VI.

Meine Herren!


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Um zu einem klaren Verständniss der Ontogenese oder der individuellen Entwickelung des Menschen zu gelangen, ist vor allem erforderlich, unter den zahlreichen, wunderbaren und mannichfaltigen Erscheinungen, die uns begegnen, die wichtigeren gehörig hervorzuheben, und von diesen wichtigeren Anhaltspunkten aus die zahlreichen, weniger wichtigen und bedeutsamen Erscheinungen zu betrachten. Als der erste und wichtigste Anhaltspunkt in dieser Beziehung, der zugleich nothwendig den Ausgangspunkt unserer ontogenetischen Betrachtung bildet, tritt uns die Thatsache entgegen, dass jedes menschliche Individuum sich aus einem Ei entwickelt, und dass dieses Ei eine einfache Zelle ist. Diese menschliche Eizelle ist in ihrer gesammten Form und Zusammensetzung nicht von der Eizelle der übrigen Säugethiere zu unterscheiden, während allerdings bestimmte Unterschiede zwischen der Eizelle der Säugethiere und derjenigen der übrigen Thiere nachzuweisen sind.

Diese ausserordentlich wichtige Thatsache, der wohl nur wenige hinsichtlich ihrer fundamentalen Bedeutung an die Seite werden können, ist bekanntlich noch nicht lange entdeckt. Wie Sie sich erinnern, geschah es erst im Jahre 1827, dass Carl Ernst Baer das Ei des Menschen und der Säugethiere thatsächlich durch Beobachtung nachwies. Bis dahin hatte man irrthümlich grössere Bläschen, in denen das wahre, viel kleinere Ei erst eingeschlossen ist, als Eier betrachtet. Die wichtige Erkenntniss, dass dieses Säugethier-Ei eine einfache Zelle gleich dem Ei der übrigen Thiere ist, konnte natürlich erst gewonnen werden, seitdem überhaupt die Zellentheorie existirte. Diese wurde aber erst 1838 von Schleiden für die Pflanzen aufgestellt und von Schwann auf die Thiere ausgedehnt. Wie Sie bereits wissen, ist diese Zellentheorie von der grössten Bedeutung für das ganze Verständniss des menschlichen Organismus und seiner Entwicklung. Es erscheint daher zweckmässig, hier einige Worte über den gegenwärtigen Zustand der Zellentheorie und über die Bedeutung der daran geknüpften allgemeinen Anschauungen einzufügen.

Fig. 1

Es kommt bei der Zellentheorie, welche sowohl in der Zoologie wie in der Botanik seit 35 Jahren als die wichtigste Grundlage aller morphologischen und physiologischen Anschauungen betrachtet wird, vor Allem darauf an, dass man die Zelle als einen einheitlichen Organismus, als ein selbstständiges lebendiges Wesen auffasst. Wenn wir den entwickelten Körper der Thiere und Pflanzen, wie den des Menschen, durch anatomische Zergliederung in Organe zerlegen, und wenn wir dann weiter diese gröberen Formbestandtheile oder Organe mit Hülfe des Mikroskops auf ihre feinere Zusammensetzung untersuchen, so werden wir durch die Wahrnehmung überrascht, dass alle diese verschiedenen Theile aus einem und demselben Grundbestandtheile oder Form-Elemente zusammengesetzt sind. Diese allgemeine elementare Formbestandtheil ist die Zelle. Es ist ganz gleich, ob wir ein Blatt, eine Blume oder eine Frucht, ob wir einen Knochen, einen Muskel, eine Drüse, ein Stück Haut u. s. w. auf diese Weise anatomisch und mikroskopisch untersuchen, überall begegnen wir einem und demselben Form-Element, das man seit Schleiden Zelle nennt. Was diese Zelle eigentlich ist, darüber existiren zwar sehr verschiedene Ansichten; allein das Wesentliche unserer Anschauung von der Zelle beruht darauf, dass wir dieselbe als selbstständige Lebenseinheit ansehen müssen. Die kleine Zelle ist, wie Brücke sagt, ein "Elementar-Organismus", oder, wie Virchow sagt, ein "Lebensheerd". Am schärfsten wird sie vielleicht als die organische Formeinheit niedersten Ranges, als Individuum erster Ordnung bezeichnet (Generelle Morphologie, Bd. I S. 269). Entweder besteht nun der ganze Organismus zeitlebens nur aus einer einzigen Zelle, wie bei den einzelligen Thieren und Pflanzen; oder wie bei der grossen Mehrzahl der Thiere und Pflanzen, es stellt der Organismus bloss im ersten Anfange seiner individuellen Existenz eine einfache Zelle dar, und späterhin bildet er eine Zellengesellschaft, oder richtiger einen organisirten Zellenstaat. Unser eigener Körper ist in Wirklichkeit nicht, wie zunächst die allgemein gültige, naive Auffassung des Menschen anzunehmen sich gestattet, eine vollständige Lebenseinheit, sondern eine höchst zusammengesetzte sociale Gemeinschaft, eine Colonie oder ein Staat, der aus zahlreichen, selbstständigen Lebenseinheiten besteht, den Zellen23).

