Berg- und Seefahrten (1923)

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wollenes Hemd, 2. ein baumwollenes Hemd, 3. ein leinenes Hemd, 4. die Tuchweste, 5. die Steppjacke, 6. den Tuchrock, 7. den Überrock, 8. den Pelz, und endlich über alles zusammen 9. den Plaid, welcher in Form eines Regenmantels mit Kapuze nur die Augen frei ließ und den mit Tüchern festgebundenen Hut mit einschloß. Entsprechend waren auch die Beine duch zwei Paar wollene und ein Paar leinene Unterhosen, Tuchhosen, doppelte Wollstrümpfe und Filzstiefel wohl verwahrt. Mein Gefährte war kaum weniger gut eingepackt und hatte über alles einen mächtigen ungarischen Pußta-(Pferdehirten-) Pelz gezogen. Als wir so in der niedrigen Stude der "Drei Könige" in Andermatt dastanden, im Dicken- und Breiten-Volum um das Doppelte vermehrt und mit den Häuptern die Decke berührend, mußten wir unwillkürlich über unsere ungeheuerlich steifen Mumiengestalten lachen, und die Italiener, die außer uns mitfuhren, vier kleiner, vermikerte Kerls (wie meist in dieser Gegend) äußerten ihr Erstaunen über die beiden biondi Tdesci in den schmeichelhaftesten Ausdrücken, wie "grandissimi e bellisimi giovani" usw., welche wir uns diesen schwarzen dürren Zwergen gegenüber allerdings gefallen lassen konnten. Mein Gefährte war übrigens ein Muster eines kräftigen norddeutschen Jünglings, und auch sein Gesicht trug denselben deutschen Typus, wegen dessen ich schon mehrmals auf der Reise bin interpelliert worden.

Als wirin die Gaststube eintraten, war der Kondukteur bereits ausgegangen, um die Möglichkeit der Weiterfahrt zu erkunden. Wir ließen uns unterdessen das edle Schweizer Frühstück mit Honig und frischer Butter trefflich munden, zumal wir damit deutschen Luxus und Komfort für lange Zeit Lebewohl sagten. Noch waren wir nicht fertig, als der Kondukteur zurückkam und uns die einigermaßen untröstliche Nachricht brache, daß wir noch 2-3 Tage hier sitzen könnten, da in der Nacht noch 2 Fuß Schnee gefallen und es ganz unmöglich sei, durchzukommen, zumal die Straßen durch Lawinen ganz verdeckt worden seien. Wir boten dagegen alles auf, um ihn zu einer Weiterfahrt zu bewegen, und vermochten ihn endlich, noch einmal rekognoszieren und durch Telegraphen anfragen zu lassen, ob man darüber hinüber käme. Das Resultat war denn auch insofern sehr günstig, als er nach einer Stunde zurückkam und eröffnete, daß wir wenigstens bis zum Hospital oben auf der Höhe des Passes (beinahe 7000 Fuß!) zu gelangen versuchen könnten. Es wurde also in möglichster Eile alles in Bewegung gesetzt und gerüstet. Da wir aber ungleich größere Schwierigkeiten als gestern zu überwinden hatte, so wurde auch das Gepäck und die Passagiere auf die doppelte Zahl der Schlitten, nämlich auf 12, verteilt, so daß wir im ganzen eine sehr stattliche Karawane bildeten. Ditfurth und ich als Passagiere des Coupés genossen diesmal den Vorzug, den Zug zu schließen, so daß wir die wenigste Aussicht hatten, umgeworfen zu werden, und zugleich die Bahn von den Vorgängern schon eingefahren fanden.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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