Malayische Reisebriefe von Ernst Haeckel (1901)

Achtes Capitel.

Auf der Insel Sumatra.

Das wunderbare Reich von Insulinde ist nicht allein durch die unübertroffene Pracht und Ueppigkeit seiner Tropennatur höchst anziehend, sondern auch die auffallende Verschiedenheit seiner einzelnen Theile. Seitdem Alfred Wallace vor dreißig Jahren sein berühmtes Werk über den malayischen Archipel veröffentlichte, ist die von ihm durchgeführte Scheidung desselben in eine westliche, indische und eine östliche australische Hälfte bis auf den heutigen Tag ein Gegenstand der interessantesten Discussionen und der fruchtbarsten geograpischen und phylogenetischen Erkenntnisse gewesen. Wie Wallace auf Grund seiner reichen langjährigen Erfahrung und seiner ausgedehnten systematischchorologischen Kenntnisse nachwies, ist die Thierbevölkerung in diesen beiden Hälften des großen, scheinbar ein Ganzes bildenden malayischen Inselreiches wesentlich verschieden. Die westliche Hälfte, der  i n d o m a l a y i s c h e   A r c h i p e l, mit den drei großen Sunda-Inseln (Java, Sumatra, Borneo) und den Philippinen, stimmt im allgemeinen Charakter seiner Landfauna mit dem nördlich ansstoßenden Gebiete von Südasien, zunächst der malayischen Halbinsel Malacca, überein und hat ursprünglich von diesem seine Landbevölkerung erhalten. Hier finden wir dieselben großen Hauptordnungen der  Z o t t e n t h i e r e  (oder der höheren,  p l a c e n t a l e n  Säugethiere) wie auf dem südasiatischen Continente, in der indischen oder orientalischen Region; hier sind die Wälder von Schaaren echter Affen und Halfaffen belebt; hier finden die großen Hufthiere: Elephanten und Rhinoceros, zahlreiche Arten von Hirschen und Antilopen, Massen von Nagethieren und Insectenfressern ihr reichliches Futter; und hier wird deren Vermehrung durch zahlreiche blutgierige Raubthiere Einhalt gethan: viele Arten von Katzen, Hunden, Zibetkatzen und Bären, vor Allen durch den majestätischen Königstiger. Ebenso trägt die Vogelwelt und die Landbevölkerung der Reptilien und anderer Thierclassen im indomalayischen Archipel den echten indischen oder orientalischen Charakter.

Fig. 54.  E i n   P a a r   M e n t a w e i - I n s u l a n e r  (Mann und Frau von Siberut).

Völlig verschieden ist dagegen die terrestrische Fauna der östlichen Hälfte von Insulinde, des  a u s t r a l m a l a y i s c h e n   A r c h i p e l s. Hier finden wir auf den Molukken und in Neu-Guinea fast nichts von jenen herrschenden Zottenthieren der westlichen Hälfte, oder nur solche Arten, welche vom Menschen erst spät eingeführt sind (Hund, Schwein, Ratte, Maus u. s. w.), oder welche vermittelst ihres Flugvermögens leicht von dorther einwandern konnten (Fledermäuse). Dagegen finden wir an ihrer Stelle eigenthümliche Arten von  B e u t e l t h i e r e n, von jenen niederen,  m a r s u p i a l e n  Säugethieren, welche außerdem gegenwärtig fast nur auf dem Continente von  N e o r a n i e n, in Neuholland gefunden werden. Da giebt es marsupiale Raubthiere und Insectenfresser, marsupiale Hufthiere und Nagethiere, welche den entsprechenden placentalen Ordnungen nahe verwandt und oft zum Verwechseln ähnlich erscheinen; und doch tragten sie alle im inneren Körperbau die gemeinsamen Merkmale der Unterclasse der  M a r s u p i a l e n, jener niederen und älteren Abtheilung der Säugethiere, aus welcher die höher organisirten  P l a c e n t a l e n  erst später (während der Kreideperiode) hervorgegangen sind. Der geneigte Leser, welcher sich für diese wichtige Frage interessirt, findet darüber Näheres im 26 Capitel meiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" und im 22. Vortrage meiner "Anthropogenie".

Wenn man von den indomalayischen großen Sunda-Inseln, Java und Borneo, in wenigen Tagen nach den benachbarten australmalayischen Inseln hinüber fährt, nach Flores und Celebes, weiterhin nach den Molukken und Neu-Guinea, so tritt der charakteristische Unterschied ihrer terrestrischen Fauna - nicht allein in der Klasse der Säugethiere, sondern auch in der der Vögel und Reptilien, und ebenso in anderen Thierclassen - immer auffallender hervor, um so mehr, je weiter man nach Osten kommt. Wallace zog daraus eine eine Anzahl von wichtigen Schlüssen über die Entwickelung und Verbreitung dieser Thiergruppen durch Wanderung und betonte namentlich, daß die Trennung der beiden malayischen Gebiete durch tiefe Meerengen schon seit früher Tertiärzeit (seit einigen Millionen Jahren!) ein Hinderniß für die spätere Vermischung der beiderlei Landfaunen gebildet habe. Er irrte jedoch in manchen Einzelheiten und besonders darin, daß er die Grenze zwischen den beiden kleinen Nachbarinseln Bali und Lombok (östlich von Java) zu scharf zog, und djaß er weiter nördlich auch den Gegensatz zwischen Borneo und Celebes zu sehr betonte. Spätere Forschungen, namentlich von Max Weber, Richard Semon, Willy Kükenthal u. A., in neuester Zeit von den beiden Herren Sarasin, haben jene Irrthümer berichtigt. Jedoch gehen manche neuere Schriftsteller viel zu weit, wenn sie glauben, daß damit die ganze geistreiche Theorie von Wallace widerlegt und werthlos geworden sei. Vielmehr bleibt diese in ihren Grundzügen bestehen und es sind nur (wie bei vielen anderen großen Theorien) genauere Aufschlüsse über einzelne Verhältnisse, welche die Aufgabe schwieriger und complicirter erscheinen lassen, als sie zuerst erschien. Insbesondere sind in diesem Falle die chorologischen Fragen nach den vielfachen Wanderungen der Thiere aus einem Gebiet in das andere, von einer Insel zur anderen, ferner die geologischen Fragen nach den Verhältnissen der jetzigen und der früheren Configuration viel verwickelter, als man zuerst annahm.

Trotz alledem - oder besser: eben deswegen - bleibt Insulinde mit seinen beiden so verschiedenen Archipel-Hälften für den Naturforscher eines der interessantesten Gebiete unserer Erde, und es werden noch viele Jahre (oder Jahrzehnte!) vergehen, ehe die Mehrzahl der vielen hier vorliegenden Probleme gelöst sein wird. An dieser interessanten Arbeit mich zu betheiligen, war mein sehnlicher Wunsch gewesen, und ich hatte bei Antritt meiner malayischen Reise sicher gehofft, wenigstens einige Monate auch im östlichen Gebiete verweilen zu können. Mein verehrter Freund, Professor  M a x   W e b e r  in Amsterdam, hatte mir für diese "M o l u k k e n r e i s e" einen vortrefflichen Plan entworfen und mich reichlich mit werthvollen Empfehlungen ausgestattet. Als Hauptziel schwebte mir dabei die tiefe  B a n d a s e e  vor, mit ihrem berühmten Reichthum an schönen Korallen und anderen Seethieren. Insbesondere gedachte ich auf der Insel  A m b o n  mein zoologisches Laboratorium aufzuschlagen - einen classischen Orte für die marine Zoologie, seitdem der treffliche alte deutsche Naturforscher Georg Eberhard Rumpf dort sein großes Werk, die "Amboinische Raritätenkammer" verfaßt hat. Was neuerdings über diese herrliche Insel (südlich von Ceram) und ihre reiche Fauna mein Schüler  R i c h a r d   S e m o n  in seiner ausgezeichneten, mehrerwähnten Reiseschilderung über die "Küsten des Korallenmeeres" mitgetheilt und durch mündliche Mittheilungen ergänzt hatte, war besonders geeignet, mir diesen längeren Aufenthalt auf Ambon als den zoologisch ergiebigsten Theil meiner Insulindefahrt erscheinen zu lassen.

Allein hier - wie schon öfter auf meinen zahlreichen Reisen! - machte das tückische Schicksal mir einen dicken Querstrich durch meine schönen Pläne. Als ich im November im Garten von Beutenzorg die Lichteffecte der senkrecht stehenden Tropensonne zur Mittagszeit studirte und (trotz der wohlgemeinten Warnung meines Freundes Treub!) mich Stunden lang mit ihrer photographischen Wiedergabe abquälte, hatte ich das disponible Maß meiner Kräfte überschätzt. Ein leichter Sonnenstich verursachte mir Uebelbefinden und Schwindel, und als ich denselben durch ein kaltes Bad zu neutralisiren versuchte, zog ich mir eine starke Erkältung zu. Die Folge war ein rheumatisches Fieber, welches eine Anschwellung des rechten Kniegelenks nach sich zog und mich mehrere Wochen am Gehen hinderte. Als ich gegen Weihnachten wiederhergestellt war, erschien die noch disponible Zeit zu kurz, um die geplante Molukkenreise auszuführen. Inzwischen hatte ich eine sehr verführerische Einladung zum Besuche der Westküste von  S u m a t r a  erhalten, wo mir die reichen Korallenbänke von Padang und den benachbarten Inseln den besten Ersatz für den aufgegebenen Besuch von Ambon zu bieten schienen. Nach Abschluß der Gebirgsreise durch Java fuhr ich also direct von Batavia nach Padang.

Diese Reise auf dem Königlich Niederländischen Postdampfer dauert nur zwei Tage (44-52 Stunden gewöhnlich); sie gehört aber zu den theuersten Vergnügen dieser Art auf dem ganzen Erdenrunde. Ein Platz in der ersten Classe kostet 150 Gulden (= 260 Mark); macht pro Tag 130 Mark! - Überhaupt sind die Fahrzeuge der holländischen Dampfboote, die in den meisten Theilen des malayischen Archipels den Vorzug des Monopols haben, sehr hoch; es wird darüber allgemein geklagt. Die Schiffe sind von mittlerer Größe, aber gut eingerichtet. Die "Princeß Amalia", auf der ich von Batavia am 23 Januar nach Padang fuhr, war eine Dame von etwas vorgeschrittenen Jahren und brauchte für diese Strecke bei schönem Wetter 54 Stunden.

Nach der Abfahrt von Tandjong Priok, dem neuen Hafen von Batavia, fuhren wir zunächst längs der Westküste von Bantam hin, der westlichsten Provinz von Java; wir passirten viele kleine, meistens mit Wald bedeckte Inseln. Dann wendeten wir nach Südwesten und traten in die  S u n d a s t r a ß e  ein. Zur Rechten erschien bald die Südostspitze von Sumatra, darüber die Kaiserspitze im Gebirge von Lampongs. Zur Linken versperrten die Korangberge von Bantam, südlich die Nicolasspitze, den Blick nach Süden. Besondere Aufmerksamkeit erregte bald ein spitzer Vulcankegel, der sich mitten aus dem südlichen Theil der Sundastraße, nördlich von der Princeninsel, erhebt; es ist der berühmte  K r a k a t a u. Die furchtbare Eruption dieses modernen Vulcans am 27. August 1883 gehört zu den großartigsten vulcanischen Ausbrüchen, von welchem uns die Geschichte berichtet; sie kostete 40000 Menschen das Leben und bedrohte Westjava und Südsumatra mit Vernichtung.