Der Ausdruck Zelle ist eigentlich unglücklich gewählt; Schleiden, der ihn zuerst gebrauchte, nannte die kleinen Elementarorganismen "Zellen", weil dieselben beim Durchschnitte der meisten Pflanzentheile als Fächer erscheinen, welche ähnlich den Zellen einer Bienenwabe, mit festen Wänden zusammenstossen und mit einer Flüssigkeit oder einer weichen breiartigen Masse gefüllt sind. Dieser auch von Schwann angenommene Begriff von der Zelle, als ein geschlossenes Säckchen oder Bläschen, welches mit einer Flüssigkeit angefüllt und von einer festen Hülle oder Wand umgeben ist, hat sich lange Zeit hindurch erhalten; aber gerade auf die meisten Zellen des Thierkörpers ist er gar nicht anwendbar. Je weiter man in der Erkenntniss des Zellen des Thierkörpers gelangte, desto mehr sah man ein, dass man den Zellenbegriff anders fassen müsse. Gegenwärtig wird daher allgemein die Zelle definirt als ein festweiches oder festflüssiges (weder festes noch flüssiges), dichtes Körperchen von ursprünglich mehr oder weniger rundlicher Gestalt und eiweissartiger chemischer Beschaffenheit, in welchem ein anderes rundliches (meist festeres und ebenfalls eiweissartiges) Körperchen eingeschlossen ist. Eine Umhüllung oder Membran kann zwar vorhanden sein, wie es bei den meisten Pflanzenzellen der Fall ist; sie kann aber auch fehlen, wie bei den meisten Thierzellen. Ursprünglich fehlt sie immer.

Das Wesentliche des Zellenbegriffes im heutigen Sinne besteht also in der Zusammensetzung des Zellenkörpers aus zwei verschiedenen Theilen. Der eine Theil ist der innere und heisst Zellenkern (Nucleus oder Cytoblastus); er ist meistens von rundlicher, eiförmiger oder kugeliger Gestalt, meist fester, seltener weicher als der Zellstoff und besteht aus einer eiweissartigen Substanz. Der zweite wesentliche Bestandtheil jeder Zelle ist der Zellstoff, das Protoplasma oder der Urschleim (im Sinne der älteren Naturphilosophie). Auch dieses Protoplasma, welches den Kern umgiebt, gehört seiner chemischen Zusammensetzung nach in die Gruppe der eiweissartigen Körper, ist also eine Kohlenstoffverbindung, welche Stickstoffatome enthält. Sie befindet sich zeitlebens in einem weichen, weder festen noch flüssigen Dichtigkeits- oder Aggregat-Zustande. Die Eiweissverbindung des Protoplasma ist zwar derjenigen des Kernes ähnlich, aber doch wesentlich und constant verschieden.

Nucleus und Protoplasma, der innere Zellkern und der äussere Zellstoff, sind die beiden einzigen wesentlichen Bestandtheile jeder echten Zelle. Alles Uebrige, was sonst in der Zelle und an derselben noch vorkommt, ist von secondärer Bedeutung, da es sich erst nachträglich entwickelt; die Membran, welche mannichfach zusammegesetzt und oft sehr dick sein kann; ferner die verschiedenartigsten Inhaltsbestandtheile: Fettkugeln, Krystalle, Farbstoffkörner, Wasserbläschen u. s. w. Alles das sind untergeordnete und passive Bestandtheile, die erst durch die Lebensthätigkeit des Zellstoffs gebildet oder von aussen aufgenommen sind, und die uns hier zunächst nicht interessiren. Der Zellenkern und der Zellenstoff sind allein die beiden activen, für den Begriff der Zelle wesentlichen, und niemals fehlenden Bestandtheile des Zellen-Organismus.

Als Gegenstück zu der einfachen Eizelle (Fig. 1, S. 96) lassen Sie uns einmal zum Vergleich eine grosse Nervenzelle oder Ganglienzelle aus dem Gehirn betrachten. Die Eizelle repräsentirt potentiell das ganze Thier; d. h. sie besitzt die Fähigkeit, aus sich allein den ganzen vielzelligen Thierkörper hervorzubilden; sie ist die gemeinsame Stammmutter aller der Generationen von zahllosen Zellen, die sich zu den verschiedenen Geweben des Thierkörpers ausbilden; sie vereinigt deren verschiedenartige Kräfte in gewissem Sinne in sich, aber nur potentiell, nur der Anlage nach. Im grössten Gegensatze dazu ist die Nervenzelle des Gehirns (Fig. 2) höchst einseitig ausgebildet. Sie vermag nicht gleich der Eizelle zahlreiche Zellen-Generationen zu erzeugen, von denen sich die einen zu Hautzellen, die anderen zu Fleischzellen, die dritten zu Knochenzellen u. s. w. umbilden. Dafür besitzt aber die Nervenzelle, welche sich zu den höchsten Lebensthätigkeiten ausgebildet hat, die Fähigkeit zu empfinden, zu wollen, zu denken. Sie ist eine wahre Seelenzelle, ein Elementar-Organ der Seelenthätigkeit. Dem entsprechend besitzt sie eine höchst verwickelte feinere Struktur. Unzählige äusserst feine Fäden, vergleichbar den zahlreichen elektrischen Drähten einer grossen Central-Telegraphen-Station, ziehen sich mannichfach durchkreuzt durch das feinkörnige Protoplasma der Nervenzelle hin und begeben sich in die verästelten Ausläufer, die von dieser Seelenzelle ausgehen und sie mit den anderen Nervenzellen und Nervenfasern in Verbindung setzen (a, b). Kaum können wir die verwickelten Bahnen derselben in der feinkörnigen Grundsubstanz des Protoplasma-Leibes theilweise annähernd verfolgen.

