[ Inhaltsverzeichnis][ Kapitel II]

Kapitel I

Unterwegs nach Indien

Also wirklich nach  I  n  d  i e  n ? So frugen mich die Freunde in Jena und so frug ich mich selbst ich weiß nicht wie oft -, nachdem ich zu Ende des letzten Winters unter dem vollen Eindrucke unseres melancholischen norddeutschen Februar den Entschluß gefaßt hatte, den nächsten Winter im tropischen Sonnenglanze der Wunderinsel  C  e  y  l  o  n  zuzubringen. Freilich ist eine Reise nach Indien heutzutage kein Kunststück mehr; ist doch in unserer reiselustigen und reiserührigen Zeit kein Theil der Erde mehr von Touristen verschont: die entferntesten Meere durcheilen wir auf den bequemen Luxusdampfern der Gegenwart in verhältnißmäßig kurzer Zeit mit weniger Umständen und weniger Gefahren, als vor hundert Jahren die gefürchtete, heute alltägliche „Reise nach Italien" begleiteten. Selbst „die Reise um die Weit in achtzig Tagen" ist schon ein gewohnter Gedanke geworden und viele angehende Weltbürger, die das nöthige Geld dazu besitzen glauben sich durch eine solche „Weltreise" in weniger als Jahresfrist eine umfassendere und vielseitigere Bildung zu erwerben, als durch den zehnjährigen Besuch der besten Schule. Eine „Reise nach Indien" kann demnach - zumal die beste Literatur über dieses wunderbare Land in Fülle vorhanden ist - an sich keinen besonderen Anspruch auf Theilnahme mehr erheben und es bedarf wohl einer eigenen Rechtfertigung, wenn ich in diesen „Indischen Reisebriefen" die Leser einlade, mich auf meiner halbjährigen Fahrt nach und durch Ceylon freundlich zu begleiten. Dabei wirst Du, geneigter Leser, und noch mehr, verehrte Leserin, mir wohl freundlichst gestatten müssen, in meine persönlichen Interessen als Naturforscher und Naturfreund Dich hineinzuziehen; denn diese sind es ja, welche die jetzt begonnene Reise eigentlich allein in's Leben gerufen haben.

Der Wunsch, die Wunder der Tropen-Natur von Angesicht zu sehen, ist für jeden Naturforscher, der sich die Erkenntniß der organischen Lebens - Formen unseres Erdballes zur Lebens - Aufgabe gesetzt hat, eigentlich selbstverständlich; er ist einer der sehnlichsten Wünsche. Denn innerhalb der Wendekreise allein entwickelt unter dem gesteigerten Einflusse des Sonnenlichtes und der Sonnenwärme sowohl die Thierwelt als die Pflanzenwelt unserer Erde jenen höchsten und erstaunlichsten Formen-Reichthum, von welchem die Fauna und Flora unserer gemäßigten Zone nur als ein schwacher und farbloser Abglanz erscheinen. Schon als Knabe hatte ich bei meiner Lieblings - Lectüre, den alten „Reisebeschreibungen", an Nichts so große Freude, als an den Urwäldern Indiens und Brasiliens; als dann später Humboldt's „Ansichten der Natur" Schleiden's „Pflanze und ihr Leben", Kittlitz' „Vegetations-Ansichten" und Darwin's „Reise um die Erde" vor allen anderen Schriften anregend und bestimmend auf meinen Lebensplan einwirkten, da wurde „die Reise in die Tropen" mein höchster Lebenswunsch. Am ersten durfte ich hoffen, dieselbe als Arzt ausführen zu können und um ihretwillen hauptsächlich beschloß ich vor dreißig Jahren als angehender Student, dem Lieblings - Studium der Botanik und Zoologie noch dasjenige der Medicin hinzuzufügen. Aber eine lange Zeit noch sollte verstreichen, ehe der damals gehegte Reisetraum zur lebensvollen Wirklichkeit sich gestaltete !

Die verchiedenartigsten Versuche, die ich vor 25 Jahren, nach Vollendung meiner medicinischen Studien, unternahm, um als Arzt die beständig mir vorschwebende Tropenreise auszuführen, schlugen sämmtlich fehl. Ich war schließlich glücklich, als ich 1859 eine längere Reife nach Italien antreten und über ein Jahr lang an den herrlichen Ufern des reichen, mir jetzt so lieb gewordenen Mittelmeeres mich in das Studium seiner mannichfaltigen Seethier - Bevölkerung vertiefen konnte. Nach der Rückkehr drängte eine bestimmte Berufs-Pflicht und der jähe Wechsel persönlicher Schicksale die weiteren Reisepläne in den Hintergrund. Ich trat Ostern 1861 das Lehramt an der Universität Jena an, weIches ich nunmehr seit 20 Jahren bekleide. Die Ferienzeit benutzte ich jedoch meistens nach dem Vorbilde meines großen Meisters und Freundes Johannes  M ü l 1 e r  zu zoologischen Studien-Reisen an die Meeresküste. Die besondere Vorliebe für das höchst interessante Studium der niederen Seethiere, vor Allen der Pflanzenthiere und Urthiere, in welches Johannes Müller persönlich mich 1854 in Helgoland eingeführt hatte, führte mich im Laufe des folgenden Vierteljahrhunderts nach und nach an die verschiedensten Küsten von Europa. In der Vorrede zu dem 1879 erschienenen „System der Medusen" habe ich eine Uebersicht der zahlreichen Küsten - Orte, an denen ich während dieses Zeitraums fischte und beobachtete, mikroskopirte und zeichnete, zusammengestellt. Immer blieben es vorzugsweise die mannichfaltigen Küsten des unvergleichlichen, in so vielen Beziehungen einzig dastehenden Mittelmeeres, welche vor allen anderen die größte Anziehungskraft ausübten. Indessen konnte ich auch zweimal die Grenzen dieses Lieblings-Gebietes überschreiten. Den Winter 1866/67 brachte ich auf den canarischen Inseln zu, größtentheils auf der vulcanischen fast vegetationslosen Insel Lanzerote. Jm Frühjahr 1873 machte ich von Suez aus auf einem ägyptischen Kriegsschiff einen wundervollen Ausflug nach Tur, zu den Korallenbänken des Rothen Meeres, über welchen ich in meinen „Arabischen Korallen" (1875) berichtet habe. Beide Male kam ich den Wendekreisen ganz nahe und blieb nur durch wenige Breitengrade von dem Tropen - Gürtel getrennt - allerdings beide Male von einem Bezirk deselben, der gerade seinen größten Reiz, den tropischen Vegetations - Reichthum am Dürftigsten entwickelt zeigt.

Je mehr aber der Naturforscher von unserer schönen Erden-Natur sieht und genießt, desto begieriger wird er nach weiterer Ausdehnung des Gesichtskreises. Nach einem herrlichen Herbst- Aufenthalte, den ich im Jahre 1880 auf dem SchIosse Portofino bei Genua, Dank der gütigen Gastfreundschaft des dortigen englischen Consuls, Mr. Montague-Brown, genossen hatte, kehrte ich gesättigt mit einer Fülle interessanter zoologischer und botanischer Erfahrungen nach dem stillen kleinen Jena zurück Aber schon wenige Wochen später führte mir der Zufall das hübsche Werk über  C e y l o n  von dem Wiener Maler  R a n s o n n e t   wieder in die Hand, und gerade die schönen Erinnerungen an Portofino ließen mir nun die großartigen, früher schon oft mit besonderer Sehnsucht betrachteten Naturwunder der indischen Zimmet-Insel doppelt reizend und begehrenswerth erscheinen. Ich schlug im Cursbuch die verschiedenen Routen nach Indien nach und ersah zu meiner Freude, daß der „Kampf um's Dasein" zwischen den verschiedenen indischen Dampfer-Linien die hohen Fahrpreise seit einigen Jahren sehr bedeutend herabgedrückt und voraussichtlich in gleichem Maße auch die mancherlei Unannehmlichskeiten der Reise vermindert hatte. Ganz besonders einladend aber erschien mir die Notiz, daß jetzt auch der österreichische Lloyd in Triest eine doppelte Dampfer-Linie nach Indien unterhält und daß beide Ceylon berühren. Von vielen Mittelmeer- Reisen her standen gerade die österreichischen Lloyd-Schiffe bei mir in bestem Andenken und durch ihre Benutzung durfte ich hoffen, meinen Zweck am sichersten, bequemsten und leichtesten zu erreichen.

Die Seereise von Triest über Aegypten und Aden nach Ceylon nimmt ungefähr 4 Wochen in Anspruch; davon kommen etwa 6 Tage auf die Strecke von Triest bis Port-Said, 2 Tage auf den Suez-Canal, 6 Tage auf das Rothse Meer und 11 Tage auf den indischen Ocean von Aden bis Ceylon.

3-4 Tage Aufenthalt fällt auf die berührten Stationen. Wenn ich also einen halbjährigen Urlaub erhielt, konnte ich 2 Monate auf die Hin- und Rückreise rechnen, 4 Monate auf den Aufenthalt in Ceylon selbst. Bei dem gesunden Klima und den geordneten Verhältnissen dieser schönen Insel bot die Reise keinerlei besondere Gefahren. Sodann bedachte ich weiter, daß ich im 48. Lebensjahre stehe und daß es somit an der Zeit sei, die Reise bald auszuführen, wenn sie überhaupt noch zur Ausführung kommen sollte. Umstände verschiedener Art, sie nicht hierher gehören, begünstigten einen raschen Entschluß und so entwarf ich mir denn zu Ostern 1881 den bestimmten Plan der Reise und begann alsbald zur Ausführung desselben zu schreiten. Der erforderliche Urlaub und eine ansehnliche Summe zur Anlegung einer Sammlung von indischen Naturalien wurde mir von der Großherzoglichen Staatsregierung in Weimar gern bewilligt. Um mich genügend dür die möglichste Ausbeutung der kurzen Reisezeit vorzubereiten, las ich die wichtigsten Werke, die über Ceylon und seine Natur-Producte bisher erschienen sind, vor Allem die treffliche und auch heute noch grundlegende Darstellung in  C a r l   R i t t e r' s  classischer „,Erdkunde" (Ostasien, Fünfter Band), Sodann das Hauptwerk des Engländers Sir Emerson Tennent: Ceylon, An account of the Island, physical, historical and topographical. London, 1860. Außerdem verglich ich eine Anzahl älterer und neuerer Reisebeschreibungen, welche Angaben über die Insel enthalten.

Weiterhin wurde der Apparat von Instrumenten und Utensilien zum Beobachten und Sammeln von Thieren, welcher mich stets auf meinen Reisen an die Meeresküste begleitet, auf's Neue hergerichtet, ergänzt und ansehnlich erweitert. Auch benutzte ich den Sommer zum Erlernen und Einüben einiger neuer, mir bisher unbekannter Künste, welche gerade für diese Reise befonders nützlich und wünschenswerth erschienen, als da sind: Oelmalerei, Photographie, der Gebrauch des Jagdgewehres, des Löthkolbens u. s. w. Da der klimatischen Verhältnisse wegen der Antritt der Reise vor Mitte October nicht räthlich erschien, verbrachte ich die Herbstferien noch in Jena, mit Zurüstungen aller Art und mit der Verpackung des umfangreichen Apparates beschäftigt. Obgleich meine speciellen Reifezwecke sich auf den engeren Kreis meiner Lieblingsstudien, besonders der Urthiere und Pflanzenthiere, beschränken sollten, so gab es immerhin genug andere naturwissenschaftliche Aufgaben, von denen ich einige vielleicht nebenbei fördern konnte und auf deren Behandlung ich mehr oder minder vorbereitet sein mußte.

