Malayische Reisebriefe von Ernst Haeckel (1901)

Drittes Capitel

Im Garten von Beutenzorg

B e u t e n z o r g  (geschrieben "Buitenzorg"), "Außer Sorge", Das "S a n s - S o u c i" von Java - hatte mir seit vielen Jahren als ein ideales Reiseziel vorgeschwebt. Besteht doch hier seit dem Jahre 1817 ein botanischer Garten, der durch die ungewöhnliche Gunst der Naturverhältnisse und die verdienstvolle Arbeit trefflicher Männer sich zum reichsten und größten aller botanischen Tropengärten entwickelt hat. Neuerdings hat derselbe nicht nur die höchste praktische Bedeutung für die vervollkommnete Cultur der mannigfaltigsten tropischen Gewächse gewonnen, sondern er ist auch seit zwei Decennien durch Errichtung ausgezeichneter Laboratorien und Versuchsstationen zu einer wissenschaftlichen Anstalt ersten Ranges geworden. Alljährlich wird jetzt dieses "B o t a n i s c h e   C e n t r a l - I n s t i t u t", wie wir es wohl nennen dürfen, von einer Anzahl europäischer Botaniker aufgesucht, welche hier die Wunder des Pflanzenlebens aus erster Quelle und in reichster Entfaltung studiren können; sie gewinnen hier im Laufe weniger Monate durch eigene lebendige Anschauung viel mehr für das Verständniß des Pflanzenlebens nach allen Richtungen hin, als sie im europäischen Laboratorium durch vieljähriges Studium einer sehr umfangreichen Literatur und durch das ungenügende Surrogat der verkümmerten Tropenpflanzen in unseren Gewächshäusern erlangen können.

Der geneigte Leser wird vielleicht verwundert fragen, wie ich als  Z o o l o g e  dazu komme, für mehrere Monate mich in diesem Pflanzengarten festzusetzen, der doch eigentlich nur durch  B o t a n i k e r  von Fach seine volle Würdigung und Verwerthung finden kann. Die bescheidene Antwort auf diese berechtigte Frage muß meinen hiesigen Aufenthalt in mehrfacher Beziehung erklären.

In der That war ich bereits in früher Jugend von dem lebhaftesten Interesse für Betrachtung und Erforschung der Pflanzenformen beseelt und bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahre von dem Wunsche durchdrungen, die  B o t a n i k  als Lebensberuf wählen zu dürfen. Erst als ich (1854) unter dem mächtigen Einflusse meines großen Lehrers

Fig. 19. Pavillon im Garten von Beutenzorg, welchen der Verfasser in den letzten drei Monaten des neunzehnten Jahrhunderts bewohnte.
 J o h a n n e s   M ü l l e r  in Berlin in die wunderbaren Geheimnisse des Thierlebens eindringen lernte, erschien mir deren Studium so viel lehrreicher - und namentlich durch die Beziehung zur Anthropologie so viel wichtiger -, daß allmählich die Botanik dagegen in den Hintergrund trat. Doch blieb ich der alten Liebe zur "Scientia amabilis" stets treu, und wenn auf den zahlreichen naturwissenschaftlichen Reisen, die ich später ausführte, die zoologischen Zwecke stets im Vordergrunde standen, behielten doch die botanischen Studien daneben noch ihre alte Anziehungskraft. Wenn nun auch die letzteren naturgemäß nur dilettantischen Wert hatten, so haben sie doch die allgemeinen Ziele der ersteren sehr wesentlich gefördert und ergänzt. Auch stand mir dabei als leuchtendes Vorbild stets mein großer Meister  C h a r l e s   D a r w i n  vor Augen. Als ich ihn 1866 zum ersten Male in Down besuchte und in lehrreichster Unterhaltung mit ihm seinen Versuchs-Garten durchwanderte, befestigte sich in mir die schon aus dem Studium seiner Schriften gewonnene Ueberzeugung, daß die moderne Entwickelungslehre die große organische Natur nur als ein einziges, umfassendes  G a n z e s, als ein überall zusammenhängendes "Lebensreich" begreifen und verstehen kann. Der  B i o l o g e, welcher sich ihre Erforschung zur Lebensaufgabe setzt, wird sich zwar in Folge der nothwendigen Arbeitstheilung darauf beschränken müssen, nur einen einzelnen, mehr oder minder großen Theil des ungeheuren Gebietes vollständig zu beherrschen; er wird aber, um nicht in ganz einseitige und verkehrte Anschauungen zu verfallen, genöthigt sein, daneben immer noch einen beträchtlichen Antheil seines Interesses und seiner Arbeitskraft dem  g a n z e n  großen Wunderbau des organischen Lebens zuzuwenden; in diesem bleiben Thier- und Pflanzen-Entwicklung stets innig verknüpft.

Professor  M e l c h i o r   T r e u b  (sprich: Tröb), welcher seit zwanzig Jahren Director des botanischen Instituts von Beutenzorg ist, und durch zielbewußte, energische Thätigkeit dasselbe zu seiner jetzigen bewunderungswürdigen Höhe emporgehoben hat, zeichnet sich auch durch weiten Blick und philosophische Auffassung der Verhältnisse vor vielen angesehenen Biologen der Gegenwart aus; er ist stets von der hohen Bedeutung jener wichtigen Beziehungen überzeugt gewesen und hat es in Folge dessen durchgesetzt, daß jetzt ein besonderes  z o o l o g i s c h e s   L a b o r a t o r i u m  neben den botanischen Gebäuden errichtet wird. Dieses stattliche, jetzt im Bau begriffene Local wird noch vor Ablauf dieses Jahres den reisenden Zoologen Europa´s geöffnet werden; wäre ich ein Jahr später gekommen, hätte ich es mit einweihen können. Es wird zunächst drei Arbeitsplätze für zoologische Untersuchungen jeder Art enthalten, ferner ein Museum, in welchem die einheimischen Thiere von Java gesammelt sind, und zwar vorzugsweise jene Formen, die für die Pflanzenwelt direct und indirect Bedeutung besitzen. In erster Linie wird es sich dabei natürlich um die formenreiche Classe der  I n s e c t e n  handeln, deren Hunterttausende von Arten zum größten Theile in bestimmten Beziehungen zu gewissen Pflanzen stehen. Wenn schon in Europa die genaue Kenntniß der nützlichen und schädlichen Insecten für Land- und Forstwirtschaft von höchster Bedeutung ist, so muß das natürlich in sehr erhöhtem Maße hier in Java der Fall sein, wo die erstaunliche Zeugungskraft der Tropensonne unter den üppigsten klimatischen Bedingungen ebenso in der Thierwelt wie in der Pflanzenwelt die höchsten Aufgaben des organischen Lebens zur Lösung bringt.

Die Fülle von merkwürdigen Lebensformen, welche der große Garten von Beutenzorg (ganz abgesehen von jenen wichtigen bionomischen Beziehungen) dem  Z o o l o g e n  liefert, ist übrigens schon seit einer Reihe von Jahren von europäischen Naturforschern, die mehrere Monate hier arbeiteten, ausgebeutet worden. So hat namentlich hier Professor  L u d w i g   v o n   G r a f f  (aus Graz) das reiche Material für seine Monographie der Landplanarien gesammelt. Von meinen eigenen Schülern haben Professor  R i c h a r d   S e m o n  und  W.  K ü k e n t h a l  hier gearbeitet. Professor  M a x   W e b e r  aus Amsterdam hat hier vor zwei Jahren mit seiner Gattin  A n n a   W e b e r   v a n   B o s s e  die Vorbereitungen zu der großen  S i b o g a-Expedition ausgeführt, welche die faunistische Erforschung des ganzen malayischen Archipels während einer langen Fahrt von 12000 Seemeilen (ein ganzes Jahr hindurch) erzielte. Professor  E m i l   S e l e n k a  (in München), welcher mit seiner Gemahlin zwei große Reisen durch Insulinde ausführte und in seinen "Sonnigen Welten" anziehend schildert, hat ebenfalls in Beutenzorg, wie in Sumatra und Borneo, werthvolles Material für seine embryologischen Forschungen erbeutet. Außerdem haben auch verschiedene andere Zoologen aus Holland, Rußland, Deutschland, Oesterreich, England u. s. w. bereits den Anfang zu einer näheren Erforschung der reichen Fauna von Beutenzorg gemacht.

Da das neue zoologische Laboratorium noch nicht fertig ist, hatte mir Professor  T r e u b  ein besonderes geräumiges Arbeitszimmer in demjenigen Theile des großen botanischen Instituts eingeräumt, welcher für das Studium der Pflanzenkrankheiten (Phytopathologie) bestimmt ist. Schon im letzten Frühjahr, als ich den Plan zu meiner Javareise gefaßt und Dr. Treub mitgetheilt, hatte derselbe mich in freundlichster Weise eingeladen, während meiner Anwesenheit in Beutenzorg bei ihm im Garten zu wohnen und längere Zeit das Laboratorium beliebig zu benutzen. Nach Allem, was ich davon bisher gehört und gelesen - und besonders auf Grund der eingehenden Mittheilungen meines Freundes und Collegen Dr.  E r n s t   S t a h l, Professors der Botanik in Jena -, hatte ich mir viel, sehr viel von dem hiesigen Aufenthalt versprochen.

Nachdem ich denselben ein Paar Monate genossen, mußte ich bekennen, daß meine hochgespannten Erwartungen in jeder Beziehung nicht allein erreicht, sondern übertroffen wurden. Schon am ersten Morgen nach meiner Ankunft, als ich am 16. October um 6 Uhr beim herrlichesten Sonnenschein mti Professor Treub den ersten Rundgang durch den schönsten Theil des Gartens machte, überwältigte mich der Eindruch, daß - wenn irgendwo auf der Erde - hier in Beutenzorg der "Garten des Paradieses" in Wirklichkeit zu schauen ist. Alles, was wir seit frühester Jugend in unserer kindlichen Phantasie als "Paradies" uns vorstellen, ist hier in dem "Hortus Bogoriensis" (B o g ó r  ist der malayische Name des Ortes Beutenzorg) verwirklicht: ein prächtiger Garten, voll der mächtigsten Bäume und der schönsten Blumen, voll der köstlichsten Früchte und der herrlichsten Waldpartien - durchströmt von einer Fülle rauschender Bäche, geschmückt mit anmuthigen Teichen, auf denen Seerosen schwimmen - ebenso reich an leuchtenden Sonnenplätzen wie an verschwiegenen Schattengängen, durchzogen von einem Netze der bequemsten Fahrstraßen und Fußwege, mit unvergleichlichen Ausblicken auch die üppigen Fruchtebenen von Westjava und die stolzen Vulcankegel, die sich im Süden über ihnen erheben - und das Alles belebt von singenden Vögeln und schaaren bunter, seltsamer Insecten. Dabei herrscht überall Friede und Ruhe (wenigstens scheinbar); das Klima ist in mancher Beziehung geradezu ideal. Selbst die eingeborene Bevölkerung, die man im Garten trifft, der stille, sanfte Malaye mit seinem zurückhaltenden Anstande, paßt zu dem Bilde.

Es würde mir eine Freude sein, wenn ich meinen Lesern nicht allein eine allgemeine Vorstellung von dem wunderbaren Reichthum und der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit des paradiesischen "B o g o r - G a r t e n s" geben, sondern auch eine Auswahl von den prächtigen und großartigen Pflanzengestalten desselben ihnen im Einzelnen vorführen könnte. Das wäre aber nur möglich, wenn es anginge, meine Beschreibung durch zahlreiche, gute Abbildungen, Aquarellskizzen und Photogramme, zu erläutern; auch würde zum vollen Verständniß ein gewisses Maß von botanischen Kenntnissen vorauszusetzen sein, sowohl in der Systematik und Morphologie der natürlichen Pflanzen-Familien als in der Pflanzen-Geographie und -Physiognomik. Da ich das nicht ohne Weiteres voraussetzen darf, muß ich mich auf die allgemeine Wiedergabe meiner Eindrücke beschränken, mit besonderer Betonung der hohen Bedeutung, welche die ganze Einrichtung un Verwerthung des botanischen Bogor-Instituts neuerdings gewonnen hat.

Uebrigens existirt bereits eine ausgedehnte und werthvolle Literatur über den Garten von Beutenzorg. Die eingehendste Darstellung - populär und wissenschaftlich zugleich - hat Dr. G.  H a b e r l a n d t  (Professor der Botanik in Graz) gegeben. Seine "Botanische Tropenreise" 1) enthält nicht allein lebendige und naturgetreue "indomalayische Vegetationsbilder und Reiseskizzen", sondern auch eine Fülle von trefflichen botanischen Bemerkungen, welche selbst dem Laien die Entstehung und Bedeutung zahlreicher bionomischer Einrichtungen klar machen. - Eine kleinere, recht lebendige und anschauliche Schilderung in französischer Sprache hat der belgische Botaniker  J e a n   M a s s a r t  aus Brüssel gegeben: "Un Botaniste en Malaisie" (Gand 1895, 200 S., mit vielen Photogrammen). Aber auch in mehreren neueren Reisewerken botanischen und zoologischen Inhalts sind Darstellungen des Bogor-Gartens enthalten, alle darain übereinstimmend, daß dieses großartigste botanische Institut nicht nur für alle Theile der Pflanzenkunde, sondern auch für andere Wissenschaften von höchsten Werth und in jeder Beziehung ausgezeichnet organisirt ist.