Hier stehen wir vor einem höchst zusammengesetzten Apparate, dessen feinere Structur wir auch mit Hülfe unserer stärksten Mikro Fig. 2 skope kaum begonnen haben zu erkennen, dessen Bedeutung wir überhaupt mehr ahnen als erkennen können. Seine verwickelte Zusammensetzung entspricht der höchsst zusammengesetzten psychischen Function. Und dennoch ist auch dieses Elementar-Organ der Seelenthätigkeit, welches sich zu Tausenden in unserem Gehirn findet, weiter Nichts als eine einzige Zelle. Unser ganzes Seelenleben ist weiter Nichts, als das Gesammt-Resultat aus der vereinten Thätigkeit aller dieser Nervenzellen oder Seelenzellen. In der Mitte einer jeden Zelle liegt eine grosse helle Kugel, die ein kleines dunkleres Körperchen umschliesst. Das ist der Kern oder Nucleus, der das Kernkörperchen oder den Nucleolus enthält. Auch hier, wie überall, bestimmt der Kern die Individualität der Zelle und beweist, dass das ganze Gebilde trotz seiner verwickelten feineren Structur nur den Formwerth einer einzigen Zelle besitzt.

Im Gegensatze zu dieser höchst entwickelten und höchst einseitig differenzirten Seelenzelle (Fig. 2) ist unsere Eizelle (Fig. 1) noch gar nicht differenzirt. Doch müssen wir auch hier aus ihren Lebenseigenschaften auf eine höchst verwickelte chemische Zusammensetzung ihres Protoplasma-Körpers, auf eine feine Molecular-Structur schliessen, die unserem Auge völlig verborgen ist.

Wenn wir die Zellen als die Elementar-Organismen oder als die Individuen erster Ordnung bezeichneten, so bedarf diese Begriffsbestimmung eigentlich einer Einschränkung. Die Zellen stellen nämlich keineswegs die allerniedrigste Stufe der organischen Individualität dar, wie man gewähnlich annimmt. Vielmehr giebt es noch einfachere Elementar-Organismen, die wir gleich beiläufig berühren wollen und auf die wir später zurückkommen werden. Das sind die Cytoden: lebende, selbstständige Wesen, welche bloss aus einem Stückchen Plasson bestehen, d. h. aus einem ganz homogenen oder gleichartigen Klümpchen einer eiweissartigen Substanz, welche noch nicht in Nucleus und Protoplasma differenzirt ist, sondern die Eigenschaften beider vereinigt enthält. Solche Cytoden sind z. B. die merkwürdigen Moneren. Strenggenommen müssen wir also sagen: der Elementar-Organismus oder "das Individuum erster Ordnung" tritt in zwei verschiedenen Stufen auf. Die erste und niedrigste Stufe ist die Cytode, die bloss aus einem Stückchen Plasson oder ganz einfachem "Urschleim" besteht. Die zweite und höhere Stufe ist die Zelle, welche bereits in Kern und Protoplasma differenzirt ist. Beide Stufen, Cytoden und Zellen, fassen wir unter dem Begriffe der Bildnerinnen oder Plastiden zusammen, weil sie in Wahrheit allein den Organismus bilden24). Allein bei den höheren Thieren und Pflanzen kommen solche Cytoden in der Regel nicht vor, sondern nur wirkliche Zellen, die einen Kern enthalten. Hier ist also das Elementar-Individuum immer bereits aus zwei verschiedenen Theilen zusammengesetzt, aus dem äusseren Zellstoff und dem inneren Zellkern.

Um sich nun wirklich zu überzeugen, dass jede Zelle ein selbstständiger Organismus ist, braucht man bloss die Lebenserscheinungen und die Entwicklung eines solchen kleinen Wesens zu verfolgen. Man sieht dann, dass dasselbe alle die wesentlichen Lebensfunctionen vollzieht, welche der ganze Organismus ausübt. Jedes dieser kleinen Wesen wächst und ernährt sich selbstständig. Es nimmt Säfte von aussen auf, die es aus der umgebenden Flüssigkeit aufsaugt; ja die nackten Zellen können sogar feste Körperchen an beliebigen Stellen ihrer Orberfläche aufnehmen, also "fressen", ohne dass sie dazu Mund und Magen nöthig hätten (vergl. Fig. 9, S. 113). Jede einzelne Zelle ist ferner im Stande, sich fortzupflanzen und zu vermehren (Fig. 3). Diese Vermehrung geschieht in den meisten Fällen durch einfache Theilung, und zwar zerfällt zunächst der Kern durch Einschnürung in zwei Stücke, worauf dann das Protoplasma ebenfalls in zwei Theile sich trennt. Ferner ist die einzelne Zelle im Stande, sich zu bewegen und herumzukriechen, wenn sie Raum zu freier Bewegung hat und nicht durch eine feste Hülle daran gehindert ist; sie streckt dann oberflächliche fingerförmige Fortsätze aus, die sie bald wieder einzieht und wobei sie ihre Form wechselt (Fig. 4). Endlich ist die junge Zelle empfindlich, in gewissem Sinne reizbar; auf Einwirkung gewisser chemischer Reize führt sie gewisse Bewegungen (Reflex-Bewegungen) aus. Wir können also an jeder einzelnen Zelle alle die wesentlichen Functionen vorfolgen, die wir unter dem besonderen Gesammtbegriff des Lebens zusammenfassen: Empfindung, Bewegung, Ernährung, Fortpflanzung. Alle diese Eigenschaften, die das vielzellige hochentwickelte Thier besitzt, kommen bei jeder einzelnen Thierzelle schon vor, wenigstens in ihrem Jugendzustande. Ueber diese Thatsache existiert gegenwärtig kein Zweifel mehr, und wir können dieselbe also als Grundlage unserer physiologischen Auffassung des Elementar-Organismus betrachten.

