Malayische Reisebriefe von Ernst Haeckel (1901)

Zweites Capitel

Auf der Insel Singapur

Die hohen Erwartungen, mit denen ich "die Königin der Malakka-Straße" betrat, wurden durch die nähere Bekanntschaft mir ihr noch bedeutend übertroffen. Indessen ist "Singapura", die gewaltige "Löwenstadt", neuerdings so oft und so ausführlich geschildert worden, daß ich mich auf eine kurze Mittheilung meiner persönlichen Eindrücke beschränken will. Der mächtigen, mehrere Meilen betragenden Ausdehnung der Stadt entspricht der riesige Umfang des vortrefflichen Hafens, eines der größten und besten der Welt; er ist groß genug, um sämmtlichen Flotten Europas in seinem Schooße Schutz gewähren. Während der nördliche Schutzwall des langgestreckten Beckens von der Südküste der Insel Singapur selbst gebildet wird, erscheint die südliche Umfassungsmauer aus einer langen Kette kleiner Inseln zusammengesetzt; bloß die nächstgelegenen sind noch in englischem, die übrigen in holländischem Besitz. Als im Jahre 1819 der englische Gouverneur Sir  S t a m f o r d   R a f f l e s  um eine geringe Summe dem Sultan von Johore die Insel Singapur und die gegenüber liegenden kleinen Inseln abkaufte, hatte er mit weitsehendem Scharfblick die außerordentliche Bedeutung erkannt, welche dieser Platz als der bequemste und kürzeste Durchgangsweg für den westöstlichen Verkehr zwischen Indien und China gewinnen mußte. Sieben Jahre nach der englischen Besitzergreifung zählte der Freihafen Singapur nur 13000 Bewohner, im Jahre 1865 bereits 90000 und jetzt über 200000. Mehr als drei Viertel davon (160000 Einwohner) sind Chinesen, unter den übrigen Viertel befinden sich etwa 30000 Malayen, 10000 Hindus und Tamilen, aber nur ungefähr 3000 Europäer.

Zur Zeit lagen im Hafen von Singapur über ein Dutzend Kriegs- und große Truppentransportschiffe, englische und deutsche, französische und russische - das größte von allen ein neues japanisches Panzerschiff, soeben von London angekommen, angeblich das größte von allen bisher gebauten Schlachtschiffen. Aber auch unter den zahlreichen Passagier- und Frachtdampfern europäischer Nationen befanden sich viele mächtige Fahrzeuge ersten und zweiten Ranges, neben Hunderten von kleineren; dazwischen Tausende von Böten und Fähren, malayischen Prauws und chinesischen Dschunken. Matrosen und Seesoldaten, Schiffer und Fischer aller östlichen und westlichen Nationen bewegten sich bunt durch einander - kurz, ein lebendiges, farbenreiches Gewimmel, wie es in diesen gewaltigen Massen nur in den größten Welthäfen zu finden ist.

Dem erstaunlichen Seeverkehr von Singapur entspricht das verwirrende Gewimmel des Landverkehrs in den bunten Straßen der weitläufigen Stadt. Der weitaus größte Theil derselben trägt vollkommen den Charakter einer tropischen  C h i n e s e n s t a d t; das kleine europäische Viertel mit den öffentlichen Gebäuden der Regierung, der Post, den großen Bankhäusern u. s. w. nimmt nur einen beschränkten Raum in der Mitte des südlichen Theiles, am Hafenquai, ein. Bei den weiten Entfernungen und der herrschenden Hitze legt man selbst kürzere Strecken meist zu Wagen zurück. Zwischen eleganten europäischen Equipagen bewegen sich indische und chinesische Fuhrwerke des verschiedensten Calibers, leichte Karren und schwere Ochsenwagen. Den überwiegend größten Theil des Personentransfers vermitteln jedoch die merkwürdigen "J i n r i k s c h a s". Diese "Männerkraft-Wagen" (hier meistens abgekürzt "Rikschas" genannt) bestehen aus einem Lehnsessel auf zwei Rädern, vorn mit einer Gabeldeichsel, in welche sich ein chinesischer Kuli als "Zugthier" einspannt. Auf dem sauberen Ledersitze des Sessels, der durch ein Schirmdach gegen Sonne und Regen geschützt werden kann, haben in den gewöhnlichen Rikschas (zweiter Classe) zwei Personen neben einander Platz; in den eleganteren Sesselwagen (erster Classe) sitzt nur eine Person. Der Fahrpreis ist höchst billig; er beträgt für die englische Meilse (8-10 Minuten) 6 Cents (= 12 Pfennige), für die halbe Meile nur 3 Cents. Die Ausdauer, mit der diese chinesichen "Droschkenmänner" ihre Wägelchen ziehen - auf ebener Erde stets in gestrecktem Trabe laufend - ist erstaunlich, ebenso wie ihre Genügsamkeit. Die Strecke Singapur bis Johore (25 Kilometer) leben sie in 2 1/2 Stunden zurück. Dabei leben sie fast nur von Reis, dem Abends ein wenig getrockneter Fisch hinzugefügt wird.

Die flinken chinesichen "Rikscha-Männer" spielen im Verkehr vieler großer Städte des Ostens eine bedeutende Rolle; in Singapur allein fahren deren 10 000. Die meisten dieser Kulis in Singapur tragen nur zwei sehr einfache Kleidungsstücke, eine blaue Schwimmhose und auf dem Kopfe einen kegelförmigen Strohhut gegen die Sonne. Da man nun im Sessel unmittelbar hinter dem in der Deichsel

Fig. 10.  D i e   M a l a k k a - B r ü c k e  über den Singapur-Fluß.
laufenden Kuli sitzt, hat man beständig den Anblick des schönen Körpers, dessen lebhaftes Muskelspiel jeden Künstler und Anatomen erfreuen muß. Die ganze Lebensweise der Kulis, der Mangel von beengenden Kleidern und Schuhen, die anstrengende tägliche Bewegung, die einfache, gesunde Nahrung, sind dazu angethan, ihre Muskulatur in günstigster Weise zu entwickeln. Die breite, kräftige Brust und der wohlgeformte Rücken, die ebenmäßige und kraftvolle Ausbildung der Muskeln an Ober- und Vorderarm, an Oberschenkel und Waden könnten jedem Bildhauer als Modell dienen. Dazu komme noch die schöne, braune Hautfarbe, nur selten das helle "Erbsengelb", das gewöhnlich als Charakterfarbe der "gelben" mongolischen Rassen angegeben wird, vielmehr meistens ein schönes tiefes Rothgelb oder Braungelb, bald mehr in Orange oder Zimmtfarbe, bald in ein helles Braunroth oder Kupferroth übergehend. Viele jüngere Rikscha-Leute, zwischen sechszehn und vierundzwanzig Jahren, zeigen außerdem eine recht hübsche Gesichtsbildung und machen eine so breite, freundliche Miene, daß man sie wirklich für zufriedene "Glückliche" halten muß.