Der Krakatau liegt in der Mitte einer langen Erdspalte, welche sich von Südwest nach Nordost gegen die Sundastraße hinzieht. Man nimmt an, daß die Decke dieser Spalte damals theilweise einstürzte, und daß große Wassermengen in die darunter verborgene, gluthflüssige Masse eindrangen. Der ungeheure Druck der Dämpfe, die dadurch plötzlich entwickelt wurden, sprengte dann den Krater, der seit zweihundert Jahren ganz ruhig gewesen war, vollständig in die Luft. Schon drei Monate zuvor, im Mai, strömten Dampfwolken aus demselben aus, welche 11000 Meter Höhe erreichten. Bei der großen Eruption selbst stieg diese bis zu 27000 Metern, fünf Mal die Höhe des Montblanc. Nicht weniger als 18 Kubikkilometer Lava und Bimsstein wurden ausgeworfen. Der ungeheure Aschenregen, welcher sich dabei über Südsumatra und Westjava ergoß, erstreckte sich bis in das Hochland vonv Preanger und hüllte einen Flächenraum größer als Irland während der Mittagsstunden in nächtliche Finsterniß. Der feinere Aschenregen dehnte sich über ein Gebiet größer als Deutschland aus. Die feinsten Theilchen der ausgeworfenen Massen aber erhoben sich in die höchsten Regionen unserer Atmosphäre und breiteten sich hier rings um den ganzen Erdball aus; sie veranlaßten jenes wunderbare rothe Farbenspiel der Abendhimmels, welches uns im Herbst 1883 bei Sonnenuntergang mehrere Monate hindurch in Erstaunen versetzte.

Das gewaltige Erdbeben in Folge dieser Krakatau-Explosion erstreckte sich über einen Flächenraum, dessen Radius der Entfernung zwischen London und Konstantinopel gleich kam. Alles Lebendige, was sich im Umkreise von fünf geographischen Meilen von der Eruptionsstelle befand, war dem Tode geweiht und wurde theils verbrannt, theils unter der Asche begraben. Das furchtbare Unglück jedoch verursachte eine ungeheure Meereswoge, welche sich in Folge des plötzlichen Einsturzes des halben Vulcans erhob und die benachbarten Küsten überfluthete. An der Westküste von Java schwemmte dieselbe beim Zurücktreten zahlreiche Dörfer nebst 36000 Einwohnern mit sich fort und kehrte Häuser und Vieh, Baume und Felsen zugleich mit den Menschen in den Abgrund des Meeres. Ein reicher, fruchtbarer Landstrich von 50 Meilen Länge und 5000 Metern Breite wurde mit einem Schlage dadurch in eine öde Wüste verwandelt. An der gegenüber liegenden Südspitze von Sumatra, im Golfe von Telok Betong, erhob sich die furchtbare Fluthwelle bis zu 24 Metern Höhe, sie warf unter Anderem ein dort ankerndes Dampfschiff auf die Mitte eines 3300 Meter entfernten chinesischen Marktplatzes. Die Masse der ausgeworfenen weißen Bimssteine war so groß, daß sie noch mehrere Jahre lang die Oberfläche des Meeres in der Sundastraße und weit hinaus in den Indischen Ocean bedeckten. Noch jetzt begegneten an einigen Stellen solchen schwimmenden Bimssteinbänken.

Aber die wunderbare Zeugungskraft der Tropensonne von Insulinde ist so mächtig, daß sie selbst die grauenhaften Folgen dieser furchtbaren Krakatau-Eruption bald wieder vergessen machte. Der neue Kegelberg, welcher sich in Folge derselben erhob, bedeckte sich bald wieder mit neuer Vegetation, und als Professor Treub, fünf Jahre nach dem Ausbruch, denselben besuchte, fand er bereits einen großen Theil des Vulcans wieder mit einer grünen Pflanzendecke gechmückt. Als wir am Nachmittag des 23. Januar nahe seiner Südküste vorbei fuhren, konnten wir deutlich nicht nur die dünnen, braunen Lavarippen unterscheiden, welche vom Gipfel des Kegels nach allen Seiten ausstrahlend seinen grünen Mantel durchsetzten, sondern auch ein kleines Wäldchen am Strande, dessen Bäume 10-15 Meter Höhe zu erreichen schienen.

Den folgenden Tag fuhren wir längs der Südwestküste von Sumatra hin, in solcher Entfernung, daß wir deutlich die zahlreichen hohen Vulkankegel unterscheiden konnten, welche in einer langgestreckten Reihe über dem Rücken des  B a r i s a n g e b i r g e s  sich erheben. Dieser mächtige Gebirgszug, über 2000 Meter aufsteigend, zieht in der Richtung von Südost nach Nordwest durch die ganze lange Insel Sumatra hin und scheidet die schmale, steil aufsteigende Südwestküste derselben von dem breiten, flachen Tiefland der Nordostküste; das letztere ist schwach bevölkert und größtentheils mit Sümpfen und Urwald bedeckt. Auch die steilen Abhänge der Südwestseite des Gebirgszuges, in mehreren parallelen Rücken übereinander aufsteigend, sind fast ganz mit dichtem grünen Wald überzogen und lassen nur selten Spuren von menschlichen Bewohnern am Strande erkennen. Der Königstiger, welcher diese einsamen Urwälder in Menge bewohnt, scheint keine menschliche Herrschaft neben sich zu dulden. Ebenso erscheinen die zahlreichen kleinen Inseln, an denen wir vorbei fuhren, ganz unbewohnt und mit Wald bedeckt.

Am Mittag des 25. Januar näherte sich unser Schiff der malerischen Königinbai, der geräumigen, von hohen, bewaldeten Bergen umschlossenen Bucht, welche im Süden von  P a d a n g  liegt; sie ist von dieser Hauptstadt der Insel durch einen nach Westen in das Meer vorspringenden Bergrücken geschieden, den Affenberg. Am Fuße des letzteren liegt der neue, treffliche Hafen von Padang, der "Emmahafen", in dem um 3 Uhr Nachmittags unser Dampfer vor Anker ging. Unter den wenigen Europäern, welche am Ufer seine Ankunft erwarteten, gewahrte ich schon von Bord aus Herrn  T h e o d o r   D e l p r a t, den ich in Batavia kennen gelernt, und der mir bereits dort seine Gastfreundschaft für die Zeit meines Aufenthaltes in Padang angeboten hatte.

In dem schönen Directionswagen, welcher auf der am Hafen mündenden Eisenbahn uns erwartete, gelangten wir in zwanzig Minuten zur Bahnstation von Padang. Der Palmenwald, durch welchen wir am östlichen Fuße des Affenberges hinfuhren, ließ sofort die hohe landschaftliche Schönheit der Umgebung von Padang erkennen und die strahlende Ueppigkeit des tropischen Pflanzenwuchses, der seine felsigen Gebirgsmauern bedeckt. In dem Gebüsch des lichten Palmenhains liegen malerisch die Hütten der Eingeborenen zerstreut, von Pisangbüschen, Manihot-Stauden und Melonen-Bäumen (Carica papaja) umgeben. Ihre hohen Dächer, mit Palmbast gedeckt, sind sattelförmig, tief ausgeschweift. Da die Hütten auf mehrere Meter hohen Pfählen stehen, führt zu ihrem engen Eingang eine schmale Treppe oder Leiter hinauf. Bei den vornehmen Häusern sind Treppe und Wände zierlich dekorirt und bemalt. (Fig. 53.) Auf einer eisernen Brücke von 100 Meter Länge überschreitet die Bahn den Padangfluß, welcher an der Westseite des Affenberges in das Meer mündet.

Der Arbeitsplan, welchen ich mir für die fünf bis sechs Wochen meines Aufenthaltes in Sumatra sorgfältig ausgearbeitet hatte, war reiflich erwogen und versprach mir unter ungewöhnlich günstigen Verhältnissen reiche Ausbeute. Ich gedachte zunächst mehrere wochen dem Studium der marinen Zoologie zu widmen, wobei einerseits das südindische Plankton, andererseits die interessante Fauna der Korallenbänke vorzügliches Arbeitsmaterial in Aussicht stellten. Herr Delprat hatte für die damit verknüpften technischen Arbeiten seine bewährte praktische Ingenieurskunst und ein geübtes Personal von eingeborenen Fischern und Tauchern zur Disposition gestellt, sowie treffliche Arbeitsräume, in denen

Fig. 53. Familienhaus in Padang. Vor demselben ein Paar Melonenbäume (Carica papaja)
ich meine Instrumente aufstellen und meine Sammlungen verpacken konnte. Weiterhin gedachte ich mehrere der reizenden kleinen Koralleninseln zu besuchen, welche dem Küstensaum von Padang vorliegen, und sowohl ihren Aufbau aus lebenden Korallenthieren als auch ihre übrige Thierbevölkerung zu untersuchen. Der Generalgouverneur von Niederländisch-Indien, General Rooseboom in Beutenzorg, an welchen ich durch den Großherzog von Weimar und durch das Ministerium der Colonien im Haag besonders empfohlen war, hatte mir für die Ausführung jener Fahrten das Regierungs-Dampfboot "Condor" zur Verfügung gestellt und den Gouverneur von Sumatra ersucht, mir in jeder Weise behülflich zu sein. Aber auch zu einer weiteren Fahrt mit dem "Condor" würde sich die erwünschte Gelegenheit geboten haten, nämlich zu dem Besuche der entfernten Nias-Inseln und vielleicht selbst der Mentawei-Inseln - selten besuchter, mehrere Tagesreisen südwestlich von Sumatra gelegener Koralleninseln, die noch heute von Wilden eines eigenthümlichen malayischen Rassenzweiges bewohnt sind. Endlich gedachte ich die letzte Woche meines Aufenthaltes auf Sumatra zu einem Besuche des Padanger Hochlandes zu verwenden, eines wegen seiner wilden Naturschönheit berühmten Gebirgslandes.

So durfte ich denn hoffen, daß die sechs Wochen auf Sumatra mich mit einer Fülle von interessanten Beobachtungen bereichern und einen glänzenden Abschluß meiner schönen Reise nach Insulinde bilden würden, würdig der herrlichen Eindrücke, mit welchen mich die drei Monate auf Java beschenkt hatten. Mein ganzer "Himmel hing voller Geigen", und ich hoffte, diesen kostbaren Monat um so intensiver auszubeuten und zu genießen, als mich die prächtige Gebirgsfahrt durch das Preanger-Paradies ungemein erquickt und die letzten Spuren der vorhergegangenen Erkrankung verwischt hatte. Allein - leider! - hatte ich meine schöne Rechnung "ohne den Wirth" gemacht, d. h. ohne Furcht vor jener unheimlichen Macht, welche wir "Schicksal" nennen, ohne Gedanken an das grausame "Kismet", an die "Anangke", welche "Götter und Menschen bändigt". Schon eine halbe Stunde nach meiner glücklichen Ankunft in Padang war mein ganzer herrlicher Sumatra-Traum in flüchtigen Schaum zerronnen, und ich mich an den Gedanken gewöhnen, auf den großten Theil meiner Arbeitspläne zu verzichten.

Das kam nun so! Mein gütiger Gastfreund, Herr Delprat, der Hauptingenieur der niederländischen Staatseisenbahnen an der Südwestküste von Sumatra, wollte mir gleich nach der Ankunft auf dem Bahnhofe in Padang die große Maschinenwerkstätte zeigen, die er neben demselben errichtet und vortrefflich ausgestattet hat. Bei der Wanderung durch dieselbe ereilte mich das Mißgeschick eines gefährlichen Falles. Während mein Begleiter mir eine sinnreiche, über unserem Kopfe angebrachte Einrichtung erklärte, achtete ich nicht auf den Weg und strauchelte über eine schräg darüber gelegte Schiene. Beim Falle verletzte ich mir das linke Bein dergestalt, daß ich nur mit Mühe zu dem bereit stehenden Wagen gehen konnte, und daß in den nächsten Tagen - trotz sofort angewendeter Eisumschläge - eine heftige Entzündung des Kniegelenks eintrat; durch die starke Anschwellung desselben war ich volle vier Wochen am Gehen gehindert. Der holländische Militärarzt, den ich consultirte, Dr. Stibbe, erklärte absolute Ruhe für nothwendig und legte mir großer Sorgfalt eine festen Compressionsverband an. Meine Absicht, in das Militärhospital von Padang überzusiedeln und mich dort festzulegen, wurde durch die Güte meines sorglichen Gastfreundes und seiner vortrefflichen Frau Gemahlin verhindert; sie bestanden darauf, daß ich bis zur völligen Genesung in ihrer Wohnung bleiben müsse. Für die treue und sorgfältige Pflege, die mir beide während dieses Lebensmonats angedeihen ließen, muß ich ihnen auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank wiederholen; ich lernte hier die berühmte "indische Gastfreundschaft" auch in ihrer zartesten Form, als aufmerksame und unermügliche Krankenpflege, kennen.