Ohne uns nun hier weiter auf die höchst interessanten Erscheinungen des Zellenlebens einzulassen, wollen wir sogleich die Anwendung der Zellentheorie auf das Ei versuchen. Hier ergiebt sich nun aus der vergleichenden Untersuchung das hochwichtige Resultat, dass Jedes Ei ursprünglich eine einfache Zelle ist. Das ist deshalb von der grössten Bedeutung, weil die ganze Ontogenie sich demnach in des Problem auflöst: "Wie entsteht aus einem einzelligen Organismus ein vielzelliger?" Jedes organische Individuum ist ursprünglich eine einfache Zelle und als solche ein Elementar-Organismus, oder ein Individuum erster Ordnung. Erst später entsteht durch Theilung dieser Zelle ein Zellenhaufen, aus dem sich der vielzellige Organismus, ein Individuum höherer Ordnung, hervorbildet.

Wenn wir nun zunächst die ursprüngliche Beschaffenheit der Eizelle selbst etwas näher betrachten, so bemerken wir die ausserordentlich merkwürdige Thatsache, das sin ihrem ursprünglichen Zustande die Eizelle bei allen Thieren und beim Menschen ganz dieselbe Form besitzt, so dass man nicht im Stande ist, irgend welche wesentlichen Unterschiede zwischen ihnen aufzufinden. Späterhin sind die Eier, auch wenn sie einzellig bleiben, doch sehr verschieden an Grösse und Gestalt, haben verschiedene Umhüllungen u. s. w. Wenn man aber die Eier an ihrer Geburtsstätte aufsucht, da wo sie entstehen, im Eierstock des weiblichen Thieres, so findet man sie in den ersten Stadien ihres Lebens immer von derselben Bildung; und zwar stellt jedes Ei uusprünglich eine ganz einfache, rundliche nackte Zelle dar, welche keine Membran besitzt, und bloss aus dem Zellenkern und dem Zellenstoff besteht. Diese beiden Theile führen beim Ei schon seit langer Zeit besondere Namen: man nennt nämlich den Zellstoff hier Dotter (Vitellus), und der Zellenkern führt den Namen des Keimbläschens (Vesicula germinativa). Der Kern ist bei der Eizelle in der Regel von wiecher, oft bläschenartiger Beschaffenheit. Im Inneren dieses Kernes findet sich, wie bei vielen anderen Zellen, ein drittes Körperchen eingeschlossen, welches man bei gewöhnlichen Zellen das Kernkörperchen nennt (Nucleolus). Bei der Eizelle heisst es Keimfleck (Macula germinativa). Endlich findet man in vielen Eiern (aber nicht in allen) in diesem Keimfleck noch ein innerstes Pünktchen, einen Nucleolinus, welchen man Keimpunkt (Punctum germinativum) nennen kann. Indessen haben diese letzteren beiden Theile (Keimfleck und Keimpunkt), wie es scheint nur eine untergeordnete Bedeutung; von fundamentaler Bedeutung sind nur die beiden ersten Bestandtheile: der Dotter und das Keimbläschen.