Viele Europäer freilich, besonders neu Angekommene, lassen sich nur ungern von Rikschas fahren, empfinden gegen diese "menschlichen Zugthiere" eine gewisse Abneigung oder finden es sogar "entwürdigend", sich vom "Mitmenschen" ziehen zu lassen. Ich muß bekennen, daß ich diese Empfindung nicht theile; ich bin auch überzeugt, daß das Loos dieser Rikschas weit besser ist, als man gewöhnlich annimmt, ungleich angenehmer als dasjenige vieler Fabrik- und Hüttenarbeiter in Europa, vieler Bergleute, welche, um zu leben, ihre Gesundheit opfern und dabei ihr angestrengtes Tagewerk unter den härtesten Bedingungen leisten müssen. Der Rikscha-Kuli hat eigentlich nur einen Dauerlauf auszuführen, der, wenn er anstrengend ist, doch seinen nackten Körper in freier Luft und Sonne mächtig stählt; er hat keine Sorgen für den folgenden Tag und begnügt sich mit seinem täglichen Erwerb, der immer reichlich genügt, um ihm nicht allein die nöthige Nahrungsmenge an Reis und trockenem Fisch zu verschaffen, sondern auch noch das Vergnügen, nach gethaner Arbeit mit seinen Genossen zu spielen und zu plaudern. Allerdings findet auch hier künstliche Auslese oder Selection statt. Ein Theil der schwächeren Kulis erleigt früher oder später; die kräftigeren dagegen erfreuen sich desto vollkommenerer Körperentwicklung. Uebrigens werden die Rikschas als praktische Fahrgelegenheit nicht nur von Europäern allgemein bevorzugt, sondern auch von ihren eigenen chinesichen Landsleuten, von Malayen, Hindus und anderen Farbigen.

Gleich den chinesichen Kuli verschähen auch die meisten anderen Arbeiter in den Straßen und Gärten von Singapur die volle Bekleidung und begnügen sich mit einem Strohhut oder Turban zum Schutze des Kopfes, einem blauen, rothen oder weißen Tuche (gleich einer Schwimmhose) zur Umhüllung der Lenden. So hat man denn hier Gelegenheit, die schönsten anthropologischen und morphologischen Studien an verschiedenen Menschenrassen auf offener Straße anzustellen: schwarze Tamilen aus Vorderindien, Vertreter der Dravida-Rasse, vorzugsweise als Straßenarbeiter, beim Wege- und Wasserbau beschäftigt; dunkelbraune Hindus als Kutscher, Pferdeknechte, Gärtner und Diener thätig; hellbraune Malayen als Fischer, Boots- und Fuhrleute u. s. w. Zwischen diesen Vertretern von drei- oder vier vorherrschenden schlichthaarigen Menschen-Rassen, hier und da einen afrikanischen Neger, einen Papua aus Neu-Guinea oder Celebes, einen Negrito aus den Philippinen oder aus dem Innern von Malakka. Inmitten dieses Gewimmels von nackten Menschen aller Farben bilden die vollständig bekleideten Europäer und vornehmeren Chinesen nur einen kleinen Bruchtheil.

Durch den beständigen Anblick der nackten Körperformen, in den verschiedensten Zuständen der Ruhe und der Bewegung, muß nach den Anschauungen vielen Cultur-Menschen "das Schamgefühl gröblich verletzt werden"; so müssen wenigstens die braven Volksvertreter denken, welche im vorigen Jahre die wunderlichsten Reden im Deutschen Reichstage über die sogenannte "lex Heinze" hielten (- ein bedauerliches Zeichen für den Bildungsgrad der deutschen Volksvertretung! -). Sollte dieses Gesetz in Singapur und in andern Tropen-Städten zu Anwendung kommen, so müßte die große Mehrzahl des dortigen Volkes sich selbst verurtheilen und einsperren - "wegen gröblicher Verletzung des Schümgefühls!" Die frommen Herren des katholischen Centrums aber dürften sich nur bei Nacht oder mit verbundenen Augen sich durch die Straßen fahren lassen. Solche und ähnliche Betrachtungen wurden auf unserem Dampfer zwischen Ceylon und Singapur vielfach angestellt, nachdem viele Passagiere zum ersten Male eine größere Anzahl dunkelfarbiger Eingeborenen im Naturzustande beobachtet hatten.

Da die Chinesen in Singapur an Zahl und Bedeutung die anderen Rassen weit übertreffen, und da uns diese merkwürdigen Zopfträger hier alle Seiten ihres eigenthümlichen Culturlebens offenbaren, so war deren Bekanntschaft mir gerade jetzt, wo die "chinesische Frage" plötzlich zu einer der größten politischen und historischen Weltfragen geworden ist, von höchstem Interesse. Es kann nicht genug darauf hingewiesen werden, wie grundfalsch die Vorstellungen sind, welche noch heute in weiten Kreisen von Deutschland und vom übrigen Europa über  C h i n a  und seine Bewohner herrschen. Die Vorzüge des chinesichen Rasssen-Charakters sind unermüdlicher Fleiß und technisches Geschick, zähe Ausdauer und große Genügsamkeit in der Lebensweise, dabei umsichtige Berechnung aller Verhältnisse, - kurz ausgezeichnet praktischer Realismus. Sie bestätigen überall die Behauptung, daß der Chinese ein höchst gefährlicher Concurrent des Europäers und ihm im Kampf ums Dasein vielfach überlegen ist. Hier in Singapur sind in allen Geschäften, in allen Bureaus und öffentlichen Instituten, an der Post u. s. w. die Chinesen die geschätztesten und zuverlässigsten Arbeiter, ebenso in höheren wie in niederen Stellen. Die vornehmeren Chinesen sind elegant gekleidet und ihre Equipagen oft glänzender als diejenigen der Europäer. Im Bureau tragen sie meistens eine sehr praktische und weite weiße Jacke und ein Paar dunkle (blaue oder schwarze), sehr weite Sackhosen. Die größte Sorgfalt verwenden sie aber stets auf die tadellose Frisur ihres langen Zopfes; er wird meistens mit rothen oder blauen Seidenbändern durchflochten und hängt über den Rücken oft bis zur Kniekehle herab.