Unter den mancherlei Unfällen und Widerwärtigkeiten, welche die schönen Eindrücke meiner Insulindefahrt trübten, war dieser unglückliche Fall der störendste. Trotzdem waren die vier Wochen, die mich derselbe kostete, nicht verloren. Bei Tage, während ich steif ausgestreckt auf dem indischen Rohrstuhl lag, hatte ich genug mit Schreiben von Briefen und Reiseerinnerungen zu thun, sowie mit Ausführung der zahlreichen Aquarellskizzen, von denen viele im raschen Laufe der vorhergegangenen Wanderfahrten nur in flüchtigen Umrissen festgehalten worden waren. Schlimm waren nur die heißen Nachmittage, an denen die Temperatur in meinem stillen, sonst sehr freundlichen Krankenzimmer gewöhnlich 28-30o C. betrug (nur wenige Meilen südlich vom Aequator entfernt!). Abends wurde ich in die schöne, luftige Veranda hinaus getragen, wo ich den freien Blick in den üppigen Garten genoß und in der liebenswürdigen Familie Delprat die angenehmste Unterhaltung fand. Zwei wißbegierige Töchter, von vierzehn und sechzehn Jahren, ließen sich ebenso wie ihre hochgebildeten Eltern gern über meine zoologischen und botanischen Interessen unterrichten; an manchen Abenden hielt ich auf ihren Wunsch längere biologische Vorträge, wobei die Abbildungen in meiner "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" und meinen "Kunstformen der Natur" den Anschauungsunterricht förderten. Ich selbst hingegen genoß reiche Belehrung aus den interessanten Erzählungen, welche mir Herr und Frau Delprat über die vielen Erlebnisse und Abenteuer während ihres vielbewegten zwanzigjährigen Aufenthaltes in Insulinde spendeten; sowohl mit verschiedenen Theilen von Sumatra als von Java wurde ich dadurch näher bekannt.

Unter den mancherlei freundlichen Besuchen, welche Abends (zwischen 7 und 9 Uhr) kamen, war mir der angenehmste und lehrreichste derjenige unseres deutschen Konsuls in Padang, eines geborenen Wieners, Namens  S c h i l d. Derselbe ist nicht nur ein tüchtiger und mit den Handelsverhältnissen von Insulinde wohlvertrauter Kaufmann, sondern auch ein begeisterter Naturfreund und eifriger Sammler, besonders von zoologischen Objecten; dabei ein höchst gefälliger und freundlicher Mann. Meinen Wünschen entgegenkommend war er bemüht, während meines Aufenthaltes in Padang eine Sammlung der charakteristischen Säugethiere von Sumatra mir lebend vorzuführen: Affen und Halbaffen, das Kantschil oder Zwergmoschusthier, ferner große Landschildkröten und anderen Reptilien, sowie zahlreiche wirbellose Thiere. Auch eine wertvolle Sammlung von Schädeln, Korallen und Conchylien erhielt ich zum Geschenk für unser zoologisches Museum in Jena. Am Tage vor meiner Abreise konnten für das letztere im Hause des Herrn Schild acht Kisten mit Sammlungen verpackt werden.

Auch mein Wunsch, die wilden Einwohner der Sumatra westlich vorgelagerten Inselkette kennen zu lernen, wurde durch Herrn Consul Schild erfüllt. Eines Tages brachte er ein paar  M e n t a w e i-Insulaner von der Insel Siberut, der er selbst einmal besucht hatte. Die wilden braunen Kerle waren ganz nackt, mit Ausnahme eines kleinen Lendenschurzes, am ganzen Körper zierlich tättowirt; die langen Hare schwarz uns straff. Um den Hals trugten sie Ketten von Glasperlen. Im kräftigen Körperbau und in den Gesichtszügen wichen sie von den gewöhnlichen Malayen beträchtlich ab.

Dasselbe gilt auch von den Bewohnern der weiter nördlich gelegenen Insel  N i a s, von denen Herr Schild an einem Sonntagmorgen ein ganzes Dutzend vorführte. Dieselben waren in voller Kriegsrüstung erschienen und führten in der Vorhalle des Hauses ihren wilden Kriegstanz auf. In der rechten hand schwangen sie den langen Speer, mit welchem sie nach ihrem Gegner zu stechen versuchten; in der linken Hand hielten sie den großen hölzernen Schild, mit dem sie sich gegen dessen Stiche schützten. Mit bunten Bändern, blauen und rothen Lappen waren Kopf und Körper phantastisch verziert. Lautes Geschrei begleitete die hohen Sprünge, in denen sie sich dem Gegner näherten und wieder zurückwichen. Im Beginne des Kriegstanzes, der mehrere Stunden dauerte, traten die einzelnen Gegner paarweise gegenüber, spätger in geschlossenen Reihen, geführt von ihren Häuptlingen. Die Gewandtheit und Unermüdlichkeit, mit der sie ihre leidenschaftlichen Bewegungen ausführten, waren bewunderungswürdig.

Einen sehr angenehmen Zuwachs unseres geselligen Kreises bildete einige Wochen später die Ankunft meines jungen Collegen Professor  A n t o n  aus Jena; er bereiste mit seiner Gemahlin, einer geborenen Holländerin, Java und Sumatra zum Zwecke nationalökonomischer Studien. Beide fanden in dem geräumigen Hause des Consul Schild, das nur wenige Häuser von Delprat´s Wohnung entfernt lag, gastliche Aufnahme. Die vielen freundlichen Dienste, welche mir beide während meines Krankenlagers in Padang und später auf unserer gemeinsamen Rückreise über Batavia und Penang bis Colombo leisteten, verpflichten mich zu aufrichtigem Danke.

Nachdem ich vier Wochen in Padang still gelegen, war meine Gesundheit so weit wiederhergestellt, daß ich es wagen konnte, die letzte Woche des dortigen Aufenthaltes zu mehreren interessanten Ausflügen zu benutzen; der erste, am 23 Februar, galt dem Besuche der  T r u s s a n - B a i, einer schönen, von Korallenbänken umschlossenen Bucht der Westküste, mehrere Meilen südlich von Padang. Früh um 6 Uhr fuhren wir mit der Eisenbahn nach dem Emmahafen, wo sich außer der Familie Delprat noch das Ehepaar Anton, Consul Schild und einige befreundete Herren unserer Expedition anschlossen. Die vierstündige Fahrt auf dem mir vom Gouverneur zur Verfügung gestellten Regierungsdampfer "Condor" führte uns, vom schönsten Wetter begünstigt, längs der bewaldeten Küste hin, zwischen zahlreichen kleinen Korallen-Inseln hindurch, die wie Blumenbouquets auf dem blauen Meere schwammen. Ueber den steil aufsteigenden Felsen der Küste erhoben sich mehrere parallele Gebirgszüge, alle in dichtes Grün gekleidet, der oberste und höchste Grat der Barisankette im Blau der Ferne verschwimmend. Die höchste Erhebung derselben, der  P i k   v o n   I n d r a p u r a, erreicht 2562 Meter. Hier und da war unten am Strande die einsame Hütte eines eingeborenen Fischers zu sehen. Unten säumte den Fuß der braunen Felsen das weiße Silberband der Brandung. Die mannigfaltigen Formen der schroffen Küstenfelsen und der malerischen vorliegenden Inseln lieferten Stoff für acht Blätter meines Skizzenbuches.

Das schönste Bild bot die Trussan-Bai selbst, die wir gegen Mittag erreichten. Das runde Wasserbecken derselben ist durch vorgelagerte Koralleninseln vollkommen abgeschlossen und gewährt den Anblick eines stillen großen Landsees. Aber die prächtigen Korallenbänke, die im südlichen Theile derselben wunderbare bunte Blumengärten unter dem Meerespiegel bilden, widerlegen jenen Anschein. Im Grund der Bucht breitet sich nördlich am sandigen Ufer das Pfahlbau-Dorf Trussan aus, dessen malerische Hütten von Cocospalmen beschattet sind. Fischer in

Fig 56:  S ü d k ü s t e   v o n   S u m a t r a; vorn kleine Inseln in der Nähe der  T r u s s a n - B a i, hinten (rechts oben) der Pik von Indrapura.
kleinen Booten mit Auslegern durchfurchen die blaue Fluth. Wir blieben dort mehrere Stunden liegen, nahmen in fröhlicher Stimmung unser gemeinsames Mittagsmahl an Bord des Dampfers ein und besuchten nachher die am Eingang der Bucht liegenden Korallenbänke; außer bunten Madroporen und Asträaden erhielten wir noch mehrere seltenere Formen von Gorgonien und anderen Korallen. Um 3 Uhr Nachmittags wurde die Rückfahrt angetreten. Die glänzende Abendbeleuchtung der Küste und des Himmels, an welchem Schaaren von schönen Monsunwolken sich aufthürmten, erfreute uns durch eine Reihe prachtvoller wechselnder Bilder. Abends 6 Uhr waren wir wieder im Emmahafen und konnten den letzten Zug zur Rückfahrt nach Padang benutzen.

Hatte ich auf dieser prächtigen Excursion nach der Trussan-Bai den wilden Charakter des dicht bewaldeten Küstenlandes von Sumatra kennen gelernt, so machte mich in den nächsten Tagen eine längere Bergfahrt mit dem berühmten  B o v e n l a n d e n  dieser herrlichen Insel bekannt. Herr Delprat hatte die Vorbereitungen dazu so gut getroffen und leitete die Ausführung derselben so praktisch, daß ich, von ihm begleitet, in den kurzen vier Tagen ein möglichst vollständiges Bild von den sehenswerthesten Punkten dieses großartigen Gebirgslandes bekam. Als Hauptingenieur der hiesigen Staatseisenbahn hatte er mir den vortrefflichen Directionswagen derselben zur Verfügung gestellt; dieser wurde bald vorn, bald hinten an den Zug angehängt, und gestattete auf seinen beiden großen, schattigen Plattformen einen ganz freien Umblick in die Landschaft. Im Mittelraum des bequemen Waggons nahmen wir unsere Mahlzeiten ein.

Die Staatseisenbahn (Staats-Spoorweg) an der Westküste, seit 1896 vollendet, führt von Padang zunächst eine lange Strecke in nördlicher Richtung durch das flache Küstenland, die "B e n e d e n l a n d e", bis Kandang Ampat. Vor dort steigt sie in nortöstlicher Richtung durch die Waldschlucht von Aneh-Kloof nach dem Gebirgsort Padang-Pandjang hinauf. Hier spaltete sich die Bahnlinie in zwei divergente Aeste, von dene der eine nach Osten, der andere nach Norden sich wendet. Der erstere geht in südöstlicher Richtung nach dem großen Singharahsee und längs dessen östlichem Ufer nach Solok, von dort zu dem großen Kohlenbergwerk von Sawah Lunto. Der nördliche Zweig hingegen führt nach der Bergfestung Fort de Kock und von dieser weiter bis Paja Kombo. Beide Zweige dieser wundervollen Eisenbahn führen durch eine ununterbrochene Reihe der interessantesten tropischen Gebirgslandschaften. Der Genuß derselben wird dadurch erhöht, daß die Züge langsam fahren und an vielen kleinen Stationen anhalten. Ich hatte von dieser Fahrt doppelte Freude und Belehrung durch die Gesellschaft des Herrn Delprat; er hatte selbst den Bau der Gebirgsbahn Jahre lang geleitet und war mit allen einzelnen Localitäten und Verhältnissen genau bekannt. So gewährten diese vier Tage, die ich dem widrigen Schicksal abtrotzte, und von denen ich keine Minute unbenutzt ließ, mir befriedigenden Ersatz für den großen Verlust meines vereitelten Reiseplans.

Karte fehlt!
Karte der Padang´schen Hochlande
Zeugniß davon geben die vierundzwanzig Aquarellskizzen, die ich in diesen vier Tagen gewann. Der berühmte "Directie-Waggon" ging so vortrefflich, daß ich selbst während der Eisenbahnfahrt ununterbrochen zeichnen und malen konnte. Dazu kam, daß das schönste Wetter unsere glückliche, bilderreiche Bergfahrt von Anfang bis zu Ende begünstigte.

