"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

86. Brief

Jena, den 14. April 1873.




Mein alter geliebter Ernst! Über Deinen Brief aus Smyrna, den ich gestern zum ersten Osterfeiertag erhielt, habe ich mich mehr gefreut aus über jeden andern, da aus den Zeilen an mich hervorgeht, daß Du doch anfängst, ein klein wenig Sehnsucht nach uns zu empfinden, die erste derartige Äußerung von Dir! Ich freue mich so sehr, daß Deine Reise bis jetzt so genußreich und in jeder Beziehung interessant gewesen ist, und Konstantinopel wird gewiß der Sache noch die Krone aufsetzen. Vor allen Dingen bin ich froh, daß Du so frisch und munter bist und nun gewiß recht frisch wieder im stellen Jena eintriffst. Der 11. Mai ist zwar noch 4 Wochen hin, doch woran muß sich eine Frau nicht gewöhnen und besonders die Frau eines gefeierten Naturforschers? - Ich habe Dir ein Inserat der Weimarischen Zeitung beigelegt, wovon manche behaupten, Du habest es selbst hineinsetzen lassen, was ich eifrig bestritten habe. Soweit ich meinen Mann zu beurteilen weiß, glaube ich es nicht . . . Von mir kann ich Dir melden, daß ich ganz erträglich bin, der Mensch wird durch solches Elend, wie ich es Monate lang gelitten, so unendlich bescheiden, sodaß ich z. b. froh bin und es als etwas Außerdordentliches ansehe, daß ich wieder täglich an die Luft gehen kann . . . Lebe wohl, liebster Mann, schiebe Deine Ankunft nur nicht auf ein noch späteres Datum hinaus. Der Geduldsfaden könnte einmal bei mir reißen, bei Dir ist das freilich nicht der Fall. Mutter und Clara grüßen und freuen sich über Deine Reiseberichte. In alter Liebe bin ich Deine verlassene Agnes.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999