Bei vielen niederen Thieren (z. B. den Schwämmen, Medusen) behalten die nackten Eizellen ihre ganz einfache ursprüngliche Beschaffenheit bis zur Befruchtung bei. Bei den meisten Thieren aber erleiden sie schon vorher bestimmte Veränderungen; sie erhalten theils bestimmte Zusätze zum Dotter, welche zur Ernährung des Eies dienen (Nahrungsdotter), theils äussere Hüllen oder Membranen, welche zum Schutze desselben dienen (Eihäute). Eine solche Hülle entsteht bei allen Säugethier-Eiern im Laufe der weiteren Ausbildung. Die kleine Kugel wird mit einer dicken Hülle von vollkommen durchsichtiger, glasartiger Beschaffenheit umgeben, welche den besonderen Namen: Zona pellucida oder Chorion führt. Wenn wir diese letztere recht genau mit dem Mikrokop betrachten, können wir darin sehr feine radiale Striche wahrnehmen, welche die Zona durchziehen und nichts anderes als sehr feine Canäle sind. Das Ei des Menschen ist von dem der anderen Säugethiere sowohl im unreifen als auch im ausgebildeten Zustande nicht zu unterscheiden. Seine Form, seine Grösse, seine Zusammensetzung bleibt überall dieselbe. In völlig ausgebildetem Zustande beträgt sein Durchmesser durchschnittlich 1/10 Linie oder 0,1 Mm. Wenn man das Säugethier-Ei gehörig isolirt hat und auf einer Glasplatte gegen das Licht hält, kann man es eben mit blossem Auge als feines Pünktchen erkennen. Ganz dieselbe Grösse haben die Eier der meisten höheren Säugethiere. Fast immer beträgt der Durchmesser der kugeligen Eizelle zwischen 1/10 und 1/20 Linie (1/5 - 1/10 Millimeter); beim Elephanten und Walfisch ebenso wie bei der Maus und der Katze. Immer hat es dieselbe kugelige Gestalt, immer dieselbe charakteristische dicke Hülle; immer dasselbe kugelige Keimbläschen mit seinem dunkeln Keimfleck. Auch wenn wir das beste Mikroskop mit der stärksten Vergrösserung anwenden, sind wir nicht im Stande, einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Ei des Menschen, des Affen, des Hundes u. s. w. zu entdecken. Hingegen sind auffallende Eigenthümlichkeiten vorhanden, durch welche man sehr leicht das reife Ei der Säugethiere von dem reifen Ei der Vögel und anderer Wirbelthiere unterscheiden kann.

Besonders verschieden ist das reife Ei des Vogels, welches ursprünglich allerdings auch dem der Säugethiere ganz gleich ist. Allein später nimmt hier die Eizelle noch innerhalb des Eileiters eine Masse von Nahrung in sich auf, die sie zu dem bekannten mächtigen gelben Dotter verarbeitet. Wenn man die ganz jungen Eier im Eierstocke des Huhnes untersucht, so findet man sie ganz gleich den jungen Eizellen der Säugethiere und anderer Thiere. Später wächst sie aber so beträchtlich, dass sie sich zu der bekannten gelben Dotterkugel ausdehnt. Der Kern der Eizelle oder das Keimbläschen wird dadurch ganz an die Oberfläche der kugeligen Eizelle gedrängt und ist hier in eine geringe Menge von hellerem, sogenannten weissen Dotter eingebettet. Dieser bildet daselbst einen kreisrunden weissen Fleck, der unter dem Namen des Hahentritts oder der Narbe (Cicatricula) bekannt ist (Fig. 6 b). Von der Narbe aus setzt sich ein dünner Strang von weisser Dottermasse durch den gelben Dotter hindurch bis zur Mitte der kugeligen Zelle fort (die fälschlich sogenannte Dotterhöhle oder Latebra, Fig. 6 d) anschwillt. Die gelbe Dottermasse, welche diesen weissen Dotter umgiebt, erscheint am erhärteten ei concentrisch geschichtet (Fig. 6 c). Aeusserlich ist der gelbe Dotter von einer zarten structurlosen Dotterhaut (Membrana vitellina) umgeben. (a).

Neuerdings hat sich vielfach die Ansicht verbreitet, dass die grosse gelbe Eizelle des Vogels (die bei den grossen Vögeln mehrere Zoll Durchmesser erreicht) nicht mehr als eine einfache Zelle bestrachtet werden könne. Wir müssen aber mit Gegenbaur diese Ansicht für irrthümlich halten. Die unbefruchtete und ungetheilte Eizelle des Vogels bleibt mit ihrem einfachen Kerne eine einfache Zelle, mag dieselbe noch so sehr durch Produktion gelber Dottermasse anwachsen. Jedes Thier, welches einen einzigen Zellenkern enthält, jede Amoebe, jede Gregarine, jedes Infusionsthierchen, ist einzellig, und bleibt einzellig, wenn es auch noch so viel verschiedene Stoffe frisst. Ebenso bleibt die Eizelle eine einfache Zelle, mag sie später noch so viel gelben Nahrungsdotter im Inneren ihres Protoplasma anhäufen. Gegenbaur hat dies in seiner trefflichen Arbeit über die Eier der Wirbelthiere klar nachgewiesen25).

Anders verhält sich das Vogel-Ei natürlich, sobald es befruchtet wird. Dann zerfällt sein Keimbläschen oder der Zellenkern durch wiederholte Theilung in viele Kerne, und ebenso theilt sich entsprechend des Protoplasma der Narbe oder des Hahnentrittes, welches dieselben umgiebt. Dann besteht das Vogel-Ei aus so vielen Zellen, als Kerne in der Narbe vorhanden sind. An dem befruchteten und gelegten Vogel-Ei, das wir täglich verzehren, ist daher die gelbe Dotterkugel bereits ein vielzelliger Körper. Ihre Narbe ist aus vielen Zellen zusammengesetzt und wird nun als Keimscheibe (oder Discus blastodermicus) bezeichnet. Wir werden später darauf zurückkommen (im achten Vortrag).