Am ersten Tage, dem 25. Februar, fuhren wir von Padang bis  S a w a h   L u n t o, von Morgens 6 Uhr bis Nachmittags 4 Uhr. Der erste Theil dieser Fahrt zeigt uns das "P a d a n g ´ s c he   B e n e d e n l a n d", den dicht bevölkerten und gut cultivirten Küstenstrich. Die Bahn überschreitet auf eisernen Brücken zahlreiche kleine Flüsse, die vom Westabhang des mächtigen Barisangebirges herab rauschen und nach kurzem Lauf in das Meer münden. Die Scenerie dieser blühenden Küstenlandschaft ist dieselbe wie auf Java: ausgedehnte, in hellem Smaragdgrün schimmernde Reisfelder, am Gebirge in Terrassen aufsteigend; Haine von Cocospalmen und Pisangbüschen, welche die malerischen Hütten und Kampongs unter ihren Schutz nehmen; neben diesen hübsche kleine Blumen- und Fruchtgärten; im Hintergrund die hoch aufsteigenden blauen Coulissen des Gebirges. Viele bunte Vögel und Schmetterlinge belebten glänzende Tropenlandschaft in den frühen Morgenstunden. Je mehr unser Zug, nach Norden fahrend, sich dem Eingang vom Anehpaß näherte, deste deutlicher traten die blauen Kegel der mächtigen Vulcane hervor, die ihn von beiden Seiten einschließen, rechts der Ambatjang (1959 Meter), links der Tandikat (2458 Meter) und gleich hinter ihm sein Zwillingsbruder, der Singgalang. Besonders imposant erhebt sich über dem Waldgebirge die blaue Mauer des Tandikat, deren Rücken oben in mehrere schöne Zacken gespalten ist, ähnlich dem Salak bei Beutenzorg; und wie bei diesem ziehen viele tiefe Einschnitte strahlenförmig gegen den breiten Fuß herab.

Die praktischen Gebirgslocomotiven, welche diese Eisenbahn bedienen und größtentheils mittelst Zahnrads die steilen Berghänge erklimmen, stammen sämmtlich aus der Maschinenfabrik von Keßler in Eßlingen. Bis Kandang Ampat ist die Locomotive vom am Zuge angespannt, und wir genießen hinten vom Directionswagen freien Ueberblick über das Küstenland. Jetzt wird das Verhältniß umgekehrt: die Maschine wird hinten an den Zug angehängt und schiebt denselben auf der steil ansteigenden Zahrradbahn aufwärts. Der Directionswagen tritt vorn an die Spitze des Zuges und gestattet uns von der offenen vorderen Plattform den vollen Genuß der herrlichen wechselnden Landschaftsbilder, welche der berühmte Anehpaß bis nach Padang-Pandjang hinauf gewährt.

Dieser großartige  A n e h p a ß  (oder die "Aneh-Kloof") ist eine wilde, 15 Kilometer lange Schlucht, welche zwischen den beiden mächtigen Vulcanen, dem Tandikat nördlich und dem Ambatjang südlich, zur Hochebene von Padang-Pandjang empor steigt. Die steilen, hohen Felswände, welche die tief eingerissene Kluft von beiden Seiten einschließen und sich im Zickzack hinauf winden, sind mit der üppigsten Vegetation des tropischen Urwaldes bekleidet. Die mächtigen Baumstämme sind reich mit Farnen, Orchideen und anderen Epiphyten bewachsen und durch schön geschlungene Guirlanden verbunden, während ganze Bündel von Lianen von ihren breiten Aesten herab hängen. Wilde Pisangarten treten mit ihren lichtgrünen, breiten Blattkronen leuchtend aus dem dunkeln Grün des Walddickichts hervor. Vor Allem aber entzücken das Auge auch hier wieder zahlreiche herrliche Baumfarne (Alsophila und Cyathea), diese feinsten und lieblichsten unter allen Bäumen. Ihre schön gebogenen, braunen Stämme erheben sich allenthalten über die niederen Waldbäume und entfalten den hellgrünen Kranz ihrer zarten, doppelt gefiederten, breiten Blätter gleich dem elegantesten Kronleuchter. Die märchenhaften Bilder der javanischen Urwälder vom Tjibodas und Garut traten wieder lebendig vor meine Seele.

Zahlreiche bunte Vögel, Affen und Eichhörnchen beleben am Morgen das einsame Dickicht dieses herrlichen Urwaldes. Seine tiefe Stille wird durch den lauten Ruf des  S i a m a n g  unterbrochen, des großen, schwarzen Menschenaffen von Sumatra, der schaarenweis in den hohen Gipfeln der Bäume sich fast fliegend von Ast zu Ast schwingt. Unten im Grunde der tiefen Schlucht aber schäumt der wilde Anehbach in tosenden Fällen über die mächtigen Felsblöcke, welche den Grund des stufenweis abfallenden Strombettes bedecken. An einer Biegung stürzt zu unserer Linken ein prächtiger, 75 Meter hoher Wasserfall von der senkrechten, nackten Felswand herab und sammelt seine zerstäubten Massen in einem geräumigen, von der schönsten Vegetation umkränzten Felsenbecken.

Die heftigen tropischen Regenfälle, die oft Stunden lang in die Schlucht herab stürzen, lassen den Anehbach in ihrem Grunde in kürzester Frist zu einem mächtigen Strome anschwellen. Gleich den gefürchteten Muren in der Schweiz reißt dann der tobende Bergstrom Bäume und Felsen, ja ganze Stücke der Bergwände unaufhaltsam mit sich fort. Als im Jahre 1893 der schwierige und kostspielige Bau dieser schönen Gebirgsbahn kaum beendigt war, löste ein solcher Wirbelstrom oder "Bandjir" große Stücke der Bergwände ab und riß sie, sammt den daraufstehenden Bäumen und Felsen, mit sich in die Tiefe. An mehreren Stellen nahm derselbe den ganzen Unterbau des Schienenweges mit sich fort, so daß dieser streckenweise frei in der Luft schwebte (Fig. 57). Die schweren, steinernen Unterbauten von sieben kaum vollendeten Eisenbahnbrücken wurden von ihm gleich den leichten Kieselsteinen des Flußbettes

 E i n   P a a r   N i a s - I n s u l a n e r.
mit fortgeschwemmt, die Eisenschienen und Gitterbogen der Brücken selbst wie dünne Holzstäbe abgeknickt und verbogen. Eine solche abgerissene Eisenbahnbrücke sehen wir noch jetzt tief unter der neuen, später erbauten Brücke querüber im Flußbett liegen (Fig. 58); die gewaltigen Felsblöcke, die sie umgaben, hatten zum Theil die Größe eines Hauses und darüber.
 E i s e n b a h n   i m   A n e h - P a ß, durch Bergwasser zerstört.
Der Schaden, den dieser eine Wildstrom innerhalb weniger Minuten anrichtete, belief sich auf mehr als eine halbe Million Gulden.

Oben am Ausgang des malerischen Anehpasses treten wir auf die Hochebene hinaus, auf welcher die kleine Stadt Padang-Padjang (d. h. Langenfeld) liegt, der Knotenpunkt der Bahn, von welchem sie nach Norden und Süden abzweigt. Wir sind hier zugleich auf der Wasserscheide des Barisan-Rückens, von welchem die kurzen Flüsse seines westlichen Hanges steil nach Südwesten, dagegen die langen Flußläufe des östlichen Hanges in sanfterem Abfall nach Südosten abfließen. Unter den hohen Bergen, welche die kühle Hochebene von Padang-Patjang rings umgeben, hat uns der Zwillingsvulcan Tandikat und Singgalang im Wasten schon bisher begleitet, ebenso der Ambatjang im Süden. Jetzt

Eisenbahn-Brücke im Aneh-Paß, durch Bergwasser zerstört.
tritt dazu im Osten ein neuer gewaltiger Vulcan, der schön geformte  M e r a p i, 2872 Meter hoch; sein letzter großer Ausbruch fand 1872 statt. Gleich seinem Namensbruder in Java stößt dieser "Feuerberg" aus seinem Krater beständig Dampfwolken aus, als warnendes Signal, daß seine vulcanische Thätigkeit keineswegs erloschen ist.

Auf dem Bahnhof von Padang-Patjang befindet sich eine gute Restauration, deren deutsche Wirthin, durch Herrn Delprat von unserer Ankunft benachrichtigt, uns ein schmackhaftes deutsches Mittagessen in den Directionswagen schickte. Wir verzehrtes dasselbe gemächlich, während uns der Zug in südöstlicher Richtung nach dem Singkarasee weiter führte. Bald nach der Abfahrt zeigte sich zur linken Seite der Bahn auf einem Hügel ein steinerner Obelisk an der Stelle des gesprengten Forts Gugur Malintang, zur Erinnerung an eine Heldenthat, welche sich hier in dem Padrikriege vor sechzig Jahren abspielte, und zwar an demselben Februartage, an welchem wir heute diese Stelle passirten. Da sie zu den berühmtesten Episoden in den blutigen Kämpfen zwischen den Hollände3rn und den sumatranischen Eingeborenen gehört, will ich sie hier mit den Worten wiedergeben, mit welchen Oberst Lange in seiner "Geschichte des Krieges von Westsumatra" schildert.

Im Monat Februar des Jahres 1841 kam in den Padanger Oberländern auf Aufstand zum Ausbruch, welcher die niederländische Oberherrschaft auf Sumatra´s Westküste in gefährlicher Weise bedrohte. Der Regent von Batipu, Jahre lang ein treuer Bundesgenosse der Regierung, hatte unerwarteter Weise die Fahne der Empörung entrollt. Noch vor Sonnenaufgang erschienen am Morgen des 24 Februar einige seiner Vorfechter in den zu Padang-Pandjang befindlichen Wohnungen der eingeborenen Kaufleute und ermordeten deren Bewohner. Mit Anbruch des Tages folgte ein größerer Schwarm, der sich schnell des ganzen Platzes bemeisterte und die Häuser in Brand steckte. Hierauf folgte ein Anfall auf das schwach verschanzte Lager zu Gugur-Malintang. Die geringe Besatzung, vom Feinde überrascht, zu sich, jeden Fuß breit Grundes auf das Hartnäckigste vertheidigend, in das Reduit zurück, worin sich das Pulvermagazin befand. Sie bestand in diesem kritischen Moment aus dem Leutnant Banzer, Commandant, dem Quartiermeister Keppel, 10 europäischen, 35 javanischen Unterofficiren und Soldaten und 14 Frauen und Kindern. Auf dem Reduit standen einige Sechs- und Dreipfünder Kanonen in Batterie.

Nachdem alle im Lager befindlichen Gebäude geplündert und den Flammen preisgegeben worden waren, machten die Aufrührer von der das Lager umgebenden Brustwehr Gebrauch, um sich bedeckt dem Reduit zu nähern, und nur ein anhaltendes Feuern von unserer Seite konnte dieses Vordringen einigermaßen verzögern. Trotzdem jedoch Geschütz- und Gewehrfeuer stets anhielt, bemerkte man am 26., daß der Feind immer näher heranrückte. Verschiedene Soldaten und auch einige Frauen waren inzwischen verwundet worden, Lebensmittel nicht mehr vorhanden, und ein heftiger, am Mittag einfallender Regen durchnäßte Gewehre und Mannschaften, welche Letzteren nirgends Schutz fanden, da das Reduit kein anderes Gebäude enthielt als das Pulvermagazin. Dazu kam, djaß die streitfertigen Mannschaften im höchsten Grade entkräftet und kaum noch im Stande waren, die Waffen zu führen. Mit allem Grunde versuchten deshalb die Truppen, den Commandanten zu überreden, das Fort während der Nacht zu verlassen und sich durch einen heimlichen Abzug zu retten. Doch der brave Banzer wies dieses Ansuchen von der Hand, und es gelang ihm selbst, die Truppen zu überreden, nur noch einen Tag auszuharren. Glücklich lief die folgende Nacht zu Ende, ohne daß die Besatzung beunruhigt wurde.

