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Kapitel V

Kaduwella

Die Fülle von neuen, herrlichen und großartigen Eindrücken, welche die erste Woche meines Aufenthaltes auf Ceylon mir brachte, wurde gekrönt durch eine reizende Excursion, welche meine Freunde am 27. November nach Kaduwella veranstalteten. Es war mein erster Sonntag auf der Insel, und obgleich die mannigfaltigen Naturgenüsse der vorhergegangenen Wochentage mir jeden derselben als einen Festtag erscheinen ließen, so wurde doch meine festliche Stimmung durch die Erlebnisse dieses ersten Feiertages noch ganz besonders gesteigert. Der Ausflug nach Kaduwella war zugleich die erstere größere Excursion in die weitere Umgebung von Colombo, und da die Scenerie, die ich hier zum ersten Male sah, sich in wesentlich gleich bleibendem Charakter im größten Theile des Flachlandes der Südwestküste wiederholt, so will ich gleich hier dieselbe kurz zu schildern versuchen. Kaduwella ist ein singhalesisches Dorf, welches am linken (südlichen) Ufer des Kelanyflusses liegt, zehn englische Meilen von Whist-Bungalow entfernt. Der schöne Fahrweg (der sich weiterhin nach Awisawella und bis zum Fort Ruanwella fortsetzt), führt bald unmittelbar an dem waldigen Flußufer hin, bald nur in geringer Entfernung von demselben, die mannigfaltigen Biegungen des Flusses abschneidend. Gleich allen Fahrwegen auf der Insel, welche viel benutzt werden, befindet sich auch dieser in ausgezeichnetem Zustande; und ist doppelt anzuerkennen, da die heftigen und häufigen Regengüsse beständig viel Erde wegschwemmen und die gute Instandhaltung der Wege erschweren. Die englische Regierung betrachtet aber hier, wie in allen Colonien, die Einrichtung und Erhaltung guter Communicationsmittel mit Recht als eine ihrer ersten und wichtigsten Aufgaben; und es spricht für ihr unvergleichliches Colonisationstalent, daß sie keine Mühe und keine Kosten scheut, um dieser Anforderung, selbst den schwierigsten Hindernissen der Terrainformation und des Tropenklimas gegenüber, gerecht zu werden. Meine Gastfreunde von Whist-Bungalow und einige andere deutsche Landsleute, welche damals in dem benachbarten schönen (auch von Sir Emmerson Tennent lange Zeit inne gehabten) Eliehaus wohnten, hatte alle Vorbereitungen getroffen, um unsere Excursion auch in gastronomischer Beziehung möglichst angenehm zu gestalten. Alle festen und flüssigen Körper, welche für ein opulentes Gabelfrühstück erforderlich sind, sowie unsere Jagdgewehre mit Munition, Gläser und Blechbüchsen zum Sammeln etc. waren in dem kleinen, offenen, einspännigen Kaleschen verpackt, die hier fast jeder Europäer besitzt und die gewöhnlich von einem munteren Pony birmanischer Abkunft oder auch von einem stärkeren Pferde australischer Rasse gezogen werden; fast alle Reit- und Kutschpferde der Insel werden vom indischen Festlande oder von Australien eingeführt, da die Pferdezucht auf Ceylon selbst nicht gedeiht, europäische Pferde aber das Klima sehr schlecht vertragen und bald unbrauchbar werden. Die kleinen Ponies von Birma laufen vortrefflich, wenn sie auch nicht lange aushalten; mit zehn englischen Meilen (2-3 Fahrstunden) ist ihre Leistungsfähigkeit in der Regel erschöpft. Die Kutscher sind gewöhnlich schwarze Tamils (Malabaren), in weiße Jacken gekleidet, mit rothem Turban; sie laufen mit erstaunlicher Ausdauer hinter dem Wegen her oder stehen nur zeitweise auf dessen Trittbrett; sie müssen beständig laut ausrufen, da sowohl die Singhalesen (besonders die alten Leute) als auch ihre Ochsen und Hunde eine ausgeprägte Neigung besitzen, den rasch fahrenden Wagen nicht aus dem Wege zu gehen und sich überfahren zu lassen. Schon vor Sonnenaufgang