Am 18 Mai 1892 beging das "Lands-Plantentuin" (wie der officielle Name des "botanischen Landesinstituts" zu Beutenzorg lautet) unter großer Theilnahme die Feier seines fünfundsiebzigjährigen Bestehens. Bei dieser Gelegenheit veröffentlichte der Director Dr.  T r e u b  eine officielle Festschrift, die auch in deutscher Uebersetzung erschien 2) . Sie enthält aus der Feder des Herausgebers die Festrede über "Die Bedeutung der tropischen botanischen Gärten", und ferner eine sehr interessante "Kurze Geschichte des botanischen Gartens". Dann folgt ein praktischer Führer: "Spaziergänge durch den botanischen Garten", von Dr.  B u r c k, und von demselben eine Schilderung des Harbariums und Museums; von Dr.  J a n s e  eine Aufzählung der sehr zahlreichen "Wissenschaftlichen Untersuchungen aus dem botanischen Garten", und endlich noch eine Anzahl kleinerer Mittheilungen.

Ueber den gegenwärtigen Zustand, die Zusammensetzung und Wirksamkeit des botanischen Bogor-Instituts werden von Dr. Treub neuerdings regelmäßige Bulletins (in französischer) und Verslags (in holländischer Sprache) herausgegeben. Der soeben erschienene "Verslag omtrent den Staat van ´s Lands-Plantentuin over het jaar 1899" ist ein stattlicher Band von 242 Seiten. Besonders interessant aber ist die kurze "Notice sur l´état actuel de l´Institut" (40 S.), welche Nr. 1. des neuen Bulletin von 1898 bildet. Hier findet sich namentlich der europäische Naturforscher, der die Herrlichkeiten des Paradiesgartens mit eigenen Augen schauen und seine botanische Bildung auf eine höhere Stufe erheben will, das Nöthigste über das Institut und die von diesem gebotenen Hülfsmittel, auch sehr nützliche Winke betreffs der Herreise, ihrer Kosten, des Verhaltens im hiesigen Klima u. s. w. Wer aber noch Näheres über diese und andere Verhältnisse von Beutenzorg erfahren will, muß die zahlreichen einzelnen Abhandlungen consultiren, die bereits eine stattliche Zahl von Bänden füllen.

Fig. 20.  D e r   V u l c a n   S a l a k  (vorn rechts die Terrassen der Reisfelder).

Wenn ich nun versuche, meinen Lesern ein allgemeines Bild von Beutenzorg und seinen wunderbaren Naturschätzen zu geben, muß ich zunächst die prachtvolle Lage des Ortes in einer der schönsten Landschaften der Erde hervorheben. Maßgebend für dieselbe und zugleich bestimmend für das äquatoriale Klima des Ortes ist vor Allem die Erhebung von drei gewaltigen Vulcankegeln, welche im Süden den großartigen Hintergrund der Landschaft bilden: südwestlich der herrliche Kegel des Salak mit seiner fünfzackigen Krone (2253 Meter), südöstlich der gewaltige Pangerango (3000 Meter) und der Gedeh (2962 Meter). Der größte Theil dieser Vulcanriesen ist mit Urwald bedeckt und durchzogen von zahlreichen radialen Schluchten, welche nach allen Seiten in die fruchtbare Hochebene ausstrahlen und ihr reichliche Wasserbäche zuführen. Die jungen Reisfelder dieser Ebene, abwechselnd smaragdgrüne und röthlichbraune Bänder, geben dem Mittelgrund einen idyllischen Reiz, dadurch erhöht, daß überall freundliche, von Palmengärten und Fruchtbäumen umschlossene Dörfer (Kampongs oder Dessas) darin zerstreut liegen. Den Vordergrund der glänzenden Tropenlandschaft aber bilden - je nach dem Standpunkt des Betrachters - näher gelegene Hütten und üppige Gärten oder das tief eingerissene Flußbett des wilden Tjidani. Dieser schlammige, gelbe, reißende Bergstrom begrenzt das höher gelegene Terrain von Beutenzorg im Westen, ein anderer, Tjiliwong, im Osten ("Tji" heißt in sundanesischer Sprache: Der Bach.) Beide Bergwässer kommen eiligen Laufes direct von den nordöstlichen Abhängen des Salak herab und fassen den erhöhten (265 Meter über dem Meer gelegenen) Landrücken zwischen sich, auf welchem Beutenzorg sich lang hinstreckt. Der Vordergrund des entzückenden Bildes erhält dadurch einen beständig wechselnden Reiz, daß den ganzen Tag über - besonders aber Morgens und Abends - Hunderte von Malayen und Chinesen sich im Flusse baden, Männer, Weiber und Kinder bunt durch einander. Berühmt ist die Aussicht aus den südlichen "Bergkammern" des Hôtel Bellevue, wo man diesen lustigen Badeplatz unmittelbar zu Füßen hat. Noch schöner aber sind die wechselvollen Landschaftsbilder, wenn man zum Flusse hinabsteigt und, seinem gewundenen Laufe folgend, die prachtvolle Vegetation seiner schattigen Ufer näher ins Auge faßt. Von Strecke zu Strecke führen hohe Brücken über den Tjibani hinweg; man blickt von ihnen tief in die düsteren, von dichtester Vegetation erfüllten Schluchten hinab, in deren Tiefe der wilde Bergstrom über mächtige Felsen und runde Rollsteine schäumt.

Die herrliche Lage von Beutenzorg und das gesunde Klima, das große Vorzüge vor dem von Batavia besitzt, haben die Holländer schon vor mehr als zweihundert Jahren veranlaßt, diesen "Luftkurort" zur Erfrischung aufzusuchen. Wenn man aus der erdrückend heißen und schwülen Atmosphäre von Batavia, verpestet durch die fieberschwangeren Ausdünstungen der schlammigen und sumpfigen Küste, mit der Eisenbahn in anderthalb Stunden nach Beutenzorg hinauf fährt, so fühlt man schon bei der Annäherung an das ferne südliche Gebirge einen frischeren Lufthauch; und oben angelangt, athmet man erquickt die reine, frische Bergluft, welche beständig von den Urwaldschluchten des mächtigen Salak gegen die grüne Hochebene herabströmt. Es war daher sehr begreiflich, daß schon im Jahre 1747 der Generalgouverneur von Niederländisch-Indien seine Residenz von Batavia hierher verlegte und daß sie seitdem beständig hier geblieben ist. Nur bei besonders festlichen Gelegenheiten und officiellen Empfängen fährt der Generalgouverneur, der thatsächlich Vicekönig von Insulinde ist, nach Batavia hinunter.

Das Gouvernements-Palais - gleich allen anderen hiesigen Gebäuden einstöckig, wegen der häufigen leichten Erdbeben - liegt in einem umfangreichen Parke, der von Alleen mächtiger Feigenbäume und schlanker Königspalmen durchzogen wird; seine weiten Rasenflächen sind von Hunderten zahmer Hirsche belegt. Dieser Regierungspark bildet die nördliche Grenze des großen botanischen Gartens; die westliche wird durch die breite alte Poststraße (Djalan besar) markirt, in deren Umgebung die meisten europäischen Villen liegen. Im Süden stößt an den Bogor-Garten das abgesonderte Chinesenviertel, in welchem zusammenhängende Reihen von offenen Läden (Tokos) dicht aneinander liegen und sich weithin ausdehnen. Ehe man vom Haupteingang des Gartens - in der Mitte seiner Südseite -, in dieses "Kampong-China" eintritt, kommt man auf den großen Marktplatz; derselbe gewährt täglich (besonders aber Dienstag und Freitag) mit seiner reichen Ausstattung und dem bunten Gewühle seiner Besucher ein höchst unterhaltendes Schauspiel. Die östliche Grenze des Gartens bildet der tiefer gelegene, von Süden noch Norden strömende Tjiliwong, jenseits dessen sich weithin Reisfelder erstrecken, in blauer Ferne südlich überragt von dem mächtigen Gebirgsrücken des Gedeh und Pangerango.

Der Flächenraum, welchen der so abgegrenzte, fast quadratische Hauptgarten einnimmt, beträgt nicht weniger als 58 Hektar oder 230 Morgen. Dazu kommt nun noch der ausgedehnte  C u l t u r -   u n d   V e r s u c h s g a r t e n   v o n   T j i k ö m ö h, welcher eine halbe Stunde westlich entfernt liegt und 72 Hektar (280 Morgen) umfaßt; ferner der großartige  G e b i r g s g a r t e n   v o n   T j i b o d a s  (mit 31 Hektar = 120 Morgen). Alle drei Gärten haben eine Ausdehnung von 161 Hektar = 630 Morgen. Diese gewaltige Fläche wurde neuerdings fast um das Doppelte vermehrt; 1890 wurde ein Urwald angegliedert, welcher an den Berggarten von Tjibodas anstößt und nicht weniger als 283 Hektar (= 1110 Morgen) umfaßt, und in neuesster Zeit wurde in der Nähe ein ansehnliches Grundstück für die Cultur von Guttapercha erworben. Bei dem hohen Werthe den neuerdings die Guttapercha für viele technische Zwecke, besonders aber die Fabrikation der marinen Telegraphenkabel, erlangt hat, verspricht der Anbau der kostbaren, sie liefernden Palaquin-Bäume besonders glänzende Ergebnisse.

Diese gewaltige Entwickelung des Bogor-Institutes, sowie die bewunderungswürdige Organisation des großen Ganzen verdankt dasselbe Professor  T r e u b. Die Anfänge des Gartens waren sehr bescheiden und die Schicksale im Laufe von dreiundachzig Jahren sehr wechselnd. Als im October 1815 die Generalcommission aus Holland abreiste, um Java aus den Händen der englischen Zwischenregierung zurück zu empfangen, war ihnen als "Director der Landbau-Angelegenheiten" ein deutscher Naturforscher beigegeben, C. G. L.  R e i n w a r d t, damals Professor der Chemie und Naturgeschichte am Athenaeum in Amsterdam; er sollte sowohl die naturwissenschaftliche Erforschung der Colonie fördern, als auch über ihre praktische Verwerthung Bericht erstatten. Um beiden Aufgaben vereint gerecht zu werden, schlug Reinwardt bereits am 15. April 1817 die Gründung eines selbstständigen botanischen Gartens vor, und noch am selben Tage wurde sein bedeutungsvoller Vorschlag von der Generalcommission genehmigt. Schon einen Monat später, am 18. Mai, wurde die Errichtung des neuen Instituts begonnen und ihm der officielle Name "Lands-Plantentuin" beigelegt, um seine volle Unabhängigkeit von den angrenzenden Parkanlagen des Gouvernements-Palais zu bezeichnen.

In den ersten fünf Jahren wurde durch die eifrige Thätigkeit seines Directors der junge botanische Garten so gefördert, daß er 1822 bei Reinhardt´s Rückkehr nach Europa schon über 900 verschiedene Pflanzenarten enthielt. Auch sein Nachfolger,  B l u m e, warf sich mit solchem Eifer auf die systematische Durchforschung der Flora von Niederländisch-Indien und speciell auf Java, daß er bereits nach wenigen Jahren 1160 Pflanzenarten als neue Formen beschreiben konnte. Aber dieser viel versprechende Anfang schon von kurzer Dauer zu sein. Schon nach neun Jahren, als Blume 1826 nach Holland zurückkehrte, wurde seine Directorstelle aus Sparsamkeit nicht wieder besetzt und bald darauf sogar die ganze Dotation des Gartens eingezogen; die nothwendigen Regiekosten mußten aus den Mitteln des Gouvernements-Parkes bestritten werden. Ein Decennium hindurch schien die Existenz des Gartens fast vernichtet, und weitere drei Decennien hindurch hatte er den härtesten Kampf um´s Dasein zu bestehen, bis ihm endlich im Jahre 1868 seine volle finanzielle und administrative Thätigkeit wieder gegeben wurde.

Zwei mächtige Feinde waren es, welche während dieser vierzig Jahre die freie, selbstständige Entwicklung des Gartens beständig bedrohten und bekämpften, der bureaukratische Geist der Regierung und die Eifersucht der Fachgenossen im Heimathlande. Die trefflichen Holländer bewiesen auch hierin wieder ihre Stammeszugehörigkeit zu Deutschland. Was die Regierung betrifft, so waren zwar mehrere Generalgouverneure und deren Indendanten, die sich zunächst zur "Regierung" des Gartenss berufen fühlten, seiner Entwicklung wohl gesinnt; Andere hingegen betrachteten ihn bloß als einen angenehmen, schattigen Anhang des Palais-Parkes; und als 1837 endlich sich die Anstellung eines dirigirenden Botanikers neben dem eigentlichen Gärtner als unvermeidlich erwies, wurden beide auf Antrag des Palais-Intendanten, Major  S c h a r t e n, under dessen unmittelbaren Befehl gestellt. Thatsächlich blieb nun der botanische Garten dreißig Jahre hindurch unter militärischem Oberbefehl! Viele ähnliche Wunderlichkeiten hat auch die Geschichte wissenschaftlicher Institute in Deutschland zu verzeichnen - in neuerer Zeit nur mit dem Unterschiede, daß man zur "sachverständigen" Leitung den Officiren die Juristen vorzieht, deren hohe formale Bildung ihnen nicht gestattet, die nöthigen materiellen Kenntnisse zu erwerben.