Inmittelst hatten sich die Meuterer mehr und mehr genähert; die Zahl der außer Gefecht gesetzten Leute vergrößerte sich zusehends, und viele Gewehre waren unbrauchbar geworden. Die Unmöglichkeit einsehend, noch länger Widerstand zu leisten, entschloß sich Banzer selbst zum heimlichen Abzug in der kommenden Nacht. Dieser Entschluß wurde dem Unterofficier Schelling (Deutscher) und den Füsilieren Marion (Belgier) und Sosmito (Javaner) mitgetheilt, welche alle Drei so schwer verwundet darnieder lagen, daß sie unmöglich auf dem Rückzug mitgeführt werden konnten. Die drei Helden sahen das Hülflose ihrer Lage ein, und sich ihrem Geschicke unterwerfend, faßten sie den Plan, das Pulvermagazin in dem Augenblicke in die Luft zu sprengen, wo ihre Kameraden abgezogen und der Feind in das Reduit eingedrungen wäre. Nachdem die Geschütze vernagelt und jeder Mann mit 30 Patronen versehen worden war, verließ die Besatzung in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar mit Zurücklassung der drei genannten Braven das Fort. Die Flüchtlinge mochten ungefähr 1 1/2 Stunden marschiert sein, als sie plötzlich in der Richtung von Gugur-Malintang einen gewaltigen Knall hörten, woraus sie schlossen, daß die Zurückgelassenen ihren Plan ausgeführt hatten. Wie man später von Augenzeugen vernahm, waren die Malayen, als mit Tagesanbruch nirgends mehr Truppen zu sehen waren, haufenweise in das Reduit eingedrungen. Doch im Augenblick, wo die ersten, blutlechzend, das Magazin betraten, warfen unsere Helden die brennenden Lunten in das Pulver und sprengten sich mit sammt ihren wuthschnaubenden Feinden in die Luft. Mehrere Hunderte von Malayen kamen durch die Explosion ums Leben oder wurden tödtlich verwundet und verstümmelt.

Von Gefahren umringt, erreichten die schon an Rettung verzweifelnden Flüchtlinge am 2. März die Vorhut der Kolonne, welche gleich nach dem Bekanntwerden des Aufstandes von Padang aus nach den Oberländern dirigirt worden war, und sahen sich somit gerettet. Quartiermeister Keppel (Deutscher), werlche kaum von einer schweren Krankheit erstanden war und schon nach wenigen Stunden nicht mehr weiter konnte, bat selbst, man möge ihn liegen lassen, und mit blutenden Herzen waren seine Streitgenossen gezwungen, dieser Bitte zu willfahren. Niemals hat man wieder etwas von ihm gehört, noch wurde seine Leiche aufgefunden.

Auf der Stelle, wo das Reduit stand, erhebt sich gegenwärtig ein Obelisk, welcher auf Marmorplatten die Namen der drei Helden trägt. Eine der ruhmreichsten Thaten in der indischen Kriegsgeschichte verherrlichend, zeigt sich das einfache, schöne Monument schon aus der Ferne dem Auge des Ankommenden und trägt nicht wenig zum Schmuck der großartigen Landschaft bei.

Die Gebirgslandschaft in der Umgebung ovn Padang-Pandjang, und weiterhin von Singkara und bis Sawah-Lunto, gehört wohl zu den schönsten und eigenartigsteen Bildern, mit welchen das Paradies von Insulinde so reich ausgestattet ist. Seine Hauptzierde ist der  S e e   v o n   S i n g k a r a, 362 Meter über dem Meere gelegen; so glatt wie ein Spiegel; er ist 21 Kilometer lang, 7,7 Kilometer breit und 268 Meter tief; seine blaue Fläche nimmt einen Raum von 112 Quadratkilometern ein. Die Längsachse seines fast lanzettförmigen Beckens ist von Nordwest nach Südost gerichtet. Das lange Thal, dessen Boden der See ausfüllt, ist nur an den beiden spitzen Enden offen; sonst ist es ringsum von grünen Bergen umschlossen. Im Westen erhebt sich über dem See die Barisankette über 1000 Meter hoch; über ihrem gezackten Rücken steigen die stolzen Häupter von nicht weniger als vier großen Vulcanen gen Himmel empor. Ihre Abhänge sind größtentheils mit dunkelgrünem Urwald bedeckt, in den unteren Theilen jedoch auch vielfach cultivirt und unten am Seeufer mit vielen Hütten und kleinen Dörfern geschmückt. Viel niedriger ist die hellgrüne, mit vielen Zacken bedeckte Kette der Ombilienberge, welche sich nahe dem östlichen Ufer des Singkarasees hinzieht, theils mit Wald bedeckt, theils mit Matten und Gärten. Zwischen ihrem Fuß und dem Seeufer läuft die Eisenbahn hin, eine ununterbrochene Reieh von malerischen Landschaftsbildern bietend; ich konnte das Skizzenbuch nicht aus der Hand legen.

Obwohl die Gebirgslandschaft dieser Padang´schen Bovenlande in ihrem allgemeinen Charakter und im reichen Schmucke der tropischen Vegetation mit derjenigen der Preanger Regentschaft in Java übereinstimmt, erhält sie doch einen eigenthümlichen Reiz nicht nur durch manche Besonderheiten - wie hier den großen, glänzenden See -,. sondern namentlich durch die eigenthümliche Bauart der Häuser und die Tracht ihrer Bewohner. Insbesondere zeichnen sich die Wände der Pfahlbau-Häuser durch zierliche Bemalung aus, und die Palmblatt-Dächer durch die tief ausgeschweiften, sattelförmigen Firsten, die in seinen Spitzen auslaufen.

Fig. 59.  H a u s   i m   P a d a n g e r   O b e r l a n d, auf dessen tief ausgeschweiftes Satteldach ein kleineres Dach-Stockwerk quer aufgesetzt ist.
Bisweilen ist in der Mitte des Daches ein kleines Stockwerk mit Satteldach quer aufgesetzt (Fig. 59). Auch die innere Einrichtung dieser Häuser ist eigenthümlich, großentheils bedingt durch die sonderbaren Formen der Familienverhältnisse der Malayen im Gebirge von Sumatra, und besonders durch das seltsame "Matriarchat", die Herrschaft der Frauen, die sich hier seit Jahrtausenden in primitiver Weise erhalten. hat.

Dieses "M a t r i a r c h a t" der Malayen von Sumatra ist von größtem, überall sichtbaren Einfluß auf Charakter und Lebensweise der Eingeborenen und bedingt für sich allein schon einen auffallenden Gegensatz zu den Malayen auf Java. Von dem sanften, demüthigen und unterwürfigen Charakter dieser Letzteren ist hier oben in Sumatra nichts zu merken. Diese wilde Gebirgsvolk zeigt schon äußerlich einen viel trotzigeren und selbständigeren Charakter, und die Unterwerfung desselben hat den Holländern viel mehr Mühe, Blut und Geld gekostet als in Java. Auf der Nordspitze von Sumatra, in  A t j e h  (oder Atschin) dauert der blutige Guerillakrieg noch heute fort, und gerade während meines Aufenthaltes in Padang war eben eine neue Expedition zur Unterwerfung eines gefährlichen, aufständischen Häuptlings ausgesandt worden.

Der wilde Charakter der Sumatraner spricht sich schon äußerlich in ihren trotzigen, stolzen Mienen und in ihrem robusten Körperbau aus, und zwar bei beiden Geschlechtern. Die Javaner erscheinen, damit verglichen, weit schächer, zarter und zierlicher. Während die Javaner ihre Lasten gewöhnlich an den beiden Enden eines langen, über die Schulter gelegten Bambusstabes tragen, balanciren sie dagegen die Sumatraner auf dem Kopfe. Besonders die Frauen erlangen dadurch jene stolze, malterische Haltung, die wir in Italien so oft bewundern. Die stattlichen Gestalten der Mädchen im Singkarasee, erinnern mich an die schöne Staffage der Sabiner Gebirgslandschaft.

Die wichtigste Einrichtung der uralten Sitte des Matriarchats besteht darin, daß nach der Hochzeit Mann und Frau kein gemeinsames Haus gründen, sondern daß jeder der beiden Gatten im Hause seiner Mutter wohnen bleibt oder, wenn diese gestorgen ist, im Hause seines Bruders oder der Schwester der Mutter, die das eigentliche gebietende Haupt jedes Hauses bildet. Die Kinder bleiben im Hause ihrer Mutter und erben deren Beitzthum. Sie auch die Hälfte des Besitzes, den beide Eltern gemeinsam erwerben; der andere fällt an die Schwester oder die Schwesterkinder des Gatten.

In zahlreichen merkwürdigen, uns ganz fremdartigen Sitten und Rechtsverhältnissen äußern sich die Folgen dieser seltsamen Frauenherrschaft. Wenn aber unsere europäischen Frauenrechtler meinen sollten, daß damit eine höhere Stufe des Familienlebens und ein vollkommenerer socialer Zustand erreicht sei, so befinden sie sich in starkem Irrthum. Es kann vielmehr keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Matriarchat einen niederen, barbarischen Zustand der menschlichen Gesellschaft bildet, und daß dadurch nicht nur jedes innige Familienleben zwischen den beiden Eltern und ihren Kindern ausgeschlossen sind, sondern auch in Folge davon eine Menge von complicirten Beziehungen entstehen, welche die Entwicklung eines Gemüthslebesns und höherer Cultur ausschließen. Niemals habe ich in den harten und stolzen Gesichtszügen der Sumatraner Frauen jene harmlose Heiterkeit und jene liebenswürdige Freundlichkeit gegenüber den nächsten Verwandten bemerkt, welche man in den weicheren und zarteren Gesichtern der javanischen Frauen so häufig begegnet.

Eine auffallenden Ausdruck findet das Matriarchat der Sumatraner in der seltsamen Bauart ihrer Häuser, welche der Landschaft, besonders im Gebirgslande, einen sehr eigenartigen Charakter aufdrücken. Die Häuser sind, gleich denjenigen der meisten anderen Malayen, größtentheils aus Bambus gebaut und mit Rohr oder Palmblättern gedeckt; sie ruhen auf Pfählen, die 1 bis 2 Meter über den Boden sich erheben. Das auffallende Satteldach ist tief ausgeschnitten, oft fast halbmondförmig; die beiden Hörner des Sattels sind vielfach geschmückt. Oft ist in der Mitte ein kleineres Dach aufgesetzt, das bis zur Hälfte der Höhe des unteren herabreicht. Wenn nun eine Tochter des Hauses heirathet, so wird für sie im hinteren Theile des einstöckigen Hauses eine neue, kleine Abtheilung abgesondert, mit einem kleinen Fenster; oder es wird später für die neu hinzugekommene Familie ein neuer Anbau mit einem selbständigen Satteldach angefügt. So entstehen langgestreckte Pfahlbauten, deren steile Dächer sechs bis acht oder noch mehr steile, oft hübsch verzierte Kegelspitzen tragen. Die Bedeckung des Daches bilden bei den ärmeren Leuten meistens Matten aus Idjuk, geflochten aus dem Alang-Alang-Gras oder Bambus, bei den Reicheren dagegen die theuren schwarzen Matten aus Atap, den verfilzten Blattscheiden der Arengapalme. Neuerdings ist aber vielfach billiges Wellblech an ihre Stelle getreten; der von ihm reflectire Sonnenglanz läßt die Dächer dann auf weite Entfernung wie Silberplatten leuchten. Fenster und Thüren der Häuser sind klein; zur niedrigen Hausthür führt gewöhnlich eine schmale Treppe oder Leiter hinauf. Die offenen Veranden oder Vorgallerien der javanischen Häuser fehlen im Sumatraner Oberlande meist. Der Vordertheil des Hauses ist ein ungetheilter weiter Raum für gemeinsamen Aufenthalt; der Hintertheil ist in die kleinen Kammern für die einzelnen Familien abgetheilt.