verließen wir Whist-Bungalow und rollten durch die letzten Häuser der Vorstadt Mutwal und den darauf folgenden Grandpaß in das lachende, grüne Gartenland hinaus, welches sich abwechselnd mit Buschwald (Djungle), Reisfeldern und parkartigem Wiesenland meilenweit bis gegen den Fuß des Gebirges hinzieht. Die Vorstädte von Colombo, wie von allen Städten der Insel, gehen unmerklich in langgestreckte, oft stundenlange Dörfer über, und da in diesen die einzelnen Hütten der Eingebornen meist durch weite Zwischenräume getrennt sind, jede von einem zugehörigen Stück Garten-, Feld- oder Waldland umgeben, so sind die Grenzen der Dörfer oft schwer oder nur ganz künstlich zu ziehen. In dem dicht bevölkertung und gut cultivirten südwestlichen Theile des flachen Küstenlandes existirt sogar nirgends eine größere Unterbrechung, und man kann sagen, daß die ganze lange Küstenstrecke von Colombo bis Matura, bis zur Südspitze, von einem einzigen weitläufigen großen Dorfe mit indischen Hütten und Fruchtgärten, Djungeln und Cocoswald, eingenommen wird. Ueberall kehren in diesem paradiesischen Dorfgarten dieselben landschaftlichen Elemente wieder: niedrige braune Erdhütten, beschattet von Brotfrucht- und Mangobäumen, von Cocos- und Arecapalmen, und umkränzt von Pisanggebüschen; verziert mit den Riesenblättern der Caladien und Ricinus, den zierlichen Papayabäumen, Manihotstauden und anderen Nutzpflanzen. Auf Bänken vor den offenen Hütten liegen die faulen Singhalesen in süßem Nichtsthum ausgestreckt und betrachten sich ihre ewig grüne Umgebung, oder beschäftigen sich mit Ablesen kleiner weißer Insecten von ihren langen schwarzen Haaren. Nackte Kinder spielen überall am Wege oder haschen nach den bunten Schmetterlingen und Eidechsen, die denselben beleben. Zu gewissen Tageszeiten begegnet man auf den vielbefahrenen Wegen zahlreichen Ochsenkarren, kleinere einspännigen und größere zweispännigen; sie bilden das wichtigste - ja fast das einzige - Transport- und Communicationsmittel der Eingebornen. Die Ochsen gehören alle zu der Art des Zebu oder indischen Buckelochsen (Bos indicus), ausgezeichnet durch den Höcker hinten auf dem Nacken. Der Zebu tritt aber, ähnlich wie unser europäisches Rind, in vielen verschiedenen Rassen auf; eine kleine Rasse läuft recht schnell und flink. Pferde gebrauchen die Eingebornen nur selten und Esel fehlen auf Insel ganz. Dagegen sind allenthalben vor den Hütten Hunde („Pariah-Dogs" genannt) zu finden, alle von derselben Rasse, häßliche und struppige braungelbe Tiere, welche durch Form, Farbe und Benehmen ihre Abstammung vom wilden Schakal zu verrathen scheinen. Ueberall sind ferner die kleinen schwarzen Schweine (Sus indicus), daneben oft auch hochbeinige magere Ziegen, seltener Schafe anzutreffen; stets findet man vor den Häusern viele Hühner, seltener Enten und Gänse. Das sind die einfachen und stets wiederkehrenden Elemente, aus welchen sich die Dorfscenerie von Südwest-Ceylon zusammensetzt. Aber diese Elemente finden sich in so reizender malerischer Unordnung und in so unendlicher individueller Abwechselung vor; sie sind so wundervoll vom Glanze der tropischen Sonne beleuchtet und gefärbt; und der nahe Meeresstrand oder das Flußufer verleiht ihnen so viel frischen Reiz, der waldige Hintergrund, oder auch darüber noch das blaue Gebirgsland der Ferne so viel Poesie, daß man nicht müde wird, sich daran zu ergötzen, und daß sowohl der Landschafts- als der Genremaler hier eine unendliche Fülle der schönsten Motive finden würde - Motive, die auf unseren Gemäldeausstellungen der Gegenwart fast noch unbekannt sind. Von ganz besonders schöner Wirkung ist in dieser ceylonesichen Niederlandschaft die Mittelstellung, welche