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Kapitel IX]
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Inhaltsverzeichnis][
Kapitel XI]
Kapitel X
Belligemma
B e l l a
g e m m a ! „Schöner
Edelstein"! Wie oft gedenke ich dein! Wie oft schon taucht jetzt schon,
wenige Monate nachdem ich von dir scheiden mußte, dein
unvergeßliches Bild vor mir auf und zaubert mir eine Fülle
der schönsten Erinnerungen vor! Wie herrlich wird dieses Bild mir
erst später, in wachsendem Reize erscheinen, wenn der blaue Duft
der geheimnißvollen Ferne mehr und mehr sich über deine
lieblichen Formen legt. Fürwahr, wenn man Ceylon das Diadem
von Indien nennt, dann darfst du als einer der schönsten
Edelsteine in diesem Diademe gepriesen werden: Bella gemma della
Taprobane!
Der geneigte Leser wird mir hoffentlich verzeihen, wenn ich hier gleich
das Geständniß einschalte, daß der Name
B e l l i g e m m
a eigentlich anders geschrieben wird und etwas ganz
Anderes bedeutet als „Bella gemma". Der singhalesische Name des
Dorfes heißt ursprünglich
W e l i g a m a
und bedeutet: Sanddorf (Weli = Sand, Gama = Dorf). Allein
die Engländer sprechen den Namen beständig „Belligemm"
aus und so brauchen wir bloß ein a an die Stelle des i zu setzen, um
zu dem italienischen Worte zu gelangen, das die seltene Schönheit
des Ortes treffend bezeichnet. In meiner Erinnerung wenigstens bleibt
das Bild von „Bella-Gemma" immer mit der Vorstellung eines
auserlesenen Edelsteins von Naturpracht verknüpft;
während der sandige Strand, der „Weligama" seinen Namen
gegeben hat, ganz darin zurücktritt.
Natürlich hatte ich in Punto-Galla und Colombo mich
möglichst gut über die Verhältnisse von Belligemma zu
unterreichten gesucht, nachdem ich einmal den Entschluß
gefaßt hatte, dort für ein paar Monate mein zoologisches
Laboratorium aufzuschlagen. Allein trotz vielen Umherfragens hatte ich
nicht viel mehr erfahren, als daß die Lage des Dorfes mitten im
Cocoswalde sehr schön, das geschützte Hafenbecken reich an
Korallen und das Regierungs-Rasthaus leidlich gut sei; in negativer
Hinsicht wurde mir mitgetheilt, daß weder irgend ein
Europäer, noch irgend eine Spur von europäischen Comfort
und gewohnter Civilisation daselbst existire. Alles das hatte, wie ich bald
erfuhr, seine Richtigkeit. Jedenfalls schwebte also über meiner
nächsten Zukunft der mystische Schleier des Abenteuerlichen und
Seltsamen; und ich bekenne, daß ich nicht ohne ein gewisses
unheimliches Gefühl der Unsicherheit und der völligen
Isolirung am 12. December in Punto-Galla der europäischen Cultur
Valet sagte. Ich hatte schon in Colombo und noch mehr in Kandy
erfahren, wie merkwürdig nahe auf Ceylon die unberührte
Ur-Natur der europäischen Firniß-Cultur auf den Leib
rückt, und wie die Distanz weniger Meilen den dichten Urwald von
der bevölkerten Stadt trennt. Hier im südlichsten Theile der
Insel konnte ich das noch in erhöhtem Maße erwarten. Meine
ganz Hoffnung beruhte also einerseits auf der Wirksamkeit der
officiellen Regierungs-Empfehlung, andererseits auf meinem erprobten
Reiseglück, das mich bei derlei abenteuerlichen Wagnissen noch
niemals im Stiche gelassen hatte.
So bestieg ich denn voll hochgespannter Erwartung am Morgen des 12.
December in Galla den leichten Wagen, der mich längs der
Südküste nach Belligemma bringen sollte. Es war Morgens 5
Uhr und also noch ganz dunkel, als ich das Fort verließ und durch
die Pettah längs des Hafens nach Süden fuhr. Sanft schlafend
lagen die Singhalesen, in weiße Baumwolltücher
gehüllt, auf den Palmenmatten vor ihren dunkeln Hütten.