Nachdem das reife Vogel-Ei (Fig. 6) aus dem Eierstock ausgetreten und im Eileiter befruchtet worden ist, umgiebt sich dasselbe mit verschiedenen Hüllen, die von der Wand des Eileiters ausgeschieden werden. Zunächst um die gelbe Dotterkugel lagert sich die mächtige klare Eiweissschicht ab; ferner die äussere Kalkschale, an der innen noch eine feine Schalenhaut anliegt. Alle diese nachträglich um das Ei gebildeten Hüllen und Zusätze sind für die Bildung des Embryo von keiner Bedeutung; es sind Theile, die mit der ursprünglichen Eizelle nichts zu thun haben. Auch bei anderen Thieren finden wir oft ausserordentlich grosse Eier mit mächtigen Hüllen, z. B. beim Haifische. Auch hier ist ursprünglich das Ei eigentlich ganz dasselbe wie beim Säugethiere, nämlich eine ganz einfache nackte Zelle. Dann wird auch hier, wie beim Vogel, eine beträchtliche Quantität von Nahrungsdotter innerhalb des ursprünglichen Eidotters angesammelt; und ausserhalb werden um denselben verschiedene Hüllen gebildet. Aehnliche innere und äussere Zugaben erhält die Eizelle auch bei vielen anderen Thieren. Da dieselben aber überall von untergeordneter Bedeutung für die Keimbildung selbst sind, theils als Nahrungsmittel vom Embryo verzehrt werden, theils nur als schützende Umhüllung diesselben dienen, so können wir sie hier ganz ausser Acht lassen, und wollen uns nur an das Wichtigste halten: an die wesentliche Gleichheit der ursprünglichen Eizelle beim Menschen und den übrigen Thieren.

Lassen Sie uns hier zum ersten Male vonunserem biogenetischen Grundgesetze Gebrauch machen und unmittelbar dieses fundamentale Causal-Gesetz der Entwickelungsgeschichte auf die Eizelle des Menschen anwenden. Wir kommen dann zu einem höchst einfachen, aber höchst bedeutsamen Schlusse. Aus der einzelligen Beschaffenheit des menschlichen Eies und des Eies der übrigen Thiere folgt nach dem biogenetischen Grundgesetze unmittelbar der Schluss, dass alle Thiere mit Inbegriff des Menschen ursprünglich von einem einzelligen Organismus abstammen. Wenn wirklich jenes Grundgesetz wahr ist, wenn wirklich die Ontogenese ein Auszug oder ein verkürzte Wiederholung der Phylogenesie ist (- und wir können nicht daran zweifeln -), dann müssen wir aus der Thatsache, dass ale Eier ursprünglich einfache Zellen sind, nothwendig die Folgerung ziehen, dass alle vielzelligen Organismen ursprünglich von einem einzelligen Organismen abstamme3n. Da nun aber die ursprüngliche Eizelle beim Menschen und allen Thieren dieselbe einfache Beschaffenheit besitzt, so werden wir auch mit Wahrscheinlichkeit schliessen dürfen, dass jene einzellige Stammform der gemeinsame einzellige Stamm-0rganismus für das ganze Thierreich, den Menschen mit inbegriffen, war.

Dieser Schluss ist so einfach, aber doch auch so bedeutungsvoll, dass nicht genug Gewicht auf denselben gelegt werden kann. Wir müssen daher zunächst die Frage aufwerfen, ob es vielleicht noch heutzutage einzellige Organismen giebt, aus deren Form wir annähernd auf die einzellige Ahnenform der vielzelligen Organismen schliessen dürfen? Die Antwort auf diese Frage lautet: Allerdings! Ganz gewiss giebt es noch jetzt einzellige Organismen, die ihrer ganzen Beschaffenheit nach eigentlich weiter nichts als eine permanente Eizelle sind; es giebt selbstständige einzellige Organismen, die sich nicht weiter entwickeln, die als einfache Zellen ihr ganzes Leben vollbringen und sich als solche fortpflanzen, ohne zu weiterer Entwickelung zu gelangen. Wir kennen jetzt eine grosse Anzahl solcher einzelligen Organismen, z. B. die Gregarinen, Acineten, Infusorien u. s. w. Allein einer unter ihnen interessirt uns vor allen anderen, weil er bei jener Frage sofort in den Vordergrund tritt, uns als die der Stammform am meisten sich annähernde einzellige Urform angesehen werden muss. Dieser Organismus ist die Amoebe.

Unter dem Namen Amoeba fasst man schon seit langer Zeit gewissen einzellige Organismen zusammen, welche keineswegs selten sind, sondern im Gegentheil sehr verbreitet vorkommen, namentlich im süssen Wasser, aber auch im Meere; neuerdings hat man sie auch als Bewohner der feuchten Erde kennengelernt, so erscheint dieselbe gewöhnlich als ein rundlickes Körperchen von ganz unregelmässiger und wechselnder Form (Fig. 7). In der weichen, schleimigen, halbflüssigen Körpermasse, die aus Protoplasma besteht, bemerken wir weiter nichts, als ein darin eingeschlossenes, festeres oder bläschenförmiges Körperchen, den Zellenkern. Dieser einzellige Körper bewegt sich nun selbstständig und kriecht auf dem Glase, auf welchem wir ihn betrachten, nach verschiedenen Richtungen umher. Die Ortsbewegung geschieht dadurch, dass der formlose Körper an verschiedenen Theilen seines Umfanges fingerartige Fortsätze ausstreckt, welche in langsamem aber beständigem Wechsel begriffen sind, und die übrige Körpermasse nach sich ziehen. Nach einiger Zeit kann das Schauspiel sich ändern; die Amoebe steht plötzlich still, zieht ihre Fortsätze ein und zieht sich in Kugelform zusammen. Bald aber beginnt sich das Schleimkügelchen wieder auszubreiten, nach einer andern Richtung hin Fortsätze auszustrecken und sich aufs Neue fortzubewegen. Diese Fortsätze heissen Scheinfüsse oder Pseudopodien, weil sie sich physiologisch wie Füsse verhalten und doch keine besonderen Organe in mophologischem Sinne sind. Denn sie vergehen eben so rasch, als sie entstehen, und sind weiter Nichts als veränderliche Fortsätze der homogenen und structurlosen Körpermasse.

