"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

27. Brief

Jena, den 6. September 1868.




Mein lieber Ernst! Deine wenigen Zeilen habe ich gestern bekommen und mich sehr darüber gefreut, hoffte aber heute noch einen längeren Brief, der leider ausgeblieben ist, nach meiner Rechnung hätte ich schon wieder einen Brief von Dir haben können, wo Du sicherlich meinen ausführlichen Bericht erhalten hast. - Was Du denkst, mein lieber Schatz! Ich sehne mich ebenso nach Briefen wie Du, und da ist der strenge Gatte gleich außer dem Häuschen, wenn nicht alles so klappt, wie er wünscht.

Die Affentafel hast Du ziemlich mangelhaft gefunden, im allgemeinen fangen wir sie ganz gelungen. Das Eine hatte ich auch gleich zu tadeln, daß die Augen durchgehends zu ausdruckslos sind; ich habe sie sogleich gestern nach Empfang Deines Briefes zu Müller geschickt und mit ihm durchgesehen, er will alles nach Deinem Wunsche verbessern und schickt Dir sogleich eine verbesserte Auflage! - Erst will er sie mir zeigen, dann aber gleich fortlithographieren, da Ernst Reimer triebe und es nun auch gut werden wird! - Mein Schwager hat das erste fertige Buch Deiner Schöpfungsgeschichte mit nach Berlin genommen, er zeigte es mir vorher, īs ist ein tüchtiges Heft geworden, aber recht schön gedruckt, und die Tafel vorn nimmt sich gut aus, überhaupt sämtliche . . . Gott, was hat mein armer Mann mal wieder zusammengearbeitet, rief ich, als ich das Buch durchblätterte. Mein Herzenstinchen, nun aber so bald nicht wieder dergleichen, hörst Du wohl, auch wenn man sich nur sicher darauf verlassen könnte! Bist du auch recht frisch und wohl, mein liebstes, bestes Herz! Von meiner Sehnsucht nach Dir, mein geliebter Mann, will ich nur gar nichts schreiben, denn das ginge ohne Ende fort . . . Was muß eine Frau sich nicht alles gefallen lassen, wir sind arme, abhängige Geschöpfe! Arme kleine Frau, muß zu Hause bleiben, während der Gatte solch schöne Reise macht, das glaube ich, da wäre ich auch gern dabei, Verona, Comer See usw.

Seit einigen Tagen haben wir hier wieder wunderbar schönes Wetter, es ist doch ein unvergleichlicher Sommer! Bei Mutter im Garten wird mit Macht alles reif, der Wein schmeckt schon sehr schön, Äpfel und Pflaumen sind prachtvoll . . .

Deine Mutter schreibt mir sehr oft, sie kann nciht genug von ihrem Herzensjungen hören und hat mich immer im Verdacht, nichts zu tun, was mir für die Länge unerträglich wird. Was denkt sie eigentlich, ich bin kein dummes Kind mehr, tue jetzt freilich noch viel mehr, da mir die Ruhe gut tut und ich nicht immer getadelt und kritisiert werde; das tut mir unbeschreiblich wohl und scheint ebenso Bertha zu gehen. Wir arbeiten viel vergnügter beide. - Weh tut mir auch, daß Deine Mutter mich eigentlich gar nicht versteht und jeden unschuldigen Scherz als unverzeihliche Kinderei aufnimmt. Mit solchen Menschen ist schwer zu verkehren, ich bin froh, mein Tinchen, daß Du ganz anders bist, so kindlich heiter und lieb und gut und alles, alles! - Adieu, mein liebes, verwöhntes Herzliebchen, komme endlich bald zurück und schreibe mir einen recht langen, recht recht lieben Brief! Deine arme kleine Strohwitwe A.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999