sie zwischen Garten- und Waldlandschaft, zwischen Cultur und Natur einnimmt. Oft glaubt man mitten im schönsten wilden Walde zu sein, rings umgeben von hohen prächtigen Bäumen, die mit Schlingpflanzen behangen und überwuchert sind. Aber eine Hütte, die ganz im Schatten eines Brotfruchtbaumes versteckt ist, ein Hund oder ein Schwein, das aus dem Gebüsch hervorkomt, spielende Kinder, die unter Caladiumblättern sich verbergen, belehren uns, daß wir nur in einem ceylonesischen Garten uns befinden. Und umgekehrt bietet der wirkliche Wald, der an letzteren anstößt, mit seiner mannigfaltigen Zusammensetzung aus den verschiedensten tropischen Bäumen, mit den Orchideen, Gewürznelken, Lilien, Malvaceen und anderen prächtigen Blüthenpflanzen, soviel Abwechslung, daß wir in einem schönen Baumgarten zu sein glauben. Diese eigenthümliche Harmonie zwischen Natur und Cultur spricht sich auch in der menschlichen Staffage dieser Waldgärten aus; denn die Einfachheit der Kleidung und Wohnung der Singhalesen in denselben ist so groß, daß sie großentheils den bekannten Beschreibungen von echten „Wilden" entsprechen, obwohl sie einem alten Culturvolk entstammen. Doppelt anziehend und malerisch erscheint das Alles in der kühlen Morgenfrühe, wenn die Strahlen der Sonne noch unter kleinen Winkeln in das Baumwerk fallen, lange Schatten der schlanken Stämmer werfen und in den gefiederten Kronen der Palmen, auf den zerspaltenen Riesenblättern des Pisang mit tausend glänzenden Lichtern spielen. Während meiner Anwesenheit, zur Zeit des Nordost-Monsun, waren die klaren Morgenstunden bei wolkenlosem Himmel und kühlender Seebrise fast immer köstlich frisch und glanzvoll, wenn auch das Thermometer meist nicht unter 20o R., selten bis 18o sank; erst zwischen 9 und 10 Uhr begann die Hitze drückend zu werden und sammelten sich die Wolken, die dann meistens nachmittags in einem heftigen Regen sich entluden. War dieser um 4 oder 5 Uhr vorüber, so erschienen dann wieder die letzten Abendstunden doppelt herrlich und erquickend, um so mehr, als gewöhnlich die sinkende Sonne das westliche Firmament mit einem Glanze vergoldete und die Abendwolken mit einer Farbengluth übergoß, die jeder Beschreibung spotten. Jedoch war gerade in diesem Jahre die Witterung keineswegs so regelmäßig wie gewöhnlich und bot vielfach Abweichungen von der Norm. Im Ganzen blieb meine Reise vom Wetter sehr begünstigt und nur an wenigen Tagen vereitelte anhaltender, schon früh beginnender Regen die Tagesordnung der Arbeit oder der Excursion, die ich mir vorgesetzt hatte. Nach einer zweistündigen, sehr unterhaltenden Fahrt langten wir in dem Dorfe Kaduwella an, welches an einer starken Biegung des Kelanyflusses sehr malerisch gelegen ist. Ganz besonders hübsch präsentirt sich auf einem erhöhten Vorsprung am Flusse, unter dem Schatten der schönsten Bäume, das Rasthaus, in dem wir abstiegen und ausspannten. „Rasthäuser" oder „ R e s t h ä u s& nbsp;e r " (Rest-houses) nennt man in Ceylon, wie in Indien, die Häuser, welche die Regierung hat errichten lassen und welche unter ihrer Aufsicht stehen. In ganz Ceylon existiren nur in drei Städten Hotels, in Colombo, Galla und Kandy. Der Eingeborne bedarf solcher nicht. Der europäische Reisende ist daher entweder ganz auf die Gastfreundschaft europäischer Ansiedler (wo solche vorhanden sind!) oder auf die Regierungs-Rasthäuser angewiesen, und letztere erfüllen in der That eins der größten Bedürfnisse. Der Wirth derselben, der von der Regierung angestellte und beaufsichtigte „Resthous-Keeper" ist verpflichtet, dem Reisenden gegen einen geringe (an die Regierung auszuzahlende) Entschädigung ein Zimmer mit Bett (meistens für eine Rupie = zwei Mark) zu überlassen, sowie auch auf Verlangen die nöthigsten Nahrungsmittel zu liefern. Preise und Qualität der letzern sind sehr verschieden; ebensowie auch die Beschaffenheit der Rasthäuser selbst. In dem südwestlichen Theile der Insel, wo ich hauptsächlich reiste, fand ich sie im Allgemeinen gut und preiswürdig, so namentlich in Belligemma, wo ich später für sechs Wochen im Rasthause mein Laboratorium aufschlug. Dagegen sind die Rasthäuser in einem großen Theile des Innern, und namentlich im Norden und Osten der Insel, meistens schlecht und sehr theuer; in Newera Ellya mußte ich z. B. später für jedes Hühnerei einen halben, für jede Tasse Thee einen ganzen Schilling (=1 Mark) zahlen! Das Rasthaus von Kaduwella, das erste, welches ich sah und benutzte, gehörte zu den bescheideneren und kleineren, und wir unsern sämmtlichen Proviant mitgebracht hatten, lieferte es uns nur Stühle zum Sitzen, Wasser und Feuer zum Kochen, und in seiner offenen luftigen Veranda ein angenehmes Schutzdach gegen Sonne und Regen; auch dafür wird nach der Taxe bezahlt. (Umsonst ist in Indien nur der Tod!) Wir brachen gleich nach unserer Ankunft mit unseren Gewehren auf, um die herrlichen Morgenstunden möglichst auszunutzen. Südlich an den Kelany-Ganga stößt gleich hinter dem Dorfe ein wellenförmiges Hügelland, über welches sich die Jagdgesellschaft zerstreite. Die tiefer gelegenen Theilse desselben sind mit Graswiesen und Reisfeldern bedeckt, vielfach von Wassergräben und Canälen durchschnitten und mit kleinen Seen geschmückt, inn welche letztere münden. Die höheren Theile hingegen, meistens sanft gewölbte Hügel von 100-300 Fuß Höhe, sind mit dichtem Buschwald oder dem hier allgemein so genannten „ D j u n g l e " bewachsen. Ich lernte hier zuerst diese charakteristische Form der Landschaft kennen, die auf der ganzen Insel, soweit sie nicht cultivirt ist, eine große Rolle spielt. Das Djungle ist zwar nicht eigentlicher „ U r w a l d ", d. h. uralter, nie vom Menschen betretener Wald (solcher existirt in Ceylon nur noch an sehr wenigen Stellen und in sehr geringer Ausdehnung); allein es entspricht doch unserer Vorstellung von demselben insofern, als es, bei hoher Entwicklung, eine Waldform darstellt, die aus einem dichten und undurchdringlichen Geflecht der verschiedensten Bäume besteht; diese sind ohne alle Ordnung und frei von allem menschlichen Einfluß emporgeschossen und dergestalt wild durcheinander gewachsen, von den mannigfaltigsten Schling- und Kletterpflanzen überwuchert und bedeckt, mit parasitischen Farnen, Orchideen und anderen Schmarotzern überhäuft, ihre Lücken dergestalt mit einem bunten Gewirre der verschiedensten anderen Pflanzen ausgefüllt, daß es ganz unmöglich hält, den dichten Knäuel zu entwirren und die einzelnen durcheinander geflochtenen Gestalten von einander abzulösen. Das ein solches Djungle, gut ausgebildet, ohne Axt und Feuer wirklich undurchdringlich ist, davon überzeugte ich mich schon beim ersten Versuche, in dasselbe einzudringen. Eine gute Stunde hatte ich gebraucht, um mich nur wenige Schritte in das Dickicht hinein zu arbeiten; dann aber stand ich völlig entmuthigt von weiteren Versuchen ab; zerstochen vn Moskitos, zerbissen von Ameisen, mit zerrissenen Kleidern, blutenden Armen und Beinen, verwundet von tausend Stacheln und Dornen, mit denen die Kletterpalmen (Calamus), und die Klettermalven (Hibiscus), die Euphorbien, Lantanen und eine Menge anderer Djungelpflanzen jeden Versuche abwehren, in ihr geheimnisvolles Labyrinth einzudringen. Aber umsonst war dieser Versuch doch nicht, denn ich lernte bei dieser Gelegenheit nicht allein den Charakter des Djungle im Ganzen, und besonders die Pracht