Kein Laut war zu hören. Die tiefste Stille und Einsamkeit lagerte
über der schönen Landschaft. Diese verwandelte sich aber
mir einem Schlage, als der Zauberstab der aufgehenden Sonne sie
plötzlich berührte. Ihre ersten blinkenden Strahlen weckten
Leben und Bewegung in dem schlafenden Palmenwald. Einzelne
Vögel ließen ihre Stimme in den Gipfeln der Bäume
ertönen; die niedlichen Palmen-Eichhörnchen verließen
ihr Nest und begannen ihre Morgenpromenade an den
Cocosstämmen auf- und abwärts, und die träge
„Cabragoya", die grüne Rieseneidechse (Hydrosaurus)
streckte am Rande der Wassergräben ihre faulen Glieder. In den
Gärten draußen, entfernter von der Stadt, sprangen muntere
Affen auf den Fruchtbäumen umher, von denen sie sich soeben ihr
Frühstück gestohlen hatten. Nun fingen auch die Singhalesen
an munter zu werden und ganze Familien nahmen ihr Morgenbad
ungenirt an der offenen Landstraße
Zu den fremdartigsten Eindrücken, welche den Europäer in
der Mitte der Tropenzone, so nahe dem Aequator, überraschen,
gehört der Mangel der Dämmerung, jener duftigen
Uebergangsperiode zwischen Tag und Nacht, die in unserer
Naturanschauung und Poesie eine so große Rolle spielt. Kaum ist
Abends die strahlende Sonne, die noch soeben die ganze Landschaft
vergoldet hatte, in den blauen Ocean gesunken, so breitet auch schon die
schwarze Nacht ihre sanften Fittiche über Land und Meer; und
ebenso plötzlich weicht die letztere Morgens wieder dem
anbrechenden Tage. Aurora, die rosenfingerige Eos, hat hier ihre
Herrschaft verloren. Um so größer erscheint freilich auch der
Glanz des jungen Tages und um so prachtvoller das frische Morgenlicht,
welches tausendfach gebrochen zwischen den feinen Fiedern der
Palmwedel glitzert. Die zahllosen Tautropfen und die glatten
Flächen der breiten frischgrünen Bananen- und
Pothosblätter werfen das Licht gleich tausend Spiegeln
zurück. Der sanfte Morgenwind vom Meere her setzt die zierlichen
Formen in lebendige Bewegung und bringt zugleich erfrischende
Kühle. Alles athmet ein frisches und junges Leben voll Glanz und
Pracht.
Die fünfzehn Meilen guten Weges zwischen Punto-Galla und
Belligemma zeigen ganz denselben Charakter, der früher von der
Galla-Colombo-Straße geschildert wurde; sie bilden die directe
südliche Fortsetzung dieser herrlichen Küstenstraße.
Nur erscheint hier, weiter gen Süden, der prachtvolle Cocoswald
womöglich noch glänzender und reicher als dort;
insbesondere bilden zahlreiche Schlingpflanzen zwischen den
Palmensäulen reizende Guirlanden, und die Bananengruppen, die
Papaya- und Brodfruchtbäume rings um die Hütten, die
zierlichen Manihot- und Yamsstauden an deren Verzäunung, die
riesenblättrigen Caladien und Colocasien am Wege erschienen mir
großartiger und kräftiger als je vorher. Dabei wird der
Cocoswald häufig durch kleine Weiher belebt, die mit Lotosblumen
und anderen Wasserpflanzen bedeckt sind; und dann wieder von
reizenden Bächen durchflossen, deren Ränder dicht mit den
zierlichsten Farnen geschmückt sind. Dannkommen dazwischen
felsige Hügel, mit Schraubenpalmen oder duftigen Pandangs
bedeckt; und damit wechselnd lachender Sandstrand voll der
schönsten rothen Windlinge, weißer Lilien und anderer
prächtiger Blumen.An den Mündungen der kleinen
Küstenflüsse, die unsere Straße überschreitet,
erscheinen wiederum die herrlichen Bambusen und die dunkeln
Mangroven; auch die seltsame stammlose Nivapalme ragt mit ihren
zierlichen Fiederkämmen aus dem Wasser.