Der Naturforscher, welcher heutzutage die Meeresküste aufsucht, um dort Untersuchungen über deren Thier- und Pflanzen-Leben anzustellen, kann nicht mehr mit einem Mikroskope, einem Präparir-Besteck und einigen anderen einfachen Instrumeuten sich begnügen, wie das noch vor 20, ja noch vor 10 Jahren möglich war. Die Methoden der biologischen und insbesondere der mikroskopischen Untersuchung haben sich in den letzten beiden Decennien außerordentlich entwickelt und vervollkommnet; ein verwickelter und umfangreicher Apparat von Werkzeugen der verschiedensten Art ist erforderlich, um nur einigermaßen den heute gestellten Aufgaben zu genügen.

Nicht weniger als 16 Kisten und Koffer waren es, welche ich in Triest für meine Reise einschiffte. Davon waren 2 Kisten bloß mit den nöthigsten wissenschaftlichen Büchern gefüllt, 2 andere enthielten die Mikroskope, die physikalischen und anatomischen Instrumente. In 2 Kisten waren die Apparate zum Sammeln und die Mittel zum Conferviren des Gesammelten verpackt, verlöthete Blechbüchsen mit verschiedenen Alkoholen und anderen Conservations - Flüssigkeiten, Carbolsäure, Arsenik etc. Diesen schlossen sich 2 andere Kisten an, welche bloß Gläser (einige tausend Stück) enthielten, sowie 2 Kisten mit Netzen und Fang-Apparaten aller Art, Schleppnetzen und Scharrnetzen zum Abkratzen des Seebodens, Mullnetzen und Schöpfnetzen zum Fang an der Meeres-Oberfläche. Eine besondere Kiste enthielt den photographischen Apparat, eine zweite die Utensilien zum Oelmalen und Aquarelliren, Zeichnen und Schreiben; eine dritte war gefüllt mit 40 in einander geschachtelten Blechkisten, so eingerichtet, daß ich die flachen Blechdeckel der würfelförmigen Kisten, nachdem diese mit Thieren gefüllt waren, mit leichter Mühe selbst auflöthen konnte; eine vierte Kiste enthielt ausschließlich die Munition für meine doppelläufige Jagdflinte: tausend Stück Patronen verschiedenen Kalibers. Die meisten der 14 Kisten waren mit Blech ausgeschlagen und zugelöthet, um auf alle Fälle ihren Inhalt während der längeren Seereise vor der verderblichen Nässe zu schützen. In 2 Blechkoffern endlich hatte ich die für die halbjährige Reise erforderlichen Kleidungsstücke und Wäsche untergebracht.

Angesichts dieser ansehnlichen Ausstattung, deren Zurüstung und Verpackung mir schon in Jena Sorge und Arbeit genug gemacht hatte, darf ich es wohl als ein besonderes Glück betrachten, daß ein Wunsch nicht in Erfüllung ging, den ich bei Beginn meines Unternehmens mit besonderer Wärme in's Auge gefaßt hatte. Bekanntlich haben unter allen Erforschungen des Meeres-Lebens in der neueren Zeit keine so großartige und überraschende Resultate zu Tage gefördert, als die Unter suchung der  T i e f s e e , welche wir in erster Linie den englischen Zoologen, Sir Wyville Thomson, Carpenter, John Murray, Moseley und Anderen verdanken. Während noch vor 20 Jahren der tiefe Ocean für leblos galt und allgemein das Dogma herrschte, daß unterhalb 2000 Fuß das organische Leben in den Meerestiefen überhaupt aufhöre, lehrten uns die großartigen Tiefsee - Forschungen der Engländer während des letzten Decenniums das Gegentheil. Es ergab sich, daß die Tiefen des Oceans, soweit man dieselben bis jetzt erforschen konnte, bis zu 27,000 Fuß hinab, mit Thieren der verschiedensten Classen reich bevölkert sind, und zwar mit Thieren, die größtentheils bisher völlig unbekannt waren und die in verschiedenen Tiefen-Zonen ähnliche Verschiedenheiten darbieten, wie die Flora-Gürtel in verschiedenen Gebirgshöhen.

Nun betreffen aber die bisherigen Tieffee-Untersuchungen, vor allen die denkwürdigen und unvergleichlichen Forschungen der "Challenger-Expedition", zum größten Theil den atlantischen Ocean, zum kleineren einige Abschnitte des pacifischen Oceans; hingegen wurde das ungeheure Gebiet des indischen Oceans von ihnen nicht berührt, oder nur eben im südlichsten Theile gestreift. Ein ungeahnter Reichthum von neuen, bisher unbekannten Tiefsee-Bewohnern wird zweifellos von demjenigen Naturforscher entdeckt werden, welcher das Glück haben wird, zum ersten Male das vervollkommnete Tiefsee - Netz der Gegenwart in die unerforschten Tiefen des indischen Oceans zu senken. Nun war es gewiß verzeihlich, daß sich beim ersten Entwurf meines Reiseplanes bereits in mir der Wunsch regte, jenen unbekannten Schatz zu heben. Warum sollte ich nicht der Erste sein, der einen Versuch dazu machte, einen mißlungenen Versuch vielleicht (- wie so viele andere ! -) aber doch einen ersten Versuch ! Freilich sind aber Tiefsee - Untersuchungen ein sehr kostspieliges Vergnügen, selbst wenn man dieselben - wie ich gethan haben würde - nur in möglichst einfacher und billiger Form unternimmt. Auf keinen Fall konnte ich daran denken, einen solchen Versuch mit meinen bescheidenen Privatmitteln zu unternehmen; wohl aber konnte ich versuchen, Mittel für jenen Zweck aus solchen Instituten zu erhalten, welche eigens zur Förderung wissenschaftlicher Unternehmungen gegründet sind. In Deutschland ist das bedeutendste und einflußreichste derartige Institut die Akademie der Wissenschaften in Berlin. Theils aus ihren eigenen reichen Fonds, theils aus denjenigen der Humboldt- Stiftung (über welche sie zu verfügen hat) haben bereits viele Reisende anfehnliche Unterstützungen erhalten.

Als ich nun Ostern 1881 gelegentlich eines kurzen Besuches in Berlin mit mehreren meiner dortigen Freunde die beabsichtigte indische Reise besprach, wurde ich von den Letzteren dringend aufgefordert, mich um das vacante Reise-Stipendium der Humboldt-Stiftung zu bewerben, um so mehr, als gerade jetzt eine sehr beträchtliche Summe disponibel sei. Ich muß gestehen, daß ich mich nur ungern und zögernd entschloß, dieser wohlwollenden Aufforderung meiner Berliner Collegen Folge zu leisten. Denn einerseits hatte ich alle meine früheren wissenschaftlichen Reisen, seit mehr als 25 Jahren, ohne jede derartige Unterstützung ausgeführt, und dabei die Kunst erlernt, unter Beschränkung auf das Nothwendigste auch mit bescheidenen Privatmitteln meine Reisezwecke zu erreichen. Andrerseits aber gehören bekanntlich die einflußreichsten Mitglieder der Berliner Akademie zu den eifrigsten Gegnern der Entwickelungslehre, deren Förderung und Ausbau ich mir seit vielen Jahren besonders hatte angelegen sein lassen. Wurde doch gerade dort dem unaufhaltsamen Fortschritte der Erkenntniß jene künstliche Schranke entgegen- gestellt, welche die Aufschrift "Ignorabimus et restringamur!" trägt, und welcher ich in meiner Schrift über "Freie Wissenschaft und freie Lehre" (1878) geantwortet habe: "Impavidi progrediamur!" Daß mir dieser Widerspruch niemals würde verziehen werden, wußte ich im Voraus. Ich war daher auch gar nicht überrascht, als ich einige Monate später von meinen Berliner Freunden erfuhr, daß die Akademie jenes Gesuch einfach abgewiefen habe.

Mein Wunsch, Tiefsee-Untersuchungen im indischen Ocean anzustellen, war dadurch allerdings vereitelt; es wird einem Verdienteren und Glücklicheren überlassen bleiben, die zoologischen Schätze seiner verborgenen Abgründe zu heben. Für mich wird hoffentlich auch die Oberfläche des tropischen Meeres so viel Neues und Interessantes bieten, daß die kurze, mir gegönnte Zeitspanne zu seiner vollen Bewältigung nicht ausreicht; und jedenfalls bleibt mir jetzt, wo ich ganz auf eigenen Füßen stehe, jenes höchste Gut gewahrt, auf dessen ungeschmälerten Besitz ich von jeher den größten Werth gelegt habe, die volle Freiheit und Unabhängigkeit!

Gegenüber diesen und anderen , wenig erfreulichen Erfahrungen, die ich bei der Zurüstung der Reise zu machen halte, sei es mir gestattet, der weitaus größeren Zahl derjenigen lieben Freunde meinen herzlichsten Dank abzustatten, welche sofort nach Mittheilung meines Planes demselben ihre wärmste Theilnahme schenkten und auf alle Weise denselben zu fördern suchten, vor allen Anderen Charles Darwin, Dr. Paul Rottenburg in Glasgow; Sir Wyville Thomson und John Murray in Edinburgh; ferner Professor Eduard Sueß in Wien, Baron von Königsbrunn in Gratz Heinrich Krauseneck und Linien-Schiffs-Capitän Radonetz in Triest. Nicht minder fühle ich mich verpflichtet , der Großherzoglichen Staatsregierung in Weimar für die wohlwollende Unterstützung meiner Reifezwecke hier meinen ergebensten Dank auszusprechen, vor Allen seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog C a r l Alexander von Sachsen-Weimar , dem Rector magnificentissimus der Universität Jena, sowie dem Erbgroßherzog. Durch ihre gütige Vermittelung erhielt ich eine directe Empfehlung des englischen Colonial-Ministers an den Gouverneur von Ceylon. Auch mit anderen Empfehlungen wurde ich reichlich ausgestattet. Endlich muß ich doch auch noch allen den lieben Freunden und Collegen in Jena hier dankbarst die Hand drücken, welche in der verschiedensten Weise bemüht waren , mir in meinen Reise-Zurüstungen behülflich zu sein.