D i e   U m g e b u n g   v o n   S i n g a p u r  bietet dem Naturforscher zu Land und zu See eine Fülle der lohnendsten Ausflüge. Dank der Fürsorge meiner dortigen Gastfreunde, Dank vor Allen den Herren Dr. Hanitsch, Consul Eschke und Arthur Loeb, wurde es mir möglich, in verhältnißmaßig kurzer Zeit die interessantesten Punkte kennen zu lernen. Die Landstraßen sind, wie in allen englischen Colonien, vortrefflich gehalten, und die Fahrten durch die chinesischen und malayischen Dörfer (Kampongs), die herrlichen Gärten und die üppigen Wälder gewähren eine beständig wechselnde Unterhaltung. Dr. Hanitsch lenkte seinen flinken Einspänner selbst und richtete seine Fahrten so zweckmäßig ein, daß ich ein vollständiges Bild von der reichen Tropen-Landschaft der Insel Singapur bekam. Wenn wir morgens im Museum gearbeitet, Nachmittags eine schöne Excursion gemacht hatten, genoß ich dann Abends das Vergnügen, in der liebenswürdigen Familie meines Gastfreundes, und oft auch in der lehrreichen Gesellschaft befreundeter Engländer, über die interessantesten Verhältnisse dieses wichtigen Knotenpunktes des westöstlichen Weltverkehrs unterrichtet zu werden. In später Abendstunde saßen wir oft noch angeregt plaudernd in der kühlen Veranda zusammen, welche den Eingang vom Garten in das hübsche Museums-Haus bildete. Wenn sich alsdann unser Blick noch oben durch das Laub der hohen Feigenbäume und Palmen auf den funkelnden Sternenhimmel richtete, und die Sternbilder des südlichen Himmels - besonders der Scorpion und das südliche Kreuz - uns in die unendlichen Weiten des Universum führten, entspannen sich wohl mancherlei anregende Betrachtungen über die "Welträthsel" und über die Befähigung des sonderbaren kleinen Primaten "M e n s c h" genannt, zu ihrer annähernden Lösung

Unter den größeren Ausflügen aus Singapur sind mir drei in besonders angenehmer Erinnerung: nach Bukit-Timah, nach Teban und nach Johore.  B u k i t - T i m a h  (=Zinnberg) ist der höchste Punkt der Insel (etwas über 500 Fuß hoch); der Berg ist mit Wald bedeckt, der zum Theil ganz den Charakter echten Urwaldes trägt; man überläßt hier absichtlich einige seiner Partien unberührt sich selbst, so daß die

Fig. 11.  D a s   M u s e u m s - H a u s   i n   S i n g a p u r  (Veranda vor der Villa des Raffes-Museums).
mächtigen Bäume, mit Kletterpflanzen behangen, wild durch einander wachsen und nach ihrem Tode ein undurchdringliches Gestrüpp herstellen. Unter den Massen von Schmarotzerpflanzen und Epiphyten fallen besonders zahlreiche zierliche Farnkräuter auf; in den Achseln der Baumäste sitzt der ornamentale Vogelnest-Farn (Asplenium nidus); die Abhänge längs des Weges sind mit Massen der Gleichenia geschmückt, eines prächtigen frischgrünen Farnkrautes, das sich durch eigenthümliche Verzweigung der Fiederblätter auszeichnet. Hier und da erhebt sich auch ein schmucker Farnbaum (Alsophila) auf schlankem Stamme. Die stacheligen Aeste und Ranken der dicht verworrenen Lianen und besonders die gefährlichen Dornenangeln der gefürchteten kletternden Rotangpalme (Calamus) erschweren sehr das Eindringen in dieses Dickicht. Uebrigens ist das auch insofern nicht ungefährlich, als von Zeit zu Zeit ein Tiger von Johore herüberschwimmt und sich im Dickicht von Bukit-Timah verbirgt. Die für seinen Fang gegrabenen tiefen Gruben, locker mit Laubwerk bedeckt, können auch dem botanisirenden und insectensammelnden Naturforscher Gefahr bringen.

Oben auf dem Gipfel des Bukit-Timah steht ein Regierungs-Rasthaus mit einem Aussichtsthurm; der Blick von demselben umfaßt ringsum die ganze Insel, ruht auf den grünen Waldmassen der umgebenden Berge und schweift im Norden hinüber nach Johore, dem südlichsten Sultanat der Halbinsel Malakka. Neuerdings war wieder ein Tiger über die schmale Meerenge von Johore herüber geschwommen und machte den Wald von Singapur unsicher. Ein krachendes Geräusch im nahen Urwalde wurde natürlich scherzhafter Weise auf diesen Tigerbesuch bezogen und mischte einen romantischen Beigeschmack in die heitere Picknick-Stimmung unserer deutschen Gesellschaft.

Einen zweiten sehr interessanten Ausflug veranstaltete Herr  L o e b  am 6. October nach  T e b a n, an der Ostseite der Insel Singapur. Hier hat die Firma  K a t z  ein ausgedehntes Gebiet mit Citronella-Gras (Andropogon schoenanthus) bepflanzen lassen und eine Fabrik errichtet, in welcher durch dessen Destillation das werthvolle aromatische Citronella-Oel in großer Menge gewonnen wird. In geringerer Quantität wird daneben noch das kostbare Patschuli-Oel hergestellt, durch Destillation einer sehr aromatischen Lippenblume: Pogostemon patschuli. Die Einrichtung und Arbeit der Fabrik wurde uns von ihrem deutschen Verwalter, Herrn Preuß aus Bockenheim, freundlichst gezeigt. An einem sehr anmuthigen, rings von mächtigen Bäumen umstellten und mit Schlingpflanzen bekränzten Plätzchen im nahen Walde nahmen wir das mitgebrachte Frühstück ein. Neben blühenden Orichideen sahen wir hier besonders hübsche Kannenpflanzen (Nepenthes); an ihren Blattspitzen hingen zierliche, kleine Kannen von der Form eines Bierseidels mit Deckel; in dem Wasser, welches die Kännchen zur Hälfte füllte, waren die Leichen zahlreicher Ameisen und anderer Insekten angehäuft, welche diese "insectenfressenden Pflanzen" fangen und verdauen.

Am Nachmittage besuchten wir die einige Meilen entfernte Kuhfarm ("Cattle Estate")  T a m p e n i s. Die 250 Kühe, welche auf dieser Farm gehalten werden, sind die einzigen Lieferanten einer größeren Quantität frischer Milch für Singapur. Gegen Abend ging´s dann noch hinab nach der Meeresküste, wo wir über die Johorestraße hinüber die Insel Pulo Obin sahen, im Hintergrunde die blauen Berge von Malakka. Bei der Fahrt durch das Dschungel erfreute uns eine Herde wilder Affen durch ihre munteren Sprünge von Baum zu Baum und die Thurnkünste an den dazwischen ausgespannten Lianentauen. Von unbeschreiblichem Zauber war die Rückfahrt durch den Wald; die glitzernden Mondlichter, von den glatten Flächen der großen, lederartigen Baumblätter reflectirt, wetteiferten an Glanz mti den Lichtfunken, welche unzählige fliegende Leuchtkäfer durch das geheimnißvolle Dunkel des Dickichts warfen. Der tausendsstimmige Gesang von großen Cicaden und Grillen, gemischt mit den geheimnißvollen Locktönen anderer Insecten und den reinen Glockentönen von Laufröschen, war so laut, daß wir unsere Worte kaum verstehen konnten. Dann und wann flog geisterhaft eine riesige Fledermaus über die Baumgipfel oder ein Flederhund von fußlangem Körper (Pteropus).

