Indische Reisebriefe
von
Ernst Haeckel
1883 (1. Auflage)
Gebrüder Paetel, Berlin
Also wirklich nach I n d i e
n ? So frugen mich die Freunde in Jena und so frug ich mich selbst
ich weiß nicht wie oft -, nachdem ich zu Ende des letzten Winters
unter dem vollen Eindrucke unseres melancholischen norddeutschen
Februar den Entschluß gefaßt hatte, den nächsten
Winter im tropischen Sonnenglanze der Wunderinsel C
e y l o n zuzubringen. Freilich
ist eine Reise nach Indien heutzutage kein Kunststück mehr; ist
doch in unserer reiselustigen und reiserührigen Zeit kein Theil der
Erde mehr von Touristen verschont: die entferntesten Meere durcheilen
wir auf den bequemen Luxusdampfern der Gegenwart in
verhältnißmäßig kurzer Zeit mit weniger
Umständen und weniger Gefahren, als vor hundert Jahren die
gefürchtete, heute alltägliche „Reise nach Italien"
begleiteten. Selbst „die Reise um die Weit in achtzig Tagen" ist
schon ein gewohnter Gedanke geworden und viele angehende
Weltbürger, die das nöthige Geld dazu besitzen glauben sich
durch eine solche „Weltreise" in weniger als Jahresfrist eine
umfassendere und vielseitigere Bildung zu erwerben, als durch den
zehnjährigen Besuch der besten Schule. Eine „Reise nach
Indien" kann demnach - zumal die beste Literatur über
dieses wunderbare Land in Fülle vorhanden ist - an sich keinen
besonderen Anspruch auf Theilnahme mehr erheben und es bedarf wohl
einer eigenen Rechtfertigung, wenn ich in diesen „Indischen
Reisebriefen" die Leser einlade, mich auf meiner
halbjährigen Fahrt nach und durch Ceylon freundlich zu begleiten.
Dabei wirst Du, geneigter Leser, und noch mehr, verehrte Leserin, mir
wohl freundlichst gestatten müssen, in meine persönlichen
Interessen als Naturforscher und Naturfreund Dich hineinzuziehen;
denn diese sind es ja, welche die jetzt begonnene Reise eigentlich allein
in's Leben gerufen haben.
Der Wunsch, die Wunder der Tropen-Natur von Angesicht zu sehen, ist
für jeden Naturforscher, der sich die Erkenntniß der
organischen Lebens - Formen unseres Erdballes zur Lebens - Aufgabe
gesetzt hat, eigentlich selbstverständlich; er ist einer der
sehnlichsten Wünsche. Denn innerhalb der Wendekreise allein
entwickelt unter dem gesteigerten Einflusse des Sonnenlichtes und der
Sonnenwärme sowohl die Thierwelt als die Pflanzenwelt unserer
Erde jenen höchsten und erstaunlichsten Formen-Reichthum, von
welchem die Fauna und Flora unserer gemäßigten Zone nur
als ein schwacher und farbloser Abglanz erscheinen. Schon als Knabe
hatte ich bei meiner Lieblings - Lectüre, den alten
„Reisebeschreibungen", an Nichts so große Freude, als an den
Urwäldern Indiens und Brasiliens; als dann später
Humboldt's „Ansichten der Natur" Schleiden's „Pflanze und ihr
Leben", Kittlitz' „Vegetations-Ansichten" und Darwin's „Reise
um die Erde" vor allen anderen Schriften anregend und
bestimmend auf meinen Lebensplan einwirkten, da wurde „die Reise in
die Tropen" mein höchster Lebenswunsch. Am ersten durfte
ich hoffen, dieselbe als Arzt ausführen zu können und um
ihretwillen hauptsächlich beschloß ich vor dreißig
Jahren als angehender Student, dem Lieblings - Studium der Botanik
und Zoologie noch dasjenige der Medicin hinzuzufügen. Aber eine
lange Zeit noch sollte verstreichen, ehe der damals gehegte Reisetraum
zur lebensvollen Wirklichkeit sich gestaltete !
Die verchiedenartigsten Versuche, die ich vor 25 Jahren, nach
Vollendung meiner medicinischen Studien, unternahm, um als Arzt die
beständig mir vorschwebende Tropenreise auszuführen,
schlugen sämmtlich fehl. Ich war schließlich glücklich,
als ich 1859 eine längere Reife nach Italien antreten und
über ein Jahr lang an den herrlichen Ufern des reichen, mir jetzt
so lieb gewordenen Mittelmeeres mich in das Studium seiner
mannichfaltigen Seethier - Bevölkerung vertiefen konnte. Nach
der Rückkehr drängte eine bestimmte Berufs-Pflicht und der
jähe Wechsel persönlicher Schicksale die weiteren
Reisepläne in den Hintergrund. Ich trat Ostern 1861 das Lehramt
an der Universität Jena an, weIches ich nunmehr seit 20 Jahren
bekleide. Die Ferienzeit benutzte ich jedoch meistens nach dem Vorbilde
meines großen Meisters und Freundes Johannes
M ü l 1 e r zu
zoologischen Studien-Reisen an die Meeresküste. Die besondere
Vorliebe für das höchst interessante Studium der niederen
Seethiere, vor Allen der Pflanzenthiere und Urthiere, in welches
Johannes Müller persönlich mich 1854 in Helgoland
eingeführt hatte, führte mich im Laufe des folgenden
Vierteljahrhunderts nach und nach an die verschiedensten Küsten
von Europa. In der Vorrede zu dem 1879 erschienenen „System der
Medusen" habe ich eine Uebersicht der zahlreichen Küsten -
Orte, an denen ich während dieses Zeitraums fischte und
beobachtete, mikroskopirte und zeichnete, zusammengestellt. Immer
blieben es vorzugsweise die mannichfaltigen Küsten des
unvergleichlichen, in so vielen Beziehungen einzig dastehenden
Mittelmeeres, welche vor allen anderen die größte
Anziehungskraft ausübten. Indessen konnte ich auch zweimal die
Grenzen dieses Lieblings-Gebietes überschreiten. Den Winter
1866/67 brachte ich auf den canarischen Inseln zu,
größtentheils auf der vulcanischen fast vegetationslosen Insel
Lanzerote. Jm Frühjahr 1873 machte ich von Suez aus auf einem
ägyptischen Kriegsschiff einen wundervollen Ausflug nach Tur, zu
den Korallenbänken des Rothen Meeres, über welchen ich in
meinen „Arabischen Korallen" (1875) berichtet habe. Beide Male
kam ich den Wendekreisen ganz nahe und blieb nur durch wenige
Breitengrade von dem Tropen - Gürtel getrennt - allerdings beide
Male von einem Bezirk deselben, der gerade seinen größten
Reiz, den tropischen Vegetations - Reichthum am Dürftigsten
entwickelt zeigt.
Je mehr aber der Naturforscher von unserer schönen Erden-Natur
sieht und genießt, desto begieriger wird er nach weiterer
Ausdehnung des Gesichtskreises. Nach einem herrlichen Herbst-
Aufenthalte, den ich im Jahre 1880 auf dem SchIosse Portofino bei
Genua, Dank der gütigen Gastfreundschaft des dortigen englischen
Consuls, Mr. Montague-Brown, genossen hatte, kehrte ich gesättigt
mit einer Fülle interessanter zoologischer und botanischer
Erfahrungen nach dem stillen kleinen Jena zurück Aber schon
wenige Wochen später führte mir der Zufall das
hübsche Werk über
C e y l o n von dem Wiener
Maler
R a n s o n n e t
wieder in die Hand, und gerade die schönen Erinnerungen
an Portofino ließen mir nun die großartigen, früher
schon oft mit besonderer Sehnsucht betrachteten Naturwunder der
indischen Zimmet-Insel doppelt reizend und begehrenswerth
erscheinen. Ich schlug im Cursbuch die verschiedenen Routen nach
Indien nach und ersah zu meiner Freude, daß der „Kampf um's
Dasein" zwischen den verschiedenen indischen Dampfer-Linien die
hohen Fahrpreise seit einigen Jahren sehr bedeutend
herabgedrückt und voraussichtlich in gleichem Maße auch
die mancherlei Unannehmlichskeiten der Reise vermindert hatte. Ganz
besonders einladend aber erschien mir die Notiz, daß jetzt auch der
österreichische Lloyd in Triest eine doppelte Dampfer-Linie nach
Indien unterhält und daß beide Ceylon berühren. Von
vielen Mittelmeer- Reisen her standen gerade die österreichischen
Lloyd-Schiffe bei mir in bestem Andenken und durch ihre Benutzung
durfte ich hoffen, meinen Zweck am sichersten, bequemsten und
leichtesten zu erreichen.
Die Seereise von Triest über Aegypten und Aden nach Ceylon
nimmt ungefähr 4 Wochen in Anspruch; davon kommen etwa 6
Tage auf die Strecke von Triest bis Port-Said, 2 Tage auf den Suez-Canal,
6 Tage auf das Rothse Meer und 11 Tage auf den indischen Ocean von
Aden bis Ceylon.
3-4 Tage Aufenthalt fällt auf die berührten Stationen.
Wenn ich also einen halbjährigen Urlaub erhielt, konnte ich 2
Monate auf die Hin- und Rückreise rechnen, 4 Monate auf den
Aufenthalt in Ceylon selbst. Bei dem gesunden Klima und den
geordneten Verhältnissen dieser schönen Insel bot die Reise
keinerlei besondere Gefahren. Sodann bedachte ich weiter, daß ich
im 48. Lebensjahre stehe und daß es somit an der Zeit sei, die Reise
bald auszuführen, wenn sie überhaupt noch zur
Ausführung kommen sollte. Umstände verschiedener Art,
sie nicht hierher gehören, begünstigten einen raschen
Entschluß und so entwarf ich mir denn zu Ostern 1881 den
bestimmten Plan der Reise und begann alsbald zur Ausführung
desselben zu schreiten. Der erforderliche Urlaub und eine ansehnliche
Summe zur Anlegung einer Sammlung von indischen Naturalien wurde
mir von der Großherzoglichen Staatsregierung in Weimar gern
bewilligt. Um mich genügend dür die möglichste
Ausbeutung der kurzen Reisezeit vorzubereiten, las ich die wichtigsten
Werke, die über Ceylon und seine Natur-Producte bisher
erschienen sind, vor Allem die treffliche und auch heute noch
grundlegende Darstellung in C a r l
R i t t e r' s
classischer „,Erdkunde" (Ostasien, Fünfter Band), Sodann das
Hauptwerk des Engländers Sir Emerson Tennent: Ceylon, An
account of the Island, physical, historical and topographical. London,
1860. Außerdem verglich ich eine Anzahl älterer und
neuerer Reisebeschreibungen, welche Angaben über die Insel
enthalten.
Weiterhin wurde der Apparat von Instrumenten und Utensilien zum
Beobachten und Sammeln von Thieren, welcher mich stets auf meinen
Reisen an die Meeresküste begleitet, auf's Neue hergerichtet,
ergänzt und ansehnlich erweitert. Auch benutzte ich den Sommer
zum Erlernen und Einüben einiger neuer, mir bisher unbekannter
Künste, welche gerade für diese Reise befonders
nützlich und wünschenswerth erschienen, als da sind:
Oelmalerei, Photographie, der Gebrauch des Jagdgewehres, des
Löthkolbens u. s. w. Da der klimatischen Verhältnisse wegen
der Antritt der Reise vor Mitte October nicht räthlich erschien,
verbrachte ich die Herbstferien noch in Jena, mit Zurüstungen aller
Art und mit der Verpackung des umfangreichen Apparates
beschäftigt. Obgleich meine speciellen Reifezwecke sich auf den
engeren Kreis meiner Lieblingsstudien, besonders der Urthiere und
Pflanzenthiere, beschränken sollten, so gab es immerhin genug
andere naturwissenschaftliche Aufgaben, von denen ich einige vielleicht
nebenbei fördern konnte und auf deren Behandlung ich mehr oder
minder vorbereitet sein mußte.
Der Naturforscher, welcher heutzutage die Meeresküste aufsucht,
um dort Untersuchungen über deren Thier- und Pflanzen-Leben
anzustellen, kann nicht mehr mit einem Mikroskope, einem
Präparir-Besteck und einigen anderen einfachen Instrumeuten
sich begnügen, wie das noch vor 20, ja noch vor 10 Jahren
möglich war. Die Methoden der biologischen und insbesondere der
mikroskopischen Untersuchung haben sich in den letzten beiden
Decennien außerordentlich entwickelt und vervollkommnet; ein
verwickelter und umfangreicher Apparat von Werkzeugen der
verschiedensten Art ist erforderlich, um nur einigermaßen den
heute gestellten Aufgaben zu genügen.
Nicht weniger als 16 Kisten und Koffer waren es, welche ich in Triest
für meine Reise einschiffte. Davon waren 2 Kisten bloß mit
den nöthigsten wissenschaftlichen Büchern gefüllt, 2
andere enthielten die Mikroskope, die physikalischen und anatomischen
Instrumente. In 2 Kisten waren die Apparate zum Sammeln und die
Mittel zum Conferviren des Gesammelten verpackt, verlöthete
Blechbüchsen mit verschiedenen Alkoholen und anderen
Conservations - Flüssigkeiten, Carbolsäure, Arsenik etc.
Diesen schlossen sich 2 andere Kisten an, welche bloß Gläser
(einige tausend Stück) enthielten, sowie 2 Kisten mit Netzen und
Fang-Apparaten aller Art, Schleppnetzen und Scharrnetzen zum
Abkratzen des Seebodens, Mullnetzen und Schöpfnetzen zum Fang
an der Meeres-Oberfläche. Eine besondere Kiste enthielt den
photographischen Apparat, eine zweite die Utensilien zum Oelmalen und
Aquarelliren, Zeichnen und Schreiben; eine dritte war gefüllt mit
40 in einander geschachtelten Blechkisten, so eingerichtet, daß ich
die flachen Blechdeckel der würfelförmigen Kisten, nachdem
diese mit Thieren gefüllt waren, mit leichter Mühe selbst
auflöthen konnte; eine vierte Kiste enthielt ausschließlich die
Munition für meine doppelläufige Jagdflinte: tausend
Stück Patronen verschiedenen Kalibers. Die meisten der 14 Kisten
waren mit Blech ausgeschlagen und zugelöthet, um auf alle
Fälle ihren Inhalt während der längeren Seereise vor
der verderblichen Nässe zu schützen. In 2 Blechkoffern
endlich hatte ich die für die halbjährige Reise erforderlichen
Kleidungsstücke und Wäsche untergebracht.
Angesichts dieser ansehnlichen Ausstattung, deren Zurüstung und
Verpackung mir schon in Jena Sorge und Arbeit genug gemacht hatte,
darf ich es wohl als ein besonderes Glück betrachten, daß ein
Wunsch nicht in Erfüllung ging, den ich bei Beginn meines
Unternehmens mit besonderer Wärme in's Auge gefaßt hatte.
Bekanntlich haben unter allen Erforschungen des Meeres-Lebens in der
neueren Zeit keine so großartige und überraschende
Resultate zu Tage gefördert, als die Unter suchung der
T i e f s e e , welche
wir in erster Linie den englischen Zoologen, Sir Wyville Thomson,
Carpenter, John Murray, Moseley und Anderen verdanken.
Während noch vor 20 Jahren der tiefe Ocean für leblos galt
und allgemein das Dogma herrschte, daß unterhalb 2000 Fuß
das organische Leben in den Meerestiefen überhaupt
aufhöre, lehrten uns die großartigen Tiefsee - Forschungen
der Engländer während des letzten Decenniums das
Gegentheil. Es ergab sich, daß die Tiefen des Oceans, soweit man
dieselben bis jetzt erforschen konnte, bis zu 27,000 Fuß hinab, mit
Thieren der verschiedensten Classen reich bevölkert sind, und
zwar mit Thieren, die größtentheils bisher völlig
unbekannt waren und die in verschiedenen Tiefen-Zonen ähnliche
Verschiedenheiten darbieten, wie die Flora-Gürtel in
verschiedenen Gebirgshöhen.
Nun betreffen aber die bisherigen Tieffee-Untersuchungen, vor allen die
denkwürdigen und unvergleichlichen Forschungen der
"Challenger-Expedition", zum größten Theil den
atlantischen Ocean, zum kleineren einige Abschnitte des pacifischen
Oceans; hingegen wurde das ungeheure Gebiet des indischen Oceans von
ihnen nicht berührt, oder nur eben im südlichsten Theile
gestreift. Ein ungeahnter Reichthum von neuen, bisher unbekannten
Tiefsee-Bewohnern wird zweifellos von demjenigen Naturforscher
entdeckt werden, welcher das Glück haben wird, zum ersten Male
das vervollkommnete Tiefsee - Netz der Gegenwart in die unerforschten
Tiefen des indischen Oceans zu senken. Nun war es gewiß
verzeihlich, daß sich beim ersten Entwurf meines Reiseplanes
bereits in mir der Wunsch regte, jenen unbekannten Schatz zu heben.
Warum sollte ich nicht der Erste sein, der einen Versuch dazu machte,
einen mißlungenen Versuch vielleicht (- wie so viele andere ! -)
aber doch einen ersten Versuch ! Freilich sind aber Tiefsee -
Untersuchungen ein sehr kostspieliges Vergnügen, selbst wenn
man dieselben - wie ich gethan haben würde - nur in
möglichst einfacher und billiger Form unternimmt. Auf keinen Fall
konnte ich daran denken, einen solchen Versuch mit meinen
bescheidenen Privatmitteln zu unternehmen; wohl aber konnte ich
versuchen, Mittel für jenen Zweck aus solchen Instituten zu
erhalten, welche eigens zur Förderung wissenschaftlicher
Unternehmungen gegründet sind. In Deutschland ist das
bedeutendste und einflußreichste derartige Institut die Akademie
der Wissenschaften in Berlin. Theils aus ihren eigenen reichen Fonds,
theils aus denjenigen der Humboldt- Stiftung (über welche sie zu
verfügen hat) haben bereits viele Reisende anfehnliche
Unterstützungen erhalten.
Als ich nun Ostern 1881 gelegentlich eines kurzen Besuches in Berlin mit
mehreren meiner dortigen Freunde die beabsichtigte indische Reise
besprach, wurde ich von den Letzteren dringend aufgefordert, mich um
das vacante Reise-Stipendium der Humboldt-Stiftung zu bewerben, um
so mehr, als gerade jetzt eine sehr beträchtliche Summe disponibel
sei. Ich muß gestehen, daß ich mich nur ungern und
zögernd entschloß, dieser wohlwollenden Aufforderung
meiner Berliner Collegen Folge zu leisten. Denn einerseits hatte ich alle
meine früheren wissenschaftlichen Reisen, seit mehr als 25 Jahren,
ohne jede derartige Unterstützung ausgeführt, und dabei die
Kunst erlernt, unter Beschränkung auf das Nothwendigste auch
mit bescheidenen Privatmitteln meine Reisezwecke zu erreichen.
Andrerseits aber gehören bekanntlich die einflußreichsten
Mitglieder der Berliner Akademie zu den eifrigsten Gegnern der
Entwickelungslehre, deren Förderung und Ausbau ich mir seit
vielen Jahren besonders hatte angelegen sein lassen. Wurde doch
gerade dort dem unaufhaltsamen Fortschritte der Erkenntniß jene
künstliche Schranke entgegen- gestellt, welche die Aufschrift
"Ignorabimus et restringamur!" trägt, und welcher ich
in meiner Schrift über "Freie Wissenschaft und freie
Lehre" (1878) geantwortet habe: "Impavidi
progrediamur!" Daß mir dieser Widerspruch niemals
würde verziehen werden, wußte ich im Voraus. Ich war
daher auch gar nicht überrascht, als ich einige Monate später
von meinen Berliner Freunden erfuhr, daß die Akademie jenes
Gesuch einfach abgewiefen habe.
Mein Wunsch, Tiefsee-Untersuchungen im indischen Ocean anzustellen,
war dadurch allerdings vereitelt; es wird einem Verdienteren und
Glücklicheren überlassen bleiben, die zoologischen
Schätze seiner verborgenen Abgründe zu heben. Für
mich wird hoffentlich auch die Oberfläche des tropischen Meeres
so viel Neues und Interessantes bieten, daß die kurze, mir
gegönnte Zeitspanne zu seiner vollen Bewältigung nicht
ausreicht; und jedenfalls bleibt mir jetzt, wo ich ganz auf eigenen
Füßen stehe, jenes höchste Gut gewahrt, auf dessen
ungeschmälerten Besitz ich von jeher den größten
Werth gelegt habe, die volle Freiheit und Unabhängigkeit!
Gegenüber diesen und anderen , wenig erfreulichen Erfahrungen,
die ich bei der Zurüstung der Reise zu machen halte, sei es mir
gestattet, der weitaus größeren Zahl derjenigen lieben
Freunde meinen herzlichsten Dank abzustatten, welche sofort nach
Mittheilung meines Planes demselben ihre wärmste Theilnahme
schenkten und auf alle Weise denselben zu fördern suchten, vor
allen Anderen Charles Darwin, Dr. Paul Rottenburg in Glasgow; Sir
Wyville Thomson und John Murray in Edinburgh; ferner Professor
Eduard Sueß in Wien, Baron von Königsbrunn in Gratz
Heinrich Krauseneck und Linien-Schiffs-Capitän Radonetz in Triest.
Nicht minder fühle ich mich verpflichtet , der
Großherzoglichen Staatsregierung in Weimar für die
wohlwollende Unterstützung meiner Reifezwecke hier meinen
ergebensten Dank auszusprechen, vor Allen seiner Königlichen
Hoheit dem Großherzog C a r l Alexander von Sachsen-Weimar ,
dem Rector magnificentissimus der Universität Jena, sowie dem
Erbgroßherzog. Durch ihre gütige Vermittelung erhielt ich
eine directe Empfehlung des englischen Colonial-Ministers an den
Gouverneur von Ceylon. Auch mit anderen Empfehlungen wurde ich
reichlich ausgestattet. Endlich muß ich doch auch noch allen den
lieben Freunden und Collegen in Jena hier dankbarst die Hand
drücken, welche in der verschiedensten Weise bemüht
waren , mir in meinen Reise-Zurüstungen behülflich zu
sein.
Nachdem endlich alle Vorbereitungen vollendet und 12 meiner Kisten ,
mehrere Wochen vorher abgeschickt , bereits in Triest angekommen
waren, verließ ich mein liebes stilles Jena am Morgen des 8.
Octobers. Der Abschied war nicht leicht. Ich empfand gar sehr, was ich
schon Wochen vorher mit steigender Bangigkeit empfunden hatte ,
daß eine halbjährige Trennung von Weib und Kind , eine
Trennung durch einen Meeresraum von mehr als 5000 Seemeilen,
für einen Familienvater, der im achtundvierzigsten Lebensjahr
steht, keine leichte Aufgabe ist. Wie anders würde ich, mit
frischestem Jugendmuthe ohne einen Schatten von Sorge, diese Reise in
die Tropen vor 25 Jahren angetreten haben, damals, als sie mein
heißester Lebenswunsch war und als ich alles daran setzte , um ihn
zu verwirklichen Freilich konnte ich jetzt, durch zwanzigjährige
Lehrthätigkeit mit den Aufgaben meines zoologischen
Forschungsgebietes wohl vertraut , und im Voraus mit den besonderen
Fragen meiner Reise-Aufgabe genau bekannt , sie besser zu beantworten
und in kürzester Zeit , auf reiche Erfahrungen gestützt,
größere Resultate zu erzielen hoffen , als damals, vor einem
Viertel-Jahrhundert. Aber war ich selbst nicht auch um ebenso viel
älter geworden? hatte ich nicht um so viel mehr an
Elasticität des Geistes und Jugendkraft des Körpers
eingebüßt? Und konnten jetzt, wo ich so viel tiefer in
abstractere Gebiete der Naturforschung eingedrungen war, die concreten
Wunderwerke selbst der reichsten Tropen-Natur noch einen
ähnlichen Eindruck auf mich machen , wie sie damals sicher im
höchsten Maße gemacht haben würden? War ich nicht
wieder einmal, wie schon so oft, auf einem Punkte angekommen, wo
meine rege Phantasie mir die schönsten Zauberbilder vor Augen
führte und wo diese leider alsbald beim Eintritt in die
nüchterne Wirklichkeit zu einer leeren Fata morgana
zerflossen?
Solche und ähnliche Gedanken, gemischt mit den bittersten
Empfindungen des schweren Abschieds von Familie und Heimath,
durchzogen düsteren Nebelwolken gleich mein Gemüth, als
mich die Saal - Eisenbahn in der Frühe des achten Octobers von
Jena nach Leipzig führte. Und düstere kalte Herbst - Nebel
waren es auch, die mich rings umgaben und die mein geliebtes Saalthal
völlig erfüllten und verhüllten. Nur die höchsten
Gipfel unsrer herrlichen Muschelkalk-Berge ragten frei aus dem
wogenden Nebel - Meer empor , zur Rechten der langgestreckte
Hausberg mit dem "röthlich - strahlenden Gipfel" , das
stolze pyramiden-Haupt des Jenzig und die romantischen Ruinen der
Kunitzburg; zur Linken die waldigen Höhen des Rauthals und
weiterhin G o e t h e' s LiebIings-Aufenthalt, die reizende Dornburg. Ich
rief meinen alten und vielgeliebten Bergfreunden das bestimmte
Versprechen zu , im nächsten Frühjahr wohlbehalten und
mit indischen Schätzen reich beladen zurückzukehren, und
wie zur sicheren Bestätigung dieser frohen Hoffnung sendeten
auch sie mir den freundlichsten Morgengruß zurück; noch
während ich an ihren Füßen vorbeifuhr, sank
zusehends der dichte Nebel von ihren Häuptern und Schultern und
die siegreiche Morgensonne stieg goldig und strahlend am wolkenlos
sich klärenden Himmel empor; der herrlichste Herbstmorgen
entfaltete bald alle seine Reize und die Thautropfen sunkelten
perlengleich in den dunkelblauen zartbewimperten
Blüthenkelchen der schönen Gentianen, welche die begrasten
Hügel zu beiden Seiten unserer Schienenstraße in Fülle
schmückten.
Einige Stunden Aufenthalt in Leipzig beuntzte ich , um noch einige
Lücken in meiner Reise - Ausrüstung auszufüllen, md
in der städtischen Gemälde - Gallerie mich an den herrlichen
Meisterwerken der Landschafts - Malerei von Preller, Calame , Gudin ,
Saal u.. s. w. zu erfreuen. Dann fuhr ich Nachmittags weiter nach
Dresden und Abends von hier mit dem Nacht - Schnellzug in 12 Stunden
nach Wien. Nach kurzem Aufenthalt vou wenigen Stunden reiste ich auf
der Südbahn weiter nach Gratz. Es war ein prachtvoller sonniger
Herbst-Sonntag und die Alpen-Scenerie des Semmering glänzte in
ihrer vollen Schönheit. Hier in den waldigen Schluchten und auf
den blumreichen Almen der Schönen Steiermark hatte ich vor 24
Jahren mit wahrer Leidenschaft botanisirt; jede Höhe des
Schneeberges und der Rax-Alp stand mir noch in freundlichster
Erinnerung. Der junge Doetor medicinae hatte damals mit weit mehr
Interesse sich der interessanten Flora von Wien gewidmet , als den
lehrreichen Kliniken von Oppolzer und Skoda , von Hebra und Siegmund.
Beim Trocknen der gewaltigen Stöße von prächtigen
zwerghaften Alpen-Pflanzen, welche ich damals auf den Höhen des
Semmering gesammelt, hatte ich oft von der ganz verschiedenen Riesen-
Flora Indiens und Brasiliens geträumt , welche die
Gestaltungskraft des Pflanzenlebens in so ganz entgegengesetzter Form
und Größe entwickelt zeigt; und nun sollte mir in einigen
Wochen jener Traum zur unmittelbaren Wahrheit der Anschauung
werden !
In Gratz , wo ich mich einen Tag aufhielt, fand ich treffliches
Unterkommen im Hotel zum "Elephanten". Keinen
passenderen Namen konnte der erste Gasthof führen , in dem ich
auf einer Reise nach Indien übernachtete. Ist doch der Elephant
nicht allein an sich eines der wichtigsten und interessantesten Thiere
von Indien, Sondern speciell das typische Wappenthier von Ceylon. Da
nun schon der "Elephant" von Gratz mich so freundlich
aufnahm und bewirthete , nahm ich das als gutes Omen für die
bevorstehende Bekanntschaft mit dem indischen Elephanten, die ich
bald sowohl in gezähmtem als in wildem Zustande zu machen
hoffte! Bei dieser Gelegenheit sei mir zu Nutz und Frommen
wanderlustiger Genossen, die weniger auf zahlreiche schwarzbefrackte
Kellner , als auf gute Verpflegung iu den Gasthöfen rechnen, eine
beiläufige Bemerkung einzuflechten gestattet. Auf meinen
vieljährigen Wanderungen, auf denen ich in den
verschiedenartigsten Hotels und Herbergen aller Classen zu
übernachten Gelegenheit hatte, glaube ich beobachtet zu haben,
daß man auf die Beschaffenheit dieser gemeinnützigcn
Institute bis zu einem gewissen Grade schon aus ihrem Namen *und
Schilde schließen kann. Ich theile dieselben demnach in 3 Claffen,
in zoologisch-botanische, dubiöse und dynastische
Gasthäuser. Weitaus am besten fand ich durchschnittlich die
zoologifch-botanischen Herbergen, als da sind: "Goldener
Löwe, Schwarzer Bär, Weißes Roß, Rother Ochse,
Silberner Schwan, Blauer Karpfen, Grüner Baum, Goldene
Weintraube" u. s. w. Weniger sicher ist auf gute und billige
Verpflegung in jenen Gasthöfen zu rechnen , welche vorher als
bub iöse bezeichnet wurden und welche weder zur ersten noch zur
dritten Gruppe gehören; sie führen sehr verfchiedenartige
Namen (oft den der Besitzer selbst) und sind zu heterogener
Qualität, als daß sich bestimmte allgemeine Schlüsse
für ihre Beurtheilung ergeben könnten. Dagegen habe ich
meistens nur trübe Erfahrungen (insbesondere über das
umgekehrte Verhältniß der schlechten Verpflegung zu der
theuren Rechnung!) in denjenigen Hôtels gemacht, die vorher als
dynastische bezeichnet wurden, als da sind: "Kaiser von
Rußland, König von Spanien, Kurfürst von Hessen ,
Prinz Carl" u. s w. Natürlich soll mit dieser Claffification kein
allgemein gültiges Schema gegeben fein; aber im Ganzen wird ,
glaube ich, der kritische und anspruchslose Wanderer (besonders in
jüngeren Jahren!) obige Eintheilung bestätigt finden; und
namentlich der fahrende Künstler , der Maler und Naturforsch er.
Der "Elephant" in Gratz entsprach vollständig seiner
Ehrenstellung in der zoologischen Classe !
Zu dem Aufenthalt in Gratz war ich durch eine freundliche Einladung
eines dortigen ausgezeichneten Landschafts Malers, des Barons Hermann
von Königsbrunn, veranlaßt worden. Derselbe hatte mir vor
mehreren Monaten geSchrieben, daß er von meiner beabsichtigten
Reise nach Ceylon gehört; er selbs habe dort vor 28 Jahren
höchst genußreiche acht Monate verlebt und eine große
Zahl von Skizzen und Bildern, insbesondere von Vegetations - Ansichten
gesammelt , die mir vielleicht von Interesse sein würden.
Natürlich war mir diese freundliche Mittheilung sehr willkommen,
und ich konnte keine bessere Vorbereitung für meine eigenen
Skizzen von Ceylon finden, als die werthvollen Bilder-Mappen des
Gratzer Künst lers. DerSelbe hatte seine Reise durch die Palmen-
Wälder und die FarnSchluchten der Zimmet - InSel im Jahre 1853
gemacht , in Begleitung des Ritters von Friedan und des Pro fessors
Schmarda in Wien , welch Letzterer seinen Aufenthalt auf der Insel in
seiner "Reise um die Erde" ausführlich beSchrieben hat.
Leider sind aber die zahlreichen und höchst werthvollen
Zeichnungen, welche Baron von Königsbrunn dort entworfen hat
und welche urSprünglich zur Illustration jenes Reise-Werkes
dienen Sollten , niemals veröffentlicht worden. Das ist um so mehr
zu bedauern , als sie zu den besten und .vollendetsten Kunftwerken
dieSer Art gehören, welche ich kenne. Auch Alexander von
Humboldt - gewiß ein competenter Richter - der sie König
Friedrich Wilhelm IV. vorlegte, äußerte Sich über
dieSelben in Ausdrücken des höchsten Lobes. Die Ceylon -
Bilder von Könisgsbrunn vereinigen in sich zwei verSchiedene ,
gewissermaßen entgegengeSetzte Vorzüge, die leider nur
Sehr selten in derartigen Kunstwerken vereinigt gefunden werden , und
die doch beide nothwendig zuSammen kommen müssen , um
denSelben wirklich den Stempel der Vollendung aufzuprägen:
einerseits die größte Naturtreue in der gewissen haftesten
Wiedergabe der Form - Einzelheiten, andrerseits die vollkommenste
künstlerische Freiheit in der einheitlichen Behandlung und
wirkungsvollen Composition des ganzen Bildes. Viele Bilder unserer
berühmtesten LaudSch fter , welche der zweiten Anforderung
völlig genügen, erfüllen die erstere nicht. AndererSeits
lassen wieder viele sogenannte Vegetations-Ansichten, wie Sie
geübte kenntnißreiche Botaniker gezeichnet haben , die freie
ästhetiSche Auffassung des Künstlers nur zu sehr vermissen.
Und doch ist das Eine eben so nothwendig wie das Andere; das
analytiSche und objective Auge des Botanikers nicht minder, als der
SynthetiSche und subjective Blick des Künstlers. Soll die
Landschaft ein wahres Kunstwerk sein, so muß Sie gleich dem
Porträt größte Naturtreue im Einzelnen mit
charaktervoller Auflassung des Individuums als Ganzen verbinden; und
das iSt bei den Ceylon-Bildern von Königsbrunn im höchSten
Maß der Fall; sie erreichen in dieser Beziehung mindestens die
berühmten "Vegetations - Ansichten" von Kittlitz,
welche Alexander von Humboldt seiner Zeit als unübertroffenes
Muster hinstellte und denen nur wenige andere an die Seite zu Setzen
sind. Sei es mir hier gestattet, dem eben so liebenswürdigen und
bescheidenen, als originellen und genialen Künstler neben meinem
freundlichen Dank auch die Hoffnung auszuSprechen, daß seine
herrlichen Kunstwerke aus der Verborgenheit Seines stillen Ateliers
bald den wohlverdienten Weg in die Oeffentlichkeit und die
gebührende Anerkennung finden mögen !
Nach herzlichem AbSchiede von einer Anzahl lieber alter und neuer
Freunde, die ich in Gratz gesehen, setzte ich mich am Mittag des 11.
Octobers wieder auf die Südbahn, um direct nach Triest zu fahren.
Mir gegenüber nahm im Conpé ein älterer Herr Platz,
den ich auf den ersten Blick als Engländer erkannte und der sich
Schon in der ersten halben Stunde unSeres Gefpräches als eine mir
Sehr interessante Persönlichkeit entpuppte, als Surgeon-General
Dr. J Macbeth. DerSelbe hatte 33 Jahre als Arzt der englischen Armee in
Judien, zuletzt als General - Arzt fungirt , an zahlreichen Kriegen Theil
genommen und alle Theile Jndiens, von Afghanistan bis Malacca und
vom Himalaya bis Ceylon bereist. Seine reichen Erfahrungen über
Land und Leute, Sowie seine besonderen Beobachtungen als Arzt und
Naturforscher waren für mich natürlich höchSt
anziehend und lehrreich und ich bedauerte es fast, daß Abends 10
Uhr unSere Ankunft in Triest dieSer Unterhaltung ein Ende machte.
Die drei Tage in Triest, welche vor der Abfahrt des Lloyd-Dampfers noch
übrig waren, wurden größtentheils mit BeSorgungen
von Reise - Utensilien und Kisten angefüllt , die ich bis hierher
verspart hatte. Ich wohnte während dieser Zeit bei meinem lieben
hochverehrten Freunde Heinrich KrauSeneck (einem Neffen des
berühmten preußiSchen Generals aus den Freiheits-Kriegen,
welcher Freund und Camerad meines Vaters geweSen war). Die herzliche
und überaus liebenswürdige Aufnahme , welche ich in der
trefftichen Familie KrauSeneck Schon zu wiederholten Malen in Triest
gefunden, that mir diesmal ganz besonders wohl, und erleichterte mir
weSentlich den AbSchied von Europa. Auch andere alte liebe Freunde
empfingen mich mit gewohnter Herzlichkeit, so daß ich diesmal,
wie noch jedes mal früher, von der großen
österreichiSchen Hafen-und Handels stadt, wie von einem
Stück deutscher Heimath mich ungern trennte. Dabei verrannen
die Stunden So raSch, daß ich nicht einmal zu einem erneuten
Besuche des poetiSchen Miramare kam, jenes unvergleichlichen
MeeresSchlosses, welches durch seine wunderbare Schönheit und
Lage die naturgemäße Bühne für einen Act in der
Tragödie "Kaiser Maximilian von Mexico" bildet - der
dankbarste Stoff für einen Dramatiker der Zukunft.
Auch für einen Abstecher nach der nahen Bucht von Muggia blieb
diesmal keine Zeit. Es ist dies die Schöne, an Seethieren reiche
Bucht, welche zuerst durch Johannes Müller's Entdeckung der in
Seegurken (Holothurien) wohnenden Wunderschnecke berühmt
geworden ist (Entoconcha mirabilis). Ich hatte bei früheren
BeSuchen Triest's fast jedes Mal* dort mit Erfolg gefiScht; aber dies Mal
drängte die bevorstehende indische Fischerei die mediterrane in
den Hintergrund. Und dann nahm die läStige Packerei mich noch
vielfach in Anspruch. Bis zum Tage vor der Abreise waren bereits alle
Kisten an Bord des Schiffes gebracht und alle Sonstigen noch
übrigen Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Sowohl
hinsichtlich der Verpackung und des Transportes dieser umfangreichen
Bagage als in Betreff meiner persönlichen Unterkunft und
Bequemlichkeit als Schiffspassagier fand ich mit Rücksicht auf den
wissenschaftlichen Zweck und Charakter meiner Reise die wirksamste
Unterstützung und die freundlichste Aufmerksamkeit beim
Directorium des österreichischen Lloyd. Da diese große und
verdienstvolle Gesellschaft schon wiederholt für wissenschaftliche
Reisen besondere Vergünstigungen und Erleichterungen
gewährt hat, hegte ich einige Hoffnung auch für meine
indische Reise dergleichen zu erlangen. Ich erhielt sie in reichstem
Maße, und ich erfülle einfach eine Pflicht, wenn ich hier dem
Director des Lloyd, Herrn Baron Marco di Morpurgo, Sowie den
Verwaltungsräthen desselben, und unter ihnen ganz besonders
meinem hochverehrten Freunde Herrn Linienschiffs - Capitän
R a d o n e t z
dafür meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank abstatte. Nicht
allein wurde ich mit einem befonderen, Sehr wirksamen
Empfehlungsschreiben an alle Agenten und Officiere des
"Lloyd" ausgestattet, nicht allein wurde mir auf dem
erwählten Schiffe eine der besten Cabinen erster Classe für
mich allein bewilligt , sondern auch in pecuniärer Beziehung eine
sehr wesentliche Erleichterung gewährt und außerdem alle
möglichen Bequemlichkeiten zugesichert.
Und nun endlich zu Schiff! Auf das schöne und Sichere
DampfSchiff, welches mich in vier Wochen nach I*ndien tragen Soll! I*ch
hatte die Wahl zwischen zwei vortrefflichen Lloyd Dampfern, welche
beide am 15. October gleichzeitig von Triest nach Indien abgingen und
den Suez - Canal passirten. Der erste ,
"H e l i o s", berührt auf
seiner Fahrt von Suez nur Aden und geht von da nach Bombay; hier
verweilt er acht Tage und fährt dann nach Ceylon , weiter nach
Singapore und Hongkong. Der zweite Dampfer "Polluce"
berührt auf der Fahrt von Suez durch das Rothe Meer Djedda, den
berühmten Hafenplatz für Mekka, und geht dann von Aden
direct nach Ceylon, weiter nach Calcutta. Ich wählte für
meine Fahrt den "Helios" , da ich So die beste Gelegenheit
hatte, Bombay und ein Stück des indischen Festlandes zu Sehen,
welches ich Sonst Schwerlich berührt haben würde.
Außerdem war der "Helios" das bessere , Schnellere und
größere Schiff, noch ganz neu und von Sehr einladendem
AusSehen. Endlich zog mich Schon der Name des Schönen Schiffes
ganz beSonders an. Oder konnte das Fahrzeug, welches mich aus den
grauen Nebelgefilden der nordischen Heimath, wie in Faust's
Zaubermantel, während der kurzen Frist eines Monates nach den
Sonnen glänzenden und Sonnenstrahlenden Palmen -
Wäldern Indiens trug, wohl einen besseren und
glückverheißenderen Namen führen, als den des ewig
jugendlichen Sonnengottes? Wollte ich ja doch eigentlich nur Sehen, was
die allmächtige und allzeugende Sonne aus Land und Meer der
Tropenzone üppig Schaffend hervorzubringen vermag! Nomen sit
omen ! Warum Soll ich nicht auch mein Stückchen Aberglauben
mit mir herumtragen, wie jeder andere MenSch? Und dann durfte ich ja
um So sicherer auf die Gunst des "Helios"" rechnen, als
ich Schon früher eine ganze Claffe von niedlichen strahlenden
"Urthierchen" Heliozoa, d h. Sonnenthierchen genannt hatte,
und als ich erst vor wenigen Wochen, beim Abschlusse meines neuen
RadiolarienSystems , eine Anzahl neuer Gattungen dieSer reizennden
Geschöpfchen dem "Helios" zu Ehren getauft hatte:
Heliopha*cus, Heliosestrum, Heliostylus, Heliodrymus u. s. w. Also, mein
hochverehrter "Helios", laß Dir dieSes zoologische Opfer
wohlgefallen , und bring mich sicher und wohlbehalten nach I*ndien ,
wie ich unter Deinem Lichte dort arbeiten und unter Deinem Schutze im
nächsten Frühjahr glücklich in die Heimath
zurückkehren will!
Der "Helios" des österreichischen Lloyd gehört zu
den größten und besten Schiffen der GesellSchaft , und da
dieSes schwimmende Hotel mir während eines ganzen Monats die
beste, reinlichste und freundlichste Herberge gewährt hat,
gebührt es sich , daß ich hier einige kurze Notizen über
seinen Körperbau einfüge. Die Länge des Schlanken ,
dreimastigen Schiffes beträgt 300 englische Fuß , die Breite
35 und die Höhe (vom Kiel bis zum Deck) 26 Fuß.
Darüber erhebt sich noch ein Salon von 9 Fuß Höhe. Der
Raumgehalt beträgt 2380 Tonnen. Die Dampfmaschine arbeitet mit
1200 Pferdekräften (400 nominal). Das vordere Drittel
enthält die zweite Kajüte, mit einem Salon, und
darüber die Ställe für unsern Schwimmenden Viehhof,
mit ein paar Kühen und Kälbern, einer Herde stattlicher
ungarischer Hammel mit langgewundenen Hörnern, und einer
großen Anzahl Hühner und Enten. Im mittleren Drittel des
Deckraumes befindet sich die gewaltige Dampfmaschine, die außer
der Schraube auch das Dampf-Steuerruder, die verschiedenen Krahne
und die Maschinen für elektriSches Licht in Bewegung Setzt; auch
der Apparat für Destillation von Trinkwasser ist damit verbunden;
und dahinter liegt ein großer Raum für das Gepäck der
Passagiere. Das hintere Drittel des Schiffsraumes wird
größtentheils von der ersten Kajüte eingenommen,
welche zwei geräumige und lustige Salons besitzt, einen über
und einen unter Deck; um den oberen Salon läuft eine offene
Galerie, um den unteren die Reihe der Cabinen. Ein halbes Dutzend
Cabinen, die beSonders freundlich und geräumig sind , liegt oben
vor dem ob ern Salon, und eine von diesen ist meine Wohnung. Alle
Cabinen sind Sehr bequem eingerichtet , mit luftigen Fenstern und mit
elektriSchen Telegraphen ausgestattet. Außerdem findet sich noch
hinter dem oberen Salon ein beSonderer kleiner RauchSalon, ferner eine
Anzahl Bäder und anderer Einrichtungen, welche für die
verwöhnten Indienfahrer der Gegenwart als unentbehrlich gelten;
So namentlich unten im Bauche des Schiffes geräumige Eis
kammern. Küche und Apotheke , sowie die meisten Cabinen der
Officiere , liegen im Mittelraume. In dem geräumigen oberen Salon
laufen ringsumher bequeme Divans mit Leder-Polstern und sind zwei
Reihen breiter Tische aufgestellt, daran ein Theil der Passagiere Sich mit
Essen , Spielen , Schreiben, Malen, oder anderen Arbeiten
beSchäftigt; bei Schönem Wetter sind jedoch die meisten
Passagiere oben auf dem freien Deck des Salons , welches durch
doppeltes Zeltdach , Sowie durch Seitendächer gegen die
glühenden Pfeile des tropischen Helios geschützt ist. Hier
kann man nach Belieben Spazieren gehen, oder über die Galerien
in das blaue Meer hinausschauen, oder auf den bequemen
rohrgeflochtenen China-Stühlen lang hingestreckt zum Himmel
emporträumen.
Schon am ersten Tage der Fahrt, bei ziemlich hochgehender See, zeigte
Sich, daß unser jugendlicher "Helios" einen
vortrefflichen Gang hatte und namentlich Sehr wenig rollte. BeSonders
angenehm war die ungewöhnliche Sauberkeit an Bord und der
Mangel jener entsetzlichen, aus Producten der Küche , des
MaSchinenraums und der Cabinenluft zuSammen geSetzten
Gerüche, wel*che bei älteren Schiffen gewöhnlich zu
den widerwärtigsten EigenSchaften gehören und mehr zum
Ausbruch der Seekrankheit beitragen , als die rollende oder stampfende
Bewegung des Schiffes Selbst. So blieb ich denn auch während der
ganzen Fahrt, gleich den meisten Passagieren, von der Seekrankheit
verSchont. Das Wetter war jetzt unausgesetzt Sehr Schön und die
See ruhig; unter den vielen Seefahrten, die ich unternommen,
gehört diese längste zugleich zu den angenehmsten. Dazu
trug nicht wenig die gute Gesellschaft bei, und der freund liche Verkehr
mit den gefälligen und gebildeten Schiffsoffcieren; es sei mir
gestattet, hier denselben - und beSonders dem Capitän Lazzarich
und dem Schiffsarzt Dr. Jovanovich - für die vielen
Gefälligkeiten , die sie mir während der ganzen Fahrt
aufmerksam erwiesen, meinen freundlichsten Dank abzustatten. Auch
die Bedienung und Verpflegung ließ nichts zu wünschen
übrig , wie ich es gewöhnlich auf Lloyd-Schiffen gefunden
habe.
Der regelmäßige Dampferverkehr zwischen Europa und
Indien wird gegenwärtig durch vier verschiedene Gesellschaften
vermittelt: 1) durch den österreichiSchen Lloyd in Triest; 2) durch
die italiäniSche Rubattino-GesellSchaft in Neapel-Genua; 3) durch
die französischen "Messageries maritimes" in Marseille,
und 4) durch die engliSche "P.- and 0.-Company" (d. h.
Peninsular - and Oriental Steam - Navigation - Company). Diese letztere
führt die wöchentliche Ueberlandpost von England nach
Indien (via Brindisi , Suez) Sie wird außerdem von der Mehrzahl
der Engländer benutzt und von Allen , denen
größtmögliche Schnelligkeit der Beförderung in
erster Linie von Wichtigkeit ist. Die regelmäßigen Postschiffe
der "P.- and 0." laufen nämlich 11-12 Seemeilen in der
Stunde, während die der anderen Gesellschaften meistens nur 8 -
10 Meilen machen (unser "Helios" 9). Diefe
beträchtliche Differenz der Geschwindigkeit ist lediglich eine Frage
des Geldpunktes. Die Mehrkosten des Schnellen Laufes sind
nämlich ganz unverhältnißmäßig; ein
Dampfer, der 12 Meilen statt 8 in der Stunde macht (also 1/3 mehr) ,
braucht nicht etwa 1/3 mehr Kohlen, Sondern 3 mal so viel; statt 8
Kohlenladungen nicht 12, sondern 24! DieSe enormen Mehrkosten
werden für die P.- and 0.- Schiffe durch eine beSondere
Subvention der engliSchen Regierung gedeckt , der es natürlich
von größter Wichtigkeit ist, regelmäßsg jede
Woche eine Courierpost zwiSchen England und Indien auf
möglichst Schnelle Weise zu befördern. Die übrigen
GeSellSchaften, die dieses Interesse nicht haben, können in dieSer
Beziehung nicht mit der "P.- and 0." concurriren. Aber
dafür kostet auch ein directes Fahrbillet erster Classe von Brindisi
nach Bombay bei der "P.- and 0." 66 Pfd. Sterling, bei dem
österreichischen Lloyd 44 Pfd. Sterling, also ein volles Drittel
mehr; das macht bei Hin - und Rückreise zusammen eine Differenz
von 880 Mark; und dafür kann man ja im nächsten Herbste
nach der Rückkehr schon eine recht schöne Schweizerreise
zur Erholung machen !
Die größere Geschwindigkeit ist aber auch der einzige Vorzug
, welchen die theuren P.- and 0.-Schiffe vor denjenigen der drei anderen
Gesellschaften voraus haben. Die Verpflegung ist bedeutend Schlechter
als auf diesen, und die Equipage (vom Capitän und ersten
Lieutenant bis zum Stewart und Cajütenwärter hinunter)
zeichnet sich in der Regel nicht durch besondere Gefälligkeit und
Höflichkeit aus; gerade in dieser Beziehung hört man mehr
Klagen , als bei den drei anderen GeSellSchaften. Außerdem sind
die P.- and 0.-Schiffe gewöhnlich überfüllt und mit
einem Haufen indiScher DienerSchaft ausgestattet, die viel mehr
lästig als nützlich ist. Letzteres soll auch auf den großen
französiSchen (Sonst vortrefflichen) MessagerieSchiffen unbequem
sein, während auf den italiäniSchen Rubattino Schiffen
wieder die Bequemlichkeit und Reinlichkeit der Cabinen Manches zu
wünschen übrig lassen soll. Ich theile diese Notizen zu Nutz'
und Frommen anderer Indienfahrer mit, nach den
übereinstimmenden Angaben vieler Reisenden, die ich theils
früher, theils jetzt auf dieser Reise befragt habe (und die
größere Hälfte meiner Gewährsmänner sind
selbst Engländer); demnach wären am meisten die
österreichischen Lloydschiffe zu empfehlen, Sodann die
italiänischen Rubattino oder die französischen Messageries,
am wenigsten aber die „P.- and 0."
Die Gesellschaft, die sich am Mittag des 15. Octobers in Triest an Bord
des "Helios" zur Abfahrt versammelt hatte und die
(außer mir und einem ungarischen Grafen, der nach Singapore
ging) sämmtlich nach Bombay fuhr, bestand zur
größeren Hälfte aus Engländern , theils Officieren
und Beamten , theils Kaufleuten. Die kleinere Hälfte wurde durch
Deutsche und Oesterreicher gebildet, theils Kaufleute aus Bombay, theils
Missionare. Das schöne Geschlecht war unter der Gesellschaft nur
sehr schwach vertreten, nur durch eine einzige Deutsche und fünf
Engländerinnen. Unsere liebenswürdige Landsmännin
trug sehr wesentlich zur angenehmen Unterhaltung bei und erfreute
Abends durch ihren Gesang am Clavier die ganze Gesellschaft. Sie hatte
den Sommer bei ihren Kindern in Frankfurt a. M zugebracht und kehrte
jetzt für den Winter zu ihrem Gatten nach Bombay zurück -
eine halbjährige Theilung zwischen Mutterliebe und Gattenliebe,
wie sie leider den meisten deutschen und englischen Familien, die um
ihre aufwachsenden Kinder besorgt sind , zur Pflicht wird. Denn nicht
allein der ungünstige Einfluß des tropischen Klimas auf die
zarte Natur der europäischen, in Indien geborenen Kinder, sondern
auch und noch mehr die verderblichen moralischen Eindrücke,
welche dort der unvermeidliche Verkehr mit den Eingeborenen auf
Schritt und Tritt mit sich bringt, So wie das Bedürfniß eines
guten geregelten Schulunterrichts nöthigen die meisten gebildeten
Familien, ihre Kinder nach Ablauf der ersten Lebensjahre zur Erziehung
nach England oder Deutschland zu schicken. Außer unserer
schönen Landsmännin waren auch mehrere englische Damen
an Bord , welche dergestalt regelmäßig zwischen Bombay und
Europa hin- und herreisten , den Sommer mit den Kindern hier, den
Winter mit ihrem Gatten dort verlebten. Aber freilich bleibt das, von der
leidigen zweimonatlichen Reise abgesehen, immer doch ein sehr
unvollkommenes Familienleben; und es ist sehr natürlich ,
daß der gebildete europäische Kaufmann in Indien vor Allem
danach strebt , seinen Aufenthalt daselbst möglichst
abzukürzen und in möglichst wenigen Jahren so viel
Vermögen zu erwerben, um bald nach der nordischen Heimath
zurückkehren zu können. Die Sehnsucht nach der letzteren
bleibt doch bei den Meisten der beständige Leitstern ihrer
emsigen Thätigkeit, wie sehr sie auch in mancher Beziehung
durch die Bequemlichkeiten und Genüsse des indischen Lebens
verwöhnt werden mögen.
Wie es auf mehrwöchentlichen Seereisen zu gehen pflegt, wurde
die GeSellschaft schon in den ersten Tagen mit einander ziemlich
bekannt und bildeten sich kleinere Gruppen, die in näheren
Verkehr mit einander traten. Die deutschen und englischen
Missionäre (darunter auch ein amerikanischer, Mr. Rowe, der ein
recht gutes Buch über Indien: „Every-Day-Life in
India" geschrieben hat) bildeten eine Gruppe für sich; eine
zweite die englischen Officiere , Beamten und Kaufleute, eine dritte die
deutschen und österreichischen Landsleute, denen sich auch
Capitän und Doctor, sowie ich selbst anschlossen. Das Wetter war
fast während der ganzen Reise gleichmäßig
Schön, der Himmel heiter und sonnig, das Meer glatt oder nur
mäßig bewegt, und pünktlich zur festgesetzten Zeit
erreichte unser trefflicher Dampfer seine einzelnen Stationen. Die
Seekrankheit forderte diesmal nur wenige und kurze Opfer: andrerseits
gewann aber auch durch die Gleichmäßigkeit der
günstigen Fahrt die unausbleibliche Langeweile bei der Mehrzahl
der Passagiere immer mehr die Oberhand. Alles, was gegen dieselbe
gewöhnlich versucht wird: Lesen und Schreiben, Schach- und
KartenSpiel, Clavierspiel und Gesang - hatte bei den Meisten schon im
Laufe der ersten Woche seine Wirksamkeit mehr und mehr
eingebüßt; und so wurden denn die fünf Mahlzeiten,
durch welche der Tag auf Indien-Dampfern in fünf Perioden
getheilt wird, immer mehr zur wichtigsten Beschäftigung. Leider
ist mein armer deutscher Professorenmagen von jeher ziemlich
schwacher Natur gewesen; obwohl ich nur selten (nur bei recht
schlechtem Wetter und starkem Schiffsschaukeln) seekrank werde,
verliere ich doch jedesmal auf längerer Seefahrt den gesunden
Appetit, der sich bei vielen anderen Passagieren in zunehmender
Progression entwickelt. Um so besser konnte ich als objectiver Zuschauer
Betrachtungen über die colossale Leistungsfähigkeit der
Letzteren austellen und über den unglaublichen Grad, welchen
auf See die von den Physiologen sogenannte
„Luxusconnsumtion" erreicht, d. h. die Aufnahme
überflüssiger Massen von Speisen und Getränken,
welche zur Unterhaltung des gesunden Körpers absolut nicht
erforderlich sind. Von jeher hatte ich in dieser Beziehung schon die
erstaunliche Capacität unserer besser situirten Stammesgenossen
jenseits des Canals mit stillem Neide bewundert, die ebensowohl zu Land
wie zur See uns Deutschen weitaus überlegen sind; aber das, was
ich auf dem „Helios" von einem englischen Major leisten sah,
übertraf alle meine früheren Beobachtungen. Nicht allein
nahm dieser Biedere sämmtliche fünf
regelmäßigen Mahlzeiten in doppelter Quantität
vollständig zu sich und trank dazu täglich seine paar
Flaschen Wein und Bier, sondern auch die kurzen Zwischenpausen
zwischen ersteren wußte er noch in sinnreichster Weise durch
Consumtion von Naschwerk und verschiedenen Getränken
auszufüllen. Mir schien dieses gastronomische Wunderthier
bereits jene höchste Höhe der Entwickelung erreicht zu
haben, auf welcher die Verdauungsorgane ununterbrochen thätig
sind; und ich vermuthe fast, daß er diese Thätigkeit auch
Nachts fortsetzte, da ich ihn schon am frühen Morgen in
unzurechnungsfähigem Zustande aus seiner Cabine taumeln sah.
Freilich hörte ich auch wiederholt behaupten, daß der
größere Theil der Engländer, die in Indien erkranken
und sterben, sich ihr Schicksal selbst durch solche
Unmäßigkeit zuziehen.
Was nun jene fünf berühmten Mahlzeiten an Bord der
Indienfahrer betrifft, so bilden Sie einen zu wichtigen (ja für die
allermeisten den wichtigsten!) Theil des Lebens an Bord, als daß
ich nicht den wißbegierigen Leser mit ihrer Composition nach dem
Reglement bekannt zu machen mich verpflichtet fühlte. Also
Morgens 8 Uhr Kaffee und Brot, um 10 Uhr großes
Frühstück (mit Eierspeisen, zwei warmen Fleischspeisen,
„Curry and Rice", Gemüsen und Früchten), um 1
Uhr das indische „Tiffin" (kalte Fleischspeisen mit Butterbrot
und Kartoffeln, Thee), um 5 Uhr das große Diner (mit Suppe, drei
verschiedenen Fleischspeisen und Zugaben, Mehlspeise, Dessert:
Früchte und Kaffee) und endlich um 8 Uhr Thee mit Butterbrot etc.
Ich selbst beschränkte meine gastronomische Beschäftigung
auf die erste, dritte und vierte Aufgabe und konnte auch von dieser
immer nur einen Theil lösen. Die meisten Passagiere ließen
sich aber keinen der fünf Genüsse entgehen, und begaben
sich nach jedem derselben an Bord, um entweder eine halbe Stunde zu
promeniren, oder in einem bequemen Chinastuhl zu sinken und dort mit
lang ausgestreckten Gliedmaßen Betrachtungen über die
umgebende Natur, über die Wolken des Himmels und die
Bläue des Wassers anzustellen. Höchst willkommene
Anregungen zu gesteigerter Seelenthätigkeit bilden unter diesen
Umständen einzelne Thiere, welche die Monotonie der ruhigen
See unterbrechen: Delphine, die in anmuthigem Spiel scharenweise um
das Schiff sich herumtummeln und ihren Rücken oft weit
außer Wasser heben, Möven und Sturmvögel, die in
weitem Bogen umherschwärmen und tauchend nach Fischen jagen;
fliegende Fische, die scharenweis aus der glatten Fläche des
Meeres auftauchen und eine kürzere oder längere Strecke,
Enten gleich, über den Wasserspiegel flattern. Ich selbst erfreute
mich vor Allem an dem gewohnten Anblick meiner alten Lieblinge, den
zarten Medusen, deren schwimmende Scharen mir weder im
Mittelmeer noch im indischen Ocean fehlten; ich bedauerte nur immer
lebhaft (wie schon so oft früher), daß der rasche Lauf des
Schiffes mich verhinderte, die schönen Nesselthiere mittelst eines
herabgelassenen Eimers an Bord zu ziehen. Diesmal traf ich im
Mittelmeer besonders zahlreich zwei große Wurzelquallen, die
blaue Pilema pulmo und die goldbraune Cotylorhiza tuberculata; im
indischen Ocean hingegen zwei schöne Fahnenquallen, eine
rosenrothe Aurelia und eine dunkelrothe Pelagia.
Unsere 24tägige Fahrt von Triest bis Bombay verlief unter den
angegebenen günstigen Umständen so normal und regelrecht,
daß im Ganzen nur sehr wenig darüber zu sagen ist.
Nachmittags 4 Uhr am 15. October lichtete der „Helios" in
Triest die Anker und wir dampften nach herzlichem Abschiede von den
lieben Triester Freunden beim schönsten Herbstwetter in die
blaue Adria hinaus. Auf früheren Fahrten durch dieselbe hatte ich
meistens die malerischen Küsten von Istrien und Dalmatien im
Auge gehabt, und die rosmarin duftenden Inseln Lissa und Lesina, auf
welcher letzteren ich 1871 einen genußreichen Monat im
malerischen Franciscaner Kloster beim trefflichen Padre Buona Grazia
verlebt hatte. Diesmal nahm jedoch unser Helios gleich von Anfang an
den Curs mehr westlich, nach der Mitte des adriatischen Meeres zu, da
wir in Brindisi anlegen sollten, um noch einige Passagiere einzunehmen.
Auf der Höhe von Canossa lagerte westwärts eine Schwarze
Wolke; wahrscheinlich der Schatten des - - doch ich will hier nicht von
Politik reden. Wir langten am 17. October Morgens in Brindisi an und
blieben bis Mittag dort liegen. Ich brachte einige Stunden am Lande zu,
besichtigte die wenigen und unbedeutenden Ueberreste des alten
Brundusium und wanderte längs der Wälle nach dem
Bahnhofe. Dieser entspricht ebensowenig als die moderne Stadt selbst
dem bedeutenden Namen, den sie seit Eröffnung des Suezkanals
als Knotenpunkt des Weltverkehrs erlangt hat. Die Ueberlandpost vom
Continent wird sofort nach der Ankunft des Courierzuges in Brindisi an
Bord des Postdampfers gebracht und auch die Passagiere (Sowohl die
nach Indien gehenden, als die von dort kommenden) scheinen nicht das
Bedürfniß eines Aufenthalts in Brindisi, wenn auch nur zu
kurzer Erholung, zu fühlen. Wenigstens steht das einzige
Hôtel des Ortes meist öde und leer. Es war gewiß sehr
charakteristisch, daß auf dem Bahnhofe Todtenstille herrschte und
außer dem Telegraphisten Montag Vormittag 10 Uhr nur noch der
Portier zu finden war. Die flache Küstenlandschaft von Brindisi,
mit Gemüsegärten und Rohrpflanzungen, hier und da einigen
zerstreuten Dattelpalmen , bietet wenig. Nur ein altes Kloster
außerhalb der Stadt (südlich) mit einem schlanken Thurm
und einer stattlichen runden Kuppel, von einem verwilderten Garten
umgeben, im Vordergrunde Opuntien - und Agavenbüsche,
lieferte ein hübSches Bild und das erste Object für's
Skizzenbuch.
Ein englischer General nebst Familie und Gefolge , den wir hatten an
Bord nehmen sollen, erschien nicht , weil sein Gepäck auf der
Eisenbahn zurückgelassen worden war, und so dampften wir
denn ohne ihn am Nachmittagn weiter. Am folgenden Morgen fuhren
wir bei andauernd ruhigem und Sonnigem Wetter l*ängs der
ionischen Inseln hin. Ich begrüßte mit Freuden die stattliche
Insel Cephalonia und ihr waldgekröntses Haupt, den stolzen
Monte nero; auf seinem schneebedeckten Gipfel hatte ich im April 1877
unter Führung eines lieben Gastfreundes, des deutschen Consuls
Tool in Argostoli , einen unvergeßlichen Tag verlebt, umrauscht
von den breiten Wipfeln und gelagert unter den mächtigen
Stäm men der Pinus cephaloniea, einer edlen Tannenart, die einzig
und allein auf dieser Insel sich findet. Weiterhin erschien die holde
Insel Zante "Fior' di Levante" - wir fuhren so nahe
längs ihres maleriSchen Südufers hin, daß wir die lange
Reihe hochgewölbter Grotten und Schluchten in dem
zerklüfteten rothen Marmor ihres Felsengestades genau
betrachten konnten. Am Nachmittage erschien links das Gebirgsland
von Arcadien, rechts das einsame Eiland Stamphania; spät am
Abend passirten wir das Schlachtberühmte Navarino. Nicht
minder anziehend und malerisch war der Anblick des stattlichen Candia,
längs dessen schluchtenreicher Südküste wir am 19.
October wiederum bei achönster Beleuchtung den
größten Theil des Tags entlang fuhren. Leichte weiße
Haufwolken, von frischer Brise gejagt, zogen in großer Anzahl
über den tiefblauen Himmel und warfen wechselnde Schatten
über den mächtigen Felsenleib der stattlichen Insel. Auch
das Schneegekrönte Haupt des Ida, des sagenreichen
Göttersitzes, erschien bald frei, bald in Wolken gehüllt.
Nachdem wir Abends die beiden Gaudo-Jnfeln passirt, hatten wir am
folgenden Tage nur Meer in Sicht. Die Nähe der afrikanischen
Küste machte sich durch bedeutende Zunahme der Wärme
fühlbar, und wir vertauschten die bisher getragene warme
Kleidung mit leichterem Sommerzeug.
Als wir am 21. October Morgens das Verdeck betraten, war zwar von
der ägyptischen Küste noch Nichts zu sehen; aber das
Mittelmeer hatte schon seine unvergleichlich reine und tiefe blaue
Farbe verloren und erschien grünlich angehaucht. Je weiter wir
vorrückten, desto mehr nahm die grüne Färbung zu;
gegen Mittag ging sie in ein schmutziges Gelbgrün über: die
Wirkung der Schlammfluthen des Nils. Zugleich erschienen eine Menge
kleiner Segel, meistens von arabischen Fischerbarken. Eine große
Seeschildkröte (Chelonia caouana) trieb schwimmend an unserem
Schiffe vorüber. Zahlreiche Landvögel kamen an Bord
geflogen. Um 12 Uhr Mittags erblickten wir den Leuchtthurm von
Damiette; um 4 Uhr kam in einem kleinen Steam-Lunch der arabische
Pilot an Bord, und eine Stunde später warfen wir in Port-Said
Anker, an der nördlichen Kopfstation des Suezcanals.
Da der „Helios" in Port-Said Kohlen und Lebensmittel bis
Bombay einzunehmen hatte, blieb er einen ganzen Tag hier liegen. Ich
ging noch am Abend mit einigen anderen Passagieren an Land,
ergötzte mich an dem bunten ägyptischen Straßenleben
und traf in einem Café den Doctor und einige Passagiere von dem
Lloyddampfer „Polluce", der direct nach Ceylon und Calcutta
ging und gleichzeitig mit uns angekommen war. Am folgenden Morgen
(22.) bestieg ich den Leuchttburm von Port-Said. Er ist einer der
größten der Welt, 160 Fuß hoch, und sein elektrisches
Licht 21 Seemeilen weit sichtbar. Die mächtigen Mauern sind aus
denselben Betonblöcken gebaut wie die Molen des Hafens, aus
Würfeln einer künstlischen Steinmasse , welche aus 7
Theilen Wüstensand und 1 Theil französischen
hydraulischen Kalkes bereitet wird. Die Aussicht von der Höhe
des Leuchtthurms entsprach keineswegs meinen Erwartungen, da man
außer Port-Said selbst und seiner nächsten, ganz flachen und
sandigen Umgebung ringsum nur Wasser erblickt. Nächstdem
besichtigte ich die kostbaren künstlichen Hafenanlagen, welche
hier mit ungeheuren Kosten und Mühen zur Sicherung des
nördlichen Eingangs des Suezcanals geschaffen worden sind. Nicht
allein mußte man das Hafenbecken selbst tief ausbaggern, sondern
auch zwei colossale parallele Steindämme weit ins Meer
hinausführen, um den beiden Hauptfeinden der kostbaren Anlage
zu begegnen: den Schlamm-Massen, welche von den
Nilmündungen durch die westliche Strömung ostwärts
geführt werden, und den Sandwolken, welche die
vorherrschenden Nordwestwinde in das Meer werfen. Daher ist der
westliche der beiden Molen gegen 3000 Meter lang und bedeutend
stärker als der halb so lange östliche. Zu ihrer Construction
wurden gegen 30,000 Betonblöcke verwendet, deren jeder 10
Kubikmeter mißt und 20,000 Kilogramm wiegt. Vom Hafen
wanderte ich nach der Araberstadt, welche von dem
europäiSchen Port-Said durch einen breiten Streifen
Sandwüste getrennt ist; Sowohl erstere wie letztere besteht aus
parallelen Straßenreihen, die sich regelmäßig unter
rechten Winkeln kreuzen. Das bunte und malerische Treiben in der
schmutzigen Araberstadt bietet dieselben originellen und
mannigfaltigen Bilder , die man in jeder kleineren ägyptischen
Stadt, wie in den Vorstädten von Cairo und Alexandrien findet.
Das europäische Port-Said, besteht größtentheils aus
Reihen von Kaufläden. Die gesammte Einwohnerzahl beträgt
gegen 10,000. Die Hoffnungen, die man bei Anlage der Stadt auf ihr
großartiges Aufblühen setzte, haben sich nur zum kleinernen
Theil verwirklicht, und das prachtvolle palastartige „Hôtel der
Nederlanden" , welches 1876 eröffnet wurde, steht jetzt
schon leer und verlassen da.
Ich versorgte mich in Port-Said noch mit einigen nützlichen
Reiseartikeln, die jeder regelrechte Indienfahrer für unentbehrlich
hält, insbesondere einem leichten breitkrämpigen
weißen Sonnenhut (Solà hat) und einem langen, aus
Bambusrohr geflochtenen „Chinastuhl", einer sehr luftigen
und bequemen Long-Chaise. Dann fuhr ich an Bord unseres Helios
zurück, welcher am Nachmittag die Fahrt durch den Suezcanal
begann. Ueber dieses Wunderwerk der Neuzeit ist in den letzten Jahren
so viel geschrieben und geredet worden, daß ich hier keinen Raum
mit Wiederholung allbekannter Thatsachen verlieren und mich auf
einige Bemerkungen über den gegenwärtigen Stand des
Unternehmens beschränken will. Als ich 1873 in Suez war (drei
Jahre nach der Verkehrseröffnung), waren die pessimistischen
Ansichten über den Erfolg des Canals ganz überwiegend;
man glaubte, daß die Schwierigkeiten und Kosten seiner
Unterhaltung immer größer bleiben würden, als die
vermuthlichen Einnahmen. Das hat sich seit acht Jahren
vollständig verändert; die Rentabilität des
großartigen Werkes ist seitdem nicht nur erwiesen worden,
sondern hat auch unerwartete Dimensionen angenommen, und zwar in
stetig wachsender Progression. Die englische Regierung hat somit, als
sie 1875 den größeren Theil der Canalactien zur großen
Bestürzung der Franzosen ankaufte, nicht nur in politischer,
sondern auch in finanzieller Beziehung ein vorzügliches
Geschäft gemacht. Allerdings bleibt die Unterhaltung des Canals
(insbesondere wegen des ununterbrochenen nothwendigen Baggerns
immer noch Sehr kostspielig. Allein das Wachsthum der Einnahmen ist
So bedeutend , daß es voraussichtlich in kurzer Zeit schon
ansehnliche Ueberschüsse ergeben wird. Ein großer
Uebelstand für die Schnelligkeit der Beförderung besteht
gegenwärtig noch darin , daß im größten Theil
seiner Länge der Canalraum gleichzeitig nur ein einziges
großes Schiff aufnehmen kann, von höchstens 7 1/2 Meter
Tiefgang. Daher sind von Strecke zu Strecke breitere Ausweichestellen
angebracht, an denen die sich begegnenden Dampfer an einander
vorüberfahren; hier muß man oft stundenlang warten, bis die
entgegenkommenden Schiffe vorbei sind. Im nächsten
Jahrhundert wird voraussichtlich der Canal entweder um mehr als das
Doppelte verbreitert oder selbst in eine doppelte Linie getheilt sein, So
daß beständig ein nordwärts und ein anderer
südwärts gehender Zug von Schiffen ungehindert und
ununterbrochen folgen kann.
- Die ganze Länge des Suezcanals beträgt 160 Kilometer oder
90 Seemeilen; die Breite des Wafferspiegels 80 bis 110 Meter, die des
Canalbodens aber nur 22 Meter. Die gewöhnliche Fahrzeit
beträgt 16-20 Stunden; sie wird aber oft beträchtlich
verlängert, wenn man auf eine größere Zahl
entgegenkommender Schiffe an den Stationen warten muß, oder
wenn ein Schiff (wie es nicht selten pasirt) im Schlamme stecken bleibt.
Wir Selbst verloren kurz vor Suez einen ganzen Tag , weil ein englischer
Steamer sich festgefahren hatte und erst nach theilweiser Ausladung bei
Eintritt der Fluth wieder flott wurde. Jedes Schiff, das den Canal passirt,
wird von einem Piloten begleitet; dieser hat hauptsächlich
dafür zu sorgen , daß die Fahrgeschwindigkeit nicht
über fünf Meilen in der Stunde beträgt; weil sonst der
verstärkte Wellenschlag die Ufer zu sehr beschädigen
würde. In der Regel durchfahren die Dampfer den Canal nur bei
Tage; bei hellem Mondschein auch durch einen Theil der Nacht. An
Passagegebühren hatte unser Helios circa 2000 Francs zu
entrichten; sie betragen für jede Tonne 10 Frcs., für jeden
Passagier 12 Frcs.
Den größten Theil des Suezcanals durchfuhren wir am 23.
October. Der Morgen im Menzaleh-See war erquickend frisch und
Schön: die Sandbänke im See erschienen mit Tausenden von
Pelicanen, Flamingos, Reihern und andern Wasservögeln dicht
bedeckt. Hinter den folgenden Ballah-Seen traten wir in den engeren
Theil des Canals, welcher die hohe „Schwelle" (El Gisr)
durchSchneidet. Es ist dies die höchste Bodenerhebung der
Landenge von Suez, durchSchnittlich 50 Fuß über dem
Niveau des Meeres gelegen. Die hohen Sandwälle zu beiden Seiten
des Canals sind hier stellenweise mit grauem Tamariskengebüsch
dicht bewachsen. Zahlreiche nackte arabische Kinder erschienen und
bettelten um „Backschisch"; einige Knaben spielten die
Flöte und tanzten mit ziemlicher Grazie. Um Mittag passirten wir
die verödete, von Lesseps gegründete Stadt Ismailia und
Abends ankerten wir in den großen "Bitterseen".
Nach Einbruch der Dunkelheit stellte der erste Ingenieur des
"Helios" Versuche mit elektrischem Lichte an, die
glänzend ausfielen. Seiner freundlichen Einladung folgend
besichtigte ich im unteren Maschinenraum den neu construirten
Apparat, dessen Motor durch die Dampfmaschine des Schiffes in
Bewegung gesetzt wird. Hierbei erlitt ich einen kleinen Unfall, der leicht
die schlimmsten Folgen hätte haben können. Während
ich mir das Detail der Einrichtung zeigen ließ und dabei einen
Schritt näher herantrat, glitt mein rechter Fuß auf dem
glatten Boden aus und im selben Moment erhielt der freischwebende
linke Fuß unterhalb des Kniegelenks einen Schlag von dem ihn
berührenden Motor des elektrischen Apparates, welcher in der
Minute 1200 Umdrehungen macht. Ich stürzte zusammen und
fürchtete , daß das Bein gebrochen sei; indessen ergab sich
glücklicher Weise nur eine sehr heftige Contusion. Wäre ich
nach der anderen Seite gefallen, So hätte mich die MaSchine in
Stücken geschlagen. Durch EisumSchläge, welche ich sofort
anwendete und zwei Tage lang fortsetzte, wurden die schlimmen Folgen
größtentheils gehoben; doch blieb das Bein noch vierzehn
Tage lang geschwollen und erst kurz vor der Ankunft in Bombay erlangte
ich wieder den freien Gebrauch desselben. Unter allen denkbaren
"Gefahren" einer Tropenreise hätte ich an einen
derartigen Unfall am Wenigsten gedacht. Er war um so unangenehmer,
als er sich kurz vor unserem Eintritt in das Rothe Meer ereignete und
mich zwang, mehrere Tage unten in der Cabine zu liegen.
Von allen Indienfahrern wird das R o t h e M e e r als der heißeste
und unangenehmste Theil der Reise am meisten gefürchtet; und
obgleich wir uns bereits in der kühleren Jahreszeit befanden,
hatten wir doch volle Gelegenheit, uns aufs Neue von der guten
Begründung jener Furcht zu überzeugen. Allerdings liegt das
Rothe Meer (oder der arabische Golf) mit seinem nördlichen Drittel
noch außerhalb des Wendekreises; aber trotzdem ist es in seiner
ganzen Ausdehnung als ein echtes „Tropenmeer"zu
bezeichnen. In seiner ganzen Ausdehnung von Suez bis Perim, vom 30 -
18o N. Br., trägt es denselben Charakter , besitzt es
nahezu dieselbe Flora und Fauna, ist es durch gleiche physikalische
Eigenthümlichkeiten ausgezeichnet. Die Unterschiede zwischen
den beiden Enden des langgestreckten, 300 Meilen langen Golfes sind in
jeder Beziehung viel geringer, als die Unterschiede zwischen dem
Rothen Meere bei Suez und dem Mittelmeer bei Port-Said, obgleich
beide nur durch die schmale Brücke der Landenge getrennt
werden. Aber diese schmale Brücke, die Asien mit Afrika
verbindet, besteht schon seit Millionen von Jahren, und in Folge dessen
hat sich die Thier- und Pflanzenbevölkerung der beiden
benachbarten Meere völlig unabhängig von einander
entwickelt. Diejenige des Mittelmeeres gehört zum atlantischen
Ocean, diejenige des Rothen Meeres hingegen zum indischen Ocean
(vergl. meine „Arabischen Korallen", 1876, p. 26, 41). Beide
Gestade des Rothen Meeres , sowohl das östliche Arabiens, als das
westliche Aegyptens, sind im weitaus größten Theile von
Vegetation gänzlich entblößt, überaus öde,
dürr und unfruchtbar; kein einziger größerer Fluß
mündet in dasselbe ein. Darüber erheben sich beiderseits
hohe langgestreckte Gebirgsketten, die ebenfalls zu den wildesten und
ödesten der Erde gehören. Zwischen diesen hohen,
Sonnendurchglühten Parallelketten ist nun der schmale arabische
Golf, wie ein Laufgraben zwischen zwei hohen Wällen
eingeschlossen, und die ungeheuren Wärmemengen, welche die
wasserarmen Sand- und Felsberge ausstrahlen, werden durch keine
Vegetationsthätigkeit gebunden. In den heißen
Sommermonaten steigt die Hitze um Mittag im Schatten gegen
40o R. und die Officiere unseres Schiffes, welche zu dieser
Zeit die Reise gemacht hatten, versicherten mir, daß ihnen diese
Höllenqual unerträglich erschienen sei und daß sie alle
gefürchtet hätten, den Verstand zu verlieren. Auch jetzt
noch, Ende October, war es Schlimm genug , und den größten
Theil des Tages über zeigte das Thermometer auf Deck unter dem
doppelten Schattendach 22 - 26o Rs. , einmal bis
32o; in den (gelüfteten!) Cabinen Tag und Nacht 24-
28o. Dabei war die heiße Luft von einer
erdrückenden Schwüle, und alle Mittel der Erquickung
wurden vergeblich versucht. Um wenigtens nach Möglichkeit
überall Luftzug zu erzeugen, wurden alle Fenster und Luken Tag
und Nacht offen gelassen, durch zwei Reihen von senkrechten
Schornsteinartigen Luftröhren Luft vom Deck in die unteren
Schiffsräume geleitet, und endlich in den Salons die indische
„Punka" beständig in Bewegung erhalten; diese wird
auf unSerem Schiffe Sehr zweckmäßig durch eine doppelte
Reihe von fächerartigen, mit Zeug überspannten Rahmen
vertreten, welche an zwei parallelen, durch die ganze Länge des
Salons laufenden horizontalen Stangen befestigt sind, und durch die
Maschine in Bewegung gesetzt. Der Hauch diefer Riefenfächer
linderte nebst großen Quantitäten Eiswasser die Leiden der
übermäßigen Hitze nicht wenig.
Da unser Schiff kurz vor Suez durch einen festgefahrenen Dampfer im
Canal über einen Tag aufgehalten worden war, kamen wir erst am
Mittag des 25. October auf der Rhede von Suez an und blieben nur
wenige Stunden daselbst liegen. Am folgenden Morgen waren wir
bereits auf der Höhe von Tur, dem interessanten arabischen
Küstendorfe am Fuße des Sinaigebirges, dessen prachtvolle
Korallenbänke ich im März 1873 mit so großem
Genusse untersucht hatte. Damals an Bord eines ägyptischen
Kriegsdampfers, den mir der Khedive Ismail Pascha für diese
herrliche Fahrt gütigst bewilligt hatte, war ich von der strahlenden
Pracht diefer unterseeischen Korallengärten so entzückt
worden, daß unwillkürlich die alte SehnSucht nach der
reicheren Wunderwelt des benachbarten Indien mit verstärkter
Macht sich geregt hatte: „Ja, wer nun auch noch die
märchenhaften, von Korallen umgürteten Gestade von
Ceylon sehen könnte"! Und jetzt, nach acht Jahren war ich
auf der Fahrt dahin ! . . . Im heiteren MorgenSchimmer sah ich die
malerischen Gipfel der Sinaihalbinsel an mir vor überziehen,
welche ich damals im purpurnen Glanze der Abendsonne
erglühend verlassen hatte (vergl. meine „Arabische Korallen".
Ein Ausflug nach den Korallenbänken des Rothen
Meeres und ein Blick in das Leben der Korallenthiere. Mit 5
Farbendrucktafeln und 20 Holzschnitten, Berlin, 1876).
Von den sechs heißen Leidenstagen im Rothen Meere, die nun
folgten, ist wenig zu berichten. Da unser Schiff sich fast immer in der
Mitte desselben hielt, sahen wir von beiden Küsten fast Nichts.
Am 27. October Abends 7 Uhr passirten wir den Wendekreis des
Krebses und ich athmete zum ersten Male den glühenden Odem
der Tropennatur. Während der Sternenhimmel sich über
uns in wolkenloser Klarheit wölbte, stand im Osten über der
arabischen Küste eine hohe schwarze Gewitterwand, aus der fast
ununterbrochen jede Secunde zuckende Blitze oder verschwommenes
Wetterleuchten auftauchten. Donner war nicht zu hören und kein
erquickender Regenguß kam zu uns herüber. Auch in den
nächsten Tagen wiederholte sich jeden Abend am östlichen
Horizont dasselbe Schauspiel, während der westliche frei war und
Tagsüber nur leichte zerstreute Federwolken über das
tiefblaue Firmament zogen. Die drei ersten Nächte in den Tropen
sank das Thermometer in den offenen Cabinen und Salons nicht unter
25o. Ich schlief nebst den meisten anderen Herren auf Deck,
wo wir wenigstens 3o weniger und dazu doch frischen
Luftzug hatten. In der Nacht des 30. October passirten wir die
Straße Bab-el-Mandeb und die von den Esgländern befestigte
Insel Perim, das Gibraltar des Rothen Meeres, und am 31. Vormittag 10
Uhr gingen wir im Golfe von Aden vor Anker.
A d e n liegt bekanntlich auf einer felsigen Halbinsel , die nur durch eine
Schmale Landzunge mit dem arabiSchen Festlande
zuSammenhängt , ähnlich wie Gibraltar. Schon 1839 von
den Engländern erworben und befestigt, hat diese wichtige Station
auf dem Wege nach Indien neuerdings eine außerordentliche
Bedeutung erlangt, besonders seit Eröffnung des Suezcanals. Die
Bevölkerungsziffer ist jetzt schon auf mehr als 30,000 gestiegen.
Die meisten Schiffe legen hier an, um Kohlen und Lebensmittel
einzunehmen. Wir hatten uns mit diesen bereits in Port-Said versehen,
da wir nicht wußten, ob wir wegen der vor zwei Monaten in Aden
ausgebrochenen Choleraepidemie mit diesem Orte würden
communiciren dürfen. Jetzt erfuhren wir, daß diese seit
Kurzem vorüber sei. Bald nach unserer Ankunft war der
„Helios" bereits von arabischen Booten umringt, deren
Schwarzbraune Insassen an Bord kletterten, um ihre
eigenthümlichen Landesproducte zum Kaufe anzubieten:
Straußenfedern und - Eier, Löwen- und Leopardenfelle,
Antilopenhörner, stattliche Sägen des Sägefisches,
zierlich geflochtene Körbchen und Schüsseln u. dgl. mehr.
Mehr Interesse noch als diese Producte boten die Händler
SelbSt, theils echte Araber, theils Neger, theils Somalis und Abessinier.
Die meisten waren von dunkelbrauner Farbe, die bald mehr in das
Röthliche oder Bronzefarbige, bald mehr in das Schwarze spielte.
Die schwarzen krausen Haare sind oft mit Hennah roth oder mit Kalk
weiß gefärbt. Die Bekleidung der Meisten bestand bloß
aus einer weißen Schärpe um die Lenden. Sehr unterhaltend
waren Scharen kleiner schwarzbrauner Jungen von 8-12 Jahren, die
einzeln oder zu zweien in kleinen (aus einem ausgehöhlten
Baumstamm bestehenden) Kähnen herangerudert kamen und ihre
Taucherkünste producirten. Kleine Silbermünzen, die wir
über Bord warfen, fingen Sie tauchend mit großem Geschick
und balgten sich selbst unter Wasser mit Energie um deren Besitz.
Von der Stadt und den Befestigungswerken Adens sahen wir, da wir
nicht an Land gingen, nur wenig. Die öden vulkanischen Felsen
der Halbinsel, auf denen die Häuser zerstreut sind, erscheinen
stark zerklüftet und theilweise sehr malerisch. Die
vorherrschende Farbe der nackten Laven ist dunkelbraun. Keine
Vegetation Schmückt die nackten starren Felswände und
lindert die Gluth der tropischen Sonnenstrahlen; nur hier und da sind an
einzelnen Stellen dürftige Anpflanzungen sichtbar. Der Aufenthalt
auf diesem glühenden Felsenneste wird im Hochsommer zur
Hölle für die englische Garnison, und nicht umsonst nennen
es die Officiere: „des Teufels Punschkessel". Der Anblick der
nackten Lavaberge erinnerte mich lebhaft an diejenigen der canarischen
Insel Lanzerote.
Nach sechsstündigem Aufenthalte verließ der
„Helios" das ungastliche Aden, um seine Fahrt nach Bombay
fortzusetzen. Auch von dieser achttägigen Fahrt durch den
indischen Ocean ist nichts Besonderes zu berichten. Wir erfreuten uns
gleichmäßig des schönsten Herbstwetters. Der
erfrischende Nordost Monsun machte sich von Tag zu Tag mehr geltend.
Schon gleich nach dem Austritt aus dem Rothen Meere hatten wir mit
Wonne seinen Einfluß empfunden. Obgleich auch jetzt bei Tage das
Thermometer nicht unter 20o R. fiel (meistens
22o um Mittag), so erschien doch die frische bewegte Luft
uns wie ein anderes Medium, und vor Allem waren die Nächte
nicht glühend, wie im Rothen Meer, sondern von angenehmster
Kühle. Der indische Ocean war beständig durch den frischen
Monsun auch leicht bewegt; seine Farbe blieb ein zartes Blaugrün
oder bisweilen grünliches Lafurblau; niemals aber das tiefe reine
Dunkelblau des Mittelmeeres, an dessen Stelle im Rothen Meere ein
mehr violett augehauchtes Blau getreten war. Der Himmel war bald
ganz klar, bald mit leichten Federwolken bedeckt. Am Nachmittag
sammelten sich stets zahlreiche Haufenwolken, thurmartig sich
übereinander legend und von Nordost nach Südwest
ziehend. Die prächtigsten Beleuchtungseffecte schenkte uns dann
die indische Abendsonne, ein immer neues und immer herrliches
Schauspiel, welches nur allzurasch unseren staunenden Blicken
entschwand. Manche Stunde Tags über stand ich vorn am
Bugspriet und schaute den Scharen der fliegenden Fische zu, die
beständig beim Nahen des Schiffes aus der Fluth auftauchten und
gleich Schwalben in geringer Höhe über dem Wasserspiegel
hin schossen.
Noch anziehender freilich blieben mir meine geliebten Medusen, die in
den Morgenstunden von 9-12 Uhr bald einzeln, bald in
Schwärmen erschienen; blaue Rhizostomen, rosenrothe Aurelien
und braunrothe Pelagien. Besonders leid that es mir, daß ich nicht
der merkwürdigen Staatsqualle oder Siphonophore habhaft
werden konnte, die wir Porpita nennen und die am 4. November in
zahlreichen und stattlichen, aber immer vereinzelten Exemplaren uns
begegnete.
An einigen Abenden war das herrliche Phänomen des
Meeresleuchtens so prachtvoll, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Der
ganze Ocean, so weit das Auge reichte, war ein
zufammenhängendes funkelndes Lichtmeer. Die mikroskopische
Untersuchnug des geschöpften Wassers ergab , daß die
leuchtenden Thiere zum größten Theile kleine Crustaceen
waren, zum kleineren Theile Medusen, Salpen, Würmer u. s. w.
Das prachtvollste Licht strahlten jedoch die Feuerzapfen (Pyrosoma)
aus.
Den größten Theil dieser gezwungenen Mußewoche
verbrachte ich mit dem Schreiben dieser Zeilen, und wenn ich auch
fürchten muß, lieber Leser, daß diefe „unterwegs
nach Indien" geschriebenen flüchtigen Blätter Dir kein
besonderes Interesse abgewinnen werden, so bitte ich Dich einstweilen
freundlich damit fürlieb zu nehmen, in der Hoffnung, daß die
folgenden Briefe Dir besser gefallen.
II.
Eine Woche in Bombay.
Der achte November 1881 war der herrliche und für mich
denkwürdige Tag, an welchem ich zum ersten Male tropischen
Boden betrat, tropische Vegetation bewunderte, tropisches Thier- und
Menschenleben anstaunte. Genau vor einem Monat, am 8. October, hatte
ich mein liebes Jena verlassen und nun stand ich bereits, durch den
Lloyd-Damper "Helios", wie durch Faust's Zaubermantel
über 34 Breitenbrade getragen, 4000 Seemeilen von der
deutschen Heimath entfernt, auf dem wunderreichen Boden Indiens.