Der malerischen Landschaft im Padanger Oberlande prägen diese seltsamen, oft bunt bemalten und verzierten Pfahlbauten mit ihren

Fig. 61.  R e i s s c h e u e r   i m   P a d a n g e r   O b e r l a n d  (bei Padang-Pandjang).
hohen, vielspitzigen Satteldächern einen ganz eigenthümlichen Charakter auf, sowohl wenn sie einzeln leigen, von Cocospalmen und Pisangbüschen beschattet, als wenn sie gruppenweise zu kleinen Dörfern oder Kampongs vereinigt sind. In diesen letzteren befindet sich dann gewöhnlich ein kleiner Marktplatz, auf dem ein Balei oder gemeinsames
Fig. 60.  M o s c h e e  (Missigit)  i m   P a d a n g e r   O b e r l a n d e.
Versammlungshaus steht, eine lange offene Halle (Fig. 64); daneben oft ein Passangrahan oder Regierungs-Rasthaus, zur Unterkunft für Beamte und europäische Reisende. In jedem größeren Dorfe steht auch eine Moschee oder Missigit von eigenthümlicher Bauart; in drei oder vier Stockwerken erheben sich übereinander vierseitige Säulenhallen, die von unten nach oben an Größe abnehmen, jede Halle mit einem vorspringenden Dach versehen; das oberste bildet eine pyramidale Kuppel mit Aufsatz; die Gallerien, welche die einzelnen Stockwerke umgeben, sind oft zierlich bunt bemalt. Besondere Sorgfalt verwenden die Padanger Bauern aber auf die bunte Bemalung der niedlichen  R e i s s c h e u n e n  oder Rangkiangs, die in der Nähe der Wohnhäuser stehen; auf vier schlanken, hohen Pfählen, die nach unten convergiren, ruht ein würfelförmiger Kasten, dessen vier Seitenflächen vorgewölbt und durch sechs Stäbe in sieben Felder abgetheilt sind. Das steile, hohe Satteldach ist an den beiden dreieckigen Giebelfeldern meistens mit bunten Borten und Arabesken in lebhaften Farben verziert, ebenso wie die Felder der Seitenwände (Fig. 61). In diesen und anderen Malereien offenbaren die Bauern der Padang´schen "Bovenlande" mehr Kunstsinn und Phantasie, als sonst gewöhnlich in der primitiven malayischen Architektur zu finden ist.

Während wir von Batu Tabal bis Singkara am östlichen Ufer des blauen Sees hinfuhren, erfreute uns eine ganze Reihe der lieblichsten Landschaftsbilder; die Dörfer an den Bergabhängen, die Fischerhütten und Kähne am Ufer, vorspringende Landzungen und lauschige Buchten dazwischen, von üppigem Gebüsch umrahmt und von Palmengruppen bekränzt, dazu die malerische Staffage der bunt geschmückten Eingeborenen, die vom Markte zurückkamen, - Vorlagen für zahlreiche Blätter des Skizzenbuches. Weiterhin ändert sich der mannigfaltige Charakter der Landschaft. Von Singkara bis Solok führt die Bahn in südlicher Richtung durch eine fruchtbare Ebene mit grünen Reisfeldern, während die Berge beiderseits zurücktreten. Hinter Solok wendet sich unser Schienenweg fast rechtwinklig nach Osten und tritt in das lange und einge Thal des viel gewundenen Bingungflusses; die steilen Berge beiderseits sind aus sedimentärem Tertiärgestein, Kalk und Sandstein gebildet, großentheils bewachsen und als Büffelweisen benutzt; schroffe Felsen mit jähen Abhängen treten vielfach vor. Zuletzt fürht die Bahn durch einen 800 Meter langen Tunnel nach ihrem Endpunkte, Sawah Lunto.

Das große Kohlenbergwerk von Sawah Lunto, für dessen Erschließung diese kostspielige Gebirgsbahn erbaut wurde, bildet einen werthvollen Besitz der holländischen Regierung; seine mercantile und finanzielle Bedeutung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Die ausgedehnten Kohlenflöze wurden 1868 von dem Ingenieur de Greve entdeckt und in ihrer Bedeutung erkannt; ihren Namen "Ombilien-Kohlenfelder" führen sie von dem Flusse Ombilien, welcher in der Nähe von Batu Tabal entspringt und bei Sawah Lunto sich mit dem Bingungflusse vereinigt. Die schwarze Kohle, die hier in großer Quantität gewonnen wird, hat das Aussehen und den Brennwerth guter Steinkohle, ist aber viel jüngeren Alters; die Sand und Kalksteine, welche die drei über einander liegenden Kohlenlanger trennen (in Zwischenräumen von 25 Meter Dicke), gehören zur Eocänformation und sind während der ältesten  T e r t i ä r z e i t  ausgebildet worden.

Am Bahnhof von Sawah Lunto wurden wir vom technsichen Director des Kohlenbergwerkes, Herrn  v a n   L e s s e n, als seine Gäste in Empfang genommen. Sein hübsche Wohnung liegt im oberen Theile des engen Thales und gewährt einen schönen Ausblick auf die tiefer gelegenen Theile der Stadt und die umfangreichen Bauten des Bahnhofes. Beim Abendessen erfreute uns die Gesellschaft eines trefflichen deutschen Landsmannes, des D r.  B r e i t n e r, und seiner Gattin; geborener Bayer, ist er seit mehreren Jahrzehnten auf Sumatra als Militärarzt thätig gewesen und jetzt als Arzt am Bergwerk angestellt.

Der Vormittag des folgenden Tages (26. Februar) wurde zur Besichtigung des Kohlenbergwerkes verwendet. Das ausgedehnte Terrain, welches im oberen Theile des Thales von Sawah-Lunto in Terrassen ansteigt, ist großentheils mit den Wohnungen von mehreren tausend Arbeitern und von den beaufsichtigenden Beamten, sowie den zugehörigen Gärten und Feldern eingenommen. Die oben gewonnene Kohle wird in kleinen eisernen Karren auf einer sehr zweimäßig angelegten Doppelbahn abwärts geführt, hier wird sie unmittelbar in die größeren eisernen Wagen verladen, von denen täglich mehrere Züge zum Emmahafen hinabgehen. Die größeren hier ankernden Dampfschiffe können täglich 600 bis 900 Tonnen Kohlen einnehmen.

Die reichen Erträge der Kohlenbergwerke von Sawah Lunto würden noch ergiebiger sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitern zu beschaffen wäre. Das hat jedoch sein beträchtlichen Schwierigkeiten. Die eingeborenen Malayen, deren Hauptcharakterzug grenzenlose Faulheit ist, sind für diese schwere Arbeit kaum zu haben. Gute chinesische Arbeiter, die sich am meisten dazu eignen, sind nicht in ausreichender Zahl zu bekommen; die englische Regierung in Singapur - hier, wie überall, allein vom nationalen Princip des reinen Egoismus geleitet - bemüht sich nach Kräften, den Export brauchbarer chinesischer Kulis nach Java und Sumatra zu verhindern. So bleiben denn als wichtigster Theil der Arbeiter die "Kettenjungen" übrig, die an Ketten gefesselten malayischen Verbrecher; eine große Zahl dieser Strafgefangenen, in braune Jacken gekleidet, truppweise von Aufsehern geleitet, sahen wir in den verschiedenen Theilen des Bergwerkes bei fleißiger Arbeit. Die Einrichtung des letzteren schien mir sehr zweckmäßig zu sein und bei dem raschen Aufblühen der Unternehmung viel für die Zukunft zu versprechen.

Mittags 12 Uhr fuhren wir nach Padang-Pandjang zurück und von dort weiter nach Fort de Kock. Die herrliche Fahrt längs der Ufer des Singkarasees war von schöner Nachmittagsbeleuchtung, unter der Mitwirkung wechselnder Wolkenschatten, begünstigt und ließ uns die landschaftlichen Reize dieses prächtigen Gebirgssees nochmals genießen. In Padang-Pandjang gingen wir nun auf den nördlichen Zweig der Bahnlinie über, der uns in zwei Stunden über Kota-Baruh und Padang-Luar nach dem Hauptort der Padang´schen Bovenlande, nach Fort de Kock, führte. Die Gebirgslandschaft auf dieser schönen Strecke gewährt Anfangs noch einzelne Rückblicke auf den fernen Singkarasee, später weite Ausblicke nach Norden auf die ausgedehnte Hochebene von  A g a m; zur Rechten aber tritt hier imposant der gewaltige Vulcan Merapi hervor, während ihm gegenüber zur Linken der Singgalang mit seinem mächtigen Kegel in die Wolken steigt. Die zahlreichen Dörfer auf dieser gut cultivirten Hochebene zeigten uns wieder malerische Häusergruppen und Kampongs in mannigfaltigen Formen. Abends sechs Uhr langten wir in Fort de Kock an und fanden in dem kleinen, freundlichen Hotel, dessen deutscher Wirth ein geborener Cölner ist, sehr behagliches Unterkommen für zwei Nächte.

Die Hochebene von  F o r t   d e   K o c k  ist gut angebaut und dicht bevölkert; sie öffnet sich nach Norden in das ausgedehnte, 900 Meter hohe Plateau von Agam; an den übrigen Seiten der Ambatjang, im Westen der Singgalang, im Osten der Merapi; der langgestreckte Rücken des letzteren tritt besonders imposant hervor und entsendet aus einem Krater eine Rauchsäule, die sich am Abend unserer Ankunft pinienförmig ausbreitete und durch die untergehende Sonne prächtig vergoldet wurde. Die Stadt Fort de Kock selbst, der Hauptort des Padang´schen Oberlandes, ist sehr hübsch gelegen, Sitz einer Garnison, durch ihr kühles und gesundes Bergklima (in 940 Meter Höhe) berühmt, und wird viel als Luftkurort von solchen Europäern besucht, deren Gesundheit durch längeren Aufenthalt in dem erschlaffenden Klima des heißen Unterlandes gelitten hat. Durch ihre centrale Lage bietet sie Gelegenheit zu mannigfachen Excursionen, als deren schönste der Besuch des Sees von Manindjo gilt, eines ausgedehnten Kratersees, dessen Spiegel etwa 460 Meter ü. M. liegt. Die steilen Wände des elliptischen Kraters, welche denselben ringsum einschließen, sind mit dichtem Walde besetzt und lassen nur an der Westseite eine Oeffnung frei, durch welche der Antokanfluß abfließt. Leider ist der Weg dorthin so schlecht, daß ich ihn nicht passiren konnte. Ich mußte mich damit begnügen, den Vormittag des 27. Februar zu einem Ausfluge im Tragsessel zu benutzen, der durch die "Büffelschlucht" zum ersten Theile jenes Weges führt.

Die  B ü f f e l s c h l u c h t  oder der "Karbauen-Gat" ist eine ausgedehnte, tief in das vulcanische Gebirge eingerissene Kluft, welche unweit des Fort de Kock im Westen beginnt; sie wurde von zwei kleinen, hier zusammen mündenden Flüssen, Masang und Sianok, aus dem weichen Tuffstein ausgewaschen, mit welchem vor langen Zeiten der Merapi das weite Thal ausgefüllt hat. Die nackten, hellgelben Tuffwände fallen zu beiden Seiten der Schlucht etwa 120 Meter tief senkrecht ab und sind nur oben auf der Höhe mit grüner Vegetation bedeckt; ihre seltsamen Formen erinnern vielfach an diejenigen der ähnlichen Tuffwände am Posilipp und anderen vulcanischen Abhängen in der Umgebung von Neapel. Im Grunde der Schlucht angelangt, überschritten wir den Masangfluß und setzten dann unsern Weg noch weiter bis zu der Stelle fort, wo er sich mit dem Sianok vereinigt. Hier wird das Auge durch ein höchst malerisches Bild überrascht. Mitten aus dem Flußbett erhebt sich der sogenannte "Inselberg", ein hellgelber Tuffobelisk von 75 Meter Höhe, dessen nackte Wände nach allen vier Seiten senkrecht abfallen. Die entfernten, ebenfalls perpendiculären Tuffwände der beiden Seiten des Flußbettes, von derselben Höhe und Beschaffenheit, erläutern die gewaltige geologische Wirkung des Wassers, welches im Laufe vieler Jahrtausende durch langsame Erosion diese bizarren Felsbildungen hervorgebracht hat.