Wenn man eine solche kriechende Amoebe mit einer Nadel berührt oder wenn man einen Tropfen Säure dem Wasser zusetzt, so zieht in Folge dieses mechanischen oder chemischen Reizes der ganze Körper sich sofort zusammen. Gewöhnlich nimmt der Körper dann wieder Kugelgestalt an. Unter gewissen Umständen, z. B. wenn die Verunreinigung des Wasser länger andauert, beginnt auch wohl die Amoebe sich einzukapseln. Sie schwitzt eine homogene Hülle oder Kapsel aus, die alsbald erhärtet, und erscheint nun im Ruhezustand als eine kugelige Zelle, die von einer schützenden Membran umgeben ist. Ihre Nahrung nimmt die einzellige Amoege entweder dadurch auf, dass sie unmittelbar aus dem Wasser aufgelöste Stoffe durch Imbibition aufsaugt, oder dadurch, dass sie fremde feste Körperchen, mit denen sie in Berühung kommt, in sich hineindrückt. Dies letztere kann man jeden Augenblick beobachten, indem man sie zum Fressen nöthigt. Wenn man fein pulverisirte Farbstoffe, z. B. Carmin, Indigo, sehr fein zertheilt in das Wasser bringt, dann sieht man, wie der weiche Körper der Amoebe diese Farbstoffkörnchen in sich hineindrückt, wie die weiche Zellsubstanz über den Körchen zusammenfliesst. Die Amoebe kann so auf jeder Stelle ihrer Körperoberfläche Nahrung aufnehmen, ohne dass irgend welche beonderen Organe der Nahrungsaufnahme und Verdauung existiren, ohne dass ein wahrer Mund und Darm vorhanden ist. Indem nun die Amoebe auf solche Weise Nahrung aufnimmt und die gefressenen Körperchen in ihrem Protoplasma auflöst, wächst sie; und nachdem sie durch fortgesetzte Nahrungsaufnahme ein gewisses Mass des Umfangs erreicht hat, tritt ihre Fortpflanzung ein. Diese geschieht in der einfachsten Weise durch Theilung. Zunächst zerfällt der innere Kern in zwei Stücke. Dann theilt sich auch das Protoplasma zwischen den beiden neuen Kernen und die ganze Zelle zerfällt in zwei Tochterzellen, indem der Zellstoff um jeden der beiden Kerne sich ansammelt. Das ist die gewöhnliche Weise der Fortpflanzung, durch die sich überhaupt die meisten Zellen vermehren; es theilt sich zunächst der Zellenkern in zwei Stücke, und dann erst der Zellstoff (Fig. 3, S. 102).

Obgleich die Amoebe also weiter nichts als eine einfache Zelle ist, so zeigt sie sich dennoch im Stande, alle Functionen des vielzelligen Organismus für sich zu vollstrecken. Sie bewegt sich kriechend, sie empfindet, sie ernährt sich, sie pflanzt sich fort. Es giebt Arten von solchen Amoeben, die man mit dem blossen Auge ganz gut sehen kann; die meisten Arten sind mikroskopisch klein. Weshalb wir nun gerade die Amoeben als diejeniggen einzelligen Organismen betrachten, deren phylogenetische Beziehungen zur Eizelle besonders wichtig sind, das ergiebt sich aus folgenden Thatsachen. Bei vielen niederen Thieren bleibt die Eizelle bis zur Befruchtung in ihrem ursprünglichen nackten Zustande, bekommt keine Hüllen und ist dann oft gar nicht von einer Amoebe zu unterscheiden. Gleich den letzteren können auch diese nackten Eizellen Fortsätze ausstrecken und sich umher bewegen. Bei den Schwämmen oder Spongien kriechen sogar diese beweglichen Eizellen im mütterlichen Organismus wie selbstständige Amoeben frei umher (Fig. 8). Sie sind hier schon von früheren Naturforschern beobachtet, aber für fremde Organismen, nämlich für parasitische Amoeben gehalten worden, die als schmarotzende Eindringlinge im Körper des Schwammes leben. Erst später hat man erkannt, dass diese angeblichen einzelligen Parasiten oder Schmarotzer nichts weiter sind, als die Eizellen des Schwammes selbst. Dieselbe merkwürdige Erscheinung finden wir auch bei anderen niederen Thieren, z. B. bei den zierlichen glockenförmigen Pflanzenthieren, die wir Medusen nennen; auch bei ihnen bleiben die Eier nackte, hüllenlose Zellen, welche amoebenartige Fortsätze ausstrecken, sich ernähren, bewegen, und aus denen sich nach erfolgter Befruchtung durch wiederholte Theilung unmittelbar der vielzelligee Medusenorganismen entwickelt.

