Italienfahrt - Ernst Haeckel

Neapel, 1. 4. 1859.

Brief Nr. 11

Endlich bin ich denn heute nach vieler Mühe in den Besitz einer definitiven Wohnung an der S. Lucia gelangt und es soll mein erstes darin sein, Euch Lieben allen einen herzlichen Gruß daher zu senden. Diese kurze Straße, welche von allen in Neapel fast die schönste Lage hat, ist für meine Zwecke ganz besonders durch ihre Lage unmittelbar am Fischmarkt (am Strand) geeignet und wird mich daher wohl während meines ganzen Aufenthalts in Neapel beherbergen. Wahrscheinlich werde ich das Zimmer bald mit einem besseren und billigeren vertauschen; vorläufig mußte ich schon zufrieden sein, nur dieses zu bekommen, da jetzt noch ein Fremdenkonflux hier herrscht, wie er nur selten dagewesen ist. Aus diesem Grunde ist das Leben auch hier jetzt doppelt so teuer und die Menschen doppelt so unverschämt, wie später im Sommer, wo ich das jetzt Zuvielausgegebene wieder einzusparen hoffe. Jetzt bin ich schen herzlich froh darüber, daß ich nun wenigstens bald werde anfangen können zu arbeiten; morgen werde ich die hiesigen Naturforscher besuchen und diese werden mir hoffentlich Fischer anweisen, die mir Material bringen können.

Das Interimistikum der letzten fünf Tage war nichts weniger als angenehm, und ich sehe der frischen Arbeit mit wahrer Sehnsucht und neuer Lust entgegen. Zum ordentlichen Umherstreifen in der wundervollen Umgebung Neapels wird es jetzt wohl wenig kommen; auch ist es fast noch zu früh dazu, namentlich im Gebirg. Ich verspare mir diese Freuden lieber auf die heißesten Monate, wo ich doch nicht viel werde arbeiten können.

Wie Ihr aus meinem letzten Brief, am Tage meiner Ankunft (28. 3.) in Neapel geschrieben, jetzt bereits wissen werdet, war unsere Überfahrt von Rom (Civita vecchia) her sehr angenehm, um so unangenehmer der Empfang, der uns hier durch die Paß- und Zollbeamten, Facchini und Bootsführer bereitet wurde; eine Menschenklasse, die wohl kaum irgendwo verdorbener und impertinenter sein kann als hier. Alle Proben italienischer Frechheit und Infamie, die ich bisher, namentlich in Genua und Livorno genossen, sind gegen diese hier in Neapel ein Kinderspiel. Die Impertinenz und hinterlistige Verschlagenheit dieser Leute bietet uns täglich eine Masse Proben, die nach unseren Ansichten und Begriffen ganz unglaublich sind. Überhaupt hat alles, was ich bisher von den Neapolitanern gesehen, mir dieselben in möglichst schlechtem Lichte gezeigt, und man muß die andern Italiener, im Vergleich mit diesen, noch als sehr gebildete, feine Leute rühmen. Von diesem Grad der Unwissenheit, Rohheit, Trägheit und Sittenverderbnis kann man sich nach unserem Maßstab nur schwer einen Begriff machen, und es läßt sich dies nur einigermaßen dadurch erklären, daß Neapel fast ganz allein von den Fremden lebt und daher alle Kunst und ihr ganzes Streben nur darauf hinausläuft, diese "forestieri" möglichst systematisch auszuplündern, was ihnen mitteslt ihrer Schlauheit und Frechheit auch vortrefflich gelingt . . .