Nicht minder reizvoll war der Ausflug nach  J o h o r e  (sprich: Dschohore). Die zweistündige Wagenfahrt am frühen Morgen brachte uns nach einem Dorfe an der Nordküste der Insel, welches der Residenz des Sultans gegenüber liegt. Die Ueberfahrt nach der letzteren über den schmalen Meeresarm (wenig breiter als der Rhein bein Cöln) geschah in einer Ruderbarke des Sultans, welche dessen Leibarzt, Dr.Calloway, durch Vermittelung von Dr. Hanitsch zur Verfügung gestellt hatte. Diesen Herren verdanke ich auch die freundliche Aufnahme, welche ich in Johore bei  D a t o   H o l e  fand, dem englischen Minister des Sultans. Er bewirtete uns im dortigen Rasthause und fuhr uns dann nach seinem Landhause, ein paar Meilen von der Küste entfernt, auf einem Hügel. Der Blick von hier umfaßt einen großen Theil von dem südlichsten Gebiete des ausgedehnten Fürstenthums; Pflanzungen verschiedener Art und ansehnliche Wälder wechseln mit weiten Strecken uncultivirten Landes. Der natürliche Reichthum dieses Malakka-Gebietes wird erst ganz erschlossen werden, wenn die Engländer die im Bau befindliche Eisenbahn von Singapur bis Penang vollendet und sich damit factisch zu Herren auch dieses Landes gemacht haben werden. Jetzt sind noch Tiger (von denen wir ein schönes, kürzlich lebend gefangenes Exemplar in Johore sahen), Leoparden und andere Raubthiere zahlreich in den nächsten Wäldern zu finden. Dato Hole erzählte uns, daß er die Spuren ihres nächtlichen Besuches häufig in seinem Garten beobachte, daß er auch ihre Stimmen Nachts in nächster Nähe höre, ebenso wie das Geheul großer Schaaren von Affen. Unter den lebenden Affen, welche er in seinem Garten hielt, interessirte mich besonders ein schönes Exemplar des weißhändigen Gibbon (Hylobates lar); die Grazie, mit welcher dieser langarmige Menschenaffe Früchte verzehrte und auf Stangen Seiltänzerkünste übte, war bewunderungswürdig (vergl. Fig. 68).

Einige sehr genußreiche Tage verbrachte ich in dem schönen  b o t a n i s c h e n   G a r t e n   v o n   S i n g a p u r, der wegen seiner ausgedehnten reizvollen Parkanlagen zugleich das beliebteste Ziel kurzer Ausflüge in der Nähe der Stadt ist. Jeden Nachmittag ist die schattige, dorthin führende Straße, der schöne Orchard-Road, von zahlreichen Equipagen belebt. (Fig. 18) Das hügelige Terrain des Gartens ist sehr geschickt zur Anlage mannigfaltiger Baumgruppen und Buschpartien benutzt; in den tieferen Theilen finden sich auch einige kleine Wasserbecken, von großblumigen weißen, blauen und rothen Seerosen und Lotos bekränzt (Nelumbium speciosum, Nymphaea stellata u. A.). Eine kleine Insel in einem dieser Teiche bildet ein anmuthiges Palmenbouquet, von einem lichtgrünen Kranze des reizenden Gleichenia-Farns umschlungen. Besonders interessant aber ist ein ansehnliches Stück des Gartens, in welchem man die freie Tropennatur ganz sich selbst überlassen hat; da wächst Alles wild durcheinander. Mächtige Kletter- und Schlingpflanzen aller Art winden sich um die gewaltigen Baumriesen, die dicht mit Farnen, Orchideen und anderen Epiphyten überzogen sind. Die zusammengebrochenen Stämme der alten abgestorbenen Bäume bleiben unberührt liegen und dienen als Wohnstätte anderer junger Pflanzen, die sich auf ihnen ansiedeln; unzählige Insecten, Käfer, Ameisen, Termiten u. A. Finden auf den vermodernden Pflanzentheilen ihre Nahrung. Das undurchdringliche Gewirr der durcheinander gewachsenen Lianen, besonders der schon oben genannte berüchtigten Kletterpalmen mit ihren stacheligen Aesten (Calamus rotang) versetzt uns in den echten Urwald. Auch fehlt es nicht an den charakteristischen Bewohnern des letzteren aus der Säugethierclasse, an Affen und Eichhörnchen, Palmenmardern und Zibetkatzen.

In der Nähe des Gartenbureaus befindet sich auch der Anfang eines kleinen  z o o l o g i s c h e n   G a r t e n s, von dem zu wünschen und zu hoffen ist, daß er bald größeren Umfang annimmt. Außer den charakteristischen Raubthieren Hinterindiens: Tigern, Panthern, dem kleinen schwarzen Malayenbären, Bärenmardern (Binturong), Zibetkatzen u. A. fesseln namentlich Affen die Aufmerksamkeit der Besucher. Ein schönes Männchen des schwarzen Pavians von Celebes (Cynopithecus niger) zeichnet sich durch Wildheit aus. In einem großen Käfig wohnen seit vielen Jahren zwei sehr verschiedene Arten von Affen zusammen, der gemeine Makako (Macacus cynomolgus) und der große Schweinsaffe (Inuus nemestrinus). Obgleich beide Gattungen in Größe und Gestalt durchaus von einander abweichen, haben sich sie sich doch fruchtbar vermischt, und die eigenthümlichen, daraus hervorgegangenen Bastarde sind ebenfalls fruchtbar. Von Menschenaffen waren ein langarmiger Gibbon (Hylobates agilis) und ein junger Orang-Utan vorhanden (Satyrus orang). Der Erstere ergötzte uns durch die außerordentliche Gewandtheit, mit welcher er seine weiten Sprünge von Ast zu Ast, beinahe fliegend, ausführte. Der junge Orang dagegen war ein sehr pflegmatischer Herr; Hand in Hand mit uns ging er gemüthlich im Garten aufrecht spazieren, kletterte dann gemächlich auf einen niederen Baum, um einige Früchte zu pflücken und sich oben umzusehen, und stieg ebenso bedächtig wieder herunter, um in seinen Käfig zurück zu kehren. (Vergl. Fig. 67 im neunten Kapitel.)

Mr.  R i d l e y, der Director des Gartens von Singapur, war längere Zeit sowohl im malayischen Archipel als auch auf der hinterindischen Halbinsel gereist; er wußte viel Merkwürdiges von den wilden Ureinwohnern derselben zu erzählen, den Sakays. Diese wollhaarigen Schwarzen scheinen ein Ueberrest jener Ulotrichen-Menschenart zu sein, aus welcher auch die Negritos der Philippinen und die Papuas hervorgegangen sind. Sie führen in den Urwäldern von Malakka ein ganz primitives Dasein, nähren sich von Früchten und von wilden Thieren, die sie mittelst eines Blasrohres durch vergiftete Pfeile erlegen. Sie haben keine ständigen Wohnsitze, sonder bereiten sich ihr Nest oben auf den Baumgipfeln aus zusammengeflochtenen Zweigen, ähnlich dem Orang-Utan; da die Sakays sehr scheu sind und jede Berührung mit anderen Menschenrassen meiden (ähnlich den Veddas von Ceylon und anderen Urvölkern), ist es schwer, über ihr Familien- und Seelenleben etwas Näheres zu erfahren; es scheint auf sehr tiefer Stufe stehen geblieben zu sein.