Der malerische Reiz dieser prächtigen Landschaft wurde nicht wenig durch die vielfarbige Staffage derselben erhöht, durch Hunderte von bunt gekleideten Landleuten und Büffelkarren, welche zu dem großen, heute in Fort de Kock stattfindenden Markte zogen. Die malayischen Frauen dieser Gegend sind wegen ihrer Schönheit berühmt; doch gilt dieser Ruf, so viel ich sehen konnte, wohl hauptsächlich der kräftigen, vollen Gestalt, sowie den bunten, reich mit Gold- und Silberschmuck verzierten Gewändern, in welche die Figuren geschmackvoll drapirt sind. Dagegen konnte ich in den finsteren Herrschermienen der regelmäßig geformten Gesichter nichts Anziehendes finden. Sehr niedlich sind die nackten Kinder mit ihren großen, schwarzen Augen; die kleineren werden von den Müttern rittlings auf der Hüfte getragen; die größeren laufen neben

Fig. 62.  I n s e l b e r g   b e i   d e r   B ü f f e l s c h l u c h t  im Padanger Oberlande.
ihnen her. Besonders malerisch war der Anblick, welchen die bunten Karawanen dieser Leute beim Durchschreiten der Flüsse gewährten, die der Brücken entbehren. Auch das Leben und Treiben vor den Hütten, die in einiger Höhe über den Flußufern am Fuße der steilen Tufffelsen im Gebüsch versteckt liegen, bot viel interessante Genrebilder.

Nachdem wir gegen Mittag vom Karbauen-Gat nach Fort de Kock zurückgekehrt waren, benutzten wir den um Mittag nach  P a j a - K o m b o  abgehenden Zug, um auch diese letzte, schöne Strecke der Hochlandbahn kennen zu lernen. Die Bahn führt Anfangs noch durch eine gut cultivirte, mit Reisfeldern und Cocospalmen bedeckte Hochebene. Später passiren wir eine große Strecke Haideland, das ganz mit großen, schwarzbraunen Lavablöcken bedeckt ist und von einem gewaltigen Ausbruch des Merapi erzählt. In der Ferne erblicken wir nördlich die fruchtbare Hochebene von  T a n a h - D a t a  r, über welcher der majestätische, 2240 Meter hohe Vulcan Sago aufsteigt. Die Bahn windet sich dann durch ein hügelreiches Bergland, dessen helle, gelbliche und graue Kalkfelsen in eine große Zahl von Spitzen und phantastisch geformten Zacken zerklüftet sind. Nachdem wir mehrere Flußwindungen überschritten haben, kommen wir in den großen Cocoswald, in welchem das Städtchen Paja-Kombo liegt, der Endpunkt der Eisenbahn und das vorgeschobendste Fort des holländischen Gebietes. Das blaue  V o r d e r g e b i r g e, welches hier im Osten sich erhebt, trennt dasselbe von dem unabhängigen Gebirgslande Sumatra´s, das noch heute von wilden Battastämmen (zum Theil Menschenfressern) bewohnt wird. Einer Familie solcher  B a t t a k e r  begegnete ich in der Nähe von Fort de Kock; sowohl Männer als Frauen waren halbnackt. Sie trugen an beiden Seiten des Kopfes einen eigenthümlichen Metall-Zierrath, zusammengesetzt aus ein Paar Spangen, ein spiralig (wie eine Uhrfeder) in entgegengesetzter Richtung aufgerollt sind.

Da wir nach einer Stunde schon mit dem letzten Zuge nach Fort de Kock zurückkehren mußten, reichte die Zeit eben hin zu einer Wagenfahrt durch die Hauptstraßen von Paja-Kombo über den Markt und bis zu dem holländischen Fort und Hospital, sowie über die Brücke, welche jenseits des letzteren über den  A g a m f l u ß  führt. Den Ausflug nach der wilden, im Norden gelegenen Harauschlucht zu machen, mußten wir uns versagen. Auf der zweistündigen Rückfahrt nach Fort de Kock kamen wir an einem größeren Dorfe vorüber, dessen offenes Gemeindehaus ("Balei", die Halle für öffentliche Versammlungen) sich durch besonders bunte und zierliche Bemalung auszeichnete (Fig. 64). Sodann hatten wir noch das Vergnügen, die mannigfaltigen Bilder dieser schönen tropischen Gebirgslandschaft nun den wärmsten Tönen der Abendsonne beleuchtet und verklärt zu sehen. Besonders nahm sich der Merapi mit seinem zackigen Gipfel und der organgefarbenen, daraus aufsteigenden Rauchwolke wieder prachtvoll aus.

 D i e   R ü c k f a h r t   n a c h   P a d a n g  gab mir Gelegenheit, die hohen landschaftlichen Reize dieser kühnen Gebirgsbahn nochmals zu genießen. Sowohl oben in den Padang´schen Bovenlanden als beim Hinabfahren in die Benedenlande - besonders in der malerischen Anehkluft - werden wir vielfach an die schönsten Gegenden der  S c h w e i z  erinnert. Freilich

Fig. 64.  E i n   B a l e i  (öffentliches Versammlungs-Haus) im Padanger Oberland.
ist die Gotthardtscenerie in allen Theilen großartiger und erhabener; und die Silberhäupter der Schneeberge, die sich glänzend vom blauen Firmament abheben, fehlen dem Hochlande von Padang. Dafür treten hier an deren Stelle die mächtigen Vulcane, deren Rauchsäulen das lebendige innere Feuer under der starren Felsenkruste der Erde verkünden; und der märchenhafte Reichthum der uppigsten tropischen Vegetation erinnert und daran, daß wir uns nahe dem Aequator befinden.

Auch die kleinen Gebirgsdörfer oder Kampongs mit ihren Bambushütten und deren phantastischen Bemalung beleben im Padang

Fig. 63.  E i n e   B a t t a - F a m i l i e  aus dem Inneren von Sumatra. (Ein Mann mit seinen zwei Frauen.)
die Hochlandschaft in ähnlicher Weise wie die malerischen Schweizer Dörfer mit ihren hölzernen Hütten, den holzgeschnitzten Galerien und Dächern im Berner Oberlande. Aber an die Stelle der Obstbäume und Tannen, welche die Gärten unserer Alpendörfer zieren, treten hier die riesigen Bambus- und Pisangbüsche, die Cocospalmen und Mangobäume. Der blinkende Spiegel des Singkarasees mit seinem großartigen Gebirgskranze erinnernt auch an die Reize des Genfer Sees. Selbst die malayische Bevölkerung der Padanger Hochlande, mit ihrem kräftigen Wuchse, ihrem stolzen Freiheitssinne, ihren bunten originellen Trachten, ihrer Freude an Musik und Volksfesten, gestattet manche Vergleiche mit den Bauern des Berner Oberlandes.

Für den Reisenden, der einige botanische und geologische Kenntnisse besitzt, ist der Besuch des Padanger Hochlandes doppelt interessant und lehrreich. Denn er lernt dabei nicht nur die mannigfach verschiedenen Vegetationsformen in den über einander aufsteigenden Höhengürteln des Gebirges kennen, sondern auch die merkwürdigen Veränderungen, welche das Letztere noch im jüngeren Verlaufe der Erdgeschichte erfahren hat. Noch während der Kreideperiode war der größte Theil von Sumatra vom Meere bedeckt. Die Hebung desselben begann erst in der Eocänperiode, d. h. im ältesten Abschnitt der darauf folgenden Tertiärzeit. Die Länge dieser Letzteren wird von den Geologen auf mindestens drei Millionen Jahre geschätzt, von anderen noch bedeutend länger. Schon die gewaltige eocäne Sandsteinschicht, welche die Kohlenflötze von Sawah Lunto einschließt und arm an Versteinerungen ist, erreicht über tausend Fuß Mächtigkeit; wie viele Jahrtausende, die zu deren Bildung erforderlich waren, mögen allein schon in diesem ältesten Abschnutte der Tertiärzeit verflossen gewesen sein!

Die eocänen Sandsteine und Mergelschiefer der Bovenlande sind vielfach von jüngeren Korallenkalken überdeckt, deren Bildung ebenfalls nur während sehr langer Zeiträume stattfinden konnte. Unter denselben aber lagern viel ältere, carbonische und devonische Formationen, die auf krystallinischem Urgebirge, Schiefer, Gneiß und Granit ruhen. Wollten wir in die graue Urzeit ihrer Entstehung einen scheuen Blick werfen, so müssen wir auf mindestens 30 Millionen Jahre zurückgehen. Diese ganze mächtige feste Decke der Erdrinde wurde gehoben und durchbrochen, als die vulcanischen Kräfte im Erdinnern während der Tertiärzeit ihre erstaunliche Wirksamkeit begannen und jene Gruppen von imposanten, zum Theil noch heute thätigen Feuerbergen aufbauten, deren mächtige Kegel den Hintergrund in der malerischen Scenerie der Bovenlande bilden.

Es war heute gerade Markttag in Fort de Kock und in Padang-Pandjang, und da waren alle Straßen von Schaaren buntgekleideter Landleute belebt: stolze Mädchen und Frauen mit Körben und anderen Lasten auf dem Kopfe, finster blickende Männer, die Büffelkarren führen und Schafe vor sich her treiben. Viele Männer tragen in der Hand ein Vogelbauer, in dem eine Taube sitzt, oder der merkwürdige Mino (Eulabes religiosa), jener amselähnliche Vogel mit schwarzem Gefieder und orangegelbem Schnabel und Kopflappen, der die menschliche Stimme noch besser nachahmen lernt als Papageien und Kakadus. Die Malayen sind im Allgemeinen große Liebhaber von Vögeln und halten viele Arten derselben in ihren Hütten. Diese einzelnen Vögel aber, die sie im Bauer mit sich herumtragen, sind etwas ganz Besonderes: es sind "Glücksvögel", deren Gesellschaft dem Besitzer bei jedem Unternehmen den günstigen Ausgang desselben garantirt. Wir lächeln vielleicht über diesen Aberglauben, aber vergessen dabei, daß unsere vielgerühmte europäische Bildung noch heute - bis in die höchsten Gesellschaftskreise hinauf! - von vielen ähnlichen irrationellen Vorstellungen durchsetzt ist.

Ein sehr merkwürdiger Aberglaube ist auch bei den gebildeten Holländern auf Sumatra und Java noch heute weit verbreitet. Wenn man eine echte  P e r l e  zusammen mit einem Häufchen Reiskörner in einer Schachtel einschließt und diese an einem ruhigen Orte verborgen hält, so sollen die Reiskörner nach einigen Jahren verschwunden und zahlreiche Perlen daraus entstanden sein. So behaupten mit der Sicherheit des "e c h t e n   G l a u b e n s" mehrere sehr gebildete Damen und Herren, welche öfter Abends bei Delprats einen Besuch abstatteten. Ja sie brachten mir sogar verschiedene Schachteln und Fläschchen mit, die das handgreiflich beweisen sollten. In jedem derselben lag eine große Perle und mehrere kleine - Mutter und Töchter! - und daneben einige Reiskörner. Vergeblich mußte ich als zoologischer Sachverständiger den Einwand machen, daß die Perlen nicht lebendige Organismen seien, sondern todte Producte des Muschelmantels, daß sie weder einen Magen zum Fressen der Reiskörner, noch irgend welche Möglichkeit der Vermehrung durch Theilung oder Knospung hätten. Ich mußte behaupten, daß hier irgend welche absichtliche Täuschung vorliege. Aber meine ungläubige Skepsis reizte nur den Widerspruch meiner gläubigen Gegner, und sie hielten um so mehr an ihrem "g u t e n   G l a u b e n" fest, als sie sich darauf berufen konnten, daß derselbe in Insulinde  a l l g e m e i n   v e r b r e i t e t  und durch viele Beispiele  b e w i e s e n  sei!  B e o b a c h t e t  hatte freilich den Vorgang dieser wunderbaren Vermehrung der Perlen (die doch ein recht einträgliches Geschäft abgeben müßte!) bisher noch  N i e m a n d! Indeß der "wahre Glaube" bedarf keiner Erfahrung!