Sie wird das Auge nicht müde, an den schönsten Gestalten
der Tropenflora sich zu weiden, und ich bedauerte es fast, als nach
mehreren Stunden schneller Fahrt mein schwarzer Tamil-Kutscher auf
ein entferntes, im Bogen vorspringendes Felsenvorgebirge hinwies, mit
den Worten: „Dahinter Weligama." Bald wurden die zerstreuten
Hütten am Wege zahlreicher und gruppirten sich zu einer
Dorfstraße; beiderseits frischgrüne Reisfelder, vom
schönsten Walde unterbrochen. Die Steine der Mauern bestanden
großentheils aus prächtigen Korallenblöcken. An einer
Biegung des Weges erschien links auf der Anhöhe ein stattlicher
Buddha-Tempel, mit Namen: Agrabuddha-Ganni, seit alten Zeiten ein
berühmter Wallfahrtsort. Gleich darauf zeigte sich zur Rechten des
Weges, von Kittulpalmen überschattet, die colossale, in dem
schwarzen Felsen ausgemeißelte Reliefstatue eines
altberühmten Königs, Cutta Raja. Sein gewaltiger Leib ist mit
einem Schuppenpanzer bedeckt und mit einer Mitra gekrönt. Er
wird in alten Chroniken nicht nur als Eroberer, sondern auch als
Wohlthäter der Insel gepriesen: namentlich soll er zuerst den
Gebraucht der Cocosnuß eingeführt haben. Bald darauf
fuhren wir durch einen kleinen Bazar und nach wenigen Schritten hielt
mein Wagen vor dem spannungsvoll erwarteten Rasthaus von
Belligemma.
Eine dichte braune Volksmenge stand voller Neugierde vor dem Thore,
welches die Umzäunung des Rasthausgartens schließt,
versammelt. Unter ihnen bemerkte ich eine Gruppe von vornehmen
Eingeborenen im höchsten Staate. Der Präsident der
Südprovinz (- oder der „Governments-Agent", wie sein
bescheidener Titel lautet -) hatte dem Befehle des Gouverneurs zufolge
dem Gemeindevorstand des Dorfes meine bevorstehende Ankunft
angezeigt, ihn angewiesen, mich bestens zu empfangen und mir in jeder
Weise behilflich zu sein. Der erste Häuptling oder der „Mudlyar",
ein stattlicher Mann von etwa 60 Jahren, mit gutmütigem,
freundlichen Mienen und starkem Backenbarte, trat auf mich zu und
begrüßte mich mit einer feierlichen Anrede in gebrochenem
Englisch; er versicherte mir in höflichster und würdigster
Form, daß sein ganzer „Korle" oder Dorfbezirk sich durch meinen
Besuch hochgeehrte fühle und daß die 4000 braunen
Bewohner desselben sich bemühen würden, mir den
Aufenthalt recht angenehm zu machen; er selbst sei jeder Zeit zu
meinem Dienste bereit. Ein kräftiger Pauken- und Trommeltusch,
ausgeführt, von mehreren im Hintergrunde kauernden Tam-Tam-
Schlägern, bekräftige am Schlusse der feierlichen
Empfangsrede deren officielle Bedeutung.
Nachdem ich geantwortet und gedankt hatte, folgte die Vorstellung der
Honorationen, welche das feierliche Gefolge des Mudlyar bildeten: des
zweiten Häuptlings (Aretschi), des Zolleinnehmers oder Collectors
und des Doctors; an diese wichtigen Regierungsbeamten schlossen sich
dann noch mehrere der angesehensten Einwohner des Dorfes an, Alle in
liebenswürdigster Weise mich ihres guten Willens und ihrer
hilfsbereiten Unterstützung versichernd. Ein Trommeltusch der
Tam-Tam-Schläger am Schlusse jeder Rede diente dazu, ihre
schönen Versprechungen zu besiegeln. Der Doctor und der
Collector, die beide geläufig Englisch sprachen, dienten mir als
Dolmetscher zum Verständniß der singhalesischen Reden. Die
umgebende Volksmasse hörte mit stiller Spannung zu und
musterte meine Person und meine Reiseeffecten mit größtem
Interesse.