Waren die hochgestellten Gegner im Gouvernements-Palais dem Bogor-Garten schon gefährlich, so erwuchsen ihm noch schlimmere Feinde daheim in Holland; das waren die Professoren der Botanik und die Directoren des großen Reichsherbariums in Leiden. Diese wollten den Beutenzorger Garten lediglich als eine untergeordnete Nebenabtheilung des letzteren betrachtet wissen und alle Ergebnisse seiner Thätigkeit nur in ihren Besitz fließen lassen; alle Verbindungen des Bogor-Gartens mit anderen botanischen Gärten und Instituten sollten aufgehoben, jegliche Selbstständigkeit vernichtet werden. Merkwürdigerweise war es der frühere Director des Gartens,  B l u m e, welcher mit diesen Angriffen energisch begann; sein wissenschaftlicher Gegener, Professor  d e   B r i e s e  in Leiden, setzte sie später in gleicher Weise anhaltend fort.

Unter diesen schwierigen Verhältnissen war es allein dem Charakter eines einzigen Mannes von untergeordneter Stellung zu verdanken, daß der Bogor-Garten nicht allein am Leben blieb, sondern sogar im Stillen wuchs und sich günstig weiter entwickelte. Dieser merkwürdige und höchst verdienstvolle Mann war J. E. Teijsmann, ein einfacher Gärtnergehülfe, den der Generalgouverneur mit nach Java gebracht und 1831 zum "Hortulanus" ernannt hatte. Er besaß nur sehr geringe allgemeine und botanische Bildung, dafür aber das größte Interesse für das Gedeihen des Gartens, dessen Leitung ihm anvertraut wurde, ferner eine unverwüstliche Gesundheit und Arbeitskraft und rücksichtslose Energie in der beständigen Verfolgung des hohen Zieles, das er sich gesteckt hatte. Nachdem er sich sechs Jahre lang in aller Stille um die Reorganisation des Gartens bemüht hatte, wurde ihm 1837 als "Assistent" der treffliche Botaniker Dr.  J.  K.  H a ß k a r l  beigegeben, von dessen reichen Kenntnissen er täglich zu lernen bestrebt war; und im Verein mit ihm begann er sofort die von ihm angeregte Neuordnung des Pflanzen nach den natürlichen Familien - eine Einrichtung, die sich bald als höchst fruchtbar erwies. Natürlich mußte dieser Umpflanzung eine große Anzahl schöner alter Bäume zum Opfer fallen, zum größten Verdrusse des Generalgouverneurs. Da  T e i j s m a n n  trotz seines wiederholten Gegenbefehls mit dem nothwendigen Fällen vieler Bäume fortfuhr, fragte er ihn eines Tages: "Wer hat hier zu befehlen, ich oder Sie?" Prompt antwortete der Hortulanus: "Ich, Eure Excellenz, so lange Sie mich nicht meines Amtes enthoben haben!" Und er blieb im Amte und führte die begonnene Umgestaltung des Gartens glücklich zu Ende, setzte auch mit zäher Beharrlichkeit und Geduld eine Menge von wichtigen Verbesserungen durch, die für "unmöglich" galten.

Sehr bezeichnend für den vortrefflichen Charakter von  T e i j s m a n n  und für die selbstlose Hingabe an den Garten, in dessen Dienste er ein volles halbes Jahrhundert wirkte, ist auch die energische Art, mit der er sich gegen die übermüthigen Angriffe der egoistischen Professoren in Leiden, besonders  B l u m e´s und  d e   B r i e s e´s, zur Wehr setzte. Als der Letztere verlangt hatte, daß eine Anzahl leerer Ward´scher Kisten, die er nach Beutenzorg schickten wollte, mit Pflanzen gefüllt zurück kommen sollten, antwortete  T e i j s m a n n, "er werde Alles aufbieten, um ihm seine Kisten leer zurück zu senden." Und als de Briese gar das Verbot betrieb, fremde Culturpflanzen aus anderen Erdtheilen in Beutenzorg einzuführen, replicirte  T e i j s m a n n: "Es erübrigte sich nur noch, zu befehlen, daß alle früher bereits eingeführten Culturpflanzen, und wäre es auch nur der Caffee, der dem Gouvernement jetzt Milionen einbringt, wieder ausgerottet würden!"

Mit unermüglichem Eifer setzte  T e i j s m a n n  länger als dreißig Jahre hindurch in zahlreichen Berichten die Maßregeln auseinander, welche er zur vollständigen Reorganisation des Gartens für nothwendig hielt; und endlich hatte er die Genugthuung, seine unausgesetzten Bemühungen mit Erfolg gekrönt zu sehen. Nachdem auch der verdiente Botaniker Miquel in Utrecht seine Pläne kräftig unterstützt hatte, wurde 1868 dessen Schüler Dr.  R.  H.  C.  C.  S c h e f f e r  zum neuen Director des Gartens ernannt, und diesem zugleich seine volle finanzielle und administrative Selbstständigkeit zurück gegeben.

In den zwölf Jahren, in denen  S c h e f f e r, Anfangs noch unter der werthvollen Mitwirkung von Teijsmann, die Direction des Bogor-Gartens führte, geschah sehr viel für dessen allseitige Entwicklung, sowohl in wissenschaftlicher als auch in praktischer Beziehung. Das Terrain des Gartens wurde erheblich erweitert und verbessert, und neue Gebäude wurden errichtet. Zur besseren Aufstellung der Sammlungen und der stattlichen Bibliothek stellte die Regierung das Gebäude des Bergwesens zur Verfügung, das noch heute von den Eingeborenen "Kantor Batu", das "Steinkomtor", genannt wird. 1875 wurde das große Terrain für den Cultur- und Versuchsgarten in Tjikömöh, 72 Hektar umfassend, erworben. Außerdem wurde hier eine besondere  L a n d b a u-Schule errichtet, an welcher sowohl die jungen europäischen Beamten die praktische Cultur der Tropenpflanzen kennen lernen, als auch die Söhne der eingeborenen Bauern und Pflanzer gründliche landwirthschaftliche Ausbildung erhalten sollten. 1874 wurden die "Annales du Jardin de Botanique de Buitenzorg" gegründet, die sich seitdem zu der wichtigsten periodischen Zeitschrift für systematische und allgemeine Tropenbotanik entwickelt haben. Leider wurde aber die Arbeitslast, die mit diesen neuen, großen und verschiedenartigen Aufgaben verbunden war, so schwer, daß sie die Gesundheit des eifrigen, unermüdlich thätigen Dr.  S c h e f f e r  untergrub; er unterlag schon 1880 - erst sechsunddreißig Jahre alt - einem acuten Leberleiden.

Es war ein großes Glück für die weitere Entwicklung des mächtig aufblühenden Gartens, daß die erledigte Directorstelle sofort einem jungen Botaniker übertragen wurde, der in jeder Beziehung als "der rechte Mann am rechten Ort" bezeichnet werden muß und der sich in den seitdem verflossenen zwanzig Jahren die großten Verdienste um denselben erworben hat. Die zu einer Commission vereinigten Professoren der Botanik an den holländischen Reichsuniversitäten, die von der Regierung zur Wahl eines passenden Nachfolgers aufgefordert wurden, einigten sich alsbald zum Vorschlage von Dr.  M e l c h i o r   T r e u b, damals neununzwanzig Jahre als und Assistent an der botanischen Lehrkanzel zu Leiden. Seiner Wahl ist es in erster Linie zu verdanken, daß seitdem der Bogor-Garten nicht nur seiner ursprünglichen Bestimmung entsprechend sich glänzend weiter entwickelt, sondern auch - weit darüber hinaus! - zu einem wissenschaftlichen Institut ersten Ranges ausgebildeet hat; heute steht er in seiner Art einzig da, als großartigstes "b o t a n i s c h e s   T r o p e n - I n s t i t u t".

Interessant ist der Ueberblick über die Geschichte des botanischen Gartens zu Beutenzorg, den Dr. Treub - damals schon zwölf Jahre Director - in der erwähnten Festschrift zum fünfundsiebzigjährigen Jubiläum des "Lands-Plantentuin" gegeben hat. Man ersieht daraus deutlich, wie unter den mannigfaltigen Interessen, die sich an den Garten von Anfang an knüpften, zwei große Auffassungen im Vordergrunde stehen und sich den Vorrang streitig machen: einerseits das  t h e o r e t i s c h e  Interesse der  w i s s e n s c h a f t l i c h e n  Botanik, der hier ein gewaltiges Arbeitsfeld unter den günstigsten Bedingungen sich öffnet, - andererseits die  p r a k t i s c h e n  Zwecke der  a n g e w a n d t e n  Pflanzenkunde, vor Allem der Land- und Forstwirtschaft, die hier in Java, einem der reichsten Tropenländer der Erde, ebenfalls auf ungewöhnliche Erfolge rechnet. Natürlich widersprechen sich die Aufgaben des "Lands-Plantentuin" nach diesen beiden verschiedenartigen Richtungen hin in keiner Weise; im Gegentheil sind beide berufen, sich wechselseitig zu stützen und zu fördern. Aber in der Praxis kommt es darauf an, das richtige Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen beider Richtungen herzustellen und in der Vertheilung der reichen Hülfsquellen auf beide den richtigen Mittelweg zu finden. Alle Botaniker, die in den letzten sechzehn Jahren das "Lands-Plantentuin" besucht und darin gearbeitet haben, sind überzeugt, daß Dr.  T r e u b  - gleich bedeutend als theoretischer Botaniker wie als praktischer Gartendirektor - jene schwierige Aufgabe in glücklichster Weise gelöst und mit ganz ungewöhnlichem Talent die vielen entgegenstehenden Hindernisse überwunden hat.

Um die vielseitigen Verdienste Dr. Treub´s richtig zu würdigen, genügt ein Vergleich des Zustandes, in welchem er 1880 bei seinem Amtsantritt den Garten vorfand, mit demjenigen, welchen er 1892 in der Jubiläumsfestschrift (S. 74-77) schildert, und mit dem Bilde, welches er 1898 von dem gegenwärtigen Zustande in der ersten Nummer des "Bulletin" entwerfen konnte. Die folgenden kurzen, der officiellen "Notice sur l´état actuel de l´Institut" (S. 1- 40) entnommenen Mittheilungen werden dem Leser eine ungefähre Vorstellung von der außerordentlichen Bedeutung geben, welche das "b o t a n i s c h e   C e n t r a l - I n s t i t u t" im letzten Decennium thatsächlich erlangt hat.

Als die vier wesentlichen Bestandtheile jedes großen botanischen Tropeninstituts betrachtet Treub mit Recht: 1) Wissenschaftliche  L a b o r a t o r i e n, ausgestattet mit den Hülfsmitteln der modernen Pflanzen-Physiologie und -Morphologie; 2) einen ausgedehnten botanischen  G a r t e n, der möglichst vollständiges Material von lebenden Tropenpflanzen jeder Zeit zur Untersuchung liefert; 3) ein großes  H e r b a r i u m, welches nicht nur die einheimische Flora möglichst vollständig enthält, sondern auch zur Vergleichung diejenige aller anderen Tropenländer und insbesondere die typischen Originalexemplare, welche für die Aufstellung der Species maßgebend gewesen sind; 4) eine  B i b l i o t h e k, welche sowohl die botanische Literatur möglichst vollständig enthält, als auch die wichtigsten Werke aus den übrigen Gebieten der Naturwissenschaft. Für dieses letztere, sehr wichtige Bedürfniß geschah viel im Jahre 1897, indem reiche Privatleute in Holland eine große Summe für den Neubau eines Bibliotheksgebäudes zusammen schossen, und gleichzeitig die "Koninglijke Natuurkundige Vereeingung" in Batavia den Beschluß faßte, ihre eigene werthvolle Büchersammlung in das neue Local zu übertragen. Diese letztere umfaßte 10800, die erstere gegen 10000 Bände, so daß gegenwärtig die Gesammtzahl bereits über 20000 beträgt, ungerechnet viele Tausend Broschüren und Separat-Abhandlungen.