Ein anderer Aberglaube, der ebenfalls auf Java und Sumatra weit verbreitet ist, und der in Padang während vieler Abende Gegenstand unserer heiteren Unterhaltung war, betraf das  S t e i n e w e r f e n   d u r c h   G e i s t e r. In verschiedenen Häusern (meistens von strengen oder mißliebigen Regierungsbeamten!) flogen Abends, bisweilen sogar bei Tage, Steine durch die Fenster in die Zimmer, ohne daß werfende Personen zu entdecken waren. Auch zahlreiche Diener und Soldaten, die zur Entdeckung der Steinewerfer rings um das haus aufgestellt waren, vermochten dieselben nicht zu beobachten. Also konnten nur "G e i s t e r", Dämonen oder Spirits, diesen Spuk bewirken. In einigen Fällen wurde über dieses "W u n d e r" sogar von Regierungsbeamten ein notarieller Act aufgenommen! Bisweilen begnügten sich die unsichtbaren Geister nicht mit dem Werfen von Steinen, sondern benutzten dazu auch Töpfe, Gläser und andere Hausgeräthe, was natürlich noch viel wirkungsvoller war; oder sie beschmierten kleine, in der Wiege liegende Kinder mit Blut und dergleichen mehr. Zum Beweise, daß das alles wahr sei, und daß es sich hier um übernatürliche Vorgänge handle, wurden mir mehrere Zeitungsblätter gebracht, in denen dieselben schwarz auf weiß gedruckt zu lesen waren; - und Zeitungen lügen bekanntlich  n i e m a l s!

Da gegenwärtig wieder in mehreren Ländern - leider auch in Deutschland - der  S p i r i t i s m u s  spukt und in den Lehren des  O c c u l t i s m u s  sogar eine wissenschaftliche Maske sich vorbindet, werden ihm jene ballistischen Wunder von Insulinde vermuthlich als neue "Beweise für die Echtheit der Geheimwissenschaft" willkommen sein. Schade nur, daß auch hier, wie bei dem ählichen "Spuk von Resau" und anderen Geistergeschichten, die nüchterne kritische Untersuchung in vielen Fällen den überzeugenden Beweis des Betruges führen konnte. Die steinwerfenden Personen waren meistens einige von den Dienern des Hauses selbst, oder Nachbarn, die mit großer Geschicklichkeit und verblüffender Geschwindigkeit die Steine durch die Luft schleuderten. "Geschwindigkeit ist keine Hexerei!" Das schöne Geschlecht spielte dabei - wie bei den spiritistischen Actionen unserer "Medien" - eine hervorragende Rolle. Indessen auch bei diesen "Wundern" gelang es mir nicht, meine gläubigen Gegner von den natürlichen Vorgängen bei denselben zu überzeugen; sie blieben dabei, daß in vielen Fällen die Erscheinungen nicht aufgeklärt und nur durch Annahme übernatürlicher Kräfte zu begreifen seien.

Wenn solche abergläubische Vorstellungen sogar noch heute bei den hochgebildeten Culturvölkern von Europa nicht auszurotten sind, so darf man sich nicht wundern, daß sie im Geistesleben der Naturvölker von Insulinde eine mächtige Rolle spielen. Ueberall in ihrem socialen und Familienleben, in ihrer Medicin und Religion, in Handel und Wandel spuken "G e i s t e r" und bestimmen die Geschicke der Menschen auf wunderbar Weise. Oft wohnen diese Dämonen im Körper von wilden Thieren, Tigern und Panthern, Affen und Halbaffen, Krokodilen und Schildkröten. Bei den feierlichen Aufzügen, die ich während meines Aufenthaltes in Java und Sumatra mehrfach bei Gelegenheit hoher Feste beobachten konnte, erscheinen diese Thiere, kolossale Drachen und andere thierische Fabelwesen, in den wunderbarsten Formen.

Das glanzvollste Fest, welches während der Zeit meines dortigen Auftenthaltes gefeiert wurde, fand in Padang Anfang Februar statt, bei Gelegenheit der Vermählung der Königin Wilhelmine von Holland. Festessen, Illuminationen, Feuerwerke, Musik und Tanzbelustigungen hielten mehrere Tage lang die ganze Bevölkerung auf den Beinen. Das großartigste Schaupiel war jedoch ein kolossaler Festzug, dessen Entwicklung einen ganzen Vormittag in Anspruch nahm. Von den 33000 Einwohnern der Stadt Padang und mehreren tausend Landbewohnern, welche zu Fuß in die Stadt gekommen waren, betheiligten sich mindestens 20000 daran. Don Kopf desselben bildete das holländische Militär. Landtruppen und Marine; dann die verschiedenen Vereine und Innungen der Europäer, deren Gesammtzahl in der Hauptstadt noch nicht ganz 2000 beträgt. Die eingeborenen Malayen (im Ganzen 26000) marschirten in verschiedenen, langen Abtheilungen; ihnen folgten die Chinesen (4000), Araber und Inder (zusammen etwa 1000). Ein der kleinsten, aber interessantesten Gruppen bildeten die wilden Eingeborenen der Insel Nias, von denen viele als fleißige Gärtner, Diener und Kulis in Padang geschätzt sind. Unter den macherlei höchst phantastisch aufgeputzten Fabelthieren, welche zur Decoration des Zuges dienten, fiel besonders ein ungeheurer Drache auf, der gleich einer Riesenschlange sich wand, bewegt durch zahlreiche Männer, welche unter dem Schuppendach des Leibes geschickt versteckt waren.

Ein anderes, sehr interessantes Fest, das ich am Abend vor meiner Abreise von Padang mit ansehen konnte, war die  N e u j a h r s f e i e r   d e r   C h i n e s e n, die, wie überall in Hinterindien, so auch in Sumatra einen sehr wichtigen und vielfach sehr hochgeschätzten Bestandtheil der handeltreibenden Bevölkerung bilden; nicht wenige der bedeutendsten Geschäfte sind in ihren Händen. Der "Kapitän der Chinesen", welcher die Familie Delprat und mich in sein Haus eingeladen hatte, war ein sehr intelligenter und gebildeter Mann; er sprach geläufig Holländisch und English, unterhielt sich mit uns mehrere Stunden über die verschiedensten Verhältnisse und offenbarte dabei so vielseitige Kenntnisse und ein so gesundes Urtheil, auch so viel gesellschaftlichen Tact und vornehmen Anstand, daß er sich in jeder feineren europäischen Gesellschaft ohne Bedenken hätte sehen lassen können.

Haus und Garten des Kapitäns waren festlich beleuchtet. Der Festzug bestand aus einer Reihe von Wagen, auf deren hohem Thronsessel hübsche, fürstlich geschmückte Kinder von sechs bis zwölf Jahren saßen. Aeltere Kinder, mit blitzendem Edelsteinschmuck, ritten auf den Pferden, welche die Wagen zogen, und zahlreiche Erwachsene, mit bunten Lampions und Fackeln in ihren Händen, gingen zu beiden Seiten der Wagenreihe. Auch hier wieder erregten phantastische Drachen und anderen Fabelwesen besonders Aufsehen. Alles war prächtig decorirt, Menschen und Pferde, Drachen und Wagen überladen mit bunten Decken, schönen Blumen-Guirlanden, glitzerndem Gold- und Silberzierrath. Dazu warf noch von oben der Vollmond seinen vollen Glanz auf die märchenhafte Scene. Nachdem der lange Festzug unter Musikbegleitung seinen Weg durch das ganze Chinesenviertel vollendet hatt, gab es noch Tänze und Festspiele, und zuletzt wurde ein großartiges Feuerwerk abgebrannt.

Mit Vergnügen folgten wir sodann der Einladung des Kapitäns in den oberen Stock seines stattlichen Wohnhauses. Die eleganten Möbel in den geräumigen, offenen Zimmern waren reich mit Gold verziert; prächtige seidene Vorhänge an Fenstern und Thüren. Die zahlreichen Gemälde an den wänden zeigten eine seltsame Mischung von verschiedenen Kunstformen: reizende japanische Blumenstücke und barocke chinesische Genrebilder, auch französische Kupferstiche (meistens dramatische Scenen) und deutsche und italienische Landschaften (Heidelberg und Neapel). Das interessanteste Object war aber der bunte, goldgeschückte Hausaltar, der in keinem größeren chinesischen Hause fehlen darf: über demselben groteske Götzenbilder, Drachen u. s. w. Mit besonderem Stolze zeigte uns der Kapitän zwei große, wohlgelungene Oelbilder, die Proträts seines Vaters und und Großvaters; auch andere Reliquien bezogen sichauf frommen Ahnencultus. Auf dem Altar selbst standen als Opfer zwei große Schüsseln mit Früchten und anderen Leckereien. Auf eine neugierige, etwas indiscrete Frage, ob und wie viel von diesen Delicatessen sich die lebensgroßen Götterbilder über dem Altar schmecken ließen, antwortete der Kapitän mit heiterem Lächeln, daß die Speisen zwar täglich erneut, aber unberührt weggetragen und dann von seinen Leuten mit Appetit gegessen würden: diese seien der Ueberzeugung, daß sie nur die "rohe Materie" verzehrten; der "wahre Geist" der Speisen von den Göttern genossen sei. Wie werden sich unsere akademischen Metaphysiker über diesen "k r i t i s c h e n"  D u a l i s m u s  freuen! Dahingegen erklärte der Kapitän, er selbst sei anderer Ansicht, er glaube

Fig. 65.  M o s c h e e  (Missigit) bei Fort die Kock.
überhaupt nicht, daß Götter Menschengestalt annähmen und Speisen brauchten; auch sei er überzeugt, daß in diesen Opfergaben wie in allen anderen Dingen "Kraft und Stoff" (matter and force) untrennbar verbunden seien. Der arme Mann schien mir schon von der bösen "m o n i s t i s c h e n   P h i l o s o p h i e" angesteckt zu sein, die neuerdings in dem berüchtigten Buche über "Die Welträthsel" einen so unheimlichen Ausdruck gefunden hat!

Da ich hier der  P h i l o s o p h i e  gedenke, möchte ich darüber im Vorbeigehen bemerken, daß man darunter in Insulinde eine vernünftige, mit der Natur-Erkenntniß harmonirende  W e l t a n s c h a u u n g  versteht; jeder gebildete Mensch ist hier berechtigt, sich eine solche zu bilden - wie ich glaube, mit Recht. Andere Ansichten darüber herrschen bekanntlich in Deutschland; hier ist die Philosophie der "systematische Mißbrauch der eigens dazu erfundenen Begriffe" und ausschließliches Eigenthum einer dafür privilegirten, mit der Naturwissenschaft unbekannten Gelehrten-Kaste.

Nachdem unser gütiger chinesischer Wirth uns noch mit köstlichem Thee, Zuckergebäck und eingemachten Früchten bewirthet hatte, bestiegen wir sehr befriedigt unseren Wagen und fuhren durch das bunt illuminirte Chinesenviertel nach Hause. Der klare Vollmond schien aber so verlockend von dem wolkenlosen Nachthimmel, daß wir der Versuchung nicht widerstehen konnten, noch einen weiten Umweg durch die herrliche Parklandschaft zu machen, in welcher hier, nahe dem Aequator, die einzelnen Häuser und Villen der vornehmen Bewohner von Padang weit zerstreut liegen. Tausende von glänzenden Reflixlichtern, welche der taghelle Mondschein auf die steifen, polirt erscheinenden Blätter der Palmen und Pandanen, der Tectonien und Bananen warf, wetteiferten mit zahllosen, im Gebüsche fliegenden Leuchtdkäfern, um die Eindrücke des vorher gesehenen chinesischen Feuerwerks in Schatten zu stellen. Eine solche klare Vollmondnacht in den Tropen, die balsamische Luft gekühlt durch eine sanfte Seebrise und erfüllt von berauschendem Blumenduft gehört zu dem Herrlichsten, was dem Menschen auf unserer schönen Erde zu genießen vergönnt ist, und mit diesem zauberhaften Eindrücken meiner letzten Nacht auf Sumatra nahm ich von der wundervollen Smaragdinsel Abschied.

Fig. 66.  H a n d   u n d   F u ß   e i n e r   M a l a y i n.

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