Nachdem endlich alle Vorbereitungen vollendet und 12 meiner Kisten , mehrere Wochen vorher abgeschickt , bereits in Triest angekommen waren, verließ ich mein liebes stilles Jena am Morgen des 8. Octobers. Der Abschied war nicht leicht. Ich empfand gar sehr, was ich schon Wochen vorher mit steigender Bangigkeit empfunden hatte , daß eine halbjährige Trennung von Weib und Kind , eine Trennung durch einen Meeresraum von mehr als 5000 Seemeilen, für einen Familienvater, der im achtundvierzigsten Lebensjahr steht, keine leichte Aufgabe ist. Wie anders würde ich, mit frischestem Jugendmuthe ohne einen Schatten von Sorge, diese Reise in die Tropen vor 25 Jahren angetreten haben, damals, als sie mein heißester Lebenswunsch war und als ich alles daran setzte , um ihn zu verwirklichen Freilich konnte ich jetzt, durch zwanzigjährige Lehrthätigkeit mit den Aufgaben meines zoologischen Forschungsgebietes wohl vertraut , und im Voraus mit den besonderen Fragen meiner Reise-Aufgabe genau bekannt , sie besser zu beantworten und in kürzester Zeit , auf reiche Erfahrungen gestützt, größere Resultate zu erzielen hoffen , als damals, vor einem Viertel-Jahrhundert. Aber war ich selbst nicht auch um ebenso viel älter geworden? hatte ich nicht um so viel mehr an Elasticität des Geistes und Jugendkraft des Körpers eingebüßt? Und konnten jetzt, wo ich so viel tiefer in abstractere Gebiete der Naturforschung eingedrungen war, die concreten Wunderwerke selbst der reichsten Tropen-Natur noch einen ähnlichen Eindruck auf mich machen , wie sie damals sicher im höchsten Maße gemacht haben würden? War ich nicht wieder einmal, wie schon so oft, auf einem Punkte angekommen, wo meine rege Phantasie mir die schönsten Zauberbilder vor Augen führte und wo diese leider alsbald beim Eintritt in die nüchterne Wirklichkeit zu einer leeren Fata morgana zerflossen?

Solche und ähnliche Gedanken, gemischt mit den bittersten Empfindungen des schweren Abschieds von Familie und Heimath, durchzogen düsteren Nebelwolken gleich mein Gemüth, als mich die Saal - Eisenbahn in der Frühe des achten Octobers von Jena nach Leipzig führte. Und düstere kalte Herbst - Nebel waren es auch, die mich rings umgaben und die mein geliebtes Saalthal völlig erfüllten und verhüllten. Nur die höchsten Gipfel unsrer herrlichen Muschelkalk-Berge ragten frei aus dem wogenden Nebel - Meer empor , zur Rechten der langgestreckte Hausberg mit dem "röthlich - strahlenden Gipfel" , das stolze pyramiden-Haupt des Jenzig und die romantischen Ruinen der Kunitzburg; zur Linken die waldigen Höhen des Rauthals und weiterhin G o e t h e' s LiebIings-Aufenthalt, die reizende Dornburg. Ich rief meinen alten und vielgeliebten Bergfreunden das bestimmte Versprechen zu , im nächsten Frühjahr wohlbehalten und mit indischen Schätzen reich beladen zurückzukehren, und wie zur sicheren Bestätigung dieser frohen Hoffnung sendeten auch sie mir den freundlichsten Morgengruß zurück; noch während ich an ihren Füßen vorbeifuhr, sank zusehends der dichte Nebel von ihren Häuptern und Schultern und die siegreiche Morgensonne stieg goldig und strahlend am wolkenlos sich klärenden Himmel empor; der herrlichste Herbstmorgen entfaltete bald alle seine Reize und die Thautropfen sunkelten perlengleich in den dunkelblauen zartbewimperten Blüthenkelchen der schönen Gentianen, welche die begrasten Hügel zu beiden Seiten unserer Schienenstraße in Fülle schmückten.

Einige Stunden Aufenthalt in Leipzig beuntzte ich , um noch einige Lücken in meiner Reise - Ausrüstung auszufüllen, md in der städtischen Gemälde - Gallerie mich an den herrlichen Meisterwerken der Landschafts - Malerei von Preller, Calame , Gudin , Saal u.. s. w. zu erfreuen. Dann fuhr ich Nachmittags weiter nach Dresden und Abends von hier mit dem Nacht - Schnellzug in 12 Stunden nach Wien. Nach kurzem Aufenthalt vou wenigen Stunden reiste ich auf der Südbahn weiter nach Gratz. Es war ein prachtvoller sonniger Herbst-Sonntag und die Alpen-Scenerie des Semmering glänzte in ihrer vollen Schönheit. Hier in den waldigen Schluchten und auf den blumreichen Almen der Schönen Steiermark hatte ich vor 24 Jahren mit wahrer Leidenschaft botanisirt; jede Höhe des Schneeberges und der Rax-Alp stand mir noch in freundlichster Erinnerung. Der junge Doetor medicinae hatte damals mit weit mehr Interesse sich der interessanten Flora von Wien gewidmet , als den lehrreichen Kliniken von Oppolzer und Skoda , von Hebra und Siegmund. Beim Trocknen der gewaltigen Stöße von prächtigen zwerghaften Alpen-Pflanzen, welche ich damals auf den Höhen des Semmering gesammelt, hatte ich oft von der ganz verschiedenen Riesen- Flora Indiens und Brasiliens geträumt , welche die Gestaltungskraft des Pflanzenlebens in so ganz entgegengesetzter Form und Größe entwickelt zeigt; und nun sollte mir in einigen Wochen jener Traum zur unmittelbaren Wahrheit der Anschauung werden !

In Gratz , wo ich mich einen Tag aufhielt, fand ich treffliches Unterkommen im Hotel zum "Elephanten". Keinen passenderen Namen konnte der erste Gasthof führen , in dem ich auf einer Reise nach Indien übernachtete. Ist doch der Elephant nicht allein an sich eines der wichtigsten und interessantesten Thiere von Indien, Sondern speciell das typische Wappenthier von Ceylon. Da nun schon der "Elephant" von Gratz mich so freundlich aufnahm und bewirthete , nahm ich das als gutes Omen für die bevorstehende Bekanntschaft mit dem indischen Elephanten, die ich bald sowohl in gezähmtem als in wildem Zustande zu machen hoffte! Bei dieser Gelegenheit sei mir zu Nutz und Frommen wanderlustiger Genossen, die weniger auf zahlreiche schwarzbefrackte Kellner , als auf gute Verpflegung iu den Gasthöfen rechnen, eine beiläufige Bemerkung einzuflechten gestattet. Auf meinen vieljährigen Wanderungen, auf denen ich in den verschiedenartigsten Hotels und Herbergen aller Classen zu übernachten Gelegenheit hatte, glaube ich beobachtet zu haben, daß man auf die Beschaffenheit dieser gemeinnützigcn Institute bis zu einem gewissen Grade schon aus ihrem Namen *und Schilde schließen kann. Ich theile dieselben demnach in 3 Claffen, in zoologisch-botanische, dubiöse und dynastische Gasthäuser. Weitaus am besten fand ich durchschnittlich die zoologifch-botanischen Herbergen, als da sind: "Goldener Löwe, Schwarzer Bär, Weißes Roß, Rother Ochse, Silberner Schwan, Blauer Karpfen, Grüner Baum, Goldene Weintraube" u. s. w. Weniger sicher ist auf gute und billige Verpflegung in jenen Gasthöfen zu rechnen , welche vorher als bub iöse bezeichnet wurden und welche weder zur ersten noch zur dritten Gruppe gehören; sie führen sehr verfchiedenartige Namen (oft den der Besitzer selbst) und sind zu heterogener Qualität, als daß sich bestimmte allgemeine Schlüsse für ihre Beurtheilung ergeben könnten. Dagegen habe ich meistens nur trübe Erfahrungen (insbesondere über das umgekehrte Verhältniß der schlechten Verpflegung zu der theuren Rechnung!) in denjenigen Hôtels gemacht, die vorher als dynastische bezeichnet wurden, als da sind: "Kaiser von Rußland, König von Spanien, Kurfürst von Hessen , Prinz Carl" u. s w. Natürlich soll mit dieser Claffification kein allgemein gültiges Schema gegeben fein; aber im Ganzen wird , glaube ich, der kritische und anspruchslose Wanderer (besonders in jüngeren Jahren!) obige Eintheilung bestätigt finden; und namentlich der fahrende Künstler , der Maler und Naturforsch er. Der "Elephant" in Gratz entsprach vollständig seiner Ehrenstellung in der zoologischen Classe !

Zu dem Aufenthalt in Gratz war ich durch eine freundliche Einladung eines dortigen ausgezeichneten Landschafts Malers, des Barons Hermann von Königsbrunn, veranlaßt worden. Derselbe hatte mir vor mehreren Monaten geSchrieben, daß er von meiner beabsichtigten Reise nach Ceylon gehört; er selbs habe dort vor 28 Jahren höchst genußreiche acht Monate verlebt und eine große Zahl von Skizzen und Bildern, insbesondere von Vegetations - Ansichten gesammelt , die mir vielleicht von Interesse sein würden. Natürlich war mir diese freundliche Mittheilung sehr willkommen, und ich konnte keine bessere Vorbereitung für meine eigenen Skizzen von Ceylon finden, als die werthvollen Bilder-Mappen des Gratzer Künst lers. DerSelbe hatte seine Reise durch die Palmen- Wälder und die FarnSchluchten der Zimmet - InSel im Jahre 1853 gemacht , in Begleitung des Ritters von Friedan und des Pro fessors Schmarda in Wien , welch Letzterer seinen Aufenthalt auf der Insel in seiner "Reise um die Erde" ausführlich beSchrieben hat. Leider sind aber die zahlreichen und höchst werthvollen Zeichnungen, welche Baron von Königsbrunn dort entworfen hat und welche urSprünglich zur Illustration jenes Reise-Werkes dienen Sollten , niemals veröffentlicht worden. Das ist um so mehr zu bedauern , als sie zu den besten und .vollendetsten Kunftwerken dieSer Art gehören, welche ich kenne. Auch Alexander von Humboldt - gewiß ein competenter Richter - der sie König Friedrich Wilhelm IV. vorlegte, äußerte Sich über dieSelben in Ausdrücken des höchsten Lobes. Die Ceylon - Bilder von Könisgsbrunn vereinigen in sich zwei verSchiedene , gewissermaßen entgegengeSetzte Vorzüge, die leider nur Sehr selten in derartigen Kunstwerken vereinigt gefunden werden , und die doch beide nothwendig zuSammen kommen müssen , um denSelben wirklich den Stempel der Vollendung aufzuprägen: einerseits die größte Naturtreue in der gewissen haftesten Wiedergabe der Form - Einzelheiten, andrerseits die vollkommenste künstlerische Freiheit in der einheitlichen Behandlung und wirkungsvollen Composition des ganzen Bildes. Viele Bilder unserer berühmtesten LaudSch fter , welche der zweiten Anforderung völlig genügen, erfüllen die erstere nicht. AndererSeits lassen wieder viele sogenannte Vegetations-Ansichten, wie Sie geübte kenntnißreiche Botaniker gezeichnet haben , die freie ästhetiSche Auffassung des Künstlers nur zu sehr vermissen. Und doch ist das Eine eben so nothwendig wie das Andere; das analytiSche und objective Auge des Botanikers nicht minder, als der SynthetiSche und subjective Blick des Künstlers. Soll die Landschaft ein wahres Kunstwerk sein, so muß Sie gleich dem Porträt größte Naturtreue im Einzelnen mit charaktervoller Auflassung des Individuums als Ganzen verbinden; und das iSt bei den Ceylon-Bildern von Königsbrunn im höchSten Maß der Fall; sie erreichen in dieser Beziehung mindestens die berühmten "Vegetations - Ansichten" von Kittlitz, welche Alexander von Humboldt seiner Zeit als unübertroffenes Muster hinstellte und denen nur wenige andere an die Seite zu Setzen sind. Sei es mir hier gestattet, dem eben so liebenswürdigen und bescheidenen, als originellen und genialen Künstler neben meinem freundlichen Dank auch die Hoffnung auszuSprechen, daß seine herrlichen Kunstwerke aus der Verborgenheit Seines stillen Ateliers bald den wohlverdienten Weg in die Oeffentlichkeit und die gebührende Anerkennung finden mögen !

