"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

172. Brief

Potsdam, 20 Oktober 1887.




Mein geliebtes Tee-Röschen! Innigst gerührt empfing ich Deinen lieben Brief, anfänglich besorgt wegen der ungewohnten Eile, mit der Du "die Feder ergriffen" - dann aber aufgeklärt durch die dicke Rechnung aus Wiesbaden (- die bezahlt ist). Nichtsdestoweniger war ich sehr erfreut über Deine lieben Zeilen und hoffe, daß die darin ausgedrückte poetische Sehnsucht nach Deinem unvergleichlichen Mustergatten sich bis zu meiner demnächstigen Rückkehr noch steigert! Du bist wirklich ein zu süßes Rosen- Weibchen! . . .

Die Fahrt von Jena nach Berlin war eine der kältesten, die ich je gemacht habe! Kein Coupé geheizt, bei 2 Gr. Wärme. Ich fror in II. Klasse erbärmlich und wurde erst leidlich warm, als ich 2 starke Grogs getrunken hatte. Hier traf ich alles ziemlich wohl an . . . Mein Hauptgenuß war die National-Galerie, wo ich diesman (zum erstenmal in der Galerie der Handzeichnungen) Skizzen von Hildebrandt genossen habe. Abends dreimal im Theater!! Montag französisches Schauerdrama mit Vergiftung, im Residenz-Theater, Dienstag den ausgezeichneten Komiker und Mimiker Schweighofer im Belle-Alliance-Theater, in "Nr. 28", sehr amüsant, viel gelacht, Mittwoch im Friedr.-Wilhelmstädt. Theater die Operette "Farinelli", niedliches Spiel und Musik, mi tdem reizenden Refrain "Küsse mich". Die Primadonna war so verführerisch, daß ich ihr eigentlich heute ein Bukett und Gedicht überreichen wollte. Jedoch unterließ ich es schließlich, da ich keine gelben Gla&ccomma;é-Handschuhe hatte . . .





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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999