Schon eine Stunde vor Sonnenaufgang war ich an Bord und sah
allmälig aus dem duftigen Nebel der Morgendämmerung das
tief eingeschnittene Küstenland von Bombay hervortreten,
überragt von den seltsam geformten Gebirgszügen der
"Bhor-Ghats". Diese letzteren bilden die Grendmauer
zwischen den ausgedehnten, circa 2000 Fuß hohen Tafellande von
Dekkan (dem "Oberlande" der vorderindischen Halbinsel)
und dem schmalen und flachen Küstenstreifen von Konhan (dem
littoralen "Unterlande"). Die steilen Gebirgsmauern, die dan
in langgedehnter Kette aufsteigen, bestehen aus Basalt, Syenit und
anderen plutonischen Gesteinen, und sind in seltsamster Weise
zerkllüftet und eingeschnitten, so daß man auf der
Höhe des horizontal abgeplatteten Tafellandes eine Anzahl
collossaler Festungen, Forts, Thürme und Zinnen zu erblicken
glaubt.
In raschem Wechsel färbte sich der dämmernde
Morgenhimmel über der indischen Küste mit den zartesten
und duftigsten Tönen, und dann trat plötzlich mit
glühendem Strahl zwischen zwei breiten Wolkenschichten der
indische Helios hervor, unser gleichnamiges Schiff mit sienem vollen
Glanze begrüßend. Jetzt ließen sich auch die Einzelheiten
der nahen Küste deutlich unterscheiden, vor Allem ausgedehnte
Wälder der Palmyra-Palme und zunächst der gewaltige,
tausende von Schiffen beherbergende Hafen von Bombay. Von der Stadt
selbst wurden die einzelnen Häuser des Colaba-Viertels sichtbar,
auf der südöstlich vorspringenden Landzunge der Insel
Bombay; darauf die stattlichen Prachtbauten des nahen Forts, und im
Hintergrunde der langgestreckte grüne Rücken von Malabar-
Hill, das südwestliche Vorgebirge der Insel mit seinen zahlreichen
Villen und Gärten. Aber mehr als dies fesselte unsere Augen
zunächst das bunte Gewühl der Schiffe in dem
geräumigen Hafen, einem der besten Indiens. Da lagen vor uns die
beiden weißen eisengepanzerten Monitors mit ihren drehbaren
Thürmen, welche die Befestigungen des Platzes in wirksamster
Weise ergänzen; dort standen hunderte von englischen Soldaten an
Bord zweier gewaltiger Truppen-Transport-Schiffe, die 3-4000 Mann
aufzunehmen vermögen; weiter fuhren wir zwischen einer ganzen
Flotte verschiedener Dampfer durch, welche von Bombay nach allen
Himmelsgegenden Frachten und Passagiere befördern; ganz
fremdartig aber erschien das bunte Gewimmel der kleineren Schiffe und
Boote der Eingeborenen, deren nackte braune Körper meistens nur
mit einem weißen Schurze, oder einem weißen Lappen
bekleidet sind, das Haupt durch einen bunten Turban gegen die
tropische Sonne geschützt.
Kurz nach Sonnen-Aufgang ließ unser „Helios" in der Nähe
des „Apollo-Bunder" (- des gewöhnlichen Landungsplatzes der
Passagiere -) die Anker fallen: Sanitäts- und Steuer-Officianten
kamen an Bord, und alsbald befand sich die Passagier-Gesellschaft, die
seit Triest, 24 Tage lang, das schwimmende Hotel gemeinsam gewohnt
hatte, in völliger Auflösung. In aller Eile wurden noch einige
freundliche Grüße ausgetauscht, Karten gewechselt und
Glückwünsche auf die weitere Reise mitgegeben; und dann
stieg Jeder mit seinen Habseligkeiten so rasch als möglich in das
Boot, das ihn dem ersehnten Lande zuführte. Ich selbst folgte der
gütigen Einladung eines trefflichen deutschen Landsmannes, des
Herrn Blaschek aus Frankfurt a. M., welcher seine Gattin, unsere
liebenswürdige Reisegefährtin, von Bord abholte. Er bat
mich, die Woche, welche ich in Bombay zubringen würde, in seiner
Villa auf Malabar-Hill zu wohnen, und ich nahm diese Einladung um so
lieber an, als die englischen Hotels in den großen Städten
Indiens mit ihrem leidigen Pensions-Zwange, ihrer steifen Etiquette und
ihrem Gewimmel lästiger Dienerschaft die freie Bewegung des
Reisenden in unliebsamer Weise beschränken.
Obgleich ich nun in der Villa Blascheck, mitten unter Palmen und
Bananen, von allem dem glänzenden Comfort umgeben war,
welchen die wohlhabenden Europäer in Indien für
selbstverständlich halten, der aber dem deutschen
Ankömmling stets sehr luxuriös erscheint, so fühlte ich
mich doch bald so behaglich wie zu Hause; und wenn diese Woche in
Bombay zu meinen angenehmsten Reise-Erinnerungen gehört, so
verdanke ich das mindestens ebenso sehr jener herzlichen und
liebenswürdigen Gastfreundschaft, als den wunderbar
schönen und mannigfaltigen Bildern, die während dieser
acht kurzen Tage in reichster Fülle an meinen Augen
vorüber zogen.
Natürlich reicht eine solche Woche nicht im Entferntesten hin, um
eine Wunderstadt wie Bombay gründlich kennen zu lernen, und
ich beabsichtige daher in den folgenden Zeilen nichts weniger zu geben,
als eine ausführliche Beschreibung derselben, oder auch nur eine
touristische Skizze; vielmehr muß ich mich auf eine dürftige
Wiedergabe der mächtigen und großartigen Eindrücke
beschränken, welche ich hier in kürzester Frist empfangen.
Ich hatte von Bombay früher wenig gelesen und gehört; ich
wußte wenig mehr davon, als daß es nach Calcutta die
größte und bedeutendste Stadt von British-Indien sei, mit
einem höchst großartigen Handel und Verkehr, und einer
bunt gemischten Bevölkerung. Auch erinnere ich mich nicht,
jemals auf einer unserer Gemälde-Ausstellungen Bilder dieser
Stadt und ihrer Umgebung gesehen zu haben. Wie sehr war ich daher
überrascht, hier einen Reichthum der schönsten und
großartigsten Ansichten zu finden, welche ich nach meinen
persönlichen Erfahrungen nur mit denjenigen von Neapel in
Europa, von Cairo in Aegypten oder besser noch mit einer
eigenthümlichen Combination dieser beiden berühmten und
unter sich so sehr verschiedenen Metropolen vergleichen kann. Mit
Neapel läßt sich Bombay hinsichtlich der herrlichen Lage an
einer vielfach geschmückten Meeresküste, hinsichtlich des
Kranzes von Inseln und Küstenbergen, welche den weiten
großartigen Golf umgeben; dagegen erinnert Bombay an Cairo
durch die bunte Mischung und malerische Gestaltung seiner
südlichen, aus den verschiedenartigsten Rassen
zusammengesetzten Bevölkerung, durch das fremdartige
Gewühl des Straßenlebens und durch die intensiven Farben,
mit denen hier Natur und Kunst gleichmäßig ihre
mannigfaltigen Gebilde bekleiden.
Die Stadt B o m b a y
bedeckt eine kleine Insel von 22 englischen Quadrat-Meilen
Oberfläche; sie liegt unter 18o 56' N. Br.,
72o 56' W. L. Diese Insel wurde zuerst von den Portugiesen
im Jahre 1529 entdeckt und besetzt, und wegen des vortrefflichen
großen Hafens, welchen sie mit einigen benachbarten Inseln und
mit der nahen Küste des Festlandes einschließt, Buona-
Bahia (d.h. „gute Bay", Bonne Bay) genannt. (Andere leiten
allerdings den Namen Bombay von der indischen Meeresgöttin
Bomba-Devi oder Maha-Deva ab). 1661 traten die
Portugiesen Bombay an die Engländer ab; diese wußten
jedoch anfänglich nicht Viel daraus zu machen;
hauptsächlich hinderten ausgedehnte Sümpfe und das
dadurch bedingte ungesunde Klime eine günstige Entwicklung. Erst
nachdem diese Sümpfe ausgetrocknet, auch sonst bessere
Bedingungen geschaffen waren, entwickelte sich Bombay rasch -
hauptsächlich seit 1820, seitdem der verdienstvolle Governeur
Mount Stuart Elphinstone die Regierung übernahm; und im Laufe
des letzten halben Jahrhunderts ist daraus die drittgrößte
Handelstadt Asiens (nächst Kanton und Calcutta) geworden. Die
Bevölkerung ist jetzt auf ungefähr 800,000 gestiegen
(darunter 8000 Europäer und 50,000 Parsi); sie betrug noch 1834
nur 234,000 Einwohner, 1816 nur 160,000 und 1716 nur 16,000 Seelen.
Für den ganzen Handel und Verkehr des indischen Orients,
insbesondere die Verbindung von Asien und Europa, hat sich Bombay
jetzt zu einer ähnlichen Bedeutung emporgeschwungen, wie sie zur
Zeit seiner höchsten Blüthe im Alterthum Alexandria
besaß. Der wichtigste Theil des Handels ist der Baumwollen-Markt;
Bombay wird in dieser Hinsicht nur noch von New-Orleans in Nord-
Amerika übertroffen. Der mächtige, ebenso sichere als
umfangreiche Hafen ist der größte und beste Handelshafen
Indiens. Er öffnet sich nach Süden, wird nordöstlich
vom Festlande begrenzt, westlich von der Insel Bombay und
nördlich von einer Gruppe kleiner Inseln, die dicht bei einander
liegen.
Die Gestalt der Insel ist ein längliches Viereck, dessen
längster Durchmesser von Norden nach Süden gerichtet ist.
Das nörliche Ende ist durch mehrere Brücken mit der
größeren Insel Salfette und durch diese mit dem Festlande
verbunden. Einen großen Theil der nördlichen Hälfte
nimmt der ausgedehnte Palmenwald von Mahim ein. Die südliche
Hälfte läuft in zwei langgestreckte Vorgebirge aus, welche
man den beiden ungleichen Schenkeln einer Krebsscheere vergleicht,
und welche eine weite, aber flache, schön gerundete Bucht („Back
Bay") zwischen sich einschließen. Von den beiden parallelen
Vorgebirgen oder Landzungen ist die westliche kürzer und
höher, dem Pofilippo von Neapel zu vergleichen; das ist
„M a l a b a r -
H i l l" , die herrliche Villenstadt.
Reizende Gärten, mit allen Prachtpflanzen der Tropen
geschmückt, umgeben hier in üppigster Fülle die
zahlreichen eleganten Villen oder Bungalow's, in denen die
wohlhabendsten und vornehmsten Einwohner (theils Europäer,
theils Parsi) wohnen. ein hübscher Weg, der zwischen diesen
Gärten der Länge nach über den höchsten Grat
des Basalt-Rückens von Malabar-Hill führt, bieten eine Reihe
der prächtigsten Aussichten, bald nach Westen über das
palmengekrönte Gestade des offenen indischen Oceans, bald nach
Osten über die weite Back-Bay und die großartige Stadt, die
sich rings um letztere ausbreitet. Der südlichste Ausläufer
derselben geht bis zur Südspitze von
C o l a b a vor; das ist die
östliche und längere von den beiden parallelen Landzungen,
der Hauptplatz des Baumwollen-Handels, zum großen Theil noch
von den Zeltlagern und Baracken der europäischen Truppen
eingenommen.
Am nördlichen Ende der Coloba-Landzunge, zwischen dieser und
dem anstoßenden Fort, liegt der vielgenannte
A p o l l o -
B u n d er , der hübsche
Quai, an welchem die meisten Reisenden zuerst landen, und an welchem
auch ich zuerst den indischen Boden betrat. Seinen Namen führt
dieser vielbesuchte Quai nicht etwa vom schönen Sonnen-Gotte
der Griechen, sondern von dem indischen Worte „Pallow" (=Fisch),
aus welchem durch Corruption Apollo entstand. Pallow-Bunder war
ursprünglich indischer Fischmarkt. Jetzt ist hier eine vortreffliche
Restauration (die einzige größere und elegantere in Bombay)
errichtet; auf dem Altane derselben, mit prächtigster freier
Aussicht über Hafen und Gebirge, nahm ich, der Einladung eines
werthen Landsmannes folgend, mein erstes Frühstück in
Indien ein. Auf dem freien Platze von Apollo-Bunder, wie auf der „Santa
Lucia" in Neapel, entwickelt sich Abends besonders das regste Leben. Oft
spielt hier die Militär-Musik und dann gibt sich die schöne
und vornehme Welt von Bombay hier ihr Rendezvous. Zahlreiche
elegante Equipagen begegnen sich in der erquickenden
Abendkühle und fahren längs des Strandes der Back-Bay
nach Malabar-Hill zurück. Dazwischen entwickelt sich auf freien
Rasenplätzen am Strande das bunte Leben der Eingeborenen, die
hier ebenfalls auf ihre Weise, um Feuer gelagert und spielend, das Leben
genießen.
Der breite Raum der südlichen Inselhälfte, zwischen den
beiden parallelen Landzungen Malabar-Hill und Colaba, wird von den
beiden wichtigsten Stadttheilen eingenommen, vom Fort und von der
„schwarzen Stadt". Das sogenannte
F o r t , früher eine isolirte
Citadelle, stößt an das Nordende von Colaba und umfaßt
den weitaus wichtigsten Theil der europäischen Stadt. Hier finden
sich erstens die meisten öffentlichen Gebäude, auf
geräumigen, mit Brunnen gezierten offenen Plätzen
vertheilt, und zweitens die meisten Comptoire und
Geschäftshäuser der Europäer
zusammengedrängt; sie bilden die eigentliche „City" mit dem
lebendigsten Geschäftsverkehr. Die Mehrzahl der großen
öffentlichen Gebäude: Das Regierungsgebäude,
Secretariat, Postamt, Universität, Kunstschule, Bank, Rathhaus etc.
sind erst im Laufe der letzten 20-30 Jahre mit großen Kosten
aufgeführt, sämmtlich stattliche Prachtbauten im gothischen
Stil, mit Spitzbogen und Säulenhallen; meistens in jener
besonderen Form desselben, welche an vielen Palästen Venedigs
zu finden ist. Höchst seltsam contrastiren diese venetianisch-
gothischen Prachtbauten mit der üppigen Tropen-Vegetation,
welche sie umkleidet und mit dem bunten indischen
Volksleben, welches in den Straßen zu ihren Füßen
wogt.
Den eigentlichen Herd dieses Volkslebens aber bildet die sogenannte
„ S c h w a r z e
S t a d t " oder die
Stadt der Eingeborenen ('Native-Town'). Sie ist sowohl von dem
südlich anstoßenden „Fort", als von dem westlich
angrenzenden Malabar-Hill völlig abgetrennt und bietet in ihrem
farbenreichen und fremdartigen Volksgewühl für jedem
Europäer einen Anziehungspunkt vom höchsten Interesse.
Beim ersten Betreten derselben wurde ich lebhaft an Cairo erinnert. Die
offenen Läden der Eingebornen, die sich hier in buntester
Ausstellung dicht aneinander reihen, die lebhaft gefärbten
Trachten und die halbnackten Gestalten der sich drängenden
Volksmenge, das Geschrei der Verkäufer, das Gewühl der
Wagen und Pferde ist in den Bazaren und Laden-Straßen von Cairo
und von Bombay sehr ähnlich. Allein je länger man in
diesem Gewühl verweilt, desto mehr fallen auch die
charakteristischen Unterschiede der indischen und der
ägyptischen Metropole in die Augen. Einen ganz verschiedenen
und einen viel schöneren Anblick bietet namentlich der
nordwestliche Theil der schwarzen Stadt, welchen den Namen
G i r g a u m
führt. Hier liegen einzelne Hütten und Höfe
höchst malerisch im Schatten eines prachtvollen Waldes von
Cocos-Palmen, und die Staffage von nackten Kindern, reich
geschmückten Weibern, braunen Männern, zierlichen Zebus,
dazwischen Pferde, Hunde, Affen etc. im buntesten Gemische, gibt dem
Genre-Maler hier eine Fülle der reizendsten Motive.
Die Bevölkerung, welche diese verschiedenen Theile von Bombay
bewohnt, ist so mannigfaltig zusammengesetzt und trägt sich so
verschiedenartig, daß es vollkommen die Kraft unserer Feder
übersteigen würde, wollten wir den Versuch wagen, von
ihrem bunten Leben und Weben auch nur ein skizzenhaftes Bild zu
entwerfen. Die Hauptmasse der Bevölkerung bilden die Hindu, eine
kleine und schwächliche Rasse von dunkelbrauner Hautfarbe,
welche bald mehr in ds Caffeebraun, bald mehr in des Kastanienbraun
zieht. Allerliebst sind die Kinder dieser Rasse, welche überall nackt
auf der Straße spielen und bis zum neunten Lebensjahre jeder
Kleidung entbehren. Aber auch die Männer der niedern Kasten
gehen größtentheils fast nackt und tragen nur einen
einfachen Gurt oder Schurz um die Hüften, ähnlich einer
schmalen Schwimmhose; der Malen kann daher den zierlichen
Körperbau und die auffallend schlanken Glieder dieser Rasse auf
Schritt und Tritt in allen möglichen Stellungen studiren, und
besonders unter den Jünglingen von 16-20 Jahren wird er
reizende Modelle finden. Diese bilden in derThat das „schöne
Geschlecht"; ihre Gesichtszüge sind in jenem Alter oft sehr fein und
edel, durch einen gewissen elegischen Anflug ausgezeichnet. Auch unter
dem weiblichen Geschlechte erblickt man viele zierliche und schlanke
Gestalten, und das einfache faltige Gewand, in welches sie ihre Gestalt
verhüllen, wird meist mit vieler Anmuth getragen; aber
hübsche Gesichter sieht man nur sehr selten: die meisten
Mädchen heirathen sehr früh (mit 10-15 Jahren),
verblühen rasch und werden im Alter ausnehmend
häßlich. Dazu kommt die entstellende Sitte, durch den linken
Nasenflügel einen großen silbernen Ring zu ziehen, an
welchem Steine, Glasperlen und andere Zierratehn befestigt werden; bei
vielen Weibern verdeckt ein solches Gehänge den
größten Theil des Mundes und Kinnes. Außerdem wird
der Mund noch durch die Sitte des Betelkauens entstellt, wodurch
Lippen und Zähne sich rothgelb färben. Ferner werden auf
die Stirn allgemein Striche und Zeichen von verschiedener Farbe gemalt,
die Abzeichen der verschiedenen Kasten. Die Arme werden blau
tättowirt. Um die Knöchel und um einzelne Zehen werden bei
beiden Geschlechtern silberne Ringe getragen. So machen die nackten
Figuren der Hindu äußerlich durchaus den Eindruck von
echten „Wilden", obgleich sie in der That zu derselben „mediterranen"
oder arischen Rasse gehören, aus der auch unsere
europäischen Volksstämme entsprungen sind. Die bekannten
Einrichtungen des Kastenwesens und der brahmanischen Religion haben
sich unter ihnen größtentheils noch bis auf den heutigen Tag
erhalten. Die Todten werden durch Feuer bestattet, und wenn man
Abends längs des schönen Back-Bay-Strandes vom Fort nach
Malabar-Hill fährt, erblickt man unmittelbar neben den
Eisenbahn-Stationen die Feuer in den großen Oefen, in denen die
Hindu-Leichen auf Rosten in einfachster Weise verbrannt werden - weit
zweckmäßiger und billiger, als es bei unserer kostspieligen
modernen Leichen-Verbrennung in Gotha geschieht.
Nach dem Census der Bevölkerung Bombay's von 1872 (wonach
die Gesammtzahl der Einwohner 650,000 Seelen betrug) kommen mehr
als 3/5 dieser Zahl auf orthodoxe Hindus verschiedener Kasten, welche
sämmtlich unter der Botmäßigkeit der Brahminen sich
befinden, währen gegen 140,000 (also über 1/4 der
Gesammtzahl) Mohammedaner sind, aber nur 15,000 (also kaum 1/45)
Buddhisten. Dazu kommen nun noch ein paar Tausend Juden, Chinesen
und afrikanische Neger; ferner eine große Anzahl von Mischlingen
der verschiedenen Rassen. Man kann also denken, wie bunter Natur das
Völkergemisch ist, welches die Straßen von Bombay belebt,
und welche verschiedenen Typen, Sitten, Anschauungen und
Gebräuche sich hier ungestört neben einander bewegen.
Vielleicht in keiner Stadt der Erde wird eine größere Zahl von
verschiedenen Sprachen durch einander gesprochen als in Bombay,
zumal auch die europäische Colonie hierselbst durch alle Zungen
vertreten ist.
Einen der merkwürdigsten und wichtigsten Bestandtheile der
Bevölkerung bilden in Bombay, wie in anderen Hauptstädten
Indiens, die P a r s i oder Gebern.
Ihre Zahl beträgt nur ungefährt 50,000 (also etwa 1/12 der
Gesammtzahl); allein durch ihre energische Thätigkeit, ihre
Klugheit und ihren Fleiß haben sie sich so bedeutenden
Einfluß erworben, daß sie in jeder Beziehung eine
hervorragende Rolle spielen. Wenn man, wie es oft geschieht, den
Europäern in Bombay alle anderen Classen der buntgemischen
Bevölkerung als „Eingeborene oder Natives" gegenüberstellt,
so bilden die Parsi eine dritte Hauptclasse derselben, welche
gewissermaßen zwischen ersteren und letzteren in der Mitte steht.
Sie sind die Nachkommen der alten Perser, welche nach der Eroberung
Persiens durch die Mohammedaner im siebenten Jahrhundert deren
Religion nicht annahmen, sondern diejenige Zoroaster's beibehielten. In
Folge dessen vertrieben, wandten sie sich zunächst nach Ormus
und zerstreuten sich von da aus über Indien. Da sie nur unter sich
heirathen, erhalten sie ihre Rasse rein und sind auf den ersten Blick,
auch abgesehen von ihrer eigenthümlichen Kleidung, von allen
anderen Rassen zu unterscheiden. Die Männer sind stattliche,
große Figuren, von gelblicher Gesichtsfarbe, meistens wohlbeleibt,
weit ansehnlicher und stärker als die schwachen Hindus. Sie sind
in lange weiße Baumwoll-Röcke und Hosen gehüllt und
tragen auf dem Kopfe eine hohe schwarze Tiara, welche einem
Bischofshut ähnlich ist. Die ausdrucksvollen Gesichter, oft mit
schön gebogenen Adler-Nasen, bekunden Energie und Klugheit;
dabei sind die Parsi sparsam und genügsam, und haben in
ähnlicher Weise, wie bei uns die Juden, die großen Capitalien
in ihren Händen zu vereinigen gewußt. Viele der reichsten
Kaufleute von Bombay sind Parsi; außerdem haben sie als
Gastwirthe, Schiffsbauer, Mechaniker und Techniker sich besonderen
Ruf erworben. Ihr Familienleben und ihre häuslichen Tugenden
werden sehr gerühmt. Die Parsi-Frauen sind meist stattlich und
hochgewachsen, ihr Gesichtsausdruck ebenfalls klug und energisch; ihre
Hautfarbe gelblich, Haare und Augen tiefschwarz. Ihre Kleidung besteht
aus langen Gewändern von einfacher, aber leuchtender Farbe:
grün, roth, gelb etc. Die Kinder der reichen Parsi sieht man
häufig in gold- und silbergestickten Gewändern spazieren
fahren. Viele wohnen in stattlichen Villen, legen Werth auf schöne
Gärten und erregen durch ihre guten Verhältnisse wohl den
Neid manches Europäers. Dabei zeichnen sich die reichen Parsi oft
durch lobenswerthen Gemeinsinn aus. Viele haben nützliche
Anstalten und wohlthätige Institute gegründet. Einige sind
von der englischen Regierung in Anerkennung ihrer besonderen
Verdienste zu Baronets erhoben worden.
Nicht wenig trägt sicher zu der hervorragenden Thätigkeit
und Tüchtigkeit der Parsi der Umstand bei, daß sie sich von
der Herrschaft der Priester in hohem Maße frei erhalten haben.
Ihre Religion, die Lehre
Z o r o a s t e r
' s , ist in ihrer reinsten Form eine der edelsten
Naturreligionen, auf die Verehrung der schaffenden und erheltenden
Elemente gegründet. Unter diesen gebührt der Vorzug dem
Lichte und der Wärme der schaffenden Sonne, und deren Abbilde,
dem Feuer. Daher begegnen wir beim Auf- und Untergange der Sonne
am Meeresstrande von Bombay zahlreichen frommen Parsi, welche
stehend oder auf ausgebreitetem Teppich knieend dem kommenden wie
dem scheidenden Tagesgestirn ihre Verehrung betend bezeugen. Ich
habe selber den Religionsübungen keines Volkes mit innigerer
Theilnahme zugeschaut, als denjenigen dieser „Sonnen-Anbeter" oder
Feuer-Anbeter. Sind doch wir Naturforscher der Gegenwart, die wir in
der Wärme und dem Licht unserer Sonne mit vollem Recht den
Urquell all' des herrlichen organischen Lebens unserer Erde erblicken,
im Grunde auch nichts Anderes als „Sonnen-Anbeter"!
Die Religionsübungen der Parsen sind übrigens höchst
einfach und zum Theil, ebenso wie beim Mohammedanismus, auf sehr
zweckmäßige sanitäre Principien gegründet, so
namentlich die diätischen Vorschriften und die zahlreichen
täglichen Waschungen des Körpers. Ihr kräftiger
Körper erfreut sich daher auch meist einer trefflichen Gesundheit,
und die mutnern, lebhaften Kinder der Parsi machen in Bombay einen
weit besseren Eindruck, als die bleichen Gesichter der matten
Europäer-Kinder, welche in dem verderblichen heißen Klima
kraftlos dahinwelken.
Zu den merkwürdigsten Gebräuchen gehört die
T o d t e n b e s
t a t t u n g der Parsi.
Hoch oben auf dem Felsenrücken von Malabar-Hill, und zwar auf
einem der höchsten und schönsten Punkte desselben, wo das
prächtigste Panorama von Bombay (ähnlich dem von Neapel
von der Höhe des Posilippo) zu Füßen des staunenden
Beschauers sich ausbreitet, besitzt die Parsi-Gemeinde einen herrlichen,
mit hohen Palmen und blüthenreichen Bäumen gezierten
Garten. Auf diesem Friedhofe erheben sich die sechs Dakhma's
oder „Thürme des Schweigens" (Towers of silence). Das sind
weiße cylindrische Thürme von 30-40 Fuß Durchmesser
und ungefähr ebensoviel Höhe. Einem Amphitheater
ähnlich ist das Innere derselben in drei concentrische Ringe
abgetheilt, welche druch radiale Scheidewände in zahlreiche
offene Kammern geschieden werden. Jede Kamer nimmt eine Leiche auf
und zwar kommen in den inneren Kreis die Kinder, in den mittleren die
Weiber, in den äußeren die Männer. Sobald die
weißgekleideten Todtenwärter die von den
Angehörigen zum Friedhof geführte Leiche den Letzteren
abgenommen haben, bringen sie dieselbe unter Begleitung singender
Priester in einer der offenen Gradkammern und entfernen sich. Alsbald
erscheinen zahlreiche von den heiligen Vögeln des Ormuzd, ovn
den stattlichen braunen Geiern, die in dichten Gruppen auf den Kronen
der benachbarten Palmyra-Palmen sitzen. Sie stürzen sich auf die
Leiche im Innern des offenen Thurmes und haben in wenigen
Augenblicken deren Fleisch verzehrt. Scharen von schwarzen Raben
vertilgen die kleinen Ueberbleibsel ihres Mahles. Die
übriggebliebenen Knochen werden später im Mittelraum des
Thurmes gesammelt.
Die meisten Europäer finden diese Todtenbestattung der Parsi
entsetzlich, wie es schon im classischen Alterthum für eine
besondere Beschimpfung galt, eine Leiche den „Geiern zum Fraße"
hinzuwerfen. Dem vergleichenden Zoologen erscheint es jedoch vielleicht
ästhetischer und poetischer, eine geliebte Leiche in wenigen
Minuten durch kräftige Raubvögel verzehrt zu sehen, oder
(gleich den Hindus) verbrannt zu wissen, als sie jenem langsamen
Verwesungsprocesse und jenem ekelhaften „Würmerfraße"
ausgesetzt zu sehen, der bei der Beerdigung unserer europäischen
Culturvölker üblich, und ebenso abschreckend, als
sanitätswidrig, ja die Quelle vieler Krankheiten ist. Indessen, was
macht nicht Alles die liebe
G e w o h n h e
i t aus, der mächtigste Hebel der „Anpassung"!
Es war ein unvergeßlicher Abend, als ich am 14. November in
Gesellschaft meiner Reisegefährten vom „Helios", der Frau Blaschek
und des Grafen Hunyadi, die Thürme des Schweigens besuchte. Die
untergehende Sonne schmückte eben den westlichen Horizont mit
jenen wunderbaren, nur zu rasch vorübereilenden
Farbentönen der Tropenzone, deren Gluth und Anmuth weder
Pinsel noch Feder annähernd wiederzugeben vermögen.
Gegenüber im Osten prangten mächtige Reihen
gehäufter Thurmwolken mit goldenem Saume im magischen
Purpurlicht; und darunter schimmerten violett die seltsam geformten
Mauern und Thürme des Bhor-Ghats, auf den Abstürzen des
Tafellandes von Dekkan. Zu unsern Füßen aber spiegelte der
blanke Golf der Back-Bay die ganze Farbenpracht des
Himmelsgewölbes wieder und darüber erhob sich jenseits
die Reihe der Prachtgebäude des Forts, überragt vom
Mastenwalde der Schiffe. Zu unserer Rechten südwärts
verfolgte das Auge die Gärten und Villen von Malabar-Hill bis zur
äußersten Spitze, bi szu den felsigen Vorgebirge Malabar-
Point; hier hatte früher Lord Elphinstone in einer einsamen,
einfachen Villa gewohnt, während daselbst gegenwärtig der
luftige Sommerpalast des Gouverneurs steht. Zur Linken verdeckten
unten die dicht gedrängten Cocos-Palmen von Girgaum das bunte
Leben der „schwarzen Stadt". Und dazu nun als Vordergrund die
„Thürme des Schweigens", umgeben von den hohen Fächer-
Palmen, auf deren Kronen die gesättigten Geier in dichten Gruppen
ihre Abendruhe hielten; und zu ihren Füßen die
weißgekleideten Parsi-Priester. Das gab ein Bild, würdig eines
großen Malers!
Ganz verschieden von der tief elegischen Stimmung dieses Abendbildes
war der Eindruck, den ich am folgenden Morgen von dem
benachbartenn Belvedere von
C u m b a l a -
H i l l erhielt. Ich war schon eine Stunde
vor der Sonne auf dem Wege und war allein in der
Morgendämmerung, an dem Thurme des Schweigens vorbei, eine
Viertelstunde weiter bis zu jener höchsten nördlichen
Erhebung von Malabar-Hill gewandert, welche den „Flag-Staff"
trägt. So heißt die Thurmwarte des fernblickenden
Wächters, der von diesem höchsten Punkte aus die Ankunft
der großen Dampfschiffe in Bombay zu signalisiren und die der
Postschiffe durch zwei Kanonenschüsse kund zu thun hat. Die steil
abfallenden Felsen sind hier theils mit stacheligem Gestrüpp, theils
mit Dattel-Palmen bewachsen, unter denen zahlreiche Hindu-
Hütten zerstreut liegen. Ganz in der Nähe befindet sich in
gleicher Höhe und in herrlichster Lage die Wohnung des deutschen
Consuls, der zur Zeit noch in Europa weilte. Der Blick umfaßt von
hier aus nicht allein die ganze Stadt mit dem Golfe, sondern schweift
auch weiter nordwärts nach dem großen Palmenwalde von
Mahim (am Nordende der Insel Bombay) und darüber hinaus nach
der großen Insel Salfette und dem benachbarten Festlande. Ein
zarter grauer Nebelschleier deckte dieses großartige Panorama, als
ich kurz vor Sonnenaufgang dort anlangte; kaum aber war Helios
strahlend über der zackigen Felsenmauer der Bhor-Gats
emporgestiegen, als auch der Nebel zerfloß und ein Theil des
herrlichen Bildes nach dem andern in voller Klarheit sichtbar wurde.
Ein Ausflug nach dem oben erwähnten
P a l m e n w a
l d e v o n
M a h i m , den am 13. November
in Gesellschaft von Blaschek's unternommen hatte, gehört zu
meinen angenehmsten Erinnerungen an Bombay. Es war ein herrlicher
Sonntagmorgen - mein erster in Indien! - und ich werde seine
mannigfaltigen Eindrücke nie vergessen. Man muß unter den
Tropen vor der Sonne unterwegs sein, wenn man die volle
Morgenfrische recht genießen will, und so trafen uns denn die
ersten Sonnenstrahlen dieses wunderschönen wolkenlosen
Sonntags bereits im leichten Wagen an, mitten unter den riesigen alten
Benyanen, am nördlichen Fuße von Cumbala-Hill. Die
indischen Hütten im Schutze dieser Feigenbäume, oft ganz
zwischen deren Luftwurzeln versteckt und durch die daraus
entstandenen Stämme gestützt, waren der Schauplatz jener
originellen häuslichen Scenen, welche den europäischen
Ankömmling so sehr ergötzen. Ganze Familien saßen im
Costüme des Paradieses am Wege und verliehen ihrem braunen
Fell neuen Glanz durch Einreiben mit Cocosöl. Zugleich sichten sich
die liebenden Geschwister - oder auch Eltern und Kinder - gegenseitig
die kleinen langsam kriechenden Insekten ab, welche ihr langes
schwarzes Haupthaar bevölkerten; da sie aber als fromme Hindu
kein Thier tödten dürfen, setzen sie die Gefangenen
sorgfältig bei Seite. Andere wandten ein wirksameres Mittel an,
indem sie sich das Haupthaar radical abrasiren ließen. Viele
badeten in kleinen Teichen am Wege, und noch andere dehnten sich
behaglich, ehe sie wieder mit dem weißen Schurze sich bekleideten,
unter oder auf den Aesten der Bäume aus.
Der Cocos-Palmenwald von Mahim, der erste, den ich betrat, bot uns
noch viel mannichfaltigere Bilder. Da klimmen Toddyzapfer mit
affenartiger Behendigkeit an den mächtigen hohen Stämmen
empor, um den Palmenwein, der Nachts in die oben aufgehängten
Gefäße getröpfelt war, einzusammeln. Auf Seilen, die
horizontal zwischen den benachbarten Stämmen ausgebreitet sind,
klettern sie geschickt von einer Krone zur andern. Andere
pflücken unten die gelben Früchte der Bananen ab; und noch
andere sind mit der Zurichtung ihres Frühmahls beschäftigt.
Ich aber wurde nicht müde, die prachtvollen Lichteffecte zu
bewundern, welche der spielende Sonnenglanz auf den breiten
zitternden Fiederblättern der edlen Cocos und ihren weißen,
anmuthig gebogenen Stämmen hervorbrachte, sowie auf den
zarten frischgrünen Riesenblättern der zu ihren
Füßen stehenden Bananengruppen. Und dazu nun
überall eine Fülle herrlicher Blumen, mit den ringsum
spielenden Schmetterlingen wetteifernd durch riesige Größe,
durch bunte Farbe, durch seltsame Gestalt und durch aromatischen
Geruch! Hie und da erhob sich ein luftiger Busch des zierlichen
schlanken Bambusrohres; und allenthalben zerstreut lagen kleine
Hütten aus Rohr gebaut und mit Rohr gedeckt. Auf den Wegen
allerlei Hausthiere, Schweine und Hunde, Hühner und Enten; und
zwischen diesen spielend und tanzend die allerliebsten Gestalten der
nackten Hindukinder mit ihren großen schwarzen Augen!
Nachdem wir über eine Stunde auf Kreuz- und Querwegen im
Palmenwalde von Mahim umhergeschlendert, versuchten wir links nach
dem benachbarten Meeresstrand durchzudringen. Allein der schmale,
zwischen zwei Mauern eingeschlossene Pfad endigte in einer
großen Pfütze. Gerade zur rechten Zeit kam uns von der
anderen Seite ein zweiräderiger Ochsenkarren (Bullock cart)
entgegen; wir erkletterten dieses saubere Gefährt in sehr heiterer
Stimmung und ließen uns von dem leitenden Hindujüngling
durch die Pfütze hinüber fahren, wären aber beinahe
in dem tiefen Schlamm derselben stecken geblieben! Glücklich
hinüber, gelangten wir bald an den sandigen Meerestrand, der
hier in weiter Ausdehnung mit dem schönsten Cocoswalde
gesäumt ist. Hier begegneten wir stattlichen Gruppen des
merkwürdigen Pandanus, jener sonderbaren Schrauben-Palme,
deren gebogener Stamm sich oben armleuchterartig gabelt, an jedem Ast
ein agavenartiges Blütterbüschel mit
schraubenförmiger Drehung tragend, während er unten auf
einem Büschel von Luftwurzeln, wie auf hohen Stelzen steht.
Zwischen den Aesten waren allenthalben mächtige Spinnenetze
ausgespannt, bewohnt von einer prächtig gezeichneten
Riesenspinne, deren dicker Leib 6 cm, deren dünne Beine 10 cm
lang sind. Die ungeheuerliche Bestie ließ sich ziemlich leicht fangen
und fand in meinem Spiritusglase ihr Ende. Die dicken Fäden ihres
Gespinstes, das über einen Meter Durchmesser zeigte,
überraschten uns durch ihre Festigkeit, fast derjenigen eines
Zwirnfadens gleich. Während wir unten mit dieser aufregenden
Spinnenjagd beschäftigt waren, erhob sich oben aus den
Palmenkronen ein kreischender Schwarm grüner Papageien, der
ersten, die ich wild erblickte.
Eine Reihe anderer zoologischer Überraschungen wartete meiner am
sandigen Strande von Mahim, welcher gerade duch die tiefe Ebbe in
ziemlich weiter Ausdehnung entblößt war. Da lagen
ausgeworfene Riesenexemplare einer prächtigen blauen Meduse
(einer Crambessa) von mehr als einem Fuß Durchmesser;
daneben sonderbare Igelfische (Diodon) mit stacheliger Haut und
großem aufgeblasenen Kehlsack. Im Seesande selbst fans sich eine
große Anzahl verschiedener Muscheln und Schnecken, lauter
charakteristisch indische Formen, die ich bisher nur in zoologischen
Museen erblickt; ferner große Röhrenwürmer,
verschiedene Krustenthiere (darunter schnellfüßige
Sandkrabben, dich sich im Sande Löcher graben), sowie viele Reste
von großen Fischskeletten, untermischt mir Schädeln und
anderen Skelettheilen des Menschen. Letztere gehörten Hindu's
niederster Classen an, deren Leichen nicht verbrannt, sondern einfach
im Seesande verscharrt werden. Meine Umhängetasche war mit
diesen und anderen zoologischen Schätzen überfüllt,
als wir endlich gegen Mittag nach Hause zurückkehrten.
Einer der interessantesten Punkte von Bombay war für mich das
heilige Brahminendorf
W a l k e s c h
w a r , nur wenige Minuten vom Bungalow meiner
lieben Gastfreunde entfernt, zwischen diesem und dem
Gouverneurshause auf Malabar-Point gelegen. Ich besuchte dieses
merkwürdige Dorf zu wiederholten Malen und zu verschiedenen
Tageszeiten, und wurde stets durch eine Fülle origineller und
mannigfaltiger Bilder aus dem Leben der höchsten Hindu-Kasten
überrascht; denn nur solche, nur echte Brahminen bewohnen
diesen heiligen Ort, und kein unreiner Hindu niederer Kaste darf
denselben durch seine Gegenwart entweihen. Den Mittelpunkt besselben
bildet hier, wie an ähnlichen, hie und da in der schwarzen Stadt
zerstreuten heiligen Orten ein viereckiger Teich, dessen Ufer geradlinige
Treppenreihen säumen. Diese sind eingefaßt von zahlreichen
Tempeln und Capellen, zwischen welchen enge Gassen zum Wasser
hinabführen. Die Tempel zeichnen sich aus durch charakteristische
Thürme, theils von Gestalt einer Bischofsmütze, theils von
der eines breiten und niedrigen Obelisken. Das Innere der Tempel, gleich
den dazwischen zerstreuten Hütten noch der Straße
geöffnet, zeigt einen einfachen Raum, in dessen Mitte (oder auch in
einem besonderen Vorhofe unter einer Säulenhalle) ein heiliger
Stier liegt. Andere Gegenstände der Verehrung, gleich den Stieren
mit Blumen geschmückt, sind merkwürdige steinerne
Symbole der Fruchtbarkeit, zum Theil von obscönster und
grotesker Form. Solche sind auch an vielen Stellen der Wege inner- und
außerhalb der Stadt zerstreut, mit rother Farbe bemalt. Sie werden
namentlich von kinderlosen Eheleuten besucht und ihre rothen Theile
werden mit Goldpapierchen beklebt, auch mit duftenden Blumen
bedeckt, in der Hoffnung, durch diese Opferspenden mit Kindern
gesegnet zu werden.
Vor den Stufen der Tempel und auf den Treppen des heiligen Teiches
hocken oder bewegen sich heilige Büßer in den
verschiedensten und sonderbasten Geberden und
Andachtsübungen. Die meisten dieser Fakire sind geriebene
Betrüger, welche dem Dolce far niente auf Kosten ihrer
frommen und wohlthätigen Glaubensgenossen sich hingeben. Ihr
nackter Körper ist mit Asche und Oel beschmiert, die langen Haare
in wirre Zöpfe geflochten, die niemals gereinigt werden und
besondere Species des „Weichselzopfes" repräsentiren, meist ein
reich bevölkerter zoologischer Garten. Das einzige Verdienst der
meisten Fakire besteht darin, daß sie irgend ein Glied ihres
Körpers verstümmeln. Der Eine hat seit vielen Jahren seite
Faust krampfhaft geschlossen, so daß die Fingernägel tief in
das Fleisch der Hohlhand eingewachsen sind; ein Anderer hat den
emporgestreckten Arm in senkrechter Stellung so lange erhalten, bis
derselbe alle Beweglichkeit und Empfindlichkeit verlor, so daß er
nun gleich einem dürren Aste vertrocknet und atrophisch
über das Haupt emporragt; ein Dritter hat sich die verschiedensten
Wunden beigebracht und durch Einstreuen von Asche in langer Eiterung
erhalten, so daß sein Gesicht und Leib auf das Scheußlichste
entstellt ist etc. Bekanntlich gibt es keine Thorheit und keine
Verrücktheit, zu der nicht religiöse Wahnvorstellungen den
Menschen bringen können, besonders wenn sie mit den
üblichen Betrügereien der Priesterschaft Hand in Hand
gehen; aber wenige Religionsformen dürften es in dieser
Beziehung zu solchen extremen Ausgeburten bringen, wie der Brahma-
Cultus.
Während ich stundenland im Brahminen-Dorfe Walkeschwar
verweilte und unter dem dichten Schatten eines heiligen
Benyanenbaumes am Ufer des Teiches saß, um diese seltsamen
Eindrücke in meinem Skizzenbuche festzuhalten, hatte ich
genügende Muße, das sonderbare Leben und Treiben dieser
privilegirten Faullenzerkaste zu studiren. Die Hauptbeschäftigung
dieser edlen Brahminen, die eigentlich als echte „Bettelmönche"
von den reichlichen Spenden der abergläubischen und
opferwilligen Hindu's niederer Kaste leben, besteht in süßem
Nichtsthun, in philosophischer Betrachtung der Welt mit ihrer Narrheit;
nur zeitweilig wird dasselbe durch äußerliche
Religionsübungen unterbrochen, unter denen wiederholte
Waschungen jedenfalls noch die zweckmäßigsten sind; fast
ununterbrochen war der heilige Teich von Badenden beiderlei
Geschlechts besucht. Vielen Spaß hatte ich mit der munteren, jede
Kleidung verschmähenden Jugend, die in Scharen meiner
Aquarellarbeit zuschaute und darüber ihre lustigen Clossen
machte. Besonderes Vergnügen schien ihr die Carricatur eines
heulenden, sich ganz verrückt geberdenden Fakirs im Teiche zu
machen; wie den überhaupt diese Hindu-Jungen noch nicht von
der Orthodoxie der Alten angesteckt erschienen.
Andere interessante Bilder in Welkeschwar lieferte mir eine
Brahminenschule; der alte graue Schulmeister schien ebenfalls den Ernst
des Lebens mehr von der heiteren Seite zu nehmen und war offenbar
sehr erfreut, als ich mich ihm pantomimisch als Collegen zu erkennen
gab. Dicht neben diesem Tempel der Weisheit hatte ich auch Gelegenheit,
Etwas von der praktischen Medicin der Hindu zu sehen; eine Entbindung
unter erschwerenden Umständen wurde mit den sonderbasten
Instrumenten auf offener Straße ausgeführt; ein Hindu-
Constabler oder „Police-Man" hielt dabei die versammelten Zuschauer in
Ordnung und erklärte mir sehr gefällig die Bedeutung des
Actes. Daneben war ein anderer Hindu-Doctor beschäftigt, aus
einem armen Rheumatismuskranken den Teufel durch Kneten und
Pressen auszutreiben. In diesen Fächern, wie überhaupt in
der Thierquälerei, leisten die frommen Hindu wirklich
Großes, während sie gleichzeitig sich sehr hüten, irgend
ein Wesen, sei es auch das kleinste oder schädlichste Insekt,
wirklich umzubringen.
Schon am Tage nach meiner Ankunft in Bombay, am 9. November, hatte
ich Gelegenheit, an einer Excursion nach der berühmten Insel
Elephanta Theil zu nehmen, auf welcher sich die vollendetsten und
figurenreichsten unter den zahlreichen indischen Höhlentempeln
befinden. Da diese brahminischen Tempel durch zahlreiche Abbildungen
und Beschreibungen allbekannt sind, will ich mich auf das kurze
Geständniß beschränken, daß sie meinen
hochgespannten Erwartungen nicht entsprachen; ich hatte mir den
Eindruck weit großartiger und imposanter vorgestellt. Von
wirklicher Schönheit ist ohnehin bei den verschnörkelten
und fratzenhaften Sculpturen der Inder nicht die Rede; die
häßlichen und widernatürlichen Verbindungen von
Menschen- und Thierleibern, die Gottheiten mit drei Köpfen
(Trimurti), ferner die verzerrten Fratzengesichter, die Leiber mit
mehreren Reihen von Brüsten, mit 8 Armen und Beinen etc. sind
mir höchlich zuwider, und ich gehöre zu jenen wenigen
Ketzern, die auch hier das Urtheil unseres Altmeisters Goethe von den
„verrückten Elephanten- und Fratzentempeln" zutreffend finden.
Immerhin sind die Felsentempel von Elephanta durch die
sorgfältige Sculptur der Einzelheiten, und durch die Art und Weise,
wie der ganze Tempelraum mit seinen drei Säulenhallen und den
zahlreichen Figuren aus dem lebendigen schwarzen und sehr festen
Gestein des Trapp-Gebirges ausgemeißelt ist, sehr
merkwürdig, und die Lage des Tempels auf dem steilen
Westabhange der schön bewachsenen Insel ist so herrlich, der
Blick auf den Hafen von Bombay so großartig, daß sich Jeder
durch diese Excursion reichlich belohnt führen wird. Wir machten
dieselbe vom Apollo-Bunder aus mit einer kleinen Dampfbarkasse
(Steam-Lounch). Die Ueberfahrt dauert nur eine gute Stunde und
bietet eine Reihe hübscher Hafenbilder; indische Schiffe und Boote
aller Größen und Formen konnte ich hier in der Nähe
sehen. Sehr schön ist dabei der Blick auf das hohe Tafelland, die
Bhor-Ghats von Dekkan, sowie auf das palmenreiche Vorland an dessen
Fuße, auf das Konkan, zwischen welchem und der Insel Bombay die
kleine Insel Elephanta gelegen ist. Durch prächtig rothe
Färbung der nacksten Felsen zeichnet sich die benachbarte
größere Insel Trombay aus.
In anderer Hinsicht bot mir die Excursion nach Elephanta das
allergrößte Interesse und wird mir immer unvergeßlich
bleiben. Denn dieser Tag, der 9. November, war der erste, an welchem
ich die tropische Flora ihr Wunderwerk frei und ungekünstelt
entfalten sah. Allerdings hatte ich schon den vorhergehenden
Nachmittag, meinen ersten in Indien, dazu benutzt, um mit dem
Tramway nordwärts durch die schwarze Stadt nach Victoria
Garten zu fahren. Das ist ein hübscher, wenn auch nicht sehr
sorgfältig gepflegter botanischer Garten. Zwar kann er sich nach
Reichthum und Anlage nicht mit anderen botanischen Gärten
Indiens messen; indessen sah ich doch zum ersten Male hier eine
große Anzahl der schönsten und großartigsten
Tropengewächse von Angesicht: insbesondere die Hauptformen
der indischen Palmen und Bambusen, Bananen und Pandanus, Brotfrucht
und Papaya, Lotos und Pistia etc. Wie sehr mich aber auch dieser
schöne Victoriapark am ersten Abend in Bombay entzückte,
zumal er durch das prachtvolle Beleuchtungsspiel eines glühenden
Sonnenuntergangs verklärt wurde, so war doch meine Freude noch
ungleich größer und lebhafter, als ich am folgenden
Nachmittag auf Elephanta die bedeutendsten Charakterpflanzen Indiens
wild in ihrem freien Naturzustande erblickte, in jener Ueberfülle
der Ueppigkeit, die keinen Gartenzwang duldet.
Da bekleiden rankende Schlingpflanzen und kletternde Farne die
reisigen Tiekstämme; da beugen die edelsten Cocos-Palmen ihren
schlanken gebogenen Stamm mit der herrlichen glitzernden Fiederkrone
über den Stand des Meeres, der mit Pandanusbüschen
gesäumt und mit einer, im Wasser wurzelnden Mangroven-Mauer
befestigt ist. Da ranken mächtige Schmarotzerfeigen und Winden,
und andere, mit großen bunten Blumen ausgestattete
Kletterpflanzen an den kerzengeraden schwarzen Stämmen der
gewaltigen Palmyra-Palmen empor, und selbst ihre stolze Krone von
handförmigen Fächerblättern ist mit Blumen
bekränzt. Und dort erheben sich uralte Prachexemplare vom
heiligen indischen Feigenbaum, von der Benyane; unten löst sich
ihr mächtiger Hauptstamm in ein förmliches Netzwerk
gewaltiger Wurzeln auf, während oben aus dem dichten
dunkelgrünen Laubwerke dicke Riesenäste eine Schar von
Luftwurzeln herabsenken; von letzteren erreichen viele wieder den
Boden und bilden wurzelschlagend neue Stämme zur Stütze
der alten mütterlichen Krone. Und dort, siehe dort, da erstickt ein
gewaltiger Würger (eine parasitische Feigenart), mit dem
Netzwerk seiner verflochtenen Stammäste die edle Palme, die er
zäh umklammert hält - und wenige Schritte weiter da steht
ein Bruder dieses Würgers mit todtem, einen cylindrischen
Hohlraum umschließenden Gitterstamme, ohne Blätter; erst
war die erwürgte Palme gestorben und vermodert, und dann hatte
den grausamen Mörder dasselbe Schicksal erreicht. Dazwischen
bildet das zierliche Bambusrohr große Riesenbouquets, breiten
prächtige Bananen und Strelitzien ihre frischgrünen zarten
Blätter aus, entfalten herrliche bunte und große Blumen ihre
duftenden Kelche, bilden zartgefiederte Acacien weit ausgedehnte
Schirmdächer, verflechten sich stachelige cactusähnliche
Euphorbien zu dichten Hecken. So sah ich hier zum ersten Male auf
Elephantia in greifbarer Wirklichkeit eine Fülle der
merkwürdigsten und schönsten Gestalten der tropischen
Flora, von denen ich seit 30 Jahren gelesen und geträumt hatte.
Und dazwischen gaukelten in der sonnenglühenden Luft Tausende
der schönsten und buntesten Schmetterlinge, schwirrten durch das
Gebüsch große goldglänzende Prachtkäfer,
huschten durch das Laub Hunderte von behenden Eidechsen und
Schlangen, flogen von Stamm zu Stamm lärmende Scharen
prachtgefiederter Vögel - lauter neue, nie lebend gesehene
Formen, und mir doch großentheils seit Langem alte Bekannte. Wie
ein Kind haschte ich nach all den herrlichen Siebensachen und legte
meine Hand auf die Stämme der Palmen und Bambusen, um mich
zu überzeugen, daß nicht Alles nur ein schöner
Märchentraum sei! Und so fuhr ich traumbefangen bei der
wunderherrlichsten Abendbeleuchtung von Elephanta nach Bombay
zurück und sah in der schlaflosen Nacht, der ersten in Indien,
Tausende der prächtigsten Bilder an meinem Auge auf's Neue
vorüber ziehen.
Leider gestattete die kurze, rasch verfließende Woche in Bombay
nur einen einzigen größeren Ausflug auf das
i n d i s c h e
F e s t l a n d ;
dieser war aber sehr interessant und gab mir eine recht gute
Vorstellung von der Natur des berühmten Hochlandes von
D e k k a n . Auf den guten
Rath eines freundlichen Landsmanns, Herrn Tintner (dem ich für
viele andere Gefälligkeiten bei dieser Gelegenheit herzlich danke),
wählte ich unter den verschiedenen, im Zeitraume von zwei Tagen
ausführbaren Excursionen diejenige nach
L a n a u l i e
und zu den Felsentempeln von
C a r l i . In Gesellschaft des
Grafen Hunyady, des Reisegefährten von der „Helios", verließ
ich Bombay am Mittag des 11. November. Das herrlichste Wetter
begünstigte diesen Ausflug, wie meinen ganzen Aufenthalt in
Bombay; nur war es etwas zu heiß: Mittags im Schatten bis
30o R, meistens am Tage zwischen 22 und 26o R;
auch die Nächte waren sehr heiß und einmal hatten wir noch
um Mitternacht 25o R.!
Die Eisenbahnfahrt nach Lanaulie (die erste Strecke der großen
Bahn von Bombay nach Madras) dauerte 5 Stunden und entlockte uns
neben vielem Schweiße manchen Seufzer über die stechende
Sonnenglut; und doch waren die Waggons erster Classe, die wir
benutzten, überaus bequem und boten die raffinirtesten
Schutzmittel gegen die Tropensonne: doppeltes, seitlich weit
vorspringendes Dach, Jalousien und grüne Scheiben an den
Fenstern, innen und außen Vorhänge, bequeme und
kühle Lederpolster, sinnreiche Einrichtungen für reichliche
Ventilation, und was das Angenehmste war -, kleine Badecabinette mit
gekühltem Wasser, in denen ich mehrmals während der
heißen Fahrt ein erquickendes Bad nahm. Jeder Waggon erster
Classe enthält nur zwei geräumige Salons und in jedem Salon
dürfen nicht mehr als 6 Passagiere sitzen, während man bei
uns die dreifache oder mindestens doppelte Zahl darin
zusammenpferchen würde. Nur drei Bänke sind in jedem
Salon (zwei der Länge, eine der Quere nach); bei Nacht wird
über jeder Bank noch eine zweite, 4 Fuß entfernt,
aufgeschlagen; und so erhält man 6 Betten, weit geräumiger
und bequemer, als die Betten in Dampfschiffscabinen. Dabei kann man
bequem in dem kleinen Salon seinen Koffer unterbringen und
auspacken, promeniren und nach beiden Seiten durch die zahlreichen
Fenster die Aussicht auf die vorübereilende Landschaft
genießen.
Diese Aussicht war für mich höchst anziehend und ich
sammelte während der kurzen fünfstündigen Fahrt
eine Reihe interessanter indischer Bilder in meinem Skizzenbuche.
Zunächst fährt die Eisenbahn durch einen großen Theil
der Stadt Bombay selbst hindurch, an Byculla, Parell und Sassoon vorbei,
dann auf einer Brücke über einen schmalen Meeresarm nach
der Insel Salfette und von dieser über einen zweiten Meeresarm
nach dem Festlande von Vorder-Indien hinüber. Anfänglich
zieht sich hier die Bahn ganz flach mehrere Stunden lang durch das
ebene und niedere Küstenland, das Konkan. Zahlreiche
Dörfer, aus elenden Rohrhütten zusammengesetzt, und
einzelne kleine Städtchen von unbedeutendem Umfang geben uns
eine Idee von der Mahratten-Bevölkerung dieser Gegend. Die
ausgedehnte Ebene ist während der Regenzeit (von Juni bis
September) mit dem üppigsten hohen Grase bedeckt, zum
großen Theil auch gut cultivirt mit Reis, Mais etc. Jetzt war die
Vegetation seit mehr als einem Monat völlig verbrannt und die
weiten Grasflächen strohgelb. Nur die zahlreichen
immergrünen Pflanzen erhielten sich frisch, die
Bananengebüsche und Feigenbäume rings um die
Hütten, und vor Allem der wichtigste Schatz dieser Konkan-Flora,
die herrliche
P a l m y r a -
P a l m e (Borassus
flabelliformis). Tausende oder vielmehr Millionen von
Stämmen dieser edlen Fächerpalme mit dem kerzengeraden
schwarzen Stamme sind allenthalben sichtbar, bald einzeln, bald in
Gruppen, und geben dem ganzen flachen Küstenlande seine
charakteristische Physiognomie; gleich der Cocos- und Dattelpalme ist
auch die indisch Palmyra-Palme einer der nützlichsten
Bäume; fast jeder Theil derselben dient für einen oder
mehrere häusliche oder technische Zwecke. Besonders schön
erscheinen die Gruppen dieser Palme an den Ufern der zahlreichen
schilfbekränzten Teiche, an denen wir vorüberfuhren; dazu
als malerischer Vordergrund die nackten braunen Eingeborenen mit
ihren zweiräderigen Ochsenkarren, badende Büffel und
zusammengewürfelte Rohrhütten; im Hintergrunde
darüber die malerischen Formen der Bhor-Ghats, der zackigen
Felsenwände, die den steilen, 2000 Fuß hohen Absturz des
mächtigen Tafellandes von Dekkan bilden.
Auf der Station Kurjut, hinter Noreb, waren wir am Fuße des
Gebirges angelangt und die leichte Locomotive, die uns bisher
geführt hatte, wurde jetzt mit einer schweren Gebirgslokomotive
vertauscht. Die Steigung der Bahn wird bald sehr bedeutend (1:37); sie
erhebt sich in wenigen Stunden Fahrzeit über 2000 Fuß.
Zahlreiche Tunnels und Viaducte, sowie scharfe Biegungen der Bahn an
steilen Felswänden vorbei erinnern an unsere malerischen
Alpenbahnen, Semmering und Brenner (die stärkste Steigung auf
letzterer beträgt nur 1:40). Die umgebende Landschaft nimmt
alsbald einen ganz anderen Charakter an. Die Palmen, die in so
großer Masse das Unterland (Konkan) schmückten,
verschwinden schon beim Beginn der Steigung völlig;
mächtige, bald säulenförmige, bald astreiche
Waldbäume treten an ihre Stelle, darunter die stolzen
Tiekbäume, sowie Wollbäume mit sehr großen
Blättern. Der steile Abfall des tafelförmigen Hochlandes
(Dekkan), der zum Theil treppenartig oder terrassenförmig
abgestuft ist, wird vielfach von tiefen Wasserschluchten eingeschnitten
und diese Abgründe, mit dichtem Waldgebüsch ausgekleidet,
geben dem Gebirgslande einen europäischen Charakter. Ganz
eigenthümlich aber, und in ähnlicher Form von keinem
europäischen Gebirge mir bekannt, ist die Gestaltung der
mächtigen Felsenmassen dieser
B h o r -
G h a t s . Sie erscheinen bald als
ungeheure, fast senkrecht aufsteigende schwarze Mauern von mehr als
tausend Fuß Höhe, bald als breite und flache Tafelberge mit
horizontal abgeschnittenen Kuppen, bald als zerklüftete
Wände, deren thurm- und castellartige Aufsätze aus der
Entfernung täuschend eine gewaltige Festung mit vielen
Thürmen und Zinnen vorspiegeln. Obgleich die plutonischen
Gebirgsmassen der Bhor-Ghats (größtentheils
schwärzlicher Trapp und basaltartiger Syenit) von dem
geschichteten Quadersandstein unserer „sächsischen Schweiz"
völlig verschieden sind, so bleibt die äußere Gestalt der
isolirten Tafelberge doch oft auffallend ähnlich.
Wie uns der Anblick des schluchtenreichen Waldgebirges, ohne alle
Zuthaten tropischer Vegetationspracht, plötzlich vom 19. nach dem
33. Breitengrade versetzte, so erschien auch die Luft, die wir athmeten,
mit einem Male gänzlich verändert. An die Stelle der
drückenden Hitze trat luftige Kühle und mit Wonne sogen
wir die kräftigeg frische Bergluft ein - eine Wohlthat des
gemäßigten Klimas, welche man erst dann voll schätzen
lernt, wenn man sie unter dem erschlaffenden Einflusse der
Tropensonne schmerzlich vermißt. Je höher wir hinauf
kamen, desto heimathlicher wurde es uns zu Muthe. Doch erfuhr diese
Illusion einige Störung durch die Mittheilung, daß in der
tiefen wasserreichen Waldschlucht, an der wir eben vorbeifuhren, vor
zwei Jahren ein englischer Capitän durch einen Tiger
getödtet worden sei. Hier stürzten aus beträchtlicher
Höhe zwei Wasserfälle herab. Während der Regenzeit
sind diese überaus zahlreich; jetzt waren sie
größtentheils versiegt und gelben dünnes Gras
bedeckte die Flächen, die nicht mit Bäumen oder nicht mir
„Dschungle"-Dickicht besetzt waren.
Kurz vor Lanaulie passirten wir die Station
M a t h e r a n ,
eine beliebte Sommerfrische der wohlhabenden Bewohner von Bombay.
Mehrere schöne Aussichtspunkte in dessen nächster
Umgebung gewähren einerseits wilde und romantische Einblicke
in die umgebenden Waldschluchten, andererseits weite und umfassende
Ausblicke über das flache Küstenland und das Meer, bis
nach Bombay hin. Eine besonders auffallende Felsenform in der
Nähe der vorhergehenden „Reversion-Station" führt
den Namen Dukes Nose (Herzogs-Nase, Wellington zu Ehren!). Es
war bereits völlig dunkel geworden, als wir um 7 Uhr in einer
Meereshöhe von 2100 Fuß an unserem Ziele Lanaulie
anlangten und in dem kleinen Hotel eines Parsi recht leidliche
Unterkunft fanden.
Der folgende Morgen war für eine Excursion nach den
berühmten
C a r l i e -
C a v e s bestimmt, den
buddhistischen Grotten-Tempeln, welche alle anderen an bedeutendem
Umfang und Reichthum der Sculptur übertreffen sollen. Wir
hatten für 5 Uhr Ponies bestellt, welche uns bis in die Nähe
der Grotten und ein Stück bergauf tragen sollten. Als wir aber die
Bergpferde besteigen wollten, erschien statt deren eine stattliche
Kutsche mit zwei Pferden, deren Lieferung dem schlauen Wirthe
vortheilhafter erschien. Wohl oder übel mußten wir uns in
die Kutsche setzen, die uns nur eine halbe Stunde weit auf gutem
Fahrweg weiter brachte. Dann mußten wir aussteigen und
über eine Stunde weit über Wiesen und Felder
hinwegmarschiren. Schließlich ging es noch eine halbe Stunde steil
bergauf zu den Grotten. Diese liegen in halber Höhe am westlichen
Abhange eines Trachytberges, der sich noch mehr als tausend Fuß
über das Plateau von Lanaulie erhebt. Letzteres liegt bereits auf
der Höhe des Tafellandes von Dekkan.
Die buddhistischen Höhlentempel von
C a r l i e sind weit
größer und älter, als die brahmanischen Tempelgrotten
von Elephanta; auch sind die Sculpturen einfacher und weniger
schnörkelhaft, die Figuren der Menschen und Tiere
natürlicher. Sie gelten als die vollendetsten Bauwerke ihrer Art.
Gleich den Tempeln von Elephanta und vielen ähnlichen in Indien
sind auch diejenigen von Carlie durch Aushöhlung aus dem Felsen
des Gebirges selbst herausgeschnitten, ebenso wie die Sculpturen von
Menschen und Thieren, welche in großer Zahl die Wände
zieren. Der stattliche Hauptraum des Tschaitya-Tempels von Carlie, ein
riesiges Tonnengewölbe, wird durch zwei Säulenreihen in
ein breites Hauptschiff und zwei schmale Nebenschiffe getheilt. Die
zahlreichen Figuren, von männlichen und weiblichen Gestalten,
von Elephanten, Löwen etc., sowie die Säulen und
Thürpfosten, sind sehr kunstreich aus dem harten schwarzen
Trapp-Felsen ausgemeißelt und glatt poliert; sie sollen durch
sorgfältige und ästhetische Ausführung diejenigen der
meisten anderen indischen Tempel übertreffen. Oberhalb des
Haupttempels und zu beiden Seiten desselben, (- in 777 Meter
Meereshöhe -) sind kleine Räume ausgemeißelt, aus
denen wir große Schwärme von Fledermäusen
aufscheuchten. An dem Eingange zu den Tempelgrotten stehen
außen ein paar kleinere Tempel, von herrlichen heiligen
Feigenbäumen überschattet; einige buddhistische Priester,
die hier ihr Leben zubringen, bettelten um Almosen. Während sie
zum Danke dafür ein Gebet hinmurmelten, ertönte oben von
der Höhe der Felsen lautes Geschrei, und als wir hinblickten,
sprangen in eiligen Sätzen mehrere große schwarze
A f f e n (Wanderuh's) davon. Es
waren dies die ersten Affen, die ich in wildem Naturzustande erblickte;
im Vergleiche zu den schmutzigen und nackten Bettelmönchen zu
unseren Füßen erschienen sie mir als deren Vorfahren recht
verehrungswürdig.
Der Blick von der Pforte der Carlie-Tempel, noch besser von den
vorspringenden Felsen oberhalb derselben, auf welche wir den Affen
nachkletterten, umfaßt das Plateau von Lanaulie. Dasselbe
erstreckt sich in gleichmäßiger Ebene ziemlich weit nach
Puna hin, und ist rings eingeschlossen von einem Kranze niederer,
größtentheils kahler Hügel. Hier beginnt das
mächtige Tafelland von Dekkan, das den größten Theil
der vorderindischen Halbinsel einnimmt und sich gegen Osten, gegen die
Voromandelküste allmälig herabsenkt, während es
nach Westen, gegen das Konkan und die Malabarküste,
größtentheils steil abfällt. Sehr befriedigt von dieser
Excursion, welche uns in einen der interessantesten Theile desselben
führte, verließen wir Lanaulie am Mittag des 12. November
und waren schon vor Sonnenuntergang wieder in Bombay.
III. Colombo.
Am 21. November 1881, in der strahlenden Lichtfülle eines
wolkenlosen Tropenmorgens, betrat ich den Boden der
immergrünen Wunderinsel
C e y l o n , auf der ich vier
lehr- und genußreiche Monate meines Lebens zubringen sollte. Der
österreichische Lloyd-Dampfer „Helios", der uns in fünf
Tagen von Bombay beim schönsten Wetter auf spiegelglatter See
nach Ceylon hinübergeführt hatte, war schon nach
Mitternacht in Sicht der Insel. beim ersten Morgengrauen war ich auf
Deck, um das ersehnte Endziel meiner Reise, das „gelobte Land" meiner
Naturforscherwünsche, sobald als möglich in Augenschein zu
nehmen. Da erhob sich im Osten vor uns über dem dunkeln Spiegel
des indischen Oceans ein schmaler Streifen, in der Mitte ein wenig
verdickt und mit einer vorspringenden Spitze versehen. Die kurze
tropische Morgendämmerung wich rasch dem anbrechenden
Tageslichte und nun entpuppte sich jener schmale Streifen als ein
langgedehnter Küstensaum von Cocoswäldern an der nahen
Westküste von Ceylon, seine mittlere Verdickung aber als die
Bergkette des centralen Hochlandes, aus welcher der kegelförmige
A d a m s -
P i k , die weltberühmte und
sagenumwebte Hauptspitze der Insel, bedeutungsvoll hervorragte.
Völlig klar und scharf gezeichnet hoben sich die Umrisse dieser
dunkelblauen Bergmassen an dem hellen, wolkenlosen Morgenhimmel
ab; als die glühende Kugel der aufgehenden sonne über
denselben empor tauchte, konnten wir auch eine Kette von niedrigen
Vorbergen erkennen, welche sie vom Küstensaum trennte. Die
weißen Stämme der Cocospalmen an letzterem ließen
sich bald deutlich unterscheiden, und als wir uns mehr näherten,
wurden auch die einzelnen Theile der Hauptstadt
C o l o m b o sichtbar,
gerade vor uns das Fort mit dem Hafen, zur Rechten (südlich) die
Vorstadt Kolpetty, zur Linken (nördlich) die „schwarze Stadt",
Pettah. Ich begrüßte es als ein gutes Omen für das
glückliche Gelingen meiner Reise, daß gleich der erste
Anblick der ersehnten Insel von strahlender Heiterkeit des wolkenlosen
Himmels und völliger Klarheit der reinen balsamischen Morgenluft
begünstigt war, - um so mehr, als gewöhnlich nähere
oder fernere Wolkenschleier schon am frühen Morgen das
Gebirgsland ganz oder theilweise verhüllen.
Das erste Boot, welches sich unserem Dampfer näherte, brachte
uns den Lootsen an Bord, der uns in den Hafen führte; es war
gleich den zahlreichen anderen, bald erscheinenden Booten von jener
höchst sonderbaren Form, die in der südasiatischen
Inselwelt weit verbreitet, in Ceylon, ihrem westlichen Ausläufer,
aber besonders eigenthümlich entwickelt ist: ein
ausgehöhlter Baumstamm von ungefähr 20 Fuß
Länge; durch aufgebundene senkrechte seitliche Bretter sind seine
beiden Seitenwände auf 3 Fuß erhöht, aber die Breite
zwischen diesen beträgt kaum 1 1/2 Fuß, so daß keine
erwachsene Person darin sitzen kann, ohne beide Beine hinter einander
zu stellen. Von einer Seite des Bootes gehen rechtwinkelig zwei
gekrümmte parallele Stäbe oder Bambusstämme ab,
welche an ihrem Ende durch einen dickeren (dem Canoe parallelen)
Stamm verbunden sind. Dieser „Outrigger" oder „Ausleger" schwimmt
flach auf dem Wasserspiegel und verleiht dem schmalen und
gebrechlichen Fahrzeug einen hohen Grad von Sicherheit. Da ich
später diese wunderlichen Kähne für meine
zoologischen Excursionen ausschließlich benutzte, werde ich noch
Gelegenheit genug finden, ihre Licht- und Schattenseiten zu
würdigen. Heute, bei der Ankunft in Ceylon, erregten sie
vorzugsweise durch ihre malerische Form mein Interesse, um so mehr,
als die darin befindliche singhalesische Bemannung nicht minder
eigenthümlich und originell erschien, als die Boote selbst.
Bald war unser Schiff jetzt im Hafen und bedeckte sich mit Singhalesen,
welche Früchte, Fische und andere Lebensmittel, sowie
verschiedene kleine Industrieproducte zum Verkaufe brachten. Die
Meisten sind nackte, braune Gestalten, deren einziges
Kleidungsstück aus dem „Comboy" oder „Sarong" besteht, einem
rothen Stück Baumwollenzeug, welches gleich einer breiten
Schürze unter dem Gürtel festgebunden wird und die Beine
größtentheils verhüllt. Andere - insbesondere die
rudernden Bootsleute - begnügen sich statt dessen mit einem
einfachen Schurz, gleich einer schmalen Schwimmhose. Alle aber tragen
ihr langes, schwarzes Haar sorgfältig frisirt, und meistens in einem
starken Zopf aufgewickelt, welcher durch einen breiten Schildpatt-
Kamm am Hinterhaupt befestigt wird; sie erhalten hierdurch ein
auffallend weibisches Aussehen, um so mehr, als ihr Körperbau
zierlich und schwächlich ist, besonders Hände und
Füße klein und die Gesichtszüge weichlich. Weit
kräftiger und männlicher erscheinen dagegen die nackten
schwarzen Tamils, welche Kohlenboote herbeirudern. Gar sehr
verschieden von Beiden sind wiederum einige Indo-Araber oder
„Mohren" (Moormen), stattliche Gestalten in langen weißen
Kaftan und weißen Pumphosen, das braune langbärtige Haupt
mit einem hohen gelben Turban bedeckt. Sie bringen Edelsteine,
Muscheln, Silber-Arbeiten und Schmucksachen zum Verkaufe an Bord,
während die Singhalesen theils Cocosnüsse, Ananas, Fische
und Krebse, theils die charakteristischen Producte ihrer nationalen
Industrie feil bieten: Elephanten und Buddha-Bilder aus Elfenbein oder
Ebenholz geschnitzt; Körbchen und Matten, aus Binsen und
Palmfasern geflochten, Kästchen und Stöcke aus
verschiedenen Holzarten u. s. w. Die Preise, welche die Eingeborenen
für diese Handelsartikel fordern, betragen in der Regel das
Dreifache oder Vierfache, oft aber auch das Zehnfache ihres wahren
Werthes; und einer unserer Reisegefährten kaufte um eine Rupie
(einen Gulden) einen schönen Edelstein, für welchen der
Verkäufer unmittelbar vorher acht Pfund Sterling (= 80 Rupien!)
gefordert hatte; natürlich war dieses kostbare Kleinod, gleich den
meisten anderen „Edelsteinen" der „Rubin-Insel" nichts Anderes, als ein
europäisches Kunstproduct aus geschliffenem bunten Glase! Solche
werden jetzt alljährlich massenweis importirt.
Während dieses unterhaltenden Schauspieles, welches sich schon
in erster Morgenfrühe auf unserem Schiffe entwickelte, erschien
das Boot des österreichischen Lloyd und brachte den dortigen
Agenten desselben, Hern
S t i p p e r g e
r , an Bord des „Helios". Ich war an diesen Herrn sowohl
von der Direction des Lloyd, als auch von mehreren Freunden in Triest
und Bombay speciell empfohlen und wurde von ihm auf das
Allerfreundlichste empfangen. Er lud mich zunächst ein, die ersten
Wochen bei ihm zu wohnen, und that auch fernerhin mit
größter Aufmerksamkeit und zuvorkommendster Sorgfalt
Alles, was geeignet war, mir meinen Aufenthalt auf Ceylon so angenehm
und nutzbringend als möglich zu gestalten. Ich erfülle nur
eine Pflicht der Dankbarkeit, indem ich hier demselben den herzlichsten
Dank für die unermüdliche Freundschaft ausspreche, welche
er mir in den vier Monaten meines Aufenthalts auf Ceylon bewiesen hat.
Wenn ich diese kurze Zeit auf das Beste ausnutzen und wohl mehr darin
sehen, lernen und arbeiten konnte, als mancher andere Reisende in
Jahresfrist, so verdanke ich das großentheils meiner
„singhalesischen Providenza", wie ich den liebenswürdigen Freund
Stipperger scherzweise nannte. Derselbe (ein geborner Wiener und
wenige Jahre jünger als ich) war früher Officier in der
osterreichischen Marine gewesen, und war dann später nach
wechselvollen Schicksalen in die Dienste des österreichischen
Lloyd getreten. Ich kann nur wünschen, daß der letztere
seiner ausgezeichneten Befähigung und sienen vielseitigen
Kenntnissen die gebührende Anerkennung zolle!
Nach herzlichem Abschiede von den Schiffsofficieren des „Helios" und
von den Reisegefährten, welche mit demselben weiter nach
Singapore und Hongkong fuhren, verließ ich das schöne
Schiff, das mich von Triest so sicher und ruhig hierher getragen, und
fuhr in dem Boote des österreichischen Lloyd - als dessen
besonderer Schützling ich auch fernerhin auf Ceylon
gegünstigt wurde - mit Herrn Stipperger an das Land. Durch die
gütige Vermittelung des Letzteren und mit Hilfe der officiellen
Empfehlung der englischen Regierung an den Gouverneur von Ceylon
wurde mir der zollfreie Eingang meines umfangreichen Gepäcks
ermöglicht und die unangenehmen Plackereien, welche mit der
Oeffnung von sechzehn verschiedenen Kisten und Koffern verbunden
sind, erspart. Wir bestiegen gleich am Hafen einen Wagen und fuhren in
des „Office" oder Geschäfts-Bureau des
österreichischen Lloyd; von dort zu einem ersten
Frühstück nach dem Clubhause. Dann verwendete ich die
ersten Stunden nach der Ankunft, um alsbald einige der
nöthigsten Besuche zu machen und mehrere wichtige
Empfehlungsschreiben abzugeben, mit welchen der deutsche Consul in
Colombo, Herr Freudenberg (derzeit in Deutschland) mich freundlichst
versehen hatte.
So verging der Vormittag und ein Theil des Nachmittags, und ich lernte
gleich an diesem ersten Tage in Ceylon unter der gütigen und
kenntnißreichen Führung meines ortskundigen Gastfreundes
einen großen Theil von der Hauptstadt Colombo und von
denjenigen Bewohnern derselben kennen, welche für mich von
besonderem persönlichen Interesse waren. Um 5 Uhr Nachmittags
waren die ersten Besuche beendigt und ich fuhr in Stipperger's leichter
zweirädriger Kalesche, von einem schnellen australischen
Rappenhengste gezogen, nach seiner Wohnung, „Whist-Bungalow", eine
gute Stunde Weges (drei englische Meilen) von der centralen
Geschäftsstadt oder dem sogenannten Fort entfernt.
C o l o m b o besteht gleich
Bombay und den meisten größeren Städten Ostindiens
aus einem europäischen Geschaftsviertel, dem centralen „Fort",
und aus mehreren Vorstädten, welche letzteres umgeben und
vorzugsweise Sitz der eingeborenen Bevölkerung sind. Das Fort
von Colombo wurde 1517 von den Portugiesen als ihre wichtigste
Factorei auf Ceylon gegründet und stark befestigt; sie waren die
ersten europäischen Herren der Insel, 1505 auf derselben
gelandet und blieben 150 Jahre in deren Besitz; ungefähr eben so
lange als die Holländer, durch welche sie verdrängt wurden.
Auch unter diesen, wie unter den Engländern, welche 1796 (am
16. Februar) Ceylon den Holländern abnahmen, blieb Colombo die
Hauptstadt der Insel, obgleich andere Punkte, vor Allem Punto Galla, in
vieler Hinsicht wohl besser sich dazu eigneten. Gerade in den letzten
Jahren hat die englische Regierung besondere Anstrengungen gemacht,
definitiv das Principat von Colombo zu befestigen, und so wird es wohl
vorläufig, vielen ungünstigen Bedingungen zum Trotz,
Capitale bleiben.
Für eine wirkliche Hauptstadt ist die erste Bedingung
natürlich ein guter Hafen. Ein solcher fehlt aber Colombo,
währen Galla ihn besitzt. Freilich kann man jetzt fast an jedem
beliebigen Küstenpunkte einen künstlichen Hafen errichten,
indem man den flachen Grund des Meerbodens durch Ausbaggern
vertieft und an den gefährlichsten, dem Wind und Wellenschlag
am meisten ausgesetzten Seiten Steindämme in das Meer
hinausbaut, welche als „Wellenbrecher" oder „Breakwater" dienen;
es gehört nur viel Geld dazu! So ist der künstliche Hafen von
Port-Said an der nördlichen Mündung des Suez-Canals
hergestellt. In gleicher Weise hat auch die englische Regierung in den
letzten Jahren mit großen Kosten einen mächtigen
Wellenbrecher an der Südseite des kleinen und schlechten Hafens
von Colombo erbaut; derselbe springt weit gegen Nordwest in die See
vor und schützt den Hafen gegen die wüthenden Angriffe
des Südwest-Monsun, während er zugleich seinen Umfang
beträchtlich erweitert. Allein es wird stark bezweifelt, ob dieser
Wellenbrecher auf die Dauer ohne große beständige
Ausgaben für Reparaturen haltbar ist. Jedenfalls hätte man
mit viel weniger Kosten das schöne und große
natürliche Hafenbeckenvon Galla bedeutend verbessern und ganz
vorzüglich herstellen können. Die Felsblöcke und
Korallenriffe, welche in letzterem der Schiffahrt Hindernisse bereiten,
würden sich bei dem heutigen Zustande unserer Sprengkunst mit
wenig Aufwand von Dynamit entfernen lassen.
Zunächst indessen hat jedenfalls in dem Wettstreit zwischen den
beiden Hafenstädten der Westküste die alte Hauptstadt
Colombo den Sieg über das von der Natur begünstigtere
Galla davon getragen, obwohl letzteres durch Klima, geographische Lage
und Umgebung den Vorrang verdiente. Das Klima von Colombo ist
ungemein heiß, drückend und erschlaffend - eins der
heißesten der Erde, während dasjenige von Galla durch den
Einfluß frischer Brisen gemildert wird. Anmuthige Hügel in
der Umgebung von Galla, theils mit den reichsten Culturpflanzungen,
theils mit Wald bedeckt, machen den Aufenthalt daselbst sehr
angenehm und gesund, während die Umgebung von Colombo ganz
flach und zum großen Theil mit Sümpfen und stagnirenden
Wassern bedeckt ist. Punto-Galla liegt unmittelbar am Seewege zwischen
Europa und Indien und war daher bis vor Kurzem die natürliche
Hauptstation der Schiffahrt für Ceylon. Jetzt hingegen, wo letztere
sich nach der Hauptstadt Colombo gezogen hat, müssen alle Schiffe
(da die Straße von Manaar nicht passirbar ist) den Umweg
über Colombo hin und zurück machen. Trotzdem vollzieht
sich unaufhaltsam der Sieg von Colombo, und gerade jetzt stand die
größte und einflußreichste unter allen Schiffahrts-
Gesellschaften Indiens, die P. und O.-Company, im Begriffe, ihre Bureaux
und Factoreien von Galla nach Colombo überzusiedeln, nachdem
bereits die meisten anderen Gesellschaften ihr voran gegangen waren.
Die damit verbundenen großen Umwälzungen waren vielfach
Gegenstand lebhaftester Discussion während meiner Anwesenheit
in Ceylon.
Das F o r t
v o n
C o l o m b o liegt an
der Südseite der Hafenbucht, auf einem felsigen Vorgebirge von
geringem Umfange, welches als Landmarke der flachen Westküste
ziemlich weit sichtbar ist; dasselbe findet sich bereits von dem alten
Geographen Ptolemäus (im zweiten Jahrhunderte nach Chr.) auf
seiner verhältnißmäßig trefflichen Karte von
Ceylon (= „Salike") als Jupiters-Cap („Jovis Extremum = Dios
Acron") verzeichnet. Die Wälle des Forts (von den
Holländern stark befestigt) sind noch heute mit Kanonen armirt
und fast rings von Wasser umgeben; auf zwei Drittel ihres Umfangs vom
Meere bespült, im letzten Drittel (an der Südostseite) von
einer breiten Lagune; mehrere Dämme und Brücken
durchschneiden letztere und verbinden das Fort mit dem Festland. Die
wenigen engen und kurzen Straßen des Forts, welche sich
rechwinkelig kreuzen, sind größtentheils mit Bureaux und
Waarenlagern der europäischen Kaufleute, sowie mit einer Anzahl
öffentlicher und Regierungsgebäude ausgefüllt. Unter
letzteren ist das bedeutendste der hübsche Palast des
Gouverneurs, Queenshouse genannt, von einem Kranze üppigster
Vegetation umgeben, mit weiten Säulenhallen, grooßen
luftigen Sälen und einem stattlichen Treppenhaus. Ich betrat
diesen schönen Palasst schon am Tage nach meiner Ankunft, wo
der Gouverneur meine Empfehlungsschreiben von der englischen
Regierung in Empfang nahm. Die innere Ausstattung des Palastes ist
geschmackvoll und dem orientalischen Glanze eines britischen
Alleinherrschers der Insel (- denn das ist der Gouverneur
thatsächlich! -) angemessen. Zahlreiche indische Diener in bunten
phantastischen Uniformen versehen den Hausdienst, während
roth- und golduniformierte englische Soldaten die Wache halten.
Die Straße des Forts, in welcher das österreichische Lloyd-
Bureau liegt und welche ich nach meiner Landung zuerst betrat,
Chatham-Street ist gleich vielen anderen Straßen von Colombo und
Galla, mit schattigen Alleen von schönen Malvenbäumen
(Hibiscus) verziert; ihre großen gelben oder rothen
Blüthen bedecken in Menge den Boden. Chatham-Street
enthält zugleich diejenigen Kaufläden, die für mene
Person in Colombo allein von Interesse waren: Handlungen mit
Photographien von Landschaften und Läden mit lebenden Thieren.
Da hatte ich denn gleich in der ersten Stunde nach meiner Ankunft auf
Ceylon das große Vergnügen, durch die in den Schaufenstern
ausgestellten Musterphotographien eine Übersicht über die
schönsten Punkte des wilden Gebirges und des malerischen
Küstenlandes, sowie über die erstaunlichen Wunderwerke
der prachtvollen Vegetation zu erhalten: Palmen und Pisang, Pandanus
und Lianen, Farnbäume, Benyanen u. s. w. Nicht minder anziehend
war es natürlich für mich, gleich in den ersten Stunden auf
der Wunderinsel die persönliche Bekanntschaft einiger ihrer
interessantesten Thiere zu machen: vor Allem der Affen, der gefleckten
Axishirsche, der Papageien, der Prachttauben u. s. w.
An der Südseite des Forts befinden sich die Baracken der
englischen Truppen, stattliche luftige Kasernen und Zelte, die sich zum
Theil noch bis an die Ufer der Lagune ausdehnen. Südlich daran
stößt das Militärhospital und dann die grüne
Esplanande, „Galla Face" genannt, weil die große
Küstenstraße nach Galla hier ihren Anfang nimmt. Abends, in
den Stunden zwischen 5 und 6 Uhr, ist der weite grüne Rasenplatz
der Esplanade, der sich zwischen der Lagune und der Meeresküste
nach Süden erstreckt, der Sammelplatz der schönen,
vornehmen und eleganten Welt von Ceylon. Hier hält dieselbe, wie
im Hyde-Park zu London, ihren täglichen „Corso" während
der Saison ab; erholt sich in der Kühle der abendlichen Brise von
der Last der drückenden Mittagshitze und genießt das
prachtvolle Schauspiel des Sonnenunterganges, häufig durch die
mannigfaltigsten und wunderbarsten Wolkenbildungen verschönt.
Dabei produciren sich die vornehmen jungen Herren von Colombo hoch
zu Roß (zum Theil auf recht miserablen Gäulen!), die
schönen Damen, mit Blumenbouquets nachlässig in den
Equipagen hingestreckt, in elegantester Tropentoilette. Gleich nach
Sonnenuntergang eilt aber Alles sofort nach Hause, theils um der
gefürchteten Fieberluft des Abends zu entgehen, theils um die
wichtigen Vorbereitungen für die Toilette zum Diner zu treffen,
welch letzteres meistens um 7 1/2 Uhr stattfindet (natürlich stets
in schwarzem Frack und weißer Halsbinde, wie in „Old
England" -).
Als ich in der heißen Mittagsstunde die Explanade zum ersten Male
betrat, lernte ich gleich die ganze Gewalt der Höllengluth kennen,
welche Helios auf solchen unbedeckten Flächen der Insel
hervorzurufen im Stande ist; die Umrisse der Gegenstände in
geringer Entfernung schwankten unbestimmt in dem zitternden Lichte
der aufsteigenden heißen Luftströme; und auf dem rothen
Sandwege inmitten der grünen Grasfläche erblickte ich eine
Fata Morgana, die hier sehr häufig gesehen wird. Die Mirage
spiegelte eine glänzende Wasserfläche mitten in demselben
vor, welche von den entgegenkommenden Wagen und
Fußgängern gleich einer Flußfahrt durchschnitten
wurde. Das Thermometer zeigte in den kühlen und erfrischenden
Räumen des Clubhauses 24o R.! Draußen in der
Sonne würde es wohl auf 36-40o gestiegen sein.
Südlich an die Esplanade stößt eine Vorstadt, die sich
weit nach Süden, zwischen dem flachen sandigen Meeresstrande
und der Landstraße nach Galla hinzieht: Kolupityia oder
C o l p e t t y .
Zu beiden Seiten der Landstraße liegen eine Anzahl der
schönsten Villen, von reizenden Gärten umgeben. Nach
Westen hin setzt sich dieses Villenvierten in die sogenannten
Z i m m t g ä r&
nbsp;t e n oder „Cinnamon-Gardens" fort. Diese
haben gegenwärtig, seitdem sich die englische Regierung
gezwungen saht, ihr einträgliches Zimmtmonopol ganz aufzugeben,
ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, sind
größtentheils parcellirt und zu Privatgärten der
wohlhabendsten Kaufleute geworden. Die eleganten Villen inmitten
derselben sind von einem auserlesenen Schmucke der schönsten
tropischen Blumen und Bäume umgeben. Die Wohnungen sin dhier
am theuersten und luxuriösesten eingerichtet und „Cinnamon-
Gardens" gilt als das erste und vornehmste Villenquartier. Allein die
größere Entfernung von der Seeküste und ihrer
erfrischenden Brise, sowie die flache Lage in der Nähe der
Lagunenarme hat auch ihre großen Nachtheile. Die drückende
und erschlaffende Hitze erreicht hier ihren Höhepunkt und am
Abend machen zahllose Moskitoscharen den Aufenthalt höchst
ungemüthlich, während eine Masse verschiedener Arten von
Fröschen und Laubfröschen durch ihr lautes
nächtliches Concert die ersehnte Ruhe stört.
Dasselbe gilt in höheren Maße noch von dem daran
stoßenden Stadtviertel „Slave-Island", der „Sklaven-Insel", so
genannt, weil im vorigen Jahrhundert die Holländer hier
über Nacht die Sklaven der Regierung einsperrten. Die
landschaftliche Scenerie dieses Theiles gehört jedoch zu den
schönsten von Colombo. Die Buchten des ausgedehnten Sees sind
von reizenden, sorgfältig gepflegten Gärten eingefaßt,
über welchen die Cocospalmen auf schlanken Stämmen ihre
Federkronen neigen; elegante Villen der Europäer und malerische
Hütten der Eingeborenen liegen dazwischen zerstreut; als
großartiger Hintergrund erhebt sich darüber in blauer Ferne
die Gebirgskette des centralen Hochlandes, in der Mitte alle anderen
überragend der kegelförmige Gipfel des stolzen Adams-Pik.