Das ansehnliche, mit Lesezimmer sehr bequem eingerichtete Gebäude der  B i b l i o t h e k  liegt nicht im Garten selbst, sondern dessen nordwestlichem Eingang gegenüber, an der anderen Seite der großen Poststraße. Ebendaselbst befindet sich das Museum (eine sehr reiche Sammlung von Alkohol-Präparaten, Früchten, Holzarten u. s. w.) und das als Originalquelle für Bestimmung und Vergleichung der malayischen Pflanzen-Arten höchst wichtige  H e r b a r i u m. Es besteht aus einem großen, umfassenden Generalherbarium, einer "Gartensammlung", welche die im neuen Catalog des Gartens aufgezählten Pflanzen enthält, einer "Laboratoriumssammlung" für den täglichen Gebrauch der daselbst arbeitenden Botaniker, und einem "Herbarium Bogoriense", welches ausschließlich die in der Umgebung wild wachsenden Pflanzen enthält und die Grundlage für die in Publication begriffene "Flora von Beutenzorg" liefert.

Die Laboratorien des botanischen Bogor-Institutes bilden gegenwärtig dessen eigenthümlichsten und wissenschaftlich wichtigsten Bestandtheil. Nachdem im Winter 1883/84 zum ersten Male ein europäischer Botaniker, Graf von Solms-Laubach (jetzt Professor in Straßburg), zum Zwecke wissenschaftlicher Untersuchungen nach Beutenzorg gekommen war, wurde für ähnliche Besuche 1885 das erste einfache Laboratorium eröffnet. Jetzt dagegen giebt es bereits ein Dutzend verschiedener Laboratorien, deren ansehnlicher Gebäudekomplex einen weiten Raum in der südwestlichen Ecke des Gartens einnimmt. Alle diese Gebäude (viele mit kleineren Nebengebäuden ausgestattet) sind geräumig, luftig und gut ventilirt, wie es das Tropenklima erfordert, getrennt durch prächtige Baumgruppen und rechlich bewässert duch den rasch fließenden Bach Tjibalok, der auch die Teiche des Gartens speist.

Gleich neben dem Haupteingang des Gartens, der an dessen Südgrenze vom Marktplatze in die große Canarienallee führt, liegt das Bureau, in welchem sich die Arbeitsräume des Directors und seiner Beamten befinden, das Archiv und eine kleine Druckerei. Westlich schließt sich daran die Wohnung des Obergärtners (jetzt "Hortulanus" Wigman) und der stattliche Complex der großen Laboratorien. Als selbstständige Abtheilungen derselben sind besonderen Dirigenten unterstellt: das Laboratorium für europäische Botaniker, welche hier Monate lang anatomische und phylogenetische, physiologische und bionomische Untersuchungen ausführen wollen (vorläufig mit fünf wohl ausgestatteten Arbeitsplätzen) - die Laboratorien für Pflanzenchemie und Pharmakologie, für Pflanzenkrankheiten und Bakteriologie, für Forstflora und Waldcultur, für das Studium des Caffeebaues und des Tabaks von Deli, endlich für landwirthschaftliche Zoologie, Kenntniß der nützlichen und schädlichen Insecten u. s. w. Dazu kommt nun noch ein vortrefflich eingerichtetes Laboratorium für Photographie und Lithographie (unter Leitung des deutschen Künstlers C. Lang); ferner die räumlich vom Bogor-Garten getrennten großen Laboratorien im Versuchsgarten von Tjikömöh und im Gebirgsgarten von Tjibodas - letzterer wieder mit vier Arbeitsplätzen und Wohnzimmern für den Besuch europäischer Botaniker. Für den Dienst an diesen umfangreichen Anstalten sind jetzt bereits vierundzwanzig europäische Naturforscher angestellt (meist Holländer); die Zahl der eingeborenen malayischen Diener und Gartengehilfen übersteigt zweihundert.

Der beträchtliche Kostenaufwand, welchen die Erhaltung und Verwaltung eines so großartigen Institutes erfordert, würde durch die regelmäßigen Dotationen der Regierung (gegenwärtig 120000 Gulden jährlich) allein nicht gedeckt werden können. Es ist daher besonders dankbar anzuerkennen, daß nicht nur in Holland ein Anzahl von reichen Privatleuten ihr Interesse an dem Gedeihen des Institutes fortdauernd durch ansehnliche freiwillige Beisteuern bethätigt, sondern daß auch (seit 1893) Gruppen von intelligenten Pflanzern sich zusammen gethan haben, um durch regelmäßige Beiträge die Erhaltung solcher Arbeitsstellen zu ermöglichen, die für ihre großen Culturen von besonderem Interesse sind. Aus diesen Mitteln sind z. B. mehrere der Stellen dotirt, welche für das Studium der Cultur des Caffess, Tabaks, Thees u. s. w. bestimmt sind, insbesondere auch der so verhängnißvollen Pflanzenkrankheiten. Es ist sehr erfreulich, daß auf diese Weise die Nothwendigkeit der innigen Verbindung zwischen der  t  h e o r e t i s c h e n Botanik und der  p r a k t i s c h e n  Landwirthschaft immer weiteren Kreisen zu klarem Bewußtsein kommt und dadurch ihre gegenseitige Förderung gesichert wird.

Welchen Umfang in Folge dessen der erhöhte Geschäftsverkehr im Bureau des Bogor-Institutes angenommen hat, geht aus folgenden Thatsachen hervor: Im Jahre 1893 wurden 1927 amtliche Briefe versendet, im Jahre 1895 schon 2350 und 1897 endlich 4302. Die Zahl der unentgeltlich an Pflanzer abgegebenen Samenpflanzen, Ableger, Samen u. s. w. stieg in denselben drei Jahren von 1159 auf 1663 und 2294. Der außerordentliche praktische Nutzen des Institutes wird besonders dadurch illustrirt, daß es täglich von inländischen Landwirthen und Pflanzern besucht und consultirt wird, und daß außerdem zahlreiche Pflanzer aus dem tropischen Afrika und Amerika herüber kommen, um sich an dieser maßgebenden, in ihrer Art einzigen Centralstelle Rath zu holen. Während meiner Anwesenheit traten in Beutenzorg wiederholt deutsche Pflanzer und Regierungs-Beamte aus unseren jungen Colonien behufs werthvoller Instruction ein, sowohl aus West- und Ost-Afrika, als aus Neu-Guinea und den Carolinen.

Wenn man die hohen, jährlich viele Millionen betragenden Summen einschätzt, welche die Cultur von Caffee und Thee, Cacao und Tabak, China und Guttapercha, Zimmt und Gewürznelken, und von hundert anderen unentbehrlichen Producten der Tropenflora einbringt, so ist es selbstverständlich, daß deren physiologische Kenntniß, die sorgfältige Erforschung ihrer Lebens- und Entwicklungs-Bedingungen, die scharfe Unterscheidung und Bekämpfung ihrer zahlreichen Feine, der Pilze, Insecten u. s. w. dem praktischen Züchter von höchstem Vortheil sein muß. Nun ist ja schon in unserem gemäßigten Klima der hohe Werth von Forstakademien, Ackerbauschulen und landwirthschaftlichen Versuchsanstalten jetzt allgemein anerkannt; in erhöhtem Maße muß das naturgemäß in der Tropenzone der Fall sein, wo die materiellen Werthe der Erzeugnisse viel höher, die Bedingungen ihrer Gewinnung viel verwickelter sind. Darüber ist im Allgemeinen dem Bekannten nichts hinzuzufügen.

Ganz anders steht es hingegen mit der Frage nach der theoretische- w i s s e n s c h a f t l i c h e n  Bedeutung eines solchen großen botanischen Tropeninstitutes. Ist dasselbe wirklich zu dem Anspruche berechtigt, den Dr.  T r e u b  in seiner Festrede erhebt, als ein neues, höchst wichtiges und unentbehrliches Glied in die Kette der vielen kostspieligen Einrichtungen einzutreten, welche die moderne Botanik für ihren vollständigen Ausbau zu einheitlichen Gesammtwissenschaft erfordert? Ist es wirklich wünschenswerth, daß jedes Jahr europäische Botaniker die weite, mindestens vierwöchentliche Reise nach Java unternehmen, um hier mindestens drei bis vier Monate dem Studium der Tropenflora an Ort und Stelle sich zu widmen? Ist es zu verlangen, daß von europäischen Regierungen und Akademien (wie es in Holland, Deutschland, Oesterreich, Rußland bereits der Fall ist) besondere  S t i p e n d i e n  errichtet werden, die unbemittelten Botanikern die Hin- und Rückreise nach Beutenzorg, sowie den mehrmonatlichen Aufenthalt dasselbst gestatten? 1)

Ueber diese wichtigen Fragen, die für die weitere fruchtbare Entwicklung des botanischen Centralinstitutes höchst bedeutungsvoll sind, herrscht noch heutzutage nicht allein in den dafür interessierten Kreisen der botanischen Fachmänner eine weitgehende Verschiedenheit der Ansichten. Ich habe mich bemüht, während meines Aufenthaltes in Beutenzorg mir mein eigenes unparteiisches Urtheil darüber zu bilden, und ich will gleich voraus schicken, daß es durchaus zu Gunsten der von  T r e u b  ausgesprochenen Ansichten ausgefallen ist. Insbesondere sind es drei verschiedene Gesichtspunkte, die mir für diese Auffassung maßgebend erscheinen, der physiologische, der bionomische und der phylogenetische. Die meisten, der wichtigsten Anschauungen, die wir diesen drei Zweigen der wissenschaftlichen Pflanzenkunde entnehmen, sind erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Geltung gelangt, nachdem  C h a r l e s   D a r w i n  (1859) uns über die wahren Ursachen der Erscheinungen des organischen Lebens die Augen geöffnet und in der natürlichen Entwicklung der Formen durch allmähliche Umbildung und gemeinsame Abstammung der Arten den Schlüssel zur Lösung der großen biologischen Welträthsel gefunden hatte.

Wesentlich einfacher erschienen die Aufgaben der Botanik und der Zoologie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo beide biologische Wissenschaften als "beschreibende Naturwissenschaften" galten. Die Botanik fand damals ihre Hauptaufgabe in der sorgfältigen systematischen Beschreibung und guten Abbildung aller Pflanzenarten, in ihrer zweckmäßigen Anordnung und Aufbewahrung im Herbarium. Damals - vor hundert Jahren - war es  A l e x a n d e r   v o n   H u m b o l d t, der zuerst weitere Kreise für Tropenbotanik zu interessieren wußte. Humboldt hatte auf seinen denkwürdigen "Reisen durch die Aequinoctialgegenden des neuen Continentes" sehr zahlreiche neue Pflanzenarten entdeckt, die zum Theil durch ihre gewaltige Größe imponirten, zum Theil durch das fremdartige Aussehen ihres Wuchses, durch die Schönheit, Größe und seltsame Form ihrer Blätter, Blüthen und Früchte. In seinen fesselnden "Ansichten der Natur" schilderte er anmuthig den malerischen Reiz dieser prachtvollen Tropenpflanzen; in der "Physiognomik der Gewächse" unterschied er zuerst die verschiedenen ästhetischen Eindrücke, welche die großen Charakterformen der Flora auf uns ausüben; in seiner grundlegenden Pflanzengeographie wies er auf die allgemeinen Gesetze in der Verbreitung der Pflanzenfamilien über die Erdoberfläche hin. Später zeigte er im "Kosmos", welchen Werth die Cultur exotischer Gewächse und die Landschaftsmalerei als "Anregungsmittel zum Naturstudium" besitzen. Einerseits machte er die hohe Bedeutung der Gewächshäuser klar, welche allein es dem Bewohner der gemäßigten Zone ermöglichen, die großartigsten und schönsten Formen der Tropenflora, die Palmen und Baumfarne, die Bambusen und Bananen, die Pandanen und Lianen, lebendig zu schauen; andererseits betonte er, daß doch diese künstlich erhaltenen, unter unnatürlichen Bedingungen gezüchteten Bewohner unserer Treibhäuser nur eine schwache Vorstellung von der Pracht und dem Glanze geben könnten, welche dieselben Gewächse unter den natürlichen Entwicklungsbedingungen ihrer tropischen Heimath entfalten. Wie verlockend diese glänzenden Schilderungen Humboldt´s auf jugendliche empfängliche Gemüther wirkten, wie sie in jedem angehenden Botaniker den Wunsch einer Tropenreise entzündeten, das weiß ich aus eigener Erfahrung zu berichten. Als vierzehnjähriger Knabe besuchte ich 1848 zum ersten Male die schönen Gewächshäuser im botanischen Garten bei Berlin und auf der Pfaueninsel in Potsdam, und etwas später die reizenden Treibhäuser in Moabit, in denen Borsig die schönsten Pflanzenformen der Tropen höchst geschmackvoll hatte zusammen stellen lassen. Da ich damals schon in unserer heimischen Flora gut bewandert und von Humboldt´s Schilderungen begeistert war, reifte in mir sofort der Entschluß, um jeden Preis eine längere Tropenreise zu erstreben - ein Wunsch, der erst dreiunddreißig Jahre später zur Ausführung gelangte.

