklinge von Knospen und Zweigen erzeugt, zeigen die eigenthümliche Farbe und Beschaffenheit der Blätter, welche das elterliche Individuum auszeichnet, während andere, aus den Samen der Blutbäume gezogene Individuen in die grüne Blattfarbe zurückschlagen.

Dieser Unterschied in der Vererbung wird Ihnen sehr natürlich vorkommen, sobald Sie erwägen, daß der materielle Zusammenhang zwischen zeugenden und erzeugten Individuen bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung viel inniger ist und viel länger dauert, als bei der geschlechtlichen. Auch geht bei der letzteren ein viel kleineres Stück der elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus über, als bei der erstern. Die individuelle Richtung der Lebensbewegung kann sich daher bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung viel länger und gründlicher in dem kindlichen Organismus befestigen, und viel strenger vererben. Alle diese Erscheinungen im Zusammenhang betrachtet bezeugen klar, daß die Vererbung der körperlichen und geistigen Eigenschaften ein rein materieller, mechanischer Vorgang ist, und daß die Uebertragung eines größeren oder geringeren Stofftheilchens vom elterlichen Organismus auf den kindlichen die einzige Ursache der Aehnlichkeit zwischen Beiden ist. Sie erklären uns hinlänglich, warum auch die feineren Eigenthümlichkeiten, die an der Materie des elterlichen Organismus haften, früher oder später an der Materie des kindlichen Organismus wieder erscheinen.


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Date of creation: 16. January 2002.