Eine abendliche Kahnfahrt auf diesem stillen Wasserspiegel mit seiner
wunderbaren Umgebung gehört zu den größten
Genüssen von Colombo.
Im Norden von den oben genannten Stadttheilen dehnt sich die dicht
bevölkerte P e t t a h
aus, die
„ s c h w a r z e
S t a d t " der
Eingeborenen. Sie erstreckt sich über eine Stunde weit längs
des Seeufers bis zur Ausmündung des großen Flusses von
Colombo hin, des Kelany-Gauga oder Kalan-Ganga. Dieser hat
ursprünglich der Stadt den Namen gegeben: Kalan-Totta oder
Kalan-Bua. Schon im Jahre 1340 führt sie Ibn-Batuta als „Calambu"
auf, die „schönste und größte Stadt in Serendib" (der
alte Inselname der Araber). Die Portugiesen machten daraus
später „Colombo".
Da, wo der stattliche Kelany-Fluy sich in den indischen Ocean
ergießt und ein breites Delta bildet, liegt nahe bei der malerischen
Mündungswelle (unmittelbar am Meer) die Villa, in welcher mein
Freund Stipperber wohnte und in welcher ich die beiden ersten
genußreichen Wochen auf Ceylon verlebte. Hier genoß ich in
vollen Zügen den Reiz der neuen, großartigen und
wunderbaren Eindrücke, die in Ceylon über den
neuangekommenen Europäer, den „Griffin" sich ergießen.
Gerade dieser nördlichste Ausläufer von Colombo, welcher
den besonderen Namen Mutwal (und zuletzt Modera) führt, ist
nach meiner Ueberzeugung einer der interessantesten und
schönsten Theile in der ganzen Umgebung der Hauptstadt.
Nie werde ich die bunte Pracht der fremdartigen indischen Scenen
vergessen, welche gleich der wechselnden Bilderreihe einer Laterna
magica an meinem staunenden Auge vorüberzog, als ich am
ersten Abend vom Fort nach Whist-Bungalow hinausfuhr. Da erblickte
ich in der Pettah vor den offenen Hütten ziemlich Alles
versammelt und auf den engen Straßen unter dem Schatten der
überall aufstrebenden Cocospalmen Alles durcheinander gemischt,
was die bunt zusammengesetzt Bevölkerung von Colombo an
charakteristischen Typen aufzuweisen hat. Wie allenthalben in der
Tropenzone ist ohnehin das Leben und Treiben der Eingeborenen zum
größten Theile öffentlich; und wie die Hitze der
tropischen Sonne die Bedürfnisse der menschlichen Kleidung auf
das Allernothwendigste reducirt, so öffnet sich auch das Innere
der Hütten und Läden, in welchen weder Fenster noch
Thüren den Einblick von außen hindern. An Stelle der
letzteren findet sich eine große einfache Oeffnung, die bei Nacht
oder bei Unwetter durch herabgezogene Matten oder durch
vorgeschobene Latten geschlossen wird. Alle Handwerker sieht man so
neben oder in ihren Läden, oder auch ganz auf offener Straße
hantiren, und die intimsten Scenen des häuslichen und
Familienlebens entziehen sich nicht dem neugierigen Blicke.
Der besondere Reiz, den der Anblick dieser indischen Hütten auf
den Europäer ausübt, liegt theils in dieser naiven
Oeffentlichkeit ihres häuslichen Lebens, theils in der primitiven
Einfachheit der Bedürfnisse, von denen die geringe Zahl der
nothwendigsten Hausgeräthe Zeugniß ablegt, tehils in der
Harmonie mit der umgebenden Natur. Die kleinen Gärten, welche
die Hütten stets umgeben, sind so kunstlos angelegt und wenigen
Nutzpflanzen in denselben, welche den bedeutendsten Theil des Besitzes
und des Lebensunterhaltes liefern, so mannigfaltig um dieselben
gruppirt, daß Alles zusammen von selbst aus dem Boden
gewachsen zu sein scheint.
Die wichtigsten von diesen Charakterpflanzen sind die „Fürsten
des Pflanzenreiches", die
P a l m e n; und zwar im ganzen
westlichen und südlichen Küstenlande die
C o c o s p a l m
e , von der bekanntlich jeder einzelne Theil nützlich
Verwendung findet, und welche oft den ganzen Reichthum der
Singhalesen bildet. Ueberall ist sie daher in den Städten und
Dörfern, wie in deren Umgebung, derjenige Baum, der zuerst und
am meisten in die Augen fällt und der Landschaft vorzugsweise
ihr Gepräge aufdrückt. Die Zahl der Cocosstämme auf
der Insel betragt gegen 40 Millionen, und jeder liefert gegen 80-100
Nüsse (8-10 Quart Oel). In der nördlichen Hälfte der
Insel fehlt die Cocospalme ebenso wie in einem großen Theil des
östlichen Küstenlandes. Hier tritt an ihre Stelle die nicht
minder nützliche
P a l m y r a p
a l m e
(B o r a s s u s
f l a b e l l i f&n
bsp;o r m i s). Das ist dieselbe Art, die auch
die heißen und trockenen Striche der Halbinsel Vorderindiens
bedeckt und die ich im Concan bei Bombay in solchen Mengen sah. Beide
Palmen sind schon von Ferne sehr verschieden. Die Palmyra
gehört zu den Fächerpalmen und hat einen starken und ganz
geraden schwarzen Stamm, dessen Gipfel einen dichten Schopf
handförmig gespaltener steifer Fächerblätter
trägt. Die Cocos hingegen ist eine Fiederpalme; ihr schlanker
weißer Stamm, 60-80 Fuß hoch, ist stets anmuthig gebogen
und mit einer wuchtigen Krone von gewaltigen Fiederblättern
verziert. Aehnliche, aber steifere und kleinere Blätter hat auch die
zierliche
A r e c a p a l
m e (Areca catechu), deren dünner
rohrgleicher Stamm aber kerzengerade in die Höhe strebt; sie ist
ebenfalls neben den Hütten der Singhalesen zu finden und liefert
ihnen die beliebten Arecanüsse, welche zusammen mit den
Blättern des Betelpfeffers allgemein gekaut werden und Speichel
und Zähne roth färben. Eine andere Palme, die
K i t t u l (Caryota
urens) wird vorzugsweise wegen ihres reichlichen Zuckersaftes
cultivirt, aus dem Palmzucker (Djaggeri) und Palmwein
(Toddy) bereitet werden. Ihr steifer starker Stamm trägt
eine Krone von doppelt gefiederten Blättern, die denen des
Venushaar-Farns (Adiantum capillus Veneris) gleichen.
Nächst den Palmen sind die wichtigsten Bäume in den
kleinen Gärten der Singhalesne die Brodfrucht- und
Mangobäume. Von ersteren finden sich zwei verschiedene Arten,
die echte Brodfrucht (Artocarpus incisa) und die Jackfrucht
(Artocarpus integrifolia) überall in stattlichen
Prachtexemplaren vor; oft dazwischen die merkwürdigen
Baumwollbäume (Bombax). Neben und unter diesen
Bäumen sind ferner allgemein rings um die Hütten der
Singhalesen deren beständige Begleiter angepflanzt, die herrlichen
B a n a n e n oder
Pisangpflanzen, die den Namen der „Paradiesfeigen" mit vollem Recht
verdienen (Musa sapientum). Ihre schönen gelben
Früchte, die sowohl roh als gebraten eines der besten
Nahrungsmittel liefern, kommen hier in zahlreichen Sorten vor. Der
prachtvolle Busch ihrer überhängenden lichtgrünen
Riesenblätter, der sich von dem schlanken, hier oft über 20-
30 Fuß hohen Stamme erhebt, ist die schönste Decoration der
singhalesischen Hütten. Aber kaum minder wesentlich für
letztere sind auch die pfeilförmigen Riesenblätter der
A r o i d e e n ,
besonders des Caladium, die ihres Wurzelmehles halber allgemein
cultivirt werden; ebenso wie die zierlichen Büsche der Manihot mit
ihren handförmigen Blättern (zu den Euphorbiaceen
gehörig). Das herrliche Grün dieser schönen Pflanzen
nimmt sich neben den braunen Erdhütten um so glänzender
aus, als es durch die lebhaft rothe Farbe der Erde (durch großen
Reichthum an Eisenoxyd bedingt) kräftig gehoben wird. Dazu
stimmt vortreffliche die zimmtbraune Hautfarbe der Singhalesen und
schwarzbraume der Tamils.
In Colombo selbst, wie in dem ganzen südlichen und westlichen
Küstenlande der Insel (mit Ausnahme des norwestlichen Theiles)
besteht die überwiegende Masse der Bevölkerung aus
eigentlichen
S i n g h a l e s
e n . Mit diesem Namen bezeichnet mit die
Nachkommen der indischen Hindubevölkerung, welche nach der
Hauptquelle der ceylonesischen Geschichte, nach der Pali-Chronik
„Mahawanso", im Jahre 543 vor Christi Geburt aus dem nördlichen
Theile der Halbinsel Vorderindien unter dem Könige Wijayo nach
Ceylon hinüber wanderte und die ursprüngliche
Urbevölkerung der Insel verdrängte. Als versprengte Reste
der letzteren gelten jetzt gewöhnlich die
W e d d a h s oder
Vellahs, ven denen einige wilde Horden noch in den
ursprünglichsten Theilen des Inneren unter den primitivsten
Verhältnissen leben. Nach der Ansicht Anderer sind die Weddahs
hingegen herabgekommene und entartete, ausgestoßene oder
„verwilderte" Nachkommen von Singhalesen, gleich den „Rodiahs".
In der nördlichen Hälfte der Insel, sowie am östlichen
Küstenstriche und in einem großen Theile des centralen
Gebirgslandes wurden die echten Singhalesen später durch
M a l a b a r e n
oder „T a m i l s" verdrängt,
welche aus dem südlichen Theile der Halbinsel Vorderindien,
vorzüglich von der Malabarküste herüberkamen. Sie
sind in jeder Beziehung, nach Körperbau, Gesichtsbildung,
Hautfarbe, Sprache, Religion, Sitten und Gewohnheiten, von den
Singhalesen sehr verschieden und gehören einem ganz anderen
Zweige des menschlichen Stammbaums an, der
D r a v i d a -
R a s s e Die Singhalesen hingegen
werden von den meisten Anthropologen wohl mit Recht als ein alter
Zweig der
a r i s c h e n
R a s s e betrachtet. Sie sprechen
einen Dialekt, welcher einem Zweige der Palisprache entsprungen zu
sein scheint, während die Malabaren die ganz verschiedene
Tamilsprache besitzen. Die ersteren sind meistens Buddhisten, die
letzteren sind Hindu (Brahmanen). Gewöhnlich ist die braune
Hautfarbe der kleineren, weichlicheren und schwächlicheren
Singhalesen bedeutend heller, zimmtbraun bis lederbraun, hingegen
diejenige der größeren, kräftigeren und
schöneren Malabaren viel dunkler, kaffeebraun oder
schwarzbraun. Erstere sind vorzugsweise mit Ackerbau, Reiscultur,
Anpflanzungen von Palmen, Bananen und anderen Culturpflanzen
beschäftigt; scheuen jedoch harte und schwere Arbeit. Diese
letztere wird vorzugsweise von den Malabaren verrichtet, welche als
Straßenarbeiter, Bauleute, Lastträger, Kutscher u. s. w. im
Unterlande, als Arbeiter der Kaffeeplantagen im Oberlande Verwendung
finden. Gegewärtig machen die Tamils oder Malabaren (deren
Einwanderung von der indischen Halbinsel alljährlich zunimmt)
schon ungefähr ein Drittel der Gesammtbevölkerung von
Ceylon aus, während die Kopfzahl der Singhalesen drei
Fünftel von Gesammtzahl der Bevölkerung beträgt;
letztere beläuft sich gegenwärtig auf 2 1/2 Millionen.
Nächst den Singhalesen oder Malabaren bilden nach Kopfzahl und
Bedeutung den wichtigsten Theil der eingeborenen Bevölkerung
von Ceylon die I n d o -
A r a b e r hier allgemein
als „Mohren" (Moors oder Moormen) bezeichnet. Ihre Zahl beläuft
sich auf ungefähr 150,000, also ein Zehntel der Singhalesen-Zahl.
Sie sind die Nachkommen der
A r a b e r , welche schon
seit mehr als zwei Jahrtausenden in Ceylon, wie in anderen Theilen des
südlichen und südöstlichen Asiens festen Fuß
fasten und namentlich zwischen dem achten und zehnten Jahrhunderte
(bis zur Ankunft der Portugiesen) den wichtigsten Theil des Handels in
ihrer Hand hatten. Auch heute noch wird der ganze Kleinhandel, sowie
ein Theil des Großhandels der Insel fast ausschließlich von
diesen thätigen und berechnenden Arabern betrieben; und sie
spielen hier durch ihren Unternehmungsgeist, ihre berechnende
Schlauheit und ihr verzügliches Talent für
Geldgeschäfte eine ähnliche Rolle, wie die Juden in Europa;
auch in anderen Beziehungen vertreten sie die Stelle der
stammverwandten Juden, welche auf Ceylon gänzlich fehlen. Die
Sprache und Schrift der Moormen ist noch heute theils Arabisch, theils
ein Gemisch von Arabisch und Tamil. Ihre Religion ist
überwiegend mohammedanisch (und zwar sunnitisch). Ihre
Hautfarbe ist braungelb, ihre Gesichtsbildung unverkennbar semitisch;
Haar und Bart meist lang und schwarz. Ihre kräftigen Figuren, in
langen weißen Burnus und weite weiße Pumphosen gekleidet,
nehmen sich zwischen den Singhalesen und Tamils um so stattlicher aus,
als sie meist einen hohen gelben Turban, einer Bischofsmütze
ähnlich, tragen.
Gegen diese drei vorherrschenden Bestandtheile der ceylonischen
Bevölkerung: (Singhalesen 60, Tamils 33, Indoaraber 6 Procent),
treten die übrig bleibenden Reste derselben, zusammen kaum 1
Procent, der Zahl nach ganz zurück. Von diesen 25,000 Einwohnern
kommen nur ungefähr 2000 auf die Rasse der wilden
Ureinwohner, der
W e d d a h s . 8000
(nach Anderen nur ungefähr die Hälfte) sind Einwanderer
aus den verschiedensten Gegenden Asiens und Afrikas: Malayen und
Afghanen (vorzugsweise als Soldaten geworben), Parsis und Kaffern
(Soldaten und Diener u. s. w.). Die
M i s c h l i n g
e dieser verschiedenen „Native"-Rassen und der
Europäer (etwa 10,000) enthalten die verschiedensten
Combinationen und bieten der anthropologischen Classification
interessante Schwierigkeiten. An diese schließen sich die
sogenannten „Burgers" an (etwa 6000), die Nachkömmlinge der
Portugiesen und der Holländer, meistens mehr oder weniger mit
singhalesischem und Tamil-Blut gemischt. Diese liefern vorzugsweise das
Heer der Schreiber und Rechner in den Comptoirs und Bureaux, der
Subalternbeamten für die Regierung; sie werden als solche sehr
geschätzt. Die Zahl der
E u r o p ä e r&
nbsp; endlich, der „nichteingeborenen" Herren der Insel, beläuft
sich im Ganzen nur auf 3-4000, ganz überwiegend natürlich
Engländer und Schotten. In den Städten sind alle
höheren Regierungsämter und alle großen
Handelshäuser in ihren Händen. Im Gebirge bilden sie die
zahlreiche und merkwürdige Classe der „Pflanzer", deren
eigenthümliches Leben ich später auf der Gebirgsreise
kennen lernte.
Nach der Volkszählung von 1857 (also vor 25 Jahren) betrug die
Gesammtzahl der Einwohner von Ceylon nur 1,760,000. Schon im Jahre
1871 (also vor 11 Jahren) war dieselbe auf 2,405,000 Seelen gestiegen,
und gegenwärtig dürfte sie bereits die Zahl von 2,500,000
beträchtlich überschritten haben. Nehmen wir aber in
runder Summe 2 1/2 Millionen als gegenwärtige Volkszahl an so
dürften sich die verschiedenen Elemente etwa
folgendermaßen vertheilen:
Singhalesen (meist Buddhisten) | 1,500,000
|
Tamils (Malabaren, meist Hindu) | 820,000
|
Indoaraber (Moormen, meist Mohamedaner) | 150,000
|
Mischlinge verschiedener Rasse | 10,000
|
Asiaten und Afrikaner verschiedener Rassen (Malayen, Chinesen,
Kaffern, Neger) | 8,000
|
Burgers (Purtugiesen und Holländer, Halbblut) | 6,000
|
Europäer (meist Engländer) | 4,000
|
Weddahs (Ur-Einwohner) | 2,000
|
Summa | 2,500,000
|
Da der Flächenraum der Insel 1250 geogr. Quadratmeilen
beträgt und sie mithin kaum 1/6 kleiner als Irland ist, so
könnte sie bei ihren außerordentlich günstigen
klimatischen und Bodenverhältnissen leicht das secht- oder
achtfache dieser Bevölkerung tragen; den älteren Chroniken
zufolge scheint dieselbe schon vor 2000 Jahren beträchtlich
größer gewesen zu sein - vielleicht mehr als das Doppelte! Die
entvölkerte und größtentheils verödete
nördliche Hälfte der Insel war damals dicht bewohlt; wo
jetzt ungeheure Djungledickichte den Affen und Bären, Papageien
und Tauben als Wohnsitz dienen, blühten damals ausgedehnte
Culturfelder, durch bewunderungswürdige
Bewässerungssysteme begünstigt. Die verfallenen Reste der
letzteren, wie die großartigen Ruinen der verschwundenen
Städte (Anaradjahpura, Sigiri, Pollanarrua u. s. w.) legen von
diesem früheren Glanze noch heute Zeugniß ab. Sie zeigen,
was aus diesem „Juweleneiland", dieser „edelsten Perle im Diademe
Indiens", dieser „Rubineninsel", in Zukunft wieder werden kann!
Wie die verschiedenen Classen der bunt gemischten Bevölkerung
von Ceylon nach Ursprung und Rasse, Körperbau und Farbe,
Sprache und Schrift, Charakter und Beschäftigung sich wesentlich
unterscheiden, so auch entsprechend nach Glauben und Religion; und
zwar fällt die Culturform großentheils mit dem Rassentypus
zusammen. Die Singhalesen (60 Procent) sind zum größten
Theil Buddhisten, die Tamils hingegen (33 Procent) meistens Brahmanen
(Hindu); die Indoaraber endlich (6 Procent) überwiegend
Mohammedaner; doch ist jetzt ein großer Theil dieser drei
Hauptclassen der Bevölkerung zum Christenthum bekehrt, dem
auch das übrigbleibende Procent größtentheils
zugethan ist. In runder Zahl dürften sich die Confessionen jetzt
folgendermaßen vertheilen:
Buddhisten (meist Singhalesen) | 1,600,000
|
Brahmanen (Hindu, meist Tamils) | 500,000
|
Mohammedaner (Sunniten, meist Araber) | 160,000
|
Katholiken (viele Tamils und Singhalesen) | 180,000
|
Protestanten (die meisten Europäer und Burger) | 50,000
|
Religionslose (verschiedener Classen) | 10,000
|
| Summa | 2,500,000
|
IV. Whist-Bungalow
Die reizende Villa in Colombo, in welcher ich die beiden ersten Wochen
auf Ceylon verlebte, liegt, wie schon gesagt, am nördlichen Ende
der Stadt, oder vielmehr ihrer entlegenen Vorstadt Mutwal, gerade in
dem Winkel, welchen der Kelany-Ganga, der Colombofluß, an seiner
Einmündung in das Meer bildet. Man wandert vom Fort aus
zwischen den Erdhütten der braunen Eingebornen eine gute
Stunde durch die Pettah und deren nördlichen Ausläufer,
um Whist-Bungalow zu erreichen. Diese einsame Lage, inmitten der
schönsten Natur, weit ab vom Geschäftsviertel und noch viel
weiter von den südlich jenseits gelegenen beliebten
Villenvorstädten Kolpetty, Cinnamon-Garden u. s. w., ist eine der
Ursachen des besonderen Reizes, welchen dieses stille Landhaus von
Anfang an auf mich ausübte. Eine andere Ursache freilich lag in
der herzlichen und zwanglosen Gastfreundschaft, welche die Bewohner
von Whist-Bungalow (- außer Stipperger noch drei liebe deutsche
Landsleute -) von Anfang an mir entgegenbrachten. Daher erwachte ich
schon am ersten Morgen daselbst mit dem angenehmen Gefühl,
auf der fremden indischen Wunderinsel, 6000 Seemeilen von der
deutschen Heimath entfernt, eine freundliche Heimstätte für
meinen Aufenthalt dort gefunden zu haben. Aus den „paar Tagen",
welche ich zuerst nur in Whist-Bungalow bleiben wollte, wurden bald
„ein paar Wochen", und da ich auch nach der Rückkehr vom
Süden, sowie am Ende meines Aufenthalts auf Ceylon eine Woche
dort verweilte, so kam im Ganzen fast ein Monat zusammen, der von
meinen vier Monaten auf Ceylon diesem lieblichen Gartenhause zufiel.
Da Platz genug vorhanden war, um meine umfangreichen
Gepäckstücke und Sammlungen dort unterzubringen und zu
ordnen, so wurde mir Whist-Bungalow zugleich zum bequemsten
Standquartier für meine weiteren Ausflüge; als ich dann
nach den Anstrengungen und Strapazen der Arbeit an der
Südküste, wie der Gebirgsreise im Hochlande wieder nach
Whist-Bungalow zurückkehrte, hatte ich stets das wohlthuende
Gefühl, daheim unter lieben Freunden und Landsleuten als gern
gelittener Gast zum Besuch zu sein. Es ist daher nur recht und billig,
wenn ich hier diesem wunderlieblichen Erdenfleck eine besondere
Beschreibung widme, um so mehr, als ich auf demselben meine ersten
Kenntnisse von Natur- und Menschenleben der Insel aus eigener
Anschauung sammelte.
W h i s t -
B u n g a l o w
verdankt seinen sonderbaren Namen dem Umstande, daß der erste
Besitzer dieser entlegenen Villa, ein alter englischer Officier zu Anfang
des Jahrhunderts, seine Kameraden Sonntags hierher zu einer
Whistpartie einlud. Da die strenge Observanz der englischen Kirche eine
solche Entheiligung des Sonntags natürlich stark verpönte,
mußten diese lustigen Zusammenkünfte ganz geheim
gehalten werden; und je mehr die hier versammelten Kriegskameraden
froh waren, der entsetzlichen Langenweile des englischen Sonntags und
der orthodoxen Gesellschaft glücklich entronnen zu sein, desto
heiterer ging es bie den Whistpartien und den damit verknüpften
Trinkgelagen im einsamen Bungalow zu.
Damals war aber Whist-Bungalow nur eine ganz einfache, kleine, in
dichtem Gartengebüsch versteckte Villa. Zu dem stattlichen
Landhause in seiner jetzigen Gestalt wurde es erst durch seinen
späteren Besitzer, einen Advocaten Morgan erweitert. Derselbe
war ein lustiger Lebemann, und verwendete einen großen Theil
seines Vermögens darauf, um die Villa - ein kleines „Miramare"
von Ceylon - ihrer reizenden Lage entsprechend auszubauen und zu
verschönern. Der große Garten wurde mit den herrlichsten
Bäumen und Zierpflanzen ausgestattet. Eine stattliche Colonade mit
luftiger Veranda erhob sich um das vergrößerte Landhaus,
während seine weiten und hohen Säle innen mit dem
prächtigsten Luxus fürstlich ausgestattet wurden. Und
manches Jahr wurden hier Diners und Trinkgelage abgehalten, bei denen
es noch viel üppiger und glänzender - wenn auch nicht
lauter und lustiger - zuging, als früher bei den einfacheren
Kneipereien der Whistofficire. Es scheint aber, daß Mr. Morgan
schließlich nicht mehr die colossalen Ausgaben für sein
Miramare und seine lucullische Lebensweise daselbst in richtiges
Verhältniß zu seinen großen Einnahmen brachte. Denn
als derselbe plötzlich starb, fand sich in der Casse ein großes
Deficit vor; die zahlreichen Gläubiger belegten Whist-Bungalow mit
Beschlag und mußten schließlich, als es unter den
Auctionshammer kam, froh sein, wenigstens einen kleinen Theil ihres
geliehenen Geldes aus dem Erlöse wieder zu erhalten.
Nun kam aber ein Wendepunkt in der Geschichte der schönen
Villa, und der neue Besitzer sollte derselben nicht recht froh werden.
Denn die Fama, die an den romantischen Fleck schon manche
abenteuerliche Sage geknüpft hatte, behauptete jetzt mit
zunehmender Bestimmtheit, daß es in Whist-Bungalow nicht recht
geheuer sei und daß der Geist des plötzlich verschiedenen
Mr. Morgan daselbst allnächtlich „umgehe". Nachts um die
zwölfte Stunde - bald mit, bald ohne Mondschein - sollte daselbst
ein greuliches Gelärm und Gepolter sich erheben: weiße
Gestalten huschten durch die weiten Säle, geflügelte
Dämonen flatterten durch die Säulenhallen, und andere
Geister mit glühenden Augen trieben sich auf den Dächern
umher. Als der Teufel Oberster aber sollte Mr. Morgan selbst den Spuk
anführen und dirigiren. Man gab ihm Schuld, daß sein
stattliches, jetzt so spurlos verduftetes Vermögen, nicht ganz auf
richtigem Wege erworben sei, und daß er gleich so vielen anderen
Advocaten, seine ausgedehnte Rechtskunde weniger benutzt habe,
seinen Clienten Recht zu verschaffen, als vielmehr deren fließende
Goldquellen in seinen eigenen weiten Säckel hinüber zu
leiten; er sollte große Summen unterschlagen, Mündelgelder
veruntreut haben u. dgl. mehr. Zur Strafe dafür mußte er nun
an dem Orte seiner früheren Bacchanalien als ruheloser Geist
allnächtlich umgehen. Und so viele Singhalesen aus der
nächsten Nachbarschaft von Mutwal hatten diesen
Geisterlärm gehört und den Spuk selbst gesehen, daß
der neue Besitzer von Whist-Bungalow weder selbst hineinziehen wollte,
noch einen Mieter finden konnte.
So stand Whist-Bungalow leer, als unser Freund S. davon hörte
und beim Anblick der reizenden Villa sie zu miethen beschloß.
Aber auch das hatte seine großen Schwierigkeiten. Denn kein
Diener war zu finden, der in das berüchtigte Spukhaus hätte
mit hineinziehen mögen. Das gelang erst, nachdem der Nachweis
naturwissenschaftlich geführt war, daß alle die Geister
zoologischen Ursprungs seien. St. erwartete den berüchtigten Spuk
in der ersten Nacht wohlbewaffnet mit Gewehren und Revolvern, und
nun stellte sich, wie erwartet, heraus, daß derselbe aus echten
leibhaftigen Säugethieren von Fleisch und Blut bestand, zu
welchen der selige Mr. Morgan in keinem näheren
Verwandtschaftsverhältnisse stand. Die geheimnisvollen
Klettergeister entpuppten sich erschossen als wilde Katzen, die
Huschgeister als riesige Bandicutratten und die Flattergeister als
fliegend Füchsste (Pteropus). Nunmehr wurden angesichts
dieser überzeugenden Ausbeute der nächtlichen Jagd die
Bedenken auch der furchtsamsten Diener überwunden und Freund
St. zog zuversichtlich in das einsame Whist-Bungalow ein. Der
verwilderte Garten wurde neu und verbessert hergerichtet, die
verödeten Räume neu ausgestattet; und als einige deutsche
Landsleute die neu eingerichtete Villa sahen, gefiel sie ihnen so
ausnehmend, daß sie den neuen Miether baten, ihnen einen Theil
der umfangreichen Räumlichkeiten zur Wohnung zu
überlassen. Das geschah, und so fand ich denn bei meiner Ankunft
das vierblättrige deutsche Kleeblatt daselbst vor, mit welchem ich
so manchen vergnügten Abend verplauderte. Dabei fehlte es nie
an der nöthigen Mannigfaltigkeit der individuellen Anschauung,
die bei uns Deutschen trotz der berühmten „Deutschen Einigkeit"
unerläßlich ist. Herr Both aus Hanau (dem ich eine nette
Reptiliensammlung verdanke) vertrat das Frankfurter Deutschland, Herr
Suhren aus Ostfriesland (der mich mit einer schönen
Schmetterlingssammlung beschenkte) den äußersten
Nordwesten, und Herr Herath aus Bayreuth (der mich durch
Paradiesvögel, Papageien und Honigvögel erfreute) den
bajuwarischen Süden des Vaterlandes.
Der besondere Reiz, den Whist-Bungalow vor anderen Villen von
Colombo voraus hat, ist theils in seiner herrlichen Lage, theils in seinem
prächtigen Garten begründet. Während die
Nebengebäude (Dienerwohnungen, Stallungen u. s. w.) hinten im
Garten versteckt liegen, tritt das Hauptgebäude nahe bis an den
Rand des schönen Wasserspiegels vor, welcher sich an der
Westseite ausbreitet. Die luftige Veranda bietet den herrlichsten Anblick
auf das weite Meer, auf die Mündung des Kelanyflusses und auf
eine reizende, mit dichtem Wald bedeckte Insel, welche in seinem Delta
liegt. Weiter nach Norden hin folgt der Blick einem langen Streifen
Cocoswald, welcher die Küste entlang bi sgegen Negombo sich
hinzieht. Nach Süden hingegen stößt an den Garten von
Whist-Bungalow ein malerisches Stück Land, welches in reizender
Unordnung Fischerhütten unter schlanken Cocospalmen zerstreut
zeigt, dazwischen ein kleiner Buddhatempel, weiterhin Strandfelsen mit
Pandanus u. s. w. Von da springt eine schmale sandige Landzunge nach
Norden gegen die Flußmündung vor und legt sich dergestalt
vor unsern Garten hin, daß sie einen kleinen stillen Landsee vor
demselben bildet. Die Landzunge, welche diesen See vom benachbarten
offenen Meere scheidet, ist dich mit der schönen roth
blühenden Geißfußwinde (Ipomoea pes capri) und
dem sonderbaren Igelgrase (Spinifex squarrosus) bewachsen. Sie
trägt auch einzelne Fischerhütten, und bietet den ganzen Tag
über, im beständigen Wechsel der Scenerie, eine Reihe von
unterhaltenden Bildern. Schon am frühen Morgen vor
Sonnenaufgang versammeln sich hier die Fischerfamilien der
benachbarten Hütten, um ihr Morgenbad im Flusse zu nehmen.
Dann kommen die Pferde und Ochsen an die Reihe des Badens.
Fleißige Wäscher sind oft den ganzen Tag mit ihrer Arbeit
beschäftigt, schlagen die Wäsche auf flachen Steinen und
breiten sie am Strande zum Trocknen aus. Zahlreiche Fischerboote gehen
ab und zu, und Abends wenn sie von den Fischern an das Land gezogen
und die großen viereckigen Segel zum Trocknen aufgespannt
werden, gewährt die Landzunge mit ihrer langen Reihe ruhender
Segelboote einen ungemein malerischen Anblick; besonders dann, wenn
die Abendwinde die Segel schwellen und die sinkende Sonne, in das
Meer tauchend, das ganze indische Strandbild mit einer Fluth von
strahlendem Gold, Orange und Purpur übergießt.
Wie meine Freunde mir mittheilten, hat diese sandige Landzunge im
Laufe der Jahre ihre Gestalt vielfach gewechselt. Sie ist in der That eine
bewegliche Barre, wie sie vo rden Mündungen aller
größeren Flüsse in Ceylon sich finden. Die letzteren
bringen, in ihrem wilden Laufe aus dem Gebirge herabstürzend,
eine Masse Sand und Gesteinstrümmer mit sich; und da auch
später im langsameren Laufe durch das flache Küstenland
die reichlichen Regenmassen ihnen täglich große
Quantitäten Erde und Schlamm zuführen, so bilden diese,
wenn sie nachher an der Flußmündung abgelagert werden, in
kurzer Zeit ansehnliche Bänke. Gestalt, Größe und Lage
dieser Barren wechselt aber beständig, je nachdem die
Mündungszweige des Flußendes in seinem flachen Delta hier
oder dorthin ihren Ausweg suchen. So soll früher die
Hauptmündung des Kelany eine Stunde weiter südlich, in
Cinnamon-Gardens, gewesen sein. Die Lagunen daselbst, welche auch
jetzt noch durch Canäle mit dem Flusse zusammenhängen,
sollen Rest der Mündungsarme sein; der größte Theil
der Stadt Colombo läge demnach gegenwärtig auf dem alten
Delta. Auch unsere malerische Barre, gerade gegenüber Whist-
Bungalow, hat abwechselnd an ihrem nördlichen und an ihrem
südlichen Ende mit dem Festlande zusammengehangen; und die
waldbedeckte Insel vor der Hauptmündung ist bald Halbinsel
gewesen, bald wieder isolirte Insel.
Der Strand dieser Insel, sowie auch der Ufersaum der an Whist-
Bungalow anstoßenden Gärten (nördlich von
demselben) ist gleich den Ufern der Flußmündung selbst dich
bewachsen mit den merkwürdigen
M a n g r o v e
-Bäumen, und ich hatte sogleich beim ersten Besuche der
nächsten Nachbarschaft die Freude, diese charakteristische und
wichtige Vegetationsform der Tropen in ihrer merkwürdigen
landbildenden Thätigkeit vor Augen zu sehen. Die Bäume,
welche unter dem Namen der Mangroven oder Manglebäume
zusammengefaßt werden, gehören sehr verschiedenen
Gattungen und Famililen an (Rhizophora, Sonneratia,
Lomnitzera, Avicennia etc.). Sie stimmen aber alle in der
eigenthümlichen Form ihres Wachsthums und der dadurch
bedingten typischen Physiognomie wesentlich überein: die dicht
buschige, meist rundliche Laubkrone ruht auf einem dicken Stamme;
dieser abe auf einer umgekehrten Krone von nacktem vielverzweigten
Wurzelwerk, welches sich unmittelbar aus dem Wasserspiegel erhebt
und mehrere Fuß, oft 6-8 Fuß über denselben
hervorragt. Zwischen den Gabelästen dieser dichten
kuppelförmigen Wurzelkrone sammelt sich der Schlamm und Sand
an, welchen der Fluß an seinen Ufern und besonders an seiner
Mündung absetzt, und so kann der Mangrovewald das Wachsthum
des Landes wesentlich begünstigen.
Aber auch viele organische Substanzen, Leichen und Bruchstücke
von Thieren und Pflanzen bleiben zwischen dem dichten Wurzelwerk
hängen und zersetzen sich daselbst, und so ist der Manglewald in
vielen Tropengegenden zu einer gefürchteten Quelle
gefährlicher Fieber geworden. An den meisten Manglestrichen von
Ceylon, so auch am Kelanyflusse, ist dies nicht der Fall; wie denn
überhaupt viele wasserreiche Districte der Insel (z. B. die
stehenden Lagunen von Colombo selbst) keineswegs ungesund sind.
Obwohl ich viele Nächte in solchen Districten schlief, habe ich doch
niemals einen Fieberanfall gehabt. Es hängt dies wahrscheinlich
damit zusammen, daß die häufigen und großen
Regengüsse der Insel das Wasser der stehenden und
fließenden Becken oft erneuern und die organischen sich
zersetzenden Bestandtheile desselben wegführen, ehe sie
schädlich wirken können.
Am Ufer unseres Gartens selbst treten an die Stelle der Mangroven eine
Anzahl von schönen Bäumen aus der Familie der
A s c l e p i a d
e e n (Cerbera, Tabernaemontana,
Plumiera) - alle ausgezeichnet durch große weiße,
herrlich duftende Blüthen von Oleanderform, die in großer
Zahl am Ende der cendelaberförmig verzweigten Aeste inmitten
glänzender Büschel von großen dunkelgrünen
lederartigen Blättern stehen; die meisten dieser
Asclepiabäume liefern einen giftigen Milchsaft. Sie gehören
zu den häufigsten und am meisten charakteristischen
Verzierungen der Wegränder und Sumpfwiesen im wasserreichen
Flachlande des südwestlichen Inseltheils. Ganz fremdartig und
bezaubernd schön erheben sich dazwischen an andern Stellen des
Ufers, gleich riesigen Federbüschen, die baumartigen
überhängenden Büsche der zierlichen
Riesengräser (Bambusa).
Der G a r t e n
v o n
W h i s t -
B u n g a l o w
selbst ist unter der sorgfältigen und geschmackvollen Pflege von
St. zu einem reizenden Stück Ceylon-Paradiese geworden; welches
von fast allen wichtigen Charakterpflanzen der reichen Inselflora
einzelne Vertreter enthält, und so nicht allein einen duft- und
blüthenreichen Lustgarten, sondern zugleich einen instructiven
botanischen Garten im Kleinen darstellt. Ich bekam hier gleich am ersten
Morgen, als ich wonnetrunken unter dem Schatter der Palmen und
Feigen, der Bananen und Acazien im Garten selbst und in der
nächsten Umgebung umherwandelte, eine gute Uebersicht
über die Zusammensetzung der Flachlandflora. Da ist denn
natürlich vor Allem die edle Familie der Palmen zu nennen mit
ihren wichtigsten und stattlichsten Baumsäulen: Cocos und Talipot,
Areca und Borassus, Caryota und Pamyra; dann die herrlichen
lichtgrünen Bananen mit ihren zarten, vom Winde fiederartig
zerschlitzten Riesenblättern und den werthvollen goldgelben
Fruchttrauben; außer verschiedenen Spielarten der
gewöhnlichen Banane (Musa sapientum) enthält unser
Garten ein hohes Prachtstück von dem seltsamen
fächerförmigen „Baum der Reisenden" von Madagascar
(Urania speciosa). Es steht gerae an der Gabelthelung des
Hauptweges, wo rechts der Weg zum Bungalow hinführt, links zu
einem Prachtexemplar des heiligen Feigenbaumes (Ficus
bengalensis). Der letztere bildet mit seinen
langherabhängenden Luftwurzeln und den daraus entstandenen
neuen Stämmen eine sehr abenteuerliche Figur; mehrere
schöne gothische Bogen öffnen sich zwischen den
Wurzelstämmen, welche säulengleich die Hauptäste
stützen. Andere Bäume aus verschiedenen Gruppen
(Terminalien, Lorbern, Myrten, Eisenholzbaum, Brotfrucht u. s. w.) sind
von herrlichen Schling- und Kletterpflanzen umwuchert und
überzogen, von jenen mannigfaltigen
L i a n e n , die in der Flora
Ceylons eine so hervorragende Rolle spielen. Dieselben gehören
den verschiedensten Pflanzenfamilien an. Denn inmitten der
unübertroffenen Lebensfülle und unter dem beipiellos
günstigen Einflusse der beständigen feuchten Hitze fangen
auf dieser grünen Wunderinsel im dichtgedrängten Walde
eine Menge der verschiedensten Pflanzen an zu klettern und sich an
anderen zu Licht und Luft emporzuwinden.
Von anderen Zierden unseres reizenden Gartens wollen wir hier
besonders noch die großblättrigen Callapflanzen oder
Aroideen nennen und die zierlich gefiederten Farnkräuter - zwei
Pflanzengruppen, die sowohl durch die Masse der Individuen, als durch
die Schönheit und Größe der Blattentfaltung in der
niederen Flora der Insel eine Hauptrolle spielen. Dazwischen finden sich
dann noch viele der herrlichsten tropischen Blatt- und
Blüthenpflanzen zerstreut, die theils auf Ceylon heimisch, theils
aus anderen Tropengegenden, namentlich aus Südamerika
eingeführt sind, aber hier vorzüglich gedeihen. Ueber ihnen
erheben sich stattliche Malvenbäume (Hibiscus) mit
großen gelben oder rothen Blumen, Flammenbäume oder
Acazien mit Massen der prachtvollsten feuerfarbigen Sträuße
(Caesalpinia), mächtige Tamarinden mit aromatischen
Blüthen; und von den Aesten hängen rankende Thunbergien
mit riesigen violetten Glocken herab, sowie Aristolochien mit
großen gelben und braunen Blumentrichtern. Besonders große
und schöne Blüthen zeigen ferner viele Krapppflanzen
(Rubiaceen), Lilienpflanzen, Orchideen u. s. w.
Doch ich will hier nicht den Leser durch den vergeblichen Versuch
ermüden, ihm durch bloße Beschreibung oder
Aufzählung trockner Pflanzennamen eine annähernde
Vorstellung von der berauschenden Pracht zu geben, welche die indische
Tropenflora auf Ceylon entfaltet und von welcher ich im Garten von
Whist-Bungalow und in dessen nächster Umgebung an den Ufern
des Kelanyflusses die erste Vorstellung erhielt. Ich will mich statt
dessen auf die Bemerkung beschränken, daß ich am ersten
Morgen in diesem Paradiese stundenlang wonnetrunken von einer
Pflanze zur andern, von einer Baumgruppe zur andern wanderte,
rathlos, welchem von den zahllosen Wunderwerken der Tropenflora ich
zuerst genauere Betrachtung widmen sollte. Wie armselig und
dürftig erschien mir dagegen Alles, was ich zwei Wochen
früher in Bombay zuerst gesehen und bewundert hatte.
Die
T h i e r w e l t
, welche diese Paradiesgärten von Ceylon belebt, entspricht
im Ganzen nicht der außerordentlichen Fülle und Pracht der
Pflanzenwelt; insbesondere was den Reichthum an schönen,
großen und auffallenden Formen betrifft. Die Insel steht in dieser
Beziehung nach Allem, was ich gehört und gelesen, weit hinter
dem Festlande von Indien und den Sundainseln, namentlich aber hinter
dem tropischen Afrika und hinter Brasilien zurück. Ich muß
gestehen, daß ich in dieser Beziehung gleich im Anfang ziemlich
stark enttäuscht wurde, und daß diese Enttäuschung
später, als ich die Fauna auch in dem wilderen Theile der Insel
genauer kennen lernte, eher wuchs, als abnahm. Ich hatte gehofft, die
Bäume und Gebüsche mit Affen und Papageien, die
Blüthenpflanzen mit Schmetterlingen und Käfern von
seltsamen Formen und glänzenden Farben bedeckt zu finden.
Allein weder die Quantität noch die Qualität dessen, was ich
jetzt hier sah und später fand, entsprach diesen hochgespannten
Erwartungen, und ich hatte schließlich nur den Trost, daß alle
Zoologen, welche früher diese Insel besucht hatten, in
ähnlicher Weise enttäuscht wurden. Immerhin findet sich
jedoch bei genauerem Suchen auch für den Zoologen des
Merkwürdigen und Interessanten die Fülle; und die Fauna
von Ceylon ist im Großen und Ganzen nicht minder
eigenthümlich und fremdartig - wenn auch nicht entfernt so reich
und so glänzend! - als seine Flora.
Diejenigen Wirbelthiere, die mir gleich anfänglich in Whist-
Bungalow und in der nächsten Umgebung von Colombo am
meisten auffielen, waren zahlreiche
R e p t i l i e n&
nbsp; von bunten Farben und sonderbaren Formen, namentlich
Schlangen und Eidechsen; ferner zierliche kleine Laubfrösche
(Ixalus), deren merkwürdige, zum Theil glockenartige
Stimmen man Abends überall hört. Von
V ö g e l n zeigen sich
in den Gärten namentlich zahlreiche Staare und Krähen,
Bachstelzen und Bienenfresser, besonders aber niedliche, die Stelle der
Colibri's vertretende Honigvögel (Nectarinia); ferner an den
Flußufern blaugrüne Eisvögel und weiße Reiher.
Von
S ä u g e t h i&n
bsp;e r e n ist weitaus das häufigste ein
allerliebstes Eichörnchen, das überall auf den Bäumen
und Sträuchern umherhuscht und sehr zahm und zutraulich ist,
braungrau mit drei weißen Längsstreifen auf dem
Rücken (Sciurus tristriatus).
Unter den
I n s e c t e n
überwiegen durch die ungeheuren Massen, in denen sie
überall auftreten, vor allen die Ameisen (von winzig kleinen bis zu
riesengroßen Arten), sodann die berüchtigten Termiten (oder
die sogenannten „weißen Ameisen"); aber auch andere
Hymenopteren (Wespen und Bienen) sind sehr reichlich vertreten,
desgleichen die Dipteren (Mücken und Fliegen). Hingegen zeigen
gerade diejenigen Insectenordnungen, welche die schönsten und
größten Formen enthalten, Käfer und Schmetterlinge,
nicht denjenigen Reichthum, welchen man der Flora entsprechend
erwarten sollte. Sehr vielgestaltig und merkwürdig sind
andrerseits wieder die Orthopteren (Heuschrecken, Grillen u. s. w.). Doch
ich will hier auf diese besondere Welt nicht eingehen, da ich
später darauf ausführlich zurückkomme.
Sehr interessante und merkwürdige Gliederthiere bietet die Classe
der Spinnen oder
A r a c h n i d e
n , von den winzigen kleinen Milben und Zecken
aufwärts bis zu den riesigen Vogelspinnen und Scorpionen. Auch
die nahe verwandten Tausendfüße oder
M y r i a p o d
e n sind sehr häufig und durch colossale, zum Theil
wegen ihres giftigen Bisses sehr gefürchtete Formen vertreten, bis
zu einem Fuß lang! Einige Prachtexemplare derselben sah ich gleich
am ersten Morgen im Garten von Whist-Bungalow; ich fand aber heute
noch keine Zeit, mich mit der Thierwelt näher zu befassen, da die
Pflanzenpracht mich allzusehr fesselte!
Wie gerne hätte ich dem wirklichen Studium dieser Flora,
für welches mir jetzt nur wenige Tage und Wochen zu Gebote
standen, Monate und Jahre gewidmet! Dazu strahlte heute die indische
Sonne in einem Glanze von dem wolkenlosen tiefblauen Himmel herab,
daß die Licht- und Farbenfülle meinen armen nordischen
Augen fast zu viel wurde; und die Hitze würde bald fast
unerträglich geworden sein, hätte sie nicht eine sanfte
kühle Brise vom Meere etwas gelindert. Es war der 22. November,
der Geburtstag meines lieben theuren Vaters, der vor 10 Jahren im
Alter von 90 Jahren gestorben war. Er würde heute gerade seinen
hundertsten Geburtstag gefeiert haben, und ich von ihm die
beglückende Freude an der Natur (und ganz besonders an
schönen Bäumen) geerbt habe, so kam eine besonders
festliche Feiertagsstimmung über mich und ich betrachtete den
ungewöhnlich hohen und reichen Genuß dieser
köstlichen Stunden als ein besonderes Geschenk für diesen
Festtag!
Naturgenüsse wie diese haben wor allen Kunst- und sonstigen
Genüssen des Lebens den unschätzbaren Vorzug, daß
sie nie ermüden und daß ein dafür empfängliches
Gemüth sich ihnen immer wieder mit erneuter Theilnahme und
mit erhöhtem Verständnisse zuwendet, und zwar um so
mehr, je älter man wird! So kam es denn, daß der
Morgenspaziergang in dem Paradiesgarten von Whist-Bungalow und in
dessen nächster Umgebung, bald am Flußufer, bald am
Meeresstrande, sich an allen folgenden Tagen, die mir mein Glück
hier beschied, wiederholte, und daß ich noch am letzten Morgen auf
Ceylon, am 10 März 1882, mit dem Gefühle des „verlorenen
Paradieses" von ihm Abschied nahm!
Vielfache Bereicherungen erfuhren übrigens meine botanischen
Kenntnisse noch in den nächsten Tagen, als mehrere Besuche bei
Engländern, an die ich empfohlen war, mich in verschiedene
Gärten der südlichen Villenvorstädte von Colombo,
Kolpetty und Slave-Island führten. In ganz besonders angenehmer
Erinnerung sind mir da einige Tage geblieben, die ich in der
V i l l a
d e r
T e m p e l b ä&
nbsp;u m e („Temple-Trees") verlebte; so heißen
hier die Plumierabäume, weil ihre großen prachtvoll
duftenden Blüthen nebst denjenigen des Jasmin und Oleander
allenthalben in den Buddhatempeln von den Singhalesen als
Opferblumen vor die Buddhabilder gestreut werden. Zwei alte
Prachtexemplare dieser Tempelbäume standen nebst eingen
riesigen Casuarinen auf dem weiten Rasenplatze, welcher die stattliche
nach ihnen benannte Villa von der Gallastraße in Kolpetty trennt.
Der Eigenthümer derselben, Mr.
S t a n i f o r t&
nbsp;h G r e e n , hatte
mich auf das Freundlichste eingeladen, einige Tage bei ihm zuzubringen.
Ich lernte in ihm einen liebenswürdigen alten Herrn kennen,
dessen ganzes Herzensinteresse sich der Naturbetrachtung zuwendet.
Alle Stunden, welche die Bewirtschaftung seiner großen
Kaffeemühlem ihm frei läßt, verwendet er auf die
Cultur seines reizenden Gartens und auf das Sammeln und Beobachten
von Insecten und Pflanzen. Mit der innigen liebevollen Sorgfalt, welche
die alten Naturforscher des vorigen Jahrhunderts charakterisirt, welche
aber unter den jüngeren „strebsamen" Naturforschern der
Gegenwart immer seltener wird, hatte sich Mr. Green insbesondere
jahrelang mit der Lebensweise und Entwickelung der kleinsten
Insectenformen geschäftigt und hier eine Anzahl hübscher
Entdeckungen gemacht, die zum Theil in englischen Zeitschriften
publicirt sind. Er zeigte mir eine große Anzahl sorgfältigst
gesammelter Seltenheiten und machte mir einige der interessantesten
zum Geschenk. Auch sein Neffe, der ihn im Geschäfte
unterstützt, theilt in den Mußestunden diese Liebhabereien
und zeigte mir eine sehr hübsche Insectensammlung. Ich erhielt
unter Anderem von ihm mehrere Exemplare der riesigen Vogelspinne
(Mygale), deren Jagd auf kleine Vögel (Nectarinia)
und kleine Zimmereidechsen (Platydactylus) er selbst mehrfach
beobachtet hatte.
Der Garten des Mr. Green, der namentlich einige alte Prachtexemplare
der Flammen-Acazien oder Flamboyants (Caesalpinia), sowie
schöne Lilienbäume (Yucca) und Kletterpalmen
(Calamus) enthält, stößt östlich an eine
reizende Bucht der großen Lagune, welche sich zwischen Kolpetty,
Slave-Island und dem Fort ausbreitet. An einem schönen Abend
ruderten wir hier im Kahne über die mit prachtvollen weißen
und rothen Wasserlilien bedeckte Spiegelfläche nach der Villa von
Mr. William Ferguson hinüber. Auch dieser liebenswürdige
alte Herr (- der seit vielen Jahrzehnten das Amt eines Wegebau-
Inspectors versieht -) widmet seine Mußestunden zoologischen und
botanischen Forschungen und hat diese Gebiete mit manchen
werthvollen Beiträgen bereichert. Ich verdanke ihm ebenfalls
viele interessante Mittheilungen. Er ist nicht zu verwechseln mit seinem
gar sehr verschiedenen Bruder, dem sogenannten „Ceylon-
Commissioner", der Herausgeber und Redacteur der
einflußreichsten Zeitung der Insel, dem „Ceylon-Observer". Dieses
Blatt wird von ihm in jenem Geiste strenger, finsterer Orthodoxie und
kastenmäßiger Observanz redigirt, welcher leider so vielen,
angeblich freisinnige, englische Zeitungen kennzeichnet. Gerade zur Zeit
meiner Anwesenheit war dasselbe mit heftigen Angriffen gegen der
verdientesten und kenntnißreichsten Juristen, dem District-Judge
Mr. Berwick, gefüllt, weil derselbe in einem Plaidoyer über
„Zurechnungsfähigkeit" die darwinistischen Grundsätze der
modernen Nachforschung { = Naturforschung? } anerkannt und in
geistreicher Weise angewendet hatte. Uebrigens hinderte seine
specifische Frömmigkeit den „Ceylon-Commisioner" nicht, in seiner
Art „Geschäfte zu machen" und z. B. die schlechte und fehlerhafte
Karte der Kaffeedistricte für 18 Rupien (= 36 Mark!) zu verkaufen.
An einem andern Tage führte mich Mr. Green in das
C o l o m b o -
M u s e u m , ein stattliches
zweistöckiges Gebäude, welches in Cinnamon-Gardens liegt
und für die Sammlung aller literarischen, historischen und
naturhistorischen Schätze der Insel bestimmt ist. Der untere Stock
enthält auf einer Seite die reiche Bibliothek, auf der andern die
Alterthümer (alte Inschriften, Sculpturen, Münzen,
ethnographische Sammlungen u. s. w.); im oberen Stocke findet sich eine
reiche Naturaliensammlung, vorzugsweise von getrockneten und
ausgestopften Thieren, ausschließlich Ceylonesen. Besonders reich
sind darin die Insecten vertreten, mit denen sich der (damals
abwesende) Director des Museums, Dr. Haly, speciell
beschäftigt; demnächst die Vögel und die Reptilien.
Dagegen bleibt in den meisten Abtheilungen der niederen Thiere die
Hauptsache noch zu thun übrig. Immerhin bietet das Colombo-
Museum auch jetzt schon eine sehr gute Uebersicht über die reiche
und eigenthümliche Fauna der Insel. Der Zoologe, der aus Europa
direct hierher kommt, wird freilich den Zustand eines großen Theils
der Sammlung ziemlich unbefriedigend finden; die ausgestopften und
getrockneten Sachen sind vielfach schlecht präparirt,
verschimmelt, zerfallen u. s. w. Tadeln wird das aber nur der Neuling,
dem die außerordentlichen Schwierigkeiten unbekannt sind, mit
denen die Entstehung und Existenz jeder derartigen Sammlung in dem
feuchtheißen Treibhaus-Klima von Ceylon zu kämpfen hat.
Ich sollte bald selbst in dieser Beziehung die bittersten Erfahrungen
machen.
Ebenso wie alles Lederzeug und Papier hier in kürzester Zeit
vermodert und zerfällt, wie alle Eisen und Stahlsachen trotz
sorgfäligster Vorsich sich mit Rost bedecken, ebenso unterliegen
auch alle Chitinkörper der Insecten, alle Bälge von
Wirbelthieren früher oder später dem vereinten Einflusse
einer beständigen Hitze von 20o-25o R.
und einer Feuchtigkeit der Luft, die alle unsere europäischen
Begriffe übersteigt. Noch schlimmer aber wirken in vielen
Fällen die vereinten Angriffe von Milliarden verschiedener
Insecten: schwarze und rothe Ameisen (theils 2-3 mal so groß wie
bei uns, theils eben so groß, zum Theil aber auch fast
mikroskopisch klein); weiße Ameisen oder Termiten (die
schlimmsten von allen Feinden) - riesengroße Schaben oder
Kakerlaken (Blatta), Papierläuse (Psocus),
Museumskäfer und dergleichen Gesindel mehr, wetteifern in der
Zerstörung der Sammlungen. gegen die unaufhörlichen
Angriffe dieser zahllosen und unvermeidlichen kleinen Feinde sich zu
schützen, ist in Ceylon theils sehr schwierig, theils ganz
unmöglich; ich selbst verlor durch sie (trotz aller Vorsicht) einen
großen theil meiner getrockneten Sammlungen.
In welcher Weise die tropische Hitze - nur 7 Breitengrade vom Aequator
entfernt - im Verein mit dem höchsten Grade derLuftfeuchtigkeit,
auf unsere europäischen Culturproducte, eben so wie auf die
einheimischen Naturproducte von Ceylon einwirkt, davon kann man sich
bei uns zu Hause gar keine Begriffe machen. Nachdem die ersten
herrlichen Tage in Whist-Bungalow mit Schauen und Staunen
vorüber waren, fing ich an, meine tausend Siebensachen und
Instrumente aus Koffern und Kisten auszukramen und in welchem
Zustande fand ich da Vieles! An allen wissenschaftlichen Instrumenten,
welche Stahl- oder Eisentheile enthielten, waren diese verrostet; keine
Schraube ging mehr glatt. Alle Bücher und Papiersachen waren
gleich allen Ledersachen feucht und mit Schimmel bedeckt; und was
mich ganz besonders rührte, der berühmte „schwarze Frack"
- welcher in der englischen Gesellschaft hier wie daheim in Europa eine
so große Rolle spielt, war, als ich ihn aus dem Koffer nahm,
weiß geworden! er war gleich allen anderen Tuchkleidern
über und über mit den zierlichsten Schimmelbildungen
bedeckt, die erst nach mehrtägigem Trocknen an der Sonne sich
verloren! Daher ist es in allen europäischen Häusern von
Colombo Aufgabe eines besonderen „Kleider-Boy", täglich Kleider,
Bettern, Wäsche, Papier u. s. w. an der Sonne zu trocknen und vor
dem Verschimmeln zu bewahren!
Viel schlimmer war es, daß meine neue photographische Camera
obscura, die von einer der ersten Berliner Firmen aus angeblich
„völlig trocknem Holze" gefertigt war, sich beim Auspacken als
unbrauchbar erwies, weil alle Holztheile derselben verzogen waren.
Auch die Deckel der mitgebrachten Holzkästen hatten sich fast alle
geworfen. Die leeren Briefcouverts waren sämmtlich zugeklebt.
Mehrere Schachteln mit pulverisirtem Gummi-Arabicum enthielten eine
feste cementartige Masse; während in anderen Schachteln mit
Pfeffermünzküchelchen beim ersten Oeffnen ein
süßer Syrup umherfloß! Noch überraschender war
das Oeffnen der mitgebrachten Brausepulver-Schachteln. In allen blauen
Papierchen war die Weinsteinsäure verschwunden, und in alen
weißen fand sich statt des kohlensauren nur noch weinsteinsaures
Natron; erste hatte sich aufgelöst, war in letzteres eingedrungen
und hatte die Kohlensäure ausgetrieben! Und so waren schon beim
Auspacken durch den Einfluß der feuchten Hitze eine Menge
Sachen verdorben, an deren Verderben man bei uns gar nicht denkt!
Dabei fielen die vier Monate, welche ich auf Ceylon zubrachte, in die
sogenannte
„ t r o c k n e
Jahreszeit" des Nordost-Monsun, der vom November bis April weht! Wie
muß es demnach hier erst in der
„ n a s s e n Jahreszeit"
aussehen, wo vom Mai bis Oktober der regenschwangere Südwest-
Monsun wüthet! Meine Freunde versicherten mir, daß man
dann überhaupt darauf verzichte, irgend etwas trocken zu
erhalten, und daß das Wasser geradezu an den Wänden
herablaufe!
Das ein solches Treibhaus-Klima, welches von unserem mittel-
europäischen so gänzlich verschieden ist, auf den an
letzteres gewöhnten menschlichen Organismus auch eine ganz
verschiedene Wirkung ausüben muß, erscheint
selbstverständlich; - und ebenso, daß der Kampf mit diesem
feindlichen Klima das alltägliche Gesprächsthema
überall und jederzeit bildet. Ich muß daher gestehen,
daß ich einigermaßen besorgt war, wie ich mich demselben
wohl anpassen würde. In den ersten Wochen in Colombo empfand
ich die Leiden und Beschwerden, die damit unzertrennlich
verknüpft sind, ziemlich stark, besonders in den heißen
Nächten, in denen die Temperatur selten unter 20 R.
(nicht unter 18) sank, während sie bei Tage im Schatten oft auf
24-28o stieg. Allein die zweite Woche war schon leichter zu
ertragen als die erste; und später (namentlich an der
Südküste, nahe dem fünften Grad S. Br.) habe ich
niemals so viel gelitten, wie in den ersten schlaflosen Nächten und
erschlaffenden Tagen in Colombo.
Unentbehrlich sind unter diesen Umständen natürlich die
täglichen Bäder, die für alle Eingeborenen wie
für alle Europäer die beste Erquickung des Tages sind. Ich
nahm deren gewöhnlich zwei, eins gleich nach dem Aufstehen (um
6 Uhr) und ein zweites vor dem sogenannten Frühstück
(eigentlich dem Mittagessen) um 11 Uhr. Im Süden genoß ich
dann meistens noch ein drittes Bad am Abend, vor dem „Dinner" (um 7
oder 7 1/2 Uhr). Außerdem nahm ich natürlich alsbald die
landesübliche Kleidung der Europäer an, aus weißen,
ganz leichten Baumwollenstoffen bestehend; sehr angenehm trugen sich
netzförmige Unterhemdchen unter der leichten Jacke.
Aeußerst werthvoll aber fand ich als beständige
Kopfbedeckung einen sogenannten Calcutta-Hut oder „Sola-Hut", den ich
mir schon in Port-Said für nur 3 Francs (!) gekauft hatte. Diese
unvergleichlichen Hüte werden aus dem äußerst
leichten, aber festen (hollunder-ähnlichen) Marke der Sola-Pflanze
gefertigt und bestehen aus einer gewölbten doppelten Kuppel, die
auf einer sehr breiten (Nacken und Hals völlig schützenden)
Krempe ruht. Letztere ist mit einem festen Ring von Wachsleinwand
verbunden, welcher allein dem Kopf unmittalbar aufsitzt. Die Luft
streicht frei zwischen den Scheibchen hindurch und so bleibt die
Tempartur im Hute stets kühl.
Unter Anwendung dieser und anderer Vorsichtsmaßregeln befand
ich mich während der ganzen Zeit meines Aufenthalts auf Ceylon
sehr wohl, trotzdem (- oder vielleicht auch weil -) ich mir sehr viel
Bewegung machte und selbst in der heißen Mittagszeit meistens im
Freien war. Allerdings lebte ich aber viel mäßiger und
einfacher, als hier zu Lande üblich ist, und nahm nicht die
Hälfte der Quantität von Speisen und Getränken zu
mir, welche die meisten Engländer hier für unentbehrlich
halten. Wenn diese nach einigen Jahren Aufenthalt meistens über
Magen- und Leberleiden klagen, so glaube ich, liegt die Schuld viel
weniger am heißen Klima, als vielmehr einerseits am Mangel der
nöthigen Leibesbewegung, andererseits an der
übermäßigen Luxus-Consumption; sie essen und
trinken oft 2-3 mal so viel, als zum gesunden Leben nöthig ist -
und schwere fette Speisen, heiße spirituöse Getränke.
Sie bilden in dieser Beziehung den größten Contrast zu der
überaus einfachen Lebensweise der Eingeborenen, die meistens
bloß Reis und Curry, und dazu höchstens einige Früchte
essen, während ihr Getränk einfaches Wasser oder etwas
Palmenwein ist.
In Ceylon, wie wohl in den meisten Theilen von Indien, ist die
tägliche Eintheilung der Mahlzeiten der Europäer folgende:
Morgens, gleich nach dem Aufstehen Thee und Bisquits, Brot mit Eiern
oder Marmelade, Bananen, Mangos, Ananas und andere Früchte.
Um 10 Uhr folgt das sogenannte „Frühstück"
(Breakfast), nach unseren Begriffen ein ganz completes Diner von
3-4 Gängen: Fisch, gebratenes Huhn, Beefsteak, namentlich aber
das indisch-nationale „Reis mit Curry", der nie fehlen darf. Dieser Curry
wird in der mannigfaltigsten Weise aus verschiedenen Gewürzen
mit Stückchen von Gemüsen oder Fleisch zu einer pikanten
Sauce verarbeitet. Als dritte Mahlzeit folgt um 1 Uhr das sogenannte
„Tiffin", Thee oder Bier mit kaltem Fleisch, Butterbrot und Conserven.
Viele nehmen dann um 3 oder 4 Uhr noch einmal Thee oder Kaffee.
Endlich kommt um 7 1/2 oder 8 Uhr die Hauptmahlzeit, das sogenannte
„Dinner", welches aus 4-6 Gängen besteht, gleich einem opulenten
Diner in Europa: Suppe, Fisch, mehrere Fleischspeisen, nochmals Curry
und Reis, dann mehrere suße Mehlspeisen, Früchte u. s. w.
Dazu werden gewöhnlich mehrere verschiedene Weise getrunken
(Sherry, Claret, Champagner) oder auch stark spirituöses, aus
England importiertes Bier; neuerdings auch weit besseres und leichteres
Wiener Bier. In vielen Häusers fällt ein oder der andere
Theil dieser üppigen Mahrzeiten hinweg. Im Allgemeinen aber
muß die Lebensweise in Indien als eine viel zu üppige und
fette bezeichnet werden, besonders wenn man si emit der einfachen und
frugalen Diät im südlichen Europa vregleicht. Dies ist auch
die Ansicht von einzelnen alten Engländern, die ausnahmsweise
eine viel einfachere Lebensweise führen und sich daher trotz eines
ununterbrochenen Aufenthaltes von 20-30 oder mehr Jahren in den
Tropen ihre ungebrochene Gesundheit bewahrt haben; wie z. B. Dr.
Thwaites, der treffliche frühere Director des botanischen Gartens
von Peradenia.
V. Kaduwella.
Die Fülle von neuen, herrlichen und großartigen
Eindrücken, welche die erste Woche meines Aufenthaltes auf
Ceylon mir brachte, wurde gekrönt durch eine reizende Excursion,
welche meine Freunde am 27. November nach Kaduwella veranstalteten.
Es war mein erster Sonntag auf der Insel, und obgleich die
mannigfaltigen Naturgenüsse der vorhergegangenen Wochentage
mir jeden derselben als einen Festtag erscheinen ließen, so wurde
doch meine festliche Stimmung durch die Erlebnisse dieses ersten
Feiertages noch ganz besonders gesteigert. Der Ausflug nach Kaduwella
war zugleich die erstere größere Excursion in die weitere
Umgebung von Colombo, und da die Scenerie, die ich hier zum ersten
Male sah, sich in wesentlich gleich bleibendem Charakter im
größten Theile des Flachlandes der Südwestküste
wiederholt, so will ich gleich hier dieselbe kurz zu schildern versuchen.
Kaduwella ist ein singhalesisches Dorf, welches am linken
(südlichen) Ufer des Kelanyflusses liegt, zehn englische Meilen von
Whist-Bungalow entfernt. Der schöne Fahrweg (der sich weiterhin
nach Awisawella und bis zum Fort Ruanwella fortsetzt), führt bald
unmittelbar an dem waldigen Flußufer hin, bald nur in geringer
Entfernung von demselben, die mannigfaltigen Biegungen des Flusses
abschneidend. Gleich allen Fahrwegen auf der Insel, welche viel benutzt
werden, befindet sich auch dieser in ausgezeichnetem Zustande; und ist
doppelt anzuerkennen, da die heftigen und häufigen
Regengüsse beständig viel Erde wegschwemmen und die
gute Instandhaltung der Wege erschweren. Die englische Regierung
betrachtet aber hier, wie in allen Colonien, die Einrichtung und Erhaltung
guter Communicationsmittel mit Recht als eine ihrer ersten und
wichtigsten Aufgaben; und es spricht für ihr unvergleichliches
Colonisationstalent, daß sie keine Mühe und keine Kosten
scheut, um dieser Anforderung, selbst den schwierigsten Hindernissen
der Terrainformation und des Tropenklimas gegenüber, gerecht zu
werden.
Meine Gastfreunde von Whist-Bungalow und einige andere deutsche
Landsleute, welche damals in dem benachbarten schönen (auch
von Sir Emmerson Tennent lange Zeit inne gehabten) Eliehaus wohnten,
hatte alle Vorbereitungen getroffen, um unsere Excursion auch in
gastronomischer Beziehung möglichst angenehm zu gestalten. Alle
festen und flüssigen Körper, welche für ein opulentes
Gabelfrühstück erforderlich sind, sowie unsere Jagdgewehre
mit Munition, Gläser und Blechbüchsen zum Sammeln etc.
waren in dem kleinen, offenen, einspännigen Kaleschen verpackt,
die hier fast jeder Europäer besitzt und die gewöhnlich von
einem munteren Pony birmanischer Abkunft oder auch von einem
stärkeren Pferde australischer Rasse gezogen werden; fast alle
Reit- und Kutschpferde der Insel werden vom indischen Festlande oder
von Australien eingeführt, da die Pferdezucht auf Ceylon selbst
nicht gedeiht, europäische Pferde aber das Klima sehr schlecht
vertragen und bald unbrauchbar werden. Die kleinen Ponies von Birma
laufen vortrefflich, wenn sie auch nicht lange aushalten; mit zehn
englischen Meilen (2-3 Fahrstunden) ist ihre Leistungsfähigkeit in
der Regel erschöpft. Die Kutscher sind gewöhnlich schwarze
Tamils (Malabaren), in weiße Jacken gekleidet, mit rothem Turban;
sie laufen mit erstaunlicher Ausdauer hinter dem Wegen her oder
stehen nur zeitweise auf dessen Trittbrett; sie müssen
beständig laut ausrufen, da sowohl die Singhalesen (besonders die
alten Leute) als auch ihre Ochsen und Hunde eine ausgeprägte
Neigung besitzen, den rasch fahrenden Wagen nicht aus dem Wege zu
gehen und sich überfahren zu lassen.
Schon vor Sonnenaufgang verließen wir Whist-Bungalow und
rollten durch die letzten Häuser der Vorstadt Mutwal und den
darauf folgenden Grandpaß in das lachende, grüne
Gartenland hinaus, welches sich abwechselnd mit Buschwald (Djungle),
Reisfeldern und parkartigem Wiesenland meilenweit bis gegen den
Fuß des Gebirges hinzieht. Die Vorstädte von Colombo, wie
von allen Städten der Insel, gehen unmerklich in langgestreckte,
oft stundenlange Dörfer über, und da in diesen die einzelnen
Hütten der Eingebornen meist durch weite Zwischenräume
getrennt sind, jede von einem zugehörigen Stück Garten-,
Feld- oder Waldland umgeben, so sind die Grenzen der Dörfer oft
schwer oder nur ganz künstlich zu ziehen. In dem dicht
bevölkertung und gut cultivirten südwestlichen Theile des
flachen Küstenlandes existirt sogar nirgends eine
größere Unterbrechung, und man kann sagen, daß die
ganze lange Küstenstrecke von Colombo bis Matura, bis zur
Südspitze, von einem einzigen weitläufigen großen
Dorfe mit indischen Hütten und Fruchtgärten, Djungeln und
Cocoswald, eingenommen wird. Ueberall kehren in diesem
paradiesischen Dorfgarten dieselben landschaftlichen Elemente wieder:
niedrige braune Erdhütten, beschattet von Brotfrucht- und
Mangobäumen, von Cocos- und Arecapalmen, und umkränzt
von Pisanggebüschen; verziert mit den Riesenblättern der
Caladien und Ricinus, den zierlichen Papayabäumen,
Manihotstauden und anderen Nutzpflanzen. Auf Bänken vor den
offenen Hütten liegen die faulen Singhalesen in süßem
Nichtsthum ausgestreckt und betrachten sich ihre ewig grüne
Umgebung, oder beschäftigen sich mit Ablesen kleiner
weißer Insecten von ihren langen schwarzen Haaren. Nackte Kinder
spielen überall am Wege oder haschen nach den bunten
Schmetterlingen und Eidechsen, die denselben beleben. Zu gewissen
Tageszeiten begegnet man auf den vielbefahrenen Wegen zahlreichen
Ochsenkarren, kleinere einspännigen und größere
zweispännigen; sie bilden das wichtigste - ja fast das einzige -
Transport- und Communicationsmittel der Eingebornen. Die Ochsen
gehören alle zu der Art des Zebu oder indischen Buckelochsen
(Bos indicus), ausgezeichnet durch den Höcker hinten auf
dem Nacken. Der Zebu tritt aber, ähnlich wie unser
europäisches Rind, in vielen verschiedenen Rassen auf; eine kleine
Rasse läuft recht schnell und flink. Pferde gebrauchen die
Eingebornen nur selten und Esel fehlen auf Insel ganz. Dagegen sind
allenthalben vor den Hütten Hunde („Pariah-Dogs" genannt) zu
finden, alle von derselben Rasse, häßliche und struppige
braungelbe Tiere, welche durch Form, Farbe und Benehmen ihre
Abstammung vom wilden Schakal zu verrathen scheinen. Ueberall sind
ferner die kleinen schwarzen Schweine (Sus indicus), daneben oft
auch hochbeinige magere Ziegen, seltener Schafe anzutreffen; stets
findet man vor den Häusern viele Hühner, seltener Enten
und Gänse. Das sind die einfachen und stets wiederkehrenden
Elemente, aus welchen sich die Dorfscenerie von Südwest-Ceylon
zusammensetzt. Aber diese Elemente finden sich in so reizender
malerischer Unordnung und in so unendlicher individueller
Abwechselung vor; sie sind so wundervoll vom Glanze der tropischen
Sonne beleuchtet und gefärbt; und der nahe Meeresstrand oder
das Flußufer verleiht ihnen so viel frischen Reiz, der waldige
Hintergrund, oder auch darüber noch das blaue Gebirgsland der
Ferne so viel Poesie, daß man nicht müde wird, sich daran zu
ergötzen, und daß sowohl der Landschafts- als der
Genremaler hier eine unendliche Fülle der schönsten Motive
finden würde - Motive, die auf unseren
Gemäldeausstellungen der Gegenwart fast noch unbekannt sind.
Von ganz besonders schöner Wirkung ist in dieser ceylonesichen
Niederlandschaft die Mittelstellung, welche sie zwischen Garten- und
Waldlandschaft, zwischen Cultur und Natur einnimmt. Oft glaubt man
mitten im schönsten wilden Walde zu sein, rings umgeben von
hohen prächtigen Bäumen, die mit Schlingpflanzen behangen
und überwuchert sind. Aber eine Hütte, die ganz im Schatten
eines Brotfruchtbaumes versteckt ist, ein Hund oder ein Schwein, das
aus dem Gebüsch hervorkomt, spielende Kinder, die unter
Caladiumblättern sich verbergen, belehren uns, daß wir nur
in einem ceylonesischen Garten uns befinden. Und umgekehrt bietet der
wirkliche Wald, der an letzteren anstößt, mit seiner
mannigfaltigen Zusammensetzung aus den verschiedensten tropischen
Bäumen, mit den Orchideen, Gewürznelken, Lilien,
Malvaceen und anderen prächtigen Blüthenpflanzen, soviel
Abwechslung, daß wir in einem schönen Baumgarten zu sein
glauben. Diese eigenthümliche Harmonie zwischen Natur und
Cultur spricht sich auch in der menschlichen Staffage dieser
Waldgärten aus; denn die Einfachheit der Kleidung und Wohnung
der Singhalesen in denselben ist so groß, daß sie
großentheils den bekannten Beschreibungen von echten „Wilden"
entsprechen, obwohl sie einem alten Culturvolk entstammen.
Doppelt anziehend und malerisch erscheint das Alles in der kühlen
Morgenfrühe, wenn die Strahlen der Sonne noch unter kleinen
Winkeln in das Baumwerk fallen, lange Schatten der schlanken
Stämmer werfen und in den gefiederten Kronen der Palmen, auf
den zerspaltenen Riesenblättern des Pisang mit tausend
glänzenden Lichtern spielen. Während meiner Anwesenheit,
zur Zeit des Nordost-Monsun, waren die klaren Morgenstunden bei
wolkenlosem Himmel und kühlender Seebrise fast immer
köstlich frisch und glanzvoll, wenn auch das Thermometer meist
nicht unter 20o R., selten bis 18o sank; erst
zwischen 9 und 10 Uhr begann die Hitze drückend zu werden und
sammelten sich die Wolken, die dann meistens nachmittags in einem
heftigen Regen sich entluden. War dieser um 4 oder 5 Uhr
vorüber, so erschienen dann wieder die letzten Abendstunden
doppelt herrlich und erquickend, um so mehr, als gewöhnlich die
sinkende Sonne das westliche Firmament mit einem Glanze vergoldete
und die Abendwolken mit einer Farbengluth übergoß, die
jeder Beschreibung spotten. Jedoch war gerade in diesem Jahre die
Witterung keineswegs so regelmäßig wie gewöhnlich
und bot vielfach Abweichungen von der Norm. Im Ganzen blieb meine
Reise vom Wetter sehr begünstigt und nur an wenigen Tagen
vereitelte anhaltender, schon früh beginnender Regen die
Tagesordnung der Arbeit oder der Excursion, die ich mir vorgesetzt
hatte.
Nach einer zweistündigen, sehr unterhaltenden Fahrt langten wir
in dem Dorfe Kaduwella an, welches an einer starken Biegung des
Kelanyflusses sehr malerisch gelegen ist. Ganz besonders hübsch
präsentirt sich auf einem erhöhten Vorsprung am Flusse,
unter dem Schatten der schönsten Bäume, das Rasthaus, in
dem wir abstiegen und ausspannten. „Rasthäuser" oder
„ R e s t h ä u s&
nbsp;e r " (Rest-houses) nennt man in Ceylon, wie in
Indien, die Häuser, welche die Regierung hat errichten lassen und
welche unter ihrer Aufsicht stehen. In ganz Ceylon existiren nur in drei
Städten Hotels, in Colombo, Galla und Kandy. Der Eingeborne
bedarf solcher nicht. Der europäische Reisende ist daher entweder
ganz auf die Gastfreundschaft europäischer Ansiedler (wo solche
vorhanden sind!) oder auf die Regierungs-Rasthäuser angewiesen,
und letztere erfüllen in der That eins der größten
Bedürfnisse. Der Wirth derselben, der von der Regierung
angestellte und beaufsichtigte „Resthous-Keeper" ist verpflichtet,
dem Reisenden gegen einen geringe (an die Regierung auszuzahlende)
Entschädigung ein Zimmer mit Bett (meistens für eine Rupie
= zwei Mark) zu überlassen, sowie auch auf Verlangen die
nöthigsten Nahrungsmittel zu liefern. Preise und Qualität der
letzern sind sehr verschieden; ebensowie auch die Beschaffenheit der
Rasthäuser selbst. In dem südwestlichen Theile der Insel, wo
ich hauptsächlich reiste, fand ich sie im Allgemeinen gut und
preiswürdig, so namentlich in Belligemma, wo ich später
für sechs Wochen im Rasthause mein Laboratorium aufschlug.
Dagegen sind die Rasthäuser in einem großen Theile des
Innern, und namentlich im Norden und Osten der Insel, meistens
schlecht und sehr theuer; in Newera Ellya mußte ich z. B.
später für jedes Hühnerei einen halben, für jede
Tasse Thee einen ganzen Schilling (=1 Mark) zahlen! Das Rasthaus von
Kaduwella, das erste, welches ich sah und benutzte, gehörte zu den
bescheideneren und kleineren, und wir unsern sämmtlichen
Proviant mitgebracht hatten, lieferte es uns nur Stühle zum Sitzen,
Wasser und Feuer zum Kochen, und in seiner offenen luftigen Veranda
ein angenehmes Schutzdach gegen Sonne und Regen; auch dafür
wird nach der Taxe bezahlt. (Umsonst ist in Indien nur der Tod!)
Wir brachen gleich nach unserer Ankunft mit unseren Gewehren auf,
um die herrlichen Morgenstunden möglichst auszunutzen.
Südlich an den Kelany-Ganga stößt gleich hinter dem
Dorfe ein wellenförmiges Hügelland, über welches sich
die Jagdgesellschaft zerstreite. Die tiefer gelegenen Theilse desselben
sind mit Graswiesen und Reisfeldern bedeckt, vielfach von
Wassergräben und Canälen durchschnitten und mit kleinen
Seen geschmückt, inn welche letztere münden. Die
höheren Theile hingegen, meistens sanft gewölbte
Hügel von 100-300 Fuß Höhe, sind mit dichtem
Buschwald oder dem hier allgemein so genannten
„ D j u n g l e "
bewachsen. Ich lernte hier zuerst diese charakteristische Form der
Landschaft kennen, die auf der ganzen Insel, soweit sie nicht cultivirt
ist, eine große Rolle spielt. Das Djungle ist zwar nicht eigentlicher
„ U r w a l d ", d. h. uralter,
nie vom Menschen betretener Wald (solcher existirt in Ceylon nur noch
an sehr wenigen Stellen und in sehr geringer Ausdehnung); allein es
entspricht doch unserer Vorstellung von demselben insofern, als es, bei
hoher Entwicklung, eine Waldform darstellt, die aus einem dichten und
undurchdringlichen Geflecht der verschiedensten Bäume besteht;
diese sind ohne alle Ordnung und frei von allem menschlichen
Einfluß emporgeschossen und dergestalt wild durcheinander
gewachsen, von den mannigfaltigsten Schling- und Kletterpflanzen
überwuchert und bedeckt, mit parasitischen Farnen, Orchideen
und anderen Schmarotzern überhäuft, ihre Lücken
dergestalt mit einem bunten Gewirre der verschiedensten anderen
Pflanzen ausgefüllt, daß es ganz unmöglich hält,
den dichten Knäuel zu entwirren und die einzelnen durcheinander
geflochtenen Gestalten von einander abzulösen.
Das ein solches Djungle, gut ausgebildet, ohne Axt und Feuer wirklich
undurchdringlich ist, davon überzeugte ich mich schon beim
ersten Versuche, in dasselbe einzudringen. Eine gute Stunde hatte ich
gebraucht, um mich nur wenige Schritte in das Dickicht hinein zu
arbeiten; dann aber stand ich völlig entmuthigt von weiteren
Versuchen ab; zerstochen vn Moskitos, zerbissen von Ameisen, mit
zerrissenen Kleidern, blutenden Armen und Beinen, verwundet von
tausend Stacheln und Dornen, mit denen die Kletterpalmen
(Calamus), und die Klettermalven (Hibiscus), die
Euphorbien, Lantanen und eine Menge anderer Djungelpflanzen jeden
Versuche abwehren, in ihr geheimnisvolles Labyrinth einzudringen.
Aber umsonst war dieser Versuch doch nicht, denn ich lernte bei dieser
Gelegenheit nicht allein den Charakter des Djungle im Ganzen, und
besonders die Pracht seiner Bäume und Lianen kennen, sondern
ich sah auch viele einzelne Pflanzengestalten und Thierformen, die
für mich von höchstem Interesse waren; ich die
prächtige Gloriosa superba, die giftige Kletterlilie von Ceylon
mit ihrer goldrothen Krone; den stacheligen Hibiscus radiatus mit
großen schwefelgelben, im Grunde violetten Blumenkelchen;
umflattert von riesigen schwarzen Schmetterlingen mit blutrothen
Flecken auf ihren schwanzförmigen Flügelanhängen,
von metallglänzenden Prachtkäfern u. s. w. Was micht aber
am meisten freute, ich stieß hier gleich im ersten Djungle, das ich
auf Ceylon betrat, auf die beiden meist charakteristischen Bewohner
desselben aus den beiden höchsten Thierclassen, auf Papageien
und Affen. Ein Schwarm grüner Papageien flog kreischend von
einem hohen, weit über das Djungle vorragenden Baume auf, als er
meiner Flinte ansichtig wurde; und ebenso sprang eine Heerde
großer schwarzer Affen unter knurrendem Geschrei eiligst in das
Dickicht; weder von jenen noch von diesen gelang es mir, einen zu
schießen; sie schienen die Wirkung des Feuergewehrs sehr gut zu
kennen. Ich tröstete mich aber damit, daß der erste
Schuß, den ich heute that, mir eine colossale, über sechs
Fuß lange Riesen-Eidechse lieferte, den merkwürdigen, von
den abergläubischen Eingeborenen sehr gefürchtete
H y d r o s a u&nbs
p;r u s
s a l v a t o r&nbs
p;. Das gewaltige, krokodilähnliche Thier sonnte sich auf dem
Rande eines nahen Wassergrabens und der erste Schuß traf so
glücklich in den Kopf, daß es augenblicklich verendete; trifft
der Schuß andere Körpertheile, so springen die
zählebigen Thiere gewöhnlich rasch in das Wasser und
verschwinden; mit ihrem mächtigen, hart gepanzerten und scharf
schneidenden Schwanze können sie sich so gut vertheidigen,
daß ein Schlag desselben bisweilen eine gefährliche Wunde
verursachen oder selbst ein Bein zerschmettern soll.
Nachdem wir mehrere Gräben durchwatet hatten, wanderten wir
durch lichtes Gehölz auf einem reizenden Pfade aufwärts zu
einem bewaldeten Hügel, der durch einen
B u d d h a -
T e m p e l berühmt
ist, den Gegenstand vieler Wallfahrten. Wir trafen dabei auf mehrere
Hüttengruppen, welche im dichten Waldesschatten unter den
säulengleichen Stämmen riesiger Bäume (Terminalien
und Sapinden) wie Kinderspiellzeuge aussahen. Weiterhin kamen wir
auf eine sonnigere Lichtung, in der bunte Schmetterlinge und
Vögel in großer Zahl umherflogen, besonders schöne
Spechte und Waldtauben. Endlich führte uns eine Treppe zwischen
Talipotpalmen aufwärts zu dem Tempel. Dieser liegt ungemein
malerisch mitten in hohem Walde, unter dem Schutze eines gewaltigen
Granitfelsens verborgen. Eine weite natürliche Grotte, die
wahrscheinlich künstlich erweitert ist, geht tief in die Unterseite
der überhängenden Felsmasse hinein. Die Säulenhalle
des Tempels (mit sechs Rundbogen an der Frontseite, frei an der
schmalen Giebelseite) ist so in die Grotte hineingebaut, daß der
nackte Felsen nicht allein die hintere Wand des Tempels bildet, sondern
auch das Material für die liegende, an letztere angelehnte
Colossalstatue des Buddha selbst. Die Figur des Gottes ist in allen
Buddhatempeln, welche ich auf Ceylon besucht habe, stereotyp dieselbe,
ebenso wie die monotone Wandmalerei, welche an den inneren
Tempelwänden Scenen aus seiner irdischen Lebensgeschichte
darstellt. Dieselbe erinnert in ihrer steifen Zeichnung und den einfachen
grellen (vorzugsweise gelben, braunen und rothen) Farben vielfach an
die altägyptischen Wandmalereien, obwohl si eim Einzelnen sehr
verschieden sind. Die liegende Colossalfigur des Buddha, die auf dem
rechten Arme ruht und in ein gelbes Gewand gekleidet ist, zeigt stets
den gleichen apathischen und indifferenten Ausdruck und erinnert an
das starre Lächeln der alten Aegineten-Statuen. Neben den
meisten Buddhatempeln findet sich eine sogenannte Dagoba, eine
glockenförmige Kuppel ohne Oefnnung, deren Inneres angeblich
stets eine Reliquie des Gottes einschließt. Ihre Größe ist
sehr verschieden, von der einer großen Kirchenglocke bis zum
Umfange der Peterskuppel in Rom. In der Nähe der Dagoba steht
gewöhnlich ein großer alter Bo-Gaha oder heiliger
Feigenbaum (Ficus religiosa). An vielen Orten von Ceylon
gehören diese „Buddhabäume" mit ihrem mächtigen
Stämmen, dem phantastisch verzweigten Wurzelwerk und der
colossalen Laubkrone zu den größten Zierden der malerischen
Tempelumgebung; ihre herzförmigen, zugespitzten, langgestielten
Blätter sind beständig in lispelnder Bewegung, gleich unserm
zitternden Espenlaube.
Eine Felsentreppe hinter dem Tempel führt auf die obere
Fläche des Felsens hinauf, von der man eine hübsche
Aussicht über das benachbarte waldige Hügelland und
weiterhin über die Ebene bis zum Flusse hat. Die nächste
Umgebung des Tempels ist mit schönen Palmen- und
Bananengruppen verziert, und hinter diesen bildet undurchdringliches
Waldickicht mit Lianengeflecht einen geheimnisvollen Hintergrund, der
Weihe des heiligen Ortes entsprechend. Vorn kauerte auf einem Felsen
an der Treppe als charakteristische Staffage ein alter, kahlköpfiger
Buddhapriester in gelbem Talar. Während ich eine Aquarell-Skizze
aufnahm, kletterte ein singhalesischer Knabe auf eine nahe Cocospalme
und holte mir einige goldgelbe Früchte derselben herab. Ich fand
das säuerlichsüße kühle Wasser in ihrem Innern,
die sogeannte „Cocosmilch", die ich hier zum ersten Male kostete, bei der
drückenden Mittagshitze außerordentlich erquickend.
Der Rückweg vom Felsentempel nach Kaduwella führte uns
durch einen anderen Theil des Waldes, der wieder eine Anzahl neuer
Insecten, Vögel und Pflanzen zeigte; unter Anderen den
berühmten Tiek-Baum (Tectonia grandis), sowie einige
Riesen-Exemplare der cactusförmigen Wolfsmilch (Euphorbia
antiquorum) mit nackten, blaugrünen prismatischen Aesten.
Der letzte Theil des Weges, durch sumpfige Wiesenflächen, war
tüchtig heiß, und nach der Rückkehr in das Rasthaus
war unser Erstes ein Schwimmbad im Flusse, eine herrliche Erquickung,
auf welche das nachfolgende fröhliche Frühstück
doppelt mundete. Am Nachmittage setzte ich mit Einigen aus der
Gesellschaft auf einer Fähre über den Fluß und machte
einen Streifzug in den Wald auf dem rechten (nördlichen) Ufer
desselben. Hier lernte ich wieder ein Anzahl anderer, mir bis dahin
unbekannter Pflanzenformen (namentlich Aroideen und Cannaceen)
kennen und bewunderte auf's Neue den außerordentlichen
Reichthum der Flora, der hier auf engem Raume ene Fülle ihrer
schönsten und mannigfaltigsten Producte vereint. An den Ufern
des Flusses selbst bilden herrliche Bambus-Gruppen, abwechselnd mit
Terminalien, Cedrelen und Mangroven, den vorwiegenden Waldbestand.
Ich schoß einige grüne Waldtauben und große
Eisvögel, doppelt so groß und so glänzend als unsere
einheimischen.
Spät am Abend kehrten wir reich beladen mit zoologischen,
botanischen und artistischen Schätzen nach Colombo zurück.
Ich habe nachher noch viele genußreiche Tage im Djungle und an
den Flußufern von Ceylon verlebt (und zum Theil an viel
schöneren als Kaduwella war). Wie aber so oft im Leben die
e r s t e n Eindrücke
von neuen und fremdartigen Gegenständen weitaus die tiefsten
und bleibendsten sind, und von späteren, stärkeren
derselben Art nicht verdunkel werden, so wird mir auch der erste Tag
im Djungle von Kaduwella immer unvergeßlich sein.