Wenn nun schon für diese ältere, systematisch-morphologische Botanik damals bereits der Satz feststand, daß nur die eigene lebendige Anschauung der Tropenflora selbst in ihrem Vaterlande uns eine vollkommene Vorstellung von ihrer Eigenthümlichkeit geben könne, so gilt derselbe Satz - freilich erst viel später zur Anerkennung gelangt! - ebenso oder noch mehr auch für die jüngere Wissenschaft der Pflanzen- P h y s i o l o g i e, die Lehre von ihren Lebenserscheinungen, von den Functionen ihrer Organe, von der speciellen Thätigkeit ihrer einzelnen Theile. Die reichere Entfaltung des Pflanzenlebens, wie sie der verstärkte Einfluß der Tropensonne, des Lichtes und der Wärme, der Ueberfluß an Regen und an Bewegungen hervorruft, bedingt eine große Anzahl von eigenthümlichen Lebensthätigkeiten und von besonderen Organen für dieselben, von denen wir in unserem gemäßigten europäischen Klima entweder gar keine oder nur ganz schwache Andeutungen kennen. Die Untersuchungen von  S o l m s - L a u b a c h,  S t a h l,  H a b e r l a n d t,  W i e ß n e r  und vielen Anderen haben neuerdings gelehrt, daß die sorgfältige physiologische Untersuchung der Tropengewächse in ihrer Heimath, verbunden mit Experimenten, - wie sie bisher unter den günstigsten Bedingungen nur in den Laboratorien von Beutenzorg durchzuführen ist -, die wichtigsten Aufschlüsse giebt; nicht allein über viele merkwürdige, nur in den Tropen sich entwickelnde Einrichtungen des Pflanzenlebens in einzelnen Formen, sondern auch über schwierige, allgemeine Fragen der Pflanzenphysiologie.

Ein wichtiger Punkt verdient hier ganz besonders hervorgehoben zu werden und ist auch von Dr.  T r e u b  in seiner Festrede mit gebührendem Nachdruck betont worden. Die zahlreichen sorgfältigen Beobachtungen und experimentellen Untersuchungen, aus denen sich die moderne Pflanzenphysiologie als selbstständige Wissenschaft aufgebaut hat, sind zum weitaus größten Theile in Europa an unseren einheimsichen Pflanzen angestellt. Diese sind nun sammt und sonders - die einen mehr, die anderen weniger - dem periodischen Wechsel der Lebensbedingungen unterworfen, welcher mit unserem regelmäßigen Wechsel der Jahrenzeiten nothwendig verknüpft ist. Nur im Sommer entfaltet sich bei uns der weitaus größte Theil des Pflanzenlebens zur vollen Activität, während er im Winter einem mehrmonatlichen, bald kürzer, bald länger dauernden Winterschlafe unterworfen ist. Wenn im Frühjahr die europäische Pflanze zu neuem Leben erwacht, treubt sie zu bestimmten Terminen ihre Blätter, entfaltet ihre Blüthen und reift ihre Früchte; im Herbst ist die ganze Herrlichkeit vorüber, bei den meisten Arten fallen alle Blätter ab, und kein äußeres Lebenszeichen verräth mehr, daß tief im Innern der Lebenskeim schlummert, der erst im nächsten Frühjahr zu neuer Lebensthätigkeit erwachen soll. Diese allbekannten Erscheinungen, die mit einer Masse von besonderen Anpassungen an den Wechsel der Jahreszeiten verknüpft sind, werden nun in den meisten Lehrbüchern als das  n o r m a l e  Pflanzenleben hingestellt. Es wäre dasselbe, wenn man in den Lehrbüchern der thierischen Physiologie das eigenthümliche Leben der Murmelthiere - oder anderer, einem langen Winterschlaf unterworfener Säugethiere - als das normale Paradigma des Mammalienlebens beschreiben wollte. Ein befreundeter Botaniker nannte deshalb die jetzt geltende, von jenem irrthümlichen Gesichtspunkte beherrschte Pflanzenphysiologie die "Marmotten-Botanik". Um boshaften Misdeutungen vorzubeugen, will ich hinzufügen, daß derselbe damit nicht etwa gewisse Professoren der Botanik mit Murmelthieren vergleichen wollte, sondern die von ihnen als Paradigmen betrachteten nordischen Pflanzen.

Um den richtigen Standpunkt zur naturgemäßen Beurtheilung dieser wichtigen Verhältnisse zu gewinnen, müssen wir einen Seitenblick auf die  G e s c h i c h t e  der Pflanzenwelt werfen und auf die  G e o l o g i e, die uns in den Versteinerungen die handgreiflichen "Denkmünzen der Schöpfung" in die Hand gibt. Diese lehrt uns nun, daß der Wechsel der Jahreszeiten , den wir von Kindheit an in Europa als Norm betrachten, und die Sonderung der klimatischen Zonen auf unserem Erdball, verhältnißmaßig  n e u e  Ereignisse in dessen Geschichte darstellen; sie haben sich erst im Laufe der Tertiärzeit entwickelt, im Laufe jener känozoischen Geschichtsperioden, welche nur ungefähr drei Prozent von der ganzen Länge der organischen Erdgeschichte bedeuten. In der vorhergehenden Secundärzeit, in der Trias, Jura und Kreide abgeladert wurden, und ebenso in der noch älteren und längeren Primärzeit, macht sich der Zonenunterschied noch nicht geltend; ein gleichmäßig warmes und feuchtes Klima, gleich unserem heutigen äquatorialen, herrschte auf der ganzen Erdkugel von Aequator bis zu den Polen. Das ergiebt sich aus der großen Zahl von versteinerten Palmen und anderen Tropenpflanzen, welche in der mesozoischen (secundären) und theilweise noch in den älteren tertiären Ablagerungen von Grönland und anderen arktischen, heute mit Eis bedeckten Gebieten gefunden worden sind.

Für die ganze Länge der "o r g a n i s c h e n   E r d g e s c h i c h t e", d. h. jenes ungeheueren Zeitraumes, während dessen sich organisches Leben auf unserem Erdball entwickelt hat, werden von neueren Geologen hundert Millionen Jahre als Minimum angenommen. (Andere schätzen denselben fünf bis vierzehn Mal so lang!) Davon würden also nur drei Millionen auf die Tertiärzheit kommen, d. h. dreitausend Jahrtausende! 1) Jedenfalls wäre dieser Zeitraum lange genug für die langsame Sonderung der heutigen klimatischen Zonen, die durch die fortschreitende Abkühlung des Erdballs an beiden Polen bedingt wurde. Später, im Beginn der jüngsten Periode, der  Q u a r t ä r z e i t, ging diese Abkühlung bekanntlich noch viel weiter und führte die große "Eiszeit" herbei. Schon vor Beginn der letzteren, gegen Ende der Tertiärzeit, hatte das bedeutendste historische Ereignis stattgefunden, die Entwicklung des Menschengeschlechts aus Menschenaffen der alten Welt.

Die hohe Wichtigkeit der  E i s z e i t  für die stärkere Ausbildung der klimatischen Unterschiede und für die großen, damit verknüpften  W a n d e r u n g e n  der Thier- und Pflanzenarten ist jetzt allgemein anerkannt, ebenso der maßgebende Einfluß, den dieselben auf ihre heutige geographische Verbreitung gehabt haben. Dabei wird aber häufig vergessen, daß die tiefgreifenden, damit verknüpften Veränderungen in der Organisation und Lebensweise der Thiere und Pflanzen erst sehr spät entstanden sind. Der lange Winterschlaf unserer nordischen Pflanzen und Thiere, die lange Unterbrechung oder doch Verlangsamumg der wichtigsten Functionen, die Beschränkung der Fortpflanzung auf eine bestimmte günstige Periode - das Alles sind  s p ä t e   A n p a s s u n g e n  an die allmähliche Sonderung der Klimazonen, secundäre Abweichungen von den ursprünglichen Verhältnissen, wie wir sie noch heute in der Aequatorialzone antreffen.

Mit Recht sagt Dr. Treub in seiner Festrede: "D i e   a l l g e m e i n e   B o t a n i k  unserer Hand- und Lehrbücher ist zum größten Theile nur diejenige der  g e m ä ß i g t e n  Zonen, aber nicht die der  T r o p e n." Und doch zeigen diese letzteren die  p r i m ä r e n, jene ersteren die neuerlich davon abgeleiteten  s e c u n d ä r e n  Verhältnisse. Die zahlreichen, daraus entstandenen Irrthümer und schiefen Auffassungen werden erst mit Erfolg berichtigt werden, wenn eine großere Zahl von Botanikern selbst nach Beutenzorg kommen und sich an Ort und Stelle mit eigenen Augen von jener Wahrheit überzeugt.

Leichter einzusehen und allgemeiner anerkannt als diese Bedeutung der Tropenbotanik für die  P h y s i o l o g i e  ist diejenige für die  B i o n o m i e  oder "Oekologie". Wir verstehen darunter jenen wichtigen Zweig der Biologie, welche die  B e z i e h u n g e n  der Pflanzen und Thiere zur Außenwelt betrifft, die ihrem Wohnort, zu den Organismen mit denen sie zusammenlebenn, zu ihren Freunden und Feinden, ihren Symbionten und Parasiten. In Deutschland wird diese Bionomie noch häufig als  B i o l o g i e  (im engeren Sinne) bezeichnet, obgleich man diesen umfassendsten Begriff nur in weitestem Sinne gebrauchen sollte, für die  G e s a m m t w i s s e n s c h a f t   v o m   o r g a n i s c h e n   L e b e n: Anatomie und Physiologie, Bionomie und Chorologie, Ontogenie und Phylogenie - lauter einzelne Wissenschaftszweige, die ebenso in der Botanik wie in der Zoologie und Anthropologie unterschieden werden können.

Die  B i o n o m i e  der Pflanzen und Thiere in den Tropen ist schon deshalb viel interessanter und lehrreicher als in den gemäßigten Zonen, weil dort im ewigen Sommer die allgemeine Lebensenergie der Organismen ungleich größer und mannigfaltiger ausgebildet ist, als hier, wo der Winterschlaf eine lang dauernde Unterbrechung der Functionen bedingt. Hierüber sagt  T r e u b:

"Die  L e b e n s b e z i e h u n g e n  sowohl zwischen den Pflanzen unter einander als auch der Thierwelt gegenüber bilden  a n   u n d   f ü r   s i c h  in den Tropen ein so überaus reiches Forschungsgebiet, daß man sich ohne eigenen Anschauung keine richtige Vorstellung davon machen kann. Der Blick auf einen einzigen umgestürzten Baumstamm in unseren Urwäldern, mit der ganzen ´Flora´, die sich an und auf diesem einen Stamme entwickelt hat, lehrt in dieser Hinsicht mehr als die ausführlichsten Beschreibungen. Man erinnere sich nur des Vergleiches halber an die unbedeutende Vegetation von Moosen, Flechten und Algen, die man in Europa an Baumstämmen findet, und an die so spärlich vorkommenden Kletterpflanzen, die in europäischen Wäldern einen schwachen Versuch wagen, den Bäumen Concurrenz zu bereiten. Hier in unseren Tropen-Gegenden repräsentiren die  A n p a s s u n g e n  an die eigenthümlichen Lebensbedingungen, welchen die Epiphyten, Schling- und Kletterpflanzen, ebenso wie die Küstenvegetation (Mangroven) ausgesetzt sind, eine Anzahl ebenso neuer als interessanter Forschungsthemen. - Die ganze Pflanzenwelt hat in den Tropen in Folge der größeren Verschiedenheit der Formen und der Umgebung Eigenthümlichkeiten aufzuweisen, die der Flora in den gemäßigten Zonen abgehen. - In tropischen Ländern ist das Arsenal, aus welchem die Pflanzen (und ebenso auch die Thiere) für den "K a m p f   u m ´ s   D a s e i n" ihr Rüstzeug holen, außergewöhnlich reich und viel besser ausgestattet als irgendwo anders, weil die Concurrenten bei diesem Kampfe um so Vieles zahlreicher sind und so viel mehr Verschiedenheiten zeigen. Nirgends wird man sich denn auch eine bessere Vorstellung machen können von der Bedeutung der  n a t ü r l i c h e n   S e l e c t i o n, die uns der große  D a r w i n  dargelegt hat."

Eine große Anzahl von interessanten, dafür sprechenden Beispielen hat  H a b e r l a n d t  in seiner "Botanischen Tropenreise" angeführt und illustrirt, besonders in den Capiteln 10-13, welche die Lianen, Epiphyten, Mangroven und Ameisenpflanzen behandeln.