Nach herzlichem AbSchiede von einer Anzahl lieber alter und neuer Freunde, die ich in Gratz gesehen, setzte ich mich am Mittag des 11. Octobers wieder auf die Südbahn, um direct nach Triest zu fahren. Mir gegenüber nahm im Conpé ein älterer Herr Platz, den ich auf den ersten Blick als Engländer erkannte und der sich Schon in der ersten halben Stunde unSeres Gefpräches als eine mir Sehr interessante Persönlichkeit entpuppte, als Surgeon-General Dr. J Macbeth. DerSelbe hatte 33 Jahre als Arzt der englischen Armee in Judien, zuletzt als General - Arzt fungirt , an zahlreichen Kriegen Theil genommen und alle Theile Jndiens, von Afghanistan bis Malacca und vom Himalaya bis Ceylon bereist. Seine reichen Erfahrungen über Land und Leute, Sowie seine besonderen Beobachtungen als Arzt und Naturforscher waren für mich natürlich höchSt anziehend und lehrreich und ich bedauerte es fast, daß Abends 10 Uhr unSere Ankunft in Triest dieSer Unterhaltung ein Ende machte.

Die drei Tage in Triest, welche vor der Abfahrt des Lloyd-Dampfers noch übrig waren, wurden größtentheils mit BeSorgungen von Reise - Utensilien und Kisten angefüllt , die ich bis hierher verspart hatte. Ich wohnte während dieser Zeit bei meinem lieben hochverehrten Freunde Heinrich KrauSeneck (einem Neffen des berühmten preußiSchen Generals aus den Freiheits-Kriegen, welcher Freund und Camerad meines Vaters geweSen war). Die herzliche und überaus liebenswürdige Aufnahme , welche ich in der trefftichen Familie KrauSeneck Schon zu wiederholten Malen in Triest gefunden, that mir diesmal ganz besonders wohl, und erleichterte mir weSentlich den AbSchied von Europa. Auch andere alte liebe Freunde empfingen mich mit gewohnter Herzlichkeit, so daß ich diesmal, wie noch jedes mal früher, von der großen österreichiSchen Hafen-und Handels stadt, wie von einem Stück deutscher Heimath mich ungern trennte. Dabei verrannen die Stunden So raSch, daß ich nicht einmal zu einem erneuten Besuche des poetiSchen Miramare kam, jenes unvergleichlichen MeeresSchlosses, welches durch seine wunderbare Schönheit und Lage die naturgemäße Bühne für einen Act in der Tragödie "Kaiser Maximilian von Mexico" bildet - der dankbarste Stoff für einen Dramatiker der Zukunft.

Auch für einen Abstecher nach der nahen Bucht von Muggia blieb diesmal keine Zeit. Es ist dies die Schöne, an Seethieren reiche Bucht, welche zuerst durch Johannes Müller's Entdeckung der in Seegurken (Holothurien) wohnenden Wunderschnecke berühmt geworden ist (Entoconcha mirabilis). Ich hatte bei früheren BeSuchen Triest's fast jedes Mal* dort mit Erfolg gefiScht; aber dies Mal drängte die bevorstehende indische Fischerei die mediterrane in den Hintergrund. Und dann nahm die läStige Packerei mich noch vielfach in Anspruch. Bis zum Tage vor der Abreise waren bereits alle Kisten an Bord des Schiffes gebracht und alle Sonstigen noch übrigen Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Sowohl hinsichtlich der Verpackung und des Transportes dieser umfangreichen Bagage als in Betreff meiner persönlichen Unterkunft und Bequemlichkeit als Schiffspassagier fand ich mit Rücksicht auf den wissenschaftlichen Zweck und Charakter meiner Reise die wirksamste Unterstützung und die freundlichste Aufmerksamkeit beim Directorium des österreichischen Lloyd. Da diese große und verdienstvolle Gesellschaft schon wiederholt für wissenschaftliche Reisen besondere Vergünstigungen und Erleichterungen gewährt hat, hegte ich einige Hoffnung auch für meine indische Reise dergleichen zu erlangen. Ich erhielt sie in reichstem Maße, und ich erfülle einfach eine Pflicht, wenn ich hier dem Director des Lloyd, Herrn Baron Marco di Morpurgo, Sowie den Verwaltungsräthen desselben, und unter ihnen ganz besonders meinem hochverehrten Freunde Herrn Linienschiffs - Capitän  R a d o n e t z  dafür meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank abstatte. Nicht allein wurde ich mit einem befonderen, Sehr wirksamen Empfehlungsschreiben an alle Agenten und Officiere des "Lloyd" ausgestattet, nicht allein wurde mir auf dem erwählten Schiffe eine der besten Cabinen erster Classe für mich allein bewilligt , sondern auch in pecuniärer Beziehung eine sehr wesentliche Erleichterung gewährt und außerdem alle möglichen Bequemlichkeiten zugesichert.

Und nun endlich zu Schiff! Auf das schöne und Sichere DampfSchiff, welches mich in vier Wochen nach I*ndien tragen Soll! I*ch hatte die Wahl zwischen zwei vortrefflichen Lloyd Dampfern, welche beide am 15. October gleichzeitig von Triest nach Indien abgingen und den Suez - Canal passirten. Der erste , "H e l i o s", berührt auf seiner Fahrt von Suez nur Aden und geht von da nach Bombay; hier verweilt er acht Tage und fährt dann nach Ceylon , weiter nach Singapore und Hongkong. Der zweite Dampfer "Polluce" berührt auf der Fahrt von Suez durch das Rothe Meer Djedda, den berühmten Hafenplatz für Mekka, und geht dann von Aden direct nach Ceylon, weiter nach Calcutta. Ich wählte für meine Fahrt den "Helios" , da ich So die beste Gelegenheit hatte, Bombay und ein Stück des indischen Festlandes zu Sehen, welches ich Sonst Schwerlich berührt haben würde. Außerdem war der "Helios" das bessere , Schnellere und größere Schiff, noch ganz neu und von Sehr einladendem AusSehen. Endlich zog mich Schon der Name des Schönen Schiffes ganz beSonders an. Oder konnte das Fahrzeug, welches mich aus den grauen Nebelgefilden der nordischen Heimath, wie in Faust's Zaubermantel, während der kurzen Frist eines Monates nach den Sonnen glänzenden und Sonnenstrahlenden Palmen - Wäldern Indiens trug, wohl einen besseren und glückverheißenderen Namen führen, als den des ewig jugendlichen Sonnengottes? Wollte ich ja doch eigentlich nur Sehen, was die allmächtige und allzeugende Sonne aus Land und Meer der Tropenzone üppig Schaffend hervorzubringen vermag! Nomen sit omen ! Warum Soll ich nicht auch mein Stückchen Aberglauben mit mir herumtragen, wie jeder andere MenSch? Und dann durfte ich ja um So sicherer auf die Gunst des "Helios"" rechnen, als ich Schon früher eine ganze Claffe von niedlichen strahlenden "Urthierchen" Heliozoa, d h. Sonnenthierchen genannt hatte, und als ich erst vor wenigen Wochen, beim Abschlusse meines neuen RadiolarienSystems , eine Anzahl neuer Gattungen dieSer reizennden Geschöpfchen dem "Helios" zu Ehren getauft hatte: Heliopha*cus, Heliosestrum, Heliostylus, Heliodrymus u. s. w. Also, mein hochverehrter "Helios", laß Dir dieSes zoologische Opfer wohlgefallen , und bring mich sicher und wohlbehalten nach I*ndien , wie ich unter Deinem Lichte dort arbeiten und unter Deinem Schutze im nächsten Frühjahr glücklich in die Heimath zurückkehren will!

Der "Helios" des österreichischen Lloyd gehört zu den größten und besten Schiffen der GesellSchaft , und da dieSes schwimmende Hotel mir während eines ganzen Monats die beste, reinlichste und freundlichste Herberge gewährt hat, gebührt es sich , daß ich hier einige kurze Notizen über seinen Körperbau einfüge. Die Länge des Schlanken , dreimastigen Schiffes beträgt 300 englische Fuß , die Breite 35 und die Höhe (vom Kiel bis zum Deck) 26 Fuß. Darüber erhebt sich noch ein Salon von 9 Fuß Höhe. Der Raumgehalt beträgt 2380 Tonnen. Die Dampfmaschine arbeitet mit 1200 Pferdekräften (400 nominal). Das vordere Drittel enthält die zweite Kajüte, mit einem Salon, und darüber die Ställe für unsern Schwimmenden Viehhof, mit ein paar Kühen und Kälbern, einer Herde stattlicher ungarischer Hammel mit langgewundenen Hörnern, und einer großen Anzahl Hühner und Enten. Im mittleren Drittel des Deckraumes befindet sich die gewaltige Dampfmaschine, die außer der Schraube auch das Dampf-Steuerruder, die verschiedenen Krahne und die Maschinen für elektriSches Licht in Bewegung Setzt; auch der Apparat für Destillation von Trinkwasser ist damit verbunden; und dahinter liegt ein großer Raum für das Gepäck der Passagiere. Das hintere Drittel des Schiffsraumes wird größtentheils von der ersten Kajüte eingenommen, welche zwei geräumige und lustige Salons besitzt, einen über und einen unter Deck; um den oberen Salon läuft eine offene Galerie, um den unteren die Reihe der Cabinen. Ein halbes Dutzend Cabinen, die beSonders freundlich und geräumig sind , liegt oben vor dem ob ern Salon, und eine von diesen ist meine Wohnung. Alle Cabinen sind Sehr bequem eingerichtet , mit luftigen Fenstern und mit elektriSchen Telegraphen ausgestattet. Außerdem findet sich noch hinter dem oberen Salon ein beSonderer kleiner RauchSalon, ferner eine Anzahl Bäder und anderer Einrichtungen, welche für die verwöhnten Indienfahrer der Gegenwart als unentbehrlich gelten; So namentlich unten im Bauche des Schiffes geräumige Eis kammern. Küche und Apotheke , sowie die meisten Cabinen der Officiere , liegen im Mittelraume. In dem geräumigen oberen Salon laufen ringsumher bequeme Divans mit Leder-Polstern und sind zwei Reihen breiter Tische aufgestellt, daran ein Theil der Passagiere Sich mit Essen , Spielen , Schreiben, Malen, oder anderen Arbeiten beSchäftigt; bei Schönem Wetter sind jedoch die meisten Passagiere oben auf dem freien Deck des Salons , welches durch doppeltes Zeltdach , Sowie durch Seitendächer gegen die glühenden Pfeile des tropischen Helios geschützt ist. Hier kann man nach Belieben Spazieren gehen, oder über die Galerien in das blaue Meer hinausschauen, oder auf den bequemen rohrgeflochtenen China-Stühlen lang hingestreckt zum Himmel emporträumen.