seiner Bäume und Lianen kennen, sondern ich sah auch viele einzelne Pflanzengestalten und Thierformen, die für mich von höchstem Interesse waren; ich die prächtige Gloriosa superba, die giftige Kletterlilie von Ceylon mit ihrer goldrothen Krone; den stacheligen Hibiscus radiatus mit großen schwefelgelben, im Grunde violetten Blumenkelchen; umflattert von riesigen schwarzen Schmetterlingen mit blutrothen Flecken auf ihren schwanzförmigen Flügelanhängen, von metallglänzenden Prachtkäfern u. s. w. Was micht aber am meisten freute, ich stieß hier gleich im ersten Djungle, das ich auf Ceylon betrat, auf die beiden meist charakteristischen Bewohner desselben aus den beiden höchsten Thierclassen, auf Papageien und Affen. Ein Schwarm grüner Papageien flog kreischend von einem hohen, weit über das Djungle vorragenden Baume auf, als er meiner Flinte ansichtig wurde; und ebenso sprang eine Heerde großer schwarzer Affen unter knurrendem Geschrei eiligst in das Dickicht; weder von jenen noch von diesen gelang es mir, einen zu schießen; sie schienen die Wirkung des Feuergewehrs sehr gut zu kennen. Ich tröstete mich aber damit, daß der erste Schuß, den ich heute that, mir eine colossale, über sechs Fuß lange Riesen-Eidechse lieferte, den merkwürdigen, von den abergläubischen Eingeborenen sehr gefürchtete  H y d r o s a u&nbs p;r u s   s a l v a t o r&nbs p;. Das gewaltige, krokodilähnliche Thier sonnte sich auf dem Rande eines nahen Wassergrabens und der erste Schuß traf so glücklich in den Kopf, daß es augenblicklich verendete; trifft der Schuß andere Körpertheile, so springen die zählebigen Thiere gewöhnlich rasch in das Wasser und verschwinden; mit ihrem mächtigen, hart gepanzerten und scharf schneidenden Schwanze können sie sich so gut vertheidigen, daß ein Schlag desselben bisweilen eine gefährliche Wunde verursachen oder selbst ein Bein zerschmettern soll. Nachdem wir mehrere Gräben durchwatet hatten, wanderten wir durch lichtes Gehölz auf einem reizenden Pfade aufwärts zu einem bewaldeten Hügel, der durch einen  B u d d h a -  T e m p e l  berühmt ist, den Gegenstand vieler Wallfahrten. Wir trafen dabei auf mehrere Hüttengruppen, welche im dichten Waldesschatten unter den säulengleichen Stämmen riesiger Bäume (Terminalien und Sapinden) wie Kinderspiellzeuge aussahen. Weiterhin kamen wir auf eine sonnigere Lichtung, in der bunte Schmetterlinge und Vögel in großer Zahl umherflogen, besonders schöne Spechte und Waldtauben. Endlich führte uns eine Treppe zwischen Talipotpalmen aufwärts zu dem Tempel. Dieser liegt ungemein malerisch mitten in hohem Walde, unter dem Schutze eines gewaltigen Granitfelsens verborgen. Eine weite natürliche Grotte, die wahrscheinlich künstlich erweitert ist, geht tief in die Unterseite der überhängenden Felsmasse hinein. Die Säulenhalle des Tempels (mit sechs Rundbogen an der Frontseite, frei an der schmalen Giebelseite) ist so in die Grotte hineingebaut, daß der nackte Felsen nicht allein die hintere Wand des Tempels bildet, sondern auch das Material für die liegende, an letztere angelehnte Colossalstatue des Buddha selbst. Die Figur des Gottes ist in allen Buddhatempeln, welche ich auf Ceylon besucht habe, stereotyp dieselbe, ebenso wie die monotone Wandmalerei, welche an den inneren Tempelwänden Scenen aus seiner irdischen Lebensgeschichte darstellt. Dieselbe erinnert in ihrer steifen Zeichnung und den einfachen grellen (vorzugsweise gelben, braunen und rothen) Farben vielfach an die altägyptischen Wandmalereien, obwohl si eim Einzelnen sehr verschieden sind. Die liegende Colossalfigur des Buddha, die auf dem rechten Arme ruht und in ein gelbes Gewand gekleidet ist, zeigt stets den gleichen