VI. Peradenia.
In der Centralprovinz von Ceylon liegt 1500 Fuß über dem
Meere deren Hauptstadt, die frühere Königsstadt der Insel,
das berühmte Kandy, und nur wenige Meilen davon entfernt ein
kleiner Ort, Peradenia, welcher vor 500 Jahren ebenfalls für kurze
Zeit Residenz eines alten Königs war. In diesem Orte wurde 1819
von der englischen Regierung ein botanischer Garten angelegt und
Dr. Gardner mit dessen Direktion betraut. Sein Nachfolger,
Dr. Twaites, der verdienstvolle Verfasser einer ersten „Flora
ceylanica", that während 30 Jahren Alles, um diesen Garten
seinen besonderen klimatischen und localen Vorzügen
entsprechend auszubauen und zu heben. Als er vor wenigen Jahren
zurücktrat, wurde Dr. Henry Trimen zum Direktor ernannt,
und von diesem erhielt ich, kurz nach meiner Ankunft auf Ceylon, eine
überaus freundliche Einladung. Ich folgte derselben um so lieber,
als ich von der seltenen Pflanzenpracht Peradenia´s schon in Europa viel
gelesen und gehört hatte. Und meine hohen Erwartungen wurden
nicht getäuscht. Wenn Ceylon in Wahrheit für den Botaniker
wie für jeden Pflanzenfreund ein Paradies ist, so darf Peradenia
wieder das Herz dieses botanischen Paradieses genannt werden.
Peradenia und Kandy sind durch eine Eisenbahn (die erste in Ceylon)
mit Colombo verbunden. Die Fahrzeit beträgt 4-5 Stunden. Ich
fuhr am 4. December Morgens 7 Uhr von der Central-Station Colombo´s
ab und war um 11 Uhr in Peradenia. Gleich allen echten
„Europäern" in Ceylon mußte ich erster Classe fahren
(Couleur blanche oblige). Zweiter Classe fahren nur die gelben und
gelbbraunen „Burgers und Half-Casts", die Nachkommen und Mischlinge
der Portugiesen und Holländer. Und dritter Classe fahren
natürlich die „Natives", die braunen Singhalesen und die
schwarzbraunen Tamils. Mich wundert nur, daß man für die
letzteren nicht noch eine vierte, und für die niedersten, am
meisten verachteten Kasten, die „Low-Casts", eine fünfte
Wagenclasse eingerichtet hat. Die Natives sind übrigens große
Freunde des Eisenbahnfahrens, des einzigen Vergnügens, für
das sie viel Geld ausgeben; um so mehr als es billig ist. Gleich nach
Eröffnung der Eisenbahn und bis auf den heutigen TGag fahren
viele Eingeborene tagtäglich auf der wunderbaren Bahn hin und
her, bloß des Vergnügens halber! Die Wagen sind luftig und
leicht, diejenigen erster Classe mit guten Schutzmaßregeln gegen
das heiße Klima, breiten Schutzdächern und Jalousien. Die
Zugführer und die weißgekleideten, durch Sonnenhelme
geschützten Schaffner sind Engländer. Gute Ordnung und
Pünktlichkeit herrscht, wie auf allen englischen Bahnen.
Die ersten beiden Stunden der Eisenbahnfahrt von Colombo nach
Peradenia führen durch Flachland, das großentheils mit
sumpfigem Djungle, abwechselnd mit Reisfeldern und Sumpfwiesen,
bedeckt ist. Auf letzteren liegen zahlreiche schwarze Büffel, halb
im Wasser; zierliche weiße Reiher lesen ihnen die Insekten ab.
Weiterhin tritt die Bahn allmälig näher an das Gebirge
heran, und bei der Station Rambukkana beginnt sie dasselbe zu
erklimmen. Die einstündige Strecke zwischen dieser und der
nächstfolgenden Station,
K a d u g a n n
a w a , gehört in landschaftlicher Beziehung zu
den schönsten, welche ich kenne. Die Bahn windet sich in vielen
Krümmungen an dem steilen nördlichen
Felsengehänge einer mächtigen weiten Thalmulde
aufwärts. Anfänglich wird der Blick noch vorzugsweise
durch den mannigfaltigen Wechsel des nahen Vordergrundes gefesselt;
mächtige graue Gneißblöcke erheben sich mitten aus
den üppigen Massen dichtesten Waldes, welcher die engen
Seitenschluchten erfüllt; Lianen in den zierlichsten Formen
verschlingen die Wipfel der hoch daraus hervorragenden Bäume;
reizende kleinen Wasserfälle stürzen von den Höhen
herab; und in der Nähe der Bahnlinie ist oft die schöne, jetzt
selten besuchte, früher dicht befahrene Landstraße sichtbar,
welche die englische Regierung von Colombo nach Kandy anlegte und
welche ihr die dauernde Herrschaft über letzteres erst
ermöglichte.
Weiterhin schweift aber der Blick bald über den weiten
grünen Thalkessel, welcher zu unseren Füßen sich
immer großartig eröffnet, bald zu den hohen blauen
Bergketten, die sich an seiner jenseitigen, südlichen Wand stolz
und starr erheben. Obwohl im Ganzen die Gestalten der Hochlandberge
einförmig und nicht sehr malerisch sind (meistens
flachgewölbte Kuppen von Granit und Gneiß), so machen sich
doch einzelne hervorragende Höhen besonders bemerkbar, so hier
der abgestutzte Tafelberg, der den Namen des Bibelfelsen führt
(Bible-Rock). Eine der großartigsten und
überraschendsten Ansichten bietet aber der „Sensation-
Rock". Hier läuft die Bahn, nachdem sie durch mehrere Tunnels
hindurchgetreten, unter überhängenden Felsen unmittelbar
am Rande eines Abgrundes hin, der fast senkrecht 1200-1400 Fuß
in die grüne Tiefe hinabstürzt. Brausende Wasserfälle,
die links von der hohen Felsenwand herabschäumen, gehen unter
Brücken des Bahnkörpers hindurch und lösen sich
rechts, mit gewaltigem Sprunge, in nebelhafte Staubbäche auf, ehe
sie den Fuß des Abgrundes erreichen; im auffallenden
Sonnenschein bilden sie schimmernde Irisbogen.
Der grüne Thalgrund tief zu unseren Füßen ist theils
mit Djungle, theils mit Culturland bedeckt, in welchem sich viele
zerstreute Hütten, Gärten und terrassenförmig
abgestufte Reisfelder erkennen lassen. Ueber dem niederen
Gebüsch ragen allenthalben die Riesenstämme der
mächtigen
T a l i p o t -
P a l m e hervor, der stolzen
Königin unter den Palmen von Ceylon (Corypha
umbraculifera). Ihr ganz gerader weißer Stamm gleicht einer
schlanken Marmorsäule und erreicht über 100 Fuß
Höhe. Jedes einzelne von den fächerförmigen
Blättern der mächtigen Gipfelkrone bedeckt einen Halbkreis
von 12-16 Fuß Durchmesser, eien Flächenraum von 150-200
Quadratfuß; sie finden gleich allen Theilen der Pflanze vielfache
Verwendung, namentlich als Schutzdach, sind aber besonders
berühmt, weil sie bei den Singhalesen früher die Stelle des
Papieres ausschließlich vertraten und auch jetzt noch vielfach als
solches dienen. Die alten „Puskola"-Manuscripte in den Buddha-
Klöstern sind alle mit eisernen Griffeln auf solches „Ola"-Papier
geschrieben, auf schmale Streifen von Talipot-Blättern, welche
gekocht und getrocknet wurden. Die stolze Talipot-Palme blüht
nur einmal in ihrem Leben, gewöhnlich zwischen dem 50. und 80.
Lebensjahre; der stattliche pyramidenförmige Blüthenbusch,
auf dem Gipfel unmittelbar oberhalb des Blätterschopfes, erreicht
die Länge von 30-40 Fuß und setzt sich aus Millionen kleiner
gelblich weißer Blüthen zusammen; sind die Nüsse
derselben gereift, so stirbt der Baum ab. Ein glücklicher Zufall
fügte es, daß gerade während meiner Anwesenheit eine
seltene Menge von Talipot-Palmen in Blüthe standen; zwischen
Rambukkana und Kadugannawa zählte ich deren über 60,
auf der ganzen Bahnstrecke über 100. Viele Exkursionen wurden
von Colombo hierher gemacht, um das seltene und großartige
Schauspiel zu betrachten.
Auf dem Passe von Kadugannawa, nahezu 2000 Fuß über
dem Meere, hat die Eisenbahn sowohl, wie die benachbarte
Landstraße ihren höchsten Punkt erreicht; zu Ehren des
Erbauers der letzteren, Capitän Dawson, steht hier eine
leuchtthurmartige Denksäule. Wir befinden uns hier zugleich auf
einer Wasserscheide. Die zahlreichen Bäche, die wir vorher gleich
Silberfäden den grünen Sammetgrund des Thales
durchziehen sahen, laufen sämmtlich entweder zum Kelany-Ganga
oder zum Maha-Oya, die beide auf der Westküste münden.
Die Bäche hingegen an dem östlichen Sattel des
Kadugannawa ergießen sich alle in den unweit südlich
entspringenden Mahawelli-Ganga, den größten Fluß der
Insel, welcher 134 englische Meilen lang ist und an der Ostküste
bei Trinkomalie mündet. Längs der Ufer des letzteren, neben
denen sich Pflanzungen für Zuckerrohr ausdehnen, führte
uns die Bahn in einer Viertelstunde nach Peradenia hinab, der letzten
Station vor Kandy.
Als ich um 11 Uhr in
P e r a d e n i a
anlangte, fand ich auf dem Bahnhofe bereits Dr. Trimen
vor, welcher mich auf das Freundlichste bewillkommnete und in seiner
Kalesche nach dem eine englische Meile entfernten botanischen Garten
führte. Unmittelbar vor letzterem überschreitet die
Straße den schäumenden Fluß auf einer schönen
Brücke von Satin-Wood, deren einziger Bogen über 200
Fuß Spannweite hat. Bei gewöhnlichem Wasserstande liegt
dessen höchste Spannung etwa 70 Fuß über dem
Flusse. Man bekommt aber eine Vorstellung von den ungeheuren
Wassermassen, die nach heftigen Regengüssen in die Flüsse
von Ceylon herabstürzen, wenn man erführt, daß dann
bisweilen der Wasserstand des Stromes um 50-60 Fuß steigt und
der Spiegel desselben nur 10-20 Fuß unter der Brücke liegt.
Zum Eingang in den Garten führt eine Allee von prachtvollen alten
G u m m i b ä u
m e n (Ficus elastica). Das ist derselbe
indische Baum, dessen eingedickter Milchsaft das
K a u t s c h u k
liefert und von welchem man bei uns im kalten Norden sehr
häufig unge Pflanzen im geheizten Zimmer sieht, um an dem
uppigen Saftgrün des dicken lederartigen eiförmigen Blattes
sich zu erfreuen. Während aber bei uns solche
Gummibäume, wenn ihre fingerdicken Stämme die Decke
des Zimmers erreichen und einige fünfzig Blätter auf ihren
paar Aesten tragen, bereits bewundert werden, entwickelt sich hier im
heißen Vaterlande dieselbe Pflanze zu einer riesigen Baumgestalt
ersten Ranges, welche mit unseren stolzesten Eichen wetteifert. Eine
ungeheure Krone von vielen tausend Blättern bedeckt mit ihren
mächtigen 40-50 Fuß langen und horizontal ausgestreckten
Zweigen den Flächenraum eines stattlichen Palastes, und von der
Basis des dicken Stammes geht unten eine Wurzelkrone aus, welche oft
zwischen 100 und 200 Fuß Durchmesser hat, weit mehr als die
Höhe des ganzen Baumes beträgt. Diese erstaunliche
Wurzelkrone besteht meistens aus 20-30 Hauptwurzeln, welche von
ebensovielen vortretenden Rippen des unteren Stammendes abgehen
und gleich kriechenden Riesenschlangen sich über den Boden
ausbreiten; der Gummibaum heißt daher auch bei den
Eingeborenen „Schlangenbaum" und ist von Dichtern mit dem von
Schlangen umwundenen Laokoon verglichen worden. Häufig
erheben sich dabei zugleich die Wurzeln über den Boden gleich
starken senkrecht stehenden Brettern und bilden so mächtige
Stützpfeiler, auf denen der Riesenstamm unbewegt dem Sturm
Trotz bietet. Die Zwischenräume zwischen den Stützpfeilern
bilden förmliche Kammern oder Schilderhäuser, in denen
sich ein aufrecht stehender Mann verstecken kann. Aehnliche
Pfeilerwurzeln entwickeln sich übrigens hier auch bei anderen
Riesenbäumen aus verschiedenen Familien.
Kaum hatte ich meinem Erstaunen über diese Allee von
Schlangenbäumen Ausdruck gegeben, als bereits, unmittelbar nach
dem Eintritt in das Gartenthor, ein anderer wunderbarer Anblick das
Auge fesselte. Da stand zur Begrüßung des
Ankömmlings ein riesiges Palmenbouquet, in welchem neben allen
einheimischen Palmen der Insel auch eine Anzahl ausländischer
Vertreter dieser edelsten Tropenbäume versammelt waren; alle
bekränzt mit blumenreichen Schlingpflanzen und den Stamm
geschmückt mit den zierlichsten Farn-Parasiten. Eine zweite, aber
noch schönere und größere Palmengruppe stand
weiterhin am Ende der Eingangsallee und war zudem noch mit einem
herrlichen Kranze von Blüthenpflanzen umgeben. Unser Fahrweg
bog hier nach beiden Seiten ab und führte links eine kleine
Anhöhe zum Bungalow des Directors hinauf. Das beneidenswerthe
Daheim desselben ist gleich den meisten Villen in Ceylon ein niedriges
einstöckiges Gebäude, von einer luftigen Veranda umgeben,
deren weit vorspringendes Schutzdach von einer weißen
Säulenreihe getragen wird. Säulen und Dach sind mit einer
Fülle der schönsten Kletterpflanzen,
großblüthigen Orchideen, duftenden Vanillen,
prächtigen Fuchsien und anderen bunten Blumen
geschmückt; und eine auserlesene Sammlung der schönsten
blühenden Prachtpflanzen und Farne ziert die Beete, die das Haus
umgeben. Darüber erheben sich die schattenspendenden Kronen
der edelsten indischen Bäume. Zahlreiche bunte Schmetterlinge
und Käfer, Eidechsen und Vögel beleben das reizende Bild.
Besonders niedlich nehmen sich darin aber die zierlichen kleinen
dreistreifigen Eichhörnchen aus, welche in den Gärten von
Ceylon überaus häufig und sehr zutraulich sind (Sciurus
tristriatus).
Da die Villa auf dem höchsten Hügel des Gartens liegt und
unmittelbar unter derselben ein weiter sammtgrüner
Rasenteppich sich herabsenkt, so umfaßt der Blick von der offenen
Säulenhalle einen großen Theil des flacheren Gartens, mit
einigen der schönsten Baumgruppen und mit einem Kranze hoher
Bäume, welcher den Wiesengrund einschließt. Ueber diesen
Parkwald erheben sich die bewaldeten Häupter der Bergkette, von
welcher der Thalkessel von Peradenia umgeben ist. Der reißende
Mahawelli-Fluß strömt in weitem Halbkreisförmigen
Bogen um den ganzen Garten und trennt ihn von jener Bergkette. Der
Garten liegt demnach eigentlich auf einer hufeisenförmigen
Halbinsel; auf der Landseite, wo er an den Thalgrund von Kandy
anstößt, ist er durch eine hohe und undurchdringliche Hecke
von dichtem Bambusgestrüpp, bewaffnet mit der dernigen Rotang-
Palme und anderen Kletterpflanzen vollständig geschützt. Da
nun auch das Klima (bei 1500 Fuß Meereshöhe)
außerordentlich günstig ist, und die tropische Hitze des
eingeschlossenen Thalkessels im Verein mit großer Regenmenge,
welche sich an den benachbarten Bergen niederschlägt, au sdem
Peradenia-Garten ein natürliches Riesentreibhaus ersten Ranges
macht, so läßt isch begreifen, daß hier die Tropenflora
ihre wunderbare Schöpfungskraft im allerhöchsten
Maße entfaltet.
Schon die erste Wanderung durch den Garten an der Hand des
kenntnißreichen Directors überzeugte mit davon, daß
das in der That der Fall sei; und obschon ich soviel von allen besonderen
Reizen der üppigsten tropischen Vegetation gelesen und
gehört, so lange ihren Anblick ersehnt und herbeigewünscht
hatte, so übertraf doch jetzt der unmittelbare Genuß der
fabelhaften Wirklichkeit in der That meine höchsten Erwartungen
- und zwar, nachdem ich bereits in Bombay und in Colombo, sowie in der
Umgebung dieser beiden Städte, die wichtigsten Formen der
Tropenflora hatte kennen lernen! In der vier Tagen, welche ich jetzt in
Peradenia verleben durfte, gewann ich für meine Anschauungen
vom Leben und Wesen der Pflanzenwelt mehr, als durch das eifrigste
botanische Studium zu Hause in ebensovielen Monaten. Ja, als ich zwei
Monate später den Garten von Peradenia zum zweiten (und leider
letzten!) Male betrat, und als ich noch drei glückliche Tage in
diesem Paradiese verweilen durfte, da empfand ich beim endlichen
Scheiden zuletzt noch dasselbe hohe Entzücken, wie damals beim
ersten Anblick desselben - nur mit ungleich tieferem
Verständniß und gereifter Erkenntniß. Ich kann daher
meinem lieben Freund Dr. Trimen für seine gütige
Gastfreundschaft und seine reiche Belehrung nicht dankbar genug sein;
die sieben Tage in seinem reizenden Bungalow waren für mich
sieben wahre Schöpfungstage!
Zur Zeit war in Peradenia auch noch ein anderer englischer Botaniker
anwesend, Dr. Marshall Ward, der größtentheils in
Deutschland seine Studien vollendet hatte, mit seinem officiellen Titel:
„Royal Cryptogamist". Die englische Reigerung hatte ihn vor zwei Jahren
hierher geschickt, um die „Coffee-Leaf-Disease" zu studiren, die
furchtbare Pilzkrankheit der Blätter des Kaffeebaumes, welche seit
einer Reihe von Jahren mit zunehmender Heftigkeit in den
Kaffeepflanzungen wüthet, einen großen Theil dieser
kostbaren Culturpflanze der Insel zerstörte und ungeheure
Summen von Nationalvermögen vernichtete. Dr. Ward hatte
eine Reihe vortrefflicher Beobachtungen und Experimental-
Untersuchungen über dieselbe angestellt und die Naturgeschichte
des mikroskopischen restähnlichen Pilzes (Hemileja
vastatrix) vollständig bearbeitet; es war ihm aber leider nicht
gelungen, irgend ein radicales Heilmittel dagegen zu finden. Zum Dank
für seine mühseligen Arbeitene wurde er daher in der
Presse - insbesondere von vielen Kaffeepflanzern - scharf angegriffen!
Als ob es den Hunderten von Naturforschern, welche in Europa bei
derartigen Pilzepidemien mit den genauesten Untersuchungen
beschäftigt sind, jedesmal gelungen wäre, auch gleich nach
der genauen Erkenntniß der Krankheit ein Heilmittel für
dieselbe zu finden! Bekanntlich ist das nur höchst selten der Fall.
Ueberhaupt ist unter den vielen Vorstellungen, welchen man in unsern
„gebildeten Kreisen" alltäglich begegnet, sicherlich eine der
thörichsten die, daß es „gegen jede Krankheit auch ein Mittel
geben müsse"! Der erfahrenen Arzt und Naturforscher, der die
thatsächlichen Verhältnisse kennt, weiß, daß das
nur sehr selten vorkommt und wundert sich im Gegentheil eher
darüber, daß überhaupt radicale Mittel gegen einzelne
Krankheiten existieren (wie z. B. Chinin gegen Fieber).
Es würde natürlich viel zu weit führen und den
geneigten Leser nur ermüden, wenn ich hier den vergeblichen
Versuch wagen wollte, ihm ohne Beihilfe von Abbildungen eine
ungefähre Vorstellung von dem botanischen Paradiese in
Peradenia zu geben; selbst die zahlreichen Aquarell-Skizzen und
Zeichnungen, die ich dort entworfen, würden dafür keine
genügende Aushilfe liefern. Ich muß mich daher hier auf
einige allgemeine Bemerkungen und Hervorhebung von einigen der
wichtigsten Hauptformen beschränken. Weit entfernt davon, gleich
den meisten unserer botanischen Gärten die Pflanzen in steifen
Beeten, gleich Soldaten in Reihe und Glied, dem Besucher
vorzuführen, ist die ganze Anlage des Gartens (der einen
Flächenraum von mehr als 150 Acres umfaßt) vielmehr
parkartig und ebenso auf ästhetische und physiognomische
Wirkung, wie auf wissenschaftliche und systematische Belehrung
berechnet. Die Hauptgruppen der Bäume, sowie der
zusammengehörigen Pflanzenfamilien sind sehr anmutig auf
schönen Rasenflächen vertheilt und gute Fahrwege
führen von einer zur andern. In einem mehr versteckten Theile
des Parks finden sich die weniger anziehenden Zuchtbeete und
Pflanzschulen für die nützlichen Gewächse. Fast alle
die zahlreichen Nutzpflanzen der Tropenzone (beider
Hemisphären) sind hier vertreten und von vielen werden Samen,
Früchte und Ableger an die Pflanzer und Gärtner der Insel
vertheilt. Der Garten hat dadurch seit vielen Jahren auch eine sehr
bedeutende praktische Wirksamkeit entfaltet, und sowohl als
Versuchsstation wie als Acclimatisations-Garten sehr großen
Nutzen gestiftet.
Die überaus günstigen klimatischen und topographischen
Verhältnisse, unter denen der Garten gedeiht, würden ihn
aber auch ganz vorzüglich zu einer weiteren, rein
wissenschaftlichen Verwerthung eignen, zu einer
b o t a n i s c h
en S t a t i o n. In
ähnlicher Weise, wie unsere jungen Zoologen gegenwärtig in
den neuerdings eingerichteten
z o o l o g i s c&
nbsp;h e n
S t a t i o n e n
an der Meeresküste (in Neapel, Roscoff, Brighton, Triest
etc.) unschätzbare Hilfsquellen für ihre tiefere
wissenschaftliche Ausbildung und Thätigkeit finden, würde
auch ein junger Botaniker in der „botanischen Station" zu Peradenia in
einem Jahre mehr lernen und arbeiten können, als dahein unter
viel ungünstigeren Verhältnissen in zehn Jahren! Bis jetzt ist
gerade in der Tropen-Zone, der reichsten von allen, für solche
Unterrichts- und Arbeits-Anstalten noch gar nichts gethan. Wenn die
englische Regierung in Peradenia eine botanische Station und in Galla (z.
B. in dem reizenden, vorzüglich geeigneten Bungalow von
Capitän Bayley) eine zoologische Station errichten und unterhalten
wollte, so würde sie damit, wie mit der Challenger-Expedition und
mit ähnlichen großen wissenschaftlichen Unternehmungen,
der Naturwissenschaft einen wichtigen Dienst leisten; sie würde
damit auf´s Neue die Continental-Staaten von Europa beschämen,
die ihr Geld hauptsächlich für Hinterlader und Kanonen
verwenden!
Soll ich nun unter den vielen Wunderdingen von Peradenia wenigstens
einige der wichtigsten kurz hervorheben, so muß ich wohl mit dem
berühmten
R i e s e n -
B a m b u s beginnen, dem
allgemeinen Erstaunen der Besucher. Wandern wir vom Eingang des
Gartens links nach dem Flusse hin und weiter an dessen reizendem Ufer
entlang, so erblicken wir schon von fern ungeheure grüne
Büsche von mehr als 100 Fuß Höhe und eben so viel
Breite, welche ihr gewaltiges Haupt, - gleich dem wallenden Federbusche
eines Giganten - hoch über den Fluß und über den
benachbarten Weg hinüber neigen, Schatten und Kühlung
über Beide verbreitend. Nähern wir uns, so sehen wir,
daß jeder dieser Büsche aus zahlreichen (oft 60-80)
cylindrischen schlanken Stämmen von 1-2 Fuß Dicke besteht.
Unten dicht neben einander gedrängt und aus gemeiensamer
Wurzel als Ausläufer eines kriechenden Stammes entsprossen,
strahlen sie oben büschelartig auseinander und tragen auf zarten,
nickenden Seitenzweigen eine dichte Fülle der zierlichsten
Laubblätter. Und diese Reisenbäume sind nichts Andres als
G r ä s e r ! Gleich
allen Grashalmen ist der mächtige hohe Rohrstamm in Knoten
gegliedert; aber die Blattscheide, die bei unseren zarten Gräsern
ein dünnes kleines Schüppchen am Grunde des Blattes
darstellt, ist hier beim Riesenbambus eine feste holzartige vertiefte
Platte, die ohne weitere Zubereitung als fester Panzer die ganze Brust
eines starken Mannes decken kann. In einem einzelnen Stengelgliede
kann ein dreijähriges Kind sich verstecken! Bekanntlich
gehört der Bambus zu den nützlichsten Pflanzen der Tropen-
Zone und über die Anwendung, welche alle einzelnen Theile dieser
Baumgräser bei den Eingeborenen finden, ließe sich eben so
wie über diejenige der Palmen in der That ein ganzes Buch
schreiben.
Nächst den Bumbusen - oder auch v o r
diesen! - sind es natürlich die
P a l m e n , die unser
Interesse vor Allem fesseln. Außer den einheimischen Arten der
Insel - die alle in Pracht-Exemplaren vertreten sind - finden wir da eine
Menge von anderen Palmen-Species, welche theils dem Festlande von
Indien, theils den Sunda-Inseln und Australien, theils Afrika oder dem
tropischen Amerika angehören; so z. B. die Livistonia von
China mit ihrer riesigen Krone von Fächerblättern, die
berühmte Laodicea von den Seschellen mit ihrem colossalen
Blattfächern, die Elaeis oder Oel-Palme von Guinea mit
außerordentlich langen Fiederblättern, die berühmte
Mauritia von Brasilien, die stolze Oreodoxa oder
Königspalme von der Havanna etc. Von der letzteren hatte ich
1866 auf Teneriffa ein prachtvolles Riesenexemplar bewundert und
gezeichnet, und war daher nicht wenig überrascht, hier in eine
ganz stattliche Allee derselben einzutreten. Nicht minder interessant
waren herrliche Gruppen von stacheligen Kletterpalmen oder Rotangs
(Calamus) mit zierlich geschwungenen Fiederblättern; ihr
dünner, aber sehr fester und elastischer, fingerdicker Stamm
klettert hoch in die Gipfel der höchsten Bäume hinauf und
kann 300-500 Fuß Länge erreichen; sie gehören zu den
längsten aller Pflanzen!
Aber der Mensch soll bekanntlich „nicht ungestraft unter Palmen
wandeln!" Während ich entzückt im hohen Grase am
Flußufer unter der Riesenkrone einer Oelpalme umherwandelte
und die Verschlingungen einer rankenden Kletterpalme aufmerksam
verfolgte, fühlte ich plötzlich einige Stiche an den Beinen;
beim Entblößen entdeckte ich ein paar kleine Blutegel, die
sich an denselben festgebissen hatten, und zugleich über ein
halbes Dutzend flinker Genossen, die mit erstaunlicher Schnelligkeit
gleich Spannerraupen an den Stiefeln umporkrochen. Ich hatte hier zum
ersten Male die persönliche Bekanntschaft des berüchtigten
Land-Blutegels von Ceylon gemacht, jener schrecklichen Landplage der
schönen Insel, die unter den zahlreichen Plagen derselben eine der
größten bildet und von der ich später noch so viel zu
leiden sollte. Diese Blutegel-Art (Hirudo ceylanica) gehört zu
den kleinsten ihres Geschlechts, aber zugleich zu den unangenehmsten.
Mit Ausnahme der Seeküste und des höheren Gebirgslandes
sind sie überall auf der Insel in Busch und Wald milliardenweise
verbreitet und in manchen Wäldern (besonders an Flußufern,
und im feuchten Djungle der Hügellandschaft und der niederen
Berge) kann man keinen Schritt thun, ohne von ihnen angefallen zu
werden. Sie kriechen nicht allein auf dem Boden allenthalben
beutegierig umher, sondern auch auf Gesträuch und Bäumen;
von da lassen sie sich häufig auf Kopf und Nacken des Wanderers
herabfallen, während sie gewöhnlich allerdings an den
Beinen heraufklettern; sie können sogar im Sprunge ihre Beute
erreichen! Vollgesogen erreichen sie die Größe eines kleinen
medicinischen Blutegels; in nüchternem Zustande hingegen sind sie
fadendünn, kaum 1/2 Zoll lang, und bohren sich mit großer
Geschwindigkeit durch die Maschen der Strümpfe hindurch. Oft
fühlt man den Biß sofort, oft aber auch nicht; einmal in einer
Abendgesellschaft bemerkte ich ihre Anwesenheit erst an den rothen
Blutstreifen, die an den weißen Beinkleidern herunterliefen.
Um sich der Blutegel zu entledigen, genügt ein Tropfen
Citronensaft, weshalb man auf den Spaziergängen im Unterlande
stets eine kleine Citrone in die Tasche steckt. Statt dessen wandte ich
eben so oft einen Tropfen Carbolsäure oder Spiritus an, welchen
ich zum Sammeln kleiner Thiere stets bei mir führte. Die Folgen
des Bisses sind sehr verschieden. Personen mit sehr empfindlicher Haut
(- zu welchen ich leider auch gehöre! -) haben noch mehrere Tage
nach dem Bisse an heftigem Jucken der Wunde zu leiden, und nicht
selten folgt eine mehr oder weniger unangenehme Entzündung der
betreffenden Hautstelle. Da nun gerade an solchen entzündeten
und erhitzten Stellen nachfolgende Blutegel gern wieder von Neuem
anbeißen, verschlimmert sich die beständig gereizte Wunde
oft so, daß sie gefährlich werden kann. Als die
Engländer 1815 Kandy eroberten, mußten sie sich vorher
wochenlang durch das dichte Djungle des vorliegenden feuchten
Hügellandes hindurcharbeiten und verloren dabei eine große
Anzahl Soldaten durch die unaufhörlichen Angriffe zahlloser
Blutegel. In Gegenden, wo sie besonders häufig sind, tragen die
Europäer zum Schutze besondere „Leachgaiters",
Strümpfe oder Gamaschen von Gummi oder von sehr dichtem
Zeug, die unten über den Schuhen und oben über den Knien
festgebunden werden. Ich schützte mich im Djungle dadurch,
daß ich vor dem Ausgehen um meine hohen Jagdstiefel oben einen
Ring von Carbolsäure strich, den die Blutegel niemals
überschritten. In einigen Theilen der Insel machen sie aber durch
ihre Masse - ebenso wie in anderen Theilen die Zecken oder
Holzböcke (Ixodes) - den längeren Aufenthalt fast
unmöglich.
Andere kleine Plagegeister im Garten von Peradenia (wie an allen
wasserreichen Orten der Insel!) sind die Scharen der Moskitos und
Stechfliegen; Moskito-Netze über den Betten sind daher allgemein
gebräuchlich. Viel gefährlicher aber als diese lästigen
Insecten sind die giftigen Skorpione und Tausendfüßler, von
denen ich hier Pracht-Exemplare sammelte; erstere einen halben,
letztere einen ganzen Fuß lang!
Zu den schönsten Theilen von Peradenia gehört der
F a r n -
G a r t e n. Unter dem dichten
Schatten hoher Baumkronen und am kühlen Ufer eines rieselndes
Baches findet sich da eine Gesellschaft von kleinen und großen,
zarten und mächtigen, krautartigen und baumartigen Farnen
versammelt, wie man sie nicht zierlicher und anmuthiger denken kann.
Der ganze Reiz der Gestaltung, welcher die zierlichen gefiederten Wedel
unserer heimischen Farnkräuter auszeichnet, findet sich ier in
einer unendlichen Mannichfaltigkeit verschiedener Arten variirt vor,
von den einfachsten bis zu den höchst zusammengesetzten; und
während einige niedliche Zwerg-Farnkräuter fast mit einem
zierlichen kleinen Moose zu verwechseln sind, erreichen die riesigen
Baumfarne, deren schlanke schwarze Stämme eine schöne
Fiederkrone am Gipfel tragen, den stolzen Wuchs der Palme.
Gleich den Farnen sind auch die Farnpalmen oder Cacadeae, und
nicht minder die zierlichen
S e l a g i n e l&
nbsp;l e n und Lycopodien, in Peradenia durch eine
reiche Auswahl der interessantesten Arten vertreten, von sehr zarten
moosähnlichen Formen an bis zu robusten strauchartigen Riesen-
Arten, die fast an die ausgestorbenen Baum-Lycopodien der
Steinkohlen-Periode erinnern. Ueberhaupt riefen mir viele Pflanzen-
Gruppen in diesem Garten die fossile Flora der Vorwelt in´s
Gedächtniß, wie sie der geniale Unger in seinen Bildern aus
der Urwelt so trefflich dargestellt hat. Der Botaniker kann hier fast alle
charakteristischen Familien der Tropen-Flora in ihren wichtigsten
Repräsentanten lebend beobachten.
Soll ich schließlich noch zwei Erscheinungen hervorheben, die mir
ganz besonders imponirten, so sind es erstens die Lianen und zweitens
die Benyanen. Obgleich Kletter- und Schlingpflanzen auf der Insel
überall in größter Fülle und Mannigfaltigkeit zu
finden sind, so enthält doch der Peradenia-Garten einzelne Pracht-
Exemplare, wie sie sonst wohl selten vorkommen; so z. B. ganz colossale
Stämme von Vitis, Cissus, Purtada,
Bignonia, Ficus etc. Ebenso gehören einige
B e n y a n e n
(Ficus indica) mit ungeheuren Luftwurzeln und einige verwandte
Arten der Feigenbäume (Ficus galaxifera etc.) zu den
gewaltigsten und schönsten Baumgestalten, die in Ceylon sah.
Einer der ältesten Benyanenbäume, dessen mächtige
Krone auf zahlreichen Pfeiler-Stämmen ruhte, bot einen ganz
merkwürdigen Anblick; er war seines grünen Blattschmucks
großentheils beraubt und seine kahlen Aeste schienen mit
großen braunen Früchten behängt zu sein. Wie
erstaunte ich aber, als ich mich näherte und als einzelne dieser
Früchte sich ablösten und flatternd davonflogen! Es waren
riesige
F l e d e r f ü&n
bsp;c h s e (Pteropus), aus jener
merkwürdigen Gruppe der früchtefressenden
Fledermäuse, die auf die Tropenzone der alten Welt (Asien und
Afrika) beschränkt sind. Einige wohlgezielte Schüsse
brachten ein halbes Dutzend derselben herab, worauf der ganze
Schwarm (einige hundert Stück) sich auflöste und unter
lautem Kreischen davon flog. Diejenigen herabgefallenen Thiere, welche
nicht tödtlich getroffen waren, wehrten sich auf das Heftigste mit
ihrem scharfen Gebiß und den spitzen Krallen, und es kostete
einige Mühe, ehe ich sie mit Hilfe meines Jagdmessers
vollständig bewältigt hatte. Der Körper dieser
„fliegenden Hunde" oder „fliegenden Füchse" hat in Bezug auf
Gestalt, Größe und Farbe viel Aehnlichkeit mit einem Fuchse,
namentlich auch der Kopf. Aber die Gliedmaßen sind, wie bei allen
Fledermäusen, durch eine große Flughaut verbunden, mittelst
deren sie sehr geschickt und schnell umher fliegen. Der Fug ist sehr
verschieden von demjenigen unserer Fledermäuse und gleicht
vielmehr dem der Krähen. Die Flederfüchse nähren
sich von Früchten und werden dadurch sehr schädlich; mit
besonderer Vorliebe trinken sie den süßen Palmwein, und in
den Gefäßen, welche die Singhalesen zum Sammeln desselben
oben in den Palm-Kronen aufhängen, finden sie Morgens beim
Einsammeln nicht selten betrunkene Flederfüchse. Diese Neigung
erklärt sich wohl hinlänglich aus der nahen
Blutsverwandtschaft, welche der phylogenetische Stammbaum der
Säugethiere zwischen ihnen und den Affen, - also auch dem
Menschen - nachweist.
In dem fuchsrothen Pelze der Flederfüchse fand ich große
parasitische Insecten (Nycteribia) von seltsam
spinnenähnlicher Form aus der Gruppe der Pupipara oder
„Puppengebärer". Das sind (gleich den Flöhen) Dipteren oder
Fliegen, welche in Folge ihrer parasitischen Lebensweise sich das Fliegen
abgewöhnt und durch Nichtgebrauch ihre Flügel
eingebüßt haben. Ihre Larven (oder Maden) entwickeln sich
innerhalb des mütterlichen Körpers so weit, daß sie
gleich nach der Geburt sich verpuppen und bald nachher
ausschlüpfen. Die großen Nycteribien der Flederhunde liefen
sehr behende auf dem Körper ihrer Wirthe umher, und auch auf
meine Hand herüber, als ich sie zu fangen versuchte; sie
verkrochen sich dann rasch in den Kleidern oder hakten sich mit ihren
großen Krallen fest an der Haut an.
Aber auch noch eine interessante zoologische Bekanntschaft
gefährlicherer Art sollte ich an demselben Tage machen. Als am
Nachmittage ein heftiger Regen losbrach und ich eben beschäftigt
war, einen riesigen schwarzen Tausendfuß in die Spiritus-
Büchse zu stecken, kroch eine große
B r i l l e n s c&
nbsp;h l a n g e , die
gefürchtete „Cobra di capella" (Naja tripudians) durch
die offene Gartenthür in mein Schlafzimmer. Ich hatte sie nicht
bemerkt, obgleich sie kaum einen Fuß von mir entfernt war, und
wurde erst aufmerksan, als mein Diener mit dem lauten Geschrei
„Cobra, Cobra!" hereinstürzte. Mit seiner Hilfe wurde ich der
stattlichen Giftschlange (von mehr als einem Meter Länge) bald
Herr; und sie wanderte in dieselbe Spiritus-Büchse, in der vorher
eines der merkwürdigen schlangenähnlichen Amphibien, die
B l i n d w ü h&
nbsp;l e (Caecilia) Platz genommen hatte.
VII. Kandy.
Unter den wenigen Städten, welche Ceylon besitzt, genießt
das kleine Kandy, obwohl es kaum als „Stadt" bezeichnet werden kann,
eines besonderen Rufes; theils als die gegenwärtige „Hautpstadt"
der gebirgigen Central-Provinz, theils als die frühere Residenz der
eingeborenen Kandy-Könige, theils aber - und ganz besonders -
weil ein alter Tempel in Kandy den sogenannten „heiligen Zahn" des
Buddha enthält, eine der berühmtesten Reliquien dieser
Religion. Abgesehen hiervon, hatte ich in dem trefflichen Hauptwerke
über Ceylon von Emerson Tennent eine überschwengliche
Beschreibung von der unvergleichlich schönen Lage und
Umgebung von Kandy gelesen; und auch die späteren Reisenden,
welche in ihren Beschreibungen meistens Tennent copiren, wiederholen
dieses enthusiastische Lob. Ich war daher nicht wenig auf Kandy
gespannt, als ich am sonnigen Morgen des 6. December von dem drei
englische Meilen entfernten Peradenia aus dasselbe zum ersten Male
besuchte.
Nun habe ich aber schon oft auf meinen vielen Reisen die Erfahrung
gemacht, daß weltberühmte Punkte, die seit langer Zeit
„Mode" sind, und deren Lob ein Reisender dem andern nachzusingen
sich verpflichtet fühlt, in der That kaum des Besuchs werth sind;
während dicht daneben oft reizend schöne aber ungekannte
Stellen sich finden, an denen Jeder - schon weil sie nicht im
„Reisehandbuch" stehen! - ahnungslose vorübergeht. So ging es
mir dann auch hier in Ceylon mit dem hochberühmten Kandy, und
ich will nur gleich gestehen, daß mir der Besuch desselben von
Anfang bis Ende eine große Enttäuschung brachte!
Die „stolze Königsstadt" Kandy könnte eigentlich besser als
ein „bescheidenes Dorf" bezeichnet werden, dessen wenige Straßen
mehr singhalesische Erdhütten als europäische Bungalow´s
enthalten; beide sind nicht einmal auf eine „weiße Stadt" (Fort) und
eine „schwarze Stadt" (Pettah) vertheilt, wie es in Colombo, Galla, Matura
und den anderen Städten der Insel der Fall ist. Zwei lange
parallele Hauptstraßen sind gleich den wenigen Nebenstraßen,
mit denen sie sich unter rechtem Winkel kreuzen, schnurgrade; der
„reizende See" aber, der vor der Stadt liegt und als ihre besondere Zierde
gepriesen wird, ist ein kleiner künstlich zugeschnittener Teich, von
rechteckiger Form; seine geradlinigen Ufer sind mit steifen, ebenfalls
ganz geraden Baum-Alleen bepflanzt. Wenn man daher über den
kleinen Thalkessel, welcher Stadt und See umschließt, sich erhebt
und auf einem der vielen künstlichen Promenaden-Wege einen
der umgebenden Hügel besteigt, so ist der Anblick des ganzen steif
und künstlich, aber nichts weniger als malerisch. Ganz besonders
wird die Scenerie außerdem durch ein neuerbautes großes
Gefängnis mit hohen, nackten Umfassungsmauern verunstaltet,
viel zu groß und massig für die
verhältnismäßig kleine Umgebung. Auch die
grünen, theils cultivirten, theils bewaldeten Hügel, welche
den Thalkessel rings einschließen, und über welche sich auf
einigen Seiten höhere Berge erheben, bieten weder in Beziehung
auf schöne Form, nohc auf malerische Gruppirung einen
besonderen Reiz. So kam es denn, daß mein Skizzenbuch, welches
ich mit den hoffnungsvollsten Absichten nach Kandy mitgenommen
hatte, hier ganz leer blieb, und daß ich auch beim besten Willen
hier nicht einen einzigen Punkt finden konnte, welcher eines Aquarells
würdig gewesen wäre.
Das Hübscheste, was Kandy nach meinem Geschmacke aufzuweisen
hat, ist der reizende Garten, welcher den modernen Palast des
Gouverneurs umgibt. Er ist am Abhange eines Hügels
geschmackvoll angelegt und enthält neben vielen prächtigen
Bäumen eine Anzahl schöner Zierpflanzen, steht aber
natürlich hinter dem Reichthum des benachbarten Peradenia weit
zurück. Den Palast selbst, in welchem ich später, einer
freundlichen Einladung des Gouverneurs folgend, einen sehr
angenehmen Abend zubrachte, enthält nur wenige, aber sehr
weite und luftige, elegant ausgestattete Säle, umgeben von
anmuthigen Säulenhallen und Veranden. Zahlreiche Schlangen,
Scorpione und anderes derartiges Tropen-Gesindel, besonders aber
zahlreiche Blutegel sollen den Aufenthalt darin jedoch etwas
ungemüthlich machen.
Der sogenannte „P a l a s t der alten
Kandy-Könige", welcher in einiger Entfernung vor der Stadt nahe
dem See-Ufer steht, ist ein ebenerdiges düsteres Gebäude,
dessen dunkle modrige Räume weder innerlich noch
äußerlich irgend etwas Bemerkenswerthes darbieten, mit
Ausnahme der dichten Massen von Pilzen und anderen Kryptogamen,
welche die dicken feuchten Steinmauern innen und außen
überziehen. Eine in der Nähe befindliche offene, von
Säulen getragene „Königliche Audienz-Halle" wird
gegenwärtig für die öffentlichen Verhandlungen des
District-Gerichtshofes benutzt.
Auch der berühmte
B u d d h a -
T e m p e l von Kandy, der
mit dem benachbarten Königs-Palaste durch eine Mauer in
Verbindung steht und von einem Wassergraben umgeben ist,
erfüllt nicht die an seinen großen ruf geknüpften
Erwartungen. Er ist von geringem Umfang, schlecht erhalten, ohne jeden
besonderen Kunstwerth. Die primitiven Wandmalereien desselben und
die geschnitzten Verzierungen aus Holz und Elfenbein sind dieselben,
welche auch in anderen Buddha-Tempeln wiederkehren. Da Kandy erst
zu Ende des 16. Jahrhunderts zur Residenz der eingeborenen
Könige von Ceylon erhoben und der Palast derselben sowohl als
der zugehörige Tempel erst um das Jahr 1600 erbaut wurden, so
knüpft sich daran nicht einmal das Interesse des hohen Alters.
Ebensowenig reales Interesse besitzt der weltberühmte
„ B u d d h a -
Z a h n ", welcher unter einer silbernen
Glocke in einem achteckigen, mit spitem Dache gedeckten Thurme des
Tempels verborgen gehalten wird. Obgleich dieser Zahn seit mehr als
zwei Jahrtausenden für viele Millionen von abergläubischen
Menschen Gegenstand andächtigster Verehrung und Anbetung bis
auf den heutigen Tag geblieben ist, und obgleich derselbe sogar in der
Geschichte von Ceylon (von Emerson Tennent ausführlich
beschrieben) eine große Rolle spielt, so ist er doch in Wirklichkeit
nichts Anderes, als ein einfaches, roh geschnitztes, fingerförmiges
Stück Elfenbein von zwei Zoll Länge und ein Zoll Dicke. Der
„echte Buddha-Zahn" existirt sogar in mehreren Exemplaren; doch thut
dies seiner Heiligkeit natürlich keinen Abbruch.
Von Kandy aus unternahm ich in Gesellschaft meiner beiden botanischen
Freunde Trimen und Ward einen Ausflug nach dem einige Meilen
entfernten
F a i r y l a n d
, um dort den Vorgänger von Trimen, Dr. Twaites, zu
besuchen. Derselbe führte die Direction des botanischen Gartens
von Peradenia 30 Jahre hindurch und zog sich dann vor einigen Jahren,
als er in den wohlverdienten Ruhestand trat, in die stille Einsamkeit des
Hochlandes zurück. Sein kleines Bungalow liegt ganz versteckt in
einer hohen Gebirgsschlucht, etwa acht englische Meilen südlich
von Kandy entfernt, rings umgeben von Kaffee-Pflanzungen. Es waren
die ersten, welche ich betrat; da ich jedoch später im Hochlande
tagelang durch Kaffee-Pflanzungen wanderte, will ich hier nicht bei
ihrer Schilderung verweilen.
Dr.
T h w a i t e s
ist der verdienstvolle Verfasser einer ersten
F l o r a
v o n
C e y l o n , welche unter
dem Titel:
„E n u m e r a t i&n
bsp;o
P l a n t a r u m
Z e y l a n i a e"
1864 in London erschien. Er hat darin gegen 3000 verschiedene
Gefäß-Pflanzen beschrieben, also etwa den dreißigsten
Theil aller Pflanzen-Arten, die damals von der ganzen Erde bekannt
waren. Allein seitdem sind noch viele neue Arten auf der Insel entdeckt
worden, und nach Schätzung von Dr.
G a r d n e r
dürfte dieselbe gegen 5000 Species besitzen; jedenfalls bedeutend
mehr, als ganz Deutschland aufzuweisen hat.
Das Exemplar der Flora von Ceylon, welches ich selbst bei mir
führte, gehörte einem deutschen Botaniker aus Potsdam,
Rietner. Derselbe war als junger Gärtner auf die Insel gekommen,
hatte sich durch fleißige und umsichtige Thätigkeit
später eine bedeutende Kaffee-Plantage erworben und war
während eines Viertel-Jahrhunderts auch für die
Naturgeschichte von Ceylon (insbesondere durch die Entdeckung neuer
Insecten) vielfach thätig; leider starb er kurz vor der
Rückkehr in die deutsche Heimath. Seine Wittwe, die
gegenwärtig wieder in Potsdam lebt, und von der ich vor Antritt
meiner Reise viele werthvolle Mittheilungen und Instructionen erhielt,
hatte in freundlichster Weise mir neben anderen Büchern ihres
verstorbenen Gatten auch die Flora von Thwaites zum Geschenk
gemacht, welche der Verfasser selbst Letzterem dedicirt hatte. Es war
nun keine geringe Freude für den trefflichen alten Herrn, als ich
ihm dieses Exemplar der Flora mit seiner eigenhändigen
Dedication zeigte; jedenfalls war es das erste Exemplar seines Werkes,
welches ein Botaniker von Ceylon nach Deutschland gebracht hatte, und
welches nun in der Hand eines Zoologen nach der Insel
zurückkehrte!
VIII. IX.
Die Galla-Colombo-Straße und Punto-Galla.
VIII. Die Galla-Colombo-Straße.
Die ersten beiden Wochen in Ceylon waren mir in beständigem
Schauen und Staunen wie ein Traum verflossen. Ich hatte in Colombo die
wichtigsten Eigenthümlichkeiten der singhalesischen Natur und
Menschenwelt kennen gelernt und in Peradenia die erstaunliche
Gestaltungskraft der tropischen Flora bewundert. Nun mußte ich
daran denken, den wissenschaftlichen Hauptzweck meiner Reise, die
Untersuchung der vielgestaltigen und zum großen Theil noch so
wenig bekannten indischen Seethiere, zur Ausführung zu bringen.
Insbesondere war ich höchst gespannt, die jenigen Thierclassen,
mit deren Studien ich mich seit mehreren Decennien besonders
eingehend befaßt hatte: Moneren und Radiolarien, Spongien und
Korallen, Medusen und Siphonophoren, an den Gestaden von Ceylon
weiter zu erforschen; ich durfte hoffen, hier ganz neue
Gestaltungsverhältnisse zu finden, welche dieselben unter dem
Einflusse der Tropensonne und der indischen Lebensbedingungen
entwickeln.
Die Bedingungen, unter denen die genannten Seethierclassen zu ihrer
vollen Entwickelung gelangen, sind vielfach eigenthümlich und es
ist keineswegs gleichgültig, welchen Küstenort wir zu ihrer
Erforschung aufsuchen. Nicht allein die verschiedene Beschaffenheit des
Meerwassers - Salzgehalt, Reinheit, Temperatur, Strömung, Tiefe
des Meeres -, sondern gleicherweise (und oft in höherem
Maße) die Beschaffenheit der benachbarten Küste (ob felsig
oder sandig, aus Kalk oder Schiefer gebildet, ob reich oder arm an
Vegetation) wirkt vielfach und bedeutend auf die Entwickelung der
marinen Fauna. Insbesondere kann der geringere oder
größere Zufluß von Süßwasser, sowie die
schwächere oder stärkere Brandung der Wellen, die Existenz
gewisser Seethiergruppen ebenso begünstigen, wie sie diejenige
von anderen Gruppen verhindert. Für die massenhafte
Entwickelung derjenigen Abtheilungen von schwimmenden Seethieren,
deren Untersuchung mir besonders unteressant war: Radiolarien,
Medusen, Siphonophoren, sind vorzüglich günstig
Meeresbuchten mit tiefem, klarem und stillem Wasser, geschützt
durch vorspringende felsige Landzungen, frei von größeren
Süßwasser-Zuflüssen, und ausgestattet mit
Strömungen, welche schwimmende Seethierscharen
hineinführen. Solchen günstigen Verhältnissen
verdanken wir z. B. im Mittelmeer das Hafenbecken von Messina, der
Golf von Neapel, die Bucht von Villafranca den großen Ruf, in dem
sie seit Jahrzehnten bei uns Zoologen stehen.
Ein Blick auf die Karte von Indien belehrt uns nun, daß dergleichen
geschützte Buchten hier äußerst wenig entwickelt sind,
viel seltener und unbedeutender, als an den reich gegliederten und
vielfach ausgeschnittenen Küsten unseres unvergleichlichen
Mittelmeeres. An dem Gestade von Ceylon sind überhaupt nur drei
solche Buchten vorhanden: an der südwestlichen Küste die
beiden schönen Hafenbecken von
G a l l a und
B e l l i g e m m
a , an der nordöstlichen Küste der
ausgezeichnete große und inselreiche Golf von
T r i n k o m a l
i e . Dieser letztere wurde schon von Nelson für
einen der besten Häfen der Welt erklärt. Die englische
Regierung, die in allen Erdtheilen die wichtigsten, für ihre
Weltherrschaft günstigsten Stützpunkte ebenso
scharfblickend erkennt als zweckentsprechend und ausgiebigst
benützt, säumte nach der Besitzergreifung von Ceylon nicht,
Trinkomalie zu dessen Kriegshafen zu erheben und mit allen dazu
gehörigten Vertheidigungsmitteln reichlichst auszustatten. Schon
die Holländer hatten auf zwei vorspringenden Landzungen zum
Schutze des Hafens zwei kleine Festungen erbaut: Fort Frederik im
Nordosten, Fort Ostenburg im Süden. von den Engländern
wurden diese Fortificationen verstärkt und weiter ausgebaut,
sowie auch für die Hebung der kleinen Stadt Vieles gethan.
Trotzdem bleibt Vieles zu thun noch übrig, besonders wenn man
bedenkt, daß Trinkomalie der mächtigste und wichtigste
Schutzhafen für das ganze englische Indien ist. In dem Kampfe,
welchen das britische Weltreich früher oder später um den
Besitz Indiens zu führen haben wird, dürfte dieser Platz
voraussichtlich die größte Rolle spielen.
Der Hafen von Trinkomalie, ausgezeichnet nicht allein durch seine
Größe und Tiefe, sondern auch durch seine reiche
Küstengliederung und durch eine Anzahl bewaldeter Inseln, die
seinen Eingang bewachen, läßt schon von vornherein eine
besonders reiche Entfaltung des Seethierlebens erwarten. Und in der
That scheinen viele Gruppen von Seethieren, vorzüglich die auf
felsigem Boden kriechenden Weichthiere und Sternthiere (Mollusken
und Echinodermen) hier eine größere Fülle
verschiedener Arten zu bilden, als an den meisten übrigen
Küstenpunkten der Insel. Insbesondere ist sein Reichthum an
schönen Conchylien, prächtig gefärbten Schnecken und
zierlich geformten Muscheln, seit langer Zeit berühmt. Auch haben
einzelne Zoologen, welche Trinkomalie früher besuchten, dort viele
neue Thierformen entdeckt. Es war daher natürlich, daß ich
auf diesen Punkt vor allen anderen meine Aufmerksamkeit richtete und
wenigstens einen Monat dort zu fischen beschloß. Allein als es an
die Ausführung dieses Planes ging, stellten sich leider
unübersteigliche Hindernisse derselben entgegen.
Die Verbindung von Trinkomalie mit den Hauptstädten der Insel
ist noch heutzutage sehr unvollkommen und läßt viel zu
wünschen übrig; ebensowohl zu Wasser als zu Lande.
Für die projectirte Eisenbahn von Kandy nach Trinkomalie ist noch
Nichts geschehen. Da Kandy fast in der Mitte zwischen der westlichen
und östlichen Küste liegt, und mit der ersteren durch die
Colombo-Eisenbahn schon seit Jahren verbunden ist, so erscheint die
Fortsetzung der letzteren nach der Ostküste als eine
Nothwendigkeit, besonders Angesichts der höhen strategischen
Bedeutung von Trinkomalie und der Vorzüglichkeit seines Hafens,
der in mercantilischer Beziehung noch sehr wenig benutzt ist. Trotzdem
kann man auch gegenwärtig von Kandy nach Trinkomalie nur auf
beschwerlichen Wegen gelangen, welche tagelang durch dichte
unbewohnte Wälder führen. Die heftigen Regengüsse
des Südwest-Monsuns hatten mehrere Brücken
weggeschwemmt und ganze Strecken der Straße unfahrbar
gemacht. Ich mußte fürchten, daß die Ochsenkarren, die
meine 16 Kisten mit Instrumenten etc. dorthin bringen sollten,
unterwegs stecken bleiben oder nur unter großen Hindernissen
und Beschädigungen Trinkomalie erreichen würden.
Nicht besser aber stand es leider mit dem Seewege. Die Regierung
schickt allmonatlich einen kleinen Küstendampfer, den „Serendib",
zweimal um die Insel herum, einmal mit der nördlichen, das
andremal mit der südlichen Hälfte beginnend. Dieser kleine
Dampfer vermittelt die einzige regelmäßige und directe
Communication zwischen den Hauptpunkten der Küste; um
Uebrigen verkehren zwischen denselben nur unsichere und mangelhafte
Segelboote. Nun wollte es aber das Mißgeschick, daß gerade zu
jener Zeit, als ich auf dem „Serendib" nach Trinkomalie fahren wollte,
derselbe im Sturme Havarie erlitten hatte und behufs Reparatur nach
Bombay geschleppt worden war. Ich mußte also zunächst auf
den Besuch von Trinkomalie verzichten und ihn auf spätere Zeit
verschieben. Zu meinem großem Bedauern kam aber auch
später in Folge anderer Hindernisse dieser Plan nicht zur
Ausführung.
Zunächst blieb mir nichts Anderes übrig, als mich nach der
Südwestküste zu wenden, und mein zoologisches
Laboratorium entweder in Galla oder in Belligemma aufzuschlagen.
G a l l a (oder Point de Galle), die
bedeutendste Hafenstadt der Insel, die bis vor wenigen Jahren die
Hauptstation aller Indienfahrer und der gewöhnlichste
Ankunftsplatz der europäischen Reisenden war, bot mir den
Vortheil europäischer Civilisation, leichtere Beschaffung der
nöthigsten Hilfsmittel und beständigen Verkehr mir
gebildeten Engländern. Ich konnte dort sicher darauf rechnen, in
dem schönen großen Hafen mit europäischen Booten zu
fischen, auf den berühmten Korallenbänken eine Fülle
interessanter Seethiere zu finden und diese mit
verhältnismäßiger Leichtigkeit und Bequemlichkeit zu
untersuchen und zu verpacken. Außerdem hatte ich den Vortheil,
daß schon andere Zoologen vor mir dort gearbeitet und die
Bekanntschaft mit Oertlichkeit und Thierwelt erleichtert hatten;
insbesondere enthält Ransonnet´s schönes Werk viele
wichtige Bemerkungen über die dortigen Korallenbänke.
Ganz andere Verhältnisse mußte ich in
B e l l i g e m m
a erwarten. Die schöne und geschützte Bucht
dieses Ortes, fünfzehn Meilen südlich von Galla (halbwegs
zwischen diesem und Matura, der Südspitze der Insel gelegen)
besaß zwar bezüglich der Korallenbänke und der
sonstigen topographischen und zoologischen Verhältnisse
voraussichtlich viel Aehnlichkeit mit Galla; sie hatte aber, selten besucht
und wenig erfoscht, den großen Reiz des Neuen und Unbekannten
voraus. Die tropische Vegetation und die ganze Scenerie war nach Allem,
was ich darüber gelesen und gehört, noch schöner und
reicher als in Galla. Ganz besonders aber reizte mich der Umstand,
daß ich hier einmal auf einige Monate dem Zwange und der
Unnatur unseres Culturlebens gänzlich entfliehen konnte; ich
durfte hoffen, inmitten aller Reize der üppigsten tropischen Natur
mich ungestört ihrem Genusse hinzugeben; und mitten unter
einfachen Naturmenschen eine Vorstellung von dem geträumten
paradiesischen Urzustande unseres Geschlechts zu gewinnen. Denn
Belligemma ist nichts weiter als ein großes, rein singhalesisches
Dorf, bewohnt von Fischern, Hirten und Bauern; seine 4000 braunen
Einwohner, unter denen sich kein einziger Europäer befindet,
leben nur zum kleineren Theil im Dorfe selbst, am Strande der
malerischen Bucht, zum größeren Theile zerstreut in
Hütten, welche sich auf einen großen Flächenraum des
herrlichsten Cocoswaldes vertheilen. Ganz allein in dem einsamen und
stillen Rasthause von Belligemma durfte ich außerdem hoffen,
meine Arbeiten zusammenhängender und ungestörter
auszuführen als in dem geselligen Galla unter vielen
wohlwollenden Freunden und neugierigen Bekannten. Freilich
mußte ich aber auch darauf gefaßt sein, für die
Einrichtung meines zoologischen Laboratoriums und die
Ausführund meiner Arbeiten hier auf viel größere
Schwierigkeiten zu stoßen; möglicherweise konnten
unvorhergesehene und unüberwindliche Hindernisse meine
Pläne viel eher vereiteln als in Galla.
Nach längerem Schwanken, und nachdem ich alle für und
wider sprechenden Gründe reiflich erwogen, entschied ich mich
endlich für Belligemma, und ich hatte diese Wahl nicht zu bereuen.
Die sechs Wochen, welche ich dort verlebte, überreich an den
wunderbarsten Eindrücken, werden mir immer unvergeßlich
sein und bilden in dem Kranze meiner indischen Reiseerinnerungen eine
der duftigsten und buntesten Blumengruppen. Wenn ich auch für
meine speciellen zoologischen Arbeiten Vieles besser und bequemer in
Galla gefunden hätte, so gewann ich doch für meine
allgemeine Naturanschauung und Menschenkenntniß weit mehr in
dem reizenden Belligemma.
Natürlich mußte ich für einen längeren
Aufenthalt in diesem einsamen Fischerdorfe zahlreiche Vorkehrungen
treffen. Das das einzige Unterkommen in demselben durch das
Regierungs-Rasthaus geboten wird und da der Aufenthalt in solchen
Rasthäusern nicht über drei Tage dauern darf, so erbat ich
zunächst die Erlaubniß, dasselbe für mehrere Monate
bewohnen zu dürfen. Der Gouverneur von Ceylon, Sir James
Longden, an den ich von englischen Regierung besonders empfohlen
war, und dem ich für seine freundliche Aufnahme hier meinen
besten Dank abstgatte, ließ mir ein Empfehlungsschreiben an den
Präsidenten der Südprovinz ausfertigen, in welchem mir
nicht nur jene Erlaubniß gewährt, sondern auch
sämmtliche Regierungsbeamten angewiesen wurden, mir in jeder
Weise gefällig und dienstbar zu sein. Bei der musterhaften
Ordnung und Disciplin des Regierungsmechanismus, die in den
englischen Colonien ebenso wie im Mutterlange herrscht, ist eine solche
officielle Emphehlung des Gouverneurs ein unschätzbarer und of
ein unentbehrlicher Talisman. Ganz besonders gilt das von Ceylon, da
diese Insel von der Regierung Indiens unabhängig ist und
unmittelbar unter dem Colonialministerium in London steht; der
Gouverneur ist ziemlich unumschränkter Alleinherrscher und
kehrt sich an die Beschlüsse seines bloß berathenden
Parlamentes sehr wenig. Man schiebt dieser absolutistischen
Regierungsform, die gar nicht nach dem Geschmacke der
constitutionellen Engländer ist, den größten Theil der
vielen Mängel zu, unter denen die Verwaltung der schönen
Insel leidet. Einer der größten ist aber jedenfalls der,
daß der Gouverneur die Zügel der Regierung nicht
länger als vier Jahre führen darf - ein viel zu kurzer
Zeitraum, der kaum ausreicht, die Insel gehörig kennen zu lernen.
Allein unter den eigenthümlichen Verhältnissen ihrer
Bevölkerung, bei dem Umstande, daß unter den 2 1/2
Millionen Einwohnern sich nur 3000 Europäer befinden, ist die
Concentration der Regierungsgewalt in einer Hand auchb in vieler
Beziehung vortheilhaft. Im Allgemeinen gewann ich bei näherer
Bekanntschaft mit den Verwaltungsverhältnissen die
Ueberzeugung, daß auch hier, wie in den meisten andern Colonien,
der praktische Sinn der Engländer regelmäßig das
Richtige trifft und die Verwaltung mit größerer Umsicht und
Einsicht leitet, als es der Mehrzahl der andern Culturvölker
möglich sein würde.
Nachdem ich mich auch für Galla mit Empfehlungen versehen und
noch mancherlei Einkäufe für die Ausstattung meines
Aufenthalts in Belligemma besorgt hatte, packte ich meine 16 Kisten auf
einen großen zweirädrigen Ochsenkarren, der dieselben
innerhalb 8 Tagen bis Galla befördern sollte. Diese Bullock-Cart´s
sind in ganz Ceylon, soweit Fahrstraßen existiren, die allgemein
gebräuchlichen Lastfuhrwerke. Die größten Karren
nehmen bis 40 Centrner Last auf ihre beiden gewaltigen Räder
und werden von 4 starken Buckelochsen (oder Zebus) der
größten Rasse gezogen. Das Joch der Deichsel wird nicht an
der Stirn befestigt, sondern einfach auf den Nacken gelegt, unmittelbar
vor den Fetthöcker, der als Widerhalt dient. Der ganze Karren ist
von einem tonnenformigen Dack überwölbt, das aus
gekreuzten Blattfiedern der Cocospalme gefertigt ist und dessen dichtes
doppeltes Geflecht die darunter geborgene Fracht auch von den
heftigsten Regengüssen schützt. Matten aus gleichem
Geflecht werden auch vorn und hinten vor dem Eingang des
Gewölbes befestigt. Die Last muß kunstrecht so
gleichmäßig vertheilt werden, daß der Schwerpunkt in
der Mitte über deer Axe des Räderpaares ruht. Der
Fuhrmann sitzt vorn auf der Deichsel unmittelbar hinter dem Ochsen
oder geht zwischen ihnen; unaufhörlich treibt er die Thiere durch
Rufen oder durch Reiben des Schwanzes zwischen den Hinterbeinen zu
rascherem Gange an. Hunderte solcher Ochsenkarren, bald mit zwei, bald
mit vier Zebus bespannt, bilden die beständige Staffage aller
Landstraßen. Dazwischen bewegen sich dann in rascherem Gange
oder selbst in munterm Trabe die kleinen Ochsendroschken: „Bullock-
Bandy´s" oder „Hackery´s"; das sind leichtere zweiräderige Karren
derselben Form, die von einem niedlichen schnellfüßigen
Laufochsen gezogen werden.
Am 9. December verließ ich das freundliche Whist-Bungalow,
begleitet von den herzlichen Wünschen und guten
Rathschlägen meiner lieben Gastfreunde. Die Fahrt von Colombo
bis Galla bildet ein stehendes Lieblingscapitel in allen
Reisebeschreibungen von Ceylon. Da bis vor wenigen Jahren alle
Postdampfer zuerst in Galla landeten und da der erste Ausflug der
Reisenden stets von dort nach der Hauptstadt gerichtet war, so wurden
die Ankömmlinge auf dieser Strecke zuerst mit den
Naturschönheiten der Insel bekannt. Allerdings sind dieselben
aber auch hier ganz besonders reich und üppig entwickelt; der
Cocospark mit seiner unendlichen Mannigfaltigkeit von reizenden
Bildern, wie ich sie zuerst auf der Excursion nach Kaduwella sah, nimmt
einen breiten Küstenstrich in dem ganzen südwestlichen
Theile der Insel ein. Bald schlängelt sich die Straße mitten
durch denselben hin, bald berührt sie unmittelbar die felsige oder
sandige Meeresküste, bald durchschneidet sie dichtere
Waldpartien, oder geht auf Brücken über die zahlreichen
kleinen Flüsse, die an der Westküste münden.
Während früher die ganze Strecke von Colombo bis Galla nur
mit Wagen befahren wurde, ist gegenwärtig im ersten Drittel
derselben eine Eisenbahn an die Stelle der Fahrstraße getreten. Die
Bahn hält sich ebenfalls ganz nahe der Küste, durchschneidet
fast geradlinig in südlicher Richtung den Palmenwald und endet
vorläufig in Caltura. Die Fortsetzung der Bahn von hier nach Galla,
die für letzteren Ort von größtem Vortheil sein
würde, ist von der Regierung nicht gestattet worden, aus
Besorgniß, daß dadurch Galla wieder sich heben und einen
Vorsprung vor der Hauptstadt Colombo gewinnen könnte. Da der
Verkehr zwischen beiden Städten sehr lebhaft und in stetigem
Wachsthum begriffen ist, so kann über die gute Rentabilität
der Eisenbahn kein Zweifel sein. Lediglich der maßgebende
Wunsch, Colombo auf Kosten von Galla immer mehr zu heben, bestimmt
die Regierung, selbst der wohlfundirten Gesellschaft, die das Capital
für den Bahnbau nachgewiesen hatte, die Concession zu
verweigern. Es ist das ein beständiges Object vieler Klagen, die
man allerorten auf dieser Strecke hört. Der Reisende istö
daher gezwungen, entweder ein sehr theures Privatfuhrwerk zu
miethen oder sich dem Postomnibus anzuvertrauen, der täglich
von Galla nach Caltura und zurück fährt; aber auch dieser ist
theuer und dabei nichts weniger als bequem.
Allerdings führt dieser Omnibus den stolzen Titel der
„ K ö n i g l i c&n
bsp;h e n
P o s t k u t s c
h e " (Royal Mailcoach) und zeigt auf seiner
Thüre das englische Wappen mit der stolzen Ueberschrift:
„H o n y
s o i t q u i
m a l y
p e n s e!" Diese Warnung klingt
jedoch wie reine Ironie Angesichts der Beschaffenheit der Kutsche selbst
und der Pferde, die mit deren Beförderung gequält werden.
Der leicht gebaute Wagen erscheint kaum für die Aufnahme von
einem halben Dutzend Passagiere ausreichend, wird aber bei
günstiger Gelegenheit auch mit der doppelten Zahl vollgestopft.
Sowohl die beiden schmalen Bänke im engen Innenraum als auch
die hinten angebrachte Bank werden mit je drei Personen besetzt,
obgleich sie kaum für zwei hinreichend sind. Die besten Sitze
bleiben noch die vorn auf dem freien Bock neben dem Kutscher, unter
einem weit vorspringenden Schattendach. Hier genießt man den
freisten Umblick in die herrliche Scenerie nach allen Seiten, und bleibt
dabei von den starken, nichts weniger als angenehmen Düften
verschont, welche die schwitzenden, mit Cocosöl gesalbten
Singhalesen, in dem engen Innenraum zusammengepreßt,
entwickeln. Dabei beträgt der Fahrpreis der
fünfstündigen Omnibusfahrt für jeden „weißen"
Europäer 15 Rupien (= 30 Mark) - mithin für jede Stunde
Fahrzeit 6 Mark! Der farbige Eingeborene zahlt nur die Hälfte.
Der unangenehmste Umstand bei dieser Omnibusfahrt, wie bei allen
ähnlichen Postkutschenfahrten in Ceylon ist die gräuliche
Quälerei der armen Postpferde. Die guten Singhalesen scheinen
nämlich seit Alters her und bis auf den heutigen Tag keine
Vorstellung davon zu haben, daß Rosselenken eine Kunst ist, die
gelernt sein will; und daß die Pferde für das Wagenfahren
eingelernt oder „angepaßt" werden müssen. Vielmehr
scheinen sie anzunehmen, daß sich das Alles von selbst versteht
und daß die Thiere das Wagenziehen bereits durch Vererbung
kennen. Ohne sie daher gehörig einzufahren, werden die
ungelernten Pferde in ein ebenso unbequemes als unpraktisches
Geschirr vor den Wagen gespannt und nun so lange in der
verschiedensten Weise gemartert, bis sie aus Verzweiflung davon
laufen. Da gewöhnlich dazu weder dei lautesten Zurufe noch harte
Peitschenschläge ausreichen, so werden die mannigfaltigsten
Marterwerkzeuge angewendet: die empfindlichen Nasenlöcher
werden mit Haken auseinander gerissen; die Ohren werden an Knebel
befestigt und mittelst dieser um ihre Axe gedreht, als ob sie aus dem
Kopfe ausgeschraubt werden sollten; an den Vorderbeinen werden lange
Stricke befestigt, an denen ein halbes Dutzend johlender und
kreischender Jungen die armen Thiere vorwärts ziehen; andere
zerren inzwischen hinten aus Leibeskräften am Schwanze und
schlagen mit Stangen auf die Hinterbeine; ja bisweilen, wenn alles das
nicht ausreicht, die gequälten Geschöpfe zur Verzweiflung zu
bringen und zum Fortrennen zu veranlassen, wird ihnen eine brennende
Fackel unter den Bauch gehalten. Kurz, es wird keine Marter gespart,
welche jemals die heilige Inquisition zur Bekehrung ungläubiger
Ketzer angewendet hat; und wenn ich oft oben auf dem Bocksitze eine
Viertelstunde land und länger diese abscheuliche
Thierquälerei mit ansehen mußte, ohne sie hindern zu
können, stieg immer unwillkürlich der Gedanke in mir auf,
für welche Sünden diese armen Pferde gestraft werden
sollten. Wer weiß, ob ähnliche Vorstellungen nicht auch in
den Köpfen der schwarzen Kutscher und Pferdeknechte spuken,
welche meistens dem Siva-Cultus und der Lehre von der
Seelenwanderung anhängen. Vielleicht denken sie, druch diese
Martern sich an den wandernden Seelen der grausamen Fürsten
und Krieger zu rächen, die früher die Peiniger ihres Volkes
waren.
Entweder derartige Vorstellungen oder gänzlicher Mangel an
Mitgefühl, - vielleicht auch die sonderbare, selbst in Europa
zuweilen auftauchende Vorstellung, daß die Thiere kein
Gefühl besäßen, - erklären es, daß die
Singhalesen diese und ähnliche Thierquälereien als eine Art
amüsanter Unterhaltung betrachten. So sind die armen Ochsen
überall mit den riesengroßen Namenszügen ihrer
Besitzer bezeichnet, die aus dem lebendigen Fell ausgeschnitten werden.
In den Dörfern an der Landstraße, wo die Pferde gewechselt
werden, ist die Ankunft der Postkutsche stets das wichtigste
Ereigniß des Tages und alle Einwohner strömen neugierig
zusammen, theils um die durchkommenden Reisenden zu mustern und
zu kritisieren, theils um dem aufregenden Schauspiel des
Pferdewechsels beizuwohnen und sich an dem Martern der neu
eingespannten Thiere activ zu betheiligen. Sind diese dann endlich in
der Verzweiflung zur Flucht gebracht, so rennen sie gewöhnlich,
von lautem Geschrei des johlenden Volkes begleitet, in gestrecktem
Galopp oder in voller Carriere so lange als ihr Athem anhält und
fallen dann erst in langsameren Trab. Schweißbedeckt, mit
schäumendem Munde und zitternden Gliedern, kommen sie nach
einer halben Stunde auf der nächsten Station an, wo sie von ihren
Leidensgefährten abgelöst werden. Natürlich ist diese
Fahrmethode für die Reisenden, die sich der gebrechlichen
Postkutsche anvertrauen, weder angenehm noch gefahrlos. Häufig
wird die letztere umgeworfen und zerbrochen; die verzweifelten Pferde
springen nicht selten querfeldein oder drängen
rückwärts den Wagen in ein Bananengebüsch oder in
einen Graben hinein; ich gebrauchte daher in kritischen Momenten auf
meinem hohen Bocksitze stets die Vorsicht, mich zum Sprunge bereits zu
halten. Uebrigens ist kaum zu begreifen, wie die englische Regierung, die
sonst so streng auf Ordnung und Zucht hält, diesem Unfug der
Thierquälerei nicht längst ein Ende gemacht und namentlich
für die armen Rosse ihrer eigenen „königlichen Postkutsche"
durchgreifende Schutzmaßnahmen ergriffen hat.
Großer Buddha, der du so sehr bestrebt warst, das Elend dieses
Jammerdaseins zu mindern und die Leiden der gequälten
Geschöpfe zu mindern, welchen großen Fehler hast du
begangen! Welche Wohlthat hättest du der gequälten
Menschheit und Thierheit erwiesen, wenn du statt des thörichten
Verbotes, ein Thier zu tödten, vielmehr das segensreiche Gebot
erlassen hättest, kein Thier zu quälen! Das erstere Verbot
wird von den buddhistischen Singhalesen in der Regel mit großer
Sorgfalt befolgt, wenn auch mit vielen Ausnahmen. Sie sehen es zwar
sehr gern, wenn der Naturforscher ihnen die Affen und
Flederfüchse wegschießt, welche ihre Bananen und
Mangofrüchte stehlen; oder wenn der Pflanzer die Elephanten
tödtet, welche ihre Reisfelder verwüsten, die Leoparden,
welche ihre Ziegen verzehren, die Palmenmarder, welche ihre
Hühner morden. Allein sie selbst weisen in der Regel jede
derartige Zumuthung mit Abscheu von sich, und hüten sich sehr,
ein Thier direct zu tödten. Aus diesem Grunde sind auch die
Mitglieder der Fischerkaste meist Katholiken; sie haben den Buddha-
Glauben verlassen, um am Tödten der Fische keinen Anstoß
zu nehmen.
Bei der hartnäckigen Insubordination, welche die indischen Pferde
ihren Peinigern entgegensetzen, und bei ihrer Neigung zu
unvermutheten Seitensprüngen, sowie bei der verzweifelten
Schnelligkeit ihres Laufes erfordert das Amt der Rosselenker
natürlich besondere Geschicklichkeit. Sowohl der Kutscher als sein
Assistent, der Pferdeknecht, muß beständig auf seiner Hut
sein. Die Ausdauer und Behendigkeit des Letzteren ist
bewunderungswürdig; ganz nackt, nur mit einer Schwimmhose
und einem umgehängten Posthorn bekleidet, auf dem Haupte
einen weißen Turban, läuft der schwarze Tamil lange
Strecken neben dem dahinjagenden Wagen her, zieht dabei die
Stränge der Pferde bald hier bald dorthin, und schwingt sich
mitten im schnellsten Lauf auf den Wagentritt an der Deichsel. Wenn ein
anderes Fuhrwerk entgegenkommt oder der Weg eine plötzliche
Biegung macht, ergreift er rasch den Kopf der Pferde und lenkt sie mit
gewaltigem Ruck nach der freien Seite. Wenn die Kutsche eine der
langen hölzernen Brücken passirt, welche die breiten
Flüsse überschreiten, hemmt er plötzlich den
jähen Lauf der Thiere und führt sie in bedächtigem
Schritt über die lockeren und klappernden Holzschwellen. Wenn
ein Kind, wie es oft passirt, mitten über den Weg läuft, oder
eine alte Frau dem Wagen nicht ausweicht, springt der Pferdeknecht
rasch entschlossen vor die Pferde und schiebt sie mit kräftiger
Hand hinweg. Kurz er muß beständig aufpasssen und bei der
Hand sein.
Obgleich der Charakter der Landschaft auf der ganzen, siebenzig
englische Meilen langen Strecke zwischen Colombo und Galla derselbe
bleibt, so wird dennoch das entzückte Auge des Reisenden nie
ermüdet. Der unendliche Reiz der Cocoswälder und die
unerschöpfliche Mannigfaltigkeit in der Gruppirung und
Abwechselung ihrer Staffage läßt keine Gleichgültigkeit
aufkommen. Die stechende Gluth der Tropensonne wird nur selten
lästig, da sie sowohl durch die kühlende Seebrise als den
Schatten der Wälder bedeutend gemildert wird. Zwar liefert das
zierliche Fiederwerk der Cocospalmen, wie der meisten übrigen
Palmen, nicht den dichten und erfrischenden Schatten unserer
nordischen Laubwälder; denn durch die Spalten zwischen den
Fiedern dringen allenthalben die Sonnenstrahlen, wenn auch gebrochen,
hindurch. Allein vielfach sind die schlanken Stämme der Palmen
mit den zierlichen Gewinden der kletternden Pfefferrebe und anderen
Schlingpflanzen bedeckt; gleich den schönsten künstlichen
Guirlanden schwingen sich die dicht beblätterten Ranken der
letzteren von Krone zu Krone; von oben hängen sie gleich
prächtigen Ampeln frei herunter. Manche von diesen
Kletterpflanzen sind mit den herrlichsten Blüthen
geschmückt, so die feuerrothe Prachtlilie, die blaue Thunbergia,
die rosenrothe Bougainvillea, goldgelbe Schmetterlingsblüthen aus
verschiedenen Gattungen u. s. w. Ferner stehen unter und zwischen den
herrschenden Palmen vielfach andere Bäume, so namentlich der
edle Mango und der gewaltige Brodfruchtbaum mit seiner dichten,
dunkelgrünen Krone. Der schlanke, säulengleiche Stamm des
zierlichen Melonenbaumes (Carica papaya) ist elegant
getäfelt und mit einem regelmäßigen Diadem von
breiten, handförmig eingeschnittenen Blättern geziert.
Verschiedenen Arten von Jasmin, von Orangen- und
Limonenbäumen sind über und über mit duftigen,
weißen Blüthen bedeckt. Und dazwischen sind nun die
niedlichen, weißen oder braunen Hütten der Singhalesen mit
ihrer idyllischen Staffage überall zerstreut; man würde
glauben, durch ein einziges ununterbrochenes Dorf mit
Palmengärten zu fahren, wenn nicht hier und da ein dichtere
Waldpartie dazwischen träte, und dann wieder ein
ländlicher Bazar mit einer Reihe zusammengedrängter
Häuser uns in ein wirkliches, dichter bevölkertes Dorf
hineinführte.
Dann wendet sich streckenweise der Weg wieder zum Meere und
führt oft unmittelbar an der felsigen Küste hin. Hier
wechselt weicher, flacher Sandstrand mit felsigen Hügeln, und
diese letzteren namentlich sind mit den seltamen
P a n d a n g s
oder
S c h r a u b e n
b ä u m e n malerisch
bekleidet. Die Pandangs (Pandanus odoratissimus) gehören
zu den merkwürdigsten Charakterpflanzen der Tropen. Sie sind
den Palmen nahe verwandt und werden auch Schraubenpalmen oder
(unpassender) Schraubenfichten (Screw-Pines) genannt. Der
niedere, cylindrische Stamm, der meist zwischen 20 und 40 Fuß
Höhe erreicht, ist vielfach verbogen und gabelförmig oder
nach Art eines Armleuchters verzweigt. Jeder Zweig trägt am Ende
einen dichten Busch von großen, schwertförmigen
Blättern (ähnlich den Darcaenen und der Yucca). Diese
Blätter sind bald seegrün, bald dunkelgrün, zierlich
umgebogen, und am Grunde dergestalt spiralig geordnet, daß der
Zweig einer regelmäßig gewundenen Schraube gleicht. An der
Basis der Blätterbüsche hängen weiße,
wundervoll duftende Blüthentrauben oder große, rothe, einer
Ananas ähnliche Früchte. Das Merkwürdigste an den
Pflanzen sind aber zahlreiche dünne Luftwurzeln, die an vielen
Stellen vom Stamme abgehen und sich nach unten gabelförmig
verzweigen; unten am Boden angelangt, schlagen sie wieder Wurzeln
und dienen als Stützpfeiler für den schwachen Stamm. Es
sieht aus, als ob der Baum auf Stelzen ginge. Höchst phantastisch
erscheinen diese Pandangs, wenn sie sich auf ihren Stelzenbeinen hoch
über niederes Buschwerk erheben, wenn sie zwischen den
zerklüfteten Felsen des Seestrandes sich anklammern oder
schlangenartig zwischen denselben auf dem Boden fortkriechen.
Der weiße Sandboden, welcher den flachen Meeresstrand bildet
und mit dunkeln, felsigen Vorgebirgen vielfach wechselt, ist belebt von
munteren, rasch entweichenden Sandkrabben, deren
Schnellfüßigkeit ihren den classichen Namen Ocypode
eingetragen hat. Aber auch zahlreiche Eremitenkrebse (Pagurus)
wandeln bedächtiger zwischen ihren leichtfüßigen
Cousinen einher und schleppen das Schneckenhaus, in dem sie ihren
weichen, empfindlichen Hinterleib verbergen, mit vieler Würde.
Hier und da sind Strandläufer, zierliche Reiher, Regenpfeifer und
andere Strandvögel mit Fischfang am Strande beschäftigt
und machen den fischenden Singhalesen erfolgreich Concurrenz. Die
Letzteren treiben ihr Gewerbe theils einzeln, theils in Gesellschaften; sie
fahren meist in mehreren Canoes mit mächtigen Netzen hinaus,
welche sie gemeinschaftlich an den Strand ziehen. Die Einzelfischer
hingegen fangen ihre Beute mit Vorliebe in den Wellen der
schäumenden Brandung, und es gewährt ein unterhaltendes
Schauspiel, wie die nackten, braunen Gestalten, nur durch einen
großen breitkrämpigen Strohhut gegen den Sonnenstich
geschützt, kühn in die brandenden Wogen hineinspringen
und die Fische mit einem kleinen Handnetz herausfangen. Das
erfrischende Seebad scheint ihnen eben so viel Vergnügen zu
machen, wie ihren kleinen Kindern, die schaarenweise am Strande
spielen und schon mit sechts oder acht Jahren sich als Meister in der
edlen Schwimmkunst bewähren.
Gleich einem zierlichen, schmalen Atlasbande zieht sich der weiße
oder gelbliche Saum des Seestrandes oft stundenlang längs der
vielfach eingeschnittenen oder in schönen flachen Bogen
ausgerandeten Küste hin und trennt die tiefblaue Fläche des
indischen Oceans von den lichtgrünen Cocoswäldern. Dieser
Saum erscheint uns um so reizender, als die schlanken Stämme
der dicht gedrängten Cocospalmen stark über denselben
überhängen, gleich als strebten ihre zierlichen Fiederkronen,
die kühlende Seebrise voll einzuathmen und die Fülle des
Sonnenlichtes ungetheilt zu genießen. Dazu ist de Boden zu ihren
Füßen mit den schönstgen Strandblumen geziert, unter
denen besonders drei hervortreten: die Geißfußwinde mit
ihren zweilappigen Blättern und violettrothen Blüthen
(Ipomoea pescapri), eine zierliche, rosenroth blühende
Balsamine (Impatiens) und die stolze Trichterlilie von Ceylon
(Pancration ceylanicum); die stattlichen weißen
Blüthen der letzteren, mit schmalen, überhängenden
Blumenblättern, stehen in Dolden auf schlanken Stengeln von 6-8
Fuß Höhe. Demnächst sind es dann wieder
vorzugsweise die herrlichen Pothos- oder Gallapflanzen
(Aroideae), die mit ihren gewaltigen Pfeilblättern den Weg
verzieren. Wird die Sonnengluth gar zu unerträglich oder kommt
plötzlich ein Regenschauer, so bricht der Singhalese zu seinem
Schutze einfach ein solches Caladiumblatt ab; es schützt besser als
ein baumwollener oder seidener Schirm und ist noch dazu auf das
Zierlichste mit hellen Aderfiguren, oft auch mit purpurnen Flecken
bemalt. So wachsen in diesem sonnigen Paradiese sogar die Parasols am
Wege - oder vielmehr die „Entout-cas", da sie gleichzeitig ebenso
gute Regen- als Sonnenschirme sind!
Besonders schöne Zierden der herrlichen Galla-Colombo-
Straße sind die zahlreichen
F l u ß m ü n&nb
sp;d u n g e n , welche den
Cocospark unterbrechen, und die ausgedehnten Lagunen, welche
namentlich in ihrer nördlichen Hälfte (zwischen Colombo
und Caltura) die Küstenflüsse in Communication setzen. Die
früheren Herren der Insel, die Holländer, fanden an diesen
Wasserstraßen, als Erinnerungen an ihr Heimathland, solchen
Gefallen, daß sie ein förmliches Canalnetz herstellten und
darüber die Landstraßen sehr vernachlässigten. Gleich
den bekannten „Treckchuiten" der Niederlande, fuhren damals
zahlreiche Frachtboote auf den Küstenlagunen von Ort zu Ort und
vermittelten hauptsächlich den Verkehr. Seitdem die
Engländer nun die vorzügliche Landstraße hergestellt
haben, sind jene Wasserbahnen ziemlich außer Gebrauch
gekommen. Aber mit den dichten Bambus- und Palmenwäldern
ihrer Ufer, mit den reizenden kleinen Inseln und Felsgruppen, die in den
spiegelnden Wasserbecken reichlich zerstreut sind, gewähren sie
dem vorüber eilenden Reisenden eine Fülle verlockender
Bilder, besonders dort, wo über den dunkelgrünen, dichten
Waldmassen sich ganze Schaaren schlanker Cocospalmen erheben - wie
Humboldt treffend sagt: „ein Wald über dem Walde". Dazu bilden
die aufsteigenden Hügelreihen in blauer Ferne einen passenden
Hintergrund; hier und da treten auch die höheren Häupter
des Berglandes darüber vor, unter allen immer am meisten
auffallend der stattliche Kegel des Adams-Pik.
An den Windungen der größeren Flüsse, deren man auf
dieser Strecke eine ganze Anzahl überschreitet, nimmt die heitere
Landschaft einen ernsteren Charakter an; die dunklen
Mangrovenwälder machen sich da vorzugsweise geltend. Meist ist
hier das Ufer dicht mit solchen Manglebäumen gesäumt,
deren verzweigte Luftwurzeln ein undurchdringliches Dickicht
herstellen; früher waren dieselben auch bevölkert von
Crocodilen; jetzt sind diese vor der unaufhaltbar vordringenden Cultur
nach dem oberen Theile der Flüsse zurückgewichen. Der
stattlichste unter diesen Flüssen ist der prachtvolle Kalu-Ganga,
der „schwarze Fluß", den ich später im größten
Theile seiner Länge befuhr; in seiner letzten Strecke ist er so breit
wie der Rhein bei Cöln. An seiner Mündung liegt
C a l t u r a , ein
großes Dorf, an welchem vorläufig die Eisenbahn
aufhört. Am südlichsten Ende von Caltura wölbt sich
ein prachtvoller Benyan- (oder Benjamin-) Baum gleich einem
Triumphbogen über der Landstraße. Dieser riesige
Feigenstamm (Ficus indica) hat Luftwurzeln getrieben, welche auf
der entgegengesetzen Seite der Straße Grund gefaßt haben
und zu mächtigen Stämmen herangewachsen sind; diese
bilden jetzt zusammen mit dem Hauptstamme einen
hochgewölbten gothischen Bogen, um so malerischer, als zahlreiche
parasitische Farne, Orchideen, wilder Wein und andere Kletterpflanzen
den Stamm überwuchert haben. In der Nähe am Strande
entdeckte ich bei einem späteren Besuche von Caltura ein anders
Baumwunder, einen Gummibaum, dessen Pfeilerwurzeln, vielfach
gewunden und in Gestalt höher Bretterzäune aufsteigend,
ein wahres Labyrinth bildeten; Schaaren von munteren Kindern spielten
in den Nischen zwischen den einzelnen Wurzellatten Verstecken.
Ein anderer reizender Punkt ist das Rasthaus von
B e n t o t t e ,
an welchem die „königliche Postkutsche" eine Stunde anhält,
um die Fahrgäste etwas ausruhen und sich durch ein
Frühstück stärken zu lassen. Eine besondere
Delicatesse desselben bilden die berühmten Austern des Ortes;
man genießt sie entwader frisch oder gebacken, auch wohl in Essig
eingemacht. Das Rasthaus liegt reizend auf einem Hügel zwischen
hohen Tamarindenbäumen und gewährt einen
prächtigen Blick auf das sonnenbeglänzte Meer und auf die
Brücke, welche eine Flußmündung überschreitet.
Unterhalb der Brücke sah ich nach eingenommenem
Frühstück dem Austernfange zu und schlenderte dann eine
Viertelstunde durch den malerischen Bazar des langgestreckten Dorfes.