Schon am ersten Tage der Fahrt, bei ziemlich hochgehender See, zeigte Sich, daß unser jugendlicher "Helios" einen vortrefflichen Gang hatte und namentlich Sehr wenig rollte. BeSonders angenehm war die ungewöhnliche Sauberkeit an Bord und der Mangel jener entsetzlichen, aus Producten der Küche , des MaSchinenraums und der Cabinenluft zuSammen geSetzten Gerüche, wel*che bei älteren Schiffen gewöhnlich zu den widerwärtigsten EigenSchaften gehören und mehr zum Ausbruch der Seekrankheit beitragen , als die rollende oder stampfende Bewegung des Schiffes Selbst. So blieb ich denn auch während der ganzen Fahrt, gleich den meisten Passagieren, von der Seekrankheit verSchont. Das Wetter war jetzt unausgesetzt Sehr Schön und die See ruhig; unter den vielen Seefahrten, die ich unternommen, gehört diese längste zugleich zu den angenehmsten. Dazu trug nicht wenig die gute Gesellschaft bei, und der freund liche Verkehr mit den gefälligen und gebildeten Schiffsoffcieren; es sei mir gestattet, hier denselben - und beSonders dem Capitän Lazzarich und dem Schiffsarzt Dr. Jovanovich - für die vielen Gefälligkeiten , die sie mir während der ganzen Fahrt aufmerksam erwiesen, meinen freundlichsten Dank abzustatten. Auch die Bedienung und Verpflegung ließ nichts zu wünschen übrig , wie ich es gewöhnlich auf Lloyd-Schiffen gefunden habe.

Der regelmäßige Dampferverkehr zwischen Europa und Indien wird gegenwärtig durch vier verschiedene Gesellschaften vermittelt: 1) durch den österreichiSchen Lloyd in Triest; 2) durch die italiäniSche Rubattino-GesellSchaft in Neapel-Genua; 3) durch die französischen "Messageries maritimes" in Marseille, und 4) durch die engliSche "P.- and 0.-Company" (d. h. Peninsular - and Oriental Steam - Navigation - Company). Diese letztere führt die wöchentliche Ueberlandpost von England nach Indien (via Brindisi , Suez) Sie wird außerdem von der Mehrzahl der Engländer benutzt und von Allen , denen größtmögliche Schnelligkeit der Beförderung in erster Linie von Wichtigkeit ist. Die regelmäßigen Postschiffe der "P.- and 0." laufen nämlich 11-12 Seemeilen in der Stunde, während die der anderen Gesellschaften meistens nur 8 - 10 Meilen machen (unser "Helios" 9). Diefe beträchtliche Differenz der Geschwindigkeit ist lediglich eine Frage des Geldpunktes. Die Mehrkosten des Schnellen Laufes sind nämlich ganz unverhältnißmäßig; ein Dampfer, der 12 Meilen statt 8 in der Stunde macht (also 1/3 mehr) , braucht nicht etwa 1/3 mehr Kohlen, Sondern 3 mal so viel; statt 8 Kohlenladungen nicht 12, sondern 24! DieSe enormen Mehrkosten werden für die P.- and 0.- Schiffe durch eine beSondere Subvention der engliSchen Regierung gedeckt , der es natürlich von größter Wichtigkeit ist, regelmäßsg jede Woche eine Courierpost zwiSchen England und Indien auf möglichst Schnelle Weise zu befördern. Die übrigen GeSellSchaften, die dieses Interesse nicht haben, können in dieSer Beziehung nicht mit der "P.- and 0." concurriren. Aber dafür kostet auch ein directes Fahrbillet erster Classe von Brindisi nach Bombay bei der "P.- and 0." 66 Pfd. Sterling, bei dem österreichischen Lloyd 44 Pfd. Sterling, also ein volles Drittel mehr; das macht bei Hin - und Rückreise zusammen eine Differenz von 880 Mark; und dafür kann man ja im nächsten Herbste nach der Rückkehr schon eine recht schöne Schweizerreise zur Erholung machen !

Die größere Geschwindigkeit ist aber auch der einzige Vorzug , welchen die theuren P.- and 0.-Schiffe vor denjenigen der drei anderen Gesellschaften voraus haben. Die Verpflegung ist bedeutend Schlechter als auf diesen, und die Equipage (vom Capitän und ersten Lieutenant bis zum Stewart und Cajütenwärter hinunter) zeichnet sich in der Regel nicht durch besondere Gefälligkeit und Höflichkeit aus; gerade in dieser Beziehung hört man mehr Klagen , als bei den drei anderen GeSellSchaften. Außerdem sind die P.- and 0.-Schiffe gewöhnlich überfüllt und mit einem Haufen indiScher DienerSchaft ausgestattet, die viel mehr lästig als nützlich ist. Letzteres soll auch auf den großen französiSchen (Sonst vortrefflichen) MessagerieSchiffen unbequem sein, während auf den italiäniSchen Rubattino Schiffen wieder die Bequemlichkeit und Reinlichkeit der Cabinen Manches zu wünschen übrig lassen soll. Ich theile diese Notizen zu Nutz' und Frommen anderer Indienfahrer mit, nach den übereinstimmenden Angaben vieler Reisenden, die ich theils früher, theils jetzt auf dieser Reise befragt habe (und die größere Hälfte meiner Gewährsmänner sind selbst Engländer); demnach wären am meisten die österreichischen Lloydschiffe zu empfehlen, Sodann die italiänischen Rubattino oder die französischen Messageries, am wenigsten aber die „P.- and 0."

Die Gesellschaft, die sich am Mittag des 15. Octobers in Triest an Bord des "Helios" zur Abfahrt versammelt hatte und die (außer mir und einem ungarischen Grafen, der nach Singapore ging) sämmtlich nach Bombay fuhr, bestand zur größeren Hälfte aus Engländern , theils Officieren und Beamten , theils Kaufleuten. Die kleinere Hälfte wurde durch Deutsche und Oesterreicher gebildet, theils Kaufleute aus Bombay, theils Missionare. Das schöne Geschlecht war unter der Gesellschaft nur sehr schwach vertreten, nur durch eine einzige Deutsche und fünf Engländerinnen. Unsere liebenswürdige Landsmännin trug sehr wesentlich zur angenehmen Unterhaltung bei und erfreute Abends durch ihren Gesang am Clavier die ganze Gesellschaft. Sie hatte den Sommer bei ihren Kindern in Frankfurt a. M zugebracht und kehrte jetzt für den Winter zu ihrem Gatten nach Bombay zurück - eine halbjährige Theilung zwischen Mutterliebe und Gattenliebe, wie sie leider den meisten deutschen und englischen Familien, die um ihre aufwachsenden Kinder besorgt sind , zur Pflicht wird. Denn nicht allein der ungünstige Einfluß des tropischen Klimas auf die zarte Natur der europäischen, in Indien geborenen Kinder, sondern auch und noch mehr die verderblichen moralischen Eindrücke, welche dort der unvermeidliche Verkehr mit den Eingeborenen auf Schritt und Tritt mit sich bringt, So wie das Bedürfniß eines guten geregelten Schulunterrichts nöthigen die meisten gebildeten Familien, ihre Kinder nach Ablauf der ersten Lebensjahre zur Erziehung nach England oder Deutschland zu schicken. Außer unserer schönen Landsmännin waren auch mehrere englische Damen an Bord , welche dergestalt regelmäßig zwischen Bombay und Europa hin- und herreisten , den Sommer mit den Kindern hier, den Winter mit ihrem Gatten dort verlebten. Aber freilich bleibt das, von der leidigen zweimonatlichen Reise abgesehen, immer doch ein sehr unvollkommenes Familienleben; und es ist sehr natürlich , daß der gebildete europäische Kaufmann in Indien vor Allem danach strebt , seinen Aufenthalt daselbst möglichst abzukürzen und in möglichst wenigen Jahren so viel Vermögen zu erwerben, um bald nach der nordischen Heimath zurückkehren zu können. Die Sehnsucht nach der letzteren bleibt doch bei den Meisten der beständige Leitstern ihrer emsigen Thätigkeit, wie sehr sie auch in mancher Beziehung durch die Bequemlichkeiten und Genüsse des indischen Lebens verwöhnt werden mögen.

Wie es auf mehrwöchentlichen Seereisen zu gehen pflegt, wurde die GeSellschaft schon in den ersten Tagen mit einander ziemlich bekannt und bildeten sich kleinere Gruppen, die in näheren Verkehr mit einander traten. Die deutschen und englischen Missionäre (darunter auch ein amerikanischer, Mr. Rowe, der ein recht gutes Buch über Indien: „Every-Day-Life in India" geschrieben hat) bildeten eine Gruppe für sich; eine zweite die englischen Officiere , Beamten und Kaufleute, eine dritte die deutschen und österreichischen Landsleute, denen sich auch Capitän und Doctor, sowie ich selbst anschlossen. Das Wetter war fast während der ganzen Reise gleichmäßig Schön, der Himmel heiter und sonnig, das Meer glatt oder nur mäßig bewegt, und pünktlich zur festgesetzten Zeit erreichte unser trefflicher Dampfer seine einzelnen Stationen. Die Seekrankheit forderte diesmal nur wenige und kurze Opfer: andrerseits gewann aber auch durch die Gleichmäßigkeit der günstigen Fahrt die unausbleibliche Langeweile bei der Mehrzahl der Passagiere immer mehr die Oberhand. Alles, was gegen dieselbe gewöhnlich versucht wird: Lesen und Schreiben, Schach- und KartenSpiel, Clavierspiel und Gesang - hatte bei den Meisten schon im Laufe der ersten Woche seine Wirksamkeit mehr und mehr eingebüßt; und so wurden denn die fünf Mahlzeiten, durch welche der Tag auf Indien-Dampfern in fünf Perioden getheilt wird, immer mehr zur wichtigsten Beschäftigung. Leider ist mein armer deutscher Professorenmagen von jeher ziemlich schwacher Natur gewesen; obwohl ich nur selten (nur bei recht schlechtem Wetter und starkem Schiffsschaukeln) seekrank werde, verliere ich doch jedesmal auf längerer Seefahrt den gesunden Appetit, der sich bei vielen anderen Passagieren in zunehmender Progression entwickelt. Um so besser konnte ich als objectiver Zuschauer Betrachtungen über die colossale Leistungsfähigkeit der Letzteren austellen und über den unglaublichen Grad, welchen auf See die von den Physiologen sogenannte „Luxusconnsumtion" erreicht, d. h. die Aufnahme überflüssiger Massen von Speisen und Getränken, welche zur Unterhaltung des gesunden Körpers absolut nicht erforderlich sind. Von jeher hatte ich in dieser Beziehung schon die erstaunliche Capacität unserer besser situirten Stammesgenossen jenseits des Canals mit stillem Neide bewundert, die ebensowohl zu Land wie zur See uns Deutschen weitaus überlegen sind; aber das, was ich auf dem „Helios" von einem englischen Major leisten sah, übertraf alle meine früheren Beobachtungen. Nicht allein nahm dieser Biedere sämmtliche fünf regelmäßigen Mahlzeiten in doppelter Quantität vollständig zu sich und trank dazu täglich seine paar Flaschen Wein und Bier, sondern auch die kurzen Zwischenpausen zwischen ersteren wußte er noch in sinnreichster Weise durch Consumtion von Naschwerk und verschiedenen Getränken auszufüllen. Mir schien dieses gastronomische Wunderthier bereits jene höchste Höhe der Entwickelung erreicht zu haben, auf welcher die Verdauungsorgane ununterbrochen thätig sind; und ich vermuthe fast, daß er diese Thätigkeit auch Nachts fortsetzte, da ich ihn schon am frühen Morgen in unzurechnungsfähigem Zustande aus seiner Cabine taumeln sah. Freilich hörte ich auch wiederholt behaupten, daß der größere Theil der Engländer, die in Indien erkranken und sterben, sich ihr Schicksal selbst durch solche Unmäßigkeit zuziehen.