apathischen und indifferenten Ausdruck und erinnert an das starre Lächeln der alten Aegineten-Statuen. Neben den meisten Buddhatempeln findet sich eine sogenannte Dagoba, eine glockenförmige Kuppel ohne Oefnnung, deren Inneres angeblich stets eine Reliquie des Gottes einschließt. Ihre Größe ist sehr verschieden, von der einer großen Kirchenglocke bis zum Umfange der Peterskuppel in Rom. In der Nähe der Dagoba steht gewöhnlich ein großer alter Bo-Gaha oder heiliger Feigenbaum (Ficus religiosa). An vielen Orten von Ceylon gehören diese „Buddhabäume" mit ihrem mächtigen Stämmen, dem phantastisch verzweigten Wurzelwerk und der colossalen Laubkrone zu den größten Zierden der malerischen Tempelumgebung; ihre herzförmigen, zugespitzten, langgestielten Blätter sind beständig in lispelnder Bewegung, gleich unserm zitternden Espenlaube. Eine Felsentreppe hinter dem Tempel führt auf die obere Fläche des Felsens hinauf, von der man eine hübsche Aussicht über das benachbarte waldige Hügelland und weiterhin über die Ebene bis zum Flusse hat. Die nächste Umgebung des Tempels ist mit schönen Palmen- und Bananengruppen verziert, und hinter diesen bildet undurchdringliches Waldickicht mit Lianengeflecht einen geheimnisvollen Hintergrund, der Weihe des heiligen Ortes entsprechend. Vorn kauerte auf einem Felsen an der Treppe als charakteristische Staffage ein alter, kahlköpfiger Buddhapriester in gelbem Talar. Während ich eine Aquarell-Skizze aufnahm, kletterte ein singhalesischer Knabe auf eine nahe Cocospalme und holte mir einige goldgelbe Früchte derselben herab. Ich fand das säuerlichsüße kühle Wasser in ihrem Innern, die sogeannte „Cocosmilch", die ich hier zum ersten Male kostete, bei der drückenden Mittagshitze außerordentlich erquickend. Der Rückweg vom Felsentempel nach Kaduwella führte uns durch einen anderen Theil des Waldes, der wieder eine Anzahl neuer Insecten, Vögel und Pflanzen zeigte; unter Anderen den berühmten Tiek-Baum (Tectonia grandis), sowie einige Riesen-Exemplare der cactusförmigen Wolfsmilch (Euphorbia antiquorum) mit nackten, blaugrünen prismatischen Aesten. Der letzte Theil des Weges, durch sumpfige Wiesenflächen, war tüchtig heiß, und nach der Rückkehr in das Rasthaus war unser Erstes ein Schwimmbad im Flusse, eine herrliche Erquickung, auf welche das nachfolgende fröhliche Frühstück doppelt mundete. Am Nachmittage setzte ich mit Einigen aus der Gesellschaft auf einer Fähre über den Fluß und machte einen Streifzug in den Wald auf dem rechten (nördlichen) Ufer desselben. Hier lernte ich wieder ein Anzahl anderer, mir bis dahin unbekannter Pflanzenformen (namentlich Aroideen und Cannaceen) kennen und bewunderte auf's Neue den außerordentlichen Reichthum der Flora, der hier auf engem Raume ene Fülle ihrer schönsten und mannigfaltigsten Producte vereint. An den Ufern des Flusses selbst bilden herrliche Bambus-Gruppen, abwechselnd mit Terminalien, Cedrelen und Mangroven, den vorwiegenden Waldbestand. Ich schoß einige grüne Waldtauben und große Eisvögel, doppelt so groß und so glänzend als unsere einheimischen. Spät am Abend kehrten wir reich beladen mit zoologischen, botanischen und artistischen Schätzen nach Colombo zurück. Ich habe nachher noch viele genußreiche Tage im Djungle und an den Flußufern von Ceylon verlebt (und zum Theil an viel schöneren als Kaduwella war). Wie aber so oft im Leben die  e r s t e n  Eindrücke von neuen und fremdartigen Gegenständen weitaus die tiefsten und bleibendsten sind, und von späteren, stärkeren derselben Art nicht verdunkel werden, so wird mir auch der erste Tag im Djungle von Kaduwella immer unvergeßlich sein.
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