Die ganze Empfangsfeierlichkeit war um so seltsamer, als die Tracht der
meisten Standesbeamten von Belligemma ein komisches Gemisch von
europäischem und singhalesischem Costüm zeigte; das
erstere für die obere, das letztere für die untere Hälfte
des Körpers bestimmt. Fangen wir von oben an, so erfreut unser
Auge zunächst ein hoher englischer Cylinderhut, unter allen
Kopfbedeckungen unzweifelhaft die häßlichste und
unpraktischste. Da die Singhalesen aber sehen, daß bei allen
feierlichen Gelegenheiten die Europäer dieses Cylinder-Epithel als
ein unentbehrliches Emblem des höheren Gentleman betrachten,
und dasselbe selbst bei der größten Hitze nicht fehlen darf, so
würden sie es für einen gewaltigen Etiquettefehler halten,
auf diese sonderbare Zierde zu verzichten. Das gutmüthige braune
Gesicht, welches dieser schmalkrämpige Schornstein nur wenig
beschattet, wird von einem stattlichen schwarzen Backenbart
eingerahmt; dieser ist am Kinn in der Mitte ausgeschnitten und
beiderseits von mächtigen weißen, oben spitz vorspringenden
„Vatermördern" überragt; darunter ein buntseidnes Halstuch
in zierlicher Schleife. Endlich fehlt nicht der schwarze Frack mit
schmalen Schößen, ebenso wenig wie die weiße Weste
darunter, mit bunten Steinen und Goldschmuck verziert. Dagegen prangt
nun an Stelle der Beinkleider die echt nationale Bedeckung der unteren
Körperhälfte der Singhalesen, der rothe oder rothbunte
Comboi - eine breite Schürze, die an den rothen Rock der
deutschen Bauernmädchen erinnert. Die zierlichen kleinen
Füße, die darunter hervorschauen, entbehren jeder
Bedeckung oder sind nur durch Sandalen geschützt.
Nach dem ersten freundlichen Empfange, der alles Gute versprach,
führte mich mein neuer Beschützer in feierlichem Zuge
durch das Thor in den lieblichen, von einer niedrigen weißen
Mauer umschlossenen Garten des Rasthauses. Der erste Anblick des
letzteren übertraf meine Erwartungen: ein stattliches,
einstöckiges, steinernes Gebäude, von einer Veranda
umgeben, deren weiße Säulen ein weit vorspringendes
Ziegeldach tragen. Der weite grüne Rasenplatz vor seiner breiten
Ostfront ist in der Mitte mit einem prachtvollen Tiek-Baume geziert,
dessen säulengleicher runder Stamm wohl 80-90 Fuß
Höhe erreicht. Die kletterenden Leguminosen, die denselben
umschlingen, lassen oben an den aufstrebenden Zweigen reizende
Festons herabfallen. An der Südseite des Rasthauses weideten ein
paar Kühe friedlich auf dem grünen Rasen, der hier von
einem halben Dutzend der prachtvollsten Brodfruchtbäume
überschattet ist; während der knorrige dicke Stamm der
letzteren und die mächtige Krone mit ihren weithinragenden
Aesten an die schönsten Prachtexemplare unserer deutschen
Eichen erinnern, verleihen ihnen dagegen die colossalen, dunkel
glänzenden und tief eingeschnittenen Blätter, sowie die
gewaltigen hellgrünen Früchte, ein weit stolzeres und
imposanteres Aussehen.
Zwischen den dunklen Kronen dieser herrlichen Artocarpus-Riesen
öffnit sich die freundlichste Aussicht auf das sonnige, fast
kreisrunde Hafenbecken von Belligemma, auf dem soeben zahlreiche
Boote mit vollen Segeln vom Fischfange zurückkehren; das
langgestreckte felsige Vorgebirge gegenüber, im Süden, ist
theils mit Djungle, theils mit Cocoswald bedeckt; die Hütten des
Fischerdorfes Mirissa schimmern von seinem weißen Strande
herüber. Unmittelbar vor dem Rasthause aber, kaum zwei Minuten
entfernt, liegt eine liebliche kleine Felseninsel,
G a n - D u v a ,
ganz mit den schönsten Cocospalmen geschmückt.