Der Handel und Wandel in diesen Bazaren stimmt ebenso vortrefflich zu
der idyllischen Umgebung, wie die einfache Ausstattung der indischen
Hütten und die primitive Kleidung ihrer halbnackten Bewohner.
Den weitaus bedeutendsten Handelsartikel bilden Reis und Körry
als wichtigste Nahrungsmittel, Betel und Areca als beliebteste
Genußmittel. Diese sowohl als die meisten anderen Handelsartikel
liegen in den einfachen Läden, deren einzige Oeffnung Thüre
und Fenster zugleich ist, zierlich ausgebreitet auf den frischgrünen
Bananenblättern; abwechselnd mit Haufen von Cocosnüssen,
prächtigen Bananen-Trauben und duftenden Ananas, den
stärkemehlhaltigen Wurzeln der Yams, der Colocasia u. s. w.
Dazwischen erblicken wir die riesigen, oft 30-50 Pfund schweren
Brodfrüchte und die nahe verwandten Yackfrüchte, ferner
als besondere Delicatessen die edle Mango und die feine Annona (den
„Custard-Apple" der Engländer). Während uns in
diesen Fruchtläden, welche die Singhalesen oft niedlich mit
Blumen und Zweigen verzieren, der Duft der edlen Früchte anzieht,
werden wir dagegen an anderen abgestoßen durch intensive
Gerüche, die nichts weniger als duftig sind; hier liegen in Haufen
aufgestapelt frische und getrocknete Seethiere, hauptsächlich
Fische und Krebse; von letzteren sind besonders große Garnelen
oder „Shrimbs" beliegt, hier „Prawns" genannt, wichtige Ingredienzien
für die Reiswürze, den Körry.
Man würde sehr irren, wenn man auf diesen singhalesischen
Märkten den lauten Lärm und die wogende Unruhe suchte,
welche das bunte Marktgetreibe der meisten Völker, insbesondere
der südeuropäischen, charakterisiren. Wer z. B. den
lebendigen Verkehr auf der reizenden Piazza dell´ erbe in Verona, oder
das lebhafte Gewimmel auf der Santa Luzia in Neapel kennt, der
möchte denken, daß ein tropischer Bazar auf Ceylon noch
einen viel höheren Grad des lebendigsten Marktgewühles
zeigte. Nichts von alledem! Der stille und sanfte Charakter des
Singhalesenvolkes zeigt sich auch in ihrem Handelsverkehr. Das
Interesse an demselben erscheint sowohl bei den Käufern als bei
den Verkäufern gering; so gering wie der Werth der
Kupfermünzen, um die man die schönsten Früchte
kauft. Diese Münzen sind, beiläufig bemerkt,
Kupferstücke von 1 Cent und von 5 Cents, von denen 100
(beziehungsweise 20) auf eine Rupie (oder einen indischen Silbergulden
= 2 Mark) gehen; sie tragen als Gepräge eine Cocospalme. Sind die
Singhalesen auch gegen den Werth des Geldes keineswegs
gleichgültig, so bedürfen sie dessen doch in weit geringerem
Maße als die meisten übrigen Völker der Erde. Denn an
wenigen Stellen derselben schüttet die gütige Mutter Natur
aus ihrem reichen Füllhorne eine solche unterschöpfliche
Fülle der edelsten Gaben ununterbrochen aus, wie es auf dieser
bevorzugten Insel der Fall ist. So viel Reis, als zum Leben absolut
erforderlich ist, kann auch der ärmste Singhalese mit leichter
Mühe sich erwerben: 10 - 15 Cents (oder ungefähr doppelt
so viele Pfennige) sind für den Tag ausreichend; der Reichthum an
Früchten, welchen das Land schenkt, die Fülle von Fischen,
welche das Meer liefert, ist so groß, daß es auch an der
Körryzuthat zum Reis und an mannigfacher Abwechselung nicht
fehlt.
Warum sollten da die Singhalesen das Leben sich durch Arbeit sauer
machen? Nein, dazu besitzen sie viel zu viel Bequemlichkeit oder
„Lebensphilosophie". Und so sieht man sie denn allenthalben in ihren
einfachen Hütten zur behaglichen Ruhe ausgestreckt oder
plaudernd in Gruppen auf dem Boden hockend; die wenige Arbeit,
welche ihr kleines Stück Gartenland erfordert, ist in
kürzester Frist gethan, und die übrige Zeit gehört dem
Spiele des Lebens. Und auch dieses ist nichts weniger als aufregend und
leidenschaftlich. Vielmehr erscheint über das ganze Thun und
Treiben dieser glücklichen Naturmenschen ein Zauber des Friedens
und der Ruhe ausgebreitet, der uns abgejagte Culturmenschen des
neunzehnten Jahrhunderts gar seltsam und verführerisch
anmuthet.
Ihr beneidenswerthen Singhalesen! Euch plagt weder die Sorge um den
nächsten Tag, noch um die ferne Zukunft. Wahr ihr für Euch
und Eure Kinder zum Leben braucht, das wächst Euch von selbst in
den Mund; und war Ihr sonst noch als Luxus begehrt, könnt Ihr
mit leichtester Mühe verdienen. Ihr seid wahrhaft „wie die Lilien
auf dem Felde", die rings um Eure einfachen Hütten wuchern; sie
säen nicht, sie ernsten nicht, und die himmliche Natur
ernährt sie doch! Euch beseelt kein politischer oder
militärischer Ehrgeiz; keine angstvolle Betrachtung über die
wachsende Geschäfts-Concurrenz oder das Fallen und Steigen der
Papier-Curse trübt Euren Schlaf. Jene höchsten Ziele des
höheren Cultur-Menschen, der Geheimeraths-Titel und der
Ordens-Stern sind Euch unbekannt. Und trotzdem freut Ihr Euch Eures
Lebens! Ja ich glaube fast, Ihr beneidet nicht uns Europäer um
unsere tausend überflüssigen Bedürfnisse; Ihr
begnügt Euch damit, eiknfache Menschen zu sein, Natur-Menschen,
welche im Paradiese leben und dies Paradies genießen! Wie Ihr da
träumerisch hingestreckt unter dem Palmendache Eurer
Hütten liegt und das Spiel der zitternden Lichter zwischen den
Fiedern der Cocos-Wedel betrachtet; wie Ihr Euch am unvergleichlichen
Genuß des Betel-Kauens erquickt und dazwischen mit Euren
niedlichen Kindern spielt; wie Ihr ein erfrischendes Bad am
Flußufer auf offener Straße nehmt und bei der folgenden
Toilette bloß bestrebt seid, den zierlichen Schildpatt-Kamm
möglichst blendend in den kunstgerecht gewundenen Zopf zu
stecken! Ja, welcher sorgenschwere Culturmensch sollte Euch da nicht
um Euren naiven Naturzustand und Euren Paradieses-Frieden beneiden?
Solche und ähnliche Betrachtungen erfüllten meine Seele, als
ich auf der letzten Station vor Galle während des Pferdewechsels
die Gruppen ruhender Singhalesen betrachtete, die im Frieden ihrer
Hütten unter Bananen-Schatten sich ihres Daseins erfreuten! Hier
schien fürwahr der harte „Kampf ums Dasein" aufzuhören;
wenigstens s c h i e n es so.
Ich wurde erst aus diesen Träumen geweckt, als die beiden
Rossebändiger mich aufforderten, wieder meinen hohen Bocksitz
einzunehmen. Die edlen Malabaren belehrten mich dann zugleich in
gebrochenem Englisch, daß es Zeit sei, an das landesübliche
Trinkgeld zu denken; nach der Ankunft in Galle seien sie zu sehr
beschäftigt und auch die Zeit zu kurz, um diesen wichtigen
Gegenstand gehörig zu bedenken. Da ich bemerkt hatte, daß
ein vornehmer, vorher ausgestiegener Singhalese als Trinkgeld Jedem
der Beiden eine „Doppel-Anna", ein kleines Silberstück von 25
Pfennig Werth, verabreicht hatte, glaubte ich meinen höheren
Werth als „weißer Mann" hoch genug zu taxiren, wenn ich das
Vierfache dieser Summe gab, nämlich Jedem einen Schilling.
Indessen sowohl der Kutscher als der Pferdeknecht wiesen ihren
Schilling mit Entrüstung zurück und hielten mir eine
Vorlesung über die Bedeutung meiner weißen Haut, die mir
höchst schmeichelhaft war. Der Grundgedanke derselben bestand
darin, daß jeder weiße „Gentleman" mindestens das Doppelte
(eine Rupie) Jedem von ihnen als Trinkgeld verabreichen müsse,
daß aber ein so weißer Mann, wie ich, mit blonden Haaren,
jedenfalls zu einer der höchsten Kasten gehöre und demnach
noch einen beträchtlichen Zuschlag zahlen müsse. Obwohl
mir nun eine derartig hohe Taxation meiner hellfarbigen
Persönlichkeit nur angenehm sein konnte, ließ ich mich doch
zu weiteren Ueberschreitungen der „Weißen Taxe" nicht bewegen,
zahlte Jedem der beiden Rosselenker eine Rupie und hatte
schließlich noch die Genugthuung zu hören, daß sie mich
für einen vollendeten „Gentleman" erklärten. Angesichts der
kostbaren Naturgenüsse, welche diese herrliche
fünfstündige Wagenfahrt mir gewährt hatte, fand ich
sogar den hohen Fahrpreis von 17 Gulden noch recht billig und
bedauerte es trotz der Hitze und Ermüdung sehr, als gegen 4 Uhr
der Leuchtthurm von Galla sichtbar wurde. Bald darauf rollte die
Postkutsche polternd über die Zugbrücke des alten
Festungsgrabens, dann durch einen langen dunklen Thorweg und hielt
vor dem eleganten „Oriental Hotel" von Punto-Galla.
IX. Punto-Galla.
Auf einer vorspringenden felsigen Landzunge, welche von Westen her
das geräumige, nach Süden offene Hafenbecken
umfaßts, liegt stolz und schön Punto-Galla oder
„ P o i n t d e
G a l l e "; seit grauem Alterthume
eine der wichtigsten und berühmtesten Städte von Ceylon.
Der singhalesische Name G a l l a
bedeutet „ F e l s e n ", und
hat keinen Zusammenhang mit dem lateinischen
G a l l u s , wie die ersten
europäischen Besitzer der Insel, die Portugiesen annahmen; als
Illustration dieser falschen Deutung findet sich noch heute an der alten
Stadtmauer das bemooste Steinbild eines Hahnes, mit der Jahreszahl
1640.
Wie aus mehreren Zeugnissen von Autoren des classischen Altherthums
hervorgeht, war Galla schon vor mehr als zweitausend Jahren
einbedeutender Handelsplatz und wahrscheinlich durch lange Zeit die
größte und reichste Stadt der ganzen Insel. Oestliche und
westliche Hälfte der alten Welt reichten sich hier die Hand; die
arabischen Seefahrer, die vom rothen Meere und vom persischen Golfe
aus sich so weit nach Osten vorgewagt hatten, traten hier in
Handelsverkehr mit den Malayen des Sunda-Archipels und mit den
Chinesen des fernen Ostens. Das östliche
T a r s i s der alten
Phönicier und Hebräer kann nichts Anderes als Galla
gewesen sein; die Affen und Pfauen, das Elfenbein und Gold, welche jene
Seefahrer aus dem sagenreichen Tarsis holten, werden sogar von den
alten hebräischen Schriftstellern mit denselben Namen bezeichnet,
welche noch heute die Tamils auf Ceylon dafür gebrauchen; die
nähere Beschreibung aber, welche sie von dem vielbesuchten
Handelshafen Tarsis geben, paßt von allen Häfen der Insel
nur auf die ausgezeichnete „Felsenspitze": Punto Galla.
Die natürlichen Vortheile der geographischen Lage von Galla, nahe
der Südspitze vov Ceylon, unter 6 Grad nördlicher Breite,
sowie der klimatischen und topographischen Verhältnisse (- vor
Allem des prächtigen, nur gegen Süden geöffneten
Hafenbeckens -) sind so bedeutend und fallen so sehr in die Augen,
daß sie dieser schönen Stadt den natürlichen Vorrang
als ersten Handelsplatz vor allen anderen Hafenstädten der Insel
zu wahren scheinen. Allein die fortgesetzten Bemühungen der
englischen Regierung, die Hauptstadt Colombo auf Kosten von Galla zu
heben, und besonders die bessere Verbindung von Colombo mit dem
Inneren der Insel, sowie die größere Nähe der
centralen Kaffee-Districte, haben neuerdings Galla sehr bedeutenden
Abbruch gethan. Wie schon früher bemerkt, hat sich daher in der
letzten Jahren der größte Theil des Handelsverkehrs von da
nach Colombo herüber gezogen, und der schöne Hafen von
Galla ist lange nicht mehr das, was er früher gewesen. Trotzdem
wird Galla als bedeutendster Handelshafen nächst Colombo seinen
Rang behaupten, und insbesondere wird es der natürliche
Ausfuhrplatz für die reichen Producte der Südprovinz
bleiben. Unter diesen stehen oben an die mannigfachen Erzeugnisse der
Cocos-Palme: das treffliche Cocos-Oel, ,der Coir, die feste Faser der
Nußschale, die vielfach zu Stricken und Geweben verarbeitet wird,
der Palmzucker, aus dessen gegohrendem Safte Arrak destillirt wird, u.
s. w. Früher spielte hier auch der Handel mit Edelsteinen eine
große Rolle, wie in neuester Zeit der Handel mit Graphit oder
„Plumbago". Wenn man sich endlich entschließen wollte, die
Eisenbahn von Caltura bis Galla fortzuführen, und die Felsen und
Korallen, die einen Theil des trefflichen Hafens gefährden, mit
Dynamit wegzusprengen, so könnte die verlorene Blüthe von
Punto-Galla auf´s Neue und glänzender wieder hergestellt werden.
Die Lage von Punto-Galla ist ganz reizend und es ist natürlich,
daß fast in allen früheren Reisebeschreibungen dieser Punkt,
auf dem die Europäer gewöhnlich zuerst landeten, besonders
gepriesen und ausführlich beschrieben wird. Die europäische
oder „ w e i ß e
S t a d t " - das
„ F o r t " - nimmt den ganzen
Rücken der oben erwähnten, von Nord nach Süd
vorspringenden Landzunge ein und besteht aus einstöckigen
Steinhäusern, die von säulentragenden Veranden umgeben
und durch weit vorspringende Ziegeldächer geschützt sind.
Niedliche Gärten zwischen denselben dienen nicht weniger zum
Schmucke der Stadt, als breite Alleen von schattenspendenden Suriya-
Bäumen (Thespesia populnea) und Malvenbäumen
(Hibiscus rosa sinensis). Die letzteren vertreten hier die Stelle der
Rosen; sie sind mit glänzenden frischgrünen Blättern
und prächtigen rothen Blüthen dicht bedeckt, führen
aber bei den Engländern den prosaischen Namen der Schuhblumen
(Shoeflower), weil ihre abgekochten Früchte zum
Schwarzfärben der Schuhe verwendet werden.
Unter den öffentlichen Gebäuden zeichnet sich die
protestantische Kirche, in hübschen gothischen Stile erbaut und
auf einem der höchsten Punkte des hügeligen Forts gelegen,
besonders aus. Ihre dicken Steinmauern erhalten den
hochgewölbten, von schönen Bäumen umgebenen
Raum herrlich kühl, und es war für mich eine wahre
Erquickung, als ich an einem glühend heißen Sonntag-
Vormittag, ermüdet von einer weiten Excursion, vor den Helios-
Pfeilen in diese schattenreiche Grotte flüchten konnte.
Gegenüber dieser Kirche steht das öffentliche Gebäude
von Galle, das „ H a u s
d e r
K ö n i g i n "
(Queens-House). Früher diente es als Sitz des
holländischen und später des englischen Gouverneurs.
Reisende von hohem Range, oder mit besonderen Empfehlungen
ausgerüstet, wurden vom Gouverneur hier gastlich aufgenommen.
Daher ist das Regierungs-Gebäude von Galla mit seiner
nächsten Umgebung gewöhnlich das erste Stück von
Ceylon, welches in älteren Reisebeschreibungen geschildert und
bewundert wird. Von deutschen Reisenden haben Hoffmeister und
Ransonnet dasselbe bewohnt. Seit einigen Jahren ist jedoch das „Haus
der Königin" in Privatbesitz übergegangen und gehört
jetzt dem ersten Handlungshause der Stadt, der Firma Clark, Spence u.
Co. An den jetzigen Chef dieses Hauses, Mr. A. B.
S c o t t , war von Freund St.
freundlichst empfohlen worden und ich fand bei ihm die gastlichste
Aufnahme. Von den prächtigen geräumigen Hallen des
Queens-Haus stellte er mir zwei der besten, nebst einer luftigen
schönen Verande zur freien Verfügung und that
außerdem Alles, mir den Aufenthalt in Galla so angenehm und
nützlich, als nur möglich zu machen. Nicht allein fühlte
ich mich in dem liebenswürdigen Familienkreise des Mr. Scott bald
wie zu Hause, sondern ich lernte auch in ihm selbst seinen englischen
Kaufmann kennen, dessen hohe und vielseitige Bildung seiner
hervorragenden äußeren Stellung vollkommen entspricht.
Derselbe bekleidet gegenwärtig mehrere Consulate, und es ist nur
zu beklagen, daß ihm nicht auch die Vertretung unseres
Vaterlandes zugefallen ist. Der gegenwärtige deutsche Consul in
Galla, Mr. Vanderspaar, spricht weder Deutsch, noch zeigt er für
Deutschland das geringste Interesse und ich entnehme den Berichten
früherer Reisenden die Notiz, daß bereits sein Vater und
Vorgänger sich durch dieselben negativen Eigenschaften
auszeichnete. Daß man zu wissenschaftlichen Zwecken eine Tropen-
Reise machen könne, schien er nicht zu begreifen. Mr. Scott
hingegen ist mehrere Jahre in Deutschland (u. A. längere Zeit auf
der Handelsschule in Bremen) gewesen, spricht vollkommen Deutsch
und ist von der deutschen Literatur und Wissenschaft mit hoher
Achtung erfüllt. Da ich nun das Glück hatte, hier als
derzeitiger persönlicher Vertreter der letzteren angesehen zu
werden, genoß ich die Vortheile seiner reichen Mittel in vollem
Maße. Ich wurde in Folge dessen selbst wieder schwankend, ob ich
nicht seiner gütigen Aufforderung folgen und statt in Belligemma,
mein zoologisches Laboratorium in Queens-House für mehrere
Wochen aufschlagen solle. Ich würde hier jedenfalls inmitten des
angenehmsten europäischen Comforts und des freundlichsten
Familienverkehrs mich weit behaglicher als unter den Indiern im
Rasthause von Belligemma befunden und auch viele meiner
wissenschaftlichen Zwecke weit leichter und bequemer erreicht haben.
Indessen blieb ich dieser verlockenden Versuchung gegenüber
standhaft und wurde dafür auch reichlich belohnt, daß ich
die ursprüngliche Natur von Ceylon und seinen Eingeborenen dort
weit besser kennen lernte, als hier in dem civilisirten Galla.
Die wenigen Tage, welche ich jetzt in Galla blieb, sowie einige weitere
Tage, welche ich auf der Rückkehr von Belligemma im Hause von
Mr. Scott zubrachte, wurden mit dessen umsichtiger Hilfe so gut benutzt,
daß ich trotz der kurzen Zeit eine gute Uebersicht über die
herrliche Natur seiner Umgebung und über den Reichthum seiner
prächtigen Korallenbänke gewann. Zu jeder Stunde stand mir
eine der beiden Equipagen von Mr. Scott zur Verfügung für
meine Excursionen zu Lande, ebenso sein treffliches, mit drei Malabaren
bemanntes Boot für die Ausflüge zu Wasser. Außerdem
machte mich Mr. Scott mit mehreren angesehenen Engländern
bekannt, die für meine wissenschaftlichen Zwecke von
besonderem Nutzen sein konnten; von diesen bin ich namentlich
Capitän Bayley und Capitän Blyth zu großem Danke
verpflichtet.
Der erste und nächste Spaziergang, den man nach der Ankunft in
Galla machen kann, ist ein Rundgang auf den hohen Wällen des
Forts. Diese Wälle, von den Holländern aus Backsteinen sehr
solid gebaut, fallen allenthalben steil in das Meer ab und
gewähren auf der östlichen Seite eine prächtige
Aussicht über den ganzen Hafen und die bewaldeten Hügel,
welche denselben einschließen, überragt von den blauen
Bergketten des fernen Hochlandes. Auf der südlichen und
westlichen Seite hingegen erblickt man zu ihren Füßen die
wundervollen Korallenbänke, welche die felsige, das Fort tragende
Landzunge rings umgürten, und welche während der Ebbe
einen großen Theil ihres blumenähnlichen Thierschmuckes
durch das seichte Wasser hindurch schimmern lassen. Besonders
prächtige Korallen-Gärten sieht man da in der Nähe
des Leuchtthurms, der auf der südwestlichen Ecke des Forts sich
erhebt.
Zwei alte dunkle Thore, deren Steinpfeiler gleich dem größten
Theile der Wälle mit Farnen und Moosen üppig bewachsen
sind, führen aus dem Innern des Forts in das Freie. Durch das
östliche Thor gelangt man unmittelbar an den Quai des Hafens und
auf den Molo, der hier ostwärts in denselben vorspringt. Durch das
nördliche Thor dagegen kommt man auf die grüne
Esplanade, einen flachen, ausgedehnten, mit Rasen bewachsenen Spiel-
und Exercierplatz, welcher das Fort von der „Pettah" oder der
„ S c h w a r z e
n S t a d t " trennt. Die
letztere besteht größtentheils aus einfachen Hütten und
Bazaren der Eingeborenen; ein Theil derselben zieht sich ostwärts
um den Quai des schönen Hafens herum; ein anderer Theil
längs des Strandes und der Colombo-Straße. Beide verlieren
sich ohne scharfe Gränze in Häusergruppen und einzelnen
Hütten, die allenthalben in den umgebenden Cocoswäldern
zerstreut sind, theilweise auch in das waldige Gartenland der
aufsteigenden Hügel hinaufgehen. Auf einem der
nächstgelegenen Hügel erhebt sich in schönster Lage,
dem Fort gegenüber, die katholische Kirche. Dieselbe ist mit einer
katholischen Schule und Missionsanstalt verbunden; in dem Vorstande
derselben, Padre Palla (dem Nachfolger des angesehenen, in
früheren Reiseberichten oft erwähnten Padre Miliani),
lernte ich einen angenehmen und namentlich in musikalischer
Beziehung sehr gebildeten Triestiner kennen; es gewährte ihm
großes Vergnügen, daß ich mich in seiner geliebten
italienischen Muttersprache mit ihm über Triest und Dalmatien
unterhalten konnte. Der wohlgespflegte Garten der Mission ist gleich den
meisten Gärten in der paradiesischen Umgebung von Galla reich an
den herrlichsten Erzeugnissen der Tropenzone; jedem Botaniker und
Pflanzenfreunde geht dabei das Herz auf.
Aber der reizendste Punkt in der ganzen Umgebung von Galla ist meinen
Geschmacke nach die V i l l a
m a r i n a
d e s
C a p i t ä n
B a y l e y . Dieser
unternehmende und vielseitig thätige Mann war früher
Schiffscapitän und ist jetzt Agent der P. and O.-Company.
Mit seinem Natursinn hat er sich für den Bau seines Daheims einen
Punkt ausgesucht, wie er hier nicht schöner gefunden werden
kann. Ungefähr in der Mitte der weiten Bogenlinie, welche
nördlich das prächtige Hafenbecken von Punto-Galla
umfaßt, springen ein paar höhe Gneisfelsen weit in das Meer
vor; einige kleine Felseninseln, dicht mit Pandangs bewachsen, sind
ihnen unmittelbar vorgelagert. Einen dieser Felsen nun (und zwar den
am meisten nach Osten gelegenen) hat Capitän Bayley erworben
und sich darauf mit eben so viel Geschmack als praktischer Ausbeutung
der gegebenen Localität ein kleines Schloß nebst Garten
gebaut, ein wahres „Miramare von Galla". Sowohl aus den westlichen
Fenstern der Villa selbst, als auch besonders von der daran gelegenen
Terrasse genießt man eine Aussicht auf die
gegenüberliegende Stadt und den dazwischen gelegenen Hafen, die
von keinem andern Aussichtspunkt der Umgebung übertroffen
wird. Der Leuchtthurm auf der Kante und die protestantische Kirche in
der Mitte des Forts nehmen sich vortrefflich aus; besonders wenn die
Morgensonne über dieselbe ihren Goldglanz ausstrahlt. Einen
prächtigen Mittelgrund liefern die malerischen schwarzen
Felsinseln, die mit den üppigsten Schraubenpalmen
(Pandanus) phantastisch verziert sind; an ihrem Fuße liegen
mehrere singhalesische Fischerhütten. Für den Vordergrund
endlich geben die zerklüfteten und wild aufeinander
gethürmten schwarzen Felsen in der nächsten Umgebung
der Villa ein groteskes Motiv ab; oder will man das Bild freundlicher
haben, so nimmt man dazu ein Stück des reizenden, mit den
schönsten Tropenpflanzen reich ausgestatteten Gartens.
Unter den vielen Zierden dieses Gartens waren mir besonders mehrere
Prachtexemplare der ägyptischen
D h u m -
P a l m e interessant
(Hyphaene thebaica). Der starke Stamm dieser Palme bildet nicht,
wie bei den meisten Bäumen dieser Familie, eine schlanke
Säule, sondern ist gabelförmit verzweigt, gleich den
Drachenbäumen (Dracaena); jeder Ast trägt eine Krone
von fächerförmigen Blättern. Ich hatte diese
ausgezeichnete Palme, die hauptsächlich in Ober-Aegypten
wächst, früher in dem arabischen Dorfe Tur, am Fuße
des Sinai, kennen gelernt und in meinen „Arabischen Korallen" eine
Abbildung derselben gegeben (1876, Taf. IV, p. 28). wie mußte ich
daher erstaunt sein, dieselbe hier in einem so veränderten
Gewande anzutreffen, daß ich sie kaum wiedererkennen konnte.
Die
A n p a s s u n
g an die gänzlich verschiedenen Lebensbedingungen hatte
aus der ägyptischen D h u m -
P a l m e in Ceylon einen ganz
anderen Baum gemacht. Der mächtige Stamm erschien mindestens
doppelt so stark, weit kräftiger als in seinem Vaterlande; die
Gabeläste zahlreicher, aber kürzer und gedrungener, weit
enger zusammengedrängt; die riesigen Fächerblätter
weit größer, üppiger und fetter; auch die Blumen und
Früchte, soweit ich mich wenigstens erinnern konnte, schienen an
Umfang und Schönheit bedeutend zugenommen zu haben.
Jedenfalls hatte sich der ganze Habitus des schönen Baumes in
dem Treibhausklima von Ceylon so sehr verändert, daß die
ererbte Physiognomie desselben in wesentlichen Zügen verwischt
erschien. Und das Alles hatten die veränderten
Anpassungsbedingungen, vor Allem die weit größere
Quantität von Feuchtigkeit bewirkt, die von frühester Jugend
an auf den nordafrikanischen, des trockenen Wüstenklimas
gewohnten Baum eingewirkt hatten. Die stattlichen Bäume waren
aus ägyptischen Samen gezogen, und hatten im Laufe von 20
Jahren eine Höhe von mehr als 30 Fuß erreicht!
Ein großer Theil der reizenden Villa wird von einem
großartigen Farngarten eingenommen. Gerade die Farne gedeihen
in dem natürlichen Treibhausklima der Insel vorzüglich gut,
und Capitän Bayley hatte neben einer Auswahl der
schönsten einheimischen auch eine Anzahl merkwürdiger
ausländischer Tropenfarne hier zusammengestellt. Da konnte man
mit einem Blick die ganze Fülle der zierlichen und mannigfachen
Formen überschauen, welche die gefiederten Wedel dieser
schönen Kryptogamen entwickeln; auch an stattlichen Baumfarnen,
an zierlichen Selagninellen und Lycopodien fehlt es nicht. Nicht minder
anziehend waren prächtige Schlingpflanzen, herabhängend
aus schönen, an der Decke befestigten Ampeln, Orchideen,
Bromelien, Begonien u. s. w.
Aber auch für den Zoologen besitzt das Miramare von Galla,
ebenso wie für den Botaniker, ein hohes Interesse. Eine kleine
Menagerie unten im Hofe enthält mancherlei seltene
Säugethiere und Vögel (u. A. einen neuholländischen
Strauß, mehrere Eulen und Papageien und ein einheimisiches
Schuppenthier, Manis). Letzteres, sowie einige seltene Fische,
hatte Capitän Bayley die Güte, mir zum Geschenk zu machen;
wie er mir auch später zu Weihnachten ein paar interessante Loris
(Stenops) nach Belligemma sendete. Aber weit anziehender noch
als diese seltenen Thiere waren für mich die prachtvollen Korallen,
die rings um die umgebenden Felsen in üppigster Fülle
wucherten; sogar der kleine Hafen, den der Capitän für seine
Barke eingerichtet hatte, und der steinere Molo, auf dem man landete,
erschienen dicht damit verziert; und ich konnte in wenigen Stunden hier
meine Korallensammlung wesentlich bereichern. Auch ist ein
großer Theil des mannigfaltigen Gethiers, das die ausgedehnten
Korallenbänke bei Galla belebt, hier auf engem Raum
zusammengedrängt zu finden: riesige schwarze Seeigel und rothe
Seesterne, zahlreiche Krebse und Fische, bunte Schnecken und Muscheln,
ferner seltsame Würmer verschiedener Classen und wie all´ die
bunte Gesellschaft heißt, die auf den Korallenstöcken und
zwischen deren Aesten ihr Wesen treibt. Es würde sich daher die
Villa des Cepitän Bayley, die er gegenwärtig wegen seiner
Uebersiedelung nach Colombo verkaufen will, ganz vorzüglich zur
Anlage einer zoologischen Station eignen, zumal die bequem gelegene
Stadt nur eine halbe Stunde entfernt ist.
Wandert man längs des felsigen Seestrandes noch weiter
östlich um die Bucht von Galla herum, so gelangt man
aufwärts steigend zu einem höheren Aussichtspunkte, der
ebenfalls einen prächtigen Blick auf die Stadt und den Hafen
gewährt, und mit Recht „B e l l a
V i s t a" heißt. Hier hat sich ein
protestantischer Geistlicher, Reverend Marx, eine hübsche Villa
gebaut und eine Missionsanstalt eingerichtet. Die hohe Bergwand, die
von hier aus nach Süden vorspringt und die östliche
Umfassungsmauer des Hafens bildet, ist dicht bewaldet. Sie endigt in
einer steilen Felsenspitze, die dem Leuchtthurme östlich
gegenüber liegt und vor Jahren einmal befestigt werden sollte. Der
Plan wurde später wieder aufgegeben. Einige eiserne Kanonen
schauen noch jetzt aus dem Gewirre der wuchernden Schlingpflanzen
hervor; eine muntere Affenherde trieb auf denselben ihr Spiel, als ich
am Samtag Nachmittag dort umherkletterte. Ein enger Pfad, den ich von
dort aus weitger verfolgte, führte mich nach Süden,
längs der steilen Felsenküste, in einen dichten Wald, voll der
prächtigsten Pandangs und Schlingspflanzen. Derselbe wird von
einer tiefen Schlucht durchschnitten, in deren Grunde ein munterer Bach
zum nahen Meere herabspringt. Nahe vor seiner Mündung
fällt der Bach in ein natürliches Felsenbecken; das ist ein
Liebslingsplatz zum Baden für die Eingeborenen. Als ich
unvermuthet aus dem Dickecht hervortrat, überraschte ich eine
Gruppe von Singhalesen beiderlei Geschlechts, die in diesem „Onawatty-
Bassin" lustig umherplätscherten.
Ein ähnliches natürliches Felsenbassin, aber von weit
größerem Umfang und künstlich noch erweitert, findeet
sich unterhalb der vorher genannten Felsenspitze, dem Leuchtthurme
schräg gegenüber. Dasselbe heißt „Watering
place", weil seine reichen Quellen die meisten Schiffe mit einem
Vorrathe des besten Trinkwassers versorgen. Die steilen
Felsenwände, die dies Bassin umgeben, sind mit stacheligen,
wilden Dattelpalmen (Phoenix sylvestris), mit
weißblüthigen Asclepiadeen und mit graugrünen
Euphorbienbäumen bewachsen. Diese Euphorbia antiquorum
gleicht einem riesigen Armleuchter-Cactus und trägt ihre steifen
Aeste in regelmäßigen Wirteln; sie gehört nebst ihrem
Nachbar, dem stelzenfüßigen Pandang, zu den sonderbarsten
Gewächsen dieser Wälder.
Einen ganz anderen Charakter als diese wilden, felsigen Berge im
Südosten von Galla zeigen die sanften Thäler, welche sich
zwischen bewaldeten Hügelreihen im Norder der Stadt ausdehnen.
Hier macht sich wieder ganz der idyllische Charakter der
Südwestküste geltend. Der beliebteste Ausflug nach dieser
Richtung ist der Hügel von Wackwelle, auf dessen Höhe ein
reizender Fahrweg durch Cocospark hinführt. Er wird von
Picknickpartien aus der Stadt viel besucht und seit Kurzem hat hier ein
speculativer Wirth sogar eine Restauration errichtet und läßt
sich von jedem Besucher, auch wenn er Nichts verzehrt, einen Sixpence
für den Genuß der hübschen Aussicht zahlen. Die
letztere betrifft vorzugsweise das waldige breite Thal des
Ginduraflusses, welcher eine halbe Stunde nordwärts von der
Stadt in das Meer sich ergießt. Gleich einem blinkenden
Silberbande windet sich der Fluß durch die frischgrünen
Reisfelder, die „Paddy-Fields", welche die breite Thalsohle einnehmen.
Die Abhänge ringsum sind mit dem schönsten Baumwuchs
geschmückt. Zahlreiche Affen und Papageien beleben dieselben.
Im Hintergrunde erblickt man die blauen Berge des Hochlandes. Unter
diesen macht sich in der Landschaft von Galla durch seine sonderbare
Form besonders der stattliche „Haycock" bemerkbar; er gleicht einem
glockenähnlichen Heuschober und hat davon seinen Namen
erhalten. Weithin von ferne sichtbar, dient er als Landmarke für
die nahenden Schiffe.
Aber mehr noch als dieses reizende Gartenland in der nächsten
Umgebung von Punto-Galla interessirten mich die unterseeischen
K o r a l l e n -
G ä r t e n , welche
sein Fort einschließen; ich bedaure es noch heute lebhaft, daß
ich ihrm Studium nicht mehrere Wochen, statt weniger kurzer Tage
widmen konnte. Der Wiener Maler Ransonnet war in dieser Beziehung
glücklicher. Er konnte während mehrerer Wochen,
unterstützt durch die besten Hilfsmittel und namentlich durch
eine vortreffliche Taucherglocke, die Korallenbänke von Galla
genau untersuchen und hat von denselben in seinem illustrirten Werke
über Ceylon (Braunschweig, Westermann 1868) eine vortreffliche
Schilderung gegeben. Auf vier Farbendrucktafeln, für welche er
die Skizzen unter Meer, in der Taucherglocke aufnahm, hat er das bunte
Thierleben dieser geheimnisvollen Korallenwelt recht anschaulich
wiedergegeben.
Schon vor neun Jahren, al sich im Frühjar 1873 die
Korallenbänke des rothen Meeres bei Tur, an der Sinaiküste,
besuchte und dort zum ersten Male einen Blick in die wundervolle
Gestaltenwelt dieser unterseeischen Zaubergärten thun konnte,
hatten dieselben mein höchstes Interesse erregt, und ich hatte
versucht, in meiner populären Vorlesung über „Arabische
Korallen" (Berlin, 1876, mit fünf Farbendrucktafeln) die
Organisation dieser merkwürdigen Thiere und ihr Zusammenleben
mit verschiedenen anderen Geschöpfen in kurzen Zügen zu
schildern. Die Korallen von Ceylon, die ich jetzt zunächst hier in
Galla, später genauer in Belligemma kennen lernte, riefen mir jene
herrlichen Erinnerungen lebhaft in das Gedächtniß
zurück und bereicherten mich außerdem mit einer
Fülle neuer Anschauungen. Denn die indische Seethier-Fauna von
Ceylon ist zwar im Ganzen mit der arabischen des rothen Meeres sehr
nahe verwandt und beide haben sehr viele Gattungen und Arten
gemeinschaftlich. Aber die Zahl und Mannigfaltigkeit der verschiedenen
Lebensformen ist in dem weiten Becken des indischen Oceans mit seiner
verschiedenartigen Küstenentwickelung bedeutend
größer, als in dem abgeschlossenen arabischen Golfe mit
seinen einförmigen Lebensbedingungen. Auch fand ich die
allgemeine Physiognomie der Korallenbänke an beiden Orten trotz
aller gemeinsamen Züge doch verschieden. Während
diejenigen von Tur sich durch vorwiegend warme Farbentöne,
Gelb, Orange, Roth, Braun auszeichnen, herrscht dagegen auf den
Korallenbänken von Ceylon die grüne Farbe in den
mannigfachsten Schattirungen und Tönen vor. Gelbgrüne
Alcyonien stehen neben seegrünen Heteroporen,
malachitgrüne Anthophyllen neben olivengrünen
Milleporen, smaragdgrüne Madreporen und Astraeen neben
braungrünen Montiporen und Mäandrinen.
Schon Ransonnet (l. c. p. 134) hat mit Recht darauf hingewiesen, wie
auffallend in Ceylon die
g r ü n e
F a r b e allenthalben dominirt.
Nicht allein erscheint der größte Theil dieser
„immergrünen Insel" das ganze Jahr hindurch mit einem
unverwelklichen tiefgrünen Pflanzenteppich geziert, sondern auch
die Thiere der verschiedensten Classen, welche denselben beleben, sind
zum großen Theile ganz auffallend grün gefärbt.
Namentlich prangen viele der häufigsten Vögel und
Eidechsen, Schmetterlinge und Käfer im glänzendsten
Grün. Nicht minder sind aber auch zahlreiche Meeresbewohner der
verschiedensten Classen grün gefärbt, so namentlich sehr
viele Fische und Krebse, Würmer (Amphinome) und Seerosen
(Actinia); ja sogar Thiere, die anderwärts selten oder nie die
grüne Livree tragen, sind hier mit derselben geschmückt, so
z. B. mehrere Seesterne (Ophiura), Seeigel, Seegurken; ferner
Riesenmuscheln (Tridacna) und Spiralkiemer (Lingula) u.
dergl. mehr. Die Erklärung dieser merkwürdigen
Erscheinung ergibt sich aus der Darwin´schen Züchtungslehre,
insbesondere aus dem Anpassungsgesetz der „gleichfarbigen Zuchtwahl
oder sympathischen Farbenwahl", welches ich in meiner
„Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (VII. Aufl. S. 235)
erläutert habe. Je weniger die bestimmende Färbung eines
Thieres von derjenigen seiner Umgebung abweicht, deste weniger wird
es von seinen Feinden bemerkt, desto leichter kann es sich unbemerkt
seiner Beute nähern, desto mehr ist es mithin geschützt und
im „Kampfe um´s Dasein" begünstigt. Die natürliche
Züchtung wird mithin die Uebereinstimmung in der
verherrschenden Färbung der Thiere und ihrer Umgebung
beständig verstärken, weil sie den ersteren vortheilhaft ist.
Die grünen Korallenbänke von Ceylon mit ihren vorwiegend
grünen Bewohnern sind für diese Theorie eben so lehrreich,
als die grünen Landthiere, welche die immergrünen
Walddickichte der Insel beleben. Was aber die Reinheit und Pracht der
grünen Farbe betrifft, so werden die letzteren von den ersteren
sogar übertroffen.
Man würde indessen irren, wenn man aus diesem
überwiegenden Grün auf eine ermüdende Monotonie
des Colorits schließen wollte. Vielmehr wird man nicht satt,
dasselbe zu bewundern, weil einerseits die mannigfaltigsten und
schönsten Abstufungen und Modificationen darin zu verfolgen
sind, und weil andererseits allenthalben lebhaft und buntgefärbte
Gestalten darin zerstreut sind. Wie die prächtigen rothen, gelben,
violetten und blauen Farben vieler Vögel und Insecten im
dunkelgrünen Walde von Ceylon doppelt schön erscheinen,
so auch die gleichen lebhaften Farben vieler Seethiere auf den
Korallenbänken. Ganz besonders zeichnen sich durch solche
Prachtfarben, verbunden mit zierlichster und höchst sonderbarer
Zeichnung, viele kleine Fischchen und Krebschen aus, die zwischen dem
Astwerk der vielverzweigten Korallenbäume ihre Nahrung suchen.
Aber auch einzelne stattliche Korallen sind recht bunt und auffallend
gefärbt, so z. B. viele Pocilloporen rosenroth, viele Sternkorallen
roth und gelb, viele Heteroporen und Madreporen violett und braun u. s.
w. Leider sind nur diese herrlichen Farben meistens sehr
vergänglich und verschwinden bald, nachdem man die Korallen
aus dem Wasser herausgenommen hat, oft schon bei bloßer
Berührung. Die empfindlichen Thiere, die mit ausgebreitetem
Fühlerkranze im schönsten Farbenglanze prangen, ziehen
sich dann plötzlich zusammen und werden unansehnlich,
trübe oder farblos.
Wenn nun schon die Farbenpracht der Korallenbänke und ihrer
bunten Bewohner das Auge entzückt, so wird dasselbe doch noch
weit mehr gefesselt durch die Schönheit und Mannigfaltigkeit der
Formen, welche diese Thiere entfalten. Wie die strahlige Gestalt der
einzelnen Korallenperson einer regelmäßigen Blume gleicht,
so ahmt die zusammengesetzte Form der verästelten Stöcke
diejenige der verzweigten Pflanzen, der Bäume und
Sträucher nach. Wurden ja doch eben deshalb die Korallen
früher allgemein für wirkliche Pflanzen gehalten, und es
dauerte lange, ehe man sich von ihrer wahren Thiernatur
überzeugte.
Einen entzückenden und wirklich märchenhaften Anblick
gewähren diese vielgestaltigen Korallengärten, wenn man
bei ruhiger See während der Ebbe im Boote über dieselben
hinfährt. In der unmittelbaren Umgebung des Forts von Galla ist
der Meeresboden von so geringer Tiefe, daß man dann selbst der
Spitzen der steinharten Thiergebilde mit dem Kiel des Bootes streift, und
durch das krystallklare Wasser hindurch selbst von oben, von den
Wällen Forts, die einzelnen Korallenbäumchen unterscheidet.
Eine Fülle der schönsten und merkwürdigsten
Gestalten ist hier auf so engem Raume vereinigt, daß ich im Laufe
von wenigen Tagen eine prächtige Sammlung zu Stande bringen
konnte.
Der Garten von Mr. Scott, in welchem mein gütiger Gastfreund mir
dieselben zum Trocknen aufzustellen gestattete, bot in diesen Tagen
einen wunderbaren Anblick. Die herrlichen Tropengewächse
desselben schienen mit den fremden Seebewohnern, die sich zwischen
sie gedrängt hatten, um den Presi der Schönheit und
Farbenpracht zu streiten, und der glückliche Naturforscher, der
trunkenen Auges zwischen ihnen auf- und abwanderte, mußte
zweifelhaft bleiben, ob er der Fauna oder der Flora den ersten Preis der
Schönheit zuerkennen solle. Die Korallenthiere des Meeres ahmten
hier in wunderbarer Mannigfaltigkeit die Formen der schönsten
Pflanzengebilde nach; und die Orchideen und Gewürzlilien des
Gartens spiegelten umgekehrt die Gestalten der Insecten vor. Die beiden
großen Reiche der organischen Welt schienen hier ihre Gestalten
auszutauschen.
Die Mehrzahl der Korallen, welche in in Galla und später in
Belligemma sammelte, verschaffte ich mir mit Hilfe von
T a u c h e r n .
Ich fand dieselben hier eben so geschickt und ausdauernd, wie vor neun
Jahren die arabischen Taucher in Tur. Mit einem starken Stemmeisen
bewaffnet, lösten sie die Kalkgerüste selbst
größerer Korallenstöcke unten, wo sie auf dem
Felsboden befestigt saßen, ab und hoben sie mit großer
Geschicklichkeit zum Boote empor. Manche derselben wogen 50-80
Pfund und es kostete keine geringe Mühe und Sorgfalt, sie
unversehrt in das Boot zu heben. Einige Korallenstöcke sind so
zerbrechlich, daß sie beim Herausnehmen aus dem Wasser durch
ihr eigenes Gewicht zusammenbrechen, und so ist es leider gerade bei
manchen der zierlichsten Formen unmöglich, sie
unbeschädigt nach Hause zu transportiren. Das gilt z. B. von
gewissen zarten Turbinarien, deren blattförmige Stöcke in
Gestalt einer kegelförmigen Tüte aufgerollt sind, und von
den vielzackigen Heteroporen, welche einem colossalen Hirschgeweihe
mit hundert Aesten gleichen.
Die volle Schönheit der Korallenbänke erblickt man
übrigens nicht bei der Ansicht von oben, auch wenn man in
seichtem Wasser bei Ebbe unmittelbar über dieselben
hinfährt und ihre Spitzen mit dem Boote berührt. Vielmehr
ist es dazu erforderlich, selbst in das flüssige Element
hinabzutauchen. In Ermangelung einer Taucherglocke versuchte ich
schwimmend den Grund zu gewinnen und die Augen unter Wasser offen
halten; bei einiger Uebung gelingt das leicht. Ganz wunderbar erscheint
dann der mystische grüne Schimmer, der über dieser ganzen
unterseeischen Welt ausgebreitet liegt. Das entzückte Auge wird
durch die merkwürdigsten Lichteffecte überrascht, ganz
verschieden von denjenigen der gewohnten Oberwelt mit ihrem „rosigen
Licht". Und doppelt seltsam und interessant erscheinen da unten die
Formen und Bewegungen all´ der tausend verschiedenen Thiere, von
denen es in den Korallengärten wimmelt. Der Taucher befindet
sich in der That in einer neuen Welt. Gibt es doch eine ganze Anzahl von
merkwürdigen Fischen, Krebsen, Schnecken, Muscheln,
Sternthieren, Würmern u. s. w., deren Nahrung ausschließlich
aus dem Fleische der Korallenthiere besteht, auf welchen sie ihre
ständige Wohnung haben; und gerade diese Korallenesser - die
man eigentlich als „Parasiten" bezeichnen kann - haben durch
Anpassung an ihre absonderliche Lebensweise die wunderlichsten
Formen erworben; sie sind namentlich mit Schutz- und Trutzwaffen von
der seltsamsten Gestalt ausgerüstet.
Wie aber der Naturforscher in den Tropen „nicht ungestraft unter
Palmen wandelt", so schwimmt er auch nicht ungeahndet unter
Korallenbänken. Die Oceaniden, unter deren Hut diese
kühlen Zaubergärten des Meeres stehen, bedrohen den
fremden Eindringling mit tausend Gefahren. Die Feuerkorallen
(Millepora) ebensowohl als die zwischen ihnen schwimmenden
Medusen brennen bei der Berührung gleich den schlimmsten
Brennnesseln. Der Stich der Flossenstacheln von manchen Panzerfischen
(Synanceia) ist ebenso schmerzhaft und gefährlich als
derjenige des Scorpions. Viele Krabben kneipen mit ihren
mächtigen Scheeren auf das Empfindlichste. Schwarze Seeigel
(Diadema) bohren ihre fußlangen Stacheln, die mit feinen
Widerhaken besetzt sind, in das Fleisch des Fußes, wo sie
abbrechen und stecken bleiben; sie verursachen gefährliche
Wunden. Aber am schlimmsten wird die Haut beim Fange der Korallen
selbst zugerichtet. Die tausend harten Stacheln und Kanten, mit welchen
ihr Kalkgerüsst bewaffnet ist, verursachen beim Versuche, sie
abzulösen und in das Boot zu schleppen, unzählige kleine
Wunden. In meinem ganzen Leben habe ich keine so zerfetzte und
geschundene Haut gehabt, wie nach mehrtägigem Tauchen und
Korallenfischen in Punto-Galla. Noch mehrere Wochen nachher hatte ich
an den Folgen zu leiden. Aber was sind diese vorübergehenden
Leiden für den Naturforscher im Verhältniß zu den
märchenhaften Anschauungen und Naturgenüssen, mit
denen ihn der Besuch dieser wunderbaren Korallenbänke
für sein ganzes Leben bereichert!
X. Belligemma.
B e l l a
g e m m a ! „Schöner
Edelstein"! Wie oft gedenke ich dein! Wie oft schon taucht jetzt schon,
wenige Monate nachdem ich von dir scheiden mußte, dein
unvergeßliches Bild vor mir auf und zaubert mir eine Fülle
der schönsten Erinnerungen vor! Wie herrlich wird dieses Bild mir
erst später, in wachsendem Reize erscheinen, wenn der blaue Duft
der geheimnißvollen Ferne mehr und mehr sich über deine
lieblichen Formen legt. Fürwahr, wenn man Ceylon das Diadem
von Indien nennt, dann darfst du als einer der schönsten
Edelsteine in diesem Diademe gepriesen werden: Bella gemma della
Taprobane!
Der geneigte Leser wird mir hoffentlich verzeihen, wenn ich hier gleich
das Geständniß einschalte, daß der Name
B e l l i g e m m
a eigentlich anders geschrieben wird und etwas ganz
Anderes bedeutet als „Bella gemma". Der singhalesische Name des
Dorfes heißt ursprünglich
W e l i g a m a
und bedeutet: Sanddorf (Weli = Sand, Gama = Dorf). Allein
die Engländer sprechen den Namen beständig „Belligemm"
aus und so brauchen wir bloß ein a an die Stelle des i zu setzen, um
zu dem italienischen Worte zu gelangen, das die seltene Schönheit
des Ortes treffend bezeichnet. In meiner Erinnerung wenigstens bleibt
das Bild von „Bella-Gemma" immer mit der Vorstellung eines
auserlesenen Edelsteins von Naturpracht verknüpft;
während der sandige Strand, der „Weligama" seinen Namen
gegeben hat, ganz darin zurücktritt.
Natürlich hatte ich in Punto-Galla und Colombo mich
möglichst gut über die Verhältnisse von Belligemma zu
unterreichten gesucht, nachdem ich einmal den Entschluß
gefaßt hatte, dort für ein paar Monate mein zoologisches
Laboratorium aufzuschlagen. Allein trotz vielen Umherfragens hatte ich
nicht viel mehr erfahren, als daß die Lage des Dorfes mitten im
Cocoswalde sehr schön, das geschützte Hafenbecken reich an
Korallen und das Regierungs-Rasthaus leidlich gut sei; in negativer
Hinsicht wurde mir mitgetheilt, daß weder irgend ein
Europäer, noch irgend eine Spur von europäischen Comfort
und gewohnter Civilisation daselbst existire. Alles das hatte, wie ich bald
erfuhr, seine Richtigkeit. Jedenfalls schwebte also über meiner
nächsten Zukunft der mystische Schleier des Abenteuerlichen und
Seltsamen; und ich bekenne, daß ich nicht ohne ein gewisses
unheimliches Gefühl der Unsicherheit und der völligen
Isolirung am 12. December in Punto-Galla der europäischen Cultur
Valet sagte. Ich hatte schon in Colombo und noch mehr in Kandy
erfahren, wie merkwürdig nahe auf Ceylon die unberührte
Ur-Natur der europäischen Firniß-Cultur auf den Leib
rückt, und wie die Distanz weniger Meilen den dichten Urwald von
der bevölkerten Stadt trennt. Hier im südlichsten Theile der
Insel konnte ich das noch in erhöhtem Maße erwarten. Meine
ganz Hoffnung beruhte also einerseits auf der Wirksamkeit der
officiellen Regierungs-Empfehlung, andererseits auf meinem erprobten
Reiseglück, das mich bei derlei abenteuerlichen Wagnissen noch
niemals im Stiche gelassen hatte.
So bestieg ich denn voll hochgespannter Erwartung am Morgen des 12.
December in Galla den leichten Wagen, der mich längs der
Südküste nach Belligemma bringen sollte. Es war Morgens 5
Uhr und also noch ganz dunkel, als ich das Fort verließ und durch
die Pettah längs des Hafens nach Süden fuhr. Sanft schlafend
lagen die Singhalesen, in weiße Baumwolltücher
gehüllt, auf den Palmenmatten vor ihren dunkeln Hütten.
Kein Laut war zu hören. Die tiefste Stille und Einsamkeit lagerte
über der schönen Landschaft. Diese verwandelte sich aber
mir einem Schlage, als der Zauberstab der aufgehenden Sonne sie
plötzlich berührte. Ihre ersten blinkenden Strahlen weckten
Leben und Bewegung in dem schlafenden Palmenwald. Einzelne
Vögel ließen ihre Stimme in den Gipfeln der Bäume
ertönen; die niedlichen Palmen-Eichhörnchen verließen
ihr Nest und begannen ihre Morgenpromenade an den
Cocosstämmen auf- und abwärts, und die träge
„Cabragoya", die grüne Rieseneidechse (Hydrosaurus)
streckte am Rande der Wassergräben ihre faulen Glieder. In den
Gärten draußen, entfernter von der Stadt, sprangen muntere
Affen auf den Fruchtbäumen umher, von denen sie sich soeben ihr
Frühstück gestohlen hatten. Nun fingen auch die Singhalesen
an munter zu werden und ganze Familien nahmen ihr Morgenbad
ungenirt an der offenen Landstraße
Zu den fremdartigsten Eindrücken, welche den Europäer in
der Mitte der Tropenzone, so nahe dem Aequator, überraschen,
gehört der Mangel der Dämmerung, jener duftigen
Uebergangsperiode zwischen Tag und Nacht, die in unserer
Naturanschauung und Poesie eine so große Rolle spielt. Kaum ist
Abends die strahlende Sonne, die noch soeben die ganze Landschaft
vergoldet hatte, in den blauen Ocean gesunken, so breitet auch schon die
schwarze Nacht ihre sanften Fittiche über Land und Meer; und
ebenso plötzlich weicht die letztere Morgens wieder dem
anbrechenden Tage. Aurora, die rosenfingerige Eos, hat hier ihre
Herrschaft verloren. Um so größer erscheint freilich auch der
Glanz des jungen Tages und um so prachtvoller das frische Morgenlicht,
welches tausendfach gebrochen zwischen den feinen Fiedern der
Palmwedel glitzert. Die zahllosen Tautropfen und die glatten
Flächen der breiten frischgrünen Bananen- und
Pothosblätter werfen das Licht gleich tausend Spiegeln
zurück. Der sanfte Morgenwind vom Meere her setzt die zierlichen
Formen in lebendige Bewegung und bringt zugleich erfrischende
Kühle. Alles athmet ein frisches und junges Leben voll Glanz und
Pracht.
Die fünfzehn Meilen guten Weges zwischen Punto-Galla und
Belligemma zeigen ganz denselben Charakter, der früher von der
Galla-Colombo-Straße geschildert wurde; sie bilden die directe
südliche Fortsetzung dieser herrlichen Küstenstraße.
Nur erscheint hier, weiter gen Süden, der prachtvolle Cocoswald
womöglich noch glänzender und reicher als dort;
insbesondere bilden zahlreiche Schlingpflanzen zwischen den
Palmensäulen reizende Guirlanden, und die Bananengruppen, die
Papaya- und Brodfruchtbäume rings um die Hütten, die
zierlichen Manihot- und Yamsstauden an deren Verzäunung, die
riesenblättrigen Caladien und Colocasien am Wege erschienen mir
großartiger und kräftiger als je vorher. Dabei wird der
Cocoswald häufig durch kleine Weiher belebt, die mit Lotosblumen
und anderen Wasserpflanzen bedeckt sind; und dann wieder von
reizenden Bächen durchflossen, deren Ränder dicht mit den
zierlichsten Farnen geschmückt sind. Dannkommen dazwischen
felsige Hügel, mit Schraubenpalmen oder duftigen Pandangs
bedeckt; und damit wechselnd lachender Sandstrand voll der
schönsten rothen Windlinge, weißer Lilien und anderer
prächtiger Blumen.An den Mündungen der kleinen
Küstenflüsse, die unsere Straße überschreitet,
erscheinen wiederum die herrlichen Bambusen und die dunkeln
Mangroven; auch die seltsame stammlose Nivapalme ragt mit ihren
zierlichen Fiederkämmen aus dem Wasser.
Sie wird das Auge nicht müde, an den schönsten Gestalten
der Tropenflora sich zu weiden, und ich bedauerte es fast, als nach
mehreren Stunden schneller Fahrt mein schwarzer Tamil-Kutscher auf
ein entferntes, im Bogen vorspringendes Felsenvorgebirge hinwies, mit
den Worten: „Dahinter Weligama." Bald wurden die zerstreuten
Hütten am Wege zahlreicher und gruppirten sich zu einer
Dorfstraße; beiderseits frischgrüne Reisfelder, vom
schönsten Walde unterbrochen. Die Steine der Mauern bestanden
großentheils aus prächtigen Korallenblöcken. An einer
Biegung des Weges erschien links auf der Anhöhe ein stattlicher
Buddha-Tempel, mit Namen: Agrabuddha-Ganni, seit alten Zeiten ein
berühmter Wallfahrtsort. Gleich darauf zeigte sich zur Rechten des
Weges, von Kittulpalmen überschattet, die colossale, in dem
schwarzen Felsen ausgemeißelte Reliefstatue eines
altberühmten Königs, Cutta Raja. Sein gewaltiger Leib ist mit
einem Schuppenpanzer bedeckt und mit einer Mitra gekrönt. Er
wird in alten Chroniken nicht nur als Eroberer, sondern auch als
Wohlthäter der Insel gepriesen: namentlich soll er zuerst den
Gebraucht der Cocosnuß eingeführt haben. Bald darauf
fuhren wir durch einen kleinen Bazar und nach wenigen Schritten hielt
mein Wagen vor dem spannungsvoll erwarteten Rasthaus von
Belligemma.
Eine dichte braune Volksmenge stand voller Neugierde vor dem Thore,
welches die Umzäunung des Rasthausgartens schließt,
versammelt. Unter ihnen bemerkte ich eine Gruppe von vornehmen
Eingeborenen im höchsten Staate. Der Präsident der
Südprovinz (- oder der „Governments-Agent", wie sein
bescheidener Titel lautet -) hatte dem Befehle des Gouverneurs zufolge
dem Gemeindevorstand des Dorfes meine bevorstehende Ankunft
angezeigt, ihn angewiesen, mich bestens zu empfangen und mir in jeder
Weise behilflich zu sein. Der erste Häuptling oder der „Mudlyar",
ein stattlicher Mann von etwa 60 Jahren, mit gutmütigem,
freundlichen Mienen und starkem Backenbarte, trat auf mich zu und
begrüßte mich mit einer feierlichen Anrede in gebrochenem
Englisch; er versicherte mir in höflichster und würdigster
Form, daß sein ganzer „Korle" oder Dorfbezirk sich durch meinen
Besuch hochgeehrte fühle und daß die 4000 braunen
Bewohner desselben sich bemühen würden, mir den
Aufenthalt recht angenehm zu machen; er selbst sei jeder Zeit zu
meinem Dienste bereit. Ein kräftiger Pauken- und Trommeltusch,
ausgeführt, von mehreren im Hintergrunde kauernden Tam-Tam-
Schlägern, bekräftige am Schlusse der feierlichen
Empfangsrede deren officielle Bedeutung.
Nachdem ich geantwortet und gedankt hatte, folgte die Vorstellung der
Honorationen, welche das feierliche Gefolge des Mudlyar bildeten: des
zweiten Häuptlings (Aretschi), des Zolleinnehmers oder Collectors
und des Doctors; an diese wichtigen Regierungsbeamten schlossen sich
dann noch mehrere der angesehensten Einwohner des Dorfes an, Alle in
liebenswürdigster Weise mich ihres guten Willens und ihrer
hilfsbereiten Unterstützung versichernd. Ein Trommeltusch der
Tam-Tam-Schläger am Schlusse jeder Rede diente dazu, ihre
schönen Versprechungen zu besiegeln. Der Doctor und der
Collector, die beide geläufig Englisch sprachen, dienten mir als
Dolmetscher zum Verständniß der singhalesischen Reden. Die
umgebende Volksmasse hörte mit stiller Spannung zu und
musterte meine Person und meine Reiseeffecten mit größtem
Interesse.
Die ganze Empfangsfeierlichkeit war um so seltsamer, als die Tracht der
meisten Standesbeamten von Belligemma ein komisches Gemisch von
europäischem und singhalesischem Costüm zeigte; das
erstere für die obere, das letztere für die untere Hälfte
des Körpers bestimmt. Fangen wir von oben an, so erfreut unser
Auge zunächst ein hoher englischer Cylinderhut, unter allen
Kopfbedeckungen unzweifelhaft die häßlichste und
unpraktischste. Da die Singhalesen aber sehen, daß bei allen
feierlichen Gelegenheiten die Europäer dieses Cylinder-Epithel als
ein unentbehrliches Emblem des höheren Gentleman betrachten,
und dasselbe selbst bei der größten Hitze nicht fehlen darf, so
würden sie es für einen gewaltigen Etiquettefehler halten,
auf diese sonderbare Zierde zu verzichten. Das gutmüthige braune
Gesicht, welches dieser schmalkrämpige Schornstein nur wenig
beschattet, wird von einem stattlichen schwarzen Backenbart
eingerahmt; dieser ist am Kinn in der Mitte ausgeschnitten und
beiderseits von mächtigen weißen, oben spitz vorspringenden
„Vatermördern" überragt; darunter ein buntseidnes Halstuch
in zierlicher Schleife. Endlich fehlt nicht der schwarze Frack mit
schmalen Schößen, ebenso wenig wie die weiße Weste
darunter, mit bunten Steinen und Goldschmuck verziert. Dagegen prangt
nun an Stelle der Beinkleider die echt nationale Bedeckung der unteren
Körperhälfte der Singhalesen, der rothe oder rothbunte
Comboi - eine breite Schürze, die an den rothen Rock der
deutschen Bauernmädchen erinnert. Die zierlichen kleinen
Füße, die darunter hervorschauen, entbehren jeder
Bedeckung oder sind nur durch Sandalen geschützt.
Nach dem ersten freundlichen Empfange, der alles Gute versprach,
führte mich mein neuer Beschützer in feierlichem Zuge
durch das Thor in den lieblichen, von einer niedrigen weißen
Mauer umschlossenen Garten des Rasthauses. Der erste Anblick des
letzteren übertraf meine Erwartungen: ein stattliches,
einstöckiges, steinernes Gebäude, von einer Veranda
umgeben, deren weiße Säulen ein weit vorspringendes
Ziegeldach tragen. Der weite grüne Rasenplatz vor seiner breiten
Ostfront ist in der Mitte mit einem prachtvollen Tiek-Baume geziert,
dessen säulengleicher runder Stamm wohl 80-90 Fuß
Höhe erreicht. Die kletterenden Leguminosen, die denselben
umschlingen, lassen oben an den aufstrebenden Zweigen reizende
Festons herabfallen. An der Südseite des Rasthauses weideten ein
paar Kühe friedlich auf dem grünen Rasen, der hier von
einem halben Dutzend der prachtvollsten Brodfruchtbäume
überschattet ist; während der knorrige dicke Stamm der
letzteren und die mächtige Krone mit ihren weithinragenden
Aesten an die schönsten Prachtexemplare unserer deutschen
Eichen erinnern, verleihen ihnen dagegen die colossalen, dunkel
glänzenden und tief eingeschnittenen Blätter, sowie die
gewaltigen hellgrünen Früchte, ein weit stolzeres und
imposanteres Aussehen.
Zwischen den dunklen Kronen dieser herrlichen Artocarpus-Riesen
öffnit sich die freundlichste Aussicht auf das sonnige, fast
kreisrunde Hafenbecken von Belligemma, auf dem soeben zahlreiche
Boote mit vollen Segeln vom Fischfange zurückkehren; das
langgestreckte felsige Vorgebirge gegenüber, im Süden, ist
theils mit Djungle, theils mit Cocoswald bedeckt; die Hütten des
Fischerdorfes Mirissa schimmern von seinem weißen Strande
herüber. Unmittelbar vor dem Rasthause aber, kaum zwei Minuten
entfernt, liegt eine liebliche kleine Felseninsel,
G a n - D u v a ,
ganz mit den schönsten Cocospalmen geschmückt.
Indem wir weiter um das Rasthaus herumgehen, treten wir in den
Fruchtgarten voll lachender Bananen und Manihotstauden, der sich
westwärts hinter demselben ausdehnt und an einen dicht
bewaldeten Hügel anlehnt. Ein Nebengebäude an seinem
Fuße enthält die Küche und einige
Vorrathsräume, die mir für meine Sammlungen sehr zu
Statten kamen. Der erwähnte Hügel erhebt sich an der
Nordseite des Rasthausgartens zu einer steilen Lehne, über der
sich der dichteste, von Affen und Papageien bevölkerte Waldpark
ausdehnt, während ihre Gehänge mit dem üppigsten
Buschwerk verziert und von einem Teppich dichter Kletterpflanzen
überwuchert sind.
Von der reizenden Lage und der idyllischen Umgebung des Rasthauses
gleich beim ersten Anblick entzückt, wollte ich voll Spannung
über die breite Freitreppe an der Ostfront in das Innere eintreten.
Da empfing mich unten an der Treppe mit einer neuen
Begrüßungsrede (- halb Englisch, halb Pali -) der Verwalter
meines neuen Wohnsitzes, der alte „Resthaus-Keeper". Beide Arme
über der Brust gekreuzt, den braunen Oberkörper tief
übergebeugt, fast knieend, näherte sich mir der
würdige alte Greis mit der unterwürfigsten Miene und bat
mich, mit dem einfachen Unterkommen in Belligemma fürlieb zu
nehmen; was das Dorf von Reis und Curry, von Früchten und
Fischen biete, das wolle er mir reichlichst spenden; an Cocosnüssen
und Bananen sei kein Mangel. Im Uebrigen solle ich Alles erhalten, was
überhaupt hier zu bekommen sei; und am bereitwilligsten Dienste
solle es nicht fehlen. Diese und andere schöne Dinge versprach mir
der alte Mann in wohlgefügter Rede, die sogar mit einigen
philosophischen Sentenzen gewürzt war. Indem ich nun dabei in
sein gutmüthiges breites Gesicht sah und unter den kleinen Augen
die kurze, breite, aufgestülpte Nase betrachtete und unter den
dicken Lippen den langen wirren Silberbart, file mir plötzlich die
bekannte Büste des alten Sokrates ein, die in manchem
Stück an einen Satyrkopf erinnert; und da ich den langen
singhalesischen Namen meines philosophischen Wirthes nicht behalten
konnte, nannte ich ihn schlechtweg
S o k r a t e s .
Diese Umtaufung rechtfertigte sich später um so mehr, als der
weise Alte in der That sich vielfach als Philosoph erwies; auch stand er
mit der Reinlichkeit auf sehr gespanntem Fuße, was - wenn ich
nicht irre - nicht minder bei seinem griechischen Vorbilde der Fall war.
Nun schien es, als ob ich gleich beim Eintritte in mein idyllisches Heim
die vertrauten Eindrücke des classischen Alterthums nicht los
werden sollte. Denn als mich Sokrates über die Freitreppe in den
offenen Mittelraum des Rasthauses hineinführte, stand da mit
erhobenen Armen, in einer betenden Stellung, eine reizende, nackte,
braune Figur, die nichts Anderes sein konnte, als die berühmte
Statue des betenden Knaben, des „Adoranten". Wie erstaunte ich aber,
als die zierliche Broncestatue plötzlich lebendig wurde, die Arme
senkend vor mir niederkniete, die schwarzen Augen bittend zu mir
aufschlug und dann stumm in demüthigster Weise das
schöne Haupt neigte, so daß die langen schwarzen Locken auf
den Boden herabfielen. Sokrates belehrte mich, daß dieser Knabe
ein Pariah sei, ein Angehöriger der niedersten Kaste, der „Rodiah",
der frühzeitig seine Eltern verloren, und dessen er sich daher aus
Mitleid angenommen habe. Er sei ausschließlich für meinen
persönlichen Dienst bestimmt, habe den ganzen Tag nur auf meine
Wünsche zu achten, und sei ein guter Junge, der sicher seine
Pflicht ordentlich üben werde. Auf die Frage, wie ich meinen
neuen Leibpagen denn zu rufen habe, antwortete mir der Alte, daß
er
G a m a m e d a 
; (oder „Mittendorf") heiße (Gama = Dorf, Meda = Mitte).
Natürlich fiel mir dabei sofort
G a n y m e d e
s ein, denn einen edleren Körperbau, ein feineres Ebenmaß
der zierlichen Glieder konnte der schöne Liebling des Zeus wohl
nicht besessen haben. Da nun Gamameda gerade als Mundschenk eine
vorzügliche Fertigkeit entwickelte, und es sich nicht nehmen
ließ, mir jede Cocosnuß selbst zu öffnen, jedes Glas
Palmenwein selbst einzuschenken, so war es gewiß nur
gerechtfertigt, daß ich ihn Ganymedes nannte.
Unter den vielen schönen Figuren, welche in meiner Erinnerung
das Paradies von Ceylon beleben, ist Ganymedes mir eine der liebsten
und werthesten geblieben. Denn nicht allein erfüllte er seine
Dienstpflichten mit der größten Aufmerksamkeit und
Gewissenhaftigkeit, sondern entwickelte auch bald eine besondere
Anhänglichkeit und Diestwilligkeit für meine Person, die
mich wahrhaft rührte. Der arme Junge war bisher, als
unglückliches Glied der Rodiah-Kaste schon von Geburt an der
tiefsten Verachtung seiner Landsleute geweiht, Gegenstand vielfacher
Rohheiten und selbst Mißhandlungen gewesen; mit Ausnahme des
alten Sokrates (- der ihn übrigens auch ziemlich barsch behandelte
-) hatte sich vielleicht noch Niemand seiner angenommen. Es war daher
offenbar für ihn ebenso überraschend als beglückend,
daß ich ihm von Anfang an freundlich entgegenkam. Ganz
besonders dankbar aber erwies er sich für folgenden kleinen
Dienst. Wenige Tage vor meiner Ankunft hatte er sich einen Dorn tief in
den Fuß gestochen; beim Herausziehen desselben war ein
Stück abgebrochen und in der Wunde stecken geblieben. Ich
entfernte denselben durch eine ziemlich mühsame Operation und
behandelte die schmerzhafte Wunde mit Carbolsäure so
glücklich, daß sie schon nach kurzer Zeit geheilt war. Seitdem
folgte mir Ganymed wie mein Schatten und suchte mir alle
Wünsche von den Augen abzusehen. Kaum hatte ich mich
früh von meinem Lager erhoben, so stand er schen vor mir mit
der frisch geöffneten Cocosnuß, aus der er mir den
kühlen Labetrunk des Morgens kredenzte. Bei Tisch verwendete
er kein Auge von meinen Bewegungen und wußte immer schon im
Voraus, was ich begehrte. Beim Arbeiten putzte er meine Instrumente
und die Gläser für das Mikroskop. Glücklich aber war
Ganymed, wenn es hinaus in den Cocoswald oder an den Seestrand ging,
zum Malen und Sammeln, Jagen und Fischen. Wenn ihm dann erlaubte,
den Malkasten oder die photographische Camera zu tragen, das
Jagdgewehr oder die Botanisirtrommel umzuhängen, dann schritt
er mit strahlendem Antlitz hinter mir her, stolz herabblickend auf die
verwunderten Singhalesen, die in ihm nur den unwürdigen Rodiah
gesehen hatten und eine derartige Auszeichnung für unbegreiflich
fanden. Besonders ärgerlich war darüber mein Dolmetscher,
der neidische William; er suchte den guten Ganymed bei jeder
Gelegenheit anzuschwärzen, überzeugte sich aber bald,
daß ich meinem Liebling kein Leid anthun lasse. Viele
hübsche und werthvolle Erwerbungen meiner Sammlung
verdanke ich nur dem unermüdlichen Eifer und der
Geschicklichkeit des letzteren. Mit dem scharfen Auge, der geschickten
Hand und der flinken Behendigkeit der singhalesischen Kinder
wußte er sich ebenso des fliegenden Schmetterlings wie des
schwimmenden Fisches zu bemächtigen, und
bewunderungswürdig war seine Gewandtheit, wenn er auf der
Jagd katzengleich einen hohen Baum erkletterte oder in das dichte
Djungle sprang, um die hineingefallene Jagdbeute herauszuholen.
Die Rodiahkaste, zu welcher Gamameda gehörte, ist zwar rein
singhalesischen Ursprungs, wird aber von allen allen Bewohnern der
Insel (- trotzdem hier das Kastenwesen lange nicht so schroff als auf
dem indischen Festlande entwickelt ist -) als eine sehr tief stehende
verachtet, gleich den Pariah. Die Angehörigen derselben treiben
meistens nur Gewerbe, welche als verächtlich gelten; dazu
gehört sonderbarer Weise das Waschen. Kein Indier höherer
Kaste wird mit einem Rodiah in nähere Gemeinschaft treten. Als
ob aber die gütige Mutter Natur das schwere Unrecht, das so
einem ihrer Kinder geschieht, wieder gut machen wollte, hat sie die
armen verstoßenen Rodiah nicht allein mit der großen
Glücksgabe der Zufriedenheit und Genügsamkeit
ausgestattet, sondern ihnen auch das anmuthige Geschenk eines
besonders schönen Körperbaues verliehen; und da sie nur
die nothdürftigste Kleidung tragen, hat man stets Gelegenheit,
denselben zu bewundern. Sowohl die Knaben und die Jünglinge als
auch die jungen Mädchen sind durchschnittlich von stattlicherem
Wuchs und edlerer Gesichtsbildung, als die übrigen Singhalesen;
vielleicht ist es gerade dieser Umstand, der den Neid und Haß der
letzteren erregt.
Im Allgemeinen ist auf Ceylon überhaupt das starke Geschlecht
zugleich das schöne; und ganz besonders zeichnen sich Knaben
durch einen gewissen schwärmerischen Ausdruck der edlen
arischen Gesichtszüge aus. Vorzüglich spricht sich dieser in
dem feingeschnittenen Munde und in dem tiefdunklen, seelenvollen
Auge aus, welches mehr verspricht, als das Gehirn hält; dazu ist
das schöne Oval des Gesichts von einer dichten Fülle langer
rabenschwarzer Locken eingerahmt. Da die Kinder beiderlei Geschlechts
(wenigstens auf den Dörfern) bis zum achten oder neunten Jahre
ganz nackt gehen oder nur einen schmalen Lendenschurz tragen, so
bilden sie die passendste Staffage zu der paradiesischen Landschaft; oft
meint man lebendige griechische Statuen vor sich zu haben. Ransonnet
hat auf Taf. IV seines Werkes über Ceylon in der Abbildung eines
vierzehnjährigen Knaben Siniapu jene charakteristischen
Züge sehr gut wiedergegeben. Diesem ganz ähnlich war auch
Gamameda, nur hatten seine Züge noch etwas Weicheres und
Mädchenhafteres, erinnernd an Mignon.
Im Alter verliert sich der Reiz jener milden und anmuthigen
Gesichtsbildung ganz, besonders beim weiblichen Geschlecht, und es tritt
eine gewisse Härte oder Stumpfheit und Ausdruckslosigkeit an
deren Stelle. Oft springen auch die Knochentheile des Gesichts dann sehr
unangenehm hervor. Ein auffallendes Beispiel solcher
Häßlichkeit bot der alte
B a b u a , die dritte
Persönlichkeit, die sich mir im Rasthause vorstellte, und zwar als
dessen Koch. Der hagere Alte mit seinen dürren Gliedern entsprach
keineswegs dem behaglichen Bilde, welches wir uns gewöhnlich
von einem wohlbeleibten Koch machen; vielmehr erinnerte er an die
vierhändigen Vorfahren des Menschengeschlechts; und wenn er
den breiten Mund seines hageren, dunkel broncegelben Gesichts zu
einem grinsenden Lächeln verzog, bekam er viel Aehnlichkeit mi
tienem alten Pavian. Es war daher ein komischer Zufall, daß der
Name Babuin in der That der systematische Name einer broncefarbigen
Pavianart ist (Cynocephalus Babuin). Im Uebrigen war der alte
„Hundskopf" mit sinem mächtigen Unterkiefer und der niedrigen
Stirn (- vielleicht mit einem Antheil Negerbluts in seinen Adern -) ein
sehr harmloser und gutmüthiger Gesell. Sein Ehrgeiz war
befriedigt, wenn er mir zu dem tagtäglich zweimal aufgetragenen
Reis irgend eine neue Curry-Art als Würze vorsetzte und ich
dieselbe lobte. Etwas mehr Reinlichkeit in seiner primitiven Küche
wäre freilich bei ihm ebenso wie bei Sokrates sehr
erwünscht gewesen.
Zu diesen drei ständigen Bewohnern des Rasthauses kam nun noch
als vierter dienstbarer Geist mein Dolmetscher, Namens
W i l l i a m . Ich
haatte denselben (zunächst für einen Monat) in Punto-Galla
engagirt. Meine englischen Freunde hatten mir dort zwar, der
Landessitte entsprechend, gerathen, mehrere Diener für den
Aufenthalt in Belligemma zu miethen: einen als Dolmetscher, einen
zweiten als Jäger, einen dritten als Leibdiener u. s. w. Ich hatte
aber schon zu viel von der Last und dem Aerger der vielen Diener in
Indien kenne gelernt, um an dieser übertriebenen Arbeitstheilung
Gefallen zu finden, und war daher froh, in William einen Mann zu
treffen, der sich bereit erklärte, die Functionen des Dolmetschers,
des Leibdieners und des Assistenten gemeinschaftlich auszuüben.
Er war mehrere Jahre Soldat und Officiersbursche gewesen, besaß
gute Zeugnisse darüber und war ein leidlich gewandter und
gutwilliger Gehilfe. Als echter Vollblut-Singhalese hatte er allerdings
eine ausgesprochene Scheu vor Arbeit im Allgemeinen, und vor harter
Arbeit im Besonderen; auch hielt er es für zweckmäßig,
für jede Arbeitsleistung so viel Zeit und so wenig Kraft als
möglich aufzuwenden. Das Hauptinteresse des Tages concentrirte
sich für ihn, wie für jeden singhalesischen Jüngling, in
der kunstgerechten Herstellung seiner Frisur. Die langen schwarzen
Haare zu waschen und kämmen, dann zu trocknen und mit
Cocosöl zu salben, darauf in einen regelrechten Zopf aufzuwinden
und diesen mit einem großen Schildpattkamm zu befestigen, das
war für William das wichtige Drama in sechs Acten, zu dessen
Aufführung er jedem Morgen mehrere Stunden brauchte. Um sich
von dieser Anstrengung zu erholen, hatte er dann mehrere Stunden
Ruhe nöthig. Seine Hauptaufgaben als Dolmetscher und als
Wärter der Kleider und Wäsche erfüllte er mit
großer Gewissenshaftigkeit; hingegen wies er mit großer
Indignation jede Zumuthung anstrengender mechanischer Arbeit von
sich, indem er würdevoll versicherte, daß er kein „Kuli" sei.
Im Uebrigen besorgte er seine leichte Hausarbeit mit ziemlicher
Geschicklichkeit und half namentlich gern beim Arbeiten mit dem
Mikroskop.
Die schöne Leserin wird nun vermuthlich neugierig nach den
weiblichen Bewohnern des Rasthauses von Belligemma fragen; ich
muß aber bedauern, von diesen Nichts melden zu können,
aus dem einfachen Grunde, weil keine vorhanden waren. Nicht allein die
Köchin Babua und Zimmermädchen William, sondern auch
die Waschfrau, die jede Woche meine Wäsche abholte, um sie auf
Steinen im Flusse weiß zu klopfen, - sie alle waren
männlichen Geschlechts, wie überhaupt fast alle Dienstboten
in Indien. Auch sonst war in Weli-Gama vom schönen Geschlechte
fast Nichts zu sehen; doch darüber später!
XI. Ein zoologisches Laboratorium in Ceylon.
Meine erste Aufgabe in Belligemma war nun, mit Hilfe meiner vier
dienstbaren Geister mich in dem Rasthause, so gut es ging,
häuslich einzurichten, und mein zoologisches Laboratorium
aufzuschlagen. Das Haus enthielt nur drei geräumige Zimmer, von
denen das mittlere, das „Dining Room", als Speise- und Conversation-Saal
für alle etwaigen Gäste des Hauses (insbesondere auch
für durchreisende Regierungsbeamte) diente; ein großer
Eßtisch, zwei Bänke und mehrere Stühle bildeten seine
Ausstattung. Zu beiden Seiten desselben war ein großes
Fremdenzimmer mit einer gewaltigen indischen Bettstelle, in welcher
der träumende Schläfer sich bequem rings um seine Achse
drehen konnte, ohne mit den Fußspitzen den Rand zu
berühren. Ein großes, darüber ausgebreitetes
Mosquitonetz mochte früher wohl gute Dienste geleistet haben,
war aber jetzt nur noch als Idee vorhanden; ebenso befand sich auch die
Matratze in einem Zustande, welcher es mir räthlich erscheinen
ließ, auf deren Gebrauch zu verzichten, und mich nach Art der
Eingeborenen mit ein Palmenmatte zu begnügen. Außer der
gewaltigen Bettstatt befinden sich in jedem der beiden Zimmer noch ein
kleiner Tisch mit Waschgeräth und ein paar Stühle. Die
großen Fenster in den weißen Wänden waren, wie
allenthalben, ohne Glasscheiben, dagegen durch grüne
hölzerne Jalousien verschließbar. Der Boden war mit
Steinfliesen belegt. Das hellere, nach Süden gelegene Zimmer,
welches ich zu meinem Gebrauch wählte,
gewährte durch eine, nach Süden auf die Veranda
geöffnete Thür einen prächtigen Blick auf das reizende
Hafenbecken. Ich hätte sehr gerne diesen Raum bloß zum
Arbeiten benutzt und zum zoologischen Laboratorium eingerichtet,
dagegen das andere, nördlich gelegene Zimmer zum Wohn- und
Schlafzimmer. Allein dieses mußte für den Gebrauch
durchreisender Fremden reserviert bleiben.
Angesichts der primitiven Einfachheit des Ameublements mußte es
natürlich meine erste Sorge sein, mir dasjenige Hausgeräth
anzuschaffen, ohne welches an Arbeiten in diesen großen leeren
Räumen überhaupt nicht zu denken war, vor Allem
große Tische und Bänke, sodann womöglich Commoden
und Schränke. Aber das hatte freilich seine großen
Schwierigkeiten, und obgleich meine neuen Freunde mit dabei nach
Kräften unterstützten, ließ das fertige Laboratorium
doch mancherlei zu wünschen übrig. Der erste
Häuptling versorgte mich mit Brettern, welche ich über
meine entleerten Kisten legte, auf diese Weise Bänke Aufstellung
der Gläser herrichtend. Vom zweiten Häuptling erhielt ich
zwei große alte Tische. Der Steuereinnehmer (der überhaupt
sehr gefällig und gebildet war) lieh mir ein paar kleine
verschließbare Schränke oder Almeiras, in denen ich meine
kostbaren Instrumente, die Chemikalien und Gifte einschließen
konnte. Der Schulmeister versah mich mit einen kleinen
Büchergestell; und so brachten die guten Leute mir noch
mancherlei kleines Hausgeräth, mit dem ich mein Laboratorium
leidlich ausstatten konnte. Die Gegenleistung für diese kleinen
Gefälligkeiten bestand zunächst nur in der Befriedigung
ihrer Neugierde; aber freilich nahm diese leider bald Dimensionen an,
die mir höchst lästig wurden und einen großen Theil
meiner kostbaren Arbeitszeit raubten.
Abgesehen von den angeführten nothwendigsten Mobilien (- die
für die miesten Singhalesen bereits überflüssige
Luxusartikel sind -), war übrigens für meine sonstige
Ausstattung in Belligemma so gut wie Nichts zu bekommen, und war
daher ein wahres Glück, daß ich mir alle Erfordernisse
meienr häuslichen Einrichtung und meiner zoologischen
Arbeitszwecke von Europa mitgebracht hatte. Es existirte zwar im Dorfe
ein sogenannter Zimmermann und eine Art Schlosser, deren
Unterstützung ich öfter gut hätte brauchen
können. Allein die primitive Beschaffenheit ihers
Handwerkszeuges bezeugte genügend den Grad ihrer
Kunstferigkeit; nicht minder als ihre staunende Bewunderung der
einfachen Geräthe, die ich selbst bei mir führte. Auch stellte
sich bald heraus, daß ich eigentlich Alles selbst thun mußte;
denn sobald ich einmal einen solchen singhalesichen Handwerker zu
Hilfe genommen hatte, war nach vollbrachter Arbeit in der Regel meine
erste Aufgabe, dieselbe von vorn anzufangen. Für Reparaturen an
Instrumenten u. s. w., deren leider bald viele nöthig wurden, war
natürlich an Hilfe von solchen Leuten nicht zu denken.
Trotz dieser Hindernisse gelang es mir doch, in wenigen Tagen mein
Zimmer in ein leidlich gutes Laboratorium, entsprechend den
Bedürfnissen unserer heutigen marinen Zoologie zu verwandeln.
Mikroskope und anatomische Instrumente waren aufgestellt, ein
Dutzend großer und ein paar hundert kleiner Gläser uaf
Gestellen vertheilt, der mitgebrachte Alkohol in Flaschen gefüllt
und mit Terpentinöl und Thymol versetzt, um ihn vor etwaigen
Trinkgelüsten meiner Diener zu bewahren. Einer der beiden
Schränke enthielt meine gut ausgestattete Hausapotheke, sowie
die Patronen, Munitionskasten und die Hexenküche, welche aus
den verschiedenen mikro-chemischen und photographischen Utensilien
bestand, aus den Giften zum Präparieren und Conserviren der
Thiere u. s. w. Im anderen Schranke ware die sämmtlichen
Bücher und Papiersachen, sowie die Utensilien zum Zeichnen, zum
Aquarell- und Oelmalen untergebracht, ferner eine Anzahl
zerbrechlicher und delicater Instrumente. Die Füße dieser
beiden Schränke, sowie die Füße der Tische standen in
wassergefüllten Thonschalen (ähnlich unseren
Blumenuntersetzern), um sie vor den Angriffen der Alles
zerstörenden Termiten und Ameisen zu schützen. In einer
Ecke des Zimmers standen die Netze und Fischereigeräthe, in der
anderen die Gewehre, die Jagdutensilien und die Botanisirtrommeln; in
der dritten die Löthapparate und Blechkisten; die vierte Ecke
nahm die riesige Bettstelle ein, welche tagsüber als
Präpariertisch fungierte. An den Wänden ringsum standen
ein paar Dutzend leerer Kisten zur Aufnahme der Sammlungen, sowie
die Blechkoffer, welche Kleider und Wäsche enthielten.
Darüber waren Nägel eingeschlagen, um Barometer,
Thermometer, Waagen und eine Menge verschiedener Dinge zum
alltäglichen Gebrauche aufzuhängen. So sah es denn schon
nach ein paar Tagen im Rasthause zu Belligemma fast so aus, wie in den
marinen Laboratorien, die ich mir für einen halbjährigen
Winteraufenthalt vor 22 Jahren in Messina und ebenso vor 15 Jahren
auf der canarischen Insel Lanzarote eingerichtet hatte; nur mit den
Unterschiede, daß meine zoologische und künstlerische
Ausstattung diesmal weit vollständiger und vielseitiger war;
freilich war dafür andererseits der Comfort der Hauswirthschaft
hier viel einfacher und primitiver. Indessen tröstete mich
für mancherlei Mängel der Gedanke, daß ich kaum
sechs Breitengrade vom Aequator entfernt war und daß jedenfalls
noch niemals zuvor in Ceylon ein so gut ausgerüstetes
Laboratorium für marine Zoologie bestanden hatte. Um so
größer war zugleich die Spannung, mit der ich nun an die
Arbeit ging.
Die Schwierigkeiten, auf welche derartige Arbeiten, und ganz besonders
die subtilen Untersuchungen über Körperbau und
Entwickelung der niederen Seethiere, in der Tropenzone stoßen,
sind von allen Naturforschern, die dergleichen in den letzten Decennien
versuchten, lebhaft empfunden und beklagt worden. Ich war daher von
vornherein darauf gefaßt, mußte aber bald erfahren, daß
sie hier in Ceylon größer und mannigfaltiger seien, als ich
gedacht hatte. Nicht allein das übermäßig heiße
und und feuchte Klima mit allen seinen verderblichen Einflüssen,
sondern auch das Leben innerhalb eines uncultivirten Dorfes unter einer
halbwilden Bevölkerung, sowie der Mangel an vielen gewohnten
Hilfsmitteln der Civilisation bereitete den beabsichtigten
Untersuchungen und Sammlungen tausend Hindernisse. Seufzend dachte
ich oft an die vielen Bequemlichkeiten und Vortheile, die ich auf meinen
zahlreichen zoologischen Reisen an die Mittelmeerküste stets
genossen hatte und die ich hier schmerzlich entbehrte.
Eine der größten Schwierigkeiten bereitete schon von
vornherein die Beschaffung eines brauchbaren Bootes zum Fischen,
sowie anstelliger Fischer und Bootsleute. Es sind nämlich in
Belligemma, wie überall an der Küste von Ceylon (- mit
einziger Ausnahme der Hauptstädte -), ausschließlich die
sonderbaren
A u s l e g e r -
K a n o e s in Gebrauch, von
denen ich früher (bei der Ankunft in Colombo) gesprochen habe.
Wie früher erwähnt, sind dieselben bei 20-25 Fuß
Länge so schmal (kaum 1 1/2 Fuß breit), daß keine
erwachsene Person darin beide Beine nebeneinander stellen kann. Man
sitzt also in einem Boote eingeklemmt fest, und mein Freund, Professor
H. Vogel in Berlin, der sie hier ebenfalls früher benutzte, hat sie in
seiner anziehenden Reisebeschreibung sehr treffend als
„Wadenquetscher" bezeichnet. Von Arbeiten in einem solchen
ausgehöhlten Baumstamme, oder gar von Hin- und Hergehen in
demselben, sowie von den freien Bewegungen, die zum Dredschen, zum
Hantiren mit dem Schleppnetze erforderlich sind, kann demnach gar
keine Rede sein; ich mußte auf letzteres zunächst
überhaupt verzichten. Einen anderen Uebelstand dieser Canoes
bilden die beiden charakteristischen „Ausleger", die zwei parallelen
Stämme oder Bambusstäbe, welche von einer Seite
desselben rechtwinklig abgehen und an ihren Außenenden durch
einen stärkeren (dem Boote parallel laufenden) Stamm verbunden
sind; der letztere, 8-10 Fuß abstehend, schwimmt flach auf dem
Wasserspiegel und verhindert das Umschlagen des schmalen und hohen
Canoes. Dasselbe gewinnt dadurch einen hohen Grad von Sicherheit, aber
freilich auch zugleich von Schwerfälligkeit. Denn man kann immer
nur mit einer Flanke des Bootes sich der Küste oder einen anderen
Gegenstande nähern und das Wenden dauert lange. Ein
eigentliches Steuer fehlt ganz; dasselbe wird durch ein
gewöhnliches Ruder ersetzt, welches abwechselnd von beiden
(ganz gleich gebauten und spitzauslaufenden) Enden des Canoe´s zum
Steuern benutzt wird. Die kleinen Boote werden von zwei, die
größeren von vier oder sechs Ruderern in Bewegung gesetzt.