Weniger allgemein bekannt und anerkannt, als diese Bedeutung der Tropenbotanik für die Bionomie, ist diejenige für die  P h y l o g e n i e  oder Stammesgeschichte. Ich darf wohl voraussetzen, daß der geneigte Leser im Allgemeinen über die Aufgaben und Methoden dieses jungen Zweiges der Biologie orientirt ist; ich habe dieselben zuerst 1866 (in meiner "Generellen Morphologie") eingehend zu begründen versucht. Ihren Grundgedanken formulirte ich in dem  b i o g e n e t i s c h e n   G r u n d g e s e t z e: "Die Ontogenie ist eine gedrängte Recapitulation der Phylogenie" oder "Die Keimesgeschichte ist ein kurzer Auszug aus der Stammesgeschichte"; - d. h. die Reihe von Formen, welche jeder einzelne Organismus, während seiner Entwicklung aus dem Ei bis zur vollendeten Ausbildung durchläuft, ist eine kurze, allgemeine Wiederholung der Formen, welche seine Vorfahren im ganzen Verlaufe der Stammesgeschichte durchlaufen haben. Diese Wiederholung ist um so vollkommener, je älter die heute noch lebende Gruppe ist, zu der der betreffende Organismus gehört, je mehr seine ganze Organisation auf der ursprünglichen Bildungsstufe stehen geblieben ist. Deshalb giebt uns z. B. die Keimesgeschichte der ältesten Wirbelthiere (des Amphioxus, der Cyclostomen, der Haifische) wichtigere und sicherere Aufschlüsse über die Abstammung der Säugethiere (mit Inbegriff des Menschen) von jenen ersteren, als es die Ontogenie der letzteren selbst zu thum im Stande ist.

Aehnlich verhält es sich nun auch mit der Entwicklungsgeschichte der Tropenpflanzen. Diese haben zum größten Theile die ursprünglichen Verhältnisse der Keimbildung getreuer bewahrt als die Pflanzen der gemäßigten Zone; sie sind nicht jenen beträchtlichen genetischen Veränderungen unterworfen worden, welche die letzteren bei ihrer Anpassung an die klimatische Zonensonderung und den Winterschlaf durchmachen mußten. Da die Lebensbedingungen der Pflanzen in der Tropenzone noch heute im Wesentlichen dieselben geblieben sind, wie sie vor Millionen Jahren (in der Primär- und Secundärzeit) auf der ganzen Erde herrschten, so finden wir in deren Keimbildung und Entwicklung noch viele wichtige  p a l i n g e n e t i s c h e   D o c u m e n t e, d. h. unverfälschte "Ursprungszeugnisse", wogegen diese bei nahe verwandten Pflanzenformen der gemäßigten Zone während der Tertiärzeit verloren gegangen und durch irreführende  k e n o g e n e t i s c h e   A b ä n d e r u n g e n  ersetzt worden sind. Wir beobachten daher beim sorgfältigen Studium der Ontogenie vieler Tropenpflanzen (das nur in der Tropenzone selbst in erforderlichem Maßstabe möglich ist) viele bedeutungsvolle Thatsachen, die umittelbar durch  V e r e r b u n g  von älteren Ahnen erklärt und somit für die  P h y l o g e n i e  des ganzen Stammes verwerthet werden können; bei den nächsten Verwandten derselben in Europa, deren Keimesgeschichte vielfach kenogenetisch verändert ist, würden wir vergeblich nach denselben suchen.

Nun müssen wir uns wieder erinnern, daß die Phylogenie nicht allein an sich ein höchst wichtiger und interessanter Zweig der modernen Biologie ist, sondern daß sie zugleich der ganzen  M o r p h o l o g i e  und  S y s t e m a t i k  der Organismen eine neue erklärende Grundlage gegeben hat. Wie schon  L a m a r c k  und  D a r w i n  mit weitschauendem Blicke erkannten, ist das  n a t ü r l i c h e   S y s t e m   d e r   h y p o t h e t i s c h e   S t a m m b a u m  der Thiere und Pflanzen; ihre wahre "Formverwandtschaft" ist zugleich "Stammesverwandtschaft". Nun haben zwar die großen Fortschritte der modernen Systematik bereits die Abstammungsverhältnisse vieler größerer und kleinerer Pflanzengruppen befriedigend aufgeklärt; allein über den verwickelten phylogenetischen Zusammenhang derselben (besonders bei den Angiospermen, den höheren Phanerogamen) herrschen noch sehr verschiedene Ansichten. Gerade hier ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die  O n t o g e n i e   d e r   T r o p e n p f l a n z e n  (sowohl die eigentliche Keimesgeschichte, die Embryologie, als die spätere Verwandlungsgeschichte, die Metamorphosenlehre) uns noch phylogenetische Aufschlüsse von höchster Wichtigkeit geben wird. Diese sind um so kostbarer, je weniger hier die Paläontologie im Stande ist, die an sie zu stellenden Anforderungen zu erfüllen, je mehr aus den bekannten Gründen die "Versteinerungsurkunde" höchst unvollständig ist und immer bleiben wird.

Fassen wir alle diese Verdienste der Tropenbotanik zusammen, so können wir sagen, daß dieselbe neuerdings für die gesammte allgemeine Pflanzenkunde einen ähnlich hohen,  u n e n t b e h r l i c h e n   W e r t h  erlangt hat, wie für die allgemeine Thierkunde des Studium der niederen Seethiere. Seitdem vor sechzig Jahren Johannes Müller in Berlin zuerst die außerordentliche Bedeutung des letzteren darlegte, seitdem seine zahlreichen Schüler alljährlich auf Reisen an die Meeresküste eine Menge der wichtigsten Entdeckungen machen, ist die marine Zoologie zu einer früher nicht geahnten Bedeutung gelangt. Nur im Meere finden wir noch heute lebend eine große Masse von merkwürdigen und interessanten Thieren, deren vergleichende Anatomie und Ontogenie uns nicht nur die wichtigsten Aufschlüsse über ihre Phylogenie gegeben, sondern auch zur klaren Lösung vieler schwierigen und dunklen Fragen der allgemeinen Zoologie geführt hat. Heute gilt kein Naturforscher mehr als "wissenschaftlicher Zoologe", der nicht längere Zeit selbst an der Meeresküste gearbeitet und sich dadurch eine Menge von unentbehrlichen Kenntnissen erworben hat, die auf keinem anderen Wege erlangt werden können.

Sehr erleichtert ist den Zoologen diese Aufgabe seit dreißig Jahren durch die Errichtung  z o o l o g i s c h e r   S t a t i o n e n  an der Meeresküste. Während wir Aelteren bei unseren Reisen an dieselbe genöthigt waren, einen großen Apparat von Hülfsmitteln mitzuschleppen, Kisten mit vielen Büchern und Instrumenten, mit Netzen und Reagentien u. s. w., findet jetzt der moderne junge Zoologe den größten Theil dieses Apparates fertig und bequem vorbereitet in der zoologischen Station vor; erfahrene Fischer sind an dieser angestellt und bringen täglich in Fülle das Arbeitsmaterial, welches wir Aelteren uns mühsam und kostspielig mit eigener Hand erwerben mußten. Auch in anderer Beziehung ist der Nutzen der permanenten zoologischen Stationen so allgemein anerkannt und ihre hohe wissenschaftliche Bedeutung so gewürdigt, daß die meisten europäischen Regierungen feste Plätze an denselben gemiethet und Stipendien gestiftet haben, welche jungen Naturforschern die Mittel zur Reise und zur Benutzung der Plätze liefern.

Mit den  b o t a n i s c h e n   T r o p e n s t a t i o n e n  verhält es sich ganz ähnlich, und es wäre zu wünschen, daß bald die Munificenz der Regierungen und der Akademien durch Stiftung regelmäßiger Stipendien deren Besuch ebenso erleichterte und förderte, wie es mit den  z o o l o g i s c h e n   M a r i n e s t a t i o n e n  bereits geschehen ist. Schön wäre es auch, wenn reiche Privatleute die Bestebungen unterstützten, wie es in Holland zu Gunsten von Beutenzorg bereits wiederholt und vereinzelt zu ähnlichen wissenschaftlichen Zwecken auch bei uns der Fall gewesen ist. Die Universität Jena wurde so 1886 durch die großartige Schenkung bereichert, welche Dr.  P a u l   v o n   R i t t e r  (in Basel) als Stiftung für phylogenetische Zoologie gründete. Zahlreiche junge Naturforscher haben seither aus deren Erträgnissen nutzbringende Reisen unternommen, und dasselbe gilt von der Stiftung, mit welcher der verstorbene Graf  C a r l   B o s e  (in Baden) Jena beschenkt hat! Wenn aus privaten Mitteln künftig - wie sicher zu hoffen ist! - Stipendien für die Entwicklung und den Besuch der zoologischen Marine- und der botanischen Tropenstationen in größerer Anzahl gestiftet werden, so werden die edelmüthigen Stifter sich durch deren Verknüpfung mit ihren Namen einen schöneren, fruchtbareren und dauernderen Ruhmestitel erwerben, als durch Errichtung von Standbildern oder Häufung von Titeln und Orden.

Bis jetzt ist  B e u t e n z o r g  die erste und einzige "botanische Tropenstation" in obigem Sinne geblieben. Es ist zu vermuthen, daß sie auch dann, wenn andere ähnliche Stationen mir ihr in Concurrenz treten, hinsichtlich ihrer Ausdehnung und ihrer Leistungen die  e r s t e  bleiben wird. Schon die Wahl des Ortes durch  R e i n w a r d t  muß als ein überaus glücklicher Griff bezeichnet werden. Denn die Höhe von 265 Meter über dem Meer, der Wechsel des reich gegliederten Terrains, die Ueberfülle des Regens und des fließenden Wassers, das feuchtwarme und doch gesunde Klima, die Nähe von Batavia, andererseits im Süden die Nähe der mächtigen Vulcane, welche das Klima in güntigster Weise beeinflussen, ferner der hohe landschaftliche Reiz der wechselvollen Umgebung; diese und noch andere, oben schon erwähnte Verhältnisse vereinigt, geben Beutenzorg einen Werth, der schwerlich von einer anderen botanischen Tropenstation in ähnlicher Weise erreicht werden kann. Dazu kommt nun noch der große Vorsprung, den dasselbe durch seine glänzende historische Entwicklung besitzt, und die Ausstattung mit allen wünschenswerthen Hülfsmitteln, welche es der Minifizenz der Regierung und vieler reicher Privatleute sowohl in Holland wie in Java verdankt.

Obgleich Beutenzorg nicht im eigentlichen Tropengürtel liegt (zwischen 3o N. und 3o S. von der Linie), sondern südlich 6 1/2 o vom Aequator entfernt, kann man doch sein Klima als ein echt  ä q u a t o r i a l e s  bezeichnen, weil eine trockene Jahreszeit ganz fehlt und die mittlere Jahrestemperatur beständig 25o C. beträgt.; die Mitteltemperatur des wärmsten Monats, September, 25,5o C., diejenige des kältesten Monats, des Februar, 24,4o. Die Wärmevertheilung ist danach so außerordentlich gleichmäßig, daß die extremen Unterschiede der Monatsmittel nur einen Grad betragen. Die mittleren Jahresextreme betragen 30,1o und 20,9o, so daß die absolute Jahresschwankung sich nur auf 9,2o beläuft. In dem gemäßigten Klima von Mitteleuropa, z. B. von Wien, beträgt die letztere 48o (zwischen 33,5o und - 14,5o). Die Mitteltemperatur des heißesten Monats (Juli) ist in Wien 20,5o, in Berlin 18,8o, in Singapur 26,7o und in Beutenzorg 25,0o. Noch auffallender ist der Unterschied der Temperaturmaxima in diesen Orten; dieselben betragen in Wien 33,5o, in Berlin 33,0o, in Singapore 33,6o und in Beutzenzorg 30,1o.

B e u t e n z o r g  hat demnach, was den Wechsel der Temperatur betrifft, eigentlich gar keine Jahreszeiten, sondern ununterbrochenen ewigen Sommer. Ebenso durch die örtlichen Verhältnisse der  L a g e  bedingt, fehlt, - wie schon erwähnt - eine eigentliche trockene Jahreszeit ganz, vielmehr herrscht das ganze Jahr hindurch ein hoher Grad von Feuchtigkeit. Die Gesammtmenge der atmosphärischen Niederschläge beträgt im Durchschnitt jährlich 450 Centimeter; was das bedeuten will, begreift man bei dem Vergleiche mit Mitteleuropa, wo die entsprechende Durchschnittsmenge z. B. für unser norddeutsches Tiefland auf 61 Centimeter berechnet ist, für Süddeutschland auf 82, für Oesterreich-Ungarn auf 74 Centimeter. Das schöne Salzburg, dessen Regenreichthum so viele Touristen in üblem Andenken haben, bringt es nur auf 116 Centimeter: in Beutenzorg regnet es vier Mal so viel. Unser immergrüner Paradiesgarten ist demnach einer der regenreichsten Orte nicht nur des malayischen Archipels, sondern der ganzen Erde. Die Gesammtzahl der Regentage im Monat schwankt durchschnittlich zwischen 18 und 24; während des Westmonsuns regnet es oft mehrere Wochen hinter einander täglich und zwar tüchtig! Ein einziger solcher Guß (wir würden bei uns "Wolkenbruch" sagen) liefert bisweilen in wenigen Stunden eine Niederschlagsmenge von 40 bis 100 Millimeter und darüber.