Unter den vielen Besuchern des botanischen Gartens und des zoologischen Museums in Singapur begegneten mir gerade in diesen Tagen zahlreiche deutsche Soldaten von den großen Transportschiffen, welche zu dieser Zeit über 20000 Mann nach China führten. Die Leute waren in den leichten grauen Khaki-Anzug gekleidet (ähnlich einer Turnerbekleidung) und betrachteten sich die neue, sie umgebende Wunderwelt Indiens mit lebhaftem Interesse. Durch geographische Instructionsstunden während der Seereise gut vorbereitet, wußten Viele von ihnen trefflich Bescheid. Ich freute mich über ihre klugen Fragen und ihre originellen Urtheile. Mag man über die gefährliche China-Expedition - und über unsere Colonialunternehmungen im Allgemeinen - urtheilen, wie man will, Eines bleibt sicher als werthvolles Ergebniß übrig: daß weitesten Kreisen des deutschen Volkes die Augen über die großen fremden Verhältnisse des Auslandes geöffnet und viele Vorurtheile beseitigt werden. Jeder dieser Soldaten, der längere Zeit in Afrika oder China war, der die gewaltigen Verschiedenheiten im Körperbau, den Lebensgewohnheiten, den Sitten und Religionsformen fremder Rassen beobachten lernte, erweitert seinen Gesichtskreis colossal und bringt ein nicht hoch genug zu schätzendes Capital von neuen Anregungen und Vorstellungen mit heim.

Der deutsche Transportschiff "P a l a t i a", welchem ich am 3. October einen Besuch abstattete, umfaßte nicht weniger als 2200 Mann. Die Leute waren in dem gewaltigen Raume des großen Dampfers auf drei Etagen vertheilt; in jeder Etage lagen zwei Schichten über einander. Der erste Officier, der mich an Bord begrüßte, war Herr Hauptmann von Auer, früher in Jena ein eifriges Mitglied unserer geographischen Gesellschaft in Thüringen. Er erzählte mir, daß die Mannschaften die lange Seereise (trotz der dichten Verpackung) im Ganzen sehr gut überstanden hätten. Nur im Rothen Meere waren mehrere Heizer und Stewards der entsetzlichen Hitze zum Opfer gefallen. Auf den Dampfern aller anderen Nationen, welche in den Tropen fahren, werden diese beiden Arbeiterclassen durch farbige Menschenrassen vertreten, die sich zu diesen schweren Diensten viel besser eignen. Die Principienreiter des Deutschen Reichstags - voran die idealen Socialdemokraten - sind aber der Ansicht, daß dadurch deutschen Arbeitskräften eine große Anzahl Stellen entzogen wird, und haben es durchgesetzt, daß Farbige vom Dienst auf deutschen Reichspostdampfern und Kriegsschiffen ausgeschlossen werden. In Folge dessen gehen jährlich nicht wenige deutsche Leben an den furchtbaren Strapazen zu Grunde, welche Neger, Chinesen, Malayen und Inder ohne Gefahr ertragen würden.

Die gewaltigen Truppenmassen, welche das Deutsche Reich im Laufe des letzten halben Jahres auf zahlreichen großen Transportschiffen nach China gesandt, haben sowohl in Singapur als in anderen von ihnen berührten Hafenplätzen das Ansehen unserer Nation mächtig gesteigert. Der große Fortschritt, den Fürst  B i s m a r c k  durch Eröffnung einer weit ausschauenden Colonialpolitik herbeiführte, beginnt auch in dieser Beziehung seine glänzenden Früchte zu tragen. In anderer Hinsicht bewirkt dieselbe die steigende Zunahme unserer Handelsflotte, sowie den wachsenden Passagierverkehr auf den vom Deutschen Reiche subventionirten Schnelldampfern. Die prachtvollen Schiffe des Norddeutschen Lloyd in Bremen und der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrtgesellschaft haben aber auch die concurrirenden Luxusdampfer der anderen Nationen bereits überflügelt. Einer der größten Dampfer des Lloyd lag gerade im Hafen von Singapur und wurde am 9. October von mir besucht. Dieser schwimmende Feenpalast, "H a m b u r g" mit Namen, übertraf an großartiger Einrichtung Alles, was ich bisher gesehen. Das Riesenschiff faßt 15000 Tonnen und wird durch 12000 Pferdekräfte in Bewegung erhalten. Es gehört zu den größten Schiffen, welche den Suezcanal noch passiren können. In dem freundlichen Capitän, Herrn  K r e c h, lernte ich den ausgezeichneten Seemann kennen, der vor zwei Jahren die erfolgreiche deutsche Tiefsee-Expedition der "Valdivia", unter Leitung von Professor Chun, geführt hat.

Von den anderen deutschen Schiffen in Singapur war mir besonders interessant die Yacht "E b e r h a r d", welche Herr  M e n k e  (aus Hannover) für eine zweijährige wissenschaftliche Expedition nach Deutsch-Neuguinea und Neupommern ausgerüstet hatte; als Naturforscher begleiteten ihn Dr. Heinroth und Dr. Dunker. Das Schiff war früher (unter dem Namen "Princeß Alice") im Besitze des Fürsten Albert von Monaco gewesen und für zoologische Tiefseeforschungen benutzt worden. Das Innere der eleganten Yacht war für zoologische Beobachtungen und Sammlungen sehr zweckmäßig eingerichtet, und da unsere Naturforscher auch mit den verbesserten Netzen und Fangapparaten der Neuzeit vortrefflich ausgerüstet waren, konnte man hoffen, daß ihre Reise viele interessante Ergebnisse liefern werde.

Leider ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Schon wenige Monate später war die kostspielige Expedition gescheitert. Bei einem Besuche der Matthias-Inseln, in der Nähe von Neuguinea, hatten die Reisenden die nothwendigen Vorsichtsmaßregeln außer Acht gelassen; sie wurden während der Nacht in ihren Zelten von den wilden Eingeborenen überfallen und Herr Menke nebst mehreren Begleitern getötet. Das Schiff scheiterte bald danach auf einer Korallenbank.

Für das Ansehen der Deutschen in Singapur ist vor Kurzem auch äußerlich viel geschehen, durch Errichtung eines großartigen Clubgebäudes, mit geräumigen Sälen für Lectüre, Billardspiel, Ball, Theater und Restauration. Es ist sehr hübsch in einem Garten gelegen. Wenige seinesgleichen dürften sich im Auslande finden.