Außerdem ist aber auch ein niedriger Mast mit einen großen
viereckigen Segel vorhanden. Letzteres leistet bei gutem Winde
vorzügliche Dienste; das leichte Canoe, dessen schmaler Boden dem
Wasser bei seinem geringem Tiefgange nur sehr wenig Widerstand
bietet, gleitet dann pfeilschnell über den Meeresspiegel fort. Ich
habe öfter darin 10-12 Seemeilen in der Stunde gemacht, wie in
einem rasch fahrenden Dampfschiffe. Drückt der Wind allzu stark
auf das Segel, so daß das Boot nach einer Seite umzuschlagen droht,
so klettern die behenden Bootsleute mit affenartiger Geschicklichkeit
rasch nach der anderen Seite über die Ausleger auf den
außen schwimmenden Parallelstamm, um diesen zu beschweren
und niederhocked als Gegengewicht zu dienen.
Natürlich war es ganz unmöglich, in einem solchen Ausleger-
Canoe ohne Weiteres eine Kiste mit großen Gläsern und die
verschiedenen Instrumente unterzubringen, die ich zum Fange der
pelagischen Seethiere und insbesondere der Medusen stets benutze. Ich
mußte mir daher in meinem Canoe erst ein besonderes Gestell aus
quer übergelegten und beiderseits breit vorragenden Brettern
bauen, auf dem ich bequem sitzen und mich frei bewegen konnte. Auf
beiden Enden des Gestells wurden mit Stricken aus Cocosfasern die
beiden Kisten befestigt, in denen ich vier große und ein Dutzend
kleinere Gläser untergebracht hatte. Dergleichen Stricke dienen
auch ausschließlich zur Befestigung und Verbindung der
verschiedenen Canoe-Theile. Die Eingeborenen verwenden dafür
keinen einzigen Nagel oder sonst einen Eisentheil; Alles besteht aus Holz
und Cocosbast. Sogar die senkrecht stehenden Seitenbretter, welche auf
beiden freien Seitenrändern des ausgehöhlten
Baumstammes sich 3-4 Fuß hoch erheben, sind mit Bindfaden als
Palmfasern daran befestigt. Aus solchen festen Coir-Fasern, aus den
Schalen der Cocosnüsse bereitet, bestanden auch alle die Stricke
und Bindfaden, die ich für meine Arbeiten verwendete.
Bei dieser Einrichtung und der weiteren Ausstattung meines Bootes,
sowie bei Beschaffung und Instruction der Bootsleute, war mir von
größtem Nutzen die Hilfe eines Mannes, dem ich auch sonst
für manche werthvolle Dienste zu großem Danke verpflichtet
bin; es war dies der zweite Häuptling von Belligemma, der
A r e t s c h i
Abayawira. Schon der Regierungsagent der Südprovinz hatte mir
von seinen vorzüglichen Eigenschaften erzählt und mir einen
besondere Empfehlung an ihn mitgegeben. Ich fand in ihm einen
ungewöhnlich intelligenten und geweckten Singhalesen von
ungefähr 40 Jahren, dessen Kenntnisse und dessen Interessenkreis
weit über diejenigen seiner meisten Landsleute hinausragten. Von
der gewöhnlichen Stumpfheit, Faulheit und Gleichgültigkeit
der letzteren war an ihm Nichts zu bemerken; vielmehr zeigte er
lebhaftes Interesse für Cultur und war nach Kräften
bemüht, deren Vortheile in seinem Wirkungskreise geltend zu
machen. Er sprach ziemlich gut Englisch und drückte sich dabei
mit einen natürlichen Verstande und einem klaren Urtheile aus,
das mich oft in Erstaunen setzte. Ja, der Aretschi war sogar Philisoph (-
in höherem Grade als der alte Sokrates vom Rasthaus -) und ich
erinnere mich mit lebhaften Vergnügen der eingehenden
Gespräche, die ich mit ihm über verschiedene allgemeine
Themata hatte. Frei von dem Aberglauben und der Gespensterfurcht, die
seine buddhistischen Landsleute und Glaubensgenossen allgemein
beherrscht, hingegen mit offenem Auge für die Wunder der Natur
und für deren causale Erklärung, hatte er sich zu einem
selbstständigen Freidenker entwickelt und war nun
glücklich, als ich ihn über so viele bis dahin ihm
räthselhafte Dinge aufklären konnte. Ich sehe ihn noch vor
mir, den stattlichen braunen Mann mti dem ausdrucksvollen
regelmäßigen Gesichte, wie sein schwarzes Auge hell
aufleuchtete, wenn ich ihn über manche Naturerscheinung
unterrichtete, und wie er dann mit seiner sanften, klangreichen Stimme
mich ebenso freundlich als ehrfurchtsvoll ersuchte, ihn auch noch
über diese und jene verwandte Frage aufzuklären.
Ueberhaupt fand ich die guten und liebenswürdigen Seiten des
singhalesischen Volkscharakters, das sanfte, weiche und stille Wesen,
sowie den natürlichen Anstand beim Aretschi in angenehmster
Weise entwickelt; und wenn ich jetzt mein grünes Paradies in der
Erinnerung mit den schlanken braunen Gestalten der Eingeborenen
bevölkere, so erscheint mit der Aretschi neben dem Ganymed als
deren idealer Typus. Auch der siebenzehnjährige Neffe des
Aretschi, welcher auf die Normalschule in Colombo sich zum Lehrer
ausbildete, damals aber seine Ferien in Belligemma zubrachte, war ein
sehr geweckter und netter junger Mann; auch er war mir in vieler
Beziehung hilfreich und nützlich.
Mit Hilfe des Aretschi gewann ich für den Dienst meines Bootes
und für die Hilfe bei meinen marinen Excursionen vier der besten
Fischer und Schiffer von Belligemma. Ich zahlte ihnen täglich
für jede Excursion fünf Rupien (= 10 Mark); wenn sie
indessen auf den Korallenbänken tauchten, oder wenn wir einen
halben Tag unterwegs auf dem Meere waren, legte ich immer noch ein
paar Rupien zu. In den ersten Tagen hatte ich mit ihnen große
Schwierigkeiten; und als ich mit dem feinen pelagischen Netze an der
Meeresoberfläche fischte, als ich ihnen zuerst die kleinen Medusen
und Polypen, die Siphonophoren und Ktenophoren zeigte, um deren Fang
es mir hauptsächlich zu thun war, merkte ich an ihren Mienen
deutlich, daß sie mich für einen Narren hielten.
Allmälig indessen und mit einiger Geduld lernten sie begreifen,
was ich wollte, und suchten dann meine Sammlung eifrig zu bereichern.
Besonders geschickt und nützlichf erwiesen sich zwei von meinen
Fischern beim Tauchen auf den Korallenbänken, und ich verdanke
ihnen einen großen Theil der prächtigen Korallen und der
merkwürdigen mit diesen zusammenlebenden Seethiere, welche
ich von Belligemma mit nach Hause gebracht habe.
Weit größere Schwierigkeiten aber als das Canoe und seine
Bemannung stellte meiner pelagischen Fischerei das Klima von Ceylon
entgegen, jener furchtbare und unüberwindliche Feind des
Europäers, welche so viele seiner Arbeiten und Bemühungen
in der Tropenzone vereitelt. Ich sollte gleich auf meiner ersten Ausfahrt
in der Bucht von Belligemma darüber belehrt werden. Ueber
mancherlei Vorbereitungen und Einrichtungen war es neun Uhr Morgens
geworden, ehe ich vom Strande stoßen konnte. Erbarmungslos
brannte bereits die Tropensonne vom tiefblauen, wolkenlosen Himmel
und warf bei vollkommener Windstille eine Strahlenfülle auf den
glatten Meeresspiegel, deren Reflex das Auge nicht ertragen konnte. Ich
mußte meine blaue Brille aufsetzen, um überhaupt die Augen
offen halten zu können. Sodann ließ ich das Canoe weiter
hinausrudern, in der Hoffnung, dort etwas niedrigere Temperatur zu
finden; allein die unerträgliche Hitze schien draußen eher
noch zuzunehmen, und der blendende Meeresspiegel, auf dem sich kein
Lüftschen regte, schein eine flüssige Masse von
geschmolzenem Blei zu sein. Ich hatte kaum eine Stunde, im
Schweiße gebadet, gefischt, als ich völlig erschöpft war;
ich fühlte, wie meine Kräfte zusehends schwanden;
Ohrensausen und ein beständig zunehmendes Gefühl von
Druck im Kopfe ließen mich einen Sonnenstich befürchten.
Ich griff daher zu einem Mittel, das ich schon früher unter
ähnlichen Verhältnissen oft angewendet. Da meine leichte
Kleidung bei der ungequemen Fischerei ohnehin völlig
durchnäßt war, goß ich mir ein paar Eimer Seewasser
über den Kopf und bedeckte den letzteren mit einem nassen
Handtuche, über welches der breitkrämpige Solahut gesetzt
wurde. Dieses Mittel hatte die beste Wirkung und ich bediente mich
seiner von da an fasst täglich, sobald Vormittags zwischen 10 und
11 Uhr der steigende Sonnenbrand jenes betäubende
Druckgefühl des Kopfes zu erzeugen begann. Bei der
ständigen Temperatur von 22-26o R., welche das
Meerwasser fast ebenso wie die Atmosphäre
größtentheils zeigte, ist die Abkühlung des Kopfes
durch das verdunstende Wasser eine sehr wohlthätige Erfrischung;
aber selbst der mehrstündige Aufenthalt in nassen Kleidern, der in
unserm kalten Klima eine gefährliche Erkältung
herbeiführen würde, ist dort ebenso angenehm als gefahrlos.
Der Reichthum der Bucht von Belligemma an pelagischen Thieren der
verschiedenen Classen erwies sich schon bei dieser ersten Excursion als
sehr groß. Die Gläser, in welche ich die schwimmenden
Bewohner der Meeresfläche aus dem feinen Gazenetze entleert
hatte, waren bereits nach wenigen Stunden ganz gefüllt. Zwischen
tausenden von kleinen Krebsen und Salpen schwammen zierliche
Medusen und prächtige Siphonophoren umher; zahlreiche Larven
von Schnecken und Muscheln tummelten sich mittelst ihres
Wimpersegels, gekreuzt von flatternden Seeschmetterlingen und
Pteropoden; Larven von Würmern, Crustaceen und Korallen
wurden in Unmasse den raubgierigen Pfeilwürmern oder Sagitten
zur Beute. Fasst alle diese Thiere sind farblos und glasartig durchsichtig,
wie das Meerwasser, in dem sie ihren harten Kampf um´s Dasein
führen; der letztere selbst hat nach den Grundsätzen der
Darwin´schen Selections-Theorie die transparente Beschaffenheit dieser
pelagischen „Glasthiere" allmälig hervorgerufen. Die Mehrzahl
derselben war mir, wenn auch nicht der Art, so doch der Gattung nach
wohlbekannt; denn das reiche Mittelmeer, namentlich die
berühmte Meerenge von Messina, liefert unter günstigen
Umständen bei der Fischerei mit dem feinen Gazenetze einen
ähnlichen „pelagischen Mulder", wie wir diesen formenreichen
Auftrieb kurz nennen. Doch bemerkte ich zwischen den alten Bekannten
doch eine Anzahl neuer, und zum Theil sehr interessanter Formen, die
zur baldigen Untersuchung reizten. Ich ließ daher nach
zweistündigem Fischen meine Leute zurückrudern und
betrachtete währenddessen die erbeuteten Schätze, so gut es
ging. Aber da bemerkte ich bald zu meinem Leidwesen, daß schon
kurze Zeit nach dem Fange, meistens eine halbe, oft schon eine
Viertelstunde nachher die meisten der zarten Geschöpfe starben;
ihre glasartigen Leichen trübten sich rasch und bildeten, auf dem
Boden der Glashäfen angehäuft, eine weiße
pulverartige Masse. Auch entwickelte sich schon, ehe ich das Land
wieder erreicht hatte, jener charakteristische Geruch, den die weichen,
sich rasch zersetzenden Leichen derselben alsbald hervorrufen. Dieselbe
Zersetzung, welche im Mittelmeer, unter sonst ähnlichen
Verhältnissen, erst nach Verlauf von 5-10 Stunden eintritt,
geschah hier, unter einer 8-12o R. höheren
Temperatur, schon nach einer halben Stunde.
Sehr besorgt über diese Wahrnehmung ließ ich die
Rückfahrt möglichst beschleunigen und war schon kurz vor
12 Uhr wieder am Strande. Aber da trat wieder ein neues
Hinderniß entgegen. Fast die ganze Bevölkerung von
Belligemma stand trotz der glühenden Mittagshitze
dichtgedrängt am Strande, um ihre Neugierde über meine
wunderliche neue Fischerei-Methode zu befriedigen. Jeder wollte sehen,
was ich gefangen und wozu ich den Fang gebrauche, oder vielmehr, in
welcher Form ich denselben verzehre; denn daß man nur zum
Essen Seethiere fängt, ist ja selbstverständlich. Das
Erstaunen der braunen Versammlung, durch ich mir mühsam
meinen Weg bahnte, war daher nicht gering, als sie in den großen
Glashäfen bloß den weißen Boden des pelagischen
Mulders und nur wenige winzige Thierchen oberhalb desselben im
Wasser schwimmen sahen. Wie mir mein Begleiter, der Aretschi,
später mittheilte, fand seine Erzählung, daß das Alles
nur zum Zwecke wissenschaftlicher Beobachtungen und Sammlungen
geschehe, bei seinen Landsleuten weder Glauben noch
Verständniß; vielmehr witterten die Meisten hinten diesem
Treiben eine geheimnisvolle Hexerei, die Bereitung von
Zaubertränken u. dgl., während realistische Gemüther
meinten, daß ich neue Arten Curry = Gewürz zum Reiss
erfinden wolle, die Aufgeklärten aber mich einfach für einen
europäischen Narren ansahen.
Eine kostbare Viertelstunde ging mir so verloren, ehe ich duch die
neugierige Masse meinen Weg zuz dem nahen Rasthause gebahnt hatte,
und ich begann dort in gewohnter Weise die tausend niedlichen Sachen
zu sortiren und auf zahlreiche Glasgefäße mit frischem
Seewasser zu vertheilen. Aber leider bemerkte ich sofort, daß
mindestens neun Zehntheile des ganzes Fanges schon unbrauchbar und
verdorben waren, und darunter gerade die meisten von denjenigen
Thieren, deren neue Formen mich besonders interessirt hatten. Aber
auch das letzte Zehntheil war schon so erschöpft, daß
dasselbe größtentheils bald abstarb; nach wenigen Stunden
war Alles eine große Leichenkammer! An den folgenden Tagen
suchte ich nun zwar auf alle Weise und mit allen bekannten
Vorsichtsmaßregeln jenen fatalen Einflusse der Tropensonne zu
begegnen; allein nur mit sehr ungenügendem Erfolge. Es war eben
einfach unmöglich, auf irgend eine Art die erforderliche niedrige
Temperatur des Wassers herzustellen. Ich gewann die Ueberzeugung,
daß die erste Bedingung für erfolgreiche Untersuchungen
über Seethiere in einem so heißen Lande, wie Ceylon, die
Einrichtung von kühlen Räumen und gekühlten
Wassergefäßen ist. Da gegenwärtig in Colombo das Eis,
das früher von Nordamerika importirt wurde, billider und in
großartigem Maßstabe durch Eismaschinen künstlich
hergestellt wird, so würde dort die Einrichtung von derartigen
Kältekammern und gekühlten Aquarien auch nicht so
schwierig sein. Aber es gehören dazu bedeutende Mittel, und
über diese konnte ich nicht verfügen.
Eine zweite wichtige Bedingung für ein günstigen Erfolg
solcher zoologischer Arbeiten würde sodann die praktische
Einrichtung des gekühlten Arbeitsraumes sein, vor Allem seine
Ausstattung mit Glasfenstern. Die letzteren fehlen in Ceylon fast
vollständig. Im Rasthause von Belligemma, wie in den meisten
Gebäuden der Insel, finden sich an Stelle der Glasfenster
hölzerne Läden oder Jalousien. Darüber bleibt
gewöhnlich eine breite Spalte für den Luftdurchzug offen,
und außerdem finden sich oben, am Rande der Stubendecke, sowie
über den Thüren, allenthalben breite, meist gar nicht
verschließbare Spalten. Diese Oeffnungen sind zwar für die
beständige Lufterneuerung und Abkühlung der inneren
Wohnräume sehr praktisch und angenehm, aber für den
Naturforscher, der dort mit dem Mikroskope arbeiten soll, eben so
hinderlich als nachtheilig. Denn alle möglichen fliegenden und
kriechenden Thiere haben dort freien Zutritt und vor allem sind die
Scharen der Mücken und Fliegen, der Ameisen und Termiten
äußerst lästig. Der Luftzug weht die Papiere fort,
bedeckt die Instrumente mit Staub und wirft oft als erstarkender
Windstrom Alles durcheinander. Nicht minder nachtheilig sind aber
auch jene üblichen Fenstereinrichtungen für die Gewinnung
guten Lichtes, welches für das Arbeiten mit dem Mikroskope,
namentlich bei stärkeren Vergrößerungen eins der
ersten und wichtigsten Erfordernisse ist. Oft war es bei den
augenblicklichen Stande der Sonne und des Windes gar nicht
möglich, irgend ein passendes Plätzchen für meinen
Arbeitstisch zu finden, weder in dem dunklen Zimmer innen, noch in der
allzuluftigen Veranda draußen; bei der letzteren ist noch das
allzuweit vorspringende Schattendach nachtheilig.
Zu diesen und anderen localen Schwierigkeitene meiner zoologischen
Arbeiten in Belligemma kamen nun noch diejenigen, die mir als dem
Verkehre mit den Eingeborenen und namentlich aus ihrer
maßlosen Neugier erwuchsen. Die guten Belligammesen hatten
natürlich von all´ den Instrumenten und Apparaten, die ich
mitgebracht, niemals etwas gesehen und wollten nun wissen, wozu das
Alles diene; insbesondere war aber die Art und Weise meiner Arbeiten,
wie überhaupt Alles, was ich that oder ließ, für sie eine
unerschöpfliche Quelle der Unterhaltung. Wie alle
Naturvölker, so sind auch die Singhalesen in vielen Beziehung
permanente Kinder; unter den glücklichen Verhältnissen
dieser paradiesichen Insel um so mehr, als ihnen die reiche Natur den
Kampf um´s Dasein äußerst leicht macht und harte Arbeit
ganz erspart. Harmloses Spielen und endloses Klatschen bilden ihre
Hauptunterhaltung, und jeder neue Gegenstand ist daher eine neue
Quelle des Interesses. Nun wurde zwar, als ich mich über den
lästigen Andrang der Neugierigen und die allzuvielen Besuche bei
den angeseheneren Personen beklagte, die Hauptmasse der ersteren
entfernt; aber jetzt traten die letzteren an deren Stelle und blieben um
so länger bei mir sitzen. Den „Doctor" interessirten besonders
meine Mikroskope, den „Collector" meine Malapparate, den
„Gerichtspräsidenten" die anatomischen Instrumente (vielleicht als
Marterwerkzeuge?), den „Schulmeister" meine Bücher, den
„Postmeister" meine Koffer u. s. w. Alle diese und anderen
Gegenstände, vom ersten bis zum letzten, wurden tausendmal
angesehen, befühlt und umgedreht und tausend törichte
Fragen über deren Zweck und Beschaffenheit gestellt. Vollends
meine wachsende Sammlung war für Alle ein Gegenstand
höchster Neugierde. Ich glaubte nun diese am besten dadruch zu
befriedigen, daß ich zu bestimmten Stunden an einigen
Wochentagen förmliche Demonstrationen mit erläuternden
Vorträgen hielt - ein Auskunftsmittel, das ich oft am Mittelmeer
mit Erfolg angewendet. Allein erstens glaubten mir die guten Leute das
Meiste nicht, oder sie verstanden es nicht; und zweitens
überzeugte ich mich bald, daß jene kindische Neugierde sich
hier noch fast nirgends zu wahrer Wißbegierde entwickelt habe.
Der ursächliche Zusammenhang der Erscheinungen interessirte die
guten Kinder blutwenig!
Es würde ermüdend sein, wollte ich hier alle die anderen
Hindernisse noch einzeln aufführen, mit denen meine zoologischen
Arbeiten in dem primitiven Laboratorium von Belligemma zu
kämpfen hatten. Ohne die Beihilfe eines europäisch
gebildeten Assistenten, und ganz auf meine eigene Kraft angewiesen,
vermochte ich viele derselben nicht zu überwinden, und verlor
einen großen Theil der kostbaren Zeit mit Nebenarbeiten, die bei
dergleichen Beobachtungen an europäischen Küsten
überhaupt nicht in Frage kommen. Auch war die knapp
zugemessene Zeit meines dortigen Aufenthaltes überhaupt zu
kurz, um eine Reihe von zusammenhängenden Untersuchungen,
namentlich über Entwickelungsgeschichte, so ausführen zu
können, wie ich ursprünglich beabsichtigt hatte. So wurde
mir schließlich zum wahren Troste der anfangs sehr bedauerte
Umstand, daß der Reichthum der Bucht von Belligemma an neuen
oder eigenthümlichen Seethieren sich bei Weitem nicht so
groß erwies, als ich erwartet hatte. Schon die ausgedehnten
Forschungen der letzten Decennien (insbesondere durch die Challenger
Expedition) war mehr und mehr die Erkenntniß gereift, daß
die Meeresbewohner der verschiedenen Oceane sich lange nicht in so
hohem Grade unterschieden, als die Landbewohner der verschiedenen
Continente. Meine Untersuchungen in Belligemma lieferten dafür
einen neuen Beweis. Ich fand zwar daselbst eine große Zahl von
neuen und zum Theil auch sehr interessanten Thierformen, namentlich
aus den niedrigsten Abtheilungen der Seethiere: Radiolarien und
Infusorien, Schwämme und Korallen, Medusen und Siphonophoren;
allein im Großen und Ganzen erwies sich doch die marine Fauna der
Meeresoberfläche sowahl, als auch der Küste, mit der
genauer bekannten Seethierwelt des tropisch-pacifischen Oceans (z. B.
der Philippinen und Fidschi-Inseln) sehr nahe verwandt.
Andere Küsten von Indien mögen wohl reicher an
mannigfaltigen und eigenthümlichen Seethierformen als Ceylon
sein. Ein ungünstiger Umstand scheinen mir für letzeres
namentlich die ungeheuren Regenmassen zu sein, welche
tagtäglich herabstürzen. Während die Flora der Insel
diesen gerade ihren besonderen Reichthum verdankt, wir die
Entwickelung und das Gedeihen der Fauna umgekehrt dadurch vielfach
gehindert. Die zahlreichen Flüsse, welche große Mengen von
rother Erde täglich in das Meer führen, trüben
dasselbe an den meisten Küstenbezirken in hohem Maße und
verdünnen seinen Salzgehalt; sie vernichtene jene reine und klare
Beschaffenheit des Seewassers, welche für diese und besonders
pelagische Seethiere eine der ersten Lebensbedingungen ist.
Wenn meine zoologische Sammlung in Belligemma trotzdem bald
ansehnlich wuchs und ich schließlich ein reicheres Arbeitsmaterial
von dort mit nach Jena brachte, als ich in dem noch übrigen Reste
meines Lebens bewältigen kann, so verdanke ich das
großentheils der unermüdlichen Hilfe meines treuen
Ganymedes. Meine Sammlung erregte sein höchstes Interesse und
er war unablässig bemüht, dieselbe mit Land- und
Seethieren aller Art zu bereichern. Durch seine Vermittlung ließen
sich auch eine Anzahl Fischerknaben bereit finden, für mich zu
sammeln, und der Naturalienhandel mit den kleinen Singhalesen
gestaltete sich bald sehr ergötzlich. Bisweilen erschien zu den
Stunden, die ich dafür festgesetzt hatte, ein ganzer Trupp von den
niedlichen braunen nackten Gesellen. Der Eine brachte mir ein paar
bunte Fische oder Krabben, der Andere einen schönen Seestern
oder Seeigel, der Dritte einen schwarzen Skorpion oder Tausendfuß,
Vierte ein paar glänzende Schmetterlinge oder Käfer u. s. w.
Mir kamen dabei oft die unterhaltenden Scenen in Erinnerung, die ich
bei ähnlichen Gelegenheiten am Mittelmeere, besonders in Neapel
und Messina, genossen hatte. Aber wie verschieden war das Benehmen
der kleinen Naturalienhändler hie rund dort! Die italienischen
Fischerknaben pflegten laut und lärmend ihre Waaren
anzupreisen; sie forderten das Zehnfache des Preises und waren auch
mit hoher Bezahlung nie zufrieden. Hingegen nahten sich die kleinen
Singhalesen mir nur scheu und ehrfurchtsvoll; sie legten still ihre Beute
vor mich hin und erwarteten schweigend, was ich ihnen dafür
geben würde; in der Regel waren sie mit einer kleinen
Kupfermünze zufrieden, glücklich aber, wenn ich für
besonders erwünschte Gegenstände ihnen etwas von den
Tauschartikeln gab, die ich mitgebracht hatte, und von denen ich
nachher sprechen werde.
Leider fehlte es mir an Zeit und Hilfsmitteln, um alle die interessanten
Naturalien, die ich auf diese Weise in Belligemma sammelte, in
wünschenswerther Qualität zu conserviren. Auch hier traten
wieder die Hindernisse des tropischen Klimas und der
zerstörenden Insecten feindlich entgegen. Ganz besonders gilt das
von den Präparaten, die ich trocken aufzubewahren suchte. Das
Trocknen an sich gehört in einem so äußerst feuchten
und heißen Klima schon zu den schwierigsten Problemen; denn die
Feuchtigkeit der Luft ist so vollkommen, daß selbst die bereits
getrockneten Gegenstände immer wieder sich mit Schimmel
bedecken und langsam zersetzen. Viele Objecte können aber
überhaupt nicht genügend ausgetrocknet werden. Obgleich
ich die Bälge der geschossenen Vögel und Säugethiere,
welche ich mit vieler Mühe präpariert hatte, wochenlang
täglich in der Sonne hängen ließ, wurden sie dennoch
während der Nacht stes vollständig wieder durchfeuchtet.
Nach schlimmere Feinde der trockenen Naturaliensammlungen sind die
Legionen zerstörender Insecten, vor allen die Scharen der
Termiten und Ameisen. Kein Raum ist vor ihnen sicher. Selbst wenn
nicht überall in den Zimmern die großen Luftlöcher
existirten, welche behufs der beständigen Ventilation nie
geschlossen werden, und wenn nicht jederzeit alle kriechenden und
fliegenden Bestien ungehindert dadurch eindringen könnten,
würde es doch unmöglich sein, sich gegen jene Plagegeister
zu schützen. Denn den Massenangriffen ihrer Millionen von
kräftigen Kiefern widersteht keine Wand; sie dringen ebensowohl
oben durch das Dach ein und ringsum durch die Seitenwände, als
von unten durch den Boden, den sie geschickt unterminiren. Oft wird
man plötzlich morgens beim Aufstehen durch kleine
kegelförmige Erdhaufen überrascht, welche die
wühlenden Termiten und Ameisen mitten zwischen den Steinen
des Fußbodens in der Nacht aufgeworfen haben und von denen am
Abend zuvor noch nichts zu sehen war. Wie rasch und energisch jene
kleinen Feinde oft in wenigen Tagen ihr großartiges
Zerstörungswerk ausführen, sollte ich selbst an meiner
Sammlung von Trockenpräparaten noch vor Ablauf des ersten
Monats erfahren. Ich hatte im Laufe dieser vier Wochen eine
hübsche Sammlung von trockenen Schmetterlingen und
Käfern, Bälgen von Vögeln und Säugethieren,
interessanten Früchten und Hölzern, Farnen und anderen
getrockneten Pflanzen zusammengebracht und sie in einem Nebenraume
des Rasthauses anscheinend sicher eingeschlossen. Fast täglich sah
ich nach, ob nicht zerstörende Feinde eingedrungen seien und
entfernte sofort die Vorposten der Ameisen- und Termiten-Colonnen,
die dann und wann erschienen. Durch reichliches Einlegen von Kampfer,
Naphthalin und Carbolsäure glaubte ich meine Schätze
hinreichend gesichert zu haben. Einige größere Excursionen,
die ich am Ende der vierten Woche unternahm und dringliche Arbeiten
anderer Art hatten mich ein paar Tage an der regelmäßigen
Revision gehindert. Wie erschrak ich daher, als ich nach Verlauf von drei
Tagen wieder in das verschlossene Museum eintrat und einen
großen Theil der gesammelten Schätze in einen Haufen von
Staub und Moder verwandelt fand! Mehrere Regimenter von
großen rothen Ameisen hatten von oben, einige Divisionen kleiner
schwarzer Ameisen durch die Seitenwand und eine Legion weißer
Termiten vom Boden aus einen combinirten Angriff gemacht, dessen
Wirkung entsetzlich war!
Von diesem Moment an gab ich das Sammeln trockener Präparate
größtentheils auf und suchte um so mehr Naturalien in
Alkohol und in Wickersheim´scher Flüssigkeit zu conserviren. Die
letztere, neuerdings über Gebühr gepriesen, erwies sich sehr
unbrauchbar. Aber auch mit dem Weingeiste hatte ich große
Schwierigkeiten; denn die mitgenommenen Vorräthe waren bald
erschöpft. Der einheimische Arrak, den die Eingeborenen bereiten,
ist von sehr geringer Qualität, und der bessere Weingeist, den man
in den Städten haben kann, wegen der enorm hohen Spiritussteuer
so kostbar, daß ich ihn nur in kleinen Quantitäten verwenden
konnte. Außerdem aber wurde mir die Freude an diesen Alkohol-
Sammlungen gar sehr verleidet durch die schreckliche Arbeit des
Zulöthens der Bleckkisten, die ich ebenfalls selbst besorgen
mußte. So einfach diese Kunst in der Theorie ist, so schwierig in der
Praxis, wenigstens unter so primitiven Verhältnissen, wie ich in
Belligemma fand. Bei einer beständigen Lufttemperatur von 22-
24o R. auch noch stundenlang den glühenden
Löthkolben vor dem schweißtriefenden Gesichte zu halten,
gehört zu den wahren Höllenqualen, um so mehr, als eine
ganz tüchtige mechanische Anstrengung mit dem Löthen
großer Blechkisten verbunden ist. Ich denke noch jetzt mit
Entsetzen an jene sauere Zwangsarbeit, die mich oft die ganze Sammlung
verwünschen ließ! Freilich habe ich jetzt andererseits um so
mehr Freude an den theuer erkauften Schätzen. Die dreißig
Kisten voll Naturalien, die ich in Belligemma sammelte, und zu denen
noch zwanzig andere in Punto-Galla hinzukamen, lohnten alle jene
Mühen reichlich.
Wenn nun auch viele specielle Hoffnungen, die ich an mein zoologisches
Laboratorium in Belligemma geknüpft hatte, nicht in
Erfüllung gingen, so gewann ich desto mehr für meine
allgemeine Anschauung der Tropennatur; und die sechs Wochen, welche
ich hier allein unter den Singhalesen zubrachte, bereicherten mich mit
einen wahren Schatze der interessantesten Eindrücke.
XII. Sechs Wochen unter den Singhalesen.
Das tägliche Leben im Rasthause von Belligemma gestaltete sich,
nachdem ich einmal die vielen Schwierigkeiten der ersten Einrichtung
überwunden hatte, recht befriedigend, und bot weniger
Mängel, als ich von vornherein gefurchtet hatte. Meine vier
dienstbaren Geister erfüllten ihre Aufgaben ganz leidlich, und
wenn es ja einmal an irgend Etwas fehlte, so war der gute Ganymed
sofort bemüht, dasselbe herbeizuschaffen. Beid er Masse
verschiedener Aufgaben, die mir einerseits die Naturaliensammlung und
die Arbeit im zoologischen Laboratorium, andererseits die malerische
Ausbeutung der herrlichen Umgebung von Belligemma beständig
stellte, war ich natürlich vor Allem darauf bedacht, die kostbare
Zeit meines hiesigen Aufenthalts so gut wie möglich auszunutzen.
Eingedenk der vielen und großen Opfer, die ich meiner indischen
Reise gebracht, sagte ich mir jeden Morgen beim Aufstehen, daß
der beginnende Tag wenigstens fünf Pfund Sterling werth sei, und
daß ich am Abend mindestens so viel Arbeit gethan haben
müsse, als diesem Werthe eines „Hundert-Mark-Scheines"
entspreche. Demgemäß machte ich es mir zum festen Gesetze,
keine Stunde ungenutzt zu verlieren, und insbesondere auf die
landesübliche Siesta während der heißen
Mittagsstunden gänzlich zu verzichten; gerade diese wurden meine
ergiebigste und ungestörteste Arbeitszeit.
Da Belligemma noch nicht ganz sechs Grad vom Aequator entfernt ist,
und da demnach selbst am kürzesten Tage des Jahres der
Unterschied von Tag und Nacht noch nicht eine ganze Stunde
beträgt, so konnte ich für jeden Tag nahezu volle zwölf
Arbeitsstunden aufwenden. Ich stand demnach regelmäßig
schon vor der Sonne, um 5 Uhr morgens auf, und hatte mein erstes
kühles Morgenbad bereits genommen, wenn Helios sich über
den Palmenwäldern des Mirissa-Cap, meinem Rasthause
gegenüber erhob. Auf der Veranda des letzteren, auf der ich das
plötzliche Erwachen des jungen Tages gewöhnlich
beobachtete, stand Ganymed schon bereit mit einer geöffneten
Cocosnuß, deren kühle Milch morgens stets mein erster
Labetrunk war. Inzwischen schüttelte William die Kleider aus, um
die etwa hineingekrochenen Tausendfüße, Skorpione und
anderes Ungeziefer zu entfernen. Alsbald erschien dann auch Socrates
und servirte mit demüthigster Miene den Thee nebst einer
Bananentraube und dem landesüblichen Maisbrote. Den
altgewohnten theuren Kaffee, meinen Lieblingstrank, hatte ich mir in
Ceylon abgewöhnen müssen. Denn der edle Mokkatrunk ist
auf dieser Insel, deren Kaffeedistricte ihren Hauptreichthum bilden,
gewöhnlich so schlecht, daß man den weit besseren Thee
allgemein vorzieht. Es soll das hauptsächlich daran liegen,
daß die Kaffeebohnen auf der Insel selbst nie gehörig
austrocknen, und erst in Europa jenen Grad von Trockenheit erlangen,
der eine sorgfältige Zubereitung ermöglicht.
Um 7 Uhr erschienen gewöhnlich meine Bootsleute und holten
meine Netze und Gläser für die tägliche Canoefahrt.
Diese dauerte meistens 2-3 Stunden. Nach der Rückkehr vertheilte
ich sofort die gefangene Ausbeute in eine Reihe von Glasbehältern
verschiedener Größe und suchte von den wenigen, noch
lebenden Seethieren zu retten, was irgend noch zu retten war. Die
wichtigsten Formen wurden sofort mikroskopiert und gezeichnet. Dann
nahm ich mein zweites Bad und hierauf um 11 Uhr das sogenannte
„ B r e a k f a s t
", das zweite Frühstück. Den Hauptbestandtheil
desselben bildete das nationale
„ C u r r y
a n d
R i c e ". Der Reis selbst erschien
stets in gleicher Weise, einfach gekocht; bei der Bereitung des
Cörry aber, der ragout-ähnlichen hochwichtigen
Reiswürze, wendete Babua allen Scharfsinn, den die
stiefmütterliche Natur in sein kleines Gehirn verpackt hatte, auf,
um mich täglich durch eine Neuigkeit zu überraschen. Bald
war der Cörry s w e e t (d.
h. wenig gewürzt oder selbst süß), bald
h o t (d. h. scharf mit spanischem Pfeffer und
dergleichen brennenden Gewürzen versetzt); bald erschien dieses
undefinirbare ragoutförmige Mixtum compositum mehr
vegetabilisch, in manngfaltigster Weise aus Cocosnuß und
verschiedenen Früchten oder Gemüsen zusammengesetzt;
bald mehr animalisch, mit Fleisch verschiedener Art aufgestattet. Das
letztere erregte meine ganz besondere Bewunderung; denn Babua schien
zu ahnen, daß für mich als Zoologen alle Thierclassen ein
gewisses Interesse darböten, und daß daher auch deren
Verwerthbarkeit für den Cörry ein wichtiges zoologisches
Problem sei. Wenn Montags die Wirbelthiere durch delicaten Fisch im
Cörry vertreten waren, folgten denselben Dienstags die noch
feineren Prawns oder Garnelen, kleine Krebse als Typen der
Gliederthiere. Wenn Mittwochs Tintenfische oder Kalmare (Sepia
und Loligo) als höchstorganisirte Vertreter der Mollusken
erschienen, wurden dieselben Donnerstags durch gekochte Schnecken,
bisweilen auch durch geröstete Austern überboten. Freitags
folgte der merkwürdige Stamm der Sternthiere oder
Echinodermen, durch die Eiermassen der Seeigel oder durch die
zähe Lederhaut der Holothurien (Trepang)
repräsentiert. Samstags erwartete ich nun zu den Pflanzenthieren
zu kommen und entweder Medusen oder Korallen, Spongien oder
Gasträaden in der Cörry-Tunke zu finden. Diese Zoophyten
hielt unser Koch offenbar, an die älteren zoologischen Systeme sich
anschließend, für Pflanzen, und ersetzte sie daher durch
fliegende Thiere; bald waren es Fledermäuse oder Vögel,
bald dickleibige Nashornkäfer oder Nachtschmetterlinge. Sonntags
stand natürlich eine ganz besondere Ueberraschung bevor; da
erschien im Cörry erster Classe entweder ein indisches Huhn oder
statt dessen eine fette Eidechse (Iguana), bisweilen eine Schlange,
die ich anfänglich für Aal hielt. Offenbar war demnach
Babua von der nahen Stammverwandtschaft der Vögel und
Reptilien vollständig überzeugt und hielt es für
gleichbedeutend, ob er die jüngere oder ältere Sauropsiden-
Form für den Tisch verwende. Zum großen Glück
für meine europäischen Vorurteile wurde ich mit dieser
zoologischen Mannigfaltigkeit des Cörry erst allmälig
bekannt; gewöhnlich erst nachdem ich ihn mit stiller Resignation
verschluckt hatte. Außerdem waren eine solche Masse von
Gewürzen, sowie Fragmente von Wurzeln, Blättern und
Früchten in der dicken Sauce des Cörry vertheilt, daß
erst genauere anatomische Untersuchung über die eigentlichen
Grundbestandtheile aufklärte; vor dieser hütete ich mich
wohl!
In den ersten Wochen blieb ich einigermaßen zweifelhaft, ob ich es
bei dieser nationalen „Curry and Rice"-Kost ein paar Monate
aushalten würde. Es ging mir aber damit ebenso, wie es Goethe in
Leipzig mit dem dicken Merseburger Bier ging; anfangs konnte ich es
kaum genießen, und nachher konnte ich mich nur schwer davon
trennen. Schon im Laufe der zweiten Woche machte ich aus der
Nothwendigkeit eine Tugend und nahm mir vor, den Geschmack des
Cörry recht schön oder wenigstens interessant zu finden;
und nach Verlauf eines Monats war ich gastronomische Anpassung
schon so sehr zum Indier geworden, daß ich nach neuen
Cörry-Arten begehrte und den Ertrag meiner eigenen Jagdbeute
zur Erfindung selcher verwerthete; es traten nun Cörry-Formen
aus Affen- und Flederfuchsfleisch auf, die selbst Babua in Erstaunen
setzten!
Ein großer Trost blieben mir unter allen Umständen die
wundervollen Früchte, die tagtäglich auf dem Tische des
Rasthauses prangten und mich für alle Cörry-Qualen
reichlich entschädigten. Vor Allem muß ich dankbarst der
herrlichen
B a n a n e n oder
Pisangs gedenken, jener edelsten Tropengabe, die ihren Namen
„Paradiesesfeigen" mit Recht verdient
(M u s a
s a p i e n t u m
). Wenn diese unvergleichliche Frucht überall in der
Tropenzone zu den dankbarsten Culturpflanzen gehört und ihrem
Besitzer die geringe auf sie verwendete Pflege tausendfach lohnt, so ist
das doch in Ceylon ganz besonders der Fall. Denn wir sind ja hier im
„P a r a d i e s e
von Lemurien"! Die possierlichen Halbaffen oder Lemuren, die ich mir
lebend im Rasthause hielt
(S t e n o p s
g r a c i l i s),
ließen darüber keinen Zweifel aufkommen; sie zogen ihre
süßen „Paradiesesfeigen" aller anderen Kost vor. Viele
verschiedene Spielarten werden von den Singhalesen cultivirt. Als die
feinsten gelten die kleinen, goldgelben „Ladies-Finger", die in der That
nicht viel größer sind, als der Finger einer wohlgebildeten
Dame und sich durch besondere Süßigkeit auszeichnen.
Dagegen besitzen die riesigen Wasserbananen die Gestalt,
Größe und Farbe einer stattlichen Gurke, und sind besonders
erquickend durch ihren kühlen durststillenden Saft. Die dicken
Kartoffelbananen umgekehrt sind geschätzt wegen ihres
Mehlreichthums und ihrer Nahrhaftigkeit; 3-4 Stück
genügen, den Hunger zu stillen. Die Ananasbananen zeichnen sich
durch ihr feines Arom aus, die Zimmtbananen durch den
gewürzigen Geschmack u. s. w. Gewöhnlich wird die edle
Frucht roh verzehrt, aber auch gekocht und geröstet, eingemacht
und mit Fett gebraten, schmeckt sie vortrefflich. Wohl keine andere
Frucht der Erde ist gleichzeitig in so hohem Maße wohlschmeckend
und nahrhaft, gesund und ergiebig. Ein einziger Bananenbaum
trägt eine Fruchttraube, die mehrere hundert Früchte
zusammengepackt enthält, und ein solcher prächtiger Baum,
mit der herrlichen Krone seiner frischgrünen
überhängenden Riesenblätter von zehn Fuß
Länge ist eine einjährige Pflanze! Dabei wetteifert die
landschaftliche Schönheit der Paradiesfeige mit ihrem
unschätzbaren Nutzen. Für alle indischen Hütten liefert
sie den reizendsten Schmuck. Wenn ich nur eine einzige edle
Tropenpflanze in meinen europäischen Garten verpflanzen
könnte, so würde ich der herrlichen
„M u s a
s a p i e n t u m
" vor allen anderen den Vorzug geben. Die „Muse der Weisen" ist von
Werth ein vegetabilischer „Stein der Weisen".
Nächst den Bananen, deren ich täglich dreimal mehrere
Stück in Belligemma verzehrte, bildeten die Hauptzierde der
dortigen Tafel prächtige Ananas (ein paar Pfennige werth!); ferner
die edle Mango (Mangifera indica), eiförmige grüne
Früchte von 1/4 bis 1/2 Fuß Länge; ihr cre**me-artiges
goldgelbes Fruchtfleisch zeichnet sich durch ein feines, jedoch etwas an
Terpentin erinnerndes Arom aus. Sehr angenehm fand ich die
Früchte der Passionsblume (Passiflora); sie erinnern an
Stachelbeeren. Weniger entzückt war ich von den
berühmten Custardäpfeln, den schuppigen Früchten
der Annona squamosa und von den indischen Mandeln, den
harten Nüssen der Terminalia catappa. Auffallend gering ist
in Ceylon die Qualität der Äpfel und der Orangen; letztere bleiben
grün, sind faserig unf saftlos; die geringe Güte dieser und
anderer Früchte ist jedoch wohl vorzugsweise auf den Mangel
sorgfältiger Pflege zu setzen; die Singhalesen sind viel zu bequem,
um sich mit der Züchtung ihrer Culturpflanzen viel Mühe zu
geben.
Nachdem ich mich an den Früchten meines bescheidenen
Frühstücks im Rasthause von Belligemma gelabt hatte,
verwendete ich die heißen Mittagstunden, von 12-4 Uhr,
gewöhnlich zur anatomischen und mikroskopischen Arbeit, zum
Beobachten und Zeichnen, sowie zum Einmachen und Verpacken des
gesammelten Materials. Die folgenden Abendstunden, von 4-6 Uhr,
wurden dann in der Regel zu einer Excursion in die reizende Umgebung
verwendet; bald nahm ich einige Aquarelskizzen derselben auf, bald
suchte ich sie in Photographie zu verewigen. Dazwischen wurden im
Walde Affen und Vögel geschossen, Insecten und Schnecken
gesammelt, oder am Strande die Korallenriffe abgesucht und die
wachsende Sammlung mit deren mannigfaltigen Producten vermehrt.
Reich beladen mit Schätzen kehrte ich gewöhnlich eine halbe
Stunde oder eine Stunde nach Sonnenuntergang in das Rasthaus
zurück. Eine Stunde kostete in der Regel noch die Verpackung der
eben gesammelten Sachen, das Abbalgen und Präparieren der
geschossenen Thiere, das Pressen der Pflanzen u. s. w.
So wurde es meistens 8 Uhr, ehe ich zu meiner zweiten Hauptmahlzeit,
zu den sogenannten „D i n n e r"
gelangte. Auch bei diesem war wieder die wichtigste Schüssel der
ewige „Curry and Rice". Indessen kam dazu gewöhnlich noch
ein Fisch oder Krebs, den ich mir vortrefflich schmecken ließ,
nachher auch wohl noch eine Eierspeise oder Mehrspeise, und zum
Schlusse wieder die köstlichen Früchte. An
F i s c h e n war in
Belligemma natürlich kein Mangel. Unter allen als der feinste galt
mit Recht der köstliche Seir-Fisch
(C y b i u m
g u t t a t u m),
ein großer platter Stachelflosser aus der Familie der Makrelen oder
Scomberoiden. Aber auch die Familien der Panzerwanzen
(Cataphracti), der Schuppenflosser (Squamipennes), der
Lippfische (Labroides) lieferten recht wohlschmeckende
Vertreter.Weniger zu rühmen waren die abenteuerlich gestalteten
Rochen und Haifische, die täglich in Riesenexemplaren auf dem
Fischmarkte erschienen. Indem Babua mir dieselben mit einer
scharfgewürzten Pfeffersauce schmackhaft zu machen suchte,
rechnete er vermuthlich auf das besondere phylogenetische Interesse,
das diese alten „Urfische", die Vorfahren der höheren Wirbelthiere
(mit Inbegriff des Menschen) für mich besitzen.
Wie der geneigte Leser aus diesem Menu von Belligemma ersieht, war
ich auf dem besten Wege, dort vollständiger
V e g e t a r i e
r zu werden. Zwar machte Socrates einige Male den
Versuch, mich durch die außerordentliche Leckerei von Beefsteak
und Mutton-Chop zu erfreuen; allein ich unterlasse, dem Leser meine
Muthmaßungen über die wahre Natur der Thiere, denen ich
diese Gerichte verdankte, mitzutheilen.
Dagegen muß ich nun das Geständniß ablegen, daß
ich den Mangel dere europäischen Fleischkost mir bisweilen durch
die Erträgnisse meiner Jagd zu ersetzen suchte. Obenan unter den
Delicatessen, die ich mir durch meine Flinte verschaffte, stand
Affenbraten; ich fand dieses edle Hochwild sowohl frsich geröstet
als in Essig gelegt ganz vorzüglich und lernte ahnen, daß der
„Cannibalismus" eigentlich zur raffinirten Gourmandie gehört!
Weniger appetitlich fand ich das Fleisch der Flederfüchse
(Pteropus), welchem ein eigenthümlicher Moschusgeruch
anhaftet. Dagegen näherte sich der Geschmack der großen
Eidechsen (Monitor dracaena) ziemlich dem des Kalbfleisches; und
die Schlangensuppe erinnerte einigermaßen an Aalsuppe. Untern
den verschiedenen Vögeln wurden insbesondere wilde Tauben
und Krähen, ferner wilde Enten und Reiher als Surrogate der
Hühner verwendet. Rechne ich dazu nun noch all die
verschiedenen „Frutti di mare", die pikanten Seefrüchte:
Muscheln, Schnecken, Seeigel, Holothurien u. s. w., so gewinnt der
Küchenzettel von Belligemma eine weit größere
Mannigfaltigkeit, als es zuerst den Anschein haben mochte. Zum
Ueberfluß hatte mich mein lieber Gastfreund von Punto-Galla, Mr.
Scott, auch noch mit verschiedenen europäischen Conserven,
Schottischer Marmelade, Liebig´s Fleisch-Extract etc. ausgestattet, wie er
auch für nöthigen Getränke Sorge getragen hatte.
Was diese wichtige Frage des Getränkes betrifft, so schien sie
anfangs sehr bedenklich. Denn das gewöhnliche Trinkwasser gilt
fast allenthalben im Flachlande von Ceylon als sehr schlecht und
ungesund, während das Hochland überreich am
schönsten und frischesten Quellwasser ist. Die großen
Regenmengen, die täglich auf die Insel herabstürzen,
schwemmen beständig eine Masse Erdreich und vegetabilische
Reste mit sich fort in die Flüsse; auch das stagnirende Wasser der
Lagunen steht mit diesen vielfach in Communication. Allgemeine Regel
ist es daher, das Wasser nur abgekocht zu trinken, als schwachen Thee,
oder versetzt mit etwas Claret oder Whisky. Von Letzterem hatte mir
mein Freund Scott eine mehr als ausreichende Quantität geschickt.
Mein Lieblingsgetränk wurde jedoch bald die Milch der
Cocosnuß, die ich eben so angenehm und erfrischend, als gesund
fand.
War abends das frugale Dinner glücklich vorüber, so machte
ich in der Regel noch einen kurzen Spaziergang am einsamen
Meeresstrande, oder ich ergötzte mich an der Illumination des
Cocoswaldes durch Tausende von prächtigen Leuchtkäfern
und Feuerfliegen. Dann schrieb ich noch einige Notizen oder versuchte
beim Scheine meiner Cocoslampe zu lesen. Indessen wurde ich
gewöhnlich bald so sehr von Müdigkeit übermannt,
daß ich mich schon um 9 Uhr zu Bett verfügte, nachdem
durch sorgfältiges Schütteln, wie morgens aus meinen
Kleidern, die Scorpione und Tausendfüße daraus entfernt
worden waren. Die großen schwarzen Scorpione (von 6 Zoll
Länge) sind hier so häufig, daß ich einmal im Laufe
einer Stunde ein halbes Dutzend derselben sammelte. Auch Schlangen
finden sich in großer Zahl. Die zierlichen grünen
Peitschenschlangen hängen überall von den Zweigen der
Bäume herab und auf den Dächern der Hütten jegt bei
Nacht die große Rattenschlange (Coryphodon Blumenbachii)
Ratten und Mäuse. Obgleich sie harmlos und nicht giftig ist, bleibt
es doch immer eine unangenehme Überraschung, wenn diese fünf
Fuß lange Natter plötzlich bei allzueifriger Jagd durch die
Dachluken in das Zimmer und gelegentlich in das Bett hineinfällt.
Im Uebrigen wurde meine Bettruhe durch die manngfaltigen Bestien
von Belligemma nur wenig gestört, abgesehen von dem Geheul des
Schakals und dem unheimlichen Ruf des Teufelsvogels (einer Eulee,
Syrnium Indrani), sowie einiger anderer Nachvögel. Die
glockenartigen Stimmen der kleinen niedlichen Lauffrösche, die
ihre Wohnung in großen Blumenkelchen aufschlagen, wirkten eher
wie ein Schlummerlied. Dagegen ließ mich oft das Spiel der eigenen
Gedanken nicht zur Ruhe kommen; die Erinnerung an die vielen
Erlebnisse des vergangenen Tages, und die Spannung auf diejenigen des
kommenden. In langer glänzender Reihe zogen da alle die bunten
Bilder an mir vorüber, mit denen mich die letzten Ausflüge
und Beobachtungen bereichert hatten, und neue Pläne für
den nächsten Tag wurden entworfen.
Mit der braunen Bevölkerung von Belligemma, die zum
größten Theile rein singhalesisches Blut besitzt, kam ich
durch die mannigfaltigen Arbeiten im zoologischen Laboratorium, wie
durch meine Versuche im Aquarellieren und Photographieren, bald
vielfach in nähere Berührung. Gleich anfangs hatte mich der
„Native Doctor" gebeten, ihm bei einigen chirurgischen Operationen
behilflich zu sein, und dadurch hatte sich auch mein ärztlicher Ruf
in einem Maße übertrieben verbreitet, daß ich
manchem lieben Collegen in Deutschland die glänzende (wenn
auch nicht einträgliche) Praxis gegönnt hätte. Bald kam
ich sogar in den Ruf eines Tausendkünstlers und Hexenmeisters,
der aus Pflanzen Zaubertränke und aus Seethieren Gold machen
könne. Die wunderlichsten Anforderungen an meine schwarze
Kunst wurden gestellt. Alt und Jung begleitete mich scharenweis auf
meinen Wanderungen durch das Dorf und dessen Umgebung. Alles, was
ich that und unternahm, war für sie interessant, und hinter Allem
vermutheten sie besondere Geheimnisse.
Sehr unterhaltend und zum Theil auch recht ergiebig gestaltete sich bald
der Naturalienhandel mit den Eingeborenen, und ich verdanke ihm
manches schöne Stück für meine Sammlung.
Insbesondere erwies sich der schon erwähnte
T a u s c h h a n
d e l bald sehr vorteilhaft. Unter den
verschiedenen Tauschwaren, die ich zu diesem Zwecke mitgebracht,
waren namentlich eiserne Instrumente: Messer, Scheren, Zangen,
Hammer u. s. w. sehr begehrt; aber auch Glasperlen, bunte Steine oder
dergleichen Schmuck. Den höchsten Werth besaßen jedoch -
und es spricht das für den Kunstsinn der Singhalesen - bunte
Bilderbogen, von denen ich ein paar Hundert mitgenommen hatte. Diese
Kunstwerke, die allbekannten Lieblinge unserer Kinder, die
berühmten „Bilderbogen aus Neu-Ruppin, Schön zu haben
bei Gustav Kühn" (- Stück für Stück fünf
Pfennig! -) fanden in Belligemma den höchsten Beifall und ich
bedauerte nur, nicht noch mehr mitgenommen zu haben. Auch als
Gastsgeschenk wurden außerordentlich geschätzt; und ich
konnte mit nichts Besserem mich erkenntlich zeigen für die
Haufen von Cocosnüssen, Bananen, Mango und anderen edlen
Früchten, welche mir meine braunen Freunde, und besonders die
beiden Häuptlinge, täglich in das Rasthaus sendeten. Bald
fand ich alle vornehmeren Hütten des Dorfes mit diesen feinen
Erzeugnissen der deutschen Malerei geschmückt; und selbst aus
benachbarten Dörfern kamen einzelne Häuptlinge und
verehrten mir Früchte und Blumen, um sich dadurch in den
ersehnten Besitz von Neu-Ruppiner Bilderbogen zu setzen. Obenan im
Range standen die Militaria: Preußische Ulanen, Oestereichische
Husaren, Französische Artillerie, Englische Marine-Soldaten u. s. w.
Ihnen folgten zunächsts Theater-Figuren, die bekannten
Phantasiegestalten von Oberon und Titania, von der weißen Dame,
der Nachtwandlerin und Wagner´s Nibelungen-Ring. Daran schlossen sich
die Hausthiere: Pferde, Rinder, Schafe. Dann erst kamen die Bilderbogen
mit Genrebildern, Landschaften u. s. w. Je bunter und greller, desto
schöner!
Durch diese gegenseitigen Geschenke und durch jenen Tauschhandel
kam ich bald zu Bevölkerung von Belligemma in sehr
freundschaftliches Verhältniß; und wenn ich zu Fuß
durch das Dorf wanderte oder auf dem Ochsenkarren hindurchfuhr,
hatte ich nur immer rechts und links zu grüßen, um die
ehrerbietigen Verbeugungen meiner braunen Freunde, die sie mit auf
der Brust gekreuzten Armen ausführten, zu erwidern. Bei diesen
Dorfpromenaden fiel mir, ebenso wie bei den späteren Besuchen
anderer singhalesischer Dörfer, nichts so sehr auf wie die
Seltenheit des schönen Geschlechts, namentlich der jungen
Mädchen im Alter von 12 und 20 Jahren; selbst unter den
spielenden Kindern sind die Knaben weit überwiegend. Die
Mädchen werden früh daran gewöhnt, im Innern der
Hütten zu bleiben und dort häusliche Arbeiten zu verrichten.
Dazu verblühen sie sehr bald. Oft schon mit 10 oder 12 Jahren
verheirathet, werden sie bereits mit 20-30 Jahren alte Frauen.
Großmütter von 25-30 Jahren kommen häufig vor. Ein
wichtiger Umstand ist fernerdas permanente
Mißverhältniß der männlichen und weiblichen
Geburten unter den Singhalesen. Auf je 10 Knaben werden
durchschnittlich nur 8-9 Mädchen geboren. Das schöne
Geschlecht ist hier zugleich das seltene! Selten freilich ist es auch
wirklich schön.
In ursächlichem Zusammenhange damit, wenigstens theilweise,
steht wohl auch das merkwürdige Verhältniß der
P o l y a n d r i
e. Trotzdem die englische Regierung seit langem eifrig
bemüht ist, dasselbe zu unterdrücken, besteht es dennoch
fort, wahrscheinlich sehr verbreitet, besonders in entlegeneren Theilen
der Insel. Nicht selten haben zwei oder drei Brüder eine Frau
gemeinschaftlich; es soll jedoch auch Damen geben, die sich des Besitzes
von 8-12 anerkannten Männern erfreuen. Ueber diese
verwickelten Familien-Beziehungen und ihre Consequenzen werden eine
Menge von merkwürdigen Geschichten erzählt; doch ist es
wohl sehr schwer, das Wahre daran von zugefügten Fabeln zu
sondern.
Der alte Socrates, mit dem ich einmal über diese Polyandrie mich
ausführlich unterhielt, überraschte mich dabei durch eine
n e u e
V e r e&nabsp;r b u n
g s -
T h e o r i e , die zu
merkwürdig ist, als daß ich sie hier nicht mittheilen sollte. Sie
fehlte bisher unter den verschiedenen Vererbungsgesetzen im neunten
Capitel meiner „Natürlichen
Schöpfungs-Geschichte"" und ist so originell, daß sie
für jeden Darwinisten von hohem Interesse sein muß. Ich
muß verausschicken, daß Socrates ein Sohn des Hochlandes
von Kandy und nach seiner Angabe aus einer hohen Kaste gebürtig
war. Nur mit stiller Verachtung bewegte er sich daher unter den
Bewohnern von Belligemma, unter denen er erst seit einigen Jahren
weilte und mit denen er offenbar nicht auf freundschaftlichen Fuße
stand. Er warnte mich gleich anfangs vor deren Schlechtigkeit im
Allgemeinen und redete ihnen manch´ einzelnes Uebles nach. „Freilich
ist diese verdorbene Gesinnung nicht wunderbar," sagte er dann
plötzlich achselzuckend mit einer sehr ernsten Miene: „Denn, Herr,
Ihr müßt wissen, jeder dieser Leute im Lieflande hat von
Anfang an mehrere Väter, und da er von allen seinen Vätern
immer so viel schlechte Eigenschaften erbt, ist es ganz natürlich,
daß diese Rasse immer verdorbener wird!"
Als Socrates mir zum ersten Male (gleich am ersten Tage in Belligemma!)
eine Warnung vor dem schlechten Charakter seiner Landsleute
zukommen ließ, wurde ich dadurch in der That etwas besorgt, und
es beruhigte mich einigermaßen, als er treuherzig versicherte,
daß er selbst dafür der beste Mensch sei und daß ich
mich in allen Dingen unbedingt auf ihn verlassen könne. Wie
erstaunte ich aber, als gleich darauf der erste Häuptling mich
wieder mit seinem Besuche beehrte und mir im Stillen ungefähr
ganz dasselbe versicherte - und als an den folgenden Tagen noch ein
halbes Dutzend Honoratioren des Dorfes mich besuchten und dasselbe
Thema in anderen Tonarten variirten! Jeder bat mich, nur ja vor seinen
Mitbürgern mich in Acht zu nehmen; denn es seien meistens
schlechte Kerle, Lügner, Diebe, Verleumder u. s. w. Nur der Redner
selbst sei eine Ausnahme und ich könne mich unbedingt auf seine
Freundschaft verlassen.
Wenn schon durch diese merkwürdigen Mittheilungen ein dunkler
Schatten auf die geträumte Paradiesesunschuld der Singhalesen
fiel, so erschien diese in noch trüberem Lichte durch die
Mittheilungen des Richters (- oder, wie er sich nannte, das „Gerichts-
Präsidenten" -). Derselbe versicherte mir seufzend, daß er am
meisten im ganzen Dorfe zu thun habe und daß er dan ganzen Tag
nicht mit seiner juristischen Thätigkeit fertig werde. In der That
fand ich die Gerichtshalle (- gleich der Schule ein offener Schuppen -)
fast immer mit ein paar Dutzend, und bisweilen mehr als hundert
Dorfbewohnern gefüllt, die dort ihr Recht suchten. Indessen erfuhr
ich zu meiner Beruhigung, daß die Mehrzahl der Processe sich um
Beleidigungen und Verleumdungen, um Betrübereien und
besonders um Gartendiebstahl drehe. Denn die Singhalesen sind im
Allgemeinen zu List und Betrug sehr geneigt, ganz besonders aber
Lügner erster Classe. Hingegen sind sie keine Freunde von
Gewaltthaten; Körperverletzungen und Todtschlag sind selten,
Raub und Mordthaten große Ausnahmen. Ueberhaupt kommen
lebhafte Leidenschaften selten zur Erscheinung; ihr Temperment ist im
Ganzen entschieden phlegmatisch.
Große Liebhaber sind die Singhalesen von Tanz und Musik, Beides
allerdings in Formen, die wenig nach unserem Geschmacke sein
würden. Die wichtigsten Instrumente sind Pauke und Tam-Tam,
deren Kalbsfell aus Leibeskräften mit hölzernen Keulen
bearbeitet wird, außerdem Rohrpfeifen und ein sehr primitives
Streichinstrument mit einer einzigen Saite (Monochord). Wenn ich
abends in der Nähe des Rasthauses den Lärm dieser
ohrenzerreißenden Werkzeuge vernahm und denselben nachging,
traf ich in der Regel vor einem Feuer unter einer Palmengruppe einen
Trupp von einem halben oder ganzen Dutzend brauner nackter Kerle, die
sich mit weißen, gelben und rothen Strichen phantastisch bemalt
hatten und in den wunderlichsten Capriolen umhersprangen. In weitem
Kreise hockte eine andächtige Volksmenge dicht gedrängt
umher und verfolgte diese grotesken Kunstleistungen mit
größter Andacht. Um die Jahreswende (welche auch für
die Buddhisten das Fest der Jahreswende ist) wurden diese abendlichen
„Teufelstänze" häufiger und erhielten besondere
religiöse Bedeutung. Die Hauptkünstler waren dann mit
bunten Federn abenteuerlich verziert, trugen ein paar Hörner auf
dem Kopfe und hatten einen langen Schwanz angebunden, ein
besonderes Vergnügen für die Jugend. Springend und
johlend zog jetzt öfter ein trupp solcher Dämonen unter
Musikbegleitung auch bei Tage durch das Dorf; während die
nächtlichen Trinkgelage manches Mal zu etwas bedenklichen
Orgien ausarteten.
Eine besondere buddhistische Feierlichkeit hatte am 19. December der
Häuptling des benachbarten Dorfes Dena-Pitya veranstaltet. Ich
war als Ehrengast eingeladen und wurde nachmittags in feierlichem
Aufzuge abgeholt. Ein ganzes Dutzend alter, kahlgeschorener
Buddhapriester in gelbem Talar empfing mich unter den Wipfeln eines
ungeheuren Feigenbaumes und führte mich unter wunderlichem
Gesange in den Tempel, der mit Guirlanden zierlich decorirt war. Hier
wurde mir das große Buddhabild, reich mit duftenden Blumen
geschmückt, gezeigt und die Bedeutung der Wandmalereien
(Scenen aus der Lebensgeschichte des Gottes) erklärt. Dann wurde
ich auf einen Thronsessel geführt, der dem Tempel
gegenüber unter einer schattigen Baumgruppe errichtet war, und
nun begann die eigentliche Vorstellung. Ein Musikchor von 5 Tam-Tam-
Schlägern und ebenso vielen Flötisten begannen einen
Lärm aufzuführen, der „Steine erweichen" konnte. Zugleich
erschienen auf 12 Fuß hohen Stelzen 2 Tänzer, die eine Reihe
der wunderlichsten Evolutionen ausführten. Dazwischen trugen die
Töchter des Häuptlings, üppige schwarzlockige
Mädchen von 12-20 Jahren, mit sehr zierlichen Gliedmaßen,
Toddy oder Palmwein in Cocosschalen und Zuckerbackwerk nebst
Früchten zur Erfrischung umher. Von einer längeren Rede,
die der Häuptling dann an mich hielt, verstand ich leider kein
Wort; doch merkte ich, daß sie vorzugsweise die hohe Ehre betonte,
die ihm heute durch meinen Besuch widerfuhr. Pantomimisch wurde
dieselbe Idee durch eine Bande von 10 nackten, bunt bemalten und
geschückten Teufelstänzern ausgedrückt, welche rings
um meinen Thron die tollsten Sprünge ausführten. Als ich
endlich gegen Sonnenuntergang aufbrach und meinen Ochsenkarren
aufsuchte, fand ich ihn ganz gefüllt mit den schönsten
Bananen und Cocosnüssen, die die freundlichen Leute mir noch als
Gastgeschenk mit auf den Weg gegeben hatten.
Kaum hatte ich hier als Ehrenpräsident eines echt singhalesischen
buddhistischen Zauberfestes fungirt, so mußte ich - schon am
nächsten Tage! - eine entsprechende Function bei der Jahresfeier
der Wesleyanischen Mission ausüben! Am folgenden Morgen (den
20. December) erschien unvermuthet in einem Wagen aus Punto-Galla
der Präsident der dortigen Wesleyanischen Mission (einer
Religionsgesellschaft, die unseren Herrenhutern ziemlich nahe steht). Er
theilte mir mit, daß in der hiesigen Schule derselben heute zum
Schlusse des Jahresunterrichts eine feierliche Preisvertheilung stattfinde
und daß ich ihrer guten Sache keinen größeren Dienst
erweisen könne, als wenn ich selbst die Prämien an die
Kinder vertheile. Trotz allen Sträubens mußte ich mich doch
schließlich fügen. Hatte ich gestern dem großen Buddha
gehuldigt, so mußte ich heute dem guten Herrn Wesley einen
Gefallen thun. Ich wanderte als nachmittags in das kleine offene
Schulhaus, wo etwa 150 Kinder in weißen Kleidern (theils aus
Belligemma, theils aus benachbarten Dörfern) versammelt waren.
Zuerst wurden mehrere Gesänge aufgeführt, die jedoch
für die musikalische Bildungsstufe des braunen Schulmeisters kein
besonders erfreuliches Zeugniß ablegten; es kam mir vor, als ob die
150 Kinder (etwa 90 Knaben und 60 Mädchen) mindestens 50
verschiedene Melodien gleichzeitig executirten. Die mangelnde Harmonie
suchten sie offenbar durch Stärke und Höhe der Stimme zu
ersetzen. Dagegen fiel das folgende Examen in biblischer Geschichte und
englischer Grammatik recht befriedigend aus. Auch die aufgelegten
Schreib- und Zeichenhefte waren nicht übel, wenigstens in
Anbetracht des Umstandes, daß sie im Paradiese von Ceylon unter
6 Grad nördlicher Breite entstanden waren. Nun hielt der
Reverend N. eine feierliche Rede, an deren Schlusse er mich aufforderte,
die dreißig ausgesetzen Prämien an die fleißigsten
Schulkinder zu vertheilen. Ich rief die Namen derselben, einer Liste
folgend, auf, und jedesmal kam der kleine Singhalese mit strahlendem
Antlitze vor und empfing mit tiefer Verbeugung aus meiner Hand seine
Belohnung; ein englisches Buch oder eine Bilderfibel. Zum Schlusse
wurde Alles mit Kaffee und Kuchen tractirt. Meine Freunde in Galla und
Colombo, welche durch die Zeitung von diesen meinen
außerordentlichen Leistungen erfuhren, hatten darüber
großen Spaß.
Die merkwürdigste Feier jedoch, welcher ich während
meines Aufenthaltes in Belligemma beiwohnte, war das
Begräbniß eines alten Buddhapriesters am 13. Januar.
Während die gewöhnlichen Menschen hier einfach begraben
werden (und zwar im Garten hinter dem Wohnhaus oder im nahen
Cocospark), so werden die Priester allein der Ehre der Verbrennung
theilhaftig. Diesmal handelte es sich um den ältesten und
angesehendsten Priester des Dorfes, und demgemäß war in
der Nähe des Haupttempels ein gewaltiger Scheiterhaufen, mitten
im Cocoswalde, aus Palmenstämmen aufgeschichtet. Nachdem die
Leiche auf einer hohen, blumengeschmückten Bahre unter
feierlichen Gesängen durch das Dorf getragen worden war, zog
eine Schar von jungen Buddhapriestern in gelber Toga sie auf den
Scheiterhaufen hinauf, der eine Höhe von ungefähr
dreißig Fuß hatte. Die vier Ecken desselben wurden durch vier
hohe, im Boden wurzelnde Cocosstämme gestützt, zwischen
welchen baldachinartig ein großes weißes Tuch ausgespannt
war. Nach Ausführung verschiedener Ceremonien, feierlicher
Gesänge und Gebete, wurde um 5 Uhr abends unter lautem Tam-
Tam-Lärm der Scheiterhaufen angezündet. Die
ringsversammelte braune Volksmenge, mehrere Tausend Köpfe
stark, die den umgebenden Cocoswald erfüllte, folgte nun mit
größter Spannung der Verbrennung der Leiche, besonders
aber dem Momente, in welchem der Baldachin von den Flammen
ergriffen wurde. Die aufsteigende heiße Luft blähte dieses
horizontal ausgespannte weiße Tuch gleich einem gewaltigen Segel
hoch empor und es war schon die Dunkelheit eingebrochen, ehe dasselbe
von der hoch auflodernden Flamme ergriffen und verzehrt wurde. In
diesem Augenblicke durchtobte tausendstimmiger lauter Jubel den
stillen Wald; die Seele des brennenden Oberpriesters war jetzt gen
Himmel geflogen. Zugleich gab dieser feierliche Moment das Signal
für den Beginn des heiteren Festtheiles. Reiskuchen und
Palmenwein wurde herumgereicht und es begann eine laute und lustige
Zecherei, die den größten Theil der Nacht hindurch rings um
den noch immer brennenden Scheiterhaufen fortdauerte.
Abgesehen von diesen Feierlichkeiten und einigen weiteren Excursionen
in die Umgegend erlitt mein einsames Stillleben im Rasthause von
Belligemma nur selten eine Unterbrechung. Dann und wann kam auf
seiner Inspectionsreise durch die Provinz ein englischer
Regierungsbeamter, der ein paar Stunden im Rasthause verweilte, auch
wohl den Abend mit mir speiste und dann weiter fuhr. Unbequemere
Besuche waren einige singhalesische Schulmeister, die, durch den Ruf
meines Laboratoriums angezogen, aus weiterer Entfernung angereist
kamen, sich mir als Collegen vorstellten und alles Mögliche wissen
oder sehen wollten. Nun bin ich zwar allerdings in der Hauptsache auch
nur ein Schulmeister und habe demgemäß vor meiner Kaste
natürlich den größten Respect. Allein die besondere
Species des Praeceptor singhalensis, die ich hier näher
kennen lernte, war doch wenig nach meinem Geschmacke und ich war
froh, wenn ich diese zudringlichen und eingebildeten, dabei aber doch
sehr unwissenden Gesellen glücklich abgeschüttelt hatte.
Daneben lernte ich übrigens später einige angenehmere und
unterrichtete Exemplare derselben Gattung kennen.
Der merkwürdigste unter den vielen neugierigen Besuchen, welche
ich während meines dortigen Aufenthaltes empfing,
überraschte mich jedoch zur Weihnachtszeit. Ich kam abends
spät sehr ermüdet von einer weiten Excursion nach Boralu
zurück, als schon vor dem Rasthause Socrates mir entgegenkam
und mit geheimnisvoller Miene mir zuflüsterte, daß vier
fremde „Ladies" seit einer Stunde schon auf mich warteten. In der That
erblickte ich bei meinem Eintritte in das dunkle Rasthaus auf der Bank
sitzend vier Damen in europäischer, aber höchst
geschmackloser Kleidung. Wie erschrak ich aber, als der flackernde
Schein der Cocoslampe auf vier alte Hexengesichter fiel, von denen eins
immer häßlicher und runzeliger war als das andere.
Wären es drei gewesen, so würde ich sie für die drei
Phorkyaden aus der classischen Walpurgisnacht gehalten und ihnen
nach dem Muster des Mephistopheles einiges Angenehme gesagt haben.
Glücklicherweise wurde mir dies erspart; denn die älteste
der vier braunen Huldinnen (- sie mochte wohl über fünfzig
Jahre zählen -) begann mir ebenso höflich als
würdevoll in leidlich gutem Englisch mitzutheilen, daß sie die
wißbegierigen Töchter des Häuptlings aus einem
benachbarten Dorfe seien, und daß der Großvater ihrer Mutter
ein Holländer gewesen sei; da sie wissenschaftliche Interessen
besäßen, wünschten sie meine Sammlung zu sehen und
photographirt zu werden. Ich bat sie, am anderen Morgen wieder zu
kommen. Zur Photographie konnte ich mich freilich nicht
entschließen; aber durch Demonstration des Laboratorium konnte
ich doch ihren Wissenstrieb befriedigen.
---
XIII. Basamuna und Mirissa.
Die nächste Umgebung von Belligemma sowohl als auch die
weitere Hügellandschaft, die sich daran anschließt, bietet eine
Fülle der schönsten Bilder und zeigt den idyllischen und
zugleich großartigen Tropencharakter von Südwest-Ceylon in
seiner höchsten Vollendung. Die zahlreichen Excursionen, die ich
nach verschiedenen Richtungen in dieselbe unternahm, meistens von
Ganymedes und William begleitet, gehören zu meinen liebsten
Reiseerinnerungen.
Der reizende Busen von Belligemma wiederholt in Lage,
Größe und Form fast genau denjenigen von Punto-Galla; nur
ist ersterer um 1/3 größer. Beide bilden nahezu einen
Halbkreis, der nach Süden sich öffnet und an dessen
Oeffnung sowohl östlich als westlich ein schützendes
Vorgebirge vorspringt. Der Radius dieses Halbkreises beträgt bei
Belligemma etwas mehr als eine Seemeile, bei Galla etwas weniger; der
Mündungsdurchmesser dort 1 1/2, hier nur 1 Seemeile. Der
westliche Vorsprung des Hafens, welche in Galla das Fort trägt,
wird in Belligemma von der Basamuna-Spitze gebildet, einer
äußerst malerischen Hügelgruppe, deren dunkelrothes
Gestein mit den seltsamsten Pandanusgruppen geschmückt ist. Das
östliche Vorgebirge hingegen, an beiden Orten höher und
weiter vorspringend, trägt in Galla das Fort von Watering-Point, in
Belligemma den schönen Wald von Mirissa.
Die überraschende Aehnlichkeit zwischen den beiden
prächtigen Meeresbuchten wird dadurch noch größer,
daß ihr weißer Sandstrand größtentheils vom
herrlichsten Cocospark überschattet wird und daß die rothen
und braunen Felsen dazwischen mit grotesken Pandanusbüschen
verziert sind. Hier und dort erheben sich in blauer Ferne darüber
die Bergketten des Hochlandes, unter denen Hay-Cock und Adams-Pik
als Landmarken am meisten vorspringen. Ja, diese Aehnlichkeit
wiederholt sich in den wundervollen Korallenbildungen beider
Hafenbecken. Wie die größten und reichsten Korallenbanke
von Galla rings um das Fort sich finden, am Fuße des westlichen
Vorgebirges, ebenso auch in Belligemma, rings um den Klippenfuß
von Basamuna. Uebrigens sind die Korallenbänke des letzteren
weniger ausgedehnt als die des ersteren und der Hafen ist tiefer und
weniger klippenreich als dort. Es ist daher schwer zu begreifen, daß
der prächtige Hafen von Belligemma nicht längst für
die Schiffahrt größere Bedeutung gewonnen hat und daß
nicht längst an der Stelle des armen und bescheidenen
Fischerdorfes eine reiche und stolze Handelsstadt blüht.
Hätte ich in Indien eine Colonie zu gründen, ich würde
nirgends anders hingehen als nach Belligemma!
B a s a m u n a ,
das West-Cap von Belligemma, war mein bevorzugter
Lieblingsspaziergang während meines dortigen Aufenthaltes.
Wenn ich Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr meine zoologischen
Arbeiten beendet und die Beute der marinen Morgenexpedition in den
Weingeistgläsern sicher untergebracht hatte, packte ich rasch die
Mikroskope und Instrumente in die Almeira und hing Ganymedes die
Patrontasche und Botanisirtrommel um. William nahm das Gewehr und
das Schmetterlingsnetz und sich selbst das Aquarellgeräth und
Skizzenbuch. Die Basamunaklippe ist nur eine halbe Stunde vom
Rasthause entfernt, welches am Südende des Dorfes, mitten an der
Westseite der Belligamma-Bai liegt. Der nächste Weg dorthin
führt längs des Strandes an einzelnen Fischerhütten
vorbei und dann am Rande des Cocoswaldes hin. Das ewig wogende Meer
hat hier das lehmige Ufer stark unterwühlt und bringt
alljährlich eine Anzahl der edlen Cocosstämme zum Fall; ihre
weißen Leichen ragen zum Theil aus dem Wasser hervor,
während der braune Wurzelschopf, ausgehoben und rein
abgespült, wie ein behaarter Kopf an ihrem Ende sitzt. Eine Menge
bunter Strandkrabben (Ocypode) und Einsiedlerkrebse
(Pagurus) beleben den Strand; letztere verbergen hier ihren
weichen Hinterleib nicht wie gewöhnlich in dem Gehäuse
einer Seeschnecke, sondern mit Vorliebe in dem stattlichen
rothmündigen Hause der großen landbewohnenden
Palmenschnecke (Helix haemastoma). Wenn die Ebbe sehr tief ist,
kann man unten um den Felsenfuß des steilen West-Caps
herumklettern, über die entblößten Korallenfelsen, auf
denen oft viele interessante Seethiere, bunte Schnecken und Muscheln,
stachelige Seeigel und Seesterne zurückgeblieben sind. Bei
Hochwasser muß man aber hinter dem Cap herum durch den
Palmenwald gehen, in dem allenthalben einzelne Hütten mit
Brodfruchtbäumen und Bananenschmuck zerstreut liegen.
Ganz überraschend ist dann der Anblick, wenn man plötzlich
aus dem Cocoshain heraustritt und inmitten der tieffsten Einsamkeit die
dunkelrothen Porphyrfelsen von Basamuna vor sich sieht, wild
zerklüftete Klippen, an deren Fuß die tobende Brandung
emporspritzt. Ihr Rücken ist fast ganz mit Schraubenpalmen oder
Pandangs bedeckt, von so phantastischen Formen und so grotesker
Gruppirung, wie sie nur die wildeste Phantasie eines Gustav Doré
ausdenken könnte. Gleich gewaltigen Riesenschlangen winden sich
die verbogenen cylindrischen Stämme durch einander, unten auf
zahlreiche, lange und dünne Luftwurzeln, wie auf Stelzen sich
stützend, oben armleuchterartig verzweigt, ihre sparrigen Aeste
gleich drohenden Armen gen Himmel streckend, am Ende jedes Armes
ein schraubenförmig gewundener Blätterschopf. Beim
Vollmondscheine gewährt diese gespensterhafte Gesellschaft einen
ganz tollen Anblick und es ist begreiflich, daß die
abergläubischen Singhalesen nicht zu bewegen sind, sich bei Nacht
hineinzuwagen. Ich muß bekennen, daß mir selbst, trotz
Doppelflinte und Revolver, ganz unheimlich zu Muthe wurde, als ich
einmal bei Vollmond zwischen 10 und 11 Uhr ganz allein in diesem
hexenmäßigen Pandanusdickicht herumkletterte; um so
mehr, als der treue Ganymed vorher mit den rührendsten Blicken
mich gebeten hatte, davon abzusehen. Ein scharfer Westwind warf den
silbernen Schaum der Brandung mit Donnergetöse an den
schwarzen Klippen haushoch empor, während er oben ein ganzes
Heer von gethürmten Haufwolken mit fliegender Eile über
das dunkle Firmament jagte. Der rasche Wechsel der schwarzen
Wolkenschatten und des zauberhaften Vollmondglanzes gab auf den
schimmernden Blätterköpfen und dem verschlungenen
Stammgewirr Effecte, wie man sie unheimlicher sich nicht denken kann.
Wenn man sich durch das Pandanusdickicht von Basamuna gearbeitet
hat und auf die frei vorspringende Felsenspitze hinaustritt, erblickt man
zur Linken den Eingang in die Belligemma-Bai, im Süden fern
gegenüber die Cocospalmen der Mirissaspitze; zur Rechten
hingegen eine fein geschwungene Ausbuchtung des Strandes, der dicht
mit Cocospalmen gesäumt ist; und über dem letzten
nördlichen Vorsprung desselben eine allerliebste Insel, mit
Gebüsch bewachsen. Von dem Dorfe, von dem uns bewaldete
Hügel trennen, ist hinten im Rücken (ostwärts) Nichts
zu sehen, und keine Spur menschlicher Existenz stört den Eindruck
der absoluten Einsamkeit, der diese zauberhafte Meereswarte umwebt.
Frei und ungehemmt fliegt der Blick hier über den
unermeßlichen blauen Spiegel des indischen Oceans und
würde erst 30 Längengrade weiter westwärts wieder
auf Land stoßen, auf ein Land, das in jeder Beziehung das
Widerspiel unserer üppigen Umgebung ist, auf die trockene und
pflanzenlose Sandküste der abyssinischen Somali-Neger. Unsere
Gedanken aber fliegen noch viel weiter nach Nordwesten; denn die
strahlende Sonne sinkt immer tiefer gegen den violetten
Meereshorizont, und es naht die bezaubernde Abendstunde; „die hehre
Stunde, da mit stillem Sehnen der ferne Schiffer an die theure Heimath
denkt". Heimwärts fliegen unsere Gedanken zu dem lieben
Thüringen und zu all den treuen Herzen, die jetzt vielleicht im
traulichen Zimmer um die Lampe sitzen und am wärmenden Ofen
von dem fernen Indienfahrer sprechen, während tiefer Schnee
draußen Berg und Thal in weißen Mantel hüllt. Welcher
Gegensatz zu unserer Umgebung! Die rothglühende Sonnenkugel
sinkt jetzt wirklich in den Ocean und taucht die rothen Felsen, auf denen
wir sitzen, in ein wahres Flammenmeer. Wie zart und luftig erscheinen
darüber die rosigen Abendwolken und wie prachtvoll der
vergoldete Strand mit seinem Palmensaum! Aber kaum finden wir Zeit,
das reizende Farbenspiel in raschen Wechsel seiner Thöne zu
verfolgen, so ist es auch schon vorbei, und die kurze
Abenddämmerung eilt mit solcher Schnelligkeit vorüber,
daß es schon ganz dunkel ist, ehe wir durch den Palmenwald
vorsichtig tastend unseren Rückweg zum Rasthaus suchen.
Aehnliche und doch verschiedene Reize als Basamuna besitzt das
gegenüberliegende Ostcap der Belligemma-Bai, das herrliche
M i r i s s a . Um
dieses im Segelboot zu erreichen, braucht man bei günstigem
Winde vom Rasthause kaum eine Viertelstunde; hingegen mehrere
Stunden, wenn man zu Fuß längs des Strandes die ganze
Bucht umkreist; man muß dann auch die Mündung des
Polwattaflusses überschreiten, der an der Nordostecke der Bai in
dieselbe mündet. Es war ein wundervoller frischer Morgen, als ich
(am 6. Januar) zum ersten Male mich nach Mirissa übersetzen
ließ, ausgerüstet mit Proviant für den ganzen Tag, weil
ich von dort aus mehrere Excursionen unternehmen wollte. Das kleine
Fischerdorf Mirissa, das „Muscheldorf", welches unmittelbar am
Fuße des gleichnamigen Vorgebirges liegt, hat seinen Namen von
den zahlreichen Muscheln (sowohl Miesmuscheln als echten Austern)
erhalten, welche die Felsen seines Strandes bedecken. Ein großer
Zug von sardellenartigen Fischen beschäftigte gerade die
Bewohner, als wir uns dem Dorfe näherten; alle disponiblen Canoes
waren längs des Zuges vertheilt und Jung und Alt eifrigst
beschäftigt, mit kleinen Handnetzen so viel davon zu erbeuten als
möglich. Wir umschifften das malerische Cap, an dessen
mächtigen braunen Quaderblöcken sich eine wilde Brandung
bricht, segelten noch eine Meile weiter und landeten auf der anderen
Seite des Caps in einer kleinen geschützten Bucht. Dann kletterte
ich mit Ganymed auf die Höhe des Vorgebirges, den frei
vorspringenden „Mirissa-Point", und durchstrich den schönen
Wald, der außen mit Pandanusbüschen gesäumt ist und
dessen stattliche Bäume (meist Cedrelen und Terminalien) mit
prächtigen Guirlanden von Schlingpflanzen behangen sind.
Zahlreiche Affen und Papageien belebten dieselben, waren jedoch sehr
scheu und ließen mich nicht zum Schuß kommen. Als wir
gegen Mittag an den Strand zurückkehrten, bemerkten wir in der
Nähe unseres Bootes eine Gruppe von Eingeborenen; der stattliche,
an ihrer Spitze befindliche Häuptling, ein hübscher Mann
von etwa 40 Jahren, mit sehr sanfter und einnehmender Miene,
näherte sich mir in ehrerbietiger Weise und überreichte mir
ein hübsches Fruchtkörbchen, mit Mango, Ananas, Orangen
und anderen edlen Früchten seines Gartens gefüllt, und mit
duftigen Jasmin-, Plumiera- und Oleanderblüthen rings verziert.
Mit ebenso freundlichen als bescheidenen Worten bat er mich, das
Mittagsmahl, welches ich eigentlich am Strande im Cocosschatten hatte
verzehren wollen, in seiner Hütte einzunehmen. Nachdem ich
dankend angenommen, schickte er einige seiner Leute voraus, um noch
Vorbereitungen zu treffen, während ich William und zwei meiner
Bootsleute anwies, ihm mit dem Korbe, der unsere kalte Küche
enthielt, zu folgen. Ich selbst erquickte mich inzwischen an einem
herrlichen Seebade.
Nach Verlauf einer Stunde erschien der Häuptling wieder, gefolgt
von einer Schar allerliebster Kinder, die mit Blumen geschückt
waren. Auf einem gewundenen Pfade durch Cocoswald führte er
mich in einen Theil des Dorfes, der von letzterem rings umschlossen ist
und den ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Durch einen niedlichen
Garten, dessen Weg mit Blumen bestreut war, gelangten wir zu der
stattlichen Hütte des Häuptlings, ganz aus Bambusrohr
gebaut und mit Palmenblättern verziert. Unter dem breiten
Rohrdache, welches vor der Hütte eine schattige Veranda bildete,
war aus Palmstämmen und Brettern ein großer Tisch
improvisirt und mit den schönsten frischgrünen
Bananenblättern bedeckt. Das mitgenommene Mittagbrod war
darauf servirt, außerdem aber auch eine große Schüssel
voll Reis und Cörry, sodann frische Austern, süße
Bananen und Cocosnüsse, das gütige Gastgeschenk unseres
braunen Wirthes. Der herrliche Appetit, mit dem ich dieselben
verzehrte, durch die vorhergehende heiße Wanderung und das
folgende Seebad geschärft, wurde dadruch nicht
beeinträchtigt, daß die ganze zahlreiche Familie des
Häuptlings den Tisch umstand und mit größter
Aufmerksamkeit jede meiner Bewegungen verfolgte, während
außerhalb des Gartens die braunen Dorfbewohner versammelt
standen und aus der Entfernung zuschauten.
Nach Vollendung dieses originellen Mahles, das mir wie Nektar und
Ambrosia schmeckte, bat mich mein freundlicher Wirth, meinen Namen
und den meines Vaterlandes auf ein Palmenblatt zu schreiben, das er
über der Thür seiner Hütte befestigt hatte. Sodann
stellte er mir seine ganze Familie vor, nicht weniger als 16 Kinder (9
Knaben und 7 Mädchen), eins immer hübscher als das
andere. Nur die älteren, etwa von 12 Jahren an, waren halb
bekleidet, während bei den jüngeren ein um die
Hüften geschlungener Bindfaden, an dem vorn in der Mitte eine
Silbermünze hing, die Kleidung symbolisch andeutete. Arme und
Beine waren mit silbernen Ringen geschmückt. Da hatte ich denn
die schönste Entwickelungsgeschichte der singhalesischen
Körperform in einer Reihe vollendeter Typen vor Augen, um so
interessanter, als gerade dieser Theil der Küstenbevölkerung
wegen seines reinen Singhalesenblutes berühmt ist und in der
That wohl sehr wenig fremde Beimischung enthält. Die zierliche
und bei den älteren Mädchen ungewöhnlich
üppige Körperform, mit auffallend kleinen Händen und
Füßen, mochte wohl den größten Theil der
zweiundreißig Eigenschaften aufweisen, welche nach den
singhalesischen Dichtern zur Schönheit erforderlich sind, vor Allen
das lange schwarzlockige Haar, die mandelförmigen Augen,
schwellenden Lippen, Busen gleich der jungen Cocosnuß u. s. w. Die
Hautfarbe war zimmtbraun in verschiedenen Abstufungen, bei den
kleinen Kindern heller. Die glückliche Mutter dieser sechzehn
hübschen Kinder (eine freundliche dicke Matrone von 40 Jahren)
war offenbar nicht wenig erbaut, als ich ihr durch William meine
ästhetische Befriedigung über ihr Familienglück
aussprechen ließ.