Daß unter diesen außergewöhnlich günstigen Verhältnissen, unter dem vereinigten Einfluß der beständigen Aequatorialwärme und des Regenüberflusses, die Tropenvegetation im Bogor-Garten den höchsten Grad üppigen Wuchses und reicher Entfaltung in jeder Beziehung entwickelt, ist begreiflich. Das "n a t ü r l i c h e   T r e i b h a u s" zeigt hier seine gewaltige Triebkraft in äußerstem Maße. In der trockenen Jahreszeit, Vormittags, beträgt die relative Luftfeuchtigkeit 80 bis 90 Procent, in der trockensten Stunde, Mittags zwischen 12 bis 1 Uhr, 70 bis 80; wenn aber Nachmittags der übliche Platzregen gefallen ist, steigt sie rasch auf 90 bis 97 Procent und erhält sich auf dieser Höhe die ganze Nacht bis 7 Uhr Morgens, d. h. die Lust ist während zwei Drittel der Tageszeit mit Wasserdampf nahezu gesättigt.!

Während des größten Theils des Jahres läuft der tägliche Wechsel von Wärme und Feuchtigkeit im Aequatorialklima von Beutenzorg mit solcher Regelmäßigkeit ab, wie es an wenigen anderen Orten der Erde der Fall ist. Die schönsten Stunden des Tages sind die vier Morgenstunden von 5 bis 9 Uhr; das Erwachen des jungen Tages, die erfrischende Kühle, der Glanz der glitzernden Thautropfen an den Blättern, die im Licht der aufgehenden Sonne zu funkelnden Diamanten werden, dazu die Entfaltung der zusammengesetzten Blätter, das Erwachen der schlafenden Blumenkelche, die munteren Stimmen der Vögel und Insecten - das alles zusammen genommen ist unbeschreiblich schön! Die Aquarellskizzen und Photogramme, welche ich in diesen goldenen Morgenstunden theils im Garten selbst und seiner nächsten Umgebung, theils in der weiteren Umgegend von Beutenzorg aufnahm, werden zu den mir liebsten Erinnerungen dieser Javareise gehören.

Um 9 Uhr Vormittags beginnt die hoch aufsteigende Tropensonne ihren mächtigen Einfluß gefahrdrohend zu entfalten, in zunehmendem Maße bis zur Mittagszeit. Es gilt als allgemeine Regel, während dieser heißesten Zeit das Arbeiten im Freien zu vermeiden und im kühlen Zimmer oder Laboratorium zu bleiben; diese Stunden sind (nächst den kühlen Morgenstunden) auch für wissenschaftliche Untersuchungen die beste Arbeitszeit des Tages. Ich versuchte wiederholt jener zweckmäßigen Regel zu trotzen und bis zur heißesten Mittagszeit im Garten zu sammeln, zu malen oder zu photographiren. Diesen Leichtsinn mußte ich mit einer starken Erkältung und rheumatischem Fieber büßen, welches mich fast gen ganzen November an das Zimmer fesselte. Von 11 bsi 1 Uhr ist gewöhnlich die Hitze am drückendsten; doch entwickeln sich meistens schon während dieser Zeit die schweren Regenwolken, die von den urwaldbedeckten Vulcanen im Süden heraufziehen. Zwischen 1 und 2 Uhr ist dann gewöhnlich schon der ganze Himmel mit einer düsteren Wolkendecke überzogen, und heftiger Donner beginnt deren Entladung anzuzeigen. Meistens zwischen 2 und 4 Uhr, seltener früher oder später, gehen dann jene colossalen Regenmassen nieder, welche auf das derbe, feste Laubwerk der immergrünen Bäume wie Hagelschauer niederprasseln und in kürzester Frist alle Wege in strömende Gießbäche verwandeln. Wenn nicht im ganzen Garten alle Wege vortrefflich chaussirt oder fest gepflastert wären, ,und wenn nicht zugleich durch ein sinnreiches System von Abzugscanälen für baldige Entfernung des Wasserüberflusses und zweckmäßige Bewässerung aller Theile gesorgt wäre, so würde es unmöglich sein, den großen, prachtvollen Garten stets in dem ausgezeichneten Zustande zu erhalten, den wir zu bewundern gezwungen sind.

In den letzten Tagesstunden, zwischen 4 und 6 Uhr, hat meistens der Regen aufgehört oder dauert nur in geringen Maße fort. Dann prangt oft der ganze Garten in üppigster Frische, während Nebelschleier durch die Kronen der hohen Bäume ziehen; oder wenn die Abendsonne noch durch die Wolkendecke bricht, bereitet sie uns ein entzückendes Schauspiel, indem sie Berge und Wolken in den leuchtendsten Farben bemalt und die triefenden Blätter in den leuchtendsten Reflexen erglänzen läßt. Wenn nun nach Sonnenuntergang rasch die Dämmerung hereingebrochen ist, beginnt das tropische Insectenleben in eigenthümlicher Form seine energische Fülle zu äußern: das tausendstimmige Zirpen und Singen von Cicaden und Grillen erfüllt die Luft, manchmal so dröhnend, daß man in nächster Nähe das Wort des Tischnachbars nicht verstehen kann. Noch unangenehmer sind die fliegenden Insecten, die, durch das Licht der Lampe angezogen, zu Tausenden in unsere Veranda und selbst in das geschlossene Zimmer dringen: geflügelte Ameisen und Termiten, Moskitos und Motten, Cicaden und Heuschrecken. Die Zudringlichkeit dieser ungebetenen Gäste, deren Schwärme oft dichte Wolken bilden, ist so groß, daß man oft das Zimmer völlig schließen muß, trotz der dumpfen Treibhausatmosphäre, und endlich froh ist, bald unter das geschlossene Moskitonetz der riesigen Bettstatt kriechen zu können.

Das tägliche Leben der Europäer in Beutenzorg - und inbesondere die Tageseintheilung der fleißigen Laboranten im botanischen Institute - ist diesen regulären Witterungsverhältnissen durchaus angepaßt. Da die Vormittagsstunden, von Tagesbeginn an, als die werthvollste Arbeitszeit des ganzen Tages geschätzt werden, stehen wir schon um 5 oder 5 1/2 Uhr auf, nehmen ein erfrischendes Morgenbad und zur Stärkung eine Tasse Thee oder Kaffee. Um 8 Uhr wird das eigentliche Frühstück eingenommen, Kaffee, Thee oder Cacao mit ein paar Eiern, nach Bedürfniß auch mit ein oder zwei Fleischschüsseln und einem Nachtisch herrlicher Früchte. Von 8 1/2 oder 9 bis 1 Uhr wird fleißig gearbeitet; ich untersuchte während dieser Zeit im Laboratorium das Plankton der Gartenteiche und der Reisfelder, zeichnete neue "Kunstformen der Natur" und sammelte zugleich eine Menge von interessanten Thieren, welche mir täglich die malayischen Gartenarbeiter und deren Kinder brachten; vorzugsweise Insecten und Arachniden (Skorpione und Spinnen), Reptilien (Eidechsen und Schlangen) und Eier derselben auf allen Entwicklungsstufen; ich konnte in wenigen Monaten eine reiche embryologische Sammlung zu Stande bringen, und ebenso eine Collection von jenen seltsamen Insecten der Tropenzone, welche durch "Mimicry" oder mimetische Anpassung die speciellen Formen, Farben und Zeichnungen von Pflanzentheilen (Blätter,Blüthen, Früchte, Zweige) in vollkommenster Weise nachahmen. Die weitaus merkwürdigsten von diesen gehören der Ordnung der Orthopteren oder Schrecken an: grüne Blattschrecken oder "wandelnde Blätter" (Phyllium), Blumenschrecken oder "wandelnde Blumen" (violetten Orchideenblättern gleich), graue Astschrecken, welche völlig in dem dürren, mit Flechten bedeckten Aste gleichen, auf dem sie sitzen, u. s. w. Zoologen, welche sich in dem neuen Laboratorium des Bogor-Gartens dem Studium dieser und unzähliger anderer bionomischer Wunder widmen, finden hier noch unendlich viel zu thun.

Um 1 Uhr werden die Laboratorien geschlossen, und man gegibt sich zum Genusse des Tiffin oder Lunch. Meistens wird dies hierin Form der sogenannten "R e i s t a f e l" genossen, bei welcher der grundlegende Reis eigentlich die Nebensache ist, die Hauptsache dagegen die zwanzig bis dreißig verschiedenen pikanten Zuthaten zu demselben, welche aus vegetabilischen und animalischen Körpertheilen mit Hilfe scharfer Gewürze bereitet werden - ähnlich wie in Englisch-Indien das berühmte "Curry and rice", über welches ich in meinen "Indischen Reisebriefen" berichtet habe. Da ich nicht für diese complicirten und meist sehr beliebten Delicatessen schwärme, sondern eine einfache europäische Mahlzeit vorzhihe, war es mir sehr angenehm, daß mein liebenswürdiger Gastfreund, Professor  T r e u b, meinen Geschmack theilte und mich statt dessen mit einer ausgezeichneten französischen Küche bewirthete, wie man sie hier selten findet. In der Regel saßen wir dabei plaudernd 1-1 1/2 Stunden zusammen; dann widmeten wir uns der Siesta, die hier allgemein als ein sehr wichtiges Glied in der Stundenkette des Tages betrachtet wird: eine bis zwei Stunden völlige Ruhe des Körpers und Geistes. Durch das heftige Gewitter, das während dessen draußen tobt, wird die behagliche Ruhepause drinnen doppelt angenehm.

Der Nachmittag von 4 bis 6 ist für die Arbeit im Laboratorium nicht mehr geeignet; die Luft darin ist dann drückend schwül und das Tageslicht gewöhnlich viel zu düster, um noch mit dem Mikroskope arbeiten zu können. Ich habe gewöhnlich die Zeit von 3 bis 5 Uhr zum Malen oder zum Schreiben von Briefen oder Reiseerinnerungen benutzt, mich um 4 Uhr durch eine Tasse Thee erfrischt und von 5 bis 6 1/2 oder 7 Uhr einen Spaziergang gemacht. Und wie unvergleichlich sind diese Abendwanderungen, wenn der prasselnde Regen aufgehört hat, die farbigen Wolken am klaren Abendhimmel sich verziehen und die untergehende Sonne ihren vollen Strahlenglanz durch die gefiederten Kronen der Palmen wirft!

Um 6 oder 6 1/2 Uhr wird die Lampe angezündet und die Zeit bis 8 Uhr zum Lesen und Schreiben benutzt. Die Stunde von 7 bis 8 Uhr ist hier auch die allgemeine officielle Besuchsstunde. Man wirft sich dann in den europäischen schwarzen Gesellschaftsanzug, während man Tags über die bequeme, leichte Tropenkleidung trägt: weiße Jacke und Hose von leichtem Baumwollstoff, leichte Strümpfe und Schuhe - keine Cravatte und Halskragen, keine Stulpen und Handschuhe, und wie alle die Marterinstrumente der westlichen Civilisation heißen. Auch die holländsichen Damen machen es sich vernünftiger Weise sehr bequem, indem sie nach malayischer Landessitte Tags über nur drei leichte Kleidungsstücke tragen: eine weite weiße Jacke, die Kabaya, den bunten Sarong, ein großes Stück Kattun, das gleich einer Schürze um die Hüften geschlungen wird und bis zu den Füßen herab fällt, und ein paar zierliche Pantöffelchen, in welche die nackten Füßchen (ohne Strümpfe!) gesteckt werden - alles Andere ist vom Uebel! Erst gegen 5 oder 6 Uhr Abends wird Toilette gemacht, und dann sind auch die europäisch gekleideten Damen bereit, Besuche zu machen und zu empfangen und um 8 Uhr Abends am Diner Theil zu nehmen. Die beiden letzten Abendstunden, von 8 bis 10 Uhr, saß ich gewöhnlich allein mit meinem Gastfreund, Dr. Treub, bei seinem trefflichen Diner, und erfreute mich der stets interessanten Unterhaltung mit diesem ausgezeichneten Naturforscher; er muß mir erlauben, ihm an dieser Stelle meinen  h e r z l i c h s t e n   D a n k  nicht nur für die berühmte "orientalische Gastfreundschaft" zu sagen, die er mir mehrere Monate hindurch in der denkbar angenehmsten Weise gewährte, sondern auch für den hohen Genuß und die vielfache Belehrung, welche ich in mannigfaltigen Gesprächen mit ihm aus seiner "orientalischen Philosophie" geschöpft habe.

Das neue Directorialgebäude liegt im schönsten Theile des Gartens, nahe der südwestlichen Ecke, an der Stelle, wo die große, den Garten durchziehende Fahrstraße in weitem Bogen aus der ostwestlichen Richtung in die südnördliche übergeht. Das geräumige Haus, einstöckig gleich allen anderen, hat eine schöne, auf Säulen ruhende Vorhalle, aus welcher der Blick über schöne, grüne Rasenflächen auf großblumige Sträucher und prachtvolle Baumgruppen fällt, phantastisch geschmückt mit Lianen (Fig. 22). Den gleichen erfrischenden Blick genieße ich aus dem Vorderzimmer meines Pavillons, welcher durch einen breiten, gedeckten Gang mit der Wohnung des Direktors verbunden ist. Zwischen beiden Häusern stehen prächtige Bambusgruppen und Palmen, hinter denselben Gruppen von Cocospalmen und dem merkwürdigen Schizolobium excelsum, einer Leguminose, die mit ihrer Krone von zierlich doppelgefiederten Blättern auf hohem, schlanken Stamm einem Baumfarn gleicht. Von allen Aesten hängen, gleich dichten, grünen Riesenmänteln und Guirlanden, mächtige Lianen herab, darunter die merkwürdige Zannonia mit ihren kopfgroßen Riesenfrüchten; in diesen sind, dichtgepackt wie Packete von Postpapier, Hunderte von großen fliegenden Samen mit ein paar Flügeln gleich dünnem Seidenpapier eingeschlossen (Fig. 31).