Unter den öffentlichen Gebäuden von Singapur zeichnet sich das  R a f f l e s ´ - M u s e u m  aus, mit Arbeitsräumen und einer großen, viel benutzten Bibliothek im unteren und einer interessanten Sammlung von Naturalien - größtentheils einheimischen Thieren - im oberen Geschoß. Unter den Säugethieren bemerkte ich mehrere große Exemplare des Orang-Utan und anderer hinterindischen Affen, mehrere Arten des Gibbon, den Nasenaffen u. A.; ferner das Rhinoceros von Sumatra, riesige wilde Büffel und  i n d i s c h e   R a u b t h i e r e  (Tiger, Leopard, Malaien-Bär, Binturong, Zibethkatzen) und viele große Fledermäuse. Sehr schöne Exemplare finden sich unter den zahlreichen Vögeln und Schmetterlingen. Unter den Reptilien und Amphibien fallen mehrere einheimische Riesen-Exemplare durch ihre gewaltige Größe auf, so ein mächtiges Crocodil von 16 Fuß Länge, Riesenschlangen, Tigerfrösche u. s. w. Die Fisch-Sammlung enthält riesengroße und seltene Formen von Selachiern (Haifischen und Rochen).

Fig. 12.  R a f f l e s ´ s   M u s e u m   i n   S i n g a p u r.
Unter den wirbellosen Thieren zeichnen sich die Gliederthiere (Insecten, Spinnen, Crustaceen) durch Zahl, Mannigfaltigkeit und Schönheit der Arten aus, ferner die tropischen Mollusken (Schnecken und Muscheln) prachtvolle Sternthiere, Korallen u. s. w.

Das Museum, das dem Publicum täglich von zehn Uhr Vormittags bis fünf Uhr Abends geöffnet ist, wird nicht nur von Europäern, sondern auch von Eingeborenen stark besucht. Ich habe oft das lebhafte und ausdauernde Interesse bewundert, mit dem die gelben Chinesen und braunen Malayen, die chokoladefarbigen Inder und die schwarzen Tamilen die zoologische Sammlung studirten - mehr als viele Europäer. Sicher ist diese gemeinnützige Anstalt, ebenso wie die reiche Bibliothek, für Singapur eine öffentliche Bildungsquelle ersten Ranges. Leider ist nur der vorhandene Raum viel zu beschränkt, um eine zweckmäßige systematische Aufstellung der reichen Sammlungen zu gestatten. Wir begrüßten es daher mit Freude, daß gerade in den Tagen meiner Anwesenheit der Stadtrath von Singapur (der über sehr bedeutende Mittel verfügt) den Beschluß faßte, ein großes neues Museumgebäude zu errichten. Es ist zu hoffen, daß nach dessen Vollendung die Bibliothek vom Museum getrennt und somit Dr. Hanitsch - der Direktor beider Anstalten in einer Person ist - entlastet wird. Er kann dann seine ganze Arbeitskraft der Herstellung eines Naturalien-Museums widmen, welches unter den gegebenen, überaus günstigen Verhältnissen eine sehr lehrreiche Uebersicht über die gesammtee reiche Fauna der Malakkasstraße, ihrer Inseln und Küsten geben wird.

Von dem Reichthum der  K o r a l l e n b ä n k e  von Singapur bekommt man schon durch die Prachtexemplare des Museums eine Vorstellung. Es traf sich nun sehr günstig, daß gerade in der zweiten Octoberwoche Vollmond eintrat, und daß die damit verknüpfte tiefe Ebbe (die "Springebbe") den Wasserstand auf den Korallenriffen der Malakkastraße ungewöhnlich tief sinken ließ. Dadurch wurde mit und meinem Begleiter, Dr. Hanitsch, die Möglichkeit gegeben, an einigen besonders günstigen Stellen (bei  B l a k a n g   M a t i) selbst in das Meer zu steigen und in dem nur einen Meter tiefen Wasser zwischen den herrlichen lebenden Korallen-Bäumen und -Sträuchern stundenlang umher zu wandeln, wie zwischen den Blumenstöcken eines wohlgepflegten Gartens. Mit hohem Genusse konnten wir die prächtigen Gebilde an Ort und Stelle untersuchen und die schönsten Stücke in unsere beiden Boote bringen. In nächster Nähe sieht man viele merkwürdige Einzelheiten im Leben der Korallenbänke, die vom Boote aus uns entgehen. Nur bei der einen Excursion verging uns die Lust, ins Wasser zu steigen; gerade an der Stelle des waldigen Ufers, wo wir beginnen wollten, lag ein stattliches Crocodil; erst als unser Boot bis auf zehn Schritt heran gerudert war, löste sich das plumpe Raubthier schwerfällig ab und schwamm nach der nächstgelegenen Insel hinüber. Unwillkürlich fiel uns das schöne Lied von Geibel ein, in welchem "ein lustiger Musikante" am Ufer des Nil spaziert und ein großes Crocodil durch seine Geige zum Tanzen zwingt.

Die märchenhafte Pracht der tropischen Korallenbänke ist schon oft in enthusiastischen Worten und farbigen Bildern geschildert worden, und doch muß ich jedes Mal beim erneuten Anblick derselben sagen, daß keine Feder und kein Pinsel dazu ausreicht. Man muß diese Wunderwelt - eine ganz eigenartige zauberhafte Erscheinung auf unserem Erdball - selbst gesehen und genossen haben, um sich ein getreues Bild davon zu machen. In meiner Schrift über die "Arabischen Korallen" habe ich farbenreiche Fauna der Korallenbänke von Tur, und in meinen "Indischen Reisebriefen" die großartige Korallenwelt zu schildern versucht, welche die ausgedehnten Bänke an den Küsten von Ceylon, besonders in Puntogalla und Belligemma belebt. Wenn ich aber jetzt auf diese Versuche zurückblicke und sie mit den frischen Eindrücken der lebenden Korallengärten von Singapur vergleiche, erscheinen sie mir recht schwach und ungenügend.

Fig. 13.  E i n e   P e r s o n  (ein lebendes Einzelthier) der  R i n d e n - K o r a l l e  (Gorgonia). Der flaschenförmige Magen (in der Mitte) schimmert durch die zarte Körperwand hindurch. Der Mund (oben) ist mit einem Kranze von acht gefiederten Fangarmen oder Tentakeln umgeben.

Die zierlichen und mannigfaltigen Bildungen, welche die weißen (selten rothen oder anders gefärbten) Korallen in unseren Sammlungen zeigen, sind eben nur die Formen der todten Kalkskelette - ein inneres "Knochengerüst", welches im Leben von weichem Fleisch überzogen ist. Diese fleischige Hautdecke prangt nun meistens in den prächtigsten Farben. Da die Mundöffnung jedes Einzelthieres - jeder "Korallenperson" - von einem Kranze beweglicher, oft schön geformter und gefärbter Fangarme oder Tentakeln umgeben ist, so gewinnt ihre Gestalt jene strahlige Blumenform, die früher dazu geführt hat, die Korallenstöcke für echte Blumenstöcke zu halten, ihren Organismus für eine echte Pflanze. Jetzt wissen wir freilich sicher, daß jede einzelne Korallenperson ein echtes Thier ist, ein Gewebethier oder "Metazoon" mit Mund und Magen, mit Nerven und Muskeln; aber immerhin bleibt die täuschende Blumenähnlichkeit doch so groß, daß auch heute noch passend die Bezeichnung "B l u m e n t h i e r e" (Anthozoa) für die ganze Korallenclasse vielfach verwendet wird (Fig. 13).