Was nun jene fünf berühmten Mahlzeiten an Bord der Indienfahrer betrifft, so bilden Sie einen zu wichtigen (ja für die allermeisten den wichtigsten!) Theil des Lebens an Bord, als daß ich nicht den wißbegierigen Leser mit ihrer Composition nach dem Reglement bekannt zu machen mich verpflichtet fühlte. Also Morgens 8 Uhr Kaffee und Brot, um 10 Uhr großes Frühstück (mit Eierspeisen, zwei warmen Fleischspeisen, „Curry and Rice", Gemüsen und Früchten), um 1 Uhr das indische „Tiffin" (kalte Fleischspeisen mit Butterbrot und Kartoffeln, Thee), um 5 Uhr das große Diner (mit Suppe, drei verschiedenen Fleischspeisen und Zugaben, Mehlspeise, Dessert: Früchte und Kaffee) und endlich um 8 Uhr Thee mit Butterbrot etc. Ich selbst beschränkte meine gastronomische Beschäftigung auf die erste, dritte und vierte Aufgabe und konnte auch von dieser immer nur einen Theil lösen. Die meisten Passagiere ließen sich aber keinen der fünf Genüsse entgehen, und begaben sich nach jedem derselben an Bord, um entweder eine halbe Stunde zu promeniren, oder in einem bequemen Chinastuhl zu sinken und dort mit lang ausgestreckten Gliedmaßen Betrachtungen über die umgebende Natur, über die Wolken des Himmels und die Bläue des Wassers anzustellen. Höchst willkommene Anregungen zu gesteigerter Seelenthätigkeit bilden unter diesen Umständen einzelne Thiere, welche die Monotonie der ruhigen See unterbrechen: Delphine, die in anmuthigem Spiel scharenweise um das Schiff sich herumtummeln und ihren Rücken oft weit außer Wasser heben, Möven und Sturmvögel, die in weitem Bogen umherschwärmen und tauchend nach Fischen jagen; fliegende Fische, die scharenweis aus der glatten Fläche des Meeres auftauchen und eine kürzere oder längere Strecke, Enten gleich, über den Wasserspiegel flattern. Ich selbst erfreute mich vor Allem an dem gewohnten Anblick meiner alten Lieblinge, den zarten Medusen, deren schwimmende Scharen mir weder im Mittelmeer noch im indischen Ocean fehlten; ich bedauerte nur immer lebhaft (wie schon so oft früher), daß der rasche Lauf des Schiffes mich verhinderte, die schönen Nesselthiere mittelst eines herabgelassenen Eimers an Bord zu ziehen. Diesmal traf ich im Mittelmeer besonders zahlreich zwei große Wurzelquallen, die blaue Pilema pulmo und die goldbraune Cotylorhiza tuberculata; im indischen Ocean hingegen zwei schöne Fahnenquallen, eine rosenrothe Aurelia und eine dunkelrothe Pelagia.

Unsere 24tägige Fahrt von Triest bis Bombay verlief unter den angegebenen günstigen Umständen so normal und regelrecht, daß im Ganzen nur sehr wenig darüber zu sagen ist. Nachmittags 4 Uhr am 15. October lichtete der „Helios" in Triest die Anker und wir dampften nach herzlichem Abschiede von den lieben Triester Freunden beim schönsten Herbstwetter in die blaue Adria hinaus. Auf früheren Fahrten durch dieselbe hatte ich meistens die malerischen Küsten von Istrien und Dalmatien im Auge gehabt, und die rosmarin duftenden Inseln Lissa und Lesina, auf welcher letzteren ich 1871 einen genußreichen Monat im malerischen Franciscaner Kloster beim trefflichen Padre Buona Grazia verlebt hatte. Diesmal nahm jedoch unser Helios gleich von Anfang an den Curs mehr westlich, nach der Mitte des adriatischen Meeres zu, da wir in Brindisi anlegen sollten, um noch einige Passagiere einzunehmen. Auf der Höhe von Canossa lagerte westwärts eine Schwarze Wolke; wahrscheinlich der Schatten des - - doch ich will hier nicht von Politik reden. Wir langten am 17. October Morgens in Brindisi an und blieben bis Mittag dort liegen. Ich brachte einige Stunden am Lande zu, besichtigte die wenigen und unbedeutenden Ueberreste des alten Brundusium und wanderte längs der Wälle nach dem Bahnhofe. Dieser entspricht ebensowenig als die moderne Stadt selbst dem bedeutenden Namen, den sie seit Eröffnung des Suezkanals als Knotenpunkt des Weltverkehrs erlangt hat. Die Ueberlandpost vom Continent wird sofort nach der Ankunft des Courierzuges in Brindisi an Bord des Postdampfers gebracht und auch die Passagiere (Sowohl die nach Indien gehenden, als die von dort kommenden) scheinen nicht das Bedürfniß eines Aufenthalts in Brindisi, wenn auch nur zu kurzer Erholung, zu fühlen. Wenigstens steht das einzige Hôtel des Ortes meist öde und leer. Es war gewiß sehr charakteristisch, daß auf dem Bahnhofe Todtenstille herrschte und außer dem Telegraphisten Montag Vormittag 10 Uhr nur noch der Portier zu finden war. Die flache Küstenlandschaft von Brindisi, mit Gemüsegärten und Rohrpflanzungen, hier und da einigen zerstreuten Dattelpalmen , bietet wenig. Nur ein altes Kloster außerhalb der Stadt (südlich) mit einem schlanken Thurm und einer stattlichen runden Kuppel, von einem verwilderten Garten umgeben, im Vordergrunde Opuntien - und Agavenbüsche, lieferte ein hübSches Bild und das erste Object für's Skizzenbuch.

Ein englischer General nebst Familie und Gefolge , den wir hatten an Bord nehmen sollen, erschien nicht , weil sein Gepäck auf der Eisenbahn zurückgelassen worden war, und so dampften wir denn ohne ihn am Nachmittagn weiter. Am folgenden Morgen fuhren wir bei andauernd ruhigem und Sonnigem Wetter l*ängs der ionischen Inseln hin. Ich begrüßte mit Freuden die stattliche Insel Cephalonia und ihr waldgekröntses Haupt, den stolzen Monte nero; auf seinem schneebedeckten Gipfel hatte ich im April 1877 unter Führung eines lieben Gastfreundes, des deutschen Consuls Tool in Argostoli , einen unvergeßlichen Tag verlebt, umrauscht von den breiten Wipfeln und gelagert unter den mächtigen Stäm men der Pinus cephaloniea, einer edlen Tannenart, die einzig und allein auf dieser Insel sich findet. Weiterhin erschien die holde Insel Zante "Fior' di Levante" - wir fuhren so nahe längs ihres maleriSchen Südufers hin, daß wir die lange Reihe hochgewölbter Grotten und Schluchten in dem zerklüfteten rothen Marmor ihres Felsengestades genau betrachten konnten. Am Nachmittage erschien links das Gebirgsland von Arcadien, rechts das einsame Eiland Stamphania; spät am Abend passirten wir das Schlachtberühmte Navarino. Nicht minder anziehend und malerisch war der Anblick des stattlichen Candia, längs dessen schluchtenreicher Südküste wir am 19. October wiederum bei achönster Beleuchtung den größten Theil des Tags entlang fuhren. Leichte weiße Haufwolken, von frischer Brise gejagt, zogen in großer Anzahl über den tiefblauen Himmel und warfen wechselnde Schatten über den mächtigen Felsenleib der stattlichen Insel. Auch das Schneegekrönte Haupt des Ida, des sagenreichen Göttersitzes, erschien bald frei, bald in Wolken gehüllt. Nachdem wir Abends die beiden Gaudo-Jnfeln passirt, hatten wir am folgenden Tage nur Meer in Sicht. Die Nähe der afrikanischen Küste machte sich durch bedeutende Zunahme der Wärme fühlbar, und wir vertauschten die bisher getragene warme Kleidung mit leichterem Sommerzeug.

Als wir am 21. October Morgens das Verdeck betraten, war zwar von der ägyptischen Küste noch Nichts zu sehen; aber das Mittelmeer hatte schon seine unvergleichlich reine und tiefe blaue Farbe verloren und erschien grünlich angehaucht. Je weiter wir vorrückten, desto mehr nahm die grüne Färbung zu; gegen Mittag ging sie in ein schmutziges Gelbgrün über: die Wirkung der Schlammfluthen des Nils. Zugleich erschienen eine Menge kleiner Segel, meistens von arabischen Fischerbarken. Eine große Seeschildkröte (Chelonia caouana) trieb schwimmend an unserem Schiffe vorüber. Zahlreiche Landvögel kamen an Bord geflogen. Um 12 Uhr Mittags erblickten wir den Leuchtthurm von Damiette; um 4 Uhr kam in einem kleinen Steam-Lunch der arabische Pilot an Bord, und eine Stunde später warfen wir in Port-Said Anker, an der nördlichen Kopfstation des Suezcanals.