Wenn wir nun von unserer Wohnung eine kurze Wanderung durch den herrlichen Garten antreten, so kommen wir auf der großen Fahrstraße links zunächst in das alte Quartier der  L i a n e n, in welchem Schling- und Kletterpflanzen der verschiedensten Art ihr tolles Wesen treiben; von einem Riesm auf den andern steigend, würden sie bald ein undurchdringsliches "Djungle" schaffen, wenn nicht das Messer des Gärtners beständig Lufträume zwischen ihnen frei hielte. Allen voran stehen die merkwürdigen  R o t a n g p a l m e n  (Calamus), deren dünne kletternde Stämme das "Spanische Rohr" für unsere geflochtenen Sessel liefern; sie werden mehrere hundert Fuß (im Urwald sogar über tausend Fuß) lang (Fig. 44). Die mit Widerhaken besetzten Ruthen, welche von

Fig. 21. Directorial-Wohnung im Garten von Beutenzorg.
den Mittelrippen ihrer schön geschwungenen Fiederblätter ausgehen, angeln uns beim Besuche dieses Dickichts die Hüte vom Kopfe und zerreißen unsere Kleider. Furchtbar bewaffnet ist namentlich Daemonorops.

Gehen wir nun durch die herrliche Allee von hohen Fächerpalmen (Livistona) an der Westseite des Gartens nach Norden, so treffen wir rechts die sonnige Parkanlage des Rosengartens, in dessen Mitte eine Granitsäule das Andenken an den hochverdienten Teijsmann lebendig erhält. Das hohe Bambusgebüsch im Hintergrunde beschattet, Trauerweiden ähnlich, den Begräbnisplatz der Generalgouverneure und ihrer Familienmitglieder. Eine stattliche Allee von weißstämmigen Königspalmen (Oreodoxa regia) führt weiterhin zum Palais des Generalgouverneurs mit seiner stolzen Säulenhalle und seinem Kuppelbau. Aus dessen Park führt nördlich eine Allee von mächtigen Waringinbäumen nach der großen Poststraße hinüber; jeder von diesen colossalen Feigenbäumen (Ficus benjaminea) stützt sich auf zahlreiche Luftwurzeln und bildet eine Halle für sich. Obgleich die beiden Baumreihen der breiten Allee weit auseinander stehen, stoßen ihre mächten, horizontal von den Stämmen abgehenden Aeste doch in der Mitte zusammen und bilden ein dichtes Schattendach.

Der große Teich, welcher sich südlich vom Regierungspalaste ausdehnt und oben in zwei Arme gespalten ist, bietet eines der schönsten Landschaftsbilder im Garten. Seine spiegelnde Fläche ist teils mit den stacheligen Riesenblättern und weißen Blumenkronen der Victoria regia bedeckt, der gewaltigsten aller Seerosen, theils mti den schönen Blüthen des mythischen Lotos (Nelumbium speciosum), theils mit Seerosen (Nymphaea) von verschiedener Farbe. In der Mitte des Teiches schwimmt eine kleine Insel, die wohl das farbenreichste Palmenbouquet bildet, das man sich denken kann. Ueber bunten Büschen von Croton, Acalypha und Codiaeum erheben sich die schlanken Stämme der zierlichen, rothen Pinangpalme (Cystostachys rendah); ihre scharlachenen Blattstiele und Blattscheiden leuchten schon von Weitem aus dem dunkeln Laub- und Astgewirr hervor, während die Liane Thunbergia grandiflora sich mit ihren großen, violetten Blumenglocken überall durchwindet. Unter den zahlreichen Bäumen, welche die Ufer des großen Teiches säumen, fällt einerseits die hochstämmige Ravenala madagascariensis auf, mit ihrer fächerförmigen, in einer Ebene senkrecht stehenden Blätterkrone; andererseits die afrikanische Kigelia pinnata, der seltsame "nubische Derwischbaum" - oder besser "Leberwurstbaum" - denn von den schön geschwungenen Zweigen seiner breiten Krone hängen an meterlangen Schnüren Tausende von großen Früchten herab, die äußerlich an Gestalt, Größe und Farbe täuschend einer appetitlichen Braunschweiger Leberwurst gleichen; sie sind 30-40 Centimeter lang, 8-10 Centimeter dick und mehrere Pfund schwer (Fig. 33, Seite 91). Versuchen wir sie anzuschneiden und sie zu kosten, so werden wir freilich bitter enttäuscht; denn das steinharte Fleisch der Frucht schließt viele kleine,harte Samen ein und ist ganz ungenießbar.

Längs des westlichen Ufers des großen Victoriateiches verläuft die berühmte  C a n a r i e n a l l e e, die geraden Weges zum Haupteingang des Gartens in der Mitte seiner Südseite führt. Der breite Fuhrweg ist an beiden Seiten gesäumt mit einer Reihe von ungefähr 160 Prachtexemplaren des Canarium commune, eines mächtigen Baumes aus der Familie der Burseraceen, der aus Ambon stammt und jetzt vielfach als prächtiger Alleebaum angepflanzt wird. Gleich Säulen steigen die lichten Stämme gerade empor, unten gestützt durch einen starken Sockel, einen Kranz von senkrecht stehenden Bretterwurzeln, die nach allen Richtungen sich ausbreiten. Die helle Rinde der Stämme ist größten Theils dicht bedeckt mit Epiphyten und Kletterpflanzen der verschiedensten Art, meistens Aroidieen und Freycinetien, Orchideen und Farnen. Die dichten, dunklen Laubkronen der Stämme treten hoch oben von beiden Seiten in schönem Bogen zusammen und bilden ein gewölbtes Blätterdach, welches nur wenig Licht durchfallen läßt. Die ganze Allee macht den erhabenen Einddruck eines gothischen Domschiffes.

Der ganze östliche Theil des Bogor-Gartens bildet einen Abhang, der sich vom Ostufer des großen Teiches gegen den Tjiliwongfluß hinab senkt. Er ist ebenso wie die westliche Hälfte in viele Quartiere getheilt, welche die natürlichen Familien getrennt enthalten und durch orientirende Aufschriften bezeichnet sind. Von jedem Baume sind in der Regel wenigstens zwei Exemplare neben einander gestellt, von denen das eine auf besonderer Etiquette den Namen der Gattung und Art angibt. Ueberhaupt ist die ganze musterhafte Anordnung des Gartens der Art, daß nicht nur der Botaniker, sondern auch der dilettirende Pflanzenfreund mit leichter Mühe sich selbst zurecht finden und belehren kann, zumal an der Hand jenes von Dr. W. Burck verfaßten Leitfadens, dessen wir als eines Bestandtheiles der Festschrift bereits gedacht haben.

Wenn wir vom unteren (südlichen) Ende des großen Teiches rechts hinab steigen, gelangen wir bald an ein kleines kreisrundes Wasserbecken, in dessen Mitte ein Springbrunnen emporsprudelt. An seinem nördlichen Rande erheben sich zwei colossale Gummibäume, die ienen eisernen Gartenpavillon beschatten. Auch dieser kleine Teich, rings von mächtigen Bäumen umgeben, ist mit Seerosen geschmückt. Die malerische Scenerie ist von eigenthümlicher düsterer Schönheit. Rechts weiter hinab steigend kommen wir in das  F a r n - Q u a r t i e r, in welchem einerseits die zierlichen Baumfarne - die schönsten aller Pflanzengestalten -, anderseits Farnkräuter mit colossalen Wedeln unserer höchste Bewunderung erwecken. Dazwischen sitzen und kriechen eine Menge von kleineren Farnen, deren zierliche Fiederblattbildung von keiner anderen Pflanze erreicht wird.

In der Nähe des Farn-Gartens stoßen wir auf eine der seltsamsten Pflanzengruppen, das Quartier der  P a n d a n e e n  oder "Schraubenpalmen". Diese, den Palmen verwandten Monocotylen, meistens Bewohner des Meeresstrandes und der Sümpfe, zeichnen sich durch den Besitz vielverzweigter Stelzenwurzeln aus, auf denen sich der hellgraue Stamm über den Boden erhebt, ähnlich wie bei den Mangroven. Oben tragen die gabeltheiligen Aeste des Stammes an jedem Zweige einen rundlichen Schopf von langen, säbelförmigen, zurückgekrümmten Blättern, die am Grunde dicht spiralig gestellt eine regelmäßige Schraube bilden.

Etwas enttäuscht werden wir von dem anstoßenden  O r c h i d e e n-Quartier, in welchem Hunderte von Arten als Epiphyten an die Stämme von Plumiera angeheftet sind. Die meisten Arten dieser herrlichen Blumen blühen nur selten und kurze Zeit. Immerhin finden wir hie und da versteckt eine blühende Orchidee, deren prachtvolle Blumen sowohl durch herrlichen Duft wie durch seltsame Form und bunte Färbung unsere Aufmerksamkeit fesseln.

Um so großartiger und interessanter ist das nördlich anstoßende  P a l m e n - Q u a r t i e r, welches sich am östlichen Abhang bis zum Tjiliwongfluß hinabzieht und über fünfzig verschiedene Gattungen dieser Familie - der Fürsten der Gewächse - aufweist. Ehe wir in dasselbe eintreten, bewundern wir noch die großartige Fernsicht aus einem oberhalb gelegenen Pavillon. Der Blick schweift hier über den östlichen Theil des Gartens und die anstoßenden Reisfelder bis zu dem blauen Gebirge im Süden, über welchem sich die mächtigen Vulkanhäupter des Gedeh und Pangerango erheben. Bei der aufmerksamen Wanderung durch das Palmen-Quartier erstaunen wir nicht allein über die Riesengröße, welche der Wuchs allein einzelnen Baumtheile in dieser "Fürstenfamilie" erreicht, sondern auch über die Mannigfaltigkeit, welche sich in der verschiedenen Ausbildung aller einzelnen Theile kundgibt. Das Schema der Palmen, wie wir es uns gewöhnlich von der Dattelpalme oder Fächerpalme abstrahiren, ist zwar höchst einfach: ein ungetheilter Säulenstamm, der oben eine einfache Krone von Fieder- oder Fächerblättern trägt, und zwischen diesen hängen die Trauben der Blüthen und Früchte herab. Aber welche Mannigfaltigkeit in Wirklichkeit, wenn wir die Formen der glatten oder stachelbewehrten Stämme vergleichene, das Gewebe und die Linienführung ihrer geschwungenen Blätter, die Größe, Farbe und Form der Blüthen und Früchte!

Ich würde den Leser gerne noch näher in die verschiedenen Geheimnisse dieses wunderbaren Palmengartens einweihen; ich würde ihn gerne noch in den phantastischen Märchenwald des südlich anstoßenden Leguminosen-Quartiers einführen, oder nördlich in den weit ausgedehnten Zipfel des Gartens, welcher die imposanten Riesenbäume trägt aus den artenreichen Familien der Feigen- und Brotfruchtbäume, der Lorbern und Casuarinen, der Dipterocarpen und Eurphorbiaceen - nicht zu gedenken vieler anderen, kleineren und beschiedeneren Familien, die aber doch viel Schönes und Interessantes bieten. Allein ich fürchte, ich habe der Geduld des Lesers mit meinen botanischen Liebhabereien bereits zu viel zugemuthet, und muß ihn bezüglich aller weiteren Informationen auf das schon erwähnte Buch von  H a b e r l a n d t, die "Botanische Tropenreise", verweisen; er wird hier nicht allein alle wichtigeren Pflanzenformen des Gartens beschrieben und illustrirt finden, sondern auch zahlreiche bionomische Bemerkungen, welche die wunderbaren Anpassungs- und Vererbungserscheinungen der Tropenflora vom Standpunkte der Abstammungslehre aus erklären.

Soll ich in wenigen Worten die Eindrücke zusammenfassen, welche ich während des mehrmonatlichen Aufenthaltes im botanischen Central-Institute von Beutenzorg empfangen habe, so kann ich nur sagen, daß sein Besuch allein die weite und kostspielige Reise von Europa nach Java lohnt. Es bleibt also nur zu wünschen, daß jedem strebsamen, jungen Botaniker die Mittel gewährt werden, sich hier einen reichen Schatz der werthvollsten Anschauungen für das ganze Leben zu erwerben.

Fig. 23.  T e i c h   i m   G a r t e n   v o n   B e u t e n z o r g, oben der "Leberwurst-Baum" (Kigelia pinnata), unten die "Königin-Seerose" (Victoria regia).

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