Die Mannigfaltigkeit der bunten und zarten Farbentöne, der zierlichen und ornamentalen Zeichnung, mit welcher der Leib der lebenden Koralle geschmückt erscheint, ist leider an den in Spiritus oder Formol conservirten Thieren nicht zu sehen, ebenso wenig wie die anmuthigen, sanften Bewegungen, mit welchen sie im Leben ihren Tentakelkranz entfalten und wieder einziehen. So kann auch nur die eigene Anschauung ein vollkommenes Bild von dem Leben der Korallenbänke geben, von dem bunten Treiben der unzähligen anderen Thiere, die nur auf ihnen

Fig. 14.  E i n   S t o c k  (oder Kormus) der  B a u m - K o r a l l e  (Madrepora). Die unzähligen kleinen Wärzchen, welche die Aeste des baumförmigen Korallenstockes bedecken, sind lauter Personen, von ähnlichem Körperbau wie Fig. 14. Die gemeinsame Ernährung aller dieser socialen Einzelthiere beruht auf Communismus; die Magenflaschen derselben sind durch ein ernährendes Canalnetz verbunden.
leben, die zu ihnen in den verschiedenartigsten bionomsichen Beziehungen stehen und dieser besonderen Zauberwelt in merkwürdigster Weise angepaßt sind. Da huschen zwischen den vielverästelten Zweigen der baumförmigen Madreporen (Fig. 15.) bunte Fischchen von höchst phantastischer Färbung und Zeichnung hin; auf den runden Blöcken der Asträen und den Labyrinthgebirgen der Mäandrinen kriechen und schwimmen Massen von kleinen Krebsthieren in den seltsamsten Gestalten und aus vielen verschiedenen Familien. Dazwischen sehen wir stattliche Mollusken mit schönen Gehäusen, Riesenmuscheln und Riesenschnecken. Besonders interessant waren mir aber auf den Korallenbänken von Singapur viele seltene Formen von fünfstrahligen  S t e r n t h i e r e n  oder Echinodermen: rothe Seesterne (Asteridea) mit getäfeltem Panzer, bunte Schlangensterne (Ophiodea) mit fünf langen, schlangenähnlichen, zierlich geringelten Armen; wurmähnliche, durchsichtige, lange Seegurken mit gefiederter Tentakelkrone (Synapta). Schwimmend bewegten sich dazwischen überaus zierlich Hunderte von Palmensternen (Crinoidea) aus der Familie der Comatuliden; ihre langen zehn Arme sind mit Tausenden von beweglichen butnen Fiederchen besetzt. Große schwarze Seeigel (Echinidea) aus der Gattung der Turbanigel (Diadema) starren von einem strahlenden Walde gefährlicher Stachel, von der Länge und Dicke einer starken Stricknadel. Diese sind mit Kränzen von feinen Widerhaken umgeben; bricht ein solcher Stachel in der Wunde ab, so kann er eine gefährliche Entzündung erzeugen, um so schlimmer, als dazu eine Vergiftung tritt. Diese Diadem-Seeigel besitzen fünf strahlende Reihen von glänzenden blauen Augen; sie gewahren sehr wohl die Annäherung der Hand, welche sie ergreifen will, und richten dann ihre Stacheln als Schutzwaffe gegen dieselbe.

Den ganzen Reichthum der Korallenstöcke an Insassen gewahrt man aber erst, wenn man sie aus dem Wasser nimmt und mit dem Hammer zerschlägt. Dann wimmelt es von flüchtenden Würmern und Schlangensternen, Crustaceen und Fischen, welche alle in den Höhlungen und zwischen den Aesten des steinharten Kalkgebäudes sichere Wohnungen oder Zufluchtsorte besaßen. Die ganze Lebensarbeit eines fleißigen Naturforschers würde nicht ausreichen, um das reiche Beobachtungs-Material einer einzigen Korallenbank völlig zu bewältigen. Dr. Hanitsch beabsichtigt, auf der Insel  B l a k a n g   M a t i, die ganz besonders für solche Forschungen geeignet ist, eine  Z o o l o g i s c h e   S t a t i o n  mit marinen Aquarien, Laboratorien u. s. w. zu errichten; es ist sehr zu wünschen, daß dieser schöne Plan zur Ausführung gelangt.

Unsere Excursionen waren von Dr. Hanitsch so praktisch arrangirt, daß ich in kurzer Zeit eine schöne Sammlung von prächtigen Korallen zusammenbringen und, siebzehn Kisten verpackt, nach Jena absenden konnte. Ergänzt wurde dieselbe noch durch eine Anzahl trockener Korallen, welche ich den Fischern in  P u l o   B r a n i  abkaufte. Das ist ein malayisches Pfahlbaudorf im südwestlichen Theile des Hafens von Singapur. Die einfachen, mit Palmenmatten gedeckten Hütten, 3-5 Meter über dem Wasser, ruhen auf hohen, dünnen Pfählen, welche ziemlich locker in den schlammigen Boden eingerammt sind. Als wir auf einer Art Froschleiter auf diese Pfahlbauten hinauf kletterten und oben auf schmalen Balken von einer Hütte zur anderen balancirten, gerieth das ganze seltsame Pfahlbaudorf ins Wackeln, und wir hätten beinahe ein unfreiwilliges Bad genommen.

Eine andere schöne Excursion, zu den Korallenbänken im Süden des Hafens, hatte am 7. October Herr  S e b a s t i a n   M e y e r  arrangirt, welcher zusammen mit seinem Collegen  W i s p a u r, die angesehenste europäische Apotheke in Singapur unterhält. Auf einem kleinen Dampfer

Fig. 15.  P f a h l b a u d o r f   b e i   S i n g a p u r .
fuhren wir mitten durch den weiten Hafen an dem Wrack des Lloyddampfers "Wieland" vorbei, der, mit Baumwolle beladen, vor einigen Jahren hier verbrannte. Neben dem unzugänglichen St. John´s Island, auf dem sich die Quarantäneanstalten befinden, liegt die malerische Felseninsel Pulo Renggit, umgeben von den schönsten Korallengärten. Das Meer war bei starker Ebbe so flach, daß wir unmittelbar über den Nereidengarten mit seinen bunten Korallenbüschen und -Blumen hinweg fahren konnten. Auch am Strande der Insel selbst, der mit Mangrovebäumen bewachsen ist, war das Wasser so weit zurückgetreten, daß ich einige der seltsamen Mangroven mit ihrem ganzen nackten Wurzelgebäude abzeichnen konnte.

Auf der Rückfahrt nach der Stadt begegneten wir, ebenso wie früher bei der Einfahrt in die Singapurstraße, Schwärmen von schönen  M e d u s e n  (Rhizostomen aus der Gattung Mastigias, aus der Familie der Crambessiden). Der braune Schirm dieser Art ist mit milchweißen Flecken getüpfelt, die acht krausen Arme sind mit langen, olivengrün und violett gefärbten Anhängen verziert. Zwischen großen erwachsenen Quallen schwammen auch zahlreiche junge, zum Theil noch sehr kleine Thiere, so daß ich eine ziemlich vollständige Sammlung von Entwicklungstufen zusammenbringen konnte.