Da der „Helios" in Port-Said Kohlen und Lebensmittel bis Bombay einzunehmen hatte, blieb er einen ganzen Tag hier liegen. Ich ging noch am Abend mit einigen anderen Passagieren an Land, ergötzte mich an dem bunten ägyptischen Straßenleben und traf in einem Café den Doctor und einige Passagiere von dem Lloyddampfer „Polluce", der direct nach Ceylon und Calcutta ging und gleichzeitig mit uns angekommen war. Am folgenden Morgen (22.) bestieg ich den Leuchttburm von Port-Said. Er ist einer der größten der Welt, 160 Fuß hoch, und sein elektrisches Licht 21 Seemeilen weit sichtbar. Die mächtigen Mauern sind aus denselben Betonblöcken gebaut wie die Molen des Hafens, aus Würfeln einer künstlischen Steinmasse , welche aus 7 Theilen Wüstensand und 1 Theil französischen hydraulischen Kalkes bereitet wird. Die Aussicht von der Höhe des Leuchtthurms entsprach keineswegs meinen Erwartungen, da man außer Port-Said selbst und seiner nächsten, ganz flachen und sandigen Umgebung ringsum nur Wasser erblickt. Nächstdem besichtigte ich die kostbaren künstlichen Hafenanlagen, welche hier mit ungeheuren Kosten und Mühen zur Sicherung des nördlichen Eingangs des Suezcanals geschaffen worden sind. Nicht allein mußte man das Hafenbecken selbst tief ausbaggern, sondern auch zwei colossale parallele Steindämme weit ins Meer hinausführen, um den beiden Hauptfeinden der kostbaren Anlage zu begegnen: den Schlamm-Massen, welche von den Nilmündungen durch die westliche Strömung ostwärts geführt werden, und den Sandwolken, welche die vorherrschenden Nordwestwinde in das Meer werfen. Daher ist der westliche der beiden Molen gegen 3000 Meter lang und bedeutend stärker als der halb so lange östliche. Zu ihrer Construction wurden gegen 30,000 Betonblöcke verwendet, deren jeder 10 Kubikmeter mißt und 20,000 Kilogramm wiegt. Vom Hafen wanderte ich nach der Araberstadt, welche von dem europäiSchen Port-Said durch einen breiten Streifen Sandwüste getrennt ist; Sowohl erstere wie letztere besteht aus parallelen Straßenreihen, die sich regelmäßig unter rechten Winkeln kreuzen. Das bunte und malerische Treiben in der schmutzigen Araberstadt bietet dieselben originellen und mannigfaltigen Bilder , die man in jeder kleineren ägyptischen Stadt, wie in den Vorstädten von Cairo und Alexandrien findet. Das europäische Port-Said, besteht größtentheils aus Reihen von Kaufläden. Die gesammte Einwohnerzahl beträgt gegen 10,000. Die Hoffnungen, die man bei Anlage der Stadt auf ihr großartiges Aufblühen setzte, haben sich nur zum kleinernen Theil verwirklicht, und das prachtvolle palastartige „Hôtel der Nederlanden" , welches 1876 eröffnet wurde, steht jetzt schon leer und verlassen da.

Ich versorgte mich in Port-Said noch mit einigen nützlichen Reiseartikeln, die jeder regelrechte Indienfahrer für unentbehrlich hält, insbesondere einem leichten breitkrämpigen weißen Sonnenhut (Solà hat) und einem langen, aus Bambusrohr geflochtenen „Chinastuhl", einer sehr luftigen und bequemen Long-Chaise. Dann fuhr ich an Bord unseres Helios zurück, welcher am Nachmittag die Fahrt durch den Suezcanal begann. Ueber dieses Wunderwerk der Neuzeit ist in den letzten Jahren so viel geschrieben und geredet worden, daß ich hier keinen Raum mit Wiederholung allbekannter Thatsachen verlieren und mich auf einige Bemerkungen über den gegenwärtigen Stand des Unternehmens beschränken will. Als ich 1873 in Suez war (drei Jahre nach der Verkehrseröffnung), waren die pessimistischen Ansichten über den Erfolg des Canals ganz überwiegend; man glaubte, daß die Schwierigkeiten und Kosten seiner Unterhaltung immer größer bleiben würden, als die vermuthlichen Einnahmen. Das hat sich seit acht Jahren vollständig verändert; die Rentabilität des großartigen Werkes ist seitdem nicht nur erwiesen worden, sondern hat auch unerwartete Dimensionen angenommen, und zwar in stetig wachsender Progression. Die englische Regierung hat somit, als sie 1875 den größeren Theil der Canalactien zur großen Bestürzung der Franzosen ankaufte, nicht nur in politischer, sondern auch in finanzieller Beziehung ein vorzügliches Geschäft gemacht. Allerdings bleibt die Unterhaltung des Canals (insbesondere wegen des ununterbrochenen nothwendigen Baggerns immer noch Sehr kostspielig. Allein das Wachsthum der Einnahmen ist So bedeutend , daß es voraussichtlich in kurzer Zeit schon ansehnliche Ueberschüsse ergeben wird. Ein großer Uebelstand für die Schnelligkeit der Beförderung besteht gegenwärtig noch darin , daß im größten Theil seiner Länge der Canalraum gleichzeitig nur ein einziges großes Schiff aufnehmen kann, von höchstens 7 1/2 Meter Tiefgang. Daher sind von Strecke zu Strecke breitere Ausweichestellen angebracht, an denen die sich begegnenden Dampfer an einander vorüberfahren; hier muß man oft stundenlang warten, bis die entgegenkommenden Schiffe vorbei sind. Im nächsten Jahrhundert wird voraussichtlich der Canal entweder um mehr als das Doppelte verbreitert oder selbst in eine doppelte Linie getheilt sein, So daß beständig ein nordwärts und ein anderer südwärts gehender Zug von Schiffen ungehindert und ununterbrochen folgen kann.

- Die ganze Länge des Suezcanals beträgt 160 Kilometer oder 90 Seemeilen; die Breite des Wafferspiegels 80 bis 110 Meter, die des Canalbodens aber nur 22 Meter. Die gewöhnliche Fahrzeit beträgt 16-20 Stunden; sie wird aber oft beträchtlich verlängert, wenn man auf eine größere Zahl entgegenkommender Schiffe an den Stationen warten muß, oder wenn ein Schiff (wie es nicht selten pasirt) im Schlamme stecken bleibt. Wir Selbst verloren kurz vor Suez einen ganzen Tag , weil ein englischer Steamer sich festgefahren hatte und erst nach theilweiser Ausladung bei Eintritt der Fluth wieder flott wurde. Jedes Schiff, das den Canal passirt, wird von einem Piloten begleitet; dieser hat hauptsächlich dafür zu sorgen , daß die Fahrgeschwindigkeit nicht über fünf Meilen in der Stunde beträgt; weil sonst der verstärkte Wellenschlag die Ufer zu sehr beschädigen würde. In der Regel durchfahren die Dampfer den Canal nur bei Tage; bei hellem Mondschein auch durch einen Theil der Nacht. An Passagegebühren hatte unser Helios circa 2000 Francs zu entrichten; sie betragen für jede Tonne 10 Frcs., für jeden Passagier 12 Frcs.

Den größten Theil des Suezcanals durchfuhren wir am 23. October. Der Morgen im Menzaleh-See war erquickend frisch und Schön: die Sandbänke im See erschienen mit Tausenden von Pelicanen, Flamingos, Reihern und andern Wasservögeln dicht bedeckt. Hinter den folgenden Ballah-Seen traten wir in den engeren Theil des Canals, welcher die hohe „Schwelle" (El Gisr) durchSchneidet. Es ist dies die höchste Bodenerhebung der Landenge von Suez, durchSchnittlich 50 Fuß über dem Niveau des Meeres gelegen. Die hohen Sandwälle zu beiden Seiten des Canals sind hier stellenweise mit grauem Tamariskengebüsch dicht bewachsen. Zahlreiche nackte arabische Kinder erschienen und bettelten um „Backschisch"; einige Knaben spielten die Flöte und tanzten mit ziemlicher Grazie. Um Mittag passirten wir die verödete, von Lesseps gegründete Stadt Ismailia und Abends ankerten wir in den großen "Bitterseen".

Nach Einbruch der Dunkelheit stellte der erste Ingenieur des "Helios" Versuche mit elektrischem Lichte an, die glänzend ausfielen. Seiner freundlichen Einladung folgend besichtigte ich im unteren Maschinenraum den neu construirten Apparat, dessen Motor durch die Dampfmaschine des Schiffes in Bewegung gesetzt wird. Hierbei erlitt ich einen kleinen Unfall, der leicht die schlimmsten Folgen hätte haben können. Während ich mir das Detail der Einrichtung zeigen ließ und dabei einen Schritt näher herantrat, glitt mein rechter Fuß auf dem glatten Boden aus und im selben Moment erhielt der freischwebende linke Fuß unterhalb des Kniegelenks einen Schlag von dem ihn berührenden Motor des elektrischen Apparates, welcher in der Minute 1200 Umdrehungen macht. Ich stürzte zusammen und fürchtete , daß das Bein gebrochen sei; indessen ergab sich glücklicher Weise nur eine sehr heftige Contusion. Wäre ich nach der anderen Seite gefallen, So hätte mich die MaSchine in Stücken geschlagen. Durch EisumSchläge, welche ich sofort anwendete und zwei Tage lang fortsetzte, wurden die schlimmen Folgen größtentheils gehoben; doch blieb das Bein noch vierzehn Tage lang geschwollen und erst kurz vor der Ankunft in Bombay erlangte ich wieder den freien Gebrauch desselben. Unter allen denkbaren "Gefahren" einer Tropenreise hätte ich an einen derartigen Unfall am Wenigsten gedacht. Er war um so unangenehmer, als er sich kurz vor unserem Eintritt in das Rothe Meer ereignete und mich zwang, mehrere Tage unten in der Cabine zu liegen.

Von allen Indienfahrern wird das  R  o t h e   M e e r  als der heißeste und unangenehmste Theil der Reise am meisten gefürchtet; und obgleich wir uns bereits in der kühleren Jahreszeit befanden, hatten wir doch volle Gelegenheit, uns aufs Neue von der guten Begründung jener Furcht zu überzeugen. Allerdings liegt das Rothe Meer (oder der arabische Golf) mit seinem nördlichen Drittel noch außerhalb des Wendekreises; aber trotzdem ist es in seiner ganzen Ausdehnung als ein echtes „Tropenmeer"zu bezeichnen. In seiner ganzen Ausdehnung von Suez bis Perim, vom 30 - 18o N. Br., trägt es denselben Charakter , besitzt es nahezu dieselbe Flora und Fauna, ist es durch gleiche physikalische Eigenthümlichkeiten ausgezeichnet. Die Unterschiede zwischen den beiden Enden des langgestreckten, 300 Meilen langen Golfes sind in jeder Beziehung viel geringer, als die Unterschiede zwischen dem Rothen Meere bei Suez und dem Mittelmeer bei Port-Said, obgleich beide nur durch die schmale Brücke der Landenge getrennt werden. Aber diese schmale Brücke, die Asien mit Afrika verbindet, besteht schon seit Millionen von Jahren, und in Folge dessen hat sich die Thier- und Pflanzenbevölkerung der beiden benachbarten Meere völlig unabhängig von einander entwickelt. Diejenige des Mittelmeeres gehört zum atlantischen Ocean, diejenige des Rothen Meeres hingegen zum indischen Ocean (vergl. meine „Arabischen Korallen", 1876, p. 26, 41). Beide Gestade des Rothen Meeres , sowohl das östliche Arabiens, als das westliche Aegyptens, sind im weitaus größten Theile von Vegetation gänzlich entblößt, überaus öde, dürr und unfruchtbar; kein einziger größerer Fluß mündet in dasselbe ein. Darüber erheben sich beiderseits hohe langgestreckte Gebirgsketten, die ebenfalls zu den wildesten und ödesten der Erde gehören. Zwischen diesen hohen, Sonnendurchglühten Parallelketten ist nun der schmale arabische Golf, wie ein Laufgraben zwischen zwei hohen Wällen eingeschlossen, und die ungeheuren Wärmemengen, welche die wasserarmen Sand- und Felsberge ausstrahlen, werden durch keine Vegetationsthätigkeit gebunden. In den heißen Sommermonaten steigt die Hitze um Mittag im Schatten gegen 40o R. und die Officiere unseres Schiffes, welche zu dieser Zeit die Reise gemacht hatten, versicherten mir, daß ihnen diese Höllenqual unerträglich erschienen sei und daß sie alle gefürchtet hätten, den Verstand zu verlieren. Auch jetzt noch, Ende October, war es Schlimm genug , und den größten Theil des Tages über zeigte das Thermometer auf Deck unter dem doppelten Schattendach 22 - 26o Rs. , einmal bis 32o; in den (gelüfteten!) Cabinen Tag und Nacht 24- 28o. Dabei war die heiße Luft von einer erdrückenden Schwüle, und alle Mittel der Erquickung wurden vergeblich versucht. Um wenigtens nach Möglichkeit überall Luftzug zu erzeugen, wurden alle Fenster und Luken Tag und Nacht offen gelassen, durch zwei Reihen von senkrechten Schornsteinartigen Luftröhren Luft vom Deck in die unteren Schiffsräume geleitet, und endlich in den Salons die indische „Punka" beständig in Bewegung erhalten; diese wird auf unSerem Schiffe Sehr zweckmäßig durch eine doppelte Reihe von fächerartigen, mit Zeug überspannten Rahmen vertreten, welche an zwei parallelen, durch die ganze Länge des Salons laufenden horizontalen Stangen befestigt sind, und durch die Maschine in Bewegung gesetzt. Der Hauch diefer Riefenfächer linderte nebst großen Quantitäten Eiswasser die Leiden der übermäßigen Hitze nicht wenig.