Indem wir weiter um das Rasthaus herumgehen, treten wir in den
Fruchtgarten voll lachender Bananen und Manihotstauden, der sich
westwärts hinter demselben ausdehnt und an einen dicht
bewaldeten Hügel anlehnt. Ein Nebengebäude an seinem
Fuße enthält die Küche und einige
Vorrathsräume, die mir für meine Sammlungen sehr zu
Statten kamen. Der erwähnte Hügel erhebt sich an der
Nordseite des Rasthausgartens zu einer steilen Lehne, über der
sich der dichteste, von Affen und Papageien bevölkerte Waldpark
ausdehnt, während ihre Gehänge mit dem üppigsten
Buschwerk verziert und von einem Teppich dichter Kletterpflanzen
überwuchert sind.
Von der reizenden Lage und der idyllischen Umgebung des Rasthauses
gleich beim ersten Anblick entzückt, wollte ich voll Spannung
über die breite Freitreppe an der Ostfront in das Innere eintreten.
Da empfing mich unten an der Treppe mit einer neuen
Begrüßungsrede (- halb Englisch, halb Pali -) der Verwalter
meines neuen Wohnsitzes, der alte „Resthaus-Keeper". Beide Arme
über der Brust gekreuzt, den braunen Oberkörper tief
übergebeugt, fast knieend, näherte sich mir der
würdige alte Greis mit der unterwürfigsten Miene und bat
mich, mit dem einfachen Unterkommen in Belligemma fürlieb zu
nehmen; was das Dorf von Reis und Curry, von Früchten und
Fischen biete, das wolle er mir reichlichst spenden; an Cocosnüssen
und Bananen sei kein Mangel. Im Uebrigen solle ich Alles erhalten, was
überhaupt hier zu bekommen sei; und am bereitwilligsten Dienste
solle es nicht fehlen. Diese und andere schöne Dinge versprach mir
der alte Mann in wohlgefügter Rede, die sogar mit einigen
philosophischen Sentenzen gewürzt war. Indem ich nun dabei in
sein gutmüthiges breites Gesicht sah und unter den kleinen Augen
die kurze, breite, aufgestülpte Nase betrachtete und unter den
dicken Lippen den langen wirren Silberbart, file mir plötzlich die
bekannte Büste des alten Sokrates ein, die in manchem
Stück an einen Satyrkopf erinnert; und da ich den langen
singhalesischen Namen meines philosophischen Wirthes nicht behalten
konnte, nannte ich ihn schlechtweg
S o k r a t e s .
Diese Umtaufung rechtfertigte sich später um so mehr, als der
weise Alte in der That sich vielfach als Philosoph erwies; auch stand er
mit der Reinlichkeit auf sehr gespanntem Fuße, was - wenn ich
nicht irre - nicht minder bei seinem griechischen Vorbilde der Fall war.
Nun schien es, als ob ich gleich beim Eintritte in mein idyllisches Heim
die vertrauten Eindrücke des classischen Alterthums nicht los
werden sollte. Denn als mich Sokrates über die Freitreppe in den
offenen Mittelraum des Rasthauses hineinführte, stand da mit
erhobenen Armen, in einer betenden Stellung, eine reizende, nackte,
braune Figur, die nichts Anderes sein konnte, als die berühmte
Statue des betenden Knaben, des „Adoranten". Wie erstaunte ich aber,
als die zierliche Broncestatue plötzlich lebendig wurde, die Arme
senkend vor mir niederkniete, die schwarzen Augen bittend zu mir
aufschlug und dann stumm in demüthigster Weise das
schöne Haupt neigte, so daß die langen schwarzen Locken auf
den Boden herabfielen. Sokrates belehrte mich, daß dieser Knabe
ein Pariah sei, ein Angehöriger der niedersten Kaste, der „Rodiah",
der frühzeitig seine Eltern verloren, und dessen er sich daher aus
Mitleid angenommen habe. Er sei ausschließlich für meinen
persönlichen Dienst bestimmt, habe den ganzen Tag nur auf meine
Wünsche zu achten, und sei ein guter Junge, der sicher seine
Pflicht ordentlich üben werde. Auf die Frage, wie ich meinen
neuen Leibpagen denn zu rufen habe, antwortete mir der Alte, daß
er
G a m a m e d a 
; (oder „Mittendorf") heiße (Gama = Dorf, Meda = Mitte).