Nachmittags ließ ich mich von dem Häuptling und seinen
älteren Söhnen nach einer kleinen, etwa eine Stunde
entfernten Buddha-Kapelle führen, neben der ein sehr alter
heiliger Feigenbaum oder „Boga"
(F i c u s
r e l i g i o s a)
stehen sollte. Ich fand in der That ein Prachtexemplar, neben dem
die anderen alten Bäume des Waldes wie schlanke Jünglinge
aussahen. Sein mächtiger Riesenleib ging oben in zwei gewaltige
Arme auseinander, von deren Schultern ganze Büsche langer
Lianen, gleich einem prächtigen grünen Mantel herabhingen.
Andere dichtverschlungene Kletterpflanzen bedeckten das Wurzelwerk
des mächtigen Fußes; die weiße Kuppel einer Dagoba
und die benachbarte kleine Buddha-Capelle nahmen sich daneben ganz
winzig, wie Zwerghütten aus. Der Boden rings umher war mit den
schönsten Pothospflanzen geschmückt, unter denen der
sonderbare Amorphophallus sich durch seine hohen rothen
Fruchkolben und mächtigen fiederspaltigen Blattwedel
auszeichnete.
Es wurde später Nachmittag, ehe ich zum Dorfe
zurückkehrte. Hier fanden wir vor der Hütte des
Häuptlings wieder Cocosmilch und Bananen zu unserer Erfrischung
bereit. Die ganze Bevölkerung gab uns das Geleite, als wir zum
Boote an den Strand hinabgingen. Der Abschied von unseren
gütigen Wirthen, welche die liebenswürdigsten Seiten des
singhalesischen Volkscharakters in ihrem vollen Lichte gezeigt hatten,
wurde mir ordentlich schwer; und ich bedauerte, nicht einige Neu-
Ruppiner Bilderbogen bei mir zu haben, um meiner Dankbarkeit vollen
Ausdruck geben zu können. In deren Ermangelung schenkte ich
meinem freundlichen Wirthe mein Taschenmesser und eines von den
großen Gläsern, die ich zum Fangen der Seethiere
mitgebracht hatte.
Kurz vor Sonnenuntergang umschifften wir wieder das Mirissa-Cap und
wurden hier am Eingange der Belligemma-Bai von einem Anblick
überrascht, den ich nie vergessen werde. An dem östlichen
Ufer derselben, oberhalb von Mirissa, springt basteiartig eine Reihe von
senkrecht abfallenden, schön geformten, hohen Felsen hervor,
deren rothe Farbe schon bei gewöhnlichem Tageslichte mit
derjenigen frisch gebrannter Ziegelsteine wetteifert. Von ihnen
rührt jedenfalls der Ortsname der Bucht her, die „Red-Bay" der
alteren Karten. Jetzt im Lichte der untergehenden Sonne leuchteten sie
wie glühende Kohlen, während ihre Schlagschatten in reinem
Kobaltblau prangten. Ich begriff, warum die Mirissa-Leute sie
„R a t u - P a n a"
nannten, die „rothen Lampen". Der östliche Himmel über
diesen Feuerfelsen war blaßgrün, während eine Reihe
von geballten Haufwolken in den zartesten Rosen- und Aurorafarben
schimmerten. Dazu nun eine warme braungrüne Färbung des
Cocos- und Pandanuswaldes, die tiefsten dunkelgrünen und
violetten Töne auf der spiegelnden Wasserfläche - das Alles
gab ein tropisches Farbenconcert ersten Ranges, wie ich es nie vorher
gesehen habe und auch nie wieder sehen werde.
Eine Farbenskizze, die ich davon an Ort und Stelle im Boote entwarf,
kann nur als bloßer Anhalt der Erinnerung dienen. Und doch, was
würden die Kritiker der Berliner Kunstausstellung dazu sagen?
Jene weisen Leute, die alle effectvollen Landschaften verurtheilen,
sobald deren Farbenkraft und Formenfülle nicht mehr dem
dürftigen Maßstabe unseres armen Norddeutschland
entspricht! Haben sie doch einstimmig das prachtvolle Bild von Ernst
Körner verworfen, in welchem dieser kühne Landschafter
eine Sonnenuntergang in Alexandrien ebenso glänzend als wahr
darstellte! Und doch verhält sich der Letztere zu dem Zauberbilde
von Mirissa, wie die dürftige Vegetation von Egypten zu der
üppigen von Ceylon! Aber freilich, was an der Spree nicht
blüht, das darf auch nicht in Indien existiren. Hat man doch
vielfach die Farbeneffecte von Eduard Hildebrand „übertrieben"
genannt, obwohl sie viel eher zu schwach, als zu stark sind. Doch solche
Zauberpracht der Natur muß man gesehen haben, um sie zu
glauben!
XIV. Kogalla und Boralu.
Unter den weiteren Ausflügen, welche ich von Belligemma in
dessen entferntere Umgebung unternahm, sind namentlich diejenigen
von Kogalla und Boralu mir in der angenehmsten Erinnerung geblieben
und wohl werth, daß ich ihrer hier kurz gedenke.
K o g a l l a -
W e w a , der „Felsen-See", zeichnet sich
durch besondere Größe und Schönheit unter den vielen
ausgedehnten Lagunen aus, welche zwischen Colombo und Matura sich
längs der Südwestküste von Ceylon hinziehen und
viele der hier mündenden Küstenflüsse in Verbindung
setzen. Der See liegt halbwegs zwischen Punto-Galla und Belligemma,
und erreicht eine beträchtliche Ausdehnung, da er viele Arme
nach verschiedenen Seiten hin ausschickt. Die Ufer bilden allenthalben
dicht bewaldete Hügel, über welchen die Kronen zahlloser
Cocospalmen sich wiegen. Viele kleine Inseln, theils nackte Felsen, theils
mit Palmenpflanzung oder Buschwald bedeckt, verleihen der
mannigfaltigen Scenerie besonderen Reiz, ebenso wie die idyllischen
Hütten der Singhalesen, die in großer Zahl, aber einzeln
zerstreut, aus dem grünen Dickicht hervorschauen. Die Vegetation
ist überall von einer Frische und Pracht, die nicht
übertroffen werden kann.
Es war ein herrlicher Sonntag-Morgen (am 18. December), als ich schon
vor Sonnenaufgang von Belligemma aufbrach, um recht frühzeitig
Kogalla zu erreichen. Mein lieber Gastfreund von Punto-Galla, Mr. Scott,
mit dem ich dort zusammen treffen wollte, hatte mir schon Tags zuvor
seinen leichten Einspänner mit dem munteren Pony und einen
seiner Diener geschickt. Rasch rollten wir durch die idyllischen
Dörfer an der Galla-Straße, deren Bewohner sich soeben von
ihrem Lager erhoben und das übliche Morgenbad an der
Straße verrichteten. Sobald die jungen Sonnenstrahlen den
thaublinkenden Palmenwald durchdrangen, fing es darin an lebendig zu
werden und ich genoß von Neuem dieses reizend frische
Morgenleben der Tropen, das mich schon so oft entzückt hatte. Da
ich eine Stunde früher, als verabredet war, an dem Ort unserer
Zusammenkunft eintraf, hatte ich noch Zeit genug, den herrlichen Wald
mit Muße zu durchstreifen.
In Begleitung von Mr. Scott kam auch noch ein deutscher Landsmann
mit, ein Hamburger, gegenwärtig in Singapore ansässiger
Kaufmann, Herr Reimers. Er hatte zur Erholung einen Ausflug nach
Ceylon und Bombay unternommen, und es traf sich recht hübsch,
daß er noch am Tage vor seiner Rückreise uns Gesellschaft
leisten konnte. Zu Dreien fuhren wir nch eine kurze Strecke durch
Palmengärten und hielten dann vor einer Hütte am Ufer des
Kogalla-Sees. Hier erwartete uns bereits ein Doppelcanoe, das die
singhalesische Bemannung auf das Zierlichste mit Blumenguirlanden und
Arcaden aus Cocosgeflecht decorirt hatte. Diese Doppelcanoes, die auf
den Landseen sowohl als auf den größeren Flüssen von
Ceylon sehr beliebt sind, bestehen aus zwei ausgehöhlten
parallelen Baumstämmen von 16-20 Fuß Länge, die 4-6
Fuß auseinander stehen und durch Querbalken fest verbunden
sind. Ueber Letztere sind Bretter gelegt. Rechts und Links erheben sich
die schlanken Stämmchen von einem halben Dutzend junger
Arecapalmen, die oben ein breites Schattendach aus Pandangmatten
tragen. In den Zwischenräumen zwischen den Stämmchen
bilden ausgespannte Blätter der Fächerpalme (Borassus) ein
zierliches Gerüst. Die Bänke, welche in diesem
schwimmenden Gartenhäuschen beiderseits stehen,
gewähren den angenehmsten schattigen Sitz, von dem aus man
frei nach allen Seiten sieht. Sechs oder acht kräftige Ruderer sitzen
entweder in dem vorderen oder in dem hinteren Theil der hohlen
Baumstämme, der beiderseits frei vorragt, ihren Platz.
Der schmale Arm des Sees, von dem wir ausfuhren, öffnet sich in
das weitere Hauptbecken durch ein Thor, welches durch drei
mächtige nackte Felsblöcke halb gesperrt erscheint. Diese
drei Granitblöcke heißen „die drei Brüder"
(Tunamalaja) und sind der Lieblingsaufenthalt zahlreicher
großer Krokodile, die sich hier mit weit aufgesperrtem Rachen
sonnen. Kein Schwimmer wurde ungestraft zwischen diesen furchtbaren
Thorwächtern hindurch kommen. Das Hauptbecken des Sees ist
ringsum von dichten Waldmassen eingerahmt, über denen sich
freundliche Hügel mit Palmen erheben. Einen besonderen Reiz
desselben aber bilden die niedlichen Inseln, die zum großen Theil
ebenfalls mit Cocospark geziert sind. Die edlen Palmen bilden
gewöhnlich auf jeder socher kleinen Insel ein prachtvolles
Riesenbouquet, da ihre gewaltigen Fiederkronen möglichst viel
Licht und Sonne zu gewinnen trachten. Die schlanken und zierlich
gebogenen weißen Stämme streben daher nach allen
Richtungen auseinander, so daß die außen stehenden fast
horizontal sich über den Wasserspiegel neigen, während die
mittleren vertical zum blauen Himmel emporragen. Ein wahres Muster
eines solchen war das reizende kleine Gan-Duwa, welches unmittelbar
vor dem Rasthause von Belligemma die größte Zierde in
dessen nächster Umgebung bildete.
Wir landeten an einer solchen kleinen Cocosinsel, um der
glücklichen Familie, die mitten im Palmenbouquet ihre einsame
Hütte aufgeschlagen hatte, einen Besuch abzustatten. Drei kleine
nackte Kinder, die munter zwischen den Felsen des Strandes mit
Muscheln gespielt hatten, flohen bei unserer Annäherung
erschreckt unter lautem Geschrei zu ihrer Mutter. Diese, ein
hübsches junges Weib, mit einem vierten Kinde an der Brust,
schien ebenfalls über den seltenen Besuch bestürzt und lief
eilends mit ihren Kleinen zur Bambushütte. Hinter dieser trat jetzt
ihr Mann herver, der eben im Garten süße Pataten
ausgegraben hatte: ein kräftiger junger Singhalese, ganz nackt, und
nur mit einem schmalen Schurz um die Hüften. Mit
natürlichem Anstande begrüßte er uns und frug, ob er
uns nicht mit einigen Curumba (jungen Cocosnüssen) erfrischen
könnnte. Als wir diese Fragen dankend bejahten, kletterte er
sofort auf einen der größten Stämme hinauf und warf
uns ein halbes Dutzend der schönsten goldgelben Früchte
herunter, von jener feinen Spielart, die hier „Königs-
Cocosnuß" heißt. Der kühle limonadenartige Trank
wirkte bei der brennenden Sonnenglut wunderbar erfrischend. Dann
präsentirte er uns auf einem großem Caladiumblatt eine
Traube von herrlcihen süßen Bananen, und führte uns
in seinen kleinen Garten, in welchem eine Auswahl der edelsten
Tropengewächse cultivirt war. Auf unsere Frage, ob diese zum
Unterhalte seiner Familie für das ganze Jahr ausreiche, erwiderte
er uns, daß er ausßerdem auch noch Fische und Krebse aus
dem See fange; und daß er von diesen und von dem
Ueberschuß der Früchte noch eine hübsche Summe
Geldes einlöse, für welche er Reis kaufe und einiges
Hausgeräthe für seine Familie; mehr aber habe er niemals
nötig. Beneidenswerteh Familie! Auf Eurer kleinen Cocosinsel lebt
Ihr wirklich im Paradiese, ,und kein feindlicher Nachbar stört Euch
in Eurem stillen friedlichen Glücke!
Wir ruderten nun noch weiter in den See hinaus und auf einen
vorspringenden Felsen zu, über welchem die weiße Dagoba-
Kuppel eines Buddhatempels aus dem dichten Gebüsch
hervorragte. Eine steinerne Treppe führte durch letzteres zu dem
Tempel hinauf, auf dessen Altar fromme Hände Jasmin und andere
duftige Blumen geopfert hatten. Die rohe Malerei an den
Tempelwänden und die große ruhende Buddhastatue in
gelbem Gewande unterschied sich nicht von der gewöhnlichen
Form. Die Wohnungen der Priester hinter dem Tempel lagen ganz
idyllisch unter dem Schatten eines gewaltigen Boga und genossen den
schönsten Blick auf den See; der senkrecht abfallende rothe Felsen
bildete eine natürliche Terrasse. Ein paar große Kittupalmen
(Caryota) sowie eine schöne Gruppe von Areca- und Talipot-
Palmen dienten nicht minder zum Schmucke des anmuthigen Bildes, als
die dichten Gehänge von Schlingpflanzen aller Art, die von den
Kronen einiger mächtiger Kadschubäume
(Anacardium) herabflossen.
Es war glühend heiß geworden, als wir gegen Mittag zur
Hütte des Häuptlings von Kogalla zurückruderten, und
der unbewegliche Seespiegel warf die senkrechten Sonnenstrahlen wie
eine polirte Metallplatte zurück. Wir wurden daher auf das
Angenehmste durch die Kühle überrascht, die wir in dem
dämmerigen Raume der dichtbeschatteten Hütte vorfanden;
und das opulente Diner, welches der gütige Mr. Scott inzwischen
durch seinen Diener hatte herrichten lassen, mundete uns
unvergleichlich. Nach demselben unternahm ich, während meine
Freunde eine Siesta hielten, noch allein eine Excursion nach der anderen
Seite des Sees. Ich besuchte dort einen zweiten größeren
Buddhatempel und sammelte einige von den prächtigen
Erdorchideen und Gewürzlilien (Marantaceen), mit denen die Ufer
hier geschmückt waren. Auch diese Seite des Sees bereicherte
mein Skizzenbuch mit einigen reizenden Motiven. Leider mußte ich
diesen Genuß wieder mit meinem Blute bezahlen, da die
lästigen Blutegel im Grase des Seeufers überaus häufig
waren.
Nicht minder prächtig, wenn auch weniger großartig als
dieser Felsensee, der „Kogalla-Wewa", war ein anderer See den ich von
Belligemma aus mehrmals besuchte, der
„K i e s e l s e e",
B o r a l u -
W e w a. Ich verdanke die herrlichen Tage, die
ich dort verlebte, dem zweiten Häuptling von Belligemma, dem
trefflichen Aretschi. Derselbe besaß in der Nähe des Sees ein
ausgedehntes Stück Feldland, das er theilweise mit verschiedenen
Früchten, theilweise mit Limongras bepflanzt hatte, und auf
welchem er 30-40 Arbeiter beschäftigte. Der Weg dahin
führt von Belligemma nach Osten tief in des üppige
Hügelland hinein, das sich viele Meilen weit bis zum Fuße des
Gebirges erstreckt.
Das erste Naturwunder, das man auf diesem Wege findet, ist einen
gewaltige Cocospalme, eine Meile von Belligemma entfernt, deren Stamm
oben gabelförmig in drei Aeste gespalten ist und somit drei
Kronen trägt - eine sehr seltene Abnormität. Das zweite
Wunder findet sich eine Meile weiter, am Polwattaflusse. Diesseits der
Brücke, die über denselben führt, steht neben einem
Buddhatempel ein prächtiger alter Banyanenbaum
(F i c u s
i n d i c a) mit Lianen-
Guirlanden phantastisch behangen; jenseits der Brücke aber, vor
dem kleinen Dorfe Dena-Pitya (d. h. Rinderfeld) erhebt sich noch ein
weit größerer Baum derselben Art, ein wahrer Riese seines
Geschlechts, ja vielleicht einer der größten dieser
Wunderbäume, die überhaupt existiren. Seine ungeheure
Krone, unter der ein ganzes Dorf mit mehr als hundert Hütten
Platz und Schatten finden würde, stützt sich auf zahlreiche
starke Stämme, von denen jeder einzele für sich allein als
mächtiger Baum Bewunderung verdient. Alle diese riesigen
säulengleichen Stämme sind nichts als Luftwurzeln,
herabgesenkt von horizontalen Seitenästen des mittleren
Hauptstammes. Zwischen ihnen hängen viele kleine Luftwurzeln
herab, welche noch nicht den Boden erreicht haben und die Entstehung
des vielstämmigen Baumriesen erläutern. Tiefe
Dämmerung herrscht beständig unter dem Schattendache
der ungeheuren Krone, deren dichte Blättermassen keinen
Lichtstrahl durchfallen lassen; es ist begreiflich, daß die
buddhistischen Dorfbewohner nur mit scheuer Ehrfurcht sich dem
heiligen Baume nahen.
Ein Naturwunder ganz anderer Art besitzt das Dorf Dena-Pitya in einer
Frau von ungefähr 50 Jahren, welcher die Oberschenkel
vollständig fehlen. Der Oberkörper ist kräftig und
wohlgebildet; er ruht aber unmittelbar auf den Unterschenkeln, die am
Hüftgelenke eingefügt sind. Diese seltene Mißbildung
ist um so merkwürdiger, als die Frau drei wohlgebildete Kinder
besitzt, welche gleich der Mutter an jedem Fuße nur vier Zehen
haben. Leider wurde eine nähere Untersuchung nicht gestattet.
Wenn man die Straße von Dena-Pitya weiter ostwärts
verfolgt, gelangt man nach ein paar Meilen zu einer der
berühmten Edelsteingruben, die im vorigen Jahrhundert noch sehr
ergibig gewesen sein sollen. Jetzt scheinen sie ziemlich erschöpft
zu sein. Doch wurde während meiner Anwesenheit ein Diamant
gefunden, den der glückliche Finder nachher für 400 Pfund
(= 8000 M.) verkaufte. In Folge dessen strömten zahlreiche neue
Arbeiter in diese „Gem-Pits". Als ich dieselben besuchte, waren etwa
160-180 Arbeiter in 30-40 tiefen Gruben mit Schlämmen und
Sieben der Erde beschäftigt.
Der Weg nach Boralu führt schon von Dena-Pitya ab, in
nordöstlicher Richtung; bald durch den schönsten
Palmenwald, bald durch üppiges Djungle, bald über
hellgrüne Paddyfelder oder über Sumpfwiesen, auf denen
schwarze Büffel im Schlamme liegen, bedeckt mit zierlichen
weißen Reihern. Nach einigen Meilen kommt man an den reizenden
Boralusee, dessen Ufer der Weg theils in weiten Bogen umzieht, theils
unmittelbar verfolgt. Die Ufer sind ringsum mit der üppigsten
Vegetation geschmückt; dahinter erheben sich allenthalben dicht
bewaldete Hügel. Eine kleine Insel, ebenfalls völlig mit Wald
bedeckt, liegt einsam mitten im See. Die mannigfachen Landzungen, die
vom Ufer in den See vorspringen, verleihen ihm besondere Anmuth.
Sein größter Reiz aber liegt in der vollkommenen
Waldeinsamkeit und in der Abwesenheit aller menschlichen Cultur.
Selbst der Fahrweg am Ufer verräth letztere nicht, da er ganz von
hohem Gebüsch eingeschlossen wird.
Sowohl der See selbst, als seine Umgebung ist reich an Thieren. So oft ich
ihn besuchte, traf ich am Ufer gesonnt die großen grünen
Rieseneidechsen von 6-7 Fuß Fuß Länge
(Hydrosaurus salvator). Einmal wurde ich auch durch eine
Riesenschlange von ungefähr 20 Fuß Länge
überrascht (Python molurus). Leider flüchtete das
Ungeheuer sofort vom Felsen herabgleitend in das Wasser, ehe ich noch
mein Gewehr darauf richten konnte. Um so interessanter war die Jagd
auf Affen, deren grunzende Stimme man überall hört.
Sowohl von dem gelbbraunen „Rilawa" (Macacus sinicus), als von
dem großen schwarzen „Wanderu" (Presbytis cephalopteris)
schoß ich hier mehrere schöne Exemplare. Am ergibigsten
war jedoch die Jagd auf Schwimmvögel; besonders verschiedene
Arten von Wasserhühnern, Reihern, Ibis, Flamingos, Pelekane u. s.
w. Diese kamen abends bei Sonnenuntergang in großen
Schwärmen über den See geflogen, um ihre Nachtquartiere
aufzusuchen; ich erlegte einmal in einer Viertelstunde ein halbes
Dutzend. Auch das Ufergebüsch, mit den prächtigen
goldgelben Blüthenkolben der Cassia und den purpurnen Rosen
der Melastoma üppig geschmückt, ist reich an kleineren
Vögeln.
Nicht weit von dem nördlichen Ende des Sees entfernt, durch ein
paar bewaldete Hügel getrennt, liegt der Waldgarten des Aretschi,
ein ganz reizender Ort, an dem ich vier Tage zubrachte. Die einfache
Rohrhütte, in der ich mich aufhielt, ist von der üppigsten
Bananenpflanzung versteckt und liegt am Abhange eines steilen
Hügels, der die herrlichste Aussicht über die grünen
Wiesen, die dunkeln Waldmassen und die blauen Gewässer der
umgebenden Hügellandschaft gewährt; den entfernten
Hintergrund der letzteren bilden die blauen Gebirgsketten des
Hochlandes. Von den einzelnen Hütten der Waldbewohner, die
allenthalben zerstreut liegen, ist Nichts zu sehen, und der berauschende
Eindruck der absoluten Waldeinsamkeit wird dadurch noch gesteigert,
daß das Thierleben des Waldes in dieser abgelegenen Gegend sehr
reich entwickelt ist. Ich schoß hier zahlreiche schöne
Vögel, Affen, Flederfüchse, Rieseneidechsen u. s. w., einmal
auch ein großes Stachelschwein von mehr als 3 Fuß
Länge (Hystrix leucura). Auch an prächtigen
Schmetterlingen und Käfern war kein Mangel. Die sumpfigen
Wiesenflecken in der Nähe des Sees sind oft ganz bedeckt mit
Riesenexemplaren der merkwürdigen insectenfressenden
Kannenpflanze (Nepenthes distillatoria). Die zierlichen, 6 Zoll
langen Kannen, die an den Enden der Blätter hängen und
durch einen niedlichen Deckel geschlossen werden, fand ich oft mit
zahlreichen gefangenen Insecten gefüllt. Glänzende
Prachtvögel (Ampelidae) und reizende Honigvögel
(Nectariniae) spielen gleich den ähnlichen Colibris in Menge
um die Blumenkelche.
Den Wald selbst fand ich in keinem von mir besuchten Theile des
Tieflandes von Ceylon so prachtvoll, großartig und mannigfaltig
entwickelt, wie in der Umgegend von
B o r a l u . Eine Wanderung
rings im den blanken Kieselsee führt durch den schönsten
Theil desselben. An einigen Stellen bildet der Urwald ein so
undurchdringliches Gewirr von Schlingpflanzen, welche die modernden,
übereinander gehäuften Riesenstämme umschlingen
und umspinnen, daß man selbst mit Hilfe der Axt keinen Schritt
weit in dieses vegetabilische Chaos vordringen kann. Aristolochien,
Piperaceen, wilde Wein- und Pfefferreben, Bauhinien und Bignonien
schlingen sich überal zwischen dem Astwerke der Bäume so
durcheinander, daß nur einzelne gebrochene Lichtstrahlen
zwischen ihnen zum Boden gelangen. Die Stämme selbst sind mit
parasitischen Farnen, Orchideen u. s. w. dicht bedeckt. Ich saß hier
oft glückliche Stunden lang ganz allein mit meinem Skizzenbuche,
in der Absicht, eins dieser Waldbilder zu fixiren; gewöhnlich aber
kam ich zu keinem Resultate, weil ich nicht wußte, wo ich anfangen
sollte; oder wenn ich angefangen hatte, nicht wie ich diese Zauberpracht
annähernd wiedergeben sollte. Auch die photographische Camera
half hier nicht. Denn die grünen Massen der verschlungenen und
umsponnenen Baumgeflechte sind so undurchdringlich, daß sie in
der Photographie nur ein unauflösliches Wirrwarr von Aesten,
Luftwurzeln, Blattmassen u. s. w. zeigen, während ihr
unmittelbarer Anblick das Auge unendlich erfreut.
Auf den abgerundeten Hügeln, die unmittelbar seinen Garten
umgeben, hatte der Aretschi Limongras cultivirt, ein sehr trockenes
Grad, aus dem er durch einfache Destillation das duftende Limonöl
gewann, ein sehr geschätztes Parfüm. Der citronenartige Duft
erfüllte die ganze Umgebung. Die Arbeiter, die mit der Destillation
und mit der Besorgung der schönen Bananenpflanzung
beschäftigt waren, wohnten in einem Dutzend zerstreuter
Hütten, di ein tiefem Waldschatten, unter dem schützenden
Dache mächtiger Brodfrucht- und Jackbäume ganz idyllisch
gelegen sind; Gruppen von schlanken Areca- und Cocospalmen, hier und
da auch Kittul- und Talipotpalmen, deren Fiederkronen hoch über
die Laubmasse des Waldes sich erheben, verrathen die Lage der ganz
versteckten Bambushütten. Die Besuche in den letzteren und der
Verkehr mit ihren harmlosen Bewohnern lehrte mich die
glückliche Existenz dieser einfachen guten und genügsamen
Naturmenschen beinahe beneiden. Alle waren reine Singhalesen, von
schön zimmtbrauner Hautfarbe und zartem Gliederbau; die
Kleidung beschränkte sich auf einen schmalen weißen
Lendenschurz. Die munteren hübschen Knaben waren mit beim
Sammeln der Pflanzen und Insecten eifrig behilflich, während die
schwarzäugigen zierlichen Mädchen Blumenkränze
flochten und meinen kleinen Ochsenkarren mit den schönsten
Guirlanden schmückten. Wurde dann spät abends der
schnellfüßige Laufochse eingespannt und setzte sich der
zweirädrige Karren, in dem ich neben dem Aretschi kaum Platz
hatte, in rasche Bewegung, so machte es den munteren Kindern
besonderes Vergnügen, uns noch eine Strecke weit zu begleiten.
Während wir an den reizenden Ufern des Boralusees hinrollten,
folgte oft ein Schwarm von 20-30 dieser anmuthigen Gestalten,
unermüdlich, laut rufend und Palmenblätter schwingend.
Ich konnte die Ausdauer und Schnelligkeit ihres Laufes nicht genug
bewundern.
Traten wir dann in den dunkeln Wald ein, so zündeten die Knaben
Palmfackeln an, mit denen sie dem Wagen vorausliefen und den Weg
erleuchteten. Bei einer plötzlichen Biegung des Weges wurden wir
bisweilen von einem duftenden Blumenregen überschüttet,
und ein helles Kichern aus dem dichten Gebüsche verrieth uns die
Neckerei der kleinen Dryaden, die sich dahinter versteckt hatten. Unter
den letzteren war ein Mädchen von ungefähr 16 Jahren, eine
Nichte des Aretschi, deren vollendet schöne Körperform
jedem Bildhauer hätte als Modell dienen können. Von dem
Knaben konnten mehrere mit Ganymed an Schönheit wetteifern.
Einer von diesen schwang sich immer während des Fahrens auf
die Deichsel des Karrens und sprang dann gewandt über den Zebu
hinweg. Mit diesen und anderen Spielen begleiteten uns die munteren
Kinder noch eine lange Strecke, bis eins nach dem anderen im Dunkel
der Nacht verschwand. An die Stelle der Fackeln treten jetzt
unzählige prachtvolle Leuchtkäfer und Feuerfliegen; der
herrliche Palmenwald erschien vollständig illuminirt,
während ich mit dem Aretschi, voll der angenehmsten
Erinnerungen, dem stillen Rasthause von Belligemma zueilte.
XV. Matura und Dondera.
Der weiteste Ausflug, den ich von Belligemma aus unternahm, am
Schlusse meines dortigen Aufenthaltes, führte mich nach der
Südspitze von Ceylon, nach dem altberühmten
D o n n e r -
C a p , Dondera-Head. In der Nähe
desselben, nur ein paar Meilen westlich davon, liegt die Stadt Matura,
am Ufer des „blauen Sandflusses" (Nilwella-Ganga). Der Weg von
Belligemma nach Matura, den in einer leichten Kutsche am 18. Januar
morgens in drei Stunden zurücklegte, ist die Fortsetzung der
herrlichen Palmenstraße von Galla nach Belligemma und bietet
denselben Reichthum der üppigsten, anmuthig wechselnden
Scenerie.
Die Stadt M a t u r a , die
südlichste von allen Städten Ceylons, war unter der
Herrschaft der Holländer im siebzehnten Jahrhundert ein reicher
und wichtiger Handelsplatz; insbesondere der Hauptsitz des
Zimmthandels der Südprovinz. Die meisten und ansehnlichsten
Gebäude der Stadt sind noch jetzt holländischen Ursprungs,
so auch das ausgedehnte „Fort", welches nache der
Flußmündung auf dessen linkem (östlichem) Ufer liegt.
Der stattliche Fluß ist hier ungefähr so breit wie die Elbe bei
Dresden; eine hübsche, neue eisernde Gitterbrücke verbindet
beide Ufer. Am westlichen Ende derselben, auf dem rechten Ufer, liegt
die alte holländische Sternschanze („Star-Fort"). In den
winkeligen Kasematten derselben nahm ich, der freundlichen Einladung
einiger englischer Beamten folgend, für einige Tage Wohnung. Die
drei munteren Junggesellen hatten es sich in den niederen vieleckigen
Räumen des alten Forts, dessen mächtige Steinmauern die
angenehmste Kühlung bewahrten, recht behaglich gemacht und
ihre Wände theils mit Holzschnitten aus illustrirten
europäischen Zeitungen, theils mit singhalesischen Waffen,
Geräthschaften und Thierfellen recht malerisch ausstaffirt. Durch
den alten holländischen Thorweg, über dessen Bogen noch
die Inschrift „Redoute van Eck" prangte, tritt man in einen
niedlichen Blumengarten; die einschließenden Innenseiten der
Kasematten sind mit den schönsten Schlingpflanzen reich decorirt,
ebenso der Ziehbrunnen in der Mitte des Gartens. Ein paar zahme Affen
und ein sehr komischer alter Pelekan, sowie mehrere kleine Vögel
sorgten beständig für Unterhaltung.
Ein erquickendes kühles Bad und ein vortreffliches englisches
Frühstück bei meinen freundlichenWirthen, das mir nach
der Vegetarierkost von Belligemma doppelt mundete, hatten mich schon
in ein paar Stunden nach meiner Ankunft so restaurirt, daß ich
beschloß, noch denselben Tag zu einer Excursion nach Dondera zu
benutzen. Ich unternahm dieselbe im Wagen und Begleitung des
Häuptlings
I l a n g a k u h
n , der vornehmsten Persönlichkeit, welche die Insel
gegenwärtig noch besitzt. Er ist nämlich der letzte
männliche Sprosse aus dem erlauchten Geschlechte der alten
Kandy-Könige und hat seine Residenz in einem hübschen,
verhältnißmäßig sogar prächtigen Palaste in
Matura, nahe der Flußmündung aufgeschlagen. Schon eine
Woche zuvor hatte er mich in Belligemma aufgesucht und eingeladen,
ihn in Matura zu besuchen. Die Aufnahme, die ich hier bei ihm fand, war
eben so liebenswürdig als glänzend. Er ließ es sich nicht
nehmen, mich selbst nach Dondera zu führen. Seine Equipage, ein
zierlicher Phaeton aus England, wurde von zwei schönen
australischen Hengsten gezogen. Voraus lief als schneller Vorläufer
und Ausrufer ein stattlicher schwarzer Tamil in silbergestickter Uniform
mit rothem Turban.
Der reizende Weg von Matura nach dem fünf Meilen entfernten
Dondera-Cap führt ostwärts zunächst eine Strecke am
linken Ufer des Nilwellaflusses hin, durch die Pettah oder die malerische
„schwarze Stadt", die sich hier östlich vom Fort hinzieht. Die
bewaldeten Hügel zwischen Fluß und Seeufer sind mit den
blühendsten Gärten und mit Villen geschmückt, die
theils vornehmen Singhalesen, theils englischen Beamten
angehören. Weiterhin fuhren wir wieder längs des Seeufers
hin, abwechselnd durch Dschungel und durch Cocoswald. Der letztere
erreicht hier bald seine östliche Grenze. Denn wenige Meilen
weiter beginnen die öden, heißen und dürren
Küstenstriche mit Salzsümpfen, die sich über
Hambangtotte längs der Ostküste bis gegen Batticaloa
hinziehen.
D o n d e r a -
H e a d, oder das
D o n n e r -
C a p, erblickt man als weit vorspringende blaue
Landzunge, mit Cocoswald geschmückt, schon lange, ehe man
dasselbe erreicht. Es ist der südlichste Punkt von Ceylon und liegt
unter 5o 56´ nördlicher Breite. Seit mehr als
zweitausend Jahren sind die Tempel, welche diese südlichste
Landmarke zieren, ein vielbesuchter Wallfahrtsort gewesen, der
berühmteste nächst dem Adams-Pik. Tausende von Pilgern
bezeigen ihm alljährlich ihre Andacht. Abwechselnd, je nachdem
die einheimischen Singhalesen oder die malabarischen Eroberer die
Herrschaft behaupteten, waren die Tempel dem Buddha oder dem
Wischnu geweiht. Noch vor dreihundert Jahren war der Haupttempel ein
indischer Prachtbau ersten Ranges, so groß, daß er vom Meere
aus gesehen, wie eine ansehnliche Stadt erschien, mit tausenden von
Säulen und Statuen geschmückt, mit Gold und Edelsteinen
aller Art reich verziert. Im Jahre 1587 wurde alle die Herrlichkeit von
den portugiesichen Barbaren zerstört, die unermeßliche
Beute davon nach Hause schleppten. Noch jetzt läßt sich an
den zahlreichen Säulenresten, die aus dem Boden der Ruinen
hervorragen, der ungeheure Umfang des früheren Riesentempels
ermessen. In einer Ecke desselben steht noch jetzt eine sehr große
Dagoba, und in deren Nähe mehrere uralte colossale Bogaha oder
heilige Feigenbäume.
Ueberreste eines kleineren Tempels finden sich auf der Spitze der
schmalen Landzunge, die den äußersten südlichen
Vorsprung des Dondera-Caps bildet. Es sind achteckige rothe
Porphyrsäulen, die einsam und verlassen auf den nackten
Granitfelsen sich erheben, umtost von der Brandung, die mit gewaltigem
Wogenschwalle ringsum schäumt. In den natürlichen Bassins
zwischen diesen Felsen sammelte ich während der Ebbe viele
hübsche Seethiere; allenthalben lieben schöne Korallen
umher. Westwärts streift der Blick von dieser isolirten
Felsenwarte aus längs des Cocos-gesäumten Strandes bis in
die Nähe von Matura, ostwärts gegen Tangalla hin; im
Norden wird er druch dichte grüne Waldmassen gehemmt; im
Süden hingegen schweift er frei und ungehindert über
ungeheure Meeresräume. Das Phantasie-Schiffchen, das wir von
hier aus mit vollen Segeln nach dem Südpole entsenden,
stößt nirgends auf bekanntes Land, und es hat einen weiten,
weiten Weg zu machen, ehe es jenseits desselben überhaupt
wieder Land sieht. Es würde ungehemmt um die ganze
südliche Halbkugel der Erde herumfahren, wenn die die
ungeheuren Eismassen des Südpols ihm den Weg verlegten, und
erst auf der nördlichen Halbkugel, in der Nähe von Acapulco
in Mexico, würde es den ersten Hafen wieder erreichen. Lange
saß ich in Gedanken versunken auf dieser äußersten
Südspitze von Ceylon, zugleich auf dem südlichsten
Landpunkte, den ich jemals in meinem Leben erreicht habe. Ich wurde
aus meinen Träumen erst wieder durch eine Schar von
Buddhapriestern in gelber Toga geweckt, welche kamen, um den
Häuptling und mich zum Besuche des festlich geschmückten
Tempels einzuladen. Nachher besuchten wir noch eine seltsame uralte
Ruine, die weiter oben mitten im Walde liegt, cyklopisch aus gewaltigen
Quadern gefügt. Erst spät am Abende fuhren wir wieder
nach Matura zurück.
Der folgende Tag (der 19. Januar) wurde durch eine weite marine
Excursion ausgefüllt. Der Häuptling Ilangakuhn hatte mir ein
tüchtiges großes Segelboot mit acht Ruderern gestellt, und
mit diesem fuhr ich ein gutes Stück gen Süden, weit
über das Donner-Cap hinaus. Es war herrliches Sommerwetter und
der kräftige Nordost-Monsun blähte das große
viereckige Segel des Bootes so gewaltig, daß ein paar Bootsleute
außerhalb auf dem Auslegerstamm hocken mußten, um das
Umschlagen des Canoes zu verhindern. Die Geschwindigkeit, mit der wir
südwärts steuerten, kam derjenigen eines schnell laufenden
Dampfschiffes gleich; ich schätzte sie auf 10-12 Seemeilen in der
Stunde. Die Leichtigkeit, mit welcher diese schmalen singhalesischen
Canoes die Wellen durchschneiden, oder vielmehr über deren
Kämme hinweggleiten, zeigte sich jetzt in glänzendem Lichte.
Je weiter wir uns von der Insel entfernten, deste schöner traten
die blauen Bergmassen des Hochlandes über den
Cocoswäldern des flachen Küstenlandes hervor, alle
wiederum überragend der stolze Adams-Pik.
Pfeilschnell über die schäumenden Wogen
hinwegschießend, mochten wir nach vierstündiger Fahrt
ungefähr 40-50 Seemeilen von Süd-Cap Ceylons entfernt
sein, als mitten im Oceane ein breiter, glatter Streifen sichtbar wurde,
der sich ungefähr in der Richtung des Monsuns von Nordost nach
Südwest meilenweit hinzog. Ich hielt denselben für einen
pelagischen Strom oder Corrente, eine jener glatten, schmalen
Wasserstraßen, die im Mittelmeere wie im Oceane häufig
mitten durch den bewegten Wasserspiegel hindurchziehen und der
geselligen Anhäufung ungeheurer Seethier-Schwärme ihren
Ursprung verdanken. Als das Canoe sich demselben näherte,
bestätigte sich diese Vermuthung und ich wurde durch einen
außerordentlich reichen und interessanten Fang belohnt. Eine
dichte Masse der schönsten pelagischen Thiere, Medusen und
Siphonophoren, Ktenophoren und Salpen, Sagitten und Pteropoden,
außerdem unzählige Larven von Würmern,
Sternthieren, Krebsen, Mollusken u. s. w. schwammen da in dichtem
Gewimmel durcheinander und füllten in kurzer Zeit alle
mitgenommenen Glasgefäße vollständig aus. Ich
bedauerte nur, deren nicht mehr mit zu haben, um alle diese
zoologischen Schätze (- und darunter viele neue, bisher noch nicht
beschriebene Thierformen -) in genügender Menge einpacken zu
können.
Reich beladen mit diesem wundervollen Fang, der mir interessante
Arbeit auf Jahre hinaus versprach, kehrte ich erst gegen Abend nach
Matura zurück. Es war ein schönes Andenken an den
fünften Grad nördlicher Breite. Meine Singhalesen
wußten den günstigen Nordost-Monsun so geschickt zu
benutzen, daß wir fast eben so rasch zurück gelangten und an
der Mündung des Nilwellaflusses landeten. Der Anblick dieser
Mündung von der See aus ist sehr malerisch, da derselben
unmittelbar eine Felseninsel vorgelagert ist, auf der sich zwei einzelne
Cocospalmen erheben, die eine senkrecht, die andere weit
übergeneigt. Die beiderseitigen Ufer des Flusses sind dicht mit
Wald bedeckt. Am folgenden Tage unternahm ich noch eine Bootsfahrt
auf demselben, auf der ich die unvergleichliche Ueppigkeit dieser
Urwaldmassen auf´s Neue bewunderte.
Nach Belligemma zurückgekehrt, stand mir noch eine der
schwersten Aufgaben bevor, die ich während meines Aufenthaltes
auf Ceylon zu lösen hatte: der Abschied von diesem reizenden
Erdenflecke, auf dem ich sechs der interessantesten und
glücklichsten Wochen meines Lebens zugebracht hatte. Noch jetzt
wiegt in der Nacherinnerung der daran so schwer, als ob ich von Neuem
scheiden müßte. Der traute Raum, der mir während
dieser Zeit als Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer, als Laboratorium,
Museum und Maleratelier gedient hatte, in dem ich eine Fülle der
schönsten und wunderbarsten Eindrücke gesammelt hatte,
war öde und leer. Vorn im Garten unter dem riesigen Tiekbaume
standen schwer und vollbeladen die beiden mächtigen
Ochsenkarren, die meine dreißig Kisten mit Sammlungen nach
Punto-Galla bringen sollten. Draußen vor dem Thiere harrte wieder
dicht gedrängt die braune Bevölkerung des Dorfes, für
die ich während dieser vierzig Tage ein Gegenstand stets
wachsender Neugier und Bewunderung geblieben war. Von allen
angesehenen Bewohnern des Dorfes an ihrer Spitze den beiden
Häuptlingen, mußte ich persönlich Abschied nehmen.
Mit betrübter Miene brachte mir der gute Socrates zum letzten
Male die besten seiner Bananen und Mango, Ananas und
Kadschunüsse. Zum letzten Male kletterte Babua auf meine
Lieblingspalme, um mir noch einmal die süße Cocos
herabzuholen. Am schwersten aber wurde mir der Abschied von dem
treuen Ganymedes. Der gute Junge weinte bitterlich und bat mich, ich
solle ihn mit nach Europa nehmen. Vergebens hatte ich ihm schon
vorher diesen Wunsch mehrmals abgeschlagen und ihm von dem eisigen
Klima und dem grauen Himmel unseres öden Nordens
erzählt. Er hielt meine Kniee fest umschlungen und versicherte
mir, daß er mir überallhin ohne Wanken folgen wolle. Fast
mit Gewalt mußte ich mich endlich losreißen und den
harrenden Wagen besteigen, und als ich den leiben braunen Freunden
den letzten Abschied mit den Taschentuche zuwinkte, hatte ich fast das
Gefühl des verlorenen Paradieses: „Schöner Edelstein!
B e l l a
G e m m a !"
XVI. Die Kaffee-Districte des Hochlandes.
Den letzten Monat meines Aufenthaltes auf Ceylon hatte ich beschlossen
einem Besuche des
H o c h l a n d e
s zu widmen. Die Flora und Fauna derselben, wie sein
Klima und sein gesammter Naturcharakter, ist von demjenigen des
Tieflandes so verschieden, daß beide zwei weit entfernten
Erdtheilen angehören könnten. Wenn man in einer einzigen
Tagesreise die sechstausend Fuß aus den Palmengärten des
Unterlandes in die Urwälder des Oberlandes einporsteigt, so ist der
Unterschied im Klima und Scenerie nicht geringer, als ob man
plötzlich aus den Urwäldern Brasiliens auf die Hochebenen
von Peru, oder aus den Dattelhainen Egyptens auf die blumenreichen
Matten unserer Alpen versetzt würde.
Das Hochland von Ceylon nimmt ungefähr den vierten Theil seines
gesammten Flächeninhaltes ein und hat eine durchschnittliche
Höhe von 4-6000 Fuß über dem Meeresspiegel; nur die
höchsten Erhebungen steigen bis 7000 und 8000 Fuß empor.
Die nördliche Hälfe der Insel ist ganz flach. In der
südlichen Hälfte erhebt sich das Oberland ziemlich stein und
abgeschlossen als ein zusammenhängendes Bollwerk von
Urgebirge, dessen östliche und südliche Gehänge weit
schroffer sind als die westlichen und nördlichen. Der flache Ring
des Unterlandes, welches dasselbe umgibt und vom Meere trennt, ist auf
der östlichen Seite doppelt so breit als auf der westlichen. Eine
Senkung der Insel um wenige hundert Fuß würde
genügen, drei Viertel derselben unter Wasser zu setzen; das
Hochland allein würde als letztes Vierteil steil aus dem Spiegel des
Oceans sich erheben. Der gewaltige Felsenleib desselben besteht fast
ausschließlich aus krystallinischen Gesteinen, ganz vorwiegend
Gneis. An einzelnen Stellen ist dieser von Granit, an anderen von Trachyt
und Basalt durchbrochen.
Noch im Anfange unseres Jahrhunderts war das Hochland von Ceylon
zum größten Theile ganz unbekannt. Auf der Karte, welche
1813 der Regierungs-Ingenieur Schneider veröffentlichte, sind
nicht weniger als zwei Dritten vom ganzen Königreiche Kandy
durch einen weißen Fleck bezeichnet. Als im Jahre 1817 Doctor
D a v y (der Bruder des
berühmten Physikers) die erste gründlichere
Durchforschung desselben unternahm, stieß er auf unsägliche
Schwierigkeiten. Der größte Theil des Gebirges war noch ganz
unwegsam, mit einem zusammenhängenden und
undurchdringlichen Mantel von ungeheuren Urwäldern bedeckt,
welche noch keines Europäers Fuß betreten hatte. Scharen
von Elephanten, Bären, Leoparden, Wildschweinen, Hirschen u. s.
w. waren die Beherrscher dieser Wälder; die Spuren menschlicher
Existenz beschränkten sich auf die wilden Horden der Veddahs,
die gegenwärtig ihrem Aussterben entgegen gehen. Keinerlei
gebahnte Wege führten durch diese Urwälder hindurch;
keine Brücken überwölbten die wilden Bäche
und Ströme, die in den unzugänglichen Schluchten des
Gebirges zahllose Wasserfälle bildeten.
In verhältnißmäßig kurzer Zeit, im Verlaufe von
weniger als fünfzig Jahren, hat sich dieser Charakter des
Hochlandes völlig verändert. Im Jahre 1825 legte der
verdienstvolle Gouverneur Sir Edward
B a r n e s die erste
Kaffeepflanzung im Hochlande, in der Nähe von Peradenia an und
wies nach, daß Boden und Klima daselbst für die Kaffeecultur
außerordentlich günstig seien. Ermunter durch sein Beispiel,
anspornt theils durch die lockende Aussicht auf hohen Gewinn, theils
durch die eigenthümliche Romantik des Hochland-Lebens, drang
jetzt ein ganzes Invasionsheer von Kaffeepflanzern in die
Urwälder des Gebirges ein und verwandelte in weniger als
zwanzig Jahren mit Hilfe von Axt und Feuer den größten
Theil derselben in einträgliche Kaffeepflanzungen. An den steilen
Abhängen der Berge wurden ganze Wälder dadurch
niedergelegt, daß die obersten Reihen der uralten Baumriesen mit
der Axt gefällt und auf die darunter stehenden, an einer Seite
angeschnittenen Bäume gestürzt wurden. Der ungeheure
Druck jener gewaltigen, durch Schlingpflanzen dicht verketteten
Baummassen brachte auch diese letzteren zu Fall und so setzte sich
lawinenartig der Zusammensturz von oben nach unten bis zur Thalsohle
fort. Dann wurde der ganze niedergelegte Urwald angezündet und
so der fruchtbarste Boden für die neuen Kaffeepflanzungen
gewonnen. Der Ertrag derselben war so reichlich und die ganze
Kaffeecultur wurde durch zufälliges Zusammentreffen von
glücklichen handels-politischen und commerciellen
Verhältnissen so ausnehmend begünstigt, daß schon
zwanzig Jahre nach dem ersten Anfang, 1845, die Kaffeespeculationen
eine schwindelhafte Höhe erstiegen hatten.
Natürlich blieben die Rückschläge, die stets auf solche
übertriebenen Speculationen folgen, nicht aus. Wie bei den
australischen und californischen Goldminen, oder bei den
Diamantenfeldern von Südafrika, verlockten die glänzenden
Erfolge einzelner Glücklicher auch eine große Anzahl von
Unternehmern, die weder Capital noch Verstand und Kenntnisse genug
hatten. Und so sollen in den fünf Jahren zwischen 1845 und 1850
mehr als fünf Millionen Pfund Sterling an Privatvermögen
durch verunglückte Kaffee-Unternehmungen verloren worden
sein. Auch machten sich, wie es bei allen Culturpflanzen früher
oder später geschieht, bald zahlreiche und gefährliche
Feinde geltend, welche den Kaffeepflanzungen großen Schaden
brachten, theils Thiere, theils Pflanzen und Protisten; so namentlich die
gefräßigen Golunda-Ratten (Golunda Elliotti) und die
gefährlichen Kaffee-Schildläuse (Lecanium Coffeae),
ferner verschiedene vegetabilische Parasiten. In den letzten zehn Jahren
wuchsen zunehmend die Verwüstungen durch den weitaus
gefährlichsten Feind, einen mikroskopischen Pilz, die Hemileja
vastatrix; die durch ihn bewirkte Krankheit der Kaffeeblätter
hatte gegenwärtig solche Dimensionen angenommen und hatte sich
als so unheilbar erwiesen, daß in vielen Pflanzungen die
Kaffeecultur ganz aufgegeben worden war; der Theestrauch und der
Chininbaum (Cinchona) waren jetzt an die Stelle des Kaffeebaumes
getreten, und zwar mit ausgezeichnetem Erfolge.
Mag nun in Zukunft mehr der Kaffee oder mehr der Thee oder mehr die
Cinchona das Hauptobject der Pflanzungen in diesen sogenannten
„ K a f f e e -
D i s t r i c t e&
nbsp;n " der Insel bilden, so kann doch darüber kein
Zweifel mehr bestehen, daß die klimatischen und
Bodenverhältnisse des Hochlandes von Ceylon für die Cultur
der genannten und vielleicht auch noch anderer höchst
werthvoller Nutzpflanzen überaus günstig sind. Nicht lange
mehr wird es dauern und das ganze Hochland mit Ausnahme sehr
weniger Stellen wird ein Culturland ersten Ranges sein. Schon jetzt
dehnt sich das Netz der Kaffeedistricte alljährlich mehr bis in die
entlegendsten Theile des Gebirges aus, und ich mußte schon
ziemlich weit wandern, um noch ein größeres Stück
desselben in seiner ursprünglichen jungfräulichen
Beschaffenheit kennen zu lernen. Aber selbst dort begegnete ich fast
allenthalben in nächster Nachbarschaft der unberührten
Urwälder jungen Rodungen, die soeben mit Feuer und Axt urbar
gemacht wurden.
Daß mein sehnlichster Wunsch, einen der wildesten und
ursprünglichsten Theile des Hochlandes zu besuchen, in
Erfüllung ging, verdanke ich hauptsächlich der
freundschaftlichen Unterstützung von Dr.
T r i m e n , dem Director
des botanischen Gartens von Peradenia. Bei meiner Anwesenheit
daselbst verobredeten wir uns, Mitte Februar in Nurellia, der
berühmten „Sommerfrische" des Hochlandes zusammen zu treffen,
und von da aus gemeinschaftlich einen Ausflug nach Horton-Plain´s zu
unternehmen. Es ist dies der wilde und selben besuchte
südöstliche Theil des Plateau´s, von welchem dasselbe am
sogenannten „Ende der Welt" überaus steil, fast 5000 Fuß
hinabstürzt; hier wollten wir in das Hügelland von
Billahuloya hinuntersteigen, von da aus westwärts nach
Ratnapura, der „Stadt der Edelsteine" wandern und endlich von hier auf
dem malerischen „schwarzen Flusse", dem Kalu-Ganga, bis zu dessen
Mündung an der Westküste, bis Caltura, zu Boot fahren.
Mein Freund Trimen übernahm es gütigst, alle
nöthigen Vorbereitungen zu dieser Expedition zu treffen. Da wir
über eine Woche in völlig menschenleeren Gegenden zu
campiren hatten, und zwar in dem kältesten und wildesten Theile
des Hochgebirges, so mußte zum Tragen der Lebensmittel, Decken,
Betten, Zelte u. s. w. ein Transport von mindestens zwanzig Kuli´s
eingerichtet werden. Ich selbst beschloß inzwischen die erste
Hälfte des Februar für den Besuch des westlichen
Gebirgstheiles und insbesondere des weltberühmten Adams-Pik
zu verwenden.
Nachdem ich Ende Januar von Punto-Galla nach Colombo
zurückgekehrt war, traf ich in Whist-Bungalow die nöthigen
Vorbereitungen für diese Unternehmung. Indessen wurde fast die
ganze erste Woche des Februar durch die Theilnahme an einem seltenen
und höchst merkwürdigen Schauspiele weggenommen, das
man gegenwärtig wohl nur in Ceylon - und auch da nur noch sehr
selten - sehen kann, durch einen
„ E l e p h a n t
e n -
K o r r a l " . Man
versteht darunter den Fang und die Zähmung einer ganzen Herde
wilder Elephanten, welche durch gezähmte Elephanten
bethört und gefesselt werden. Früher, als die wilden
Elephantenherden in Ceylon noch sehr zahlreich und lästig waren,
und als die zahmen Elephanten noch vielfach zum Wegebau und zu
anderen Arbeiten verwendet wurden, fanden solche Korrals ziemlich
häufig statt. Gegenwärtig hat ihre Zahl und Bedeutung sehr
stark ab genommen; und da jetzt ein solcher Korral nur mit großen
Kosten und Schwierigkeiten herzustellen ist, kommt er nur noch selten,
bei besonders feierlichen Gelegenheiten zu Stande. Diesmal wurde die
Veranlassung dazu durch den Besuch der beiden Söhne des
Prinzen von Wales gegeben, die gelegentlich der Rückkehr von
ihrer Weltumsegelung ein paar Wochen in Ceylon zubrachten. Nicht
weniger als 3000 Treiber waren volle drei Monate hindurch
beschäftigt, die wilden Elephanten aus den Urwäldern
zusammen zu treiben und nach dem Korral von Lambugama
hinzutreiben; hier war ein besonderes Dorf aus Blockhäusern, ein
„ K o r r a l -
T o w n " , für die
zahlreichen Gäste dieses interessanten Schauspieles erbaut
worden; in den ersten drei Tagen des Februar fand der
merkwürdige Fang und die Fesselung der wilden Elephanten statt.
Ich verspare jedoch die Beschreibung desselben auf eine spätere
Gelegenheit, da sie mich hier zu weit von meinem eigentlichen
Gegenstande hinwegführen würde.
Aus demselben Grunde übergehe ich hier auch den ersten Theil
meiner Hochlandsreise, von Peradenia über Gampola und Dickoya,
sowie die Besteigung des
A d a m s -
P i k . Ich erstieg diesen berühmten
Berg, einen der merkwürdigsten Gipfel der Erde, am 12. Februar d.
J. beim schönsten Wetter und werde diese interessante Bergfahrt
ein ander Mal im Zusammenhange ausführlich schildern. Der
Ausgangspunkt dieser Unternehmung, zu dem ich auch
zurückkehrte, war S t .
A n d r e w s , die
höchst gelegene Kaffeepflanzung in der südwestlichen Ecke
des Hochlandes, unmittelbar am Fuße des Adams-Pik. Der
Eigenthümer derselben, Mr. Christie, der mich ein paar Tage
freundlichst beherbergte, führte mich selbst bis auf den Gipfel des
heiligen Pilgerberges.
Von hier wendete ich mich in nordöstlicher Richtung gegen den
Mittelpunkt des Hochlandes, um einige Tage in
N u r e l l i a
zuzubringen, dem beliebten und viel besuchten Sanitarium der
Engländer. Der Weg von St. Andrews bis Nurellia beträgt 45-
50 englische Meilen. Noch vor wenigen Jahren führte der
größere Theil desselben durch dichte Wälder; jetzt sind
dagegen meistens Kaffee- und Cinchonapflanzungen an deren Stelle
getreten. Ich legte diesen Weg, von schönen und nicht
allzuheißem Wetter begünstigt, in starken
Tagesmärschen zurück, nur von zwei schwarzen Tamil-Kuli´s
begleitet, die mein Gepäck trugen. Am ersten Tage (am 13.
Februar) wanderte ich 24 englische Meilen, von Morgens sechs bis
Abends acht Uhr; am zweiten Tage 20 Meilen. Da die genannte Jahreszeit
in diesem Theile der Insel die kühlste ist, und die Temperatur
Mittags im Schatten nur 24-26o R. betrug, konnte ich die
Mittagsstunden, mit Unterbrechung durch eine einstündige Rast,
zum Marschiren benutzen. Als bestes Erfrischungsmittel benutzte ich
dabei wieder nasse Tücher, die ich unter dem
breitkrämpigen Sola-Hut über Kopf und Nacken trug und in
den allenthalben reichlich fließenden Bächen jede
Viertelstunde auffrischte.
Da ausgedehnte Pflanzungen, die nur als Massen einer einzigen
Culturpflanze bestehen, meistens in den Tropen kaum weniger
langweilig sind als unsere einförmigen Kornfelder und Weinberge,
so hatte ich mich vor dieser tagelangen Wanderung durch die
Kaffeeplantagen etwas gefürchtet. Indessen erwies sich dieselbe
weit unterhaltender, als ich gedacht hatte. Das Terrain des Hochplateau´s
wird vielfach von tiefen Schluchten eingeschnitten, in denen
schäumende Bäche, oft in schönen Wasserfällen
und von prächtigen Farn- und Djungle-Vegetation bekränzt,
herabstürzen. Viele dieser Schluchten sind bereits von guten
Brücken überwölbt. An anderen hingegen wird deren
Stelle einfach durch einen Baumstamm vertreten, der von einem Ufer
zum anderen hinüber gelegt ist. Bisweilen ist daneben einen Liane
seilartig ausgespannt, die als Geländer zum Festhalten dient.
Bisweilen ist man gezwungen, ganz frei über den hoch
schwebenden Baumstamm hinüber zu balanciren, wobei man
allerdings nicht an Schwindel leiden und sich nicht durch das Toben des
wilden Bergbaches irre machen lassen darf, der tief unten
schäumend über zackige Felsen dahin strämt. Alte
Turnkünste, seit vielen Jahren nicht geübt, wurden bei
dieser Gelegenheit wieder aufgefrischt und kamen mir sehr zu statten.
Dann und wann wird auch unser Weg, der wechselnd bergauf, bergab
geht, durch ein größeres tiefes Thal geschnitten, an dessen
steilen, unzugänglichen Felswänden noch ein Rest des alten
Urwaldes stehen geblieben ist. Der Anblick seiner mächtigen
Riesenstämme, die säulengleich hoch emporsteigen und von
deren breiten Schirmkronen gewaltige Lianenmassen dicht verschlungen
herabhängen, läßt uns die unvergleichliche
Vegetationspracht ahnen, die hier dem unaufhaltsamen Fortschritte der
menschlichen Cultur zum Opfer gefallen ist. Auf kurze Strecken ist auch
unser Pfad mit der Axt mühsam mitten durch das Dickicht selbst
gehauen und wir können die mannigfaltigen Baumformen
näher betrachten, die dasselbe zusammensetzen,
hauptsächlich verschiedene Lorber- und Mytenarten, Rubiaceen u.
s. w. Meist sind die Blätter dieser Gebirgsbäume von einem
dunkeln, bräunlichen oder schwärzlichen Grün,
trocken und lederartig. Die schönsten Guirlanden
verschiedenartiger Kletterpflanzen schlingen sich von Stamm zu Stamm,
während die Stämme selbst mit den seltsamen Blüthen
zahlreicher Orchideen und Bromelien auf das Prächtigste
geschmückt sind. Unter den Lianen zeichnet sich besonders der
kletternde Pandang aus (Freycinetia), aus dessen
schraubenförmig gewundenen Blätterbüscheln
glühend feuerrothe Blüthenähren hervorragen. Von
den schönen Palmen des Tieflandes ist hier nichts mehr zu sehen;
aber ihre Stelle wird ersetzt durch die wundervollen
B a u m f a r n
e , eines der zierlichsten und anmuthigsten Producte der
Tropenflora. Im Grunde der schattigen Schluchten ragen armsdick
kohlschwarze Stämme solcher Farnbäume (Alsophila)
20-30 Fuß, bisweilen noch höher empor, während ihre
flach ausgebreitete Fiederkrone aus vielfach eingeschnittenen Wedeln
von 8-12 Fuß Länge sich zusammensetzt. Eine Masse der
verschiedensten kleineren Farnkräuter und ihrer zierlichen
Cousinen, der feinen Selaginella, wuchert daneben allenthalben
über den Klippen in reicher Fülle.
Während diese anmuthigen Waldschluchten den verschlungenen
Fußpfad durch die Hügellandschaft der Kaffeedistricte
vielfach unterbrechen und ihre üppige Felsen-Vegetation
häufig den schönsten Vordergrund für ein
Landschaftsbild liefert, ist auch der Blick auf den entfernten
Hintergrund oft nicht wenig gehoben, und namentlich ragt der schlanke
Kegel des Adams-Pik weit über seine Nachbarn hervor. Besonders
im Hügellande von Maskilia, dessen Bach reich an schönen
Wasserfällen ist, bildet der Pik darüber einen sehr
stattlichen Hintergrund.
Uebrigens ist auch der Anblick der
K a f f e e p f l&
nbsp;a n z u n g e n
selbst ganz hübsch. Während die Kaffeebäume im
Tieflande, wo die Singhalesen sie einzeln neben ihren Hütten
cultiviren, zu schlanken Stämmen von 20-30 Fuß Höhe
emporwachsen, werden sie dagegen in den Plantagen des Hochlandes
jetzt meistens des reicheren Ertrages wegen stark verschnitten und in
Gestalt flacher Sträucher, nur 3-4 Fuß hoch, gezogen. Die
schönen, dunkelgrünen, glänzenden Blätter
bilden ein dichtes Dach, auf welchem die Büschel der duftenden
weißen Blüthen und der dunkelrothen
kirschenähnlichen Beeren anmuthig zerstreut sind. Auf
ausgedehnten Strecken findet man jetzt, mit dem ursprünglich
herrschenden Kaffee abwechselnd, den duftigen Theestrauch und die
schlanken Cinchonabäume, beiden ebenfalls mit weißen
Blüthen geschmückt. Die großen Blätter der
Chinarindenbäume sind in der Jugend prächtig roth
gefärbt; ihre geraden Stämmchen zeichnen sich durch sehr
festes und zähes Holz aus; und ein solches Stämmchen, das
ich mir am Adams-Pik selbst ausgegraben hatte, lieferte mir für
meine ganze Gebirgsreise den besten Wanderstab.
Die unterhaltendste Staffage in den Hochlandsplantagen bilden die
schwarzbraunen Arbeiter derselben, die sogenannten
T a m i l -
K u l i ´ s . Dieselben
gehören zu der echten Rasse der Dravida, die früher noch
mit der arisch-indischen Bevölkerung vereinigt, neuerdings aber
mit Recht ganz davon abgetrennt worden ist. Von den eigentlichen
Singhalesen sind sie ganz verschieden und halten sich auch völlig
von ihnen getrennt. Ihre Tamilsprache hat gar Nichts mit dem Pali der
Letzteren gemein, so daß die neueren Linguisten überhaupt
keine Verwandtschaft zwischen beiden herausfinden können. Die
meisten Anthropologen halten die Tamils oder „Malabaren" für die
Reste der Urbevölkerung Vorder-Indiens, welche erst durch die
von Norden kommenden Arier mehr und mehr verdrängt wurde.
In Ceylon hingegen traten die Ersteren nachweislich als Eroberer auf,
welche die arischen, früher eingedrungenen Singhalesen
zunehmend verdrängt haben. Gegenwärtig ist nicht allein
der ganze Norden der Insel und ein großer Theil des Ostens
vorwiegend von Tamils bewohnt, sondern auch im centralen Hochlande
haben sie sich auf Kosten der trägen und weichlichen Singhalesen
überall ausgebreitet, Dank ihrer größeren
Tüchtigkeit und Arbeitsfähigkeit. Eine sehr große
Anzahl von Tamilen oder sogenannten Malabaren (schon vor
dreißig Jahren 50000, jetzt aber wohl weit über 200000)
kommt alljährlich während der Winterzeit über die
Adams-Brücke von der Koromandel-Küste nach Ceylon auf
sechs bis acht Monate herüber, um in den Pflanzungen zu arbeiten,
und kehrt für den Rest des Jahres mit ihren Ersparnissen in die
festländische Heimath zurück.
Die Tamilen sind in Hinsicht auf Körperbau, Gesichtsbildung,
Hautfarbe und Charakter von den eigentlichen Singhalesen nicht
weniger verschieden als bezüglich ihrer Sprache, ihres Cultus,
ihrer Sitten und Gewohnheiten. Während die letzteren
größtentheils an Buddha glauben, sind die Ersteren hingegen
meistens Anhänger des Siva-Cultus. Die Hautfarbe der Tamilen ist
stets viel dunkler, kaffeebraun bis schwarzbraun, diejenige der
Singhalesen hingegen zimmtbraun bis hell gelblichbraun. Das lange Haar
ist in beiden Rassen durchgängig schwarz und schlicht oder
schwachlockig (niemals wollig). Der Bart ist hingegen bei den Tamilen
weit schwächer entwickelt als bei den Singhalesen; die
Gesichtsbildung weicht viel bedeutender von der mediterran-
europäischen ab, als bei den Letzteren. Die Stirn ist niedriger, die
Nasenflügel sind breiter, die Lippen dicker und aufgeworfener, das
Kinn stärker. Der Blick ist ernst und finster. Selten sah ich Tamilen
lachen und niemals so heiter, als es oft die Singhalesen sind. Der
Skeletbau der Tamilen ist schlanker und kräftiger als der der
Singhalesen. Das Muskelsystem der Ersteren ist weit besser entwickelt
als das der Letzteren: wie sie denn auch mit Leichtigkeit und Ausdauer
die schweren Arbeiten verrichten, zu welchen diese nicht zu gebrauchen
sind. Der auffallend weiche und oft weibische Typus der
Körperbildung, der besonders bei den männlichen
älteren Singhalesen sich geltend macht, fehlt den Tamilen ganz;
und selbst das weibliche Geschlecht erscheint hier weit kräftiger
und nerviger. Dabei ist übrigens der Körperbau der Tamilen
keineswegs besonders robust und starkknochig; vielmehr schlank und
zierlich. Die Proportionen des Körpers entsprechen
durchschnittlich so sehr den künstlerischen Anforderungen der
Schönheit, daß man die Dravida in dieser Hinsicht keineswegs
zu den niederen Menschenrassen zählen darf. Vielmehr
nähern sich Viele auffallend dem griechischen Ideale. Da die
Kleidung derselben in den Pflanzungen sich beim männlichen
Geschlechte auf einen leichten Turban und einen schmalen
Lendenschurz (gleich einer Schwimmhose) beschränkt, beim
weiblichen Geschlechte auf eine kurze Schürze und ein locker
umgeschlungenes Busentuch oder ein kurzes, weißes
Jäckchen (- überdies während der heißen Arbeit
oft entfernt -), so hat man bei der Wanderung durch die Pflanzungen
stets Gelegenheit, die Schönheit ihres Körperbaus zu
bewundern. Dazu kommt noch, daß ihre Bewegungen durch eine
gewisse natürliche Anmuth ausgezeichnet sind und daß die
manngifache schwere Arbeit in den Plantagen sie in den
verschiedensten Stellungen zur Anschauung bringt. Wie viel mehr
könnte hier an diesen natürlichen und ungefälschten
Modellen ein Bildhauer für das Verständniß der
Schönheit und des Ebenmaßes der menschlichen Figur
gewinnen, als in den Aktsälen unserer Kunstakademien, wo die
mühsam ausgesuchten Modelle des verkümmerten
Culturmenschen in künstlich erzwungenen Stellungen nur ein
dürtiges Surrogat liefern!
Der freundlichen Einladung eines der angesehendsten Pflanzer des
Hochlandes, Mr. Talbot, folgend, übernachtete ich am 13. Februar
in W a l l a h a . Da im
Gebirgslande von Ceylon (mit Ausnahme einzelner vielbesuchter
Punkte) weder Hôtels noch Rasthäuser existieren, so ist der
Reisende fast ausschließlich auf die Gastfreundschaft der
englischen Pflanzer angewiesen, und diese wird auch allenthalben mit
einer unbegrenzten Freigebigkeit gewährt, als ob sie
selbstverständlich wäre. Allerdings liegt auch die große
Mehrzahl der Pflanzungen so isolirt inmitten einsamster Wildniß,
daß jeder Mensch willkommen ist; ein fremder Gast aber, der
unmittelbar aus Europa kommt und frische Neuigkeiten aus dem
geliebten Mutterlande erzählen kann, wird zu den erfreulichsten
Ueberraschungen gerechnet. Ich zähle die gastfreundliche und
herzlich Aufnahme, die ich hier allenthalben fand, zu meinen
angenehmsten Reiseerinnerungen. Nichts ist wohltuender, als der
unvergleichliche britische Comfort: ein kühles Bad, ein
vortreffliches Abendessen, ein anregendes Gespräch bei einem
guten Glase Wein, und endlich ein weiches Bett, nachdem man zehn bis
zwölf Stunden bergauf, bergab durch die steinigen und sonnigen
Fußpfade der Kaffeepflanzungen gewandert ist, dabei vier bis sechs
Stunden in einer Hitze, welche diejenige unserer schlimmsten
„Hundstage" übertrifft. Nur bisweilen wird dieser Genuß
etwas getrübt durch die Strenge der britischen Gesellschafts-
Etiquette, die einzelne wohlerzogene Pflanzer selbst mitten in der
Wildniß des tropischen Hochlandes nicht verleugnen können.
So gedenke ich noch mit Schrecken eines Abends, als ich höchst
ermüdet nach Sonnenuntergang in eine ganz einsame Pflanzung
kam und der gastfreie Hausherr mir deutlich zu verstehen gab, daß
er mich bei dem bald beginnenden Diner in schwarzem Frack und
weißer Cravatte zu sehen erwarte. Mein aufrichtige Betheuerung,
daß ich dieses „black evening dress" unmöglich in
meinem kleinen Tornister auf dieser wilden Hochgebirgstour mit mir
führen könne, vermochte nicht zu hindern, daß mein
Wirth selbst mir zu Ehren dieselbe anlegte, und daß auch die Frau
Gemahlin, die dritte und letzte Person an unserem Gesellschaftstische, in
feierlichem Diner-Costüm erschien.
Abgesehen von diesen und einigen anderen steifen Formalitäten,
die uns zwanglosen Deutschen sehr sonderbar vorkommen, habe ich von
meinem Aufenthalte bei den britischen Pflanzern im Hochlande von
Ceylon nur die angenehmsten Eindrücke bewahrt. Das einsame
Leben dieser Leute ist voll harter Arbeit und vieler Entbehrungen, und
man würde gar sehr irren, wenn man sie etwa mit den
Sklavenbaronen des tropischen Amerika vergleichen und annehmen
wollte, daß sie mühelos durch die Arbeit ihrer Hunderte von
schwarzen Tamils ein reiches Vermögen erwürben. Hier
heißt es vielmehr: thätig sein, denken und aufpassen vom
frühen Morgen bis zum späten Abend. Ueberall fand ich die
Pflanzer schon mit Tagesanbruch bei der Arbeit; ein großer Theil
des Tages wird durch den Besuch des weit ausgedehnten Culturlandes
weggenommen, durch die Instruction der vielen Diener und Aufseher,
durch Berechnungen, Correspondenz u. s. w. Denn ein großer Theil
des guten Erfolges hängt von umsichtiger Berechnung ab, wenn
auch die Glücksverhältnisse der Lage, des Wetters u. s. w.
dabei eine große Rolle spielen. Da in der Regel die Pflanzungen
durch weite Entfernungen voneinander getrennt sind, ist der
nachbarliche Verkehr sehr beschränkt, und besonders die Frauen
sind meistens auf sich selbst angewiesen. Viele werden für die
Entbehrungen nur theilweise durch die ungebundene Freiheit
entschädigt, deren sie sich auf ihrem ausgedehnten Besitze
erfreuen, und durch den unmittelbaren Verkehr mit der
großartigen Natur, die allerdings einen dafür
empfänglichen Gemüthe hier hohe Genüsse darbietet.
Das „Bungalow" oder das eigentliche Wohnhaus des Pflanzers ist in der
Regel ein einstöckiges, steinernes Gebäude mit breitem
Schattendache und freundlicher Veranda, von einem hübschen
Garten umgeben und innen mit all´ dem britischen Comfort ausgestattet,
den die Umstände nur irgend gestatten. In nächster
Umgebung stehen gewöhnlich (ebenso auch in der Pflanzung
streckenweise vertheilt) kleine Gebüsche von australischem
Eucalyptus globulus, der seiner austrocknenden und gesunden
Nachbarschaft wegen besonders geschätzt wird.
Die Wohnhütten der Tamils, die oft ein kleines Dorf zusammen
bilden, stehen gewöhnlich in weiterer Entfernung, in der
Nähe der Kaffeemagazine. Neuerdings ist viel für die Anlage
guter Wege geschehen und bei der zunehmenden Ausdehnung der
Pflanzungen wird bald der größte Theil des Hochlandes von
solchen durchschnitten und für Wagen zugänglich sein.
XVII. Nurellia
Der weitaus besuchteste und bekannteste Ort des Hochlandes von
Ceylon, die beliebteste „Sommerfrische" der Insel, ist Nurellia
(geschrieben N u w a r a -
E l l y a , d. h. die „Lichtstadt").
Dieser Ort liegt inmitten eines muldenförmigen elliptischen
Hochthales von 1-2 Stunden Ausdehnung, das rings von 1500 bis 2000
Fuß hohen Bergketten eingeschlossen ist. Das Plateau selbst liegt
zwischen 6000 und 6200 Fuß über dem Meere. Klima und
Scenerie sind völlig verschieden von demjenigen des Tieflandes
und erinnern vielmehr an das Gebirgsland von Mitteleuropa. Wenn auch
am Mittag bisweilen die Tropensonne eine Hitze von 20-25o
R. hervorruft, so sind doch die Nächte beständig kühl
und im Frühjahre findet man nicht selten morgens das Gras mit
Reif bedeckt und die Wassergefäße, die man zur
Kühlung vor das Fenster gestellt hatte, mit einer dünnen
Eisschicht überzogen. An den meisten Tagen wird abends und
morgens Feuer in den Kaminen gemacht, die überall in den
niedrigen steinernen Häusern anbracht sind.
Wenn man bedenkt, daß Nurellia unter 7o
nördlicher Breite liegt, so erscheint eine mittlere Jahrestemperatur
von 12-13o R. bei nur 6000 Fuß Meereshöhe
auffallend niedrig. Sie ist wohl, wie die
unverhältnißmäßig niedere Temperatur des
Hochlandes überhaupt, vorwiegend der isolirten Lage von Ceylon
und der überaus starken Verdunstung bei Tage, wie der
nächtlichen Abkühlung durch Wärmestrahlung zu
verdanken. Die Luft ist beständig feucht. Dichter Nebel
erfüllt das ganze Hochthal oft tagelang. Die Regenmenge ist
überaus groß; zahlreiche Quellen und Bäche, die
überall von den Berghängen in reicher Fülle
herabstürzen, begünstigen die üppigste Vegetation
und speisen den kleinen See, der einen großen Theil der
Südhälfte des Plateau´s einnimmt.
Dieses Uebermaß von kühler Feuchtigkeit, von Nebel- und
Wolkenbildung, Regen und Sturm verstärkt den ernsten und
melancholischen Eindruck, welchen die einförmige Gestalt der
einschließenden Bergketten, die düstere Farbe ihrer
schwarzgrünen Wälder und des braungrünen
Moorbodens der Sumpfwiesen unten im Thale hervorbringt. Man
fühlt sich oft unwillkürlich fünfzig Breitengrade weiter
nördlich, nach dem Hochlande von Schottland versetzt, und genau
diese düstere Stimmung, die mich vor wenigen Jahren (im Herbste
1879) beim Durchstreifen des letzteren erfaßt hatte,
überkam mich auch zu wiederholten Malen in dem Hochmoore von
Nurellia. Ja ich glaube, daß sich aus dieser auffallenden
Aehnlichkeit in Klima und Scenerie mit Schottland auch
großentheils die ausgeprägte Vorliebe der britischen
Colonisten für Nurellia erklärt. Das Feuer im Kamin zaubert
ihnen hier nciht weniger die Reize der entfernten nordischen Heimat
vor, als draußen der Zug der grauen Nebelwolken, die sich von den
schwarzen Bergwäldern auf das feuchte, dunkle Moor und den
blanken Spiegel des eiskalten Sees herabsenken.
Zwar war dies entlegene und verborgene Hochthal von Nurellia, mittem
im schönsten Theile des waldigen Oberlandes, den Eingeborenen
des heißen Unterlandes schon seit mehreren Jahrhunderten
bekannt; und ein alter Kandykönig soll schon im Jahre 1610 hier
vor den portugiesischen Eroberern eine sichere Zuflucht gefunden
haben. Allein den ersten Besuch von Europäern erhielt es erst im
Jahre 1826. Es waren englische Officiere, die sich auf der Elephantenjagd
zufällig hierher verirrten: sie gaben von der erfrischenden
Kühle und Schönheit des Gebirgsthales eine so begeisterte
Schilderung, daß der damalige Gouverneur, Sir Edward Barnes, sich
alsbald daselbst ein Bungalow baute und eine Gesundheitsstation
für die britischen Truppen gründete, welche schon 1829
eröffnet wurde.
In der That wirkt die kühle Gebirgsluft von Nurellia auf den
europäischen Organismus, der durch längeren Aufenthalt im
heißen Unterlande erschlafft ist, ganz wunderbar erfrischend; und
wenn man jetzt mit Hilfe von Eisenbahn und Postkutsche innerhalb von
vierundzwanzig Stunden von Colombo hier hinauf gelangt, so fühlt
man sich mit einem Schlage wie umgewandelt. Das ungewohnte
Vergnügen des Frierens und der einseitigen Erwärmung am
Kaminfeuer, das behagliche Gefühl, mit dem man wieder beim
Ausgehen den längst entwöhnten Ueberrock und Plaid
anthut, und sich abends ein Mal wieder die warme Bettdecke bis
über die Ohren zieht, wirken als Contrast zu den nackten
Gewohnheiten des heißen Unterlandes so anheimelnd, daß
man allenthalben in den Städten des letzteren mit Begeisterung
Nurellia preisen hört. Würden wir direct aus unserem
Norddeutschland dahin versetzt, so würden wir von der
überraschenden Aehnlichkeit nur wenig erbaut sein!
Im Allgemeinen wird die Bedeutung von Nurellia als Gesundheitsstation
sicher stark übertrieben; denn das feuchte und kalte Klima, dessen
Temperatur an klaren Wintertagen zwischen Morgen (3-4o)
und Mittag (20-25o) nicht selten um mehr als
20o R. innerhalb sechs Stunden springt, disponirt
natürlich leicht zu starken Erkältungen und ist für
viele Leiden, insbesondere katarrhalische und rheumatische, nichts
wenige als zuträglich. Auch hörte ich von schweren
Erkrankungen, die der plötzliche Klimawechsel zwischen Colombo
und Nurellia herbeigeführt hatte. Trotzdem erhält sich, theils
durch künstliche Reclame, theils in Folge secondärer
Verhältnisse, sein hoher Ruf als klimatischer Curort
beständig und ist sogar fortwährend im Wachsen. Die Zahl
der englischen Landhäuser oder „Cottages", welche den grasigen
Thalboden und den Fuß der waldigen Gehänge bedecken ,
nimmt von Jahr zu Jahr bedeutend zu und es kann nicht lange mehr
dauern, so wird Nurellia eine ansehnliche Stadt sein, allerdings nur
während des dritten oder vieten Theiles des Jahres bewohnt,
während der trockenen Monate Januar bis April. Später,
während der Dauer des Südwest-Monsuns, läßt
der ununterbrochene triefende Regen keinen längeren Aufenthalt
mehr zu.
Der letztere Umstand macht es zweifelhaft, ob Nurellia sich, wie Viele
hoffen, bleibend zur Errichtung einer großen Erziehungsanstalt
für die in Ceylon geborenen Kinder der Europäer eignen
wird. Dazu kommt noch die enorme Theuerung der Wohnungen und
Lebensmittel. Nirgend in Ceylon hat mein schlanker Jenenser Geldbeutel
so schwer geblutet, wie in dem schlechten Rasthause von Nurellia.
Beispielweise mußte ich für jedes Hühnerei 50 Pfennige
zahlen, für ein Pfund Butter 2 Mark, eben so viel für jede
Flasche schlechtes Bier u. s. w. Obwohl daher jeder europäische
Gentleman in den heißen Küstenstädten von dem
heimlichen Verlangen beseelt ist, die trockene kühle
Frühlungsaison in Nurellia zuzubringen, besinnt er sich doch mehr
als ein Mal, ob sein Portomonnaie diese starke Erleichterung ertragen
kann.
Sehr amüsant zu beobachten ist, wie die Anpassung an die
Vorstellung, in einem
„ B a d e o r t e
erster Classe" zu leben, hier unter dem 7. Grade nördlicher Breite
ganz dieselben Culturauswüchse und Modekrankheiten hervorruft,
wie 50 Breitengrade weiter nördlich in den vornehmen
Bädern von Nordeuropa. Das starke Geschlecht wetteifert mit dem
schönen in Production der elegantesten, theuersten und
geschmacklosesten Toiletten. Die kleinen Kinder erscheinen oft in
Kleidungen, welche lebhaft an diejenigen ihrer vierhändigen
Stammverwandten im Affentheater erinnern. Die reichsten und
vornehmsten Residenten such sich in ihren modernen Equipagen auf den
Promenadenanlagen eben so durch Glanz der Ausstattung zu
überbieten, wie innerhalb ihrer Cottages durch Luxus des
Mobiliars. Daher entwickeln sich auch bereits mitten zwischen den
Bananen- und Reishandlungen der Singhalesen jene charakteristischen
Luxusläden unserer Badeorte, in denen raffinirten Schwindler
durch zehnfach übertriebene Preise den eleganten
Badegästen die wohlverdiente Strafe für ihre
Modenarrheiten angedeihen lassen. Mir kam dieses europäische
Badetreiben mitten im wilden Hochlande von Ceylon, wo zahlreiche
Elephanten, Bären und Leoparten noch jetzt die Wälder in
wenigen Stunden Entfernung bevölkern, um so komischer vor, als
ich noch ganz von den Erinnerungen an mein primitives Singhalesen-
Leben in dem erst kürzlich verlassenen Belligemma erfüllt
war.
Die Illusion, hier in einem europäischen Badeorte sich zu befinden,
wird um so größer, als auch die Mittagstafeln von Nurellia
sich möglichst denjenigen der letzteren anzupassen suchen. Da
bekommt man zu seiner großen Ueberraschung frische Kartoffeln
in der Schale, gewürzt mit frischer Butter, zu essen, ferner frische
grüne Erbsen und Bohnen, Kohl u. s. w. Alle diese edlen
europäischen Gemüse gedeihen in den Gärten und auf
den Aeckern von Nurellia fast eben so gut, wie daheim bei uns; und die
Kartoffeln (- für die germanische Rasse natürlich die
Hauptsache! -) können bei guter Düngung (mit
Knochenmehl) sogar vier Mail im Jahre auf demselben Acker geerntet
werden! Leider muß man dafür auch das Vier- bis Sechsfache
zahlen Es ist aber sehr unterhaltend bei Tische, den Enthusiasmus zu
vernehmen, mit dem hier der kühle Brite von den vortrefflichen
Kartoffen und Erbsen, von dem warmen Ueberrock und dem Kaminfeuer
spricht. Man siehts, der Hauptreiz des Lebens liegt überall in der
Contrastwirkung!
Die große Aehnlichkeit, welche das gelobte Land von Nurellia mit
Nord-Europa besitzt, und welche ihm die warme Sympathie der
europäischen Colonisten von Ceylon einbringt, ist übrigens
zum großen Theile nur oberflächlich und zeigt bei genauerem
Zusehen mancherlei Differenzen. Das gilt sowohl von dem Klima, als von
der Vegetation, den beiden Hauptfactoren, welche den Character jedes
Landes bestimmen. Was das Klima betrifft, so zeichnet sich nicht allein
Nurellia, sondern auch das übrige Hochland von Ceylon durch ganz
eigenthümliche Verhältnisse aus, die durch die insulare
Lage, frei im indischen Ozean und unterhalb der Südspitze des
vorderindischen Festlandes bedingt sind. Die beiden Passatwinde, der
trockene Nordost-Monsun des Winters ebensowohl als der nasse
Südwest-Monsun des Sommers, führen in Folge der localen
Verhältnisse hier beide Niederschläge herbei, nur mit dem
Unterschiede, daß die schweren Regenmassen des letzteren weit
bedeutender und anhaltender sind, als die des ersteren. Daß auch
die sogenannte „trockene Jahreszeit" hier (ebenso wie an der Küste
von Südwest-Ceylon) ihren Namen nur euphemistisch führt,
davon konnte ich mich aus eigener Erfahrung genügend
überzeugen. Während meines dreiwöchentlichen
Aufenthaltes im Hochlande kamen häufig (besonders Nachmittags)
starke Regengüsse, bisweilen von solcher tropischen
Gründlichkeit, daß ich trotz Regenschirm und Regenmantel
keinen trockenen Faden am Leibe behielt.
Auch die F l o r a
v o n
N u r e l l i a ,
die auf den ersten Blick überraschend viel Aehnlichkeit mit
unserer norteuropäischen hat, zeigt bei beneurer Betrachtung sehr
wesentliche Unterschiede. Die baumgrünen subalpinen
Moorwiesen, welche die Thalsohle größtentheils bedecken,
sind zwar auch, wie bei uns vorzugsweise aus Riedgräsern und
Binsen zusammengesetzt (Carices und Juncaceae) und darin
finden sich überall viele liebe alte Bekannte zerstreut: Veilchen,
Glockenblumen, Ranunkeln, Maiblümchen, Baldrian, Hornkraut,
Knöterich, Brombeeren, Fingerhut u. s. w. Aber daneben und
dazwischen entdecken wir auch viele eigenthümliche Blumen, die
uns ganz fremd sind, so z. B. prachvolle große Balsaminen von
höchst origineller Blüthenform, phantastische bunte
Orchideen, scabiosenähnlichen Restiaceen, große violette
Gentianen mit gelben Staubfäden (Exacum), besonders aber
hohe Lobelien mit rothen, mehrere Fuß langen
Blüthentrauben. Folgen wir dem Laufe der Bäche aber
aufwärts und dringen in die schattigen Schluchten ein, so
entdecken wir sofort einige tropische Charakterpflanzen, die unsere
europäischen Illusionen zerstören: vor Allen die herrlichen
Farnbäume (Alsophila), die mächtigen Schirmfarne
(Angiopteries) die merkwürdigen Nillustauden
(Strobilanthus) und die prachtvollen baumartigen Alpenrosen
(Rhododendron arboreum): letztere 20-30 Fuß hohe knorrige
Bäume, deren Aeste die schönsten Riesenbouquets von
blutrothen großen Blüthen tragen.
Noch größere Verschiedenheiten zeigt der Wald, der mit
seinen dichten, dunkelgrünen Laubmassen aus der Entfernung fast
wie Nadelwald aussieht. Er setzt sich aus sehr vielen Baumarten
zusammen, die größtentheils zu den Familien der Myrten,
Lorberen, Haidekräuter, Guttabäume und Magnoliaceen
gehören. Obwohl die zahlreichen Species dieser Bäume nach
Blüthenbau und Frucht zu ganz verschiedenen Familien
gehören, sehen sie sich doch affallend ähnlich im
äußeren Habitus und Wachsthume. Die lederartigen
Blätter sind dunkelgrün oder braungrün, unten oft
filzig. Der säulenförmige gerade Stamm gleicht oft ganz den
südeuropäischen Pinien und geht oben in zahlreiche
Gabeläste aus, die eine breite, flache Schrimkrone tragen.
Auffallend pinienähnlich sind namentlich die hohen
Guttabäume (Calophyllum), von denen zahlreiche
Prachtexemplare Stämme von 80-90 Fuß Höhe und 10-
12 Fuß Dicke bilden, ausgezeichnet durch die spirale Drehung ihrer
Borkenrinde. Sehr groß ist auch in diesen Wäldern des
kühlen Hochlandes, ebenso wie in denjenigen des heißen
Tieflandes, die Menge und Mannigfaltigkeit der Schmarotzer, der
Kletter- und Schlingpflanzen; nur sind es hier größtentheils
andere Arten und Gattungen als dort. Außerdem kommen aber hier
dazu noch dichte Mäntel von Laufmoosen an den
Baumstämmen.
Viele Wälder in der nächsten Umgebung von Nurellia sind
jetzt zugänglich gemacht durch breite Promenadenwege oder
wenigstens durch passable Fußpfade, und der civilisirte zahme
Badegast, der hier Nachmittags gemächlich lustwandelt, kann sich
dabei mit dem schauerlichen Gedanken kitzeln, daß Nachts an
derselben Stelle, kaum eine Stunde von seiner Wohnung entfernt, wilde
Elephanten seinen Weg gekreuzt, oder Leoparden ein wildes Schwein
erlegt haben. Freilich ist die üppige Uebermacht der wilden
Vegetation auch hier so groß, daß die Forstaufseher
beständig mit der Axt nachhelfen müssen, um die
Waldpfade leidlich gangbar zu erhalten.
Die vier Tage, welche ich in Nurellia verweilte, verwendete ich dazu, um
interessante Ausflüge nach allen vier Himmelsgegenden zu
machen. Am 16. Februar bestieg ich den höchsten Berg der Insel,
den östlich gelegenen
P e d r o -
T a l l a -
G a l l a und feierte auf der Spitze
desselben meinen achtundvierzigsten Geburtstag. Diese höchste
Bergspitze von Ceylon erreicht 8200 Fuß Meereshöhe und
liegt mithin nur 200o Fuß höher als das Plateau von Nurellia.