Da unser Schiff kurz vor Suez durch einen festgefahrenen Dampfer im Canal über einen Tag aufgehalten worden war, kamen wir erst am Mittag des 25. October auf der Rhede von Suez an und blieben nur wenige Stunden daselbst liegen. Am folgenden Morgen waren wir bereits auf der Höhe von Tur, dem interessanten arabischen Küstendorfe am Fuße des Sinaigebirges, dessen prachtvolle Korallenbänke ich im März 1873 mit so großem Genusse untersucht hatte. Damals an Bord eines ägyptischen Kriegsdampfers, den mir der Khedive Ismail Pascha für diese herrliche Fahrt gütigst bewilligt hatte, war ich von der strahlenden Pracht diefer unterseeischen Korallengärten so entzückt worden, daß unwillkürlich die alte SehnSucht nach der reicheren Wunderwelt des benachbarten Indien mit verstärkter Macht sich geregt hatte: „Ja, wer nun auch noch die märchenhaften, von Korallen umgürteten Gestade von Ceylon sehen könnte"! Und jetzt, nach acht Jahren war ich auf der Fahrt dahin ! . . . Im heiteren MorgenSchimmer sah ich die malerischen Gipfel der Sinaihalbinsel an mir vor überziehen, welche ich damals im purpurnen Glanze der Abendsonne erglühend verlassen hatte (vergl. meine „Arabische Korallen". Ein Ausflug nach den Korallenbänken des Rothen Meeres und ein Blick in das Leben der Korallenthiere. Mit 5 Farbendrucktafeln und 20 Holzschnitten, Berlin, 1876).

Von den sechs heißen Leidenstagen im Rothen Meere, die nun folgten, ist wenig zu berichten. Da unser Schiff sich fast immer in der Mitte desselben hielt, sahen wir von beiden Küsten fast Nichts. Am 27. October Abends 7 Uhr passirten wir den Wendekreis des Krebses und ich athmete zum ersten Male den glühenden Odem der Tropennatur. Während der Sternenhimmel sich über uns in wolkenloser Klarheit wölbte, stand im Osten über der arabischen Küste eine hohe schwarze Gewitterwand, aus der fast ununterbrochen jede Secunde zuckende Blitze oder verschwommenes Wetterleuchten auftauchten. Donner war nicht zu hören und kein erquickender Regenguß kam zu uns herüber. Auch in den nächsten Tagen wiederholte sich jeden Abend am östlichen Horizont dasselbe Schauspiel, während der westliche frei war und Tagsüber nur leichte zerstreute Federwolken über das tiefblaue Firmament zogen. Die drei ersten Nächte in den Tropen sank das Thermometer in den offenen Cabinen und Salons nicht unter 25o. Ich schlief nebst den meisten anderen Herren auf Deck, wo wir wenigstens 3o weniger und dazu doch frischen Luftzug hatten. In der Nacht des 30. October passirten wir die Straße Bab-el-Mandeb und die von den Esgländern befestigte Insel Perim, das Gibraltar des Rothen Meeres, und am 31. Vormittag 10 Uhr gingen wir im Golfe von Aden vor Anker.

A d e n  liegt bekanntlich auf einer felsigen Halbinsel , die nur durch eine Schmale Landzunge mit dem arabiSchen Festlande zuSammenhängt , ähnlich wie Gibraltar. Schon 1839 von den Engländern erworben und befestigt, hat diese wichtige Station auf dem Wege nach Indien neuerdings eine außerordentliche Bedeutung erlangt, besonders seit Eröffnung des Suezcanals. Die Bevölkerungsziffer ist jetzt schon auf mehr als 30,000 gestiegen. Die meisten Schiffe legen hier an, um Kohlen und Lebensmittel einzunehmen. Wir hatten uns mit diesen bereits in Port-Said versehen, da wir nicht wußten, ob wir wegen der vor zwei Monaten in Aden ausgebrochenen Choleraepidemie mit diesem Orte würden communiciren dürfen. Jetzt erfuhren wir, daß diese seit Kurzem vorüber sei. Bald nach unserer Ankunft war der „Helios" bereits von arabischen Booten umringt, deren Schwarzbraune Insassen an Bord kletterten, um ihre eigenthümlichen Landesproducte zum Kaufe anzubieten: Straußenfedern und - Eier, Löwen- und Leopardenfelle, Antilopenhörner, stattliche Sägen des Sägefisches, zierlich geflochtene Körbchen und Schüsseln u. dgl. mehr. Mehr Interesse noch als diese Producte boten die Händler SelbSt, theils echte Araber, theils Neger, theils Somalis und Abessinier. Die meisten waren von dunkelbrauner Farbe, die bald mehr in das Röthliche oder Bronzefarbige, bald mehr in das Schwarze spielte. Die schwarzen krausen Haare sind oft mit Hennah roth oder mit Kalk weiß gefärbt. Die Bekleidung der Meisten bestand bloß aus einer weißen Schärpe um die Lenden. Sehr unterhaltend waren Scharen kleiner schwarzbrauner Jungen von 8-12 Jahren, die einzeln oder zu zweien in kleinen (aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestehenden) Kähnen herangerudert kamen und ihre Taucherkünste producirten. Kleine Silbermünzen, die wir über Bord warfen, fingen Sie tauchend mit großem Geschick und balgten sich selbst unter Wasser mit Energie um deren Besitz.

Von der Stadt und den Befestigungswerken Adens sahen wir, da wir nicht an Land gingen, nur wenig. Die öden vulkanischen Felsen der Halbinsel, auf denen die Häuser zerstreut sind, erscheinen stark zerklüftet und theilweise sehr malerisch. Die vorherrschende Farbe der nackten Laven ist dunkelbraun. Keine Vegetation Schmückt die nackten starren Felswände und lindert die Gluth der tropischen Sonnenstrahlen; nur hier und da sind an einzelnen Stellen dürftige Anpflanzungen sichtbar. Der Aufenthalt auf diesem glühenden Felsenneste wird im Hochsommer zur Hölle für die englische Garnison, und nicht umsonst nennen es die Officiere: „des Teufels Punschkessel". Der Anblick der nackten Lavaberge erinnerte mich lebhaft an diejenigen der canarischen Insel Lanzerote.

Nach sechsstündigem Aufenthalte verließ der „Helios" das ungastliche Aden, um seine Fahrt nach Bombay fortzusetzen. Auch von dieser achttägigen Fahrt durch den indischen Ocean ist nichts Besonderes zu berichten. Wir erfreuten uns gleichmäßig des schönsten Herbstwetters. Der erfrischende Nordost Monsun machte sich von Tag zu Tag mehr geltend. Schon gleich nach dem Austritt aus dem Rothen Meere hatten wir mit Wonne seinen Einfluß empfunden. Obgleich auch jetzt bei Tage das Thermometer nicht unter 20o R. fiel (meistens 22o um Mittag), so erschien doch die frische bewegte Luft uns wie ein anderes Medium, und vor Allem waren die Nächte nicht glühend, wie im Rothen Meer, sondern von angenehmster Kühle. Der indische Ocean war beständig durch den frischen Monsun auch leicht bewegt; seine Farbe blieb ein zartes Blaugrün oder bisweilen grünliches Lafurblau; niemals aber das tiefe reine Dunkelblau des Mittelmeeres, an dessen Stelle im Rothen Meere ein mehr violett augehauchtes Blau getreten war. Der Himmel war bald ganz klar, bald mit leichten Federwolken bedeckt. Am Nachmittag sammelten sich stets zahlreiche Haufenwolken, thurmartig sich übereinander legend und von Nordost nach Südwest ziehend. Die prächtigsten Beleuchtungseffecte schenkte uns dann die indische Abendsonne, ein immer neues und immer herrliches Schauspiel, welches nur allzurasch unseren staunenden Blicken entschwand. Manche Stunde Tags über stand ich vorn am Bugspriet und schaute den Scharen der fliegenden Fische zu, die beständig beim Nahen des Schiffes aus der Fluth auftauchten und gleich Schwalben in geringer Höhe über dem Wasserspiegel hin schossen.

Noch anziehender freilich blieben mir meine geliebten Medusen, die in den Morgenstunden von 9-12 Uhr bald einzeln, bald in Schwärmen erschienen; blaue Rhizostomen, rosenrothe Aurelien und braunrothe Pelagien. Besonders leid that es mir, daß ich nicht der merkwürdigen Staatsqualle oder Siphonophore habhaft werden konnte, die wir Porpita nennen und die am 4. November in zahlreichen und stattlichen, aber immer vereinzelten Exemplaren uns begegnete.

An einigen Abenden war das herrliche Phänomen des Meeresleuchtens so prachtvoll, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Der ganze Ocean, so weit das Auge reichte, war ein zufammenhängendes funkelndes Lichtmeer. Die mikroskopische Untersuchnug des geschöpften Wassers ergab , daß die leuchtenden Thiere zum größten Theile kleine Crustaceen waren, zum kleineren Theile Medusen, Salpen, Würmer u. s. w. Das prachtvollste Licht strahlten jedoch die Feuerzapfen (Pyrosoma) aus.

Den größten Theil dieser gezwungenen Mußewoche verbrachte ich mit dem Schreiben dieser Zeilen, und wenn ich auch fürchten muß, lieber Leser, daß diefe „unterwegs nach Indien" geschriebenen flüchtigen Blätter Dir kein besonderes Interesse abgewinnen werden, so bitte ich Dich einstweilen freundlich damit fürlieb zu nehmen, in der Hoffnung, daß die folgenden Briefe Dir besser gefallen.


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