Der herrliche Morgen des 30. 3. lockte mich unwiderstehlich ins Freie, und ich ging am Strand in südwestlicher Richtung zu dem Höhenzug des Posilippo hin, welcher den Golf von Neapel nach Westen zu einschließt, dann über diesen hinweg auf der wundervollen Strade nuova di Posilippo, reich an den allerherrlichsten Aussichten, welche den schönsten Stoff zu Landschaftsbildern zu Hunderten darbieten. Die Straße zieht sich, allmählich am steilen Fels ansteigend, immer längs des Meeres hin, das in wunderherrlicher tiefblauer Rundung zu den Füßen sich ausbreitet, gegenüber von der schönen, sanftgeschwungenen Bergkontur des Vesuvs überragt, nach dem weiter südöstlich die zackigen Bergketten Sorrents (Monte Angelo) folgen, dann aus dem Meer auftauchend das äußerst malerische Capri, eine mächtige Felsmasse von den schönsten Formen. Diesem köstlichen Hintergrund gegenüber bieten die zahllosen kleinen Buchten am Fuß des Posilip mit ihren niedlichen Villen, alten Ruinen und der prachtvollen Vegetation auf den steil ins Meer vorspringenden Felsblöcken den reichsten, mannigfaltigsten Stoff zu ienem prächtigen Vordergrund. Bei jeder Wendung des Weges erschien mir das Bild neu reizend und entzückend, so daß ich mir dutzendweis den Plan zu kleinen Landschaftsbildern in Gedanken skizzierte. Wie wurde ich aber überrascht, als ich auf der äußersten Spitze des Posilip, auf dem höchsten Punkte der Straße, am sogenannten Scoglio di Virgilia, von einer ganz andern Aussicht auf einen wunderbaren Golf, den von Bajae, blickte, in prächtig geschwungenen Rundungen bis zum Cap Miseno sich erstreckend, dessen zackige Konturen von den mächtigen blauen Bergen der Insel Ischia überragt wurden. Am Strande hin sah ich die roten Häuser von Bagnoli und die weißen von Puzzuoli. Einen reizenden Vordergrund gab aber die nahe Felsmasse der kleinen Insel Nisita ab und das zwischen ihr und dem Strand gelegene Inselchen Lazzaro, auf dem die Quarantäne sich befindet. Der Strand war so feinsandig und glatt und der frische Südostwind blies so prächtige, große Wellen hervor, daß mich unwillkürlich die Lust, ein Bad zu nehmen, ergriff. Gedacht, getan! Meine Kleider in einer entlegenen Grotte der Virgilsklippe zurücklassend, sprang ich mit Wonnegefühl in die blaue Flut und ließ mich von den mächtigen, schäumenden Wogen tüchtig durchpeitschen, schwamm auch eine kleine Strecke nach Nisita zu hinaus. Natürlich war das Wasser noch ziemlich frisch, doch glaube ich kaum unter 10o R, also mehr, als ich in Helgoland oft gehabt habe. In unserer Nord- und Ostsee wird es wohl im März etwas kälter sein! Nach der Ansicht der Italiener kann man nur im hohen Sommer baden (Juni bis August) und sie halten ein Bad im Frühjahr für lebensgefährlich, natürlich ohne allen Grund. Das meinige bekam mir trefflich, und ich wünschte nur, alle Tage Zeit zu haben, mir diesen Genuß zu verschaffen.

Nahe dem Ort, wo ich mein erstes Mittelmeerbad in diesem Jahre nahm, befinden sich die Ruinen der Bäder des Lucull, und die Umgegend war so reizend, daß ich sehr gern noch auch den Golf von Bajae mit Puzzuoli usw. umwandert hätte. Leider mußte ich aber um 1 Uhr beim Gesandten sein, der mich von gestern auf heut bestellt hatte. Ich trat also gleich nach dem Bad meinen Rückweg an, der mir die Reihe reizender Landschaftsbilder in noch schönerer Folge wiederholte. Die Felsen prangten zum Teil schon in der herrlichsten Vegetation und waren auf große Strecken mit rothen Levkojen (Matthiola rupestris), und gelbem Kohl (Brassica incana) und weißen Kreuzblumen (Subularia) sowie mit einer blauen Boraginee bedeckt. Ich kam um 1 Uhr noch grade zurecht, um den Gesandten, Herrn von Canitz, zu sprechen, der mich infolge der Empfehlung des Ministeriums des Äußern sehr wohlwollend empfing und mir allen möglichen Beistand anbot . . .

Heute ging ich zur S. Lucia, wo ich denn endlich eine Wohnung fand, ganz für mich passend, obwohl nicht besonders schön und auch noch ziemlich teuer (täglich 4 Carlins = 13 Silbergroschen). Ich zog sogleich ein. Das Zimmerchen ist ziemlich klein und sehr einfach. Es liegt im 2. Stock des letzten Hauses des S. Lucia, Nr. 21, an der Ecke, die nach der Chiaja herumführt, unmittelbar dem Castel dellī ovo gegenüber, welches hier vom Strand rechtwinklig in die See vorspringt. Das beste an der Wohnung ist die Lage, die unvergleichlich schön ist. Wie alle Zimmer hier hat auch dieses nur ein einziges Fenster, das zugleich Türe ist und auf einen kleinen Balkon hinausführt, so groß, daß es die Hälfte der nach dem Meer schauenden Wand einnimmt. Der Blick, der sich mir den ganzen Tag über durch diese, natürlich immer offenstehende Fenstertüre darbietet, ist so schön, als ich nur immer wünschen kann; die volle Front nimmt über dem Golf drüben der herrliche Vesuv in seiner ganzen Länge ein, dessen glühende Lavamassen mir den ganzen Tag über das herrlichste Feuerwerk darstellen. Rechts sehe ich über das malerische Castel dellī ovo hinweg auf die zackigen Sorrentinergebirge und weiterhin das schöne Capri, links über das Arsenal und den Leuchtturm sowie über den Mastenwald des Hafens nach dem schneebedeckten, höchsten Apenninenzug. Die reinste Seeluft weht mir den ganzen Tag frisch und voll über den prächtigen, dunkelblauen Golf hinweg in das Zimmer hinein. Zu Füßen habe ich das bunte Gewimmel des Strandvolkes, das muntere Fischerleben der S. Lucia. Die Lage ist mir höchst erwünscht und angenehm. Über zwei kleine Treppen hinunter und quer über die Straße weg bin ich mit 20 Schritten am Strand, wo ich mir leicht immer frisches Seewasser, und wenn die Fischer kein ordentliches Material bringen, auch eine hinreichende Menge Algen und kleinerer Strandtiere ohne Mühe selbst verschaffen kann . . .


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