Es ist also gewiss keine gewagte Hypothese, sondern eine ganz nüchterne Schlussfolgerung, wenn wir grade die Amoebe als denjenigen einzelligen Organismus betrachten, welcher und eine ungefähre Vorstellung von der alten gemeinsamen einzelligen Stammform aller vielzelligen Organismen giebt. Die nackte einfache Amoebe besitzt einen indifferenzierteren und ursprünglicheren Charakter als die meisten anderen Zellen. Dazu kommt noch der Umstand, dass auch im erwachsenen Körper aller vielzelligen Thiere durch neuere Untersuchungen überall solche amoebenartigen Zellen nachgewiesen worden sind. Sie finden sich z. B. im Blute des Menschen neben den rothen Blutzellen als sogenannte farblose Blutzellen; ebenso bei allen anderen Wirbelthieren. Auch bei vielen Wirbellosen kommen sie vor, z. B. im Blute der Schnecken; und hier habe ich schon 1859 nachgewiesen, dass auch diese farblosen Blutzellen, ganz gleich den selbstständigen Amoeben, geformte feste Körperchen aufnehmen, also fressen können. (Fig. 9.) Neuerdings hat man die Erfahrung gemacht, dass eine Masse verschiedener Zellen, wenn sie nur Raum haben, im Stande sind, dieselben Bewegungen auszuführen, zu fressen und sich durchaus wie Amoeben verhalten.

Die Fähigkeit zu diesen charakteristischen amoebenartigen Bewegungen der nackten Zellen beruht auf der Contraktilität (oder automatischen Beweglichkeit) des Protoplasma. Dieselbe scheint eine allgemeine Lebenseigenschaft aller jugendlichen Zellen zu sein. Wie dieselben nicht vin einer festen Membran umschlossen oder in ein "Zellengefängnis" eingesperrt sind, da können sie auch solche "amoeboide Bewegungen" ausführen. Das gilt von den nackten Eizellen so gut wie von anderen nackten Zellen, von den "Wanderzellen" verschiedener Art u. s. w.

Durch diese Untersuchung der Eizelle und ihre Vergleichung mit der Amoebe haben wir sowohl für die Keimesgeschichte wie für die Stammesgeschichte die festeste und sicherste Basis gewonnen. Wir sind dadurch zu der Ueberzeugung gelangt, dass das menschliche Ei eine ganz einfache Zelle ist, dass sich diese Eizelle von derjenigen der übrigen Säugethiere gar nicht unterscheidet, und dass wir daraus auf eine uralte einzellige Stammform zurückschliessen müssen, die einer Amoebe gleich gebildet war.

Die Behauptung, dass die ältesten Vorfahren des Menschengeschlechts solche einfache Zellen waren, die gleich der Amoebe ihr selbstständiges einzelliges Dasein führten, ist nich allein als eine leere naturphilosophische Träumerei verspottet, sondern auch in theologischen Zeitschriften als "abscheulich, empörend und unsittlich" mit Entrüstung zurückgewiesen worden. Wie ich aber schon in meinen Vorträgen "über die Entstehung und den Stammbaum des Menschengeschlechts" bemerkt habe, muss dieselbe fromme Entrüstung dann mit gleichem Rechte auch die "abscheuliche, empörende und unsittliche" Thatsache treffen, dass sich jedes menschliche Individuum aus einer einfachen Eizelle entwickelt und dass diese menschliche Eizelle nicht von derjenigen der übrigen Säugethiere zu unterscheiden ist. Diese Thatsache können wir jeden Augenblock unter dem Mikroskope demonstiren, und es hilft Nichts, wenn man sich vor dieser "unsittlichen" Thatsache die Augen zuhält. Sie bleibt eben so unwiderleglich, wie die wichtigen Folgeschlüsse, welche wir daran geknüpft haben.

Die noch heute lebenden Amoeben und die verwandten einzelligen Organismen: Arcellen, Gregarinen u. s. w. sind für die Folgeschlüsse deshalb von hohem Interesse, weil sie uns die einzelne Zelle in permanenter Selbstständigkeit vorführen. Hingegen ist der Organismus des Menschen und der höheren Thiere nur in seinem frühesten Jugendzustande einzellig. Sobald aber die Eizelle befruchtet ist, vermehrt sich sich durch Theilung und bildet eine Colonie von vielen socialen Zellen. Diese sondern oder differenziren sich, und durch Arbeitstheilung der Zellen, durch verschiedenartige Ausbildung derselben entstehen dann die mannichfachen Gewebe, welche die verschiedenen Organe zusammensetzen. Der entwickelte vielzellige Organismus des Menschen und aller höheren Thiere und Pflanzen stellt dann eine sociale staatliche Gemeinschaft dar, deren zahlreiche einzelne Individuen zwar sehr verschieden ausgebildet sind, aber doch ursprünglich nur ganz einfache Zellen von gleichartiger Beschaffenheit waren.

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Erstellt von Sebastian Högen, Juli 2001.