Meine Kenntniß der Seethier-Bevölkerung der Singapurstraße wurde wesentlich ergänzt durch mehrere Besuche, die ich früh Morgens dem  F i s c h m a r k t  abstattete. Da sah ich eine große Auswahl von den merkwürdigen Fischen des Insulindemeeres, die sich zum Theil durch sehr sonderbare Formen und bunte Färbung auszeichnen. Große Selachier (Haifische und Rochen), zum Theil seltene Arten, fielen durch ihre eigenthümliche Gestalt auf. Zwischen den vielfarbigen Fischen lagen Haufen von Tintenfischen (Sepien), von Muscheln und Schnecken; ferner Crustaceen, langschwänzige Krebse und kurzschwänzige Krabben; auch eßbare Würmer und Holothurien (der von den Chinesen hoch geschätzte Trepang) fehlten nicht.

Auf der Rückseite des Fischmarktes prangte der schöne  F r u c h t -   u n d   G e m ü s e m a r k t, reich an den Erzeugnissen der Tropenzone. Wenn ich den Markt Morgens zwischen sechs oder sieben Uhr besuchte, konnte ich die Chinesen bei ihrem Frühstück beobachten; mit zwei dünnen Stäbchen, die sie gleich einer zweiarmigen Pincette handhabten, stopften sich nicht nur ihre Hauptnahrung, den Reis, in den Mund, sondern auch die verschiedenen medusenähnlichen Gallertklumpen, die von ihnen als besondere Leckerbissen geschätzt werden.

Nicht weit vom Fischmarkt steht ein chinesicher Tempel, mit dem sonderbarsten Schnörkelwerk verziert. Die Priester, welche in den inneren Räumen desselben lagerten, machten gerade keinen erhebenden Eindruck. Ueberhaupt scheinen die religiösen Vorstellungen bei diesem merkwürdigen Volke ziemlich gleichgültig behandelt zu werden. Durch Opfer und Gebete sucht man böse Geister abzuhalten; aber von der sogenannten "s i t t l i c h e n   W e l t o r d n u n g", als Ausfluß eines "höchsten Wesens", scheinen die realistischen Chinesen nicht viel zu halten.

Sehr verschieden von den chinesichen Gotteshäusern in Singapur sind die  H i n d u - T e m p e l, die sich zum theil durch hübsche Architektur und zierliche Ornamente auszeichnen; sie sind größtentheils dem Dienste des  B u d d h a  gewidmet.

Fig. 16.  C h i n e s i s c h e r   T e m p e l  in Singapur.

Eine andere Seite des chinesichen Volkscharakters lernte ich eines Abends beim Besuche eines chinesischen Theaters kennen. Der große, schmutzige Raum war schlecht beleuchtet und unten im Parket mit männlichen Chinesen gefüllt; die weiblichen Zuschauer saßen abgesondert auf den Galerien oben, rechts und links. Die schmale Bühne war bunt und geschmacklos decorirt; in der Mitte spielte ein lärmendes Orchester; vor demselben figurirten die Schauspieler in den sonderbarsten Costümen, mit hoher Fistelstimme declamirend; Kinder spielten harmlos zu beiden Seiten der Bühne. Die Action, mit vielen Bücklingen und Ceremonien eingeleitet, wurde nur dann interessant, wenn die Gegenparteien sich beschimpften und ohrfeigten; auf der Höhe des Affectes versetzten sie sich Fußtritte gegen den Unterleib; das schien die bezopten Zuschauer, die

Fig. 17.  H i n d u - T e m p e l  in Singapur.
inzwischen süße Gallerte verzehrten, besonders zu amüsiren. Der specifische, für arische Nasen höchst unangenehme Geruch der chinesischen Haut-Ausdünstung - hier in sehr concentrirter Form - benahm uns fast den Athem. Der Höllenlärm der Musik, ein Gemisch von dröhnenden Pauken, schrillen Pfeifen und klingenden Metallbecken, betäubte unsere Ohren. So waren wir froh, nach einer Stunde diesen Musentempel der "Söhne des himmlichen Reiches" zu verlassen, und athmeten mit doppeltem Genusse die kühle, würzige Nachtluft, die uns aus den blumenreichen Gärten entgegenströmte.

Nachdem ich also sechzehn höchst interessante und lehrreiche Tage in Singapur zugebracht hatte, nahm ich von den lieben alten und neuen Freunden, die mir diesen Aufenthalt zu angenehm gemacht hatten, mit dankbarster Gesinnung Abschied, und schiffte mich am 13. October, Morgens 8 Uhr, auf dem Dampfer "S t e t t i n" nach Java ein. Dieser Dampfer, einer der kleineren des "Norddeutschen Lloyd", vermittelt viermal jährlich die Verbindung mit Deutsch-Neuguinea und berüht auf seiner Reise nach Ambon und Herbertshöhe Batavia, das er in 54 Stunden erreicht.

Auf dieser Seefahrt, längs der Ostküste von Sumatra, kamen zahlreiche kleine Inseln in Sicht, meistens hügelig und dicht bewaldet. Dieselben gehören sämmtlich zum holländischen Besitz von Insulinde und vertheilen sich auf drei Gruppen: nördlich Riau, mitten Lingga, südlich Bangka. Der  R i a u - A r c h i p e l  umschließt die Südseite des weiten Hafens von Singapur; die malayischen und chinesichen Bewohner desselben sind größtentheils Fischer; der  T r e p a n g, den sie in großer Menge auf die chinesischen Märkte bringen, ist eine gekochte und getrocknete Seegurke (Holothuria). Als wir den  L i n g g a - A r c h i p e l  passirten, überschritt ich (am 13. October Abends 9 Uhr) zum ersten Male den  A e q u a t o r: abgesehen von einigen harmlosen Scherzen, war dieser wichtige Akt von keinen besonderen Feierlichkeiten begleitet. Die ansehnliche Insel Bangka, berühmt durch ihre reichen Zinngruben, gewährt mit ihren höheren Bergen und der bewaldeten Felsenküste einen sehr malerischen Anblick.

Die schöne Seefahrt wurde mir besonders erfreulich durch die Gesellschaft des Professors Treub, des Directors des Botanischen Gartens von Beutenzorg, in dem ich zunächst längere Zeit arbeiten wollte. Professor Treub war mit seinem Assistenten, Dr.  K o n i n g s b e r g e r, schon vor vierzehn Tagen nach Singapur gekommen und führte mich nun persönlich am 15. October Mittags auf der grünen Insel Java ein.

Fig. 18.  D i e   F r u c h t g a r t e n s t r a ß e  (Orchard Road) in Singapur.

This page is part of Kurt Stüber's online library. Copyright Kurt Stueber, 1999. All rights reserved.