"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

96. Brief

Berlin, 11. Oktober 1874.




Mein geliebstes Röschen! Seit ich vorgestern unser liebes Nest verlassen, sind meine Gedanken beständig bei Dir und unsern lieben Kindern gewesen. Ich merke recht, was für ein alter Hausvater ich geworden bin. Ich kann nicht entfernt mehr so frei reisen wie früher; die Gedanken bleiben zu sehr zu Hause. Außerdem werde ich - durch Anpassung an mein süßes Weibchen - immer blasierter! Nichts ist mir "großartig" genug! Das muß Dich doch freuen, nicht wahr?

Ganz besonders habe ich natürlich in diesen Tagen an unsern lieben Walter gedacht, der gerade am Freitag, als ich abreiste, zum ersten Male in die Schule ging. Ich bin sehr neugierig, wie es ihm gegangen ist, und hoffe bald von Dir über den guten Ausfall dieses ersten Anfangs zu hören. Bitte Dich nur dringend liebes Röschen, den Versuch konsequent durchzuführen und nicht etwa gleich wieder aufzuhören, wenn es in den ersten Tagen nicht gehen will!

Mir ist es ganz gut gegangen. Ich war um 2 bereits in Leipzig und ging zunächst eine Stunde in das städtische Museum, wo sehr schöne neue Landschaftsbilder sind, dann zu Engelmann, der mir schmunzelnd erzählte, daß von der ersten Auflage der "Anthropogenie" jetzt schon (14 Tage nach dem Erscheinen!) kein Exemplar mehr zu haben sei, daß die zweite Auflage in 14 Tagen erscheine, und daß er mich bitte, baldigst an die Vorbereitung zur dritten Auflage zu gehen!! Freitag abend amüsierte ich mich gut in Broekmanns Affentheater (bei ausgezeichnet dressierten Affen, Pavianen, Hunden, Ziegenböcken und Ponys!). Es tat mir sehr leid, Daß Du und die Kinder den Spaß nicht mit ansehen konntet . . . Inzwischen hast Du schöne Ruhe! Innigsten Gruß Dir und unsern lieben . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999