Sie führt ihren Namen: „Matten-Gewebe-Berg" von den vielen
Binsen, die auf ihrem wasserreichen Fuße wachsen und zum Weben
von Matten verwendet werden.
Es war ein prächtiger, sonniger Frühlingsmorgen, als ich in
zwei Stunden von Nurellia hinaufstieg, nur von einem Tamil-Kuli
begleitet, der mein Malzeug und den Proviant trug. Der enge Pfad
führt anfangs ziemlich steil, später sanfter aufwärts;
fast bis zur Spitze durch dichten Wald, mehrmals über rauschende
Bergbäche und kleine Wasserfälle. Das Merkwürdigste,
was ich beim Hinaufsteigen fand, war einer der großen,
berühmten Regenwürmer des Hochlandes von Ceylon; sie
sind die Riesen ihres Geschlechtes, fünf Fuß lang, zolldick und
von schöner himmelblauer Farbe. Außerdem traf ich hier
zum ersten Male den prächten Waldhahn des Gebirges (Gallis
Lafayetti), den ich später „am Ende der Welt" sehr häufig
fand. Auch der große aschgraue Affe des Berglandes (Presbytis
ursinus) zeigte sich, war aber so scheu, daß ich nicht zum
Schusse kommen konnte. Die dichte, mit langen rothgelben Moospelze
verbrämte Walddecke des Pedura geht fast bis zu dessen Gipfel
hinauf. Eine eigentlich alpine, oder selbst subalpine Vegetation fehlt auf
Ceylon. Die Schneelinie würde hier erst bei 14-15 Tausend
Fuß beginnen.
Die freie Aussicht von dem baumlosen Gipfel ist großartig und
umfaßt den größten Theil der Insel, bis zum Meere hin,
von dem westlich und östlich ein schmaler Silberstreifen sichtbar
ist. Im Osten erhebt sich der schöne Namuna-Pik über den
Thälern von Badula, während im Westen der Adams-Pik alle
anderen Hohen überragt. Wie auf dem letzteren, so ist auch hier
das imposante Panorama insofern einförmig, als der
größte Theil desselben von dunkelgrünen,
dichtbewaldeten Bergmassen eingenommen wird, durchzogen von den
dünnen Silberfäden zahlreicher Bäche und
Ströme, aber nur hier und da von kleinen Stücken heller
grünen Culturlandes unterbrochen. Es ist mehr das Gefühl
der Erhabenheit, welches inmitten dieser unendlichen Waldeinsamkeit
das Gemüth umfängt, und die Vorstellung, eine der
schönsten und rechsten Inseln der ganzen Welt von einem Punkte
aus zu überschauen. Während am frühen Morgen die
Rundsicht vom Pedura noch ganz rein und klar war, stiegen bald
nachher zahlreiche Nebel aus den Thälern auf und ballten sich zu
dichten Wolkenmassen. Ich folgte dem interessanten Spiele derselben
mehrere Stunden, wie ich denn überhaupt kaum irgendwo in
unseren Gebirgsländern so merkwürdige Wolkenstudien
machen konnte, wie im Hochlande von Ceylon.
Am 17. Februar, ebenfalls einem ausnehmend schönen
Frühlingstage, wanderte ich von Nurellia auf guter Fahrstraße
fünf Meilen südwärts, über die Brücke von
Uda-Pussilawa nach dem südöstlichen Rande des Plateau´s.
Ich bestieg hier einen Berggipfel, der eine prächtige Aussicht nach
Süden auf Hakgalla gewährt. Dieser „Kieferberg" besitzt
unter allen Bergen, die ich auf Ceylon gesehen habe, die schönste
Form und gleicht druch die edle Composition seiner Massen und den
feinen Schwung seiner Linien dem berühmten Monte-Pellegrino
bei Palermo. Die waldigen, tief eingeschnittenen Schluchten dieser
Gegend, in denen hohe Wasserfälle herabrauschen, zeichnen sich
durch den Reichthum an prächtigen Baumfarnen aus.
Den folgenden Tag machte ich von Nurellia aus nordwärts eine
Excursion in die Gegend von Rambodde, auf der Hauptfahrstraße,
welche von Kandy hier heraufführt. Der Weg steigt zunächst
zwei Stunden aufwärts zur Höhe des Rambodde-Passes,
ungefährt 7000 Fuß über dem Meere. Der Sattel dieser
Paßhöhe gewährt einen prächtigen Doppelblick,
südwärts auf den ganzen Thalkessel von Nurellia, im
Hintergrunde der schön geformte Hakgalla, darunter der blanke
Spiegel des Sees; nordwärts auf die waldigen Schluchten des
Kotmallithales und darüber hinaus auf die weiten
Hügelflächen des Pussilawa Districtes. Unter den vielen
Berghäuptern des letzteren erhebt sich die Fahrstraße steil
abwärts gegen Rambodde, und ich folgte ihr mehrere Meilen weit,
bald der zahlreichen hübschen Wasserfälle mich erfreuend,
die von beiden Seiten in den engen Thalboden herabstürzen, bald
der üppigen Buschvegetation und besonders der schönen
Baumfarne, welche die Bachufer säumen. Der herrliche Hochwald,
der die Berglehnen hier noch vor wenigen Jahren bedeckte, ist jetzt fast
allenthalben den Kaffeepflanzungen gewichten. Die Straße war
besäet mit sehr zahlreichen Ochsenkarren, jeder mit vier starken,
weißen Zebu bespannt, die Proviant und Luxusartikel nach Nurellia
hinaufschleppten.
Am 19. Februar benutzte ich den schimmernden Sonntagsmorgen, um in
aller Frühe die Bergkette zu besteigen, welche die Weltseite des
Nurellia-Beckens begrenzt. Ich hatte von der Höhe die
schönste Aussicht auf den Adams-Pik und die zwischenliegenden
Bergketten von Dimbula. Zu Mittag folgte ich der Einladung des
Gouverneurs, welcher Tags zuvor mit seiner Gemahlin nach Nurellia
gekommen war und in dem freundlichen, von einem hübschen
Garten umgebenen „königlichen Landhaus", der „Queen´s Cottage",
an der westlichen Thalseite residirte. Hier konnte ich einen auserlesenen
Flor von Rosen, Veilchen, Nelken und anderen europäischen
Gartenpflanzen bewundern, die in schönster Blüthe standen;
auch üppige Kirschbäume und andere europäische
Obstbäume. Sie bekommen hier reichen Blätter- und
Blüthenschmuck, tragen aber niemals Früchte.
Ich traf hier mit Dr. Trimen zusammen, der inzwischen alle
Vorbereitungen für unsere Hochgebirgsreise vollendet hatte, und
noch am selben Nachmittage traten wir unsere Tour „an das Ende der
Welt" an. Wir fuhren jedoch für heute nur zwei Stunden weiter
südwärts, bis
H a k g a l l a ,
wo die Fahrstraße und die menschliche Civilisation überhaupt
aufhört. Hier befindet sich in 6000 Fuß Höhe,
unmittelbar am südlichen Fuße der vorher erwähnten
prächtigen Gebirgskuppe, ein botanischer Garten für
tropische Gebirgspflanzen, eine Filiale des großen Peradenia-
Gartens, und gleich diesem von Dr. Trimen dirigirt. Wir benutzen
die Abendstunden, um denselben zu durchwandern und die
Pflanzschulen zu mustern, sowie die prachtvollen Baumfarne und
Pothospflanzen, von denen hier Riesenexemplare gezüchtet
werden. Man genießt von den Terrassen dieses
höchstgelegenen Gartens von Ceylon eine schöne Aussicht
auf die stattliche Felspyramide des Namuna-Pik, der sich ostwärts
über den Thälern von Badula isolirt erhebt. Wir
übernachteten im Hause des schottischen Gärtners, dem
äußersten Vorposten europäischer Cultur in diesem
Theile des Hochlandes.
XVIII. Am Ende der Welt.
Die ausgedehnte und unbewohnte Hochebene, welche sich von Nurellia
südwärts bis gegen den Rand den großen Central-
Plateau´s von Ceylon ausdehnt, und an deren nördlicher Grenze
der Hakgalla-Garten als vorgeschobener Posten ganz isolirt liegt,
führt ihrem Entdecker, Lord Horton zu Ehren, den Namen
H o r t o n -
P l a i n ´ s . Der
größte Theil derselben ist noch heute mit Urwald bedeckt,
abwechselnd mit trochenen oder sumpfigen Grasflächen, den
sogenannten P a t n a s . Die
Beherrscher dieser Wildnissse sind Leoparden, Bären und wilde
Elephanten. Der wellenförmige Rücken des Plateau´s wird
von zahlreichen Bächen durchschnitten, zwischen denen sich flach
gewölbte Hügel erheben, hier und da auch einzelne
höhere Berge, von 7000 bis 8000 Fuß Meereshöhe. Am
südlichen Rande fällt das Plateau fast überall
äußerst steil ab und der wildeste Theil dieses schroffen
Absturzes führt den charakteristischen Namen „World´s
End", das Ende der Welt. Gegen 5000 Fuß hoch fallen die
jähen Felswände hier anscheinend senkrecht hinab und
gewähren einen wunderbaren Blick in die üppigen
Thäler des südlichen Tieflandes, die sich unmittelbar zu
ihren Füßen ausdehnen. Dieser merkwürdige Ort ist als
der wildeste Theil der ganzen Insel berühmt, wird aber nur selten
von Europäern besucht.
Nicht weit von diesem romantischen Punkte liegt, mitten in der
einsamen Wildniß, eine unbewohnte dickwandige Steinhütte,
welche die Regierung als Zufluchtsort für durchreisende Beamte
hat errichten lassen: „Horton Plain´s Resthouse". In dieser
Hütte beabsichtigte ich mit Dr. Trimen eine Woche zu
bleiben und von da aus Excursionen in die wilde, auch von Letzterem
noch nie besuchte Umgegend anzustellen. Alle Vorbereitungen waren
getroffen, der Schlüssel des Rasthauses und die Erlaubniß des
Gouverneurs in unseren Händen, und so brachen wir denn
wohlgemuth und voller Erwartung am frühen Morgen des 20.
Februar von Hakgalla auf.
Da wir nicht allein den nöthigen Proviant für acht Tage,
sondern auch Betten, Decken, Zelte, Waffen u. s. w., sowie eine Menge
Apparate und Gefäße zum Sammeln von Pflanzen und
Thieren mit uns zu nehmen hatten, so brauchten wir für den
Transprot dieser Dinge nicht weniger als zwanzig Träger.
Außerdem hatte ein Jeder von uns Beiden noch seinen besonderen
Diener und Dr. Trimen mehrere Leute aus dem Peradenia-Garten
zum Sammeln und Präpariren von Pflanzen bei sich. Diese
letzteren waren braune Singhalesen, die übrigen meistens
schwarze Malabaren oder „Tamil-Kuli´s". Mit Einschluß eines Kochs
und eines Führers belief sich unsere Gesellschaft auf nicht weniger
als dreißig Mann.
Wie immer in Indien, wenn ein so großer Troß sich in
Bewegung setzen soll, vergingen mehrere Stunden, ehe Alles in Ordnung
war. Obgleich wir schon vor Sonnenaufgang gerüstet waren und
unterwegs sein sollten, fehlte an unserer Bagage doch bald dies, bald
das. Als endlich sämmtliche dreißig Leute gerüstet
beisammen waren und Abmarsch beginnen sollte, machte der
„Hühner-Kuli", welcher einen großen Korb mit ein paar
Dutzend Hühnern trug, einen Fehltritt und durch eine
geöffnete Lücke des Korbes entwischten ein paar Hennen
unter lautem Gackern. Das war das Signal für alle Kuli´s, sofort ihre
aufgepackte Last vom Kopfe zu nehmen und sich unter lautem Geschrei
an der allgemeinen Jagd auf die entwischten Flüchtlinge zu
betheiligen. Kaum waren diese eingefangen, wieder eingesperrt, und der
Abmarsch auf´s Neue begonnen, als ein zu fest gepackter Reissack
platzte und seinen weißen Körnerinhalt auf den Boden
entleerte. Abermaliges Signal zu allgemeinem Stillstande und zur
Betheiligung am Einsammeln des Reises. Diese Pause benutzten einige
Hühner, um durch eine neuentdeckte Lücke des
Hühnerkorbes abermals zu entschlüpfen und auch ihrerseits
Reiskörner zu sammeln, aber direct in den Magen. Nun ging die
lustige Jagd erst recht los und abermals verrann eine halbe Stunde, ehe
Alles wieder in Ordnung war. Aehnliche Scenen wiederholten sich am
Tage noch mehrmals und so war es kein Wunder, daß wir mehr als
volle zwölf Stunden gebrauchten, um den Marsch von zwanzig
englischen Meilen, von Hakgalla bis zum Rasthaus, zurückzulegen.
Es war ein Glück, daß unser Marsch den ganzen Tag vom
schönsten Frühlingswetter begünstigt war; denn bei
heftigem Regen wären wir hier schlimm angekommen.
Der einsame und selten betretene Pfad, der dahin führt,
durchschneidet abwechselnd dichten Urwald und ausgedehnte offene
Glasflächen oder Patnas. Beide sind fast überall vollkommen
scharf abgegrenzt. Denn die trockenen hohen Hartgräser, welche
vorwiegend die Patna zusammensetzen, wachsen so äußerst
dicht gedrängt und ihre Rasen bilden so undurchdringliche
Wurzelgeflechte, daß sie im Kampfe um´s Dasein die
sämmtlichen riesigen Bäume des Urwaldes besiegen und
daß jeder Keim der letzteren, der aus den zahlreich ausgestreuten
Samen zwischen den Gräsern emporzustreben beginnt, alsbald von
diesen erstickt wird. Nur ein einziger Baum besteht diesen Kampf
bisweilen siegreich und man sieht seinen hohen Stamm mit
dunkelgrüner Schirmkrone oft einzeln mitten aus den Patnas
hervorragen; es ist die Bergmyrte mit giftigen, birnförmigen
Früchten (Careya arborea). Fast alle Gräser liefern ein
schlechtes Viehfutter und zeichnen sich durch trockene, harte und rauhe
Blätter, scharfe und spröde Stengel aus, viele zugleich durch
aromatischen Geruch. Theils sind es echte Gramineen, theils Cyperaceen
und Restiaceen.
Der dichte Hochwald, der mit diesen Patnas abwechselnd und
gewissermaßen große unregelmäßige Inseln in
dem ausgedehnten Graslande bildet (ähnlich wie in den Prairien
von Nord-Amerika), besitzt denselben ernsten und düsteren
Charakter, der alle Wälder des Hochlandes, vom Adams-Pik bis
hinüber zum Pedura auszeichnet. Obwohl die Bäume
desselben sehr zahlreichen verschiedenen Arten und Gattungen
angehören, stimmen sie doch in der allgemeinen Physiognomie
meistens sehr überein; und da Blüthen und Früchte oft
fehlen, hält es sehr schwer, sie zu unterscheiden. Die Blätter
sind meistens lederartig, oben dunkel braungrün oder
schwärzlich grün, oft glänzend; unten heller,
häufig graugrün, silber- oder rostfarben. Die starken,
knorrigen Stämme sind mit gelben Moosen und Flechten oft ganz
umwickelt und außerdem mit Massen von Schmarotzern bedeckt,
unter denen sich Orchideen und Leguminosen ddruch ihre
prächtigen Blüthen auszeichnen.
Horton-Plain´s Resthouse liegt eben so hoch, wie der Gipfel des Adams-
Pik, 7200 Fuß; mithin tausend Fuß höher als das Becken
von Nurellia. Diese Steigung fällt größtentheils auf die
zweite Hälfte des Weges, während die erste Hälfte sich
in wellenförmigem Hügellande, abwechselnd bergauf und
bergab bewegt. Ungefähr in der Mitte zwischen beiden
stießen wir auf einige leere Rohrhütten, die von einer
Jagdgesellschaft vor einiger Zeit errichtet waren, und hier wurde eine
Stunde Mittagsrast gehalten. Einige wilde Bergbäche abgerechnet,
die wir auf übergelegten Baumstämmen überschritten,
bot der Weg keine besonderen Schwierigkeiten.
Sobald wir nach Ueberwindung einer steilen, von einem schönen
Wasserfalle durchrauschten Schlucht, die höhere Stufe des
Plateau´s erklommen hatten, begannen die charakteristischen Nillu-
Wälder, die Lieblingsaufenthalt der wilden Elephanten. Die
großen, zum Theil ganz frischen Dunghaufen derselben, die hier
überall zerstreut lagen, sowie das niedergetretene Gebüsch
bewiesen zur Genüge, wie häufig ihre Herben hier noch sein
mußten. Da wir alle Augenblicke auf eine solche stoßen
konnten, bemächtigte sich des ganzen Kuli-Trosses eine große
Aufregung, und während die Träger vorher in kleineren
Gruppen weit auseinander zerstreut gewandert waren, schlossen sie sich
nun eng zusammen und gingen auf dem schmalen Pfade im
Gänsemarsch dicht hinter einander, in einer langen Linie.
Die N i l l u -
W ä l d e r , welche
ich hier in Horton-Plain´s in der größten Entwickelung und
Ausdehnung antraf, bilden eine sehr eigenthümliche
Waldformation und führen ihren Namen von verschiedenen Arten
der Acanthaceen-Gattung
S t r o b i l a n&
nbsp;t h u s , von den Eingeborenen Nillu
genannt. Sie sind das bevorzugte Lieblingsfutter der Elephanten;
meistens dünne, schlanke Stämmchen von 15-20 Fuß
Höhe, in dicht gedrängten Garben neben einander wachsend
und oben mit hübschen Blüthenähren
geschmückt. Die schönste von ihnen (St. pulcherrimus)
zeichnet sich durch prächtig carmoisinrothe Färbung der
Stengel und Blüthenrispen aus, und da sie in dichten Massen das
ganze Unterholz des Hochwaldes bildeten, brachten die durchfallenden
Strahlen der sinkenden Abendsonne inihnen einen wundervollen Effect
hervor. Die Elephanten fressen sich durch dieses dichte Unterholz
förmlich hindurch. Einer geht immer hinter dem anderen; alles
Gebüsch, das nicht gefressen wird, wird flach niedergetreten, und
wenn eine Herde von zwanzig oder dreißig solcher Colosse hinter
einander durch den Urwald marschirt ist, hat sie eine glatte Straße
von einem Meter Breite gebahnt, wie man sie hier nicht angenehmer
sich wünschen kann. Solche Elephantenstraßen waren es, auf
denen wir in den nächsten Tagen uns fast ausschließlich
bewegten, und nur mit ihrer Benutzung konnten wir mehrere sehr
interessante Excursionen machen. Freilich sind aber diese bequemen
Straßen auch nicht ungefährlich. Denn wenn man auf einer
solchen plötzlich einer Elephantenherde begegnet, ist an
Ausweichen nicht zu denken und man muß daher stets auf der Hut
sein.
Die Sonne war bereits untergegangen und es wurde schon ziemlich
dunkel, ehe wir beim Austritte aus einer Waldinsel auf die freie Patna in
der Entfernung einer Meile des ersehnten weißen Rasthauses
ansichtig wurden. Neuer Muth durchdrang die ermattete und zum Theil
schon recht niedergeschlagene Gesellschaft. Aber wir mußten noch
einen tiefen Thaleinschnitt hinab und herauf klettern, um zu dem auf
der jenseitigen Lehne gelegenen Rasthause zu gelangen. In der Tiefe des
Einschnittes toste ein wilder Bach, über welchen anstatt der
Brücke ein übergelegter Baumstamm führte. Wir
waren recht froh, als endlich der ganze Troß im Dunkeln
glücklich diesen gefährlichen Weg passirt hatte und wir
wohlbehalten am ersehnten Ziele waren. Rasch wurden Feuer
angemacht, die öden Räume der einsamen Steinhütte
so behaglich als möglich hergerichtet, und der Reis nebst
Hühner-Curry mit einem Appetite verzehrt, der den
Anstrengungen des Tagemarsches entsprach. Die Temperatur, die
Mittags in der Sonne gegen 30o R. betragen hatte, war jetzt
auf 8o gesunken, und wir fühlten uns daher drinnen
am Kaminfeuer, in wollene Decken eingewickelt, sehr behaglich,
während unsere Kuli´s, draußen im halboffenen Schuppen
gelagert, an die großen Feuer so nahe heranrückten, als ohne
Verbrennungen möglich war.
Das Wetter blieb während unseres Aufenthaltes in Horton-Plain´s
Rasthaus fortwährend schön und begünstigte die
interessanten Ausflüge, die wir in die wilde Umgebung dieser
weltentlegenen Einsiedelei machten. Die erfrischende Hochgebirgsluft
wirkte außerordentlich anregend; nur unsere arme Haut, durch
gleichmäßige feuchte Hitze des Tieflandes sehr
verwöhnt, hatte viel zu leiden. Gesicht und Hände sprangen
so auf, wie bei uns mitten im Winter, theils in Folge der ungewohnten
Trockenheit der dünnen Luft, theils auf Grund der starken
Temperaturwechsel. Während das Thermometer in den
heißen Mittagstunden (im Schatten) auf 24-26o R.
stieg, fiel es nach Mitternacht auf 3-4o, und Morgens
früh fanden wir die Patnas vor uns mit Reif bedeckt. Dichter Nebel
lagerte dann auf Berg und Thal, sank aber bald wieder und machte dem
strahlendsten Sonnenscheine mit tiefer Himmelsbläue Platz.
Nachmittags bildeten sich gewöhnlich dicke Haufwolken, ohne
daß es jedoch zum Regen kam; sie gruppirten sich zu
phantastischen Massen, welche die untergehende Abendsonne mit den
prachtvollsten Farben schückte.
Wie das Wetter hier im Februar mich sehr an einen schönen
Spätherbst in der deutschen Heimath erinnerte, so hatte auch die
ganze Hochgebirgslandschaft, gegenwärtig schon dem Ende der
sogenannten „trockenen Jahreszeit" entgegengehend, einen vorwiegend
herbstlichen Charakter. Die dichten Gradecken der Patnas waren
großentheils vertrocknet, mehr gelb und braun als grün
gefärbt. Lange Strecken derselben waren auch braun und schwarz,
mehr oder weniger verkohlt. Die singhalesischen Gebirgshirten, welche
jährlich auf einige Monate mit ihren Herden hier herauf kommen,
haben nämlich die Gewohnheit, vor Eintritt der Regenzeit die
Gradflächen anzuzünden und niederzubrennen, um dadurch
das Grasland zu verbessern. Wir genossen jeden Abend das prachtvolle
Schauspiel dieser ausgedehnten Prairiebrände, die sich bei dem
wellenförmigen Hügelterrain der Hochebene und inmitten
der dunkeln Wälder, die die Patnas umschließen, doppelt
großartig ausnehmen. Bald kroch die rothe Flamme im Zickzack
gleich einer feurigen Riesenschlange an den Bergkanten hinauf; bald
ergriff sie, rasch sich ausbreitend, eine größere Fläche
trockenen Grases und schuf ein Flammermeer, dessen rother Glanz von
den düsteren Wäldern des Hintergrundes und den dunkeln
Wolkenmassen des Firmamentes zurückgeworfen wurde. Dann
wieder stiegen Hunderte von kleinen weißen Rauchwolken aus den
Patnas auf, als ob heiße Geisirquellen aus dem Schoße des
Gebirges hervorbrächen; und die rothen, hellen Feuerstreifen,
welche dieselben blitzartig durchzuckten, vermehrten die vulcanische
Illusion.
Obgleich wir jeden Abend vom Rasthause aus an dem wechselnden
Feuerwerke dieser Grasbrände uns ergötzten, so bekamen
wir doch niemals die Urheber derselben, die singhalesischen Hirten zu
Gesicht; und die vollkommene Einsamkeit, deren wir uns hier erfreuten,
wurde durch keine menschliche Figur gestört.
Wir feiern in unserer deutschen Poesie die herrlichen Reize der
„Waldeinsamkeit" und entschädigen uns durch deren Illusion
für die zahlreichen Qualen, welche unser verschrobenes
Culturleben uns tagtäglich auferlegt. Was ist aber unsere
eingebildete deutsche „Waldeinsamkeit" (im besten Falle wenige Meilen
vom nächsten Dorf entfernt) gegenüber der wahren und
unergründlichen Waldeinsamekeit, welche hier die alten
Urwälder im Hochlande von Ceylon uns darbieten? Hier sind wir
sicher, in Wahrheit ganzh allein mit der ursprünglichen Natur zu
sein. Ich werde niemal die Wonne der stillen Tage vergessen, die ich
hier in den dunkeln Wäldernaudn auf den sonnigen
Grasflächen „am Ende der Welt" zubrachte. Da mein Freund
Trimen, mit besonderen botanischen Aufgaben beschäftigt,
meistens seine eigenen Wege ging, durchstrich ich diese
unberührten Wildnisse theils ganz allein, theils nur von einem
schweigsamen schwarzen Tamil-Kuli begleitet, der mein Gewehr und
Malzeug trug.
Der tiefe Eindruck absoluter Einsamkeit, den diese abgelegenen
Wälder im Hochgebirge von Ceylon hervorbringen, wird nicht
wenig dadurch verstärkt, daß das Thierleben in denselben
auffallend wenige Aeußerungen darbietet. Allerdings sind wilde
Elephanten auch heute noch die Könige dieser Wälder. Aber
ein einziges Mal bin ich ihnen hier wirklich begegnet, und die
großen Russa-Hirsche oder „Elke" (Russa Aristotelis), die hier
noch sehr häufig sein sollen, habe ich zwar mehrmals gehört,
aber niemals gesehen. Auch von den Lippenbären und Leoparden,
den gefürchteten Raubthieren dieser Wälder, habe ich
keinen zu Gesicht bekommen. Diese und die meisten anderen Bewohner
derselben sollen vorzugsweise oder ausschließlich eine
nächtliche Lebensweise führen und sich tagsüber im
kühlen Dickicht versteckt halten. Selbst die großen grauen
Affen (Presbytis ursinus), die hier zahlreich sind, habe ich nur
selten sehen können, obwohl ich ihre grunzende Stimme am
frühen Morgen oft hörte.
Die klagenden melancholischen Stimmen einiger Vögel,
insbesondere der schönen grünen Waldtauben und
Bienenfresser, hört man meistens auch nur am frühen
Morgen. Später ist gewöhnlich das bunte Waldhuhn der
einzige Vogel, der sich hören läßt. Dieser
prächtige Galles Lafayetti steht dem vermuthlichen
Stammvater unseres Haushuhnes ganz nahe. Der Hahn zeichnet sich
durch bunt glänzendes Gefieder, schönen rothbraunen
Halskragen und grünen Sichelschwanz aus, während die
Henne ein unscheinbares, graubraunes Federkleid besitzt. Die
klangreiche Stimme des wilden Hahnes, viel melodischer als das Kikeri
seines cultivirten Vetters, hörte ich oft stundenlang im Walde,
bald näher, bald ferner; denn die rivalisirenden Hähne
führten ihren musikalischen Wettkampf um die Gunst der
kritischen Hennen mit großem Eifer aus. Zum Schusse konnte ich
aber trotzdem selten kommen; denn sie sind so scheu und vorsichtig,
daß beim leisesten Geräusch das Concert verstummt, und
sobald ich ein Mal einen geschossen hatte, blieb der Wald lange Zeit
mäuschenstill.
Oft saß ich hier, mit Malen beschäftigt, stundenlang auf
einam alten Baumstamme, ohne einen einzigen Laut zu vernehmen. Wie
das Vogelleben, so ist auch das Insectenleben, die Ameisen
ausgenommen, auffallend arm, und namentlich von Schmetterlingen und
Köfern sieht man nur sehr wenige, meist unansehnlich Formen.
Das leise Summen schwebender Waldfliegen ist oft der einzige Laut, der
neben dem Gemurmel eines kleinen Baches oder dem Rauschen des vom
Winde bewegten Laubes das tiefe Schweigen des Gebirgsgeistes
unterbricht.
Um so größer ist der Eindruck, den die phantastischen
Baumformen des Urwaldes hervorbringen, die knorrigen, wild
durcheinander gewachsenen Stämme, deren zackige Aeste mit
fußlangen Bärten von rothgelbem Mosen und Flechten
geschmückt sind, und von deren breiten Schultern glänzend
grüne Mäntel von Schlingpflanzen herabhängen. Oft
sind die Stämme unten mit den weißen oder bunt
gezeichneten duftreichen Blüthen parasitischer Orchideen geziert,
während oben über ihrer schwarzgrünen Krone
Schmarotzerpflanzen verschiedener Familien ihre bunten Blüthen
entfalten. Eine ganz besondere Decoration dieser Wälder bilden die
zierlichen schlingenden Bambusen (Arundinaria debilis). Ihre
schlanken, dünnen Rohrhalme klettern hoch oben in die
Bäume hinauf und hängen von deren Zweigen senkrecht,
gleich Ampeln, herab, auf das Zierlichste mit Quirlen von
frischgrünen Blattbüscheln geschückt. Den
größten Schmuck bilden aber auch hier wieder, wie
allenthalben im Hochlande, die prachtvollen baumartigen Alpenrosen
(Rhododendron arboreum) mit den Riesenbouquets ihrer
hochrothen Blüthen. Demnächst sind die wichtigsten
Bäume dieser Hochlandwälder verschiedene Lorber- und
Myrtenbäume, namentlich Eugenien, ferner Rubiaceen und
Ternstroemiaceen. Dagegen vermißt man gänzlich die
gewöhnlichen Baumformen unserer europäischen
Wälder und vor allen die Nadelhölzer. Diese wichtige Familie
fehlt merkwüdigerweise auf Ceylon ganz.
Das schönste Gebirgspanorama, das wir bei unseren Excursionen
auf Horton-Plain´s zu Gesicht bekamen, genossen wir auf dem Gipfel des
T o t a p e l l a
- P i k , den wir am 22. Februar beim
prächtigsten Wetter bestiegen. Derselbe ist 7800 Fuß hoch
und liegt nahe dem östlichen Rande des Plateau´s. Von seinem
schwach bewachsenen Gipfel, der mit prächtigen rothen
Melastomen (Osbeckia buxifolia) geziert ist, genießt man
einen weiten freien Blick nach allen Seiten, nördlich auf die
Gebirge von Nurellia, Pedura und Hakgalla; östlich auf die
Hügellandschaft von Badula und den Namuna-Pik; südlich
auf die Grenzmauern von „Ende der Welt" und westlich auf den Adams-
Pik. Auch der Zugang zu diesem schönen Berggipfel wurde uns
größtentheils nur dadurch möglich, daß wir
ausgetretenen Elephantenpfaden folgten; wo diese fehlten, mußten
unsere Kuli´s mit der Axt uns den Weg durch das dicht verwachsene
Unterholz bahnen.
Am 24. Februar besuchten wir das eigentlich
„ E n d e
d e r
W e l t " („World´s End"), jene
berühmte, aber selten besuchte großartige Felsenschlucht, in
welcher der Südabhang des Hochlandes gleich einer senkrechten
Mauer über 5000 Fuß in das Tiefland hinabstürzt. Der
gewaltige Anblick dieses ungeheuren Abgrundes wirkt um so
überraschender, als man nach zweistündiger Wanderung
durch dichten Wald plötzlich beim Austritte aus demselben die
gähnende Tiefe unmittelbar zu Füßen hat. Wie feine
Silberfäden schlängeln sich die Flüsse unten durch den
grünen Sammetteppich des Thalbodens, in dem man mittelst des
Fernrohres hier und da das Bungalow einer einzelnen Pflanzung erkennt.
Von den oberen Rändern der Felsenschlucht, die mit
prächtigen Baumfarnen geziert sind, stürzen
Wasserfälle herab, die sich (ähnlich dem „Staubbache" im
Lauterbrunner Thale) vollständig in feinen Nebel auflösen,
ehe sie unten ankommen.
An dieser wildesten und großartigsten Stelle von Ceylon war es, wo
ich auch zum ersten und einzigen Male wilde Elephanten in voller
Freiheit erblickte, nachdem ich sie zuvor schon bei der Elephantenjagd
von Lambugama in den Korral hatte treiben sehen. Ich zuerst auf sie
aufmerksam durch das Knistern gebrochener Zweige mitten im
Waldesdickicht, ungefähr fünfzig oder sechzig Fuß
unterhalb der vorspringenden Felsplatte, auf welcher ich stand. Beim
genauen Zusehen entdeckte ich in den wogenden grünen Massen
des Dickichts eine Elephantenherde von zehn bis zwölf Stück,
die in aller Ruhe ihr Nillu-Frühstück einnahm. Außer
den Köpfen und den emporgestreckten Rüsseln, mit denen
sie die Zweige umbogen und abbrachen, war von den meisten wenig zu
sehen. Nachdem ich mich eine Zeit lang an dem seltenen Anblick
geweidet, feuerte ich von meinen sicheren Hinterhalte aus auf die
nächststehenden Elephanten die beiden Schüsse meiner
Doppelflinte ab, natürlich ohne sie irgend zu verwunden, da
letztere nur mit Rehposten geladen war. Die Antwort waren die lauten
Trompetentöne, welche überraschte Elephanten stets
ausstoßen, dann ein lautes Krachen in den dichten Baummassen,
welche die gewaltigen Thiere wie Rohr niedertraten, und in wenigen
Minuten war die ganze davon eilende Herde hinter der nächsten
Felsenecke verschwunden.
Vom „Ende der Welt", das zugleich das Ende unserer höchst
interessanten Hochgebirgsreise war, stiegen wir auf einem steilen,
vielgewundenen Serpentinenpfade durch die prachtvollsten wilden
Waldschluchten hindurch in fünf Stunden nach Nonpareil hinab,
der nächsten Kaffeepflanzung, die am weitesten in diese
Einöden emporgedrungen ist. Dieselbe gehört Capitän
Bayley, demselben unternehmenden Manne, dessen prächtiges
Miramare in Puntogalla ich früher erwähnt habe. Bei seinem
Sohne und Verwalter fanden wir die freundlichste Aufnahme. Wir
hatten die Absicht gehabt, am Nachmittage desselben Tages noch weiter
bis Billahuloya, dem ersten Dorfe dieses Thales hinabzusteigen; allein als
wir noch einem vortrefflich mundenden Mittagessen im 4 Uhr weiter
wandern wollten, brach ein so gewaltiger Gewitterregen los, daß
wir gern der dringenden Aufforderung unserer werthen Gastfreunde
entsprachen, die Nacht bei ihnen zu bleiben.
Nachdem der Regen gegen 5 Uhr aufgehört hatte, erfreuten wir
uns noch eines herrlichen Abends. Wir besichtigten die großartige,
musterhaft angelegte Pflanzung und machten einen Spaziergang durch
deren schöne Schluchten. Hunderte kleiner Wasserfälle, die
den heftigen Güssen ihren momentanen Ursprung verdankten,
stürzten allenthalben von den stielen Felswänden herab. Die
prachtvolle Waldvegetation, welche die engen Schluchten erfüllte,
glänzte im frischesten Grün und namentlich die herrlichen
Guirlanden der Schlingpflanzen, welche von den mächtigen
Schultern der hohen Bäume gleich grünen Kränzen
herabhingen, erregten auf´s Neue unser Entzücken. Muntere Affen
übten auf denselben ihre Seiltänzerkünste. Ganz
besonders aber bewunderten wie die prächtigen Baumfarne
(Alsophila), diese Palmen der Hochlandsschluchten. Ihre
schirmförmigen, zierlichen Fiederkronen mit den gewaltigen und
doch so zarten frischgrünen Wedeln bildeten die schönsten
Schattendächer über den schäumenden
Wasserfällen, über deren Felsenbecken ihre schlanken
schwarzen Stämme sich zwanzig bis dreißig Fuß
erhoben; einzelne Prachtexemplare erreichten hier sogar die seltene
Höhe von fünfundvierzig bis fünfzig Fuß und
darüber. Es war das letzte Mal, daß ich mich an solchen
großartigen Baumfarnen erfreute; denn weiter unterhalb an den
Bächen waren sie viel unansehnlicher und kleiner, und beim
weiteren Herabsteigen in das Tiefland verschwanden sie bald ganz.
XIX. Der schwarze Fluß.
Voll von den herrlichen Eindrücken der Gebirgsreise durch das
Hochland von Ceylon nahm ich am „Ende der Welt" von ihm für
immer Abschied und stieg am 25. Februar von Monpareil nach dem
ersten Dorfe des Thailgrundes, nach Billahul-Oya hinab. Dasselbe liegt
bereits an der „großen Kaffeestraße", welche von den
südöstlichen Kaffeedistricten, aus der Gegend von Badula,
den Kaffee westwärts nach Ratnapura führt. Die Straße
ist stets mit zahlreichen großen Ochsenkarren bedeckt, welche die
Kaffeesäcke abwärts oder umgekehrt die
Culturbedürfnisse der Kaffeepflanzer aufwärts schaffen. Bei
Ratnapura wird der K a l u -
G a n g a , der große
„schwarze Fluß" von Ceylon, schiffbar. Hier wird der Kaffee in
großen Booten verschifft, welche denselben flußabwärts
bis zu dessen Mündung bei Caltura führen, und von hier
endlich gelangt er auf der Eisenbahn nach Colombo.
Ich hatte mit meinem Freunde Trimen beschlossen, für unsere
Rückreise nach Colombo diesen Kaffeeweg (den er ebenfalls noch
nicht kannte) zu adoptiren und zunächst von Billahil-Oya mit dem
Ochsenkarren nach Ratnapura zu fahren, von dort zu Boot den
schwarzen Fluß hinab nach Caltura, und dann mit der Eisenbahn
nach Colombo. Diese ganze Fahrt erwies sich als höchst lohnend
und sowohl die beiden interessanten Tage im Ochsenkarren, als
besonders die wundervolle Flußfahrt bereicherten uns mit einer
Reihe der schönsten Bilder, ein würdiger Abschluß der
gelungenen Gebirgsreise.
Das kleine Dorf Billa-Hul-Oya (d. h. wörtlich „Opfer-Fackel-Bach")
führt seinen Namen von dem prächtigen Gebirgsbache, der
hier in rauschenden Wasserfällen aus einer großartigen
Schlucht des südlichen Gebirgsabsturzes hervorbricht und sich mit
einem kleineren, vom „Ende der Welt" direct herabkommenden Bache,
sowie mit mehreren anderen Bächen vereinigt. Die engen felsigen
Betten dieser wilden Bäche sind mit der prachtvollsten Vegetation
geschmückt und von steilen, himmelhohen Thalwänden
überragt, die der ganzen, nach Westen geöffneten
Landschaft einen höchst großartigen Charakter verleihen.
Schon beim Hinabsteigen von Nonpareil hatte uns dieselbe so
entzückt, daß wir ine paar Tage an diesem herrlichen Orte zu
bleiben beschlossen. Das Rasthaus des Dorfes liegt sehr schön an
der steinernen Brücke, welche den Bach überwölbt,
und ist von einer gewaltigen Tamarinde überschattet; einen
großartigen Hintergrund darüber bildet das
Felsenamphitheater vom „Ende der Welt". Die Verpflegung in dem
comfortablen Rasthause fanden wir auch
verhältnißmäßig recht gut; wenigstens kam es uns
nach den Entbehrungen in der Steinhütte von Horton-Plain´s so
vor. Wir entließen demzufolge den ganzen Troß unserer Kuli´s
und behielten bloß ein paar Diener bei uns, die uns bis Caltura
begleiten sollten. Die Kuli´s nahmen ihren directen Rückweg nach
Kandy und Nurellia über den Adams-Pik.
Während Dr. Trimen die reiche Flora in der Umgebung von
Billahul-Oya untersuchte und durch die Entdeckung mehrerer neuer
interessanter Pflanzenarten belohnt wurde, machte ich allein einige
Excursionen in die verschiedenen Thäler und bereicherte mein
Skizzenbuch mit mehreren Aquarellen. Ich bedauerte nur, daß ich
hier nicht mehrere Wochen, statt weniger Tage bleiben kann. Denn die
tropische Vegetation, an deren Reize ich nun doch schon seit mehr als
drei Monaten gewöhnt war, schien hier am südlichen
Fuße des centralen Hochlandes ihre höchste Entfaltung zu
erreichen. Da die brennende Tropensonne hier ihren mächtigsten
Einfluß ausübt und gleichzeitig die Menge der
atmosphärischen Niederschläge an der gewaltigen
Gebirgsmauer überaus groß ist, so bringt die vereinte
Wirkung von größter Hitze und Feuchtigkeit eine Ueppigkeit
des tropischen Pflanzenwuchses hervor, die vielleicht von keiner
anderen Stelle der Erde übertroffen wird. Indem ich stundenweit
dem Laufe der Bäche folgte und in den steilen Felsenschluchten
umherkletterte, stieß ich auf Wunderwerke der Ceylon-Flora, die
alles bisher Gesehene übertrafen. Insbesondere waren es wieder
die parasitischen Kletter- und Schlingpflanzen, die meine höchste
Bewunderung erregten. Mächtige Baumstämme von mehr als
ein Fuß Dicke winden sich hier korkzieherartig um die
cylindrischen Säulenstämme von anderen Baumriesen, die
mehr als hundert Fuß Höhe erreichen; in ähnlicher
Weise wie bei uns die zarte Waldrebe oder der wilde Wein mit ihren
bindfadendünnen Kletterstengeln sich um den Stamm von
schlanken Buchen oder Tannen emporwindet. Von den gewaltigen
Kronen hoher Terminalien und Dillenien hängen grüne
Mäntel herab, die aus einem förmlichen Flechtwerke von
verwachsenen Lianen bestehen, und oft bedecken die goldgelben
Blüthen der letzteren die Krone der ersteren in solcher
Ausdehnung, daß man sie nicht für die Blüthen der
Schmarotzer, sondern ihrer Wirthe hält. Unzweifelhaft der
großartigste dieser Parasiten ist jedoch der berühmte
„Maha-Pus-Wael", der „große hohle Kletterer" (Entada
Pursaetha); seine reifen Schoten sind volle fünf Fuß lang
und einen Fuß breit, und enthalten schöne braune Bohnen
von solcher Größe, daß die Singhalesen sie
aushöhlen und als Trinkbecher benutzen.
Nicht minder herrlich als dieses Djungle mit seinen mannigfaltigen
Parasiten ist auch die niedere Flora, welche in üppigster
Entwickelung die Felsen der rauschenden Bäche begleitet. Hier
zeichnen sich besonders edle Farne mit zierlichen Fiederblättern
von zehn bis zwölf Fuß Länge aus, ferner Balsaminen,
Aroideen und Gewürzlilien, die mit den prächtigsten
großen Blüthen geschückt sind. Eine besondere Zierde
der Bäche ist hier eine kleinere Pandanus-Art (P. humilis?),
die kleinen Zwergpalmen ähnlich sehen und in Menge auf den
Steinen im Bache wachsen. Die Lianen an dem Buschwerke, das die
Bachufer überhängend säumt, bilden ein so dichtes
und undurchdringliches Gewebe, daß man nur im Bette der
Bäche selbst vorwärts kommen kann. Allerdings reicht das
Wasser oft bis über den Gürtel; aber bei der Temperatur von
22-24o R. erscheint das fortgesetzte Baden in demselben als
eine höchst angenehme Erfrischung.
Größere Schwierigkeiten bereitete meinen Excursionen der
Hauptbach des Thales, der zu den bedeutendsten Zuflüssen des
schwarzen Flusses gehört und hier aus dem Zusammenflusse
mehrerer kleiner Bäche entsteht. Durch die starken
Regengüsse, welche an den vorhergehenden Tagen im Hochlande
stattgefunden hatten, war derselbe so sehr angeschwollen, daß er
eine Reihe von hübschen Wasserfällen bildete und seine
Wassermassen unter lautem Brausen schäumend über die
gewaltigen Granitblöcke des Flußbettes fortwälzte. Hier
war nicht mehr daran zu denken, im Flußbette selbst
aufwärts zu klettern, und ich war gezwungen, als Brücken
die nackten Baumstämme zu benutzen, die von einem Ufer zu
anderen gelegt waren. Mit einigem Gruseln erinnere ich mich hier einer
solchen Nothbrücke, die ungefähr eine Stunde unterhalb von
Billahul-Oya hoch über eine rauschenden Wasserfall führte.
Ich war spät am Abende, auf dem Rückwege von einer
weiteren Excursion, gezwungen, dieselbe zu passiren , um noch vor
Anbruch der Nacht auf das jenseitige Ufer zu gelangen.Als ich mitten
über dem tosenden Wasserfalle war, fing der ziemliche
dünne Baumstamm, über den ich langsam und vorsichtig
balancirte, dergestalt zu schwanken an, daß ich es für das
Gerathenste hielt, meine aufrechte Stellung aufzugeben, mich langsam
auf den Stamm niederzulassen und den Rest des Weges im Reitsitze zu
passiren; ich athmete ordentlich auf, als ich mit Aufgebot aller meiner
Turnkünste das andere Ufer glücklich erreicht hatte.
Allerdings hatte ich nun das Vergnügen, im Dunkeln noch eine
halbe Stunde durch überschwemmte Reisfelder zu waten. Als ich
schließlich halb mit Schlamm bedeckt im Rasthause anlangte,
zeigten mir die langen Blutstreifen an den Beinkleidern deutlich,
daß die entsetzlichen Blutegel wieder ihr Werk begonnen hatten;
ich las ihrer mehrere Dutzend von den Beinen ab. Diese schreckliche
Landplage, die im Hochlande glücklicherweise ganz fehlt, begann
hier im heißen feuchten Tieflande sofort wieder ihre Qualen; ich
habe an wenigen anderen Orten von Ceylon so sehr von den
Landblutegeln gelitten, als in den wundervollen Wäldern und
Schluchten von Billahul-Oya.
Die Fahrt im Ochsenkarren von Billahul-Oya nach Ratnapura nimmt zwei
volle Tage in Anspruch; und da die Ochsen während der
heißen Mittagszeit mehrere Stunden rasten müssen, brachen
wir schon Morgens früh um 4 Uhr auf. Die erfrischende
Kühle der reinen Morgenluft und der außerordentliche Glanz
der funkelnden Gestirne am tiefblauen Firmament ist in diesen
Thälern ganz wundervoll und wir gingen mehrere Stunden lang
neben den bedächtigen, großen Zebu-Stieren unseres langsam
fahrenden zweirädrigen Karrens einher, ehe die zunehmende Hitze
der steigenden Sonne uns zwang, unter dessen breitem Dache Schutz zu
suchen. Dieses gewölbte Dach aus Palmenmatten bietet
genügenden Raum für sechs bis acht Personen, und wir
konnten uns auf ausgebreiteten Matten unter demselben ganz bequem
lagern, obgleich die Stöße des federlosen Karrens auf die
Dauer etwas angreifend waren.
Die Landschaft ist auf dieser ganzen Strecke voll hoher Schönheit.
Der Weg zieht sich anfangs noch lange am Südabhange des
Hochlandes hin, dessen gewaltige Gebirgsmauern die Ketter der
niedrigen waldbedeckten Vorberge hoch oberragen. Die fruchtbare
Thalebene an ihrem Fuße erweitert sich allmählich und ist
theils mit Reisfeldern, theils mit Pflanzungen von Mais, Cassaven,
Bananen und anderen Nutzpflanzen bedeckt. Hübsche
Waldpartien, mit diesen wechselnd, hier und da ein malerisches Dorf, ein
Wasserfall des immer stärker werdenden Baches, bringen
Mannigfaltigkeit in das anmuthige Bild. Papageien und Affen auf den
Bäumen, Büffel und Reiher auf den Wiesen, Eisvögel
und Kraniche an den Bächen sorgen für bunte Staffage. Auch
die Straße selbst ist sehr belebt, theils durch Singhalesen, theils
durch Ochsenkarren.
Nach heißer, achtstündiger Fahrt rasteten wir am ersten
Mittage in M a d u l a ,
einem kleinen Dorfe, das sehr malerisch in einer engen Waldschlucht
liegt. Ich erquickte mich alsbald durch ein herrliches Bad in dem nahen
Gebirgsbache; sein Genuß wurde nur durch Scharen kleiner Fische
(Cyprinodonten?) beeinträchtigt, welche in dichten Haufen
energische Angriffe auf den seltenen Badegast richteten; leider gelang es
mir nicht, einen der kleinen flinken Räuber zu fangen, trotzdem
sie unaufhörlich aus ihrem felsigen Verstecke hervorschossen und
mit ihren kleinen Mäulchen muthig zu beißen versuchten.
Nach dem Mittagessen kletterte ich in das steinige Bett des Hauptbaches
hinab, dessen steile Felsenufer mit dem schönsten Hochwalde
geschmückt und mit den üppigsten Schlingpflanzen
phantastisch decorirt waren. Gleich natürlichen Seilbrücken
rankten sich mächtige Stämme von wildem Weine (Vitis
indica?) in hohem Bogen von einem Ufer zum anderen, und es
gewährte ein prächtiges Schauspiel, eine Affenherde, die ich
aufgescheucht hatte, eben so geschwind als gewandt über diese
Lianenbrücke unter lautem Geschrei hinüber voltigiren zu
sehen. Ich kletterte in dem schäumenden Wasser über die
glatten Felsen noch eine Strecke weiter, wo ein paar Riesenbäume
erster Größe (Terminalien?) wie Säulen zum Himmel
emporstrebten, mit mächtigen Lianen wie mit Kränzen und
Guirlanden geschmückt. Während ich eine Skizze der wilden
Scenerie aufnahm, entluden sich die inzwischen gesammelten Wolken in
einem heftigen Gewitter. Die gewaltigen Blitze durchzuckten das finstere
Waldthal Schlag auf Schlag und der Wiederhall der Donnerschüsse,
einem starken Artillieriefeuer gleich, war so heftig, daß ich meinte,
die mächtigen Felsenblöcke erzittern zu sehen. Der folgende
Regenguß war von solcher Heftigkeit, daß das Wasser in
zahllosen Bächen von den Felsenkanten herabstürzte und ich
fürchtete, mein ganzes Malzeug durchnäßt zu sehen.
Aber der tausendjährige Feigenbaum, unter dessen ungeheurer
Krone ich Schutz gesucht hatte, trug ein so dichtes Blätterdach,
daß nur einzelne Tropfen dann und wann durchschlüpften
und ich mein Aquarell unbehelligt vollenden konnte.
Ueber eine Stunde hielt der gewaltige Regenguß an; als ich nach
Aufhören desselben zum Rasthause wieder hinaufkletterte,
hätte ich beinahe einen schönen Fang an einer stattlichen,
über sechs Fuß langen Schlange gemacht, die von einem
überhängenden Baumzweige herabglitt. Sie
entschlüpfte jedoch rasch zwischen den angehäuften
Blättermassen, ehe ich ihr mit dem Jagdmesser den Garaus
machen konnte. Zum Ersatze dafür erbeutete ich hier mehrere
riesengroße, stachelige Spinnen (Acrosoma?), die mit ihren
dünnen, behaarten Beinen spannenlang waren. Außerdem
schoß ich ein paar hübsche grüne Papageien, von denen
ein ganzer Schwarm laut schreiend vorüberflog.
Die ersten Nachmittagsstunden, in denen die siegreiche Sonne das
frischgewaschene Waldthal mit tausend glitzernden Diamanten
schmückte, waren von entzückender Schönheit.
Später brach leider der Regen von Neuem los und zwang uns, im
Ochsenkarren Schutz zu suchen. Wir begegneten vielen Singhalesen, die
unverdrossen im strömenden Regen mit stoischem Gleichmuthe
weiter marschirten, aber ein großes Caladiumblatt über dem
Haupte hielten, um ihren theuren Zopf und Kamm vor Nässe zu
schützen. Erst spät am Abende gelangten wir nach
Palmadula, einem größeren schön gelegenen Dorfe, in
dem wir übernachteten.
Von Pelmadula an wird die Gegend offener und flacher. Die gewaltigen
Bergmassen des eigentlichen Hochlandes treten mehr zurück;
wogegen niedrigere Hügelreihen sich mehr geltend machen. Unter
den ersteren ragt dominirend über seine Nachbarn der Adams-Pik
hervor, obwohl er von dieser südlichen Seite bei Weitem nicht so
großartig erscheint, als von der östlichen und
nördlichen Seite. Die Vegetation nimmt hier schon mehr und mehr
den Charakter an, den sie im ganzen südwestlichen Theile der
Insel beibehält. Insbesondere erfreuten wir uns wieder an dem
Schmucke der herrlichen Palmen, deren Anblick wir im Hochlande ganz
entbehrt hatten.
Da wir am 28. Februar sehr frühzeitig von Pelmadula
aufgebrochen waren, trafen wir in Ratnapura schon Mittags bei guter
Zeit ein und konnten noch mehrere Stunden auf den Besuch dieses Ortes
und seiner nächsten Umgebung verwenden. Letztere ist sehr
schön; das Thal, das sich hier zu einem stattlichen, rings von
Bergen umschlossenen Kessel erweitert, ist gut cultivirt und mit der
üppigsten Vegetation geschmückt. Dagegen bietet der Ort
selbst nur wenig, und wenn man aus seinem stolzen Namen: „Stadt der
Edelsteine" etwa auf seine besondere Pracht schließen wollte, so
würde man arg enttäuscht sein. Jener Name rührt von
den zahlreichen Edelsteinen her, durch deren Reichthum diese Gegend
seit Jahrhunderten berühmt ist; sie finden sich sowohl im
Gerölle der Flüsse und Bäche, als in dem moorigen
Grunde des Thalbodens; und noch jetzt gibt es hier berühmte
Edelsteingruben, obwohl der Ertrag derselben bei Weitem nicht mehr so
groß ist, als früher. Im Orte selbst sieht man viele
Läden, in denen dergleichen verkauft werden, und viele Indo-
Araber („Moormen"), die sich mit ihrer Verarbeitung und Schleifung
beschäftigen. Doch nimmt auch hier schon die Zahl der
künstlichen Imitationen neuerdings sehr zu, und wahrscheinlich
werden schon jetzt in Ratnapura (ebenso wie in Colombo und Puntogalla)
viel mehr geschliffene, aus Europa importirte, bunte Gläser
verkauft, als echte, daselbst gefundene Edelsteine. Die Kunst der
Nachahmung ist jetzt so vervollkomment, daß selbst Mineralogen
und Juweliere von Fach ohne nähere physikalische und chemische
Untersuchung die echten und unechten Producte oft nicht unterscheiden
können.
In der Mitte von Ratnapura, auf dem rechten (nördlichen) Ufer des
schwarzen Flusses, steht unter einem prächtigen, uralten
Tamarindenbaume ein hübscher Brunnen. Oestlich davon erhebt
sich auf einem Hügel das alte holländische Fort, dessen
weitläufige Bauten jetzt als Gerichts- und Verwaltungs-Locale der
Regierungsbeamten benutzt werden. Am Fuße des Hügels
dehnt sich der Bazar aus, eine lange Doppelreihe von einstöckigen
Hütten, in deren Läden hauptsächlich Lebensmittel,
Gewürze und Hausgeräth neben den Edelsteinen feilgeboten
werden. Einige andere Gruppen von Hütten längs des
Flußufers und eine Anzahl von freundlichen Bungalows der
englischen Beamten, die von hübschen Gärten umgeben in
der parkähnlichen Thalfläche zerstreut liegen, bilden mit
jenem Bazar und dem Fort zusammen das, was man die „Stadt der
Edelsteine" nennt. -
Am 1. März fuhren wir von Ratnapura den schwarzen Fluß
hinab, den K a l u -
G a n g a , der hier erst schiffbar
wird. Nächst dem Mahawelli-Ganga (der ostwärts fließt
und bei Trinkomalie mündet) ist er der größte,
stattlichste und schönste Fluß von Ceylon, obwohl der bei
Colombo mündende Kelany-Ganga ihm fast gleich kommt. In der
Nähe des Rasthauses von Ratnapura befindet sich der Hafen des
Ortes, d. h. die Stelle, an welcher die Flußschiffahrt beginnt und
eine große Menge Boote vor Anker liegen. Die meisten dieser
Kähne sind „Kaffeeboote", welche den aus den östlichen
Kaffeedistricten hierher geschafften Kaffee stromabwärts nach
Caltura befördern, und welche leer (oder nur schwach mit
Importartikeln beladen) den beschwerlichen Rückweg mache. Die
Boote sind entweder Doppelcanoes, aus zwei parallelen, hohlen
Baumstämmen bestehend, die durch Querbalken und
übergelegte Bretter fest verbunden sind; oder mit einem sehr
breiten und ganz flachen Boden ausgestattet, ohne Kiel. Vorder- und
Hintertheil sind gleich gebaut. Stets sinddie mit einem ansehnlichen und
wasserdichten Dache aus Palmen- oder Pandangmatten versehen, die
über Bambusbögen ausgespannt sind. Der saalartige Raum
unter diesem Dache, nur vorn und hinten geöffnet, ist so
geräumig, daß auf den kleineren Booten 8-10, auf den
größeren 20-30 Leute bequem darin lagern können.
Auf den größeren Booten ist der Raum auf durch quer
gestellte Mattenwände in mehrere Abtheilungen getrennt. Wir
mietheten ein kleines Doppelcanoe mit vier Ruderern.
Bei hohem Wasserstande und gutem Wetter kann man die ganze Fahrt
auf dem schwarzen Flusse, von Ratnapura bis zur Mündung bei
Caltura, in einem einzigen Tage zurücklegen, während man
bei niederem Wasserstande oder schlechtem Wetter dazu zwei bis vier
Tage braucht. Durch die heftigen Regengüsse der letzten Tage
waren die Zuflüsse plötzlich so angeschwollen, daß wir
den Vortheil eines sehr hohen Wasserstandes genossen und die ganze
Fahrt ununterbrochen in achtzehn Stunden zurücklegten. Wir
fuhren Morgens um 6 Uhr von Ratnapura ab und waren um Mitternacht
in Caltura. Ich bedauerte diese Schnelligkeit nachher sehr; denn die
Scenerie des Flusses erwies sich fast überall so prachtvoll,
daß ich gern die doppelte und dreifache Zeit auf ihren Genuß
verwendet hätte.
Unsere Stromfahrt war vom schönsten Wetter begünstigt
und ich werde nie die wunderbare Reihe von prachtvollen Bildern
vergessen, die hier wie in einer Laterna magica an mir
vorüberzog. Ich war neben meinem Freunde Trimen ganz vorm im
Boote auf einer Palmenmatte bequem gelagert und durch das
vorspringende Dach gegen die Sonne geschützt, während
unsere Diener und Schiffsleute den mittlieren und hinteren Theil
einnahmen. Hier wurden auch unsere frugalen Mahlzeiten bereitet,
bestehend aus Thee, Reis und Curry, Bananen und Cocosnüssen; als
besondere Würze dienten ein paar Conservenbüchsen und
Chocoladentafeln, die wir bis zuletzt aufgespart hatten.
Die dichten Massen des überhängenden dunkelgrünen
Laubes und der schwarze Spiegel, den ihr tiefes Dickicht am Ufer im
Wasser hervorruft, haben dem Kalu-Ganga, dem „schwarzen Flusse",
seinen bezeichnenden Namen gegeben. Das Wasser selbst ist bei
niederem Wasserstande dunkelgrün bis rothbraun, in Folge der
großen Mengen gelben oder rothen Lehmes, welche die
Regengüsse hinein führen. Ummittelbar am Ufer liefern
schroffe Felsen und mannigfaltige Steingruppen,
überhängende Zweige und entwurzelte Baumstämme
dem Landschafter den schönsten Vordergrund für seine
Skizzen; den erhabensten Hintergrund bilden die schöngeformten
Gipfel der Berge, die in blauen Nebelduft getaucht weit höher
erscheinen, als sie wirklich sind.
Der weitaus größte Theil des Flußufers ist anscheinend
von dichten Waldmassen gebildet; Aralien und Terminalien, Dillenien
und Bombaceen, Rubiaceen und Urticeen machen ihren wichtigsten
Bestandtheil aus. Mit dem ernsten Dunkelgrün dieses Waldes
wechselt in anmuthiger Weise das heitere Lichtgrün der
Bambusen, deren orangegelbe, vierzig bis fünfzig Fuß hohe
Rohrstämme sich in dichten Büschen erheben und die
zierlichen Federkronen gleich den Büscheln riesiger
Straußenfedern über das Wasser neigen. Daneben verrathen
uns Cocos und Areca, Talipot und Kittulpalmen, hier und da auch eine
Pflanzung von Bananen und Cassaven, daß hinter dem
Ufergebüsche auch Leute hausen, und daß die Flußufer
keineswegs so wild und unbewohnt sind, wie ihr Waldsaum es
vorspiegeln möchte. Seltener stehen einsame singhalesische
Hütten einzeln auf einem Felsenvorsprunge des Ufers selbst, und
noch seltener bezeichnet die weiße Kuppel einer Dagoba die
Nähe eines kleinen Dorfes.
Auch das Thierleben trägt in mannigfaltiger Weise zur Belebung
der reizenden Flußlandschaft bei. In der Nähe der
singhalesischen Hütten treiben sich zahme, schwarze Schweine am
Ufer umher und wühlen in den Wurzeln der Bäume.
Große schwarze Büffel wälzen sich auf
Sandbänken oder am seichteren Ufer im Schlamme und lassen nur
den Kopf über das Wasser hervorragen. Wo hingegen eine
längere Strecke einsamen Waldes folgt, zeigen große Scharen
von schwarzen Affen ihre bewunderungswürdigen
Turnkünste und springen unter lautem Geschrei von einer
Baumkrone zu anderen. Hier und da erscheint ein riesiger uralter
Feigenbaum, dessen hohe entblätterte Aeste dicht mit
Flederfüchsen behangen sind. Auf den überhängenden
Zweigen am Ufer sitzen prächtige blaugrüne
Königsfischer oder Eisvögel und stürzen sich tauchend
auf die vorbeischwimmenden Fische; Schnepfen, Reiher,
Wasserläufer und andere Stelzvögel fischen an seichteren
Stellen und auf den Sandbänken watend. Die Kronen der
Bäume sind von den munteren Scharen der grünen und
rothen Papageien belebt. Bisweilen zeigt sich auch der schöne
„Paradiesvögel von Ceylon", mit seinen beiden langen, weißen
Schwanzfedern. Crocodile waren früher im schwarzen Flusse sehr
häufig, sind aber jetzt größtentheils durch den
zunehmenden Verkehr der Kaffeeboote verdrängt worden. An
ihrer Stelle sonnen sich auf den Felsen im Strome die grünen
Rieseneidechsen, die „Cabra-Goya". Auch an großen
Flußschildkröten, die ihre Eier auf den Sandbänken
ablegen, fehlt es nicht. Von Fischen sieht man in dem trüben,
undurchsichtigen Wasser wenig, obwohl welsartige (Siluroiden) und
karpfenartige (Cyprinoiden) sehr häufig sein sollen; hier und da
sitzt am Waldrande ein einsamer Singhalese, der angelt, oder mit dem
Schöpfnetze fischt. Von Insecten sind namentlich prachtvolle
große Schmetterlinge und metallglänzende Wasserjungfern
oder Drachenfliegen zu erwähnen; Stechfliegen und Mosquito´s, die
zu anderen Jahreszeiten äußerst lästig sein sollen,
waren während unserer Fahrt erträglich.
Die interessanteste Episode unserer herrlichen Flußfahrt war die
Passage der gefürchteten
S t r o m s c h n
e l l e n oder „Rapids", die
ungefähr halbwegs zwischen Ratnapura und Caltura der Schiffahrt
auf dem schwarzen Flusse ein gefährliches Hindernis bereiten. Der
Kalu-Ganga bricht sich hier gewaltsam Bahn durch mehrere
Felsenbarren, welche das Flußthal gleich queren Riegeln
durchsetzen; die hohen Ufer treten enger zusammen und unter lautem
Brausen stürzt der eingeengte Fluß schäumend
zwischen einzelnen Felsen hindurch; das Gefälle ist hier auf kurze
Strecken sehr beträchtlich. An der gefährlichsten Stelle
mußte unser Boot vollständig ausgeladen und alle Sachen
einzeln eine Strecke weit am Ufer hinabgetragen werden; wir selbst
kletterten über mächtige Granitblöcke an das andere
Ende der Stromschnelle. Eine Anzahl Eingeborener sind hier
beständig stationirt, um die entleerten Boote über die
schäumenden Wasserfälle hinab und hinauf zu schaffen. Ein
halbes Dutzend derselben, unter ihnen ein riesiger schwarzer Tamil von
mehr als sechs Fuß Länge und herkulischem
Körperbaue, sprangen unter lautem Geschrei mitten in die
schäumende Fluth und wußten das leere Boot so geschickt
durch das enge Thor hindurchzuleiten, daß es ohne alle
Beschädigung zwischen den zackigen Klippen hindurchschoß.
Einige Stunden unterhalb dieser Stromschnellen erweitert sich das
Flußbett bedeutend und geht allmählich in die flache Ebene
des westlichen Küstenlandes über. Das Gefälle wird
hier bald sehr schwach und unsere Bootsleute hißten ein
großes, viereckiges Segel auf, um durch die Hilfe des sanften
Abendwindes die Ruderarbeit zu fördern. Bald nach Einbruch der
Dunkelheit ergoß der aufgehende, nahezu volle Mond sein sanftes
Licht über die weite spiegelnde Wasserfläche und warf
glitzernde Strahlen durch die Kronen der Bäume. Der schwarze
Fluß erscheint hier im untersten Theile seines Laufes nicht weniger
stattlich als der Rhein bei Cöln. Nur die glockenähnlichen
Stimmen kleiner Laubfrösche und das monotone Plätschern
der Ruder unterbrach die lautlose Stille der Nacht, dann und wann der
melancholische Schrei einer Eule, oder das Grunzen eines Affen. Die
ganze Natur schien sanft entschlafen, als wir endlich nach Mitternacht in
Caltura landeten.
XX. Heimwärts über Aegypten.
Die prachtvolle Reise durch das Hochland, welche mit der Thalfahrt auf
dem schwarzen Flusse ihren reizenden Abschluß fand, hatte das
Programm meiner wichtigsten Wünsche und Ziele auf der
Wunderinsel Ceylon geschlossen und ich mußte mich nun zur
bevorstehenden Heimreise rüsten. Allerdings hätte ich sehr
gern noch das interessante und besonders in zoologischer Hinsicht so
reiche Trinkomalie gesehen, und auch den alten Ruinenstädten im
Norden der Insel, dem berühmten Anaradjahpura und Pollanarua
einen Besuch abgestattet. Aber mein halbjähriger Urlaub ging zu
Ende; das letzte Linienschiff, welches mich noch rechtzeitig nach Europa
zurückführen konnte, sollte schon am 11. März von
Colombo abgehen, und ich will nicht verschweigen, daß trotz allen
genossenen Herrlichkeiten doch das Heimweh sich immer mehr geltend
machte und die glückliche Rückkehr nach der theuren
deutschen Heimath mir immer mehr das Begehrendswertheste erschien.
So begann ich dann alsbald nach der Rückkehr nach Colombo den
Rest meiner Sammlungen zu packen und alle übrigen
Vorbereitungen zu treffen. Einen sehr hübschen Ausflug machte
ich noch mit Dr. Trimen nach Henerakgodde, einer Filiale des
Peradenia-Gartens, welche an der Colombo-Kandy-Bahn im
heißesten Theile des feuchten Tieflandes liegt und für die
Cultur derjenigen Pflanzen bestimmt ist, die den höchsten
Hitzegrad des Tropenklima´s verlangen. Ich sah hier Prachtexemplare
von Riesenbäumen, Palmen, Lianen, Farnen, Orchideen u. s. w., die
mich nach allem Vorhergegangenen noch in Erstaunen versetzten. Ein
paar sehr angenehme Tage verbrachte ich bei dem guten alten Mr.
Staniforth Green und seinem Neffen in der lieblichen „Villa der
Tempelbäume"; und mit besonderen Vergnügen denke ich
noch an eine reizende abendliche Kahnfahrt, die ich mit denselben auf
dem spiegelglatten See der Zimmtgärten machte. Ein paar anderen
lehrreiche Tage widmete ich dem Studium des Colombo-Museums,
dessen jetzt anwesender Director, Dr. Haly, mir auf das
Freundlichste die lehrreichen Schätze desselben erläuterte.
Sodann machte ich eine Anzahl Abschiedsbesuche bei anderen
Engländern, die meine Zwecke während meines hiesigen
Aufenthaltes in freundlicher Weise gefördert hatten. Mr. William
Ferguson bereicherte noch am letzten Tage meine Sammlung mit einigen
prachtvollen, riesengroßen Tigerfröschen (Rana tigrina)
und anderen Amphibien; und Freund Both krönte die Reihe seiner
zoologischen Geschenke durch einen erwachsenen „Negombo-Teufel", das
große, von den Singhalesen abergläubisch gefürchtete
Schuppenthier, welches allein die Ordnung der Edentaten auf der Insel
vertritt (Manis brachyura). Es kostete einige Mühe, dieses
zählebige Ungethüm vom Leben zum Tode zu bringen, da die
Processe des Hängens, des Bauchaufschneidens und des
Einspritzens von Carbolsäure sich durchaus ungenügend
erwiesen hatten; erst eine größere Dosis Cyankalium
führte das Ende herbei.
Alle freien Augenblicke, die mir das böse Geschäft des
Einpackens übrig ließ, verwendete ich noch täglich auf
den Genuß des geliebten Whist-Bungalow, von dessen
schönen Punkten ich noch mehrere Photographien aufnahm. Der
Abschied von diesem lieblichen Paradiese und von den braven
Landsleuten, deren Gastfreundschaft ich hier genossen, wurde mir
natürlich besonders schwer, und ich empfand in seltener
Stärke jenes drückende Gefühl, welches dem
Abschiede von einem geliebten Erdenflecke vorausgeht. Freilich wurde
aber diese gedrückte Abschiedsstimmung wesentlich aufgehoben
durch den einen Zukunftsgedanken:
H e i m w ä r t&
nbsp;s ! In den Tropen hat dieses theuere Wort für
jeden Europäer noch einen ganz anderen Klang, als irgendwo in
Europa. Das Gefühl, von einer glücklich beendigten und
erfolgreichen Tropenreise in die geliebte Heimath zurückzukehren,
läßt sich nur mit demjenigen vergleichen, mit dem der Soldat
aus einem siegreichen Feldzuge heimkehrt. Ich durfte es in der That als
ein besonderes Glück preisen, daß ich während meines
fünfmonatigen Aufenthaltes in den Tropen, trotz aller
Anstrengungen und Strapazen, nicht einen einzigen Tag krank gewesen
war und daß ich allen drohenden Gefahren glücklich
entgangen war.
Aber dieses Glück und jene Widerstandsfähigkeit haben
auch ihre Grenzen, und ich hatte das instinctive Gefühl, nahe an
diesen Grenzen angelangt zu sein. Die tausend wunderbaren und
großartigen Eindrücke, mit denen die vier letzten Monate
mich in überreichem Maße beschenkt hatten, waren fast allzu
mächtig und hatten mich dergestalt übersättigt,
daß ich die lebhafteste Sehnsucht nach Ruhe und Erholung
empfand. Besonders während der letzten Woche in Colombo, wo
zudem schon der drückende Einfluß des nahenden Monsun-
Wechsels sich bemerkbar machte, fühlte ich mich ermatteter und
mitgenommener als je zuvor. Ich sehnte mich zuletzt wahrhafft nach
den kommenden ruhigen Wochen auf dem Dampfschiffe, und nach der
stillen Muße, die mir dasselbe zur Bewältigung jener
massenhaft zusammengerafften Eindrücke gewähren
würde.
Und diese erhoffte Muße, diese Sonntagsstimmung ruhigen
Genusses, gewährte mir das schöne Schiff, auf dem ich von
Colombo zurückkehrte, in vollstem Maße. Niemals habe ich
eine schönere Seefahrt gehabt, als auf der prächtigen
„ A g l a j a " ,
dem vortrefflichen Dampfer des Oesterreichischen Lloyd, der mich in
achtzehn Tagen von Ceylon nach Aegypten hinüberführte.
Derselbe kam bereits von Calcutta so schwer beladen an, daß er
den größten Tiefgang hatte, und daß meine Kisten, in
Ermangelung anderen Raumes, im „Rauchzimmer" untergebracht werden
mußten. Selbst bei stürmischem Wetter würde das
vollgeladene Schiff nur wenig geschwankt haben. Unter dem
prachtvollen, wolkenlosen Frühlingshimmel, dessen wir uns
während der ganzen Fahrt erfreuten, den günstigen
Nordostmonsum im Rücken, war die Bewegung des Dampfers
kaum wahrnehmbar, und die zehntägige Reise über dem
indischen Ocean, von Colombo bis Aden, gleich einer heiteren
Sonntagsfahrt über einen stillen Landsee.
Zu dieser großen Annehmlichkeit gesellte sich noch die andere,
daß die Reisegesellschaft die willkommenste war. In der ersten
Cajüte waren außer mir nur drei Passagiere, drei deutsche
Landsleute, die von Calcutta heimkehrten, und mit denen ich mich
vortrefflich unterhielt. Der alte Capitän, Herr N., war der
liebenswürdigste, den ich je getroffen habe, und dabei ein
humoristischer Philosoph, der alle Lebensweisheit von Sokrates und
Aretschi in sich vereinigte. Das schöne Geschlecht war auf dem
ersten Platze gar nicht vertreten, was die Bequemlichkeit unserer Fahrt
nicht wenig erhöhte. Verzeihe mir, gütige Leserin, dieses
frevelhafte Geständniß! Sowohl wir vier Passagiere, als die
freundlichen Schiffsofficiere, mit denen wir unsere Mahlzeiten theilten,
genossen die mancherlei Vorrechte, welche uns die gänzliche
Abwesenheit der Damen ertheilte, in ausgibigster Weise und wir kamen
während der ganzen Fahrt aus dem angenehmsten indischen
Negligé nicht heraus. Weder Halskragen, noch Cravatte
schnürten unsere Kehle ein; bequeme gelbe indische Hausschuhe
ersetzten die schwarzgewichsten Stiefeln, und das ganze übrige
Costüm bestand aus jener unvergleichlich leichten und
angenehmen weißen Baumwollenkleidung, die in Indien als
„Pundjama" allgemein üblich ist.
Von entzückender Schönheit waren die Nächte
während dieser Fahrt. Wir schliefen stets oben auf dem Verdeck,
von der mildesten tropischen Seeluft umspült, unter dem
tiefdunkeln Zeltdache des reinen Firmamentes, von dem die Sterne in
unübertroffener Pracht herabfunkelten. Ich lag oft stundenlang in
der Nacht wach und athmete mit vollstem Behagen die balsamische
kühle Brise ein, im Vollgenusse des paradiesischen Friedens, der
achtzehn Tage lang weder durch Briefe, noch durch Correcturen, weder
durch Studenten, noch durch Pedelle gestört wurde.
Pflichtschuldigst bewunderte ich sodann allnächtlich den „milden
Glanz des südlichen Kreuzes" und lange Zeit schaute ich oft in das
funkelnde Kielwasser hinab, das hinter dem Schiffe einen langen,
feurigen Schwanz bildete, aus tausend leuchtenden Medusen, Krebschen,
Salpen und anderen Leuchtthieren des Meeres zusammengesetzt.
Tagsüber beschäftigte mich größtentheils das
Ordnen und Ergänzen meiner Reisenotizen und Aquarellskizzen;
und wenn ich des Schreibens, Malens und Lesens müde war,
wanderte ich hinüber auf den zweiten Platz, wo eine indische
Menagerie von Affen, Papageien, Waldtauben und anderen Vögeln
uns unerschöpfliche Unterhaltung bot. In meiner eigenen kleinen
Menagerie war das Interessanteste ein Halbaffe von Belligemma
(Stenops gracilis); ein höchst amüsanter, kleiner
Geselle, dessen fabelhafte Turnkünste wir jeden Abend
bewunderten.
Von den Einzelheiten unserer Rückreise ist wenig zu berichten.
Am 10. März Mittags 2 Uhr hatte ich nach herzlichstem Abschiede
von den Bewohnern des Whist-Bungalow Colombo verlassen. Am 12
passirten wir die
M a l e d i v e n
-Inseln und fuhren ziemlich nahe an den Cocoswäldern des
Korallen-Eilandes Minikoi vorüber. Am 18. Morgens steuerten wir
längs der malerischen Küste der großen Insel Sokotora
hin, von deren zerklüftetem Gebirgsrücken sich
mächtige schneeweise Sandfelder, Gletschern ähnlich, in das
Meer senken. Am 20. Abends langten wir endlich in Aden an. Da wir
jedoch wegen der fortbestehenden Chorlera-Quarantaine keine Pratica
erhielten, dampften wir schon um 9 Uhr weiter, in das Rothe Meer
hinein. Am 21. März passirten wir das Thränenthor, Bab el
Mandeb, und am 22. die Guanoinsel Geb el Tebir. Ungeheure Massen von
braunen Seeraben oder Cormoranen umschwärmten hier unser
Schiff. Am 25. Morgens überschritten wir, dem Cap Berenice
gegenüber, den Wendekreis des Krebses, fuhren am 27.
längs der Sinaiküste hin und ankerten am 28. in der
Morgenfrühe auf der Rhede von Suez.
Da ich noch ein paar freie Ferienwochen vor mir hatte und von
Alexandrien jede Woche mehrmals Fahrgelegenheit nach Europa fand,
beschloß ich, vierzehn Tage in Aegypten zu bleiben;
hauptsächlich um den schroffen Wechsel des Klima´s zu
vermeiden, den gerade zu dieser Jahreszeit die plötzliche
Uebersiedelung aus dem heißen Indien nach dem kalten Nord-
Europa mit sich bringt. Auch reizte mich der Gedanke, die Natur von
Unter-Aegypten, die mir bei meinem ersten Besuche, vor neun Jahren,
so sehr imponirt hatte, mit meinen indischen Eindrücken zu
vergleichen. Und dieser Vergleich war in der That lohnend; denn es
kann kaum einen größeren Gegensatz in jeder Beziehung
zwischen zwei Ländern der heißen Zone gegen, als den
Constrast zwischen
C e y l o n und
A e g y p t e n .
Ich verließ demnach am Morgen des 28. März die treffliche
„Aglaja", nach herzlichem Abschiede von den freundlichen
Reisegefährten. Am folgenden Tage machte ich von Suez zu Esel
eine Excursion nach der „Moses-Quelle", einer interessanten kleinen Oase
in der arabischen Wüste, einige Stunden östlich vom
Eingange in den Suez-Kanal.
Am 30. März fuhr ich auf der Eisenbahn in neun Stunden von Suez
nach Cairo, wo ich in dem freundlichen deutschen „Hôtel du Nil"
meine Wohnung nahm. Zehn Tage in Cairo, diesem „Märchen aus
tausend und Einer Nacht", benutzte ich, theils um die schönen
Erinnerungen meines ersten Besuches aufzufrischen, theils um dieselben
durch einige neue Excursionen zu ergänzen. Unter diesen war mir
besonders ein weiterer Ausflug in die Wüste von Interesse, nach
dem sogenannten
„ g r o ß e n
v e r s t e i n e
r t e n
W a l d e " . Unter der
sachkundigen Führung eines freundlichen Apothekers und
Botanikers Sickenberger, brach ich in Gesellschaft mehrer anderer
deutscher Landsleute am 5. April, früh 6 Uhr, dorthin auf. Wir
hatten uns alle gut mit Proviant und mit recht tüchtigen Eseln
versehen, da der Ritt hin und zurück einen vollen Tag in Anspruch
nimmt. Der Weg führte uns gegen Osten, zuerst durch die
wunderbare Todtenstadt der Chalifengräber, weiterhin längs
der nördlichen Abhänge des Mokattam-Gebirges hin. In vier
Stunden scharfen Trabes mitten durch die Sandwüste hatten wir
unser Ziel erreicht. Mitten in der pflanzenarmen Wüste liegen hier
zwischen deren Sandhügeln versteinert eine große Menge
stattlicher Baumstämme von 70-90 Fuß Länge, 2-3
Fuß Durchmesser. Die meisten gehören einem Balsambaume
(Nicolia) aus der Familie der Sterculiaceen an. Die Mehrzahl der
Stämme sieht glänzend schwarzbraun oder rothbraun, wie
polirt aus, und ist in Stücke von zwei bis sechs Fuß
Länge zerbrochen, die im Sande halb vergraben, zum Theil aber
auch ganz frei hintereinander liegen. Am zahlreichsten sind sie in der
Nähe des Kohlenbrunnens (Bir el Fahme), eines
sechshundert Fuß tiefen Schachtes, den Mohamed Ali 1840 hier
mitten in der Wüste graben ließ in der vergeblichen
Hoffnung, Kohlen zu finden.
Der Rückweg vom versteinerten Walde nahmen wir durch das
W a d i -
D u g l a , ein großartiges und
malerisches Felsenthal, durch welches die nach Mekka bestimmte
Pilgerkarawane von Cairo nach Suez zieht. In den mannigfachen
Schlangenwindungen dieser wilden Schlucht, deren nackte
gelbweiße Felsenwände beiderseits fast senkrecht
emporsteigen, ritten wir mehrere Stunden abwärts, ehe wir
wieder das Nilthal erreichten, zwischen Wadi-Turra südlich und
den Mokkatam-Höhen nördlich. Erst spät Abends
trafen wir wieder in Cairo ein.
Dieser Wüstenritt, der einen recht guten Einblick in den Charakter
der arabischen Wüste gewährt, regte mich lebhaft zu
Betrachtungen über den merkwürdigen Gegensatz an, in
welchem die ganze Natur von Unter-Aegypten zu derjenigen von Ceylon
steht. Dieser ungeheure Contrast betrifft in erster Linie das Klima und
die Vegetation, in zweiter Linie aber auch die gesammte übrige
Natur und die Menschenwelt. Während der alte Meeresboden, der
jetzt die gelbe ägyptische Wüste bildet, reich an
schönen Versteinerunge ist, die sein
verhältnismäßig jugendliches geologisches Alter
bezeugen, ist der uralte Felsenleib des grünen Ceylon aus
Urgestein gebildet, in dem Versteinerungen vollständig fehlen.
Während dort die größte Trockenheit der
Atmosphäre kaum den dürftigsten Pflanzenwuchs gestattet,
bedingt hier die vollkommene Feuchtigkeit der Luft eine Ueppigkeit der
Vegetation, die von keinem anderen Theile der Erde übertroffen
wird. Heftige atmosphärische Niederschläge, die dort sehr
selten sind, gehören hier zu den alltäglichen Ereignissen. Die
täglichen Temperaturschwankungen sind dort bekanntlich so
groß, daß sich nicht selten gegen 30o R. betragen;
mitten in der Wüste bildet sich in der Nacht bisweilen eine
dünne Eiskruste, während um Mittag das Thermometer im
Schatten auf 35o und mehr steigt. Im heißen und
dampfenden Treibhausklima der Küste von Ceylon sind umgekehrt
jene Schwankungen so gering, daß sie gewöhnlich nur 4-
5o betragen (21-26o R).
Nicht minder auffallend als diese extreme Verschiedenheit in Bezug auf
Boden, Klima und Vegetation ist diejenige der Menschenwelt, welche
diese beiden Länder bewohnt. Dort in Aegypten die lauten und
lebhaften Araber mit ihren verschämten, aufdringlichen und
anmaßenden Charakter, fanatische Mohammedaner von
hamitischer Rasse; hier in Ceylon die sanften und stillen Singhalesen,
indolente Buddhisten von arischem Ursprunge, mit durchaus
friedlichem, bescheidenem und furchtsamem Wesen. Während
Aegypten mit seiner einzigen centralen Lage, mitten zwischen den drei
alten Welttheilen, seit uralter Zeit die größte Rolle in der
Völkergeschichte gespielt hat und der Zankapfel der
mächtigsten Nationen, der Spielball der heftigsten Leidenschaften
gewesen ist, hat das stille Paradies von Ceylon gleichsam außerhalb
der großen Culturgeschichte gestanden und seine politische
Geschichte hat niemals ihre locale Bedeutung überschritten.
Als botanisches Symbol dieses merkwürdigen Gegensatzes kann
ein einziger Baum dienen. In Aegypten wie in Ceylon ist es eine
Palmenart, die an national-ökonomischer Bedeutung alle anderen
Produkte der Pflanzenwelt übertrifft: dort die
D a t t e l palme, hier die
C o c o s palme. Obgleich nun diese
beiden edlen Gaben der Flora fast gleich hohen Werth besitzen und jeder
einzelne Theil derselben seine Nutzanwendung hat, so ist diese doch im
Einzelnen ebenso verschieden, wie der äußere Charakter
beider Palmen und ihre Bedeutung für die Landschaft. In der
ägyptisch-arabischen Landschaft ist die Dattelpalme ebenso
unentbehrlich, wie die Cocospalme in der Küstenlandschaft von
Ceylon.
Der Nordländer, der die Alpen überschreitet und in Italien
zum ersten Male die Dattelpalme kennen lernt, bewundert sie als edlen
Vertreter der Palmenfamilie; und diese Bewunderung steigt noch, wenn
er weiter südwärts nach Aegypten kommt und hier dieselbe
massenhaft in ungleich vollkommenerer Form vorfindet. So hatte auch
ich selbst sie früher mit besonderer Andacht verehrt.
Wie anders jetzt, wo die ungleich edlere und vollkommenere Form der
Cocospalme sich mir in Ceylon so fest eingeprägt hatte, daß
ich die Dattelpalme daneben unansehnlich fand! Der schlanke, glatte und
weiße Stamm der Cocos ist stets anmuthig gebogen und erhebt sich
gewöhnlich zu der doppelten Höhe des plumpen, struppigen,
graubraunen Stammes der steifen Dattel. Und ebenso übertreffen
die mächtigen, schön geschwungenen, gelblich grünen
Fiederblätter der Cocos an Größe und Schönheit
um mehr als das Doppelte die steifen und starren, graugrünen
Wedel der Dattel. Der ganze malerische Werth der Cocos übertrifft
denjenigen der Dattel in ähnlichem Verhältnisse, wie die
mächtige, kopfgroße Nuß der ersteren, die kleine
unansehnliche Frucht der letzteren.
Während der Osterwoche, die ich in Cairo zubrachte, warfen die
großen politischen Umwälzungen in Aegypten, deren Zeuge
wir gegenwärtig sind, ihren Schatten bereits voraus. Der Haß
der Aegypter gegen die Europäer, durch fanatische
mohammedanische Priester aufgestachelt, machte sich wiederholt in
Angriffen geltend. Ich selbst wurde zwei Mal insultirt, ein Mal durch
einen Derwisch beim Besuche der Moschee el Abka, der
Universität von Cairo; das andere Mal durch einen Soldaten,
während ich am Nilufer saß und eine Skizze aufnahm. Nur
durch einen günstigen Zufall entging ich beide Male dem
Schicksale, noch am Ende meiner Reise in ernstliche Lebensgefahr zu
gerathen. Ein englischer Maler war kurz zuvor beim Zeichnen der
Chalifengräber, ebenfalls ohne jede Veranlassung, von einem
Soldaten angegriffen und gefährlich verwundet worden. Man sagte
schon damals, daß Arabi Pascha diese Conflicte systematisch
fördere. In diesem ehrgeizigen Soldaten verkörpert sich sie
Todfeindschaft des Islam gegen europäische Cultur. Die englische
Regierung hätte viel erspart, wenn sie frühzeitiger mit
Energie eingegriffen hätte.
Da gegenwärtig vielfach die Erfolge der Engländer in
Aegypten mit mißgünstigen Augen angesehen werden, will
ich hier meine entgegengesetze Ansicht nicht verhehlen. Mir scheint,
daß wir dieselben eher sympathisch begrüßen sollten,
ebenso vom Standpunkte der allgemeinen Humanität als von
demjenigen einer vernünftigen Politik. Die Aegypter selbst sind
noch weit davon entfernt, ein modernes Culturvolk zu sein, und so lange
der Islam seinen culturfeindlichen, lähmenden Einfluß
ausübt, ist daran auch nicht zu denken.
Andererseits liegt das Land selbst so mitten an der großen
Weltstraße zwischen Orient und Occident, und speciell am driecten
Wege von England nach Indien, daß Großbritannien den Besitz
des Suez-Canals nicht mehr entbehren kann, weill es seine
großartige Weltherrschaft aufrecht erhalten. Diese letztere selbst
verdient Bewunderung. Denn die Englänger verstehen es weit
besser, als alle anderen Nationen, Colonien zu gründen und zu
verwalten. Gerade die eigene Anschauung, welche ich auf dieser Reise
sowohl in Bombay als in Ceylon von der englischen Colonialherrschaft
erhielt, hat meine aufrichtige Bewunderung derselben erhöht. Nur
dadurch, daß Großbritannien das ungeheure indische Reich
ebenso zweckmäßig als weise regiert, vermag es mit einer
unverhältnißmaßig geringen Beamtenzahl dasselbe sich
zu erhalten.
Statt daher die Erweiterung und Verstärkung der britischen
Weltherrschaft grollend mit den Augen des Neides anzusehen, sollten
wir von ihrer klugen Politk lernen, deren Erfolge der ganzen civilisirten
Menschheit zu gute kommen. Hätte Deutschland, dem Bespiele des
stammverwandten England folgend, rechtzeitig Colonien
gegründet, wie anders könnte der veredelnde Einfluß
der deutschen Cultur sich in der Welt geltend machen; wie viel
größer würde unser Vaterland dastehen!
Meine Rückreise von Aegypten nach Triest verleif ohne
erwähnenswerthe Erlebnisse. Ich verließ Morgens am 12.
April auf dem österreichischen Lloyddampfer „Castor" den Hafen
von Alexandrien und traf am 18. April Morgens wohlbehalten in Triest
wieder ein. Eine schmerzliche Neuigkeit ereilte mich unterwegs, der Tod
meines hochverehrten Freuzndes und Meisters Charles Darwin, dem ich
erst vor wenigen Monaten, am 12. Februar, auf dem Gipfel des Adams-
Pik einen Glückwunsch zu seinem 73. Geburtstag geschrieben
hatte!
Am 21. April, Nachmittags 5 Uhr, traf ich glücklich und
wohlbehalten in meinem lieben alten Jena wieder ein. Da ich meine
Ankunft erst auf den folgenden Tag angemeldet hatte, überraschte
ich meine theure Familie und genoß nach schwerer
halbjähriger Trennung das glücklichste Wiedersehen. Mit
Dank gegen das gütige Geschick, das mir noch so spät die
Erfüllung meines sehnlichsten Jugendwunsches gewährt
hatte, zog ich wieder in das traute Daheim ein, reich beladen mit
Schätzen von Erinnerungen, die mir für meine ganze
übrige Lebenszeit eine unerschöpfliche Quelle des Genusses
und der Erkenntniß bleiben werden!