Natürlich fiel mir dabei sofort
G a n y m e d e
s ein, denn einen edleren Körperbau, ein feineres Ebenmaß
der zierlichen Glieder konnte der schöne Liebling des Zeus wohl
nicht besessen haben. Da nun Gamameda gerade als Mundschenk eine
vorzügliche Fertigkeit entwickelte, und es sich nicht nehmen
ließ, mir jede Cocosnuß selbst zu öffnen, jedes Glas
Palmenwein selbst einzuschenken, so war es gewiß nur
gerechtfertigt, daß ich ihn Ganymedes nannte.
Unter den vielen schönen Figuren, welche in meiner Erinnerung
das Paradies von Ceylon beleben, ist Ganymedes mir eine der liebsten
und werthesten geblieben. Denn nicht allein erfüllte er seine
Dienstpflichten mit der größten Aufmerksamkeit und
Gewissenhaftigkeit, sondern entwickelte auch bald eine besondere
Anhänglichkeit und Diestwilligkeit für meine Person, die
mich wahrhaft rührte. Der arme Junge war bisher, als
unglückliches Glied der Rodiah-Kaste schon von Geburt an der
tiefsten Verachtung seiner Landsleute geweiht, Gegenstand vielfacher
Rohheiten und selbst Mißhandlungen gewesen; mit Ausnahme des
alten Sokrates (- der ihn übrigens auch ziemlich barsch behandelte
-) hatte sich vielleicht noch Niemand seiner angenommen. Es war daher
offenbar für ihn ebenso überraschend als beglückend,
daß ich ihm von Anfang an freundlich entgegenkam. Ganz
besonders dankbar aber erwies er sich für folgenden kleinen
Dienst. Wenige Tage vor meiner Ankunft hatte er sich einen Dorn tief in
den Fuß gestochen; beim Herausziehen desselben war ein
Stück abgebrochen und in der Wunde stecken geblieben. Ich
entfernte denselben durch eine ziemlich mühsame Operation und
behandelte die schmerzhafte Wunde mit Carbolsäure so
glücklich, daß sie schon nach kurzer Zeit geheilt war. Seitdem
folgte mir Ganymed wie mein Schatten und suchte mir alle
Wünsche von den Augen abzusehen. Kaum hatte ich mich
früh von meinem Lager erhoben, so stand er schen vor mir mit
der frisch geöffneten Cocosnuß, aus der er mir den
kühlen Labetrunk des Morgens kredenzte. Bei Tisch verwendete
er kein Auge von meinen Bewegungen und wußte immer schon im
Voraus, was ich begehrte. Beim Arbeiten putzte er meine Instrumente
und die Gläser für das Mikroskop. Glücklich aber war
Ganymed, wenn es hinaus in den Cocoswald oder an den Seestrand ging,
zum Malen und Sammeln, Jagen und Fischen. Wenn ihm dann erlaubte,
den Malkasten oder die photographische Camera zu tragen, das
Jagdgewehr oder die Botanisirtrommel umzuhängen, dann schritt
er mit strahlendem Antlitz hinter mir her, stolz herabblickend auf die
verwunderten Singhalesen, die in ihm nur den unwürdigen Rodiah
gesehen hatten und eine derartige Auszeichnung für unbegreiflich
fanden. Besonders ärgerlich war darüber mein Dolmetscher,
der neidische William; er suchte den guten Ganymed bei jeder
Gelegenheit anzuschwärzen, überzeugte sich aber bald,
daß ich meinem Liebling kein Leid anthun lasse. Viele
hübsche und werthvolle Erwerbungen meiner Sammlung
verdanke ich nur dem unermüdlichen Eifer und der
Geschicklichkeit des letzteren. Mit dem scharfen Auge, der geschickten
Hand und der flinken Behendigkeit der singhalesischen Kinder
wußte er sich ebenso des fliegenden Schmetterlings wie des
schwimmenden Fisches zu bemächtigen, und
bewunderungswürdig war seine Gewandtheit, wenn er auf der
Jagd katzengleich einen hohen Baum erkletterte oder in das dichte
Djungle sprang, um die hineingefallene Jagdbeute herauszuholen.
Die Rodiahkaste, zu welcher Gamameda gehörte, ist zwar rein
singhalesischen Ursprungs, wird aber von allen allen Bewohnern der
Insel (- trotzdem hier das Kastenwesen lange nicht so schroff als auf
dem indischen Festlande entwickelt ist -) als eine sehr tief stehende
verachtet, gleich den Pariah. Die Angehörigen derselben treiben
meistens nur Gewerbe, welche als verächtlich gelten; dazu
gehört sonderbarer Weise das Waschen. Kein Indier höherer
Kaste wird mit einem Rodiah in nähere Gemeinschaft treten. Als
ob aber die gütige Mutter Natur das schwere Unrecht, das so
einem ihrer Kinder geschieht, wieder gut machen wollte, hat sie die
armen verstoßenen Rodiah nicht allein mit der großen
Glücksgabe der Zufriedenheit und Genügsamkeit
ausgestattet, sondern ihnen auch das anmuthige Geschenk eines
besonders schönen Körperbaues verliehen; und da sie nur
die nothdürftigste Kleidung tragen, hat man stets Gelegenheit,
denselben zu bewundern. Sowohl die Knaben und die Jünglinge als
auch die jungen Mädchen sind durchschnittlich von stattlicherem
Wuchs und edlerer Gesichtsbildung, als die übrigen Singhalesen;
vielleicht ist es gerade dieser Umstand, der den Neid und Haß der
letzteren erregt.
Im Allgemeinen ist auf Ceylon überhaupt das starke Geschlecht
zugleich das schöne; und ganz besonders zeichnen sich Knaben
durch einen gewissen schwärmerischen Ausdruck der edlen
arischen Gesichtszüge aus. Vorzüglich spricht sich dieser in
dem feingeschnittenen Munde und in dem tiefdunklen, seelenvollen
Auge aus, welches mehr verspricht, als das Gehirn hält; dazu ist
das schöne Oval des Gesichts von einer dichten Fülle langer
rabenschwarzer Locken eingerahmt. Da die Kinder beiderlei Geschlechts
(wenigstens auf den Dörfern) bis zum achten oder neunten Jahre
ganz nackt gehen oder nur einen schmalen Lendenschurz tragen, so
bilden sie die passendste Staffage zu der paradiesischen Landschaft; oft
meint man lebendige griechische Statuen vor sich zu haben. Ransonnet
hat auf Taf. IV seines Werkes über Ceylon in der Abbildung eines
vierzehnjährigen Knaben Siniapu jene charakteristischen
Züge sehr gut wiedergegeben. Diesem ganz ähnlich war auch
Gamameda, nur hatten seine Züge noch etwas Weicheres und
Mädchenhafteres, erinnernd an Mignon.
Im Alter verliert sich der Reiz jener milden und anmuthigen
Gesichtsbildung ganz, besonders beim weiblichen Geschlecht, und es tritt
eine gewisse Härte oder Stumpfheit und Ausdruckslosigkeit an
deren Stelle. Oft springen auch die Knochentheile des Gesichts dann sehr
unangenehm hervor. Ein auffallendes Beispiel solcher
Häßlichkeit bot der alte
B a b u a , die dritte
Persönlichkeit, die sich mir im Rasthause vorstellte, und zwar als
dessen Koch. Der hagere Alte mit seinen dürren Gliedern entsprach
keineswegs dem behaglichen Bilde, welches wir uns gewöhnlich
von einem wohlbeleibten Koch machen; vielmehr erinnerte er an die
vierhändigen Vorfahren des Menschengeschlechts; und wenn er
den breiten Mund seines hageren, dunkel broncegelben Gesichts zu
einem grinsenden Lächeln verzog, bekam er viel Aehnlichkeit mi
tienem alten Pavian. Es war daher ein komischer Zufall, daß der
Name Babuin in der That der systematische Name einer broncefarbigen
Pavianart ist (Cynocephalus Babuin). Im Uebrigen war der alte
„Hundskopf" mit sinem mächtigen Unterkiefer und der niedrigen
Stirn (- vielleicht mit einem Antheil Negerbluts in seinen Adern -) ein
sehr harmloser und gutmüthiger Gesell. Sein Ehrgeiz war
befriedigt, wenn er mir zu dem tagtäglich zweimal aufgetragenen
Reis irgend eine neue Curry-Art als Würze vorsetzte und ich
dieselbe lobte. Etwas mehr Reinlichkeit in seiner primitiven Küche
wäre freilich bei ihm ebenso wie bei Sokrates sehr
erwünscht gewesen.
Zu diesen drei ständigen Bewohnern des Rasthauses kam nun noch
als vierter dienstbarer Geist mein Dolmetscher, Namens
W i l l i a m . Ich
haatte denselben (zunächst für einen Monat) in Punto-Galla
engagirt. Meine englischen Freunde hatten mir dort zwar, der
Landessitte entsprechend, gerathen, mehrere Diener für den
Aufenthalt in Belligemma zu miethen: einen als Dolmetscher, einen
zweiten als Jäger, einen dritten als Leibdiener u. s. w. Ich hatte
aber schon zu viel von der Last und dem Aerger der vielen Diener in
Indien kenne gelernt, um an dieser übertriebenen Arbeitstheilung
Gefallen zu finden, und war daher froh, in William einen Mann zu
treffen, der sich bereit erklärte, die Functionen des Dolmetschers,
des Leibdieners und des Assistenten gemeinschaftlich auszuüben.
Er war mehrere Jahre Soldat und Officiersbursche gewesen, besaß
gute Zeugnisse darüber und war ein leidlich gewandter und
gutwilliger Gehilfe. Als echter Vollblut-Singhalese hatte er allerdings
eine ausgesprochene Scheu vor Arbeit im Allgemeinen, und vor harter
Arbeit im Besonderen; auch hielt er es für zweckmäßig,
für jede Arbeitsleistung so viel Zeit und so wenig Kraft als
möglich aufzuwenden. Das Hauptinteresse des Tages concentrirte
sich für ihn, wie für jeden singhalesischen Jüngling, in
der kunstgerechten Herstellung seiner Frisur. Die langen schwarzen
Haare zu waschen und kämmen, dann zu trocknen und mit
Cocosöl zu salben, darauf in einen regelrechten Zopf aufzuwinden
und diesen mit einem großen Schildpattkamm zu befestigen, das
war für William das wichtige Drama in sechs Acten, zu dessen
Aufführung er jedem Morgen mehrere Stunden brauchte. Um sich
von dieser Anstrengung zu erholen, hatte er dann mehrere Stunden
Ruhe nöthig. Seine Hauptaufgaben als Dolmetscher und als
Wärter der Kleider und Wäsche erfüllte er mit
großer Gewissenshaftigkeit; hingegen wies er mit großer
Indignation jede Zumuthung anstrengender mechanischer Arbeit von
sich, indem er würdevoll versicherte, daß er kein „Kuli" sei.
Im Uebrigen besorgte er seine leichte Hausarbeit mit ziemlicher
Geschicklichkeit und half namentlich gern beim Arbeiten mit dem
Mikroskop.
Die schöne Leserin wird nun vermuthlich neugierig nach den
weiblichen Bewohnern des Rasthauses von Belligemma fragen; ich
muß aber bedauern, von diesen Nichts melden zu können,
aus dem einfachen Grunde, weil keine vorhanden waren. Nicht allein die
Köchin Babua und Zimmermädchen William, sondern auch
die Waschfrau, die jede Woche meine Wäsche abholte, um sie auf
Steinen im Flusse weiß zu klopfen, - sie alle waren
männlichen Geschlechts, wie überhaupt fast alle Dienstboten
in Indien. Auch sonst war in Weli-Gama vom schönen Geschlechte
fast Nichts zu sehen; doch darüber später!
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Stueber