"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

219. Brief

Jena, 25. August 1900.




Liebster Ernst! Dein vorgestern erhaltener Brief hat mich recht wehmütig gestimmt, es regnet ja dieses Jahr Enttäuschungen aller Art, worunter diese letzte, durch Gegenbaur verursachte, wohl eine der größten ist. - Mir hat gleich so etwas geahnt, ich wollte Dich aber nicht irre machen, da Du ja immer meinst, ich hielte Dich von allem ab. Aber nach seinem Benehmen das ganze letzte Jahr ließ sich eigentlich nicht viel anderes erwarten. Nur für so herzlos und grausam hätte ich ihn doch nicht gehalten, daß er Dir, dem langjährigen Freunde, der ihn vergötterte, geradezu die Tür wies. Das ist stark, das muß ich sagen, und ich bitte dich um eins, lieber Mann, bleibe bei Deinem Entschlusse, ihn nicht wiederzusehen, es wäre Deiner unwürdig, wolltest Du diese Beleidigung vergessen.

Daß Fürbringer in Heidelberg angenommen hat, hat mich nicht überrascht, und ein Glück für ihn, daß er diese Übersiedlung gerade noch in einem passenden Alter machen kann.

An Pohle habe ich die 100 Mk. (etwas viel nach meiner Meinung) gegeben, er läßt sich vielmals bedanken, und er wüßte gar nicht, wie er dazu komme. Er nahm diese hübsche Summe aber recht gern in Empfang . . .

Ich selbst habe stündlich mit dem Gedanken zu tun, Dich, mein alter Erni, so lange entbehren zu sollen; in so vorgerückten Jahren, wie wir beide sind, wird die Trennung doppelt schwer, das Leben neigt sich zu Ende, und der Mut ist durch die vielfachen Enttäuschungen im Leben nicht mehr vorhanden, der uns hoffnungsfreudig vorwärtsblicken läßt. Doch ich bin beruhigt, daß Du dem ewigen Kampf um Deine Welträtsel entronnen bist. Ich fühle tief, wie sehr Dich das unglückliche Buch affiziert hat. Deshalb hoffen wir alle das Beste von dieser langen Ausspannung, und mein altes Erni-Herz kommt entlich ruhiger und friedlich gesinnt wieder, wie es für unsere letzten Lebensjahre paßt.

Schreibe mir nur, soviel Du kannst, Du weißt nicht, wie sehr das wohltätig auf mein vereinsamtes Herz wirkt . .  In Jena wird es immer stiller, aber sonst ist es gemütlich. Auf dem Nachtleuchter Deines Schlafzimmers fand ich 2 Zahnmarkstücke, die in meine Kasse fließen lasse. Nun noch einen herzlichen Gruß